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Hahn im Korb

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07.09.2014
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Hahn im Korb

„Schickes Hemd, Herr Thomsen! Was seh'n Sie fesch aus, heute! Ihr Schnäpschen stell' ich Ihnen schon mal hin!“ Die Pflegerin zwinkert ihm zu, stellt den kleinen Plastikbecher ab und läuft zum Nachbartisch. Er parkt seinen Rollator hinter dem Stuhl, stellt die Bremsen fest und hangelt sich an der Lehne zu seinem Platz, der heute blau-weiss dekoriert ist. Das Heim feiert bayrische Woche. Seinen rechten Arm legt er so weit auf den Tisch, dass er nicht herunterrutschen kann. Im Auge behalten will er ihn trotzdem. Zuerst kippt er sein Medikament hinunter. Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie in den süßen Senf und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund. Er konzentriert sich, um genau zu treffen, doch schon nach dem zweiten Stück hat er das Gefühl, dass ihm der Saft am Kinn herunterrinnt. Hastig greift er nach der Serviette und schüttelt sie auseinander. Ein Zettel flattert heraus, dreht sich in der Luft und bleibt zwischen Tasse und Teller liegen. Die Buchstaben sind zittrig, aber sogar für ihn zu erkennen: „Ich liebe Sie.“ Daneben ein verunglücktes Herz. Er stößt die Tasse um, als er nach dem Zettel greift, der Tee fließt über den Tisch, läuft am Tischbein hinunter. Gerade noch gelingt es ihm, den Zettel in seiner Hand zu verbergen, als die Schwester mit einem Lappen naht.
„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme klingt schrill in seinen Ohren. Er sieht, dass sie immer noch zwinkert, gar nicht aufhört mit dem Gezwinkere, und macht eine entschuldigende Geste. „Da, da.“
"Schon gut." Sie taucht hinter dem Tisch ab. Als sie wieder weg ist, schiebt er den Zettel in seine Hosentasche. Die Trinkerin, darauf könnte er wetten. Er vermeidet den Blick in die Richtung, wo sie sitzt, drei Tische weiter, hochrot im Gesicht vermutlich und leicht angeschickert. Ständig bietet sie ihm Hustenbonbons an und jetzt das. Die Wurst schmeckt auf einmal fade.
Als er den Speisesaal verlässt, steht sie aufgeregt lächelnd im Ausgang, ihre grauen Haare trägt sie heute offen bis zur Schulter. Das sieht er noch, bevor er den Blick abwendet und beginnt seinen Kopf zu schütteln. So schnell er kann, schiebt er seinen Rollator an ihr vorbei. Ja, sie riecht nach Alkohol.
„Haben Sie's gelesen?“ fragt sie in seinem Rücken leise. Er schüttelt den Kopf, läuft noch schneller, so dass er beinahe über seinen kranken Fuß stolpert.

Nachmittags kommt sein Sohn Martin zu Besuch, worüber er sich so freut, dass er die Frau vergisst. Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen. Er kann ihm ein Zeichen machen, dass er pinkeln muss, und Martin versteht. Paul hingegen klingelt immer sofort nach der Schwester. „Mein Vater will irgendwas. Meinen Sie, er hat Schmerzen?“
Er lächelt Martin an, und Martin sagt: „Gut siehst du aus, Papa.“ Du auch, will er sagen, aber wieder kommt nur, „Da, da.“
„Danke!“ Martin lacht, und er lacht noch lauter, nickt beifällig. Da klopft es, und die Schwester kommt herein.
„Na, Sie haben ja Spaß hier. Ich hätte hier noch ein Schnäpschen für den Papa.“ Sie zwinkert Martin zu.
„Na, wenn's wenigstens ein Schnäpschen wäre, nicht Papa?“ sagt Martin.

Nachts fährt er hoch. Licht fällt durch die Tür ins Zimmer. Da steht jemand, ganz nah bei seinem Fußende. Die Schwester? Nein. Die Person bewegt sich nicht. Steht einfach nur da. Sein Herz klopft wie verrückt. Dann erkennt er, dass es eine alte Frau ist. Und dass sie nackt ist. Durch ihre fedrigen Haare scheint von hinten das Licht bis auf die Kopfhaut. Ihr Gesicht liegt im Dunkeln, aber er ist sich sicher, dass sie ihn anstarrt. Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hochzieht. Ein Luftzug streicht bis zu seinen Knien, er ballt die linke Faust, bewegt die Lippen.
"Füße", sagt sie plötzlich laut. Und dann noch einmal, nachdenklich, "Füße."
Nach endlosen Sekunden lässt sie unvermittelt die Decke fallen, dreht sich um und geht. Ein beißender Geruch steigt ihm in die Nase. Er hat ins Bett gemacht.

