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Hure

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10.12.2003
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Hure

„Stoppt jede Uhr./ Lasst ab vom Telefon./ Lasst die Flieger kreisend/ Trauer sei geboten/ An den Himmel schreiben./Er ist tot“
Seine Frau hat sich gut gehalten, bis jetzt. Sie schluchzt laut auf, und in der großen, stillen Kirche, in der nicht mehr als eine Handvoll Trauergäste sitzen, wird ihr Weinen zu Geschrei, hallt es unerträglich von den kalten Wänden wider. Ich muss unterbrechen. Ihre faltigen Hände zittern, ein Mann mittleren Alters legt ihr fürsorglich den Arm um die Schultern und gibt ihr ein Taschentuch.
„Ich dachte/ Liebe währet ewig/ Falsch gedacht./ Sterne sind jetzt unerwünscht/ Will nichts sehn davon/
Verpackt den Mond/ Zertrümmert die Sonne.“
Die Zeilen haben ihre erwünschte Wirkung. Es ist ein fabelhaftes Gedicht, finde ich. Ich trage es bei mir, seit ich sechzehn bin. Ein kleiner, zerrupfter Zettel, den ich nie verloren habe. Obwohl ich sonst immer alles verliere. Als ich das mit der Liebe vortrage, blickt die Witwe mich durch ihre tränennassen Wimpern groß an. Sie wagt ein kleines Lächeln. Ich sehe gütig auf sie herab und lächle zurück, nicht zuviel natürlich. Räuspere mich kurz und fahre fort.
„Nie wird es sein/ So wie es war/ Nie wieder gut.“
Ich lasse meine Stimme ein wenig zittern, sehe auf den Boden, nehme meinen Zettel und gehe wieder zu den Kirchenbänken herunter. Der Pfarrer legt mir eine Hand auf den Arm, murmelt etwas, das ich nicht verstehe. Ich traue mich nicht, nachzufragen, nicke nur knapp und setze mich. Er wird den Gottesdienst fortsetzen. Die Witwe wirft mir nun ständig verliebte Blicke zu. Möglicherweise hatte ich da doch nicht das perfekte Gedicht, die Reaktion ist mir ein wenig zu viel. Am Ende muss ich jetzt immer Mittwochs bei ihr Kaffeetrinken. Oder so was.
Dennoch, ich genieße diese Beerdigung. Diesen Gang von der Kirche zum Grab. Ich behaupte, dass dabei noch nie jemand so gut ausgesehen hat wie ich mit meinem langen schwarzen Wollmantel und den seidigen dunklen Haaren, die ich ordentlich festgesteckt habe, mit dieser einen ungezähmten Strähne im sorgfältig, aber zart geschminkten Gesicht. Ich habe eine Rose in der Hand, tiefrot. Ich passe nicht zu den anderen Trauergästen und sie merken es. Sie gehen hinter mir, und ich höre das leise Stapfen ihrer Schuhe im Kies. Es ist kalt, aber der Schnee hat sich in viele kleine Matschpfützen aufgelöst. Der Wind befreit eine zweite Haarsträhne aus meiner Frisur. Es muss phantastisch aussehen. Wie ich es mir immer vorgestellt habe. Wir versammeln uns um das Grab, schweigend.
Die Witwe weint wieder. Sie muss ihn geliebt haben, sie kannte ihn nicht. Er hat ihr nichts als Lügen von uns erzählt. Hat sein spießiges kleines Leben hier geführt, außerhalb. Als neuer Mensch. Doch du kannst nicht einfach ein neuer Mensch werden. Bis zuletzt hatte ich noch Angst vor ihm, hat mein Magen sich zusammengekrampft, wenn ich ihn reden gehört habe. Seine Stimme werde ich nie vergessen, wie sie im Hausflur herumschreit. Hure. Und die zweite, weinend, leise, damit wir in unserem Schrank nichts davon hörten. Wir hörten es trotzdem. Immer. Als ich älter wurde und der Schrank nicht mehr sicher war, wurde es schwierig für mich. Manchmal schaffte ich es bis ins Bad. Einmal zitterten meine Finger so sehr, dass ich den Riegel nicht vorschieben konnte. Ich roch den Alkohol, stemmte mich gegen die Tür und konnte den Riegel einfach nicht vorschieben. Mach die Tür auf, mach die verdammte Tür auf, Hure. Ich habe oft in der Schule gefehlt. Ich bin eitel. Immer schon gewesen.
Eine Frau neben mir scharrt ungeduldig mit den Füßen. Ich friere und reibe meine klammen Finger, während der Pfarrer am Grab spricht.
Die Frau hört nicht auf, mit ihren Füßen zu scharren, ich hole scharf Luft und werfe ihr einen giftigen Blick zu. Nun ist es totenstill hier, nur der Wind raschelt in den Bäumen, und die Stimme des Pfarrers ist ruhig und klar. Jetzt ist alles gut.


 
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Was hat das in Klammer zu bedeuten? Ist das dein eigener Name? Wenn nicht wird die Geschichte leider nicht lange bestehen.

