Mitglied
- Beitritt
- 05.03.2021
- Beiträge
- 50
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 33
Ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach
Benedikt platzierte den Nagel. Unterdrückte einen tiefen Atemzug, bekreuzigte sich stattdessen. Bestimmt schlug er zu. Metall durchbohrte das Fleisch. Schmerz dehnte sich aus, betäubte für einmal stark genug.
Sein letzter Blick fiel auf den ans Kreuz genagelten Jesus Christus.
Dann überfiel ihn Dunkelheit.
Es war nicht die Art von Dunkelheit, die dem Licht gegenüberstand.
Mit Gegensätzen kannte er sich aus. Dem Guten hatte er sich als Mönch verschrieben. Das Böse galt es auszumerzen. Wer dachte, dieses Böse existierte nur ausserhalb der Klostermauern, gehörte zur Gattung derjenigen, die sich die Absolution mit Geld erkaufte. Die Sünde lag im Fleisch, so willig der Geist auch war.
Selbst Jesu war nicht frei davon. Er haderte im Garten Getsemani, liess sich von seinem Zorn leiten, im Tempel Jerusalems die Marktstände zu Boden schleudernd.
Manchmal ging es nicht anders, als mit Gewalt zu bekehren.
Es gab Mittel, dieses Fleisch reuig zu machen. Er hatte sie alle angewendet.
Denn der Weg nach oben führte nicht über geteerte Pfade. Benedikt wusste, dass Versuchung selbst die dicksten Mauern durchdringen konnte.
Satan liebte die Herausforderung. Hinter jedem «Vater unser» lauerte er.
Als er vor fast 40 Jahren zu den Brüdern kam, hatte er noch keiner Fliege etwas zuleide getan. Seine Gesichtszüge, engelsgleich.
Der damalige Klostervorsteher erkannte jedoch, dass der Teufel an ihm Gefallen hatte.
Er schrieb es sich auf die Stirn, seinen Geist zu stärken.
Wie er später erfuhr, war er nicht der Einzige, dem diese Gunst zuteil war.
Als ihn der Abt in seine Betskammer einlud, fühlte er sich auserkoren. Ein Gefühl, das er genoss. Er wusste noch nicht ob der Unzüchtigkeit einer solchen Anmassung.
Endlich war er an dem Ort, wo er für seine Gespräche mit Gott nicht ausgestossen wurde. Unter Gleichgesinnten. Er erfuhr, dass er von Heiden grossgezogen worden war. Seine Familie auf dem Pfad gen Hölle. Er selbst von Jesus gerettet. Ihm wurde gesagt, dass er besser war. In dieser Gesellschaft noch besser werden würde. Jetzt wo er von denen lernen durfte, die über ihm standen, näher dem Herrn.
Der Mann mit der tellergrossen Tonsur lächelte gütig. Er zog sein Gewand hoch und entblösste sein Glied. Benedikt erstarrte ehrfürchtig und spürte unmittelbar seine eigene Männlichkeit erwachen. Da war er, der Teufel. Der Abt erklärte es ihm. Er war der Einladung gefolgt, nun galt es, seinen Forderungen zu widerstehen.
Immer und immer wieder. Der Ältere half ihm dabei. Er machte es ihm nicht leicht. Darin lag gerade die Hilfe. Die Versuchung wurde grösser. Mannigfaltiger. Sie zeigte sich im salzigen Geschmack, den der Jüngling von seinem Penis ableckte. In den lustvollen Geräuschen, die nur dem Abt vorenthalten waren. Den Stössen, die Benedikts Schädeldecke kribbeln liessen. Über die Gebetsbank gebeugt. Sein Fleisch vibrierte vor Lust, sein eigenes Glied pochte. All dies war Teil des Programms, solange er eisern blieb und sich keinem Genuss hingab. Weder in Gedanken noch in Form der Ejakulation.
Benedikt fühlte sich lebendig wie nie zu vor. Noch kraftvoller, noch schöner als das Gebet. Nichts weiter als Blasphemie.