Am nächsten Tag knickt ihm beim Aufstehen das rechte Bein weg, worauf sie ihn im Rollstuhl zum Frühstück fahren. Zweimal verschluckt er sich. Als er beim zweiten Mal nach der Serviette greift, rutscht wieder ein Zettel heraus. Ohne ihn anzusehen, steckt er ihn in seine Hosentasche. Danach möchte er am Liebsten wieder ins Bett, aber die Schwester mit dem harten, osteuropäischen Akzent spricht ihn an.
„Im Marienzimmer sind sie am Basteln. Haben Sie Lust?“ Er schüttelt den Kopf, worauf sie seine Bremsen löst und ihn vom Tisch wegzieht.
„Das kann viel Spass machen, werden Sie schon sehen. Sie können was Schönes für mich basteln. Ich freu mich.“ Sie beugt sich um ihn herum, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Na?“
Er mag die Schwester, vielleicht, weil sie die Einzige ist, die schon da war, als er hier vor zwei Jahren einzog. Also zuckt er mit den Schultern.
„Sehr gut. Ich bring Sie hin.“
Er erkennt die rauhe Stimme nicht gleich.
„Ich kann den Herrn Thomsen mitnehmen. Ich will auch ins Marienzimmer.“
„Oh, prima“, sagt die Schwester in seinem Rücken. „Herr Thomsen, die Frau Ruge übernimmt Sie mal. Und machen Sie was ganz Schönes für mich, ja?“
Weg ist sie, und er ist allein mit der Trinkerin. Frau Ruge heißt sie, mag sein, er kann sich keine Namen mehr merken, und ihren will er gar nicht wissen. Und er will auch nicht von ihr gefahren werden. Sein Rollstuhl setzt sich wieder in Bewegung, langsamer als vorher. Er schweigt.
„Geht's Ihnen gut?“, fragt sie schließlich. Er nickt. An der Schräge hört er an ihrem Atem, wie sehr sie sich anstrengen muss. Sie ist dünn, die Ruge, und alt. Womöglich wird sie ihn loslassen, so dass er rückwärts die Schräge hinunterrollt. Er wird sie überrrollen, umkippen und mit dem Kopf gegen den Türrahmen knallen. Sein Bein streckt sich plötzlich und rutscht von der Fußstütze auf den Boden, blockiert noch zusätzlich.
„Oh“, schnauft sie „oh nein, Ihr Bein.“ Irgendwie schafft sie trotz schleifendem Fuß die letzten Meter.
„Ui, das war knapp.“ Sie stellt sich vor ihn, lacht und hört gar nicht mehr auf. Bestimmt will sie, dass er auch lacht, dass sie zusammen lachen, und er beißt die Zähne zusammen. Er will jetzt in das verdammte Marienzimmer.
Doch zunächst zerrt sie an seinem Bein und versucht, es wieder auf die Fußstütze zu stellen. Warum ruft sie keine Schwester? Die Haare fallen ihr immer wieder ins Gesicht, und er fragt sich mit Schaudern, warum sie sie heute schon wieder offen trägt. Schließlich hat sie das Bein wieder oben, wenn auch gestreckt, mit der Wade auf der Kante. Es tut weh.
„Geht das so?“ Er nickt.
„Haben Sie meinen Brief gefunden? In der Serviette?“ Ein knurrender Laut rutscht aus seiner Kehle und er deutet herrisch den Flur entlang, Richtung Marienzimmer. Ihr Gesicht, eben noch bereit, mit ihm zu lachen, scheint in lauter kleine Stücke zu zerfallen. Den Kopf zur Seite geneigt, eine Schulter hochgezogen, schaut sie an ihm vorbei. Er macht eine entschuldigende Bewegung mit seiner Hand und lässt sie in seinen Schoss sinken. Ein Fehler, denn sofort strahlt sie. Wieder weist er Richtung Marienzimmer, und sie nickt heftig, tritt hinter den Rollstuhl und schiebt los, zügiger als vorher. Er atmet auf. Es gelingt ihm sogar, unter sein Bein zu greifen und es hochzuziehen. Sie gibt einen kleinen beifälligen Laut von sich und beschleunigt. Er freut sich.
Bis sie mit ihm am Marienzimmer vorbeirauscht. Er ruft “Da, da“, versucht sich zu drehen und fuchtelt mit dem Finger.
„Pscht, ich will Ihnen noch was zeigen“, flüstert sie,“Nur noch zweimal um die Ecke. Da vorne ist es doch schon.“
Seine Versuche aufzustehen gibt er bald auf, denn sie ist zu schnell. Wieder hört er sie schnaufen. Bald kennt er sich nicht mehr aus, hier war er noch nie. Nirgendwo ist eine Schwester zu sehen. Er ruft sein "da,da" in den leeren Flur und endlich bleibt sie abrupt mit ihm vor einem Fenster stehen. Ihre Worte überschlagen sich.
„Ist doch gut, hier ist es doch schon! Ich wollte Ihnen doch nur mal zeigen, wo ich gewohnt habe. Da schauen Sie, dahinten neben dem Wasserturm, die Reihenhäuser, die schwarzweißen. Da haben wir gewohnt.“
Er sackt auf seinem Sitz zusammen. Schüttelt den Kopf.
„Ich mein', das interessiert Sie doch vielleicht. Es ist das erste Haus von links. Man kann alles sehen. Den Garten. Sogar die Apfelbäume. Früher hatten wir da für die Kinder eine Schaukel hängen. Jetzt ist es verkauft. Gucken Sie mal.“
Er schüttelt wieder den Kopf, zeigt nach hinten.
„Ich komme jeden Tag hierher. Manchmal sieht man Leute im Garten.“
Immer noch steht sie am Fenster und deutet. Dann lässt sie den Arm sinken.
„Sind Sie mir böse?“
Aufstöhnend stößt er sich rückwärts mit dem Fuß ab. Mühsam gelingt es ihm, sich in den Flur zurückzuschieben. Sie stürzt hinter den Stuhl.
„Warten Sie doch. Sie sollen doch nicht alleine.“
Diesmal hält sie am Marienzimmer an.
„Ich komm nicht mit rein.“
Er nickt.
„Oder vielleicht nur kurz.“
Er nickt wieder. Sie soll endlich die Tür aufmachen.
„Sind Sie mir böse?“
Er schüttelt den Kopf.
Sie soll jetzt die Tür aufmachen.
„Wollen Sie vielleicht ein Hustenbonbon?“
In dem Moment wird die Tür von innen geöffnet. Ein Mädchen mit Rastahaaren.
„Ha, das habe ich doch gehört, dass da jemand ist. Kommen Sie rein. Wir brauchen Verstärkung beim Ausmalen. Ich bin die Maja. Ich mach hier Praktikum.“
„Ich mach nicht mit“, sagt die Ruge schroff. “Das ist mir zu blöd.“
Das Mädchen lächelt weiter.
„Dann setzen Sie sich doch zu den anderen am Nebentisch. Und Sie?“
Er nickt heftig.
„Oh, toll“, juchzt das Mädchen, "dann kommen Sie zu uns.“
Sie drückt ihm einen blauen Stift in die Hand. Karos ausmalen für die Girlande. Er sieht jede Linie doppelt, malt vier einzelne Striche, lehnt sich erschöpft zurück und zuckt zusammen. Sein Rücken ist schweissnass. Drüben versucht die Pflegerin einer widerstrebenden Frau Wasser aus einem Plastikbecher einzuflößen.
„Bitte, Frau Hemnes, nur zwei Schlückchen, dann lasse ich Sie auch in Ruhe!“ Mit einem Mal erinnert er sich, was nachts passiert ist. Ist das die Frau? Die Haare … Sie sieht zu ihm rüber. Ihre zusammengepressten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.
„Ausmalen, einfach ausmalen, Herr Thomsen. Probieren Sie es ruhig nochmal“, ruft das Mädchen über den Tisch, und endlich kann er seinen Blick von der Frau lösen. Er malt noch mehr Linien, gibt sich Mühe, sie parallel zu setzen, als jemand in seinen Stift greift, seine Hand energisch führt, das Karo schnell mit hin und her schwingenden Strichen ausfüllt. Er kennt die Frau nicht, die sich seiner Hand bemächtigt hat, während sie sich mit einer Faust schwer auf dem Tisch aufstützt. Aber sie riecht schlecht aus dem Mund.
„Helfen Sie dem Herrn Thomsen ein bisschen, Frau Münting? Da freut der sich aber! Nicht, Herr Thomsen?“ Das Mädchen kichert zur Pflegerin rüber. „Süüüß!“
An seinem Ohr spürt er den fauligen, warmen Atem, er dreht den Kopf weg, sieht drüben die Ruge sitzen. Sie schaut ihn an. Ihre Augen sind gerötet. Vorsichtig versucht er, seine Hand zu befreien, schüttelt den Kopf. „Da, da.“ Doch die dicke Frau umklammert seine Hand noch fester.
„Na, na, da, da, wir sind noch nicht fertig, mein Lieber.“ Aus ihrem Mund ein Schwall Atem. Ihm wird übel. Er reißt den Arm hoch, knallt ihn vor ihre Brust, drückt sich am Tisch zurück, sodass er der Frau gegenüber den Tisch in die Rippen stößt. Die Frau schreit, die Dicke schreit, alle schreien, das Mädchen ist sofort bei ihm, ihr Gesicht verzerrt.
„So geht das nicht, Herr Thomsen!“
„Da, da!“ Er regt sich auf. Sieht, dass die Frau hingefallen ist, die Pflegerin kümmert sich um sie. Durch das Geschrei der Leute hindurch wird er in sein Zimmer geschoben.