Ansonsten natürlich erstmal Herzlich Willkommen bei kg.de
Die Geschichte lässt mich nachdenklich zurück. Vor allem dieser Blick in die traurige Vergangenheit hat diesen Effekt. Denn bis dahin sind die Verbindungen verschwommen und unklar.
Gute Idee und gut umgesetzt. Sprachlich auch nicht schlecht bis auf ein paar Ausnahmen. Wenn ich hier mal die derben Schuhe anführen dürfte.

Soweit sogut
Maniac

 

Bis eben stand da Gedicht von W. Jordon in der Klammer die zu allem Überfluss noch zur Hälfte noch dasteht.
Was hat das zu bedeuten?

 
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Entschuldige, ist meine erste Geschichte hier, ich hatte dich so verstanden, dass der Name da nicht stehen sollte, also hab ich ihn editiert. (Das Gedicht, das sie vorliest, ist nicht von mir. Ich dachte, dass ich das erwähnen sollte.)
Jedenfalls danke für die schnelle Antwort. Freut mich sehr, dass dir der Text ein bisschen gefallen hat. Es wäre schön, wenn du mir die anderen Sätze, über die du gestolpert bist, nennen könntest. Grüße

(Hm.. hab nochmal die Regeln gelesen, es sollte mir doch erlaubt sein, dieses Gedicht einzubauen? Du hast mich ziemlich verwirrt ;) )

 

Nein wenn das dein eigener Name ist, macht das nichts aber es passiert manchmal, dass Menschen hier Geschichten von anderen berühmten Autoren posten, weil sie ihnen gefällt. Das ist aber nicht erlaubt.
Sie hat mir im Übrigen mehr als nur ein bisschen gefallen;)
...Weinen zu Geschrei...
...zum Geschrei...

...die Reaktion ist mir ein wenig zu viel...
wie wärs mit zu heftig oder wird mir zu viel?

Wir versammeln uns um das Grab, schweigend.
Ist so eigentlich in Ordnung, aber es hört sich flüssiger an wenn sie sich schweigend am Grab versammeln.

Doch du kannst nicht einfach ein neuer Mensch werden.
Vielleicht wäre hier zu einem neuen Menschen angebracht.

Das ist aber nur meine eigene Einschätzung, eskann auch gut sein, dass ich ein paar Sachen einfach flasch interpretiert habe.

Schönen Samstag noch
Maniac

 

Ist gut. Ich wollte nur verhindern, dass die Geschichte gleich gelöscht wird, weil es so aussieht, als hätte ich sie nicht selbst geschrieben. ;)
Danke jedenfalls :), auch für die Anmerkungen. Ich denke, das werde ich größtenteils so übernehmen, gefällt mir gut.
Grüße =)

 

Würde mich sehr über eine weitere Kritik freuen, ist wie gesagt meine erste Geschichte.
Gruß

 

Okay, in dem Falle erbarme ich mich mal deiner ;)

Ich finde die Geschichte ziemlich gut, sozusagen sehr gut. Ich habe keine Verbindung zu der Thematik, jedenfalls keine persönliche (bin Rollenspielerin), aber ich kenne die Gedanken. Am Grab noch zu triumphieren. Sie muss ihn gehasst haben, dass sie sich so in Eitelkeit flüchtet.
Die Fehler, die mir aufgefallen wären, hat Maniac schon aufgelistet. Das kommt bei meiner Faulheit heraus - jetzt sieht es so aus, als würde ich keine anständige Kritik zustande bringen.

Ich kann nur schreiben, weiter so!

Vita

 

Hi

Auch mir hat die Geschichte ziemlich gut gefallen. Die Sätze sind nicht einfach so runtergeschrieben, besonders die kurzen sind gut gesetzt und zeigen Wirkung.

Der Inhalt bleibt ja recht verschwommen. Ich nehm an, die Protagonistin ist das uneheliche bzw. Stiefkind des Toten, und wurde dementsprechend mies behandelt.
Da ist die Verbitterung verständlich: "Er hat ihr nichts als Lügen von uns erzählt. Hat sein spießiges kleines Leben hier geführt, außerhalb."
"nichts als Lügen von uns erzählt" klingt übrigens mMn nicht so gut.

Mir geht aber der Übergang von Ironie zu Verbitterung trotzdem zu schnell. Ich hab nämlich bei der Beschreibung von den wehenden Haaren usw. doch schmunzeln müssen.
Mir wird das da zu plötzlich zu ernst, erst die doch irgendwie witzig beschriebene Eitelkeit und dann auf einmal der Hass und die Angst.
Hättest da ja irgendwie überleiten können, dass sie z.b. durch irgendein beobachtetes Detail wieder in die ganze Vergangenheit hineingezogen wird.

Bei dem Gedicht würde ich auch nochmal überlegen, vielleicht wär es besser, das ohne Absätze, aber mit "/" zwischen den Versen zu schreiben. Stört momentan irgendwie die Textstruktur.

Gruß
Christoph

 

Hallo vita,
danke fürs Erbarmen ;) Und schön, dass dir die Geschichte gefällt. Wegen der Fehler werd ich mich nochmal dransetzen.

Hallo wolkenkind,
freut mich sehr, dass du den Text magst und danke für die Idee zur Überleitung von ihren Gedanken über ihr Aussehen zu diesem Rückblick. Da habe ich lange dran rumgefeilt, deswegen kommt mir der Vorschlag recht, denn das könnte klappen. ;-)

Jedenfalls danke euch beiden und viele Grüße =)

 

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