Der Ältere, bereits Meister über das Fleisch, schlüpfte für diese Züchtigung in die abartigste aller Wesensformen. Eine Ehre, die den jungen Benedikt erfüllte. Genauso wie die milchige Flüssigkeit, die aus ihm rann, sobald er sich wieder aufrichtete. Nun war es an ihm, sein Gewand zu heben und dem Meister seine Fortschritte zu zeigen. War sein Penis in einem erigierten Zustand, zeigte sich der Abt zufrieden und entliess ihn zum Gebet. War er schlaff und klebrig, ging es geradewegs zum Geissler.
Benedikt lebte für diese geheimen Ausbildungsstunden. Ein Eingeständnis, das von ihm unzählige Selbstzüchtigungen einforderte.
Dazwischen lernte er lesen und schreiben, um Gott über das Studium der Bibel zu erfahren. Die Konzentration fiel ihm schwer. Worte fingen an zu tanzen. Sein Puls schneller. Er konnte nicht stillsitzen. Jeder Gedanke an die äbtische Kammer brachte die Lust erneut ins Wallen. Rastlos wandelte er durch das Anwesen, nichtwissend, wohin mit ihr. Die Erektion unter der schützenden Kutte hielt eine Ewigkeit. Zu den Erinnerungen und Vorfreuden gesellten sich Fantasien. Das freundliche Zunicken anderer Mönche, für ihn Einladungen. Er stellte sich vor, welch frohlockende Vielfalt unter diesen braunen, schweren Stoffen versteckt war. Wie seine Hände sie von der Bürde befreien, seine Zunge ihnen jenes köstliche Elixier entlocken würde.
Benedikt konnte nicht sagen, was mehr schmerzte: das von diesen Gedanken malträtierte Hirn oder sein Geschlecht, das zu platzen drohte.
Gebete halfen nicht mehr. Er musste Hand anlegen. Die Hiebe der Peitsche, die er sich auf den Rücken schlug, erstickten die Lust. Bescherten ihm Stunden einer angenehmen Leere.
Es gab aber auch Momente, wo ihm der Samenerguss zuvorkam. Es konnte beim schweigenden Essen mit seinen Brüdern sein oder bei der Messe.
Und manchmal, wenn er allein war, erlag sein Geist der Schwäche seines Fleisches, er erlöste sich selbst mit zittrigen Händen. Dafür gab es noch mehr Selbstkasteiung. Die Lust war das eine, aber Schuld und Scham bedurften eines höheren Einsatzes.
Ein Einsatz, der sich lohnte. Der Klostervorsteher war zufrieden mit ihm. So sehr, dass er nach zwei Jahren Lehrzeit diese für beendet erklärte. Ein Magna cum Laude, das Benedikt in tiefe Bestürzung stiess. Er bekleckerte sich absichtlich, flehte den Abt auf Knien an, er möge ihn weiter unterrichten. Aber dieser liess sich nicht erweichen. Stattdessen steckte er ihn in Einzelklausur. Da sass er sieben Tage, allein mit Gedanken an des Abtes Härte, die sich immer wieder auf sein eigenes Geschlecht übertrug. Auch die Züchtigung wurde erbarmungsloser.
Neue Mönchsanwärter bedurften der vollen Aufmerksamkeit des Abtes. Eifersüchtiger Groll gab seinen Schlägen Kraft, trieben die Flausen aus, die das junge Fleisch ihm zusätzlich in den Kopf setzte.
Genauso wie das Fasten die Verdauungsorgane entspannen liess, kehrte mit dem Ausbleiben jener Unterrichtstunden Ruhe ein. Die Jahre vergingen, er konnte Aufgaben verrichten, ohne dass ihm sündhafte Gedanken ständig dazwischenkamen.
Akribisch kopierte er Buchstabe für Buchstabe im Skriptorium, genoss ganz besonders das Gestalten der Initialen. Wenn die Augen müde wurden, wanderte er im Klostergarten und roch an dem einen oder anderen Kraut. Auch philosophische Gespräche in der Gemeinschaft wusste er zu schätzen. Ab und zu wanderten seine Blicke unter die Kordellinie seiner Brüder, das Wechselspiel zwischen Schuld und Sühne war nach wie vor Bestandteil seiner Klosterroutine, aber die Abstände waren grösser.