Er ist tatsächlich eingeschlafen, nachdem sie ihn ins Bett gepackt haben. Als er aufwacht, hört er Martins Stimme draußen auf dem Gang.
„Das kann doch nicht ... mein Vater ist doch nicht aggressiv! Mein Vater ist ein ganz sanfter Typ, der war immer so gutmütig, der ist doch nicht aggressiv!“
Die Stimme der Zwinkerschwester, leise, gehetzt.
„Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung. Er baut ab, wir sehen das ja hier. Wirft Tassen um, ist nachts neuerdings inkontinent, er läuft ganz schlecht, und jetzt noch das. Die Frau Münting hat Gottseidank nur Prellungen. Wenn das ein Oberschenkelhalsbruch gewesen wäre! “
Ihm wird heiß vor Scham.
„Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Alle sind sie zu ihm gekommen mit ihrem Kram, alle! “
„Ja. Wir müssen jetzt einfach mal mit der Ärztin sprechen, was man da geben kann. Das geht so nicht weiter. Wir müssen hier auch die Frauen schützen, die haben alle Angst vor ihm.“
„Aber … “
„Herr Thomsen, es tut mir leid, ich muss weiter, da wird geklingelt. Wir sprechen mit der Ärztin, und dann telefonieren wir nochmal, okay?“
Schritte, die sich schnell entfernen. Es dauert eine ganze Weile, bis Martin ins Zimmer kommt. Er zieht sich einen Stuhl ran.
„Na, Papa?“
Er versucht gar nicht zu sprechen, schüttelt nur den Kopf.
„Ist irgendwie dumm gelaufen, oder?“
Er kann gar nicht mehr aufhören zu schütteln, bis er sieht, wie blass sein Sohn ist. Er hebt seine gesunde Hand, um ihm über den Kopf zu streichen, aber Martin sitzt zu weit weg. So winkt er ihm.

Seit zwei Tagen ist er so müde. Die Schwester fährt ihn zu seinem Tisch, lagert seinen Arm, legt ihm den Kleiderschutz um und stellt ihm den Teller mit der Brezel hin. Er trinkt sein Schnäpschen und isst. Am Ende schüttelt er seine Serviette auseinander. Kein Zettel. Gut.

