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Ich erschoss Donald Duck
Ich sollte hinzufügen, dass ich Duck-Fan bin und dies schrieb, als ich mal wieder sauer darüber war, was man in den letzten anderthalb Jahrzehnten aus meinem geliebten Entenhausen machte.
Willig gestehe ich: Letzten Dienstag, nach der Lektüre einschlägiger Literatur, welche die Geschicke und Missgeschicke des berühmtesten Entenhausener Bürgers nachzeichnete, lud ich mein fiktives Comic-Gewehr und erledigte besagten Donald Duck mit nur einer Patrone - oder haben Sie schon einmal gesehen, dass John Wayne oder Harrison Ford mehr als einen Schuss pro Bösewicht benötigten?
In lustigen Sprechblasen-Seufzern hauchte Donald sein zweidimensionales Leben aus.
Zwei Stunden später klickten die Handschellen: Ausgerechnet Micky Maus, dieser streberhafte Naseweis, hatte mich überführt.
Ich ergab mich in mein Schicksal. Und so sitze ich denn hier, versuche, etwas Sympathie für meine blutige Tat zu erheischen, und scheitere in eben diesem Bemühen.
Es gibt so viele Gründe, weshalb ich es tat.
Der Wichtigste: Donald war schuldig geworden. Er war wenig mehr als ein Epigone seines fleischgewordenen Selbst.
Ach, welch ein Held war er doch dereinst gewesen! Und was war aus ihm geworden. Längst hatten sie der Vergangenheit angehört, seine ewigen Kämpfe um die nackte Entenhaut.
Was hatte ich nicht um ihn gebangt, wenn sein skrupelloser Onkel Dagobert ihn mit unredlichen Mitteln in seine Dienste zwang! Welch atemlose Spannung lag in seinen tragischen Versuchen, sich seiner Gläubiger zu entledigen! Niemals gelang es ihm, das Joch der Sklaverei abzuschütteln, welches sich in nüchternen Schuldscheinen manifestierte.
Und dabei verlangte er doch nie zuviel: Ein klitzekleines Stückchen Glück, ein winziger Platz unter dem Himmelszelt, das uns alle überspannt, das war es, wonach er sich sehnte. Aber nein - es war ihm nie vergönnt, einfach so sich einen faulen Lenz zu machen, den lieben Gott ebensolchen sein zu lassen.
Immer und immer wieder rückten diese materialistischen Hyänen ihm auf den Pelz, wollten ihm an die Federn.
Was aber noch ungerechter schien, war die Verteilung des Glücks: Während es Donald niemals hold war, ereilte es seinen Vetter Gustav im Übermaß.
Oh, wie ich Gustav verabscheute und dennoch bewunderte! Ihn, diesen aufgeblasenen Fatzke, diesen dauergewellten Gänse-Beau mit dem verschlagenen Grinsen, ihn, der er die Heimtücke in Person war!
Und er gönnte Donald nicht einmal dessen einzige Liebe: Daisy. War nicht von Anfang an klar gewesen, dass es Gustavs erklärtes Ziel war, Donald zu demütigen? Wie sonst könnte man erklären, dass er stets bemüht war, Daisys Herz zu erringen? Und wie, wenn nicht durch blanke Existenzsicherung, durch prallen Luxus, durch wohldurchdachte Zurschaustellung der eigenen Fähigkeiten erringt man die Liebe einer Dame?
Des Verstandes Kraft? Lachhaft, bei einem Tunichtgut der Sorte Gustav Gans, dessen Bildung stets Halbbildung war, der Comics guter Literatur vorzog, der Gedichte für Zeitverschwendung hielt. Und er machte nie ein Hehl aus seiner fehlenden Bildung, ja, bisweilen brüstete er sich damit!
Donald aber bemühte sich redlich, ein Quentchen intellektuellen Verstandes in sich aufzunehmen.
Und wie oft haderte er nicht nur mit seinem Schicksal und seinen bösen Schatten, nein, nicht genug damit, wie oft stellten sich seinen eigenen, halbwüchsigen Neffen gegen ihn, anstatt ihn tatkräftig zu unterstützen!
Ach, wie herrlich anzuschauen waren diese niemals endenden Grabenkämpfe, diese furiosen Gleichnisse menschlicher Dummheit, diese Metaphern für die existenzielle Ausweglosigkeit unseren Daseins!
Donald, du warst der Gott der Mittelmäßigkeit! Wen scheren Typen wie Superman mit ihren welterrettenden Heldentaten?
Die Apokalypse im letzten Augenblick vermeiden? Invasionen glubschäugiger Marsianer verhindern? Tückische Komplotte wahnsinniger Wissenschaftler unterbinden?
Ja, dies ist die Domäne fader Helden. Aber zu mehr, als der Rettung millionenfacher Menschenleben sind sie doch nicht fähig, die Herren Superhelden.
Wer, wenn nicht Donald, spielte angesichts der geringsten Lappalie verrückt; machte sich für seine Herzensdame zum Idioten; war dem übermächtigen Plutokraten Dagobert Duck, diesem einzigartigen Symbol für die zerstörende, unheilvolle Macht des Kapitalismus hilflos ausgeliefert; hasste jene mit heißer Inbrunst, die das Glück völlig unverdient für sich gepachtet hatten; war Alleinerzieher hyperaktiver Jungen; stellte sich tapfer den Alltagskatastrophen, egal, wie verheerend diese auch ausfallen mochten?
Die Antwort muss zwangsläufig Donald Duck lauten.
Ich hielt ihm auch in jener Zeit die Stange, als er zahmer, smarter, einfühlsamer wurde, obgleich ich schmerzhaft erkannte, dass er sich immer weiter von mir entfernte.
Ich übersah sogar seine Phantomias-Travestien.
Ich goutierte seine häufigen Triumphe über Vetter Gustav.
Aber irgendwann riss der Faden, der uns verband, unweigerlich. Plötzlich verwandelte er sich in ... in einen Menschen! Er sprach und handelte kompetent, bewies gesunde Schläue bei der Bewältigung komplexer Problembereiche, erzog seine Neffen zu gutbürgerlichen Teenagern, sah sich Dagobert in keiner Weise mehr sklavisch untertan, entwickelte Selbstbewusstsein und Savoir-Vivre.
Meine Bewunderung schlug anfangs in jähes Entsetzen, später in Abscheu um. Ah, ich bereue nichts! Ja, ich würde es wieder tun! Tausendmal, wenn es denn nötig wäre.
Halt, ich höre Schritte. Micky Maus in Begleitung von Kommissar Hunter.
Kommt nur, kommt - der Comic-Tod erwartet euch in Form meiner spitzen Zunge. Gestählt in Wut und ohnmächtigem Zorn.
Ich werde euch zu Tode verachten. Seht euch vor, ihr aufgeblähten Figürchen! Eure nichtssagenden Sprechblasen werde ich in eure Mäuler stopfen, auf dass ihr daran verendet, an eurem eigenen Blabla.
Welch´ Ironie!
Und dann mache ich weiter - ich bin nämlich unersättlich in meiner Rachebegierde.
Ich gedenke, mich eines gewissen Herrn Bugs Bunny anzunehmen.