Zumindest bis zu dem Frühling, in dem der alte Abt das Zeitliche segnete, und Benedikt zum Nachfolger gewählt wurde.
Der Hunger kam mit dem Essen, das war bei der Lust nicht anders.
Er nahm sich das Recht zur Schulung, so wie er es gelernt hatte. Redete sich ein, dass es seine Pflicht war, für die Entwicklung seiner Schützlinge ein Gefäss für den Teufel zu werden.
Aber dieser blieb, auch wenn die jungen Männer den Raum längst verlassen hatten.
Benedikt merkte, dass er keineswegs die Meisterstufe erreicht hatte. Er kanalisierte keinen Dämon. Es war umgekehrt.
Und er hatte Gefallen daran.
Gleichzeitig ekelte er sich ob des Speichels, der sich in seinem Mund ansammelte, wenn er die Novizen in Empfang nahm. Das Confiteor im Kopf rezitierend führte er seine Rute ein. Ihn erschauerte ob der Geilheit an seiner Macht. Wo war die Gunst Gottes? Wo der Sieg über Luzifer? Er fand sich in der Hölle, mit jedem Stoss trichterte er den jungen Mönchen die Sünde ein. Mea culpa, mea maxima culpa. Da konnte auch die Geissel nichts mehr ausrichten.
Abstinenz war das Einzige, was ihn jetzt noch retten konnte.
Aber wie das den lernbegierigen Jungen beibringen, ohne gleich die ganze Abtei zu Fall zu bringen? Dass sie ihre Ausbildung abgeschlossen hätten, konnte er ihnen nicht weismachen. Der eine verspritzte seinen Samen jeweils kaum begonnen. Der andere verspürte gar keine Lust. Ein Beenden wäre einem Aufgeben gleichgekommen, und letzteren hätte er heiligsprechen müssen.
Er tat es schliesslich so, wie es der Klerus immer getan hatte. Soviel hatte er gelernt. Er schob es auf Gott. Ihm wäre offenbart worden, der Herr hätte andere Pläne für dieses Kloster.
Die jungen Mönche wirkten erleichtert, was ihm sogleich eine Welle von Scham einher brachte. War er wirklich der Richtige, um dieses Kloster zu führen? Natürlich konnte er sich einreden, dass sein Mut und seine Hingabe ihn auszeichneten. Er wollte den Pakt mit dem Teufel zu Ende tanzen, bis er die Überhand hatte, ein für alle Mal behielt. Während diese Burschen hier den einfachen und bequemen Pfad wählten.
Der Weg zu Gott war kein Spaziergang, wem das nicht bewusst war, der konnte auch niemanden dahin führen. Das Erkennen eines Irrweges war ein zusätzliches Attribut, das ihn auszeichnete.
Benedikt fastete und tat Busse.
Dann band er sich eine Schnur um sein Glied. Fortan würde er jede Lust im Keime ersticken. Ein unsittlicher Gedanke, und er zog zu. Begierde in Schmerz verwandeln. Schuld in Sühne. Unmittelbar.
Schliesslich war das Gegenteil von Schuld Unschuld, ein anderes Wort kannte er nicht. Und wenngleich er seine Unschuld niemals zurückerlangen würde, konnte er doch alles daransetzen, keine weitere Verfehlung mehr zu begehen. Abstinenz war nicht genug. Gott kannte jeden Gedanken.
Aber die Schnur reichte genauso wenig. Die Leidenschaft brachte nun lediglich auch physisches Leiden mit sich, ohne sie ganz zu ersetzen. Das Verlangen blieb. So schmerzhaft es war. Nicht genug.
Die Erkenntnis kam beim Komplet. Jesus war nicht ans Kreuz gebunden worden!
Schweigend machte sich die Gemeinschaft auf in ihre Kammern.
Benedikt besuchte die Werkstätte und kehrte zurück in die kleine Kapelle.
Er stellte sich auf einen Hocker, legte sein Glied auf den steinernen Altar. Er könnte als Märtyrer in die Geschichtsbücher eingehen. Womöglich mit seiner Tat die ganze Bruderschaft von der Lust befreien.