 
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Hallo Chutney,

Alter, Krankheit und Tod sind Themen, die einem meist den Tag vermiesen. Deshalb werden Geschichten aus dem Pflegeheim auch selten in der Spiegel-Bestseller-Liste auftauchen. Obwohl die allgemeine Abneigung gegen diese Themen verständlich ist, macht es durchaus Sinn sich damit zu befassen, denke ich, denn letztlich betrifft das uns alle.

Jüngere Menschen müssen sich damit befassen, wenn Angehörige ins Heim kommen oder unter schwerer Krankheit leiden. Aber die meisten erfahren es früher oder später auch am eigenen Leibe.

Ich finde, dass Du die bizarren und leidhaften Aspekte dieser letzten Lebensphase gut beschreibst, allerdings – und das stört mich ein wenig – eben von der Seite des Scheiterns aus gesehen. Dein Protagonist ist ausgeliefert, hilflos, verloren. Den einzigen Lichtblick stellt sein Sohn Martin dar, aber viel mehr gibt es da nicht.

Ich bestreite nicht, dass hier Realität abgebildet wird. Das ist sicher eine ziemlich präzise Bestandsaufnahme der Wirklichkeit. Aber ehrlich gesagt bin ich es leid, Alter, Krankheit und Tod so vorgeführt zu bekommen. Es mag Normalität sein, eine Normalität, der wir häufig ausweichen, aber ich finde, man kann es auch anders angehen, sowohl vom Künstlerischen her, als auch persönlich.

JackOve hat sich innerhalb der Challenge ja ebenfalls mit dem Themenkreis befasst, wo ich mehr Realismus eingefordert habe. Hier bei Dir bekomme ich Realismus, aber hier passt es mir auch wieder nicht. Vielleicht, weil ich die Entwürdigung, die in diesem Szenario steckt, so satt habe und irgendwo auch glaube, dass es dazu Alternativen gibt, die man als Geschichtenerzähler aufgreifen könnte.

Es ist natürlich eine wirklich schwierige Aufgabe, einen Menschen in einem Pflegeheim zu zeigen, der seine Würde bewahrt und nicht als Witzfigur endet. So ähnlich schwierig, wie einen Menschen zu zeigen, der in einem Gefängnis nicht völlig zugrunde geht. Dazu muss man eine außergewöhnliche Persönlichkeit als Protagonisten wählen, jemanden der aus einer inneren Stärke und Klarheit heraus eben anders handelt und nicht wie ein Stück Gemüse hin und hergeschoben wird.

Ich weiß, das wolltest Du nicht. Und das ist natürlich Dein Recht.

Vom Sprachlichen her ist es solide, für meinen Geschmack aber etwas zu geradlinig. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, einen sprachlich soliden Text zu verfassen, fragwürdige Formulierungen und Wortdopplungen zu vermeiden. Das steckt schon viel Arbeit und Können drin. Aber ein bisschen literarischer als Nach dem Frühstück schieben sie ihn an den Basteltisch und drücken ihm einen blauen Stift in die Hand dürfte es für mich ruhig sein, denn als Leser interessiert mich neben der Story auch die Sprache. Und die fällt bei Dir noch zu nüchtern aus, für meinen Geschmack zumindest.

Für mich ist das trotzdem eine gelungene Geschichte. Ich weiß nicht, wieviel an meiner Kritik total subjektiv ist. Hoffe, Dir nutzt das Feedback trotzdem.

Gruß Achillus

 
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Liebe Chutney,

das ist eine ergreifende Geschichte, die du uns hier präsentierst. Und das Bewegende daran ist eigentlich, dass uns hier vielleicht sogar ein Spiegel vorgehalten wird, dass das wir sein können in einigen Jahren, einigen Jahrzehnten.
Ich erlebe gerade bei einem Nachbarn, der jünger ist als ich, wie sich seine Demenzerkrankung entwickelt und er immer hilfloser wird. Vor drei Jahren stand er noch voll im Leben, jetzt braucht er ständig jemand, der auf ihn achtet. Die Unterbringung in einem Heim steht nahe bevor.

Zu deinem Text: Du gehst sehr stark in die Einzelheiten des Alltags deines Protagonisten. An manchen Stellen war es mir ein bisschen zu viel, obwohl es natürlich alles viel erfahrbarer macht.

Beim Lesen deiner Geschichte stand mir meine Erwartungshaltung ein wenig im Weg. Irgendwie dachte ich nach dem Finden des Zettels, dass sich da nun etwas entwickeln würde zwischen der Zettelschreiberin und dem Herrn Thomsen. Aber es löst sich nicht auf, wer den Zettel geschrieben hat, wer in der Nacht vor dem Bett gestanden hat.

Bitte, Frau Zage, nur zwei Schlückchen, dann lasse ich Sie auch in Ruhe!“ Ist das die Frau von letzter Nacht? Ihre Haare … Sie sieht zu ihm rüber. Ihre zusammengepressten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln so starr, als drehe jemand ein Messer in ihrem Rücken.
… Er kennt die Frau nicht, die sich seiner Hand bemächtigt hat, während sie sich mit einer Faust schwer auf dem Tisch aufstützt. Aber sie riecht schlecht aus dem Mund.

Du gibt hier sehr schön die Empfindungen Thomsens wieder und der Leser kann gut nachvollziehen, wie er sich in seiner Hilflosigkeit von dieser Frau bedrängt fühlt.

er dreht den Kopf weg, sieht drüben die Trinkerin sitzen. Sie schaut die Dicke bei ihm an, als wollte sie sie ermorden.

Hier habe ich gedacht, dass diese Konkurrenz das Thema deiner Geschichte sein würde, aber dann wendet sich das Blatt und es geht nur noch um Thomsen und seine unerwartet heftigen Reaktionen:

„Na, na, da, da, wir sind noch nicht fertig, mein Lieber.“ Aus ihrem Mund ein Schwall Atem. Ihm wird übel. Er reißt den Arm hoch, knallt ihn vor ihre Brust, drückt sich am Tisch zurück, sodass er der Frau gegenüber den Tisch in die Rippen stößt. Die Frau schreit, die Dicke schreit, alle schreien, das Mädchen ist sofort bei ihm, ihr Gesicht verzerrt.

Deine Geschichte nimmt nun eine Wendung. Thema ist jetzt nicht mehr die mit dem Zettel angedeutete Beziehungsgeschichte, jetzt stellst du die Veränderung Thomsens von einem sanften zu einem gewalttätigen Menschen in den Mittelpunkt

Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung. Er baut ab, wir sehen das ja hier. Wirft Tassen um, …

Ich hätte mir vielleicht schon vorher so etwas wie eine Andeutung auf diese Wesensveränderung gewünscht. So erlebe ich Thomsen bis dahin als einen verwirrten und hilflosen Menschen, dessen heftige Reaktion ich mir an dieser Stelle noch aus seiner Hilflosigkeit erkläre. Jetzt lieferst du eine medizinische Erklärung für sein Verhalten nach.
Chutney, es liegt wahrscheinlich an meiner Erwartungshaltung, dass ich nach dem Auftauchen des kleinen Zettels gedacht habe, dass sich da eine kleine Beziehungsgeschichte entwickeln würde. Und da ist ja auch die Frau in der Nacht, die möglicherweise dieselbe ist, die da am nächsten Tag an seinem Tisch steht. Und da ist auch so etwas wie Eifersucht zwischen der Dicken und der Trinkerin. Diesen Strang deiner Geschichte lässt du unaufgelöst. Aber, so ist es wohl auch im wirklichen Leben eines Demenzkranken: Da geschehen Dinge, die man nicht mehr einordnen kann, von denen man sich bedroht fühlt, auf die man am Ende so reagiert wie dein Herr Thomsen.

Am Ende schüttelt er seine Serviette auseinander. Kein Zettel. Gut.

Er ist dem allen nicht mehr gewachsen. So jedenfalls deute ich deinen Schluss, der noch einmal das Zettel-Motiv des Anfangs aufnimmt.

Noch ein paar Kleinigkeiten zum Schluss:

„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme ist zu schrill. Er sieht, dass sie immer noch zwinkert, gar nicht aufhört mit dem Gezwinkere, und macht eine entschuldigende Geste. „Da, da.“

Ist das die Wahrnehmung Thomsens, dass sie gar nicht mehr aufhört zu zwinkern oder tut sie das wirklich?
Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hoch zieht.
hochzieht

„Ausmalen, einfach ausmalen, Herr Thomsen. Probieren Sie es ruhig nochmal“, ruft das Mädchen mit den Rastahaaren über den Tisch, und endlich kann er seinen Blick von der Frau lösen.

Dieses Mädchen taucht da plötzlich auf. Wer ist sie? Habe ich da etwas überlesen?

Chutney, das ist eine gut geschrieben Geschichte, die den Leser bewegt.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Chutney,
erschütternd, ja, das ist Deine Geschichte. Sie geht ganz nahe ran an den Verfall und beschönigt nichts, sieht dem ernüchternden Altenheimaufenthalt ganz genau auf die Finger, riecht und führt vor Augen. Insofern wirkt Dein Text in der nüchtern schildernden Art für mich fast dokumentarisch. Das hat seinen Reiz, auch, weil er radikal Poetisierungen verweigert und dadurch sehr zwingend und bedrückend wirkt. Manche skurrilen Situationen kommen dann fast erleichternd ironisch rüber.
Was ich mich gefragt habe, warum ich es dem Text abnehme, trotz des dokumentarischen Charakters, Geschichte zu sein und nicht Wiedergabe von Realität. Obwohl er ja absolut realistisch ist. Was ich meine, ist: Geschichte lebt ja von einer Künstlichkeit. Einer Künstlichkeit der Sprache, der Erfindung, der Szene, der Form, also von irgendeiner Art der Überhöhung. Ich sehe da eine Parallele zu Arthouse-Filmen, in denen momentan auch sehr gerne diese Themen aufgegriffen werden in einer ungemein nüchternen Art, ohne Filmmusik und in tristen Grautönen. Auch da frage ich mich, wie da die Geschichte funktioniert, die man trotz der unbarmherzigen, manchmal kaum erträglichen realistischen Darstellung als Geschichte annimmt. Vielleicht ist es so, dass die Geschichte im Altenheim eine, wenn man so sagen mag, "exotische" Szenerie darstellt. Exotisch, weil man sie im Alltag nicht erleben kann, außer man hat professionell damit zu tun. Dann wären der körperliche Verall, die Trostlosigkeit der Stationen, die sinnentleerte Nachmittagsbeschäftigung und letztlich auch der Antiheld mit Schlaganfall negative poetisch-romantische Topoi, die in dem Sinn poetisch-romantisch wirken, weil hier auch Gegenwelten beschrieben werden, die aus der Normalität herausstechen. Als Sehnsuchtsorte im Sinn der Romantik kann man sie allerdings nicht mehr beschreiben, eher als Schreckensorte. Exotisch im Sinn von "aus der Welt" hingegen schon. Dadurch bieten sie dann wieder genügend Spannung für eine Erzählung.
Vielleicht ist es aber auch noch elementarer. Dass vielleicht alles, was geschrieben wird, allein dadurch schon Umformung ist, weil es aus der Realität in das abstrakte Schriftsystem übertragen wird. Und deshalb ist Deine Geschichte eben Geschichte, auch wenn noch so krass dargestellt, weil ich sie nicht unmittelbar spüre, sondern durch den Filter der Schrift wahrnehme.
Chutney, vielleicht ist das auch großer Käse und schrecklicher Mist, was ich da schreibe. Aber ich war auf der Fährte, für mich zu klären, wie die Geschichte funktioniert.
Dass sie funktioniert, zeigt Dein Text, den ich gelungen finde. Sicher konstruiert, klar disponiert, sprachlich solide gefasst.
Herzlich
rieger

 

Liebe Chutney,

leider etwas spät mit meinem Kommentar, aber für die sprachlichen Finessen bin ich eh nicht so die Richtige, sondern schaue immer gern auf den Inhalt. Und da sind es ziemliche Wechselbäder, in die du deine Leser schickst:

Die Trinkerin, darauf könnte er wetten. Er vermeidet den Blick in die Richtung, wo sie sitzt, drei Tische weiter, hochrot im Gesicht vermutlich und leicht angeschickert. Ständig bietet sie ihm Hustenbonbons an und jetzt das.

Da musste ich ein wenig kichern - ich wusste gar nicht, dass im Altersheim so viel gebechert wird ... aber das der alte Herr sich ziemlich belästigt fühlt, bekommt man mit.

Die Person bewegt sich nicht. Steht einfach nur da. Sein Herz klopft wie verrückt. Dann erkennt er, dass es eine alte Frau ist.

Hier wird es ziemlich gruselig ... dann schilderst du eine Szene voller Angst und Wut, um dann in Müdigkeit zu enden. Uff! Für eine KG fast zu viele Szenen, zu viele Konflikte und Schlaglichter auf den Alltag in einem Altersheim.

Für mich liefen die Szenen zu wenig am roten Faden und so habe ich selbigen beim Lesen einige Male verloren. Aber das bringt andererseits auch die Verwirrung des Prots in dieser Umgebung gut zum Ausdruck.

Erinnert mich alles fast ein wenig an das bedrückende Gefühl in "Einer flog über das Kuckucksnest".

Spannend zu lesen!

Viele Grüße

Willi

 
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Hallo Achillus,

ich danke dir sehr für deine anerkennenden Worte und für deine Gedanken, auch dafür, dass du subjektives Empfinden und Kritik so differenziert darlegst. Die Geschichte ist, auch für meinen Geschmack übrigens, fast ein wenig zu traurig geraten. Ich lasse sie so, weil sie bestimmte Phänomene ganz gut auf den Punkt bringt. Und ich finde auch durchaus sensibilisiert.


Aber ehrlich gesagt bin ich es leid, Alter, Krankheit und Tod so vorgeführt zu bekommen. Es mag Normalität sein, eine Normalität, der wir häufig ausweichen, aber ich finde, man kann es auch anders angehen, sowohl vom Künstlerischen her, als auch persönlich.

Es ist natürlich eine wirklich schwierige Aufgabe, einen Menschen in einem Pflegeheim zu zeigen, der seine Würde bewahrt und nicht als Witzfigur endet. So ähnlich schwierig, wie einen Menschen zu zeigen, der in einem Gefängnis nicht völlig zugrunde geht. Dazu muss man eine außergewöhnliche Persönlichkeit als Protagonisten wählen, jemanden der aus einer inneren Stärke und Klarheit heraus eben anders handelt und nicht wie ein Stück Gemüse hin und hergeschoben wird.

Ich hoffe, dass Herr Thomsen vom Leser am Ende nicht als Witzfigur wahrgenommen wird. Eigentlich war es sogar Sinn der Geschichte, ihm in gewisser Weise seine Würde wiederzugeben. In dem Moment, wo ich in hohem Maße hilfsbedürftig werde, bin ich darauf angewiesen dass andere meine Würde achten, z. B. wenn ich Hilfe beim Stuhlgang brauche. Aber du hast recht, ich habe jemanden gewählt, der nicht stark und klar ist, sondern durch einen Schlaganfall in seinem Antrieb und in vielen Belangen geschwächt.
Krasses Gegenstück zu deinen Protagonisten. ;)
Bei der "außergewöhnlichen Persönlichkeit" musste ich gleich an "Einer flog über das Kuckucksnest" denken, interessant, dass Willi das in ihrem Kommentar auch erwähnt hat. Endet ja auch nicht so gut.
Trotzdem hat mich deine Anregung irgendwie gepackt. Denn es gibt, auch realistisch, natürlich Bewohner und Mitarbeiter, die das Klima positiv beeinflussen und den Laden ganz schön aufmischen können.

Vom Sprachlichen her ist es solide, für meinen Geschmack aber etwas zu geradlinig.

Ja, meine Sprache ist oft schlicht. In diesem Fall fand ich es sogar relativ passend, weil ich ja aus seiner Sicht schreibe, die so reduziert ist, sich immer auf das bezieht, was ihm gerade vor der Nase liegt.
Hier hätte ich vielleicht sogar noch tiefer einsteigen können, mit der Frage, wie denkt jemand nach einem Schlaganfall, der noch einigermaßen Sprachverständnis hat?
Ich werde weiter dran arbeiten! Mal etwas experimentieren.

Für mich ist das trotzdem eine gelungene Geschichte. Ich weiß nicht, wieviel an meiner Kritik total subjektiv ist. Hoffe, Dir nutzt das Feedback trotzdem.

Doch, es hat mir sehr genutzt und mich auf viele Gedanken gebracht. Herzlichen Dank!

Einen schönen Tag

wünscht Chutney

barnhelm, rieger und Willi auch euch vielen Dank, ich antworte noch, es ist bei mir momentan aber auch zeitlich etwas eng und ich brauche immer viel länger, als ich dachte!

 

Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie ein und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund. Er konzentriert sich, um genau zu treffen, doch schon nach dem zweiten Stück hat er das Gefühl, dass ihm der süße Senf am Kinn herunterrinnt. Hastig greift er nach der Serviette und schüttelt sie auseinander.

Du hast eine gute Intention, Chutney, aber ich finde, du spielst hier ein wenig die Ekel-Karte. Du beutet hier die Hilflosigkeit schon etwas zu sehr aus, um deinen Prot noch würdevoll erscheinen zu lassen, oder nein besser: ihn in Würde zu porträtieren.

Ihre Stimme ist zu schrill.

Zu schrill für was? Das liest man ja im Vergleich, die eine Stimme ist es, die andere nicht. Hier musst du dich entscheiden, weil ich dann sofort hinterfrage, ob der Autor mehr weiß als ich.

Er vermeidet den Blick in die Richtung, wo sie sitzt, drei Tische weiter, hochrot im Gesicht vermutlich und leicht angeschickert.

Vermutlich? Warum nicht Entschlossenheit zeigen. Du kennst deine Prots doch am besten. Hier wirkt es so, als ob du deinen eigenen Figuren nicht vertraust.

Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen.
Da steckt ja noch mal eine ganz andere Geschichte drin. Zu schnell, zu viel. Zeig das doch. Ein kurzer Dialog, eine Szene, reingehen, rausgehen, dann bekommt der Sohn und auch die Beziehungen zwischen ihnen Tiefe, ein Gesicht, einen Charakter. Echtheit.

Er hat ins Bett gemacht. Würde ich streichen, es wird auch so klar.

„Mein Vater ist doch nicht aggressiv! Mein Vater ist ein ganz sanfter Mensch, der war immer viel zu gutmütig, ich kann mir das gar nicht vorstellen. Erklärbärdialog. Lies das mal laut vor, so spricht niemand, das muss impulsiver kommen, komprimierter. Kein Schaufenster sein.


„Ist irgendwie dumm gelaufen, oder?“ Würde man das so sagen? Dumm gelaufen? Ich weiß nicht, mir klingt das zu unangemessen, zu lapidar.

Ich finde das gut, das Sujet, aber ich würde es trockener, kompromissloser machen. Weniger Emotion, und daraus dann die Tiefe gewinnen. Der Leser findet sich da selbst, der dockt schon an.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Chutney

wie grausam muss es sein, ein funktionierendes Gehirn zu haben aber sich seiner Umwelt nicht mitteilen zu können? Seine Würde und Privatsphäre zu verlieren und sich bevormunden zu lassen von Menschen, die einen doch gar nicht kennen?

Da sind meine klare Favoriten die Herren Thomsen. Der Senior, der sich mit seinen Mitteln zu wehren versucht und Martin, der soviel Einfühlungsvermögen besitzt um für seinen Vater sprechen zu können.

„Ist irgendwie Dumm gelaufen, oder?“

Mein Lieblingssatz bringt es auf den Punkt. Hilflos einerseits aber doch voll Verständnis.

Am Ende dann noch die Arschkarte ziehen. Es gibt stärkere Schnäpschen für den renitenten Herrn Thomsen. Der Rebell ist ruhig gestellt und der Alltag im Pflegeheim geht seinen gewohnten Gang.

Was mir gut gefällt, ist Deine Sicht auf das Pflegepersonal. Ist ja nicht gerade das, was man sich unter einem Traumjob vorstellt. Die Frauen und Männer in solchen Berufen kommen an ihre Belastungsgrenze. Ihre Motivation anderen Menschen zu helfen, passt nicht in den Dienstplan. Da bleibt dann viel auf der Strecke. Man wird unzufrieden, lustlos und am Ende krank. Du hast das, wie ich finde sehr schön an der Schwester gezeigt. Ihr Gezwinkere sehe ich als ein nervöses Leiden und ernstzunehmendes Anzeichen.

Ich finde, Du hast das sehr eindringlich geschrieben.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

Hallo Chutney
Was mir besonders gefällt: es ist ein leiser Text, nicht kalkuliert, nicht auf Effekte aus (gerade auch was die Themenwahl betrifft), tief drin und nahe am Unsagbaren. Du gibst einem Menschen eine Stimme, der seine eigene gerade verliert und zeigst dadurch, was Literatur vermag. Hat mich sehr berührt, weil die Erzählstimme unmittelbar ins Herz dringt. Für mich einer der stärksten Texte der Challenge. (alle habe ich bisher nicht gelesen)

Sprachlich ist der Text an manchen Stellen verbesserungsfähig. Zum Beispiel verwendest du Füllwörter wie „so“ zu häufig. Du könntest entschlacken, kürzen und dadurch klarer werden. Ich glaube das würde die Wirkung verstärken.

Textstellen, die mir aufgefallen sind:

Seinen rechten Arm legt er so weit auf den Tisch, dass er nicht so leicht herunterrutschen kann. Er will ihn trotzdem im Auge behalten.
da könntest du drei Sätze draus machen: Den rechten Arm legte er auf den Tisch. Er sollte nicht herunterrutschen. Im Auge behalten will er ihn trotzdem.

Die Buchstaben sind zittrig, aber sogar für ihn zu erkennen: „Ich liebe Sie.“
inhaltlich super, ließe sich aber auch kürzen

leicht angeschickert.
sagt man das? angeschickert?

Durch ihre fedrigen Haare
fedrige Haare, das Bild gefällt mir

einem Lächeln so starr, als drehe jemand ein Messer in ihrem Rücken.
stelle dir das mal vor, was du da schreibst, das Messer dreht sich? Vibriert oder tanzt es?

„Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung.
wow, das bringt auf den Punkt wie Menschen über andere denken.

„Na, Papa?“
Er versucht gar nicht zu sprechen, schüttelt nur den Kopf.
„Ist irgendwie dumm gelaufen, oder?“
:Pfeif:


viele Grüße
Isegrims

 
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Hallo Chutney,

der Zettel, wie der Flügelschlag eines Schmetterlinges in Dingens, der dann nach ein paar Episoden fast ein Erdbeben auf der anderen Seite der Erdkugel auslöst ...

Danke für diese Geschichte. Wir alle werden in den nächsten Jahren immer mehr mit solchen Erfahrungen umgehen müssen und eine Sensibilisierung ist ein wichtiger Schritt, um die Würde der betroffenen Menschen zu erhalten. Letztendlich ist es ganz einfach: Genauso wie man mit kleinen Kindern kein Eiderdei reden sollte, so muss man jeden Menschen bis zum letzten Atemzug als vollwertige Person sehen und danach handeln, egal, in welchem Zustand sie ist.

Ein beeindruckendes Beispiel ist diese Lektüre dazu, wenn du weiterhin Interesse an dem Thema hast:
https://www.amazon.de/Grund-Ozeans-Sechs-Jahre-hirntot/dp/3451048639


Noch Kleinigkeiten:

Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie ein und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund.

Wieso nennst du hier nicht schon den Senf? Das hat mich irritiert.
Du kannst im zweiten Satz dann von der gelben Soße schreiben oder so, um die Wiederholung zu vermeiden.

„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme ist zu schrill.

Da gebe ich Jimmy recht. Das zu schrill hat keinen Vergleich.
Nachmittags kommt sein Sohn Martin zu Besuch, worüber er sich so freut, dass er die Alte vergisst. Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen. Er kann ihm ein Zeichen machen, dass er pinkeln muss, und Martin versteht. Paul hingegen klingelt immer sofort nach der Schwester. „Mein Vater will irgendwas. Meinen Sie, er hat Schmerzen?“
Klasse, dieser Absatz.

Am Ende schüttelt er seine Serviette auseinander. Kein Zettel. Gut.
Ein sehr passendes Ende.

Mit der Geschichte hast du mir eine Freude gemacht, weil du auf die Seite derjenigen gegangen bist, die das erleben müssen.

Liebe Grüße
bernadette

 
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Hallo Chutney,

ich habe ein großes Problem mit der Geschichte. Ich finde sie nämlich streckenweise figurenmäßig verzeichnet und überzeichnet.
Aber ich fang mal vorne an. Ich empfinde Herrn Thomsen als sehr authentisch, ebenso seinen Sohn Martin, auch den Paul, der ja kaum vorkommt. Aber das fand ich in Ordnung und nachvollziehbar, auch sehr gut gestaltet, wie du mit einer kleinen Bemerkung das sich ändernde Verhältnis des Vaters zu den Brüdern benennst.

Aber der Rest? Da hat es sich zum Teil richtig in mir aufgebäumt. Und zwar besonders bei den alten Frauen.
Ich habe lange überlegt, ob an meinem Unbehagen was dran ist oder ob ich nicht vielleicht aus persönlichen Gründen so reagiere. Meine Mutter ist im Pflegeheim. Ich bin sogar ein bisschen entsetzt, dass es nur mir so zu gehen scheint, rufen doch sonst immer alle Wortkrieger nach der Vielschichtigkeit der Figuren. Da fängt man dann an, ein wenig an sich selbst zu zweifeln.
So. Ich habe mich aber jetzt doch entschlossen, dir feedback zu geben, weil es mich nicht loslässt, wenn ich den Titel deiner Geschichte sehe und immer noch hoffe, allen Geschichten zumindest einen Eindruck spiegeln zu können.
Wichtig ist mir aber auch, gerade dir zu sagen, dass ich hoffe, du ordnest meine Kritik richtig ein - trotz dieser sehr persönlichen Ansprache - und nimmst es nicht als Kritik an deiner Idee oder deinen Schreibkünsten oder gar an dir als Autorin. Sondern nimmst es als das feedback von jemandem, die vielleicht von der ganz anderen Seite her kommt und empfindlicher ist als andere.

Ich sag das mal ganz platt. Ich vermisse das Mitgefühl bei der Beschreibung der Frauen. Ja echt.
Mich schaudert es regelrecht, was für Abziehbilder aus den alten Frauen geworden sind. Die Alkoholikerin, die dem Thomsen Herzblättchen schickt, die Fette, die ihm einfach die Schreibhand führt