Er würde alle Dunkelheit seines Geschlechtes mit einem einzigen Schlag bannen und seine Abtei zum Leuchtturm machen.
Aber nun war da kein Licht, das sich vom Dunkel abhob, und umgekehrt genauso wenig. Kein Entweder-oder.
Stunden nachdem Benedikt zu Boden gefallen war, fand ihn einer der Mönche in seiner Nachtwache. Mit glühender Stirn und einem seligen Lächeln. Hastig wurde der Rest mit dem auf dem Boden liegenden Abtsgewand bedeckt. Das Kloster versetzt in den Alarmzustand. Turmglocken läuteten.
Benedikts Wunde wurde versorgt. Gebete Tag und Nacht rezitiert, Kerzen angezündet. Das Fieber stieg, trotz kühlender Umschläge.
Der Abt nach wie vor bewusstlos. Nur sein Lächeln blieb. Man hätte denken können, Gott höchstpersönlich habe ihn von seinen Sünden freigesprochen.
Aber Benedikt stand vor keinem Richter. Er schwelgte in Erinnerung, oder mehr als das, ihm war, als sei er wieder Kind, noch nicht Benedikt.
Seine Hände strichen über das weiche Fell eines Kaninchens. Der Fuchs war in der Nacht gekommen, witternd an den Käfigen vorbeigeschlichen, ohne Beute wieder davon. Trotzdem. Er spürte das Zittern des kleinen Hasenherzens. Stetig langsamer durch die Berührung und die sanften Worte des Jungen.
Von anderen wurde er verspottet. Die Grossen meckerten, weil er für keine Arbeit zu gebrauchen war. Zu schwach. Zu unbeholfen. Die Kleinen rannten vor ihm davon. Zu langsam. Zu sonderbar. Er sprach mit Pflanzen, Steinen, flüsterte dem Regen zu, wenn er lange ausblieb. Oft sass er einfach nur da und liess sich selbst liebkosen. Vom Wind, dem Singen der Vögel. Dem warmen Gefühl, wenn er an Jesus dachte.
Vor ein paar Monaten war ein Wanderer auf den Hof gekommen. Er hatte ihn schon von Weitem gesehen, dachte erst er wäre ein Tier, wie er so eins war mit seiner Bewegung.
Der Junge fühlte sich den Menschen nicht nahe. Dieser Mann jedoch berührte ihn, noch ehe er vor ihm stand und ihn grüsste.
Nicht nur das, er legte sein Bündel auf die Erde, setzte sich neben ihn. Gemeinsam schauten sie über das weite Land. Ihm war, wie einer Knospe, die sich der Sonne öffnete. In diese Offenheit legte der Wanderer die Geschichte eines Mannes mit dem Namen Jesus. Worte spielten keine Rolle, er fühlte direkt in seinem Herzen. Getragen. Umarmt von innen.
Seine Eltern schalten diesen Mann einen Streuner, Scharlatan. Er bat um ein Nachtlager, sie schickten ihn fort. Auch die Pharisäer erkannten Jesus nicht, dachte er und verbarg seine kindlichen Tränen. Der Wanderer lächelte ihm zu, schenkte ihm ein Bildchen. Darauf war der gütige Christus gemalt.
Er trug es immer bei sich. Es erinnerte ihn daran, sein Herz offen zu halten. Auch wenn das Hänseln nicht aufhörte, Tunichtgut in sein Ohr geschrien wurde, oder es für Träumerein Schläge hagelte. Er hielt die andere Wange hin. Nicht nur eine Einladung für die anderen. Die Möglichkeit, sich durch Widerstand nicht von der Einheit abzuhalten. Samen zu streuen, auch wenn der Wind sie auf unfruchtbaren Boden tragen mochte.
Benedikt verbrachte seine letzten Erdentage in der Zeit, bevor die Welt zu weiss und schwarz wurde, damals als er noch den lebendigen Jesus liebte.
Oder liebte überhaupt.
- Quellenangaben
- „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund“
Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum, Evangelium nach Matthäus (8,5–13 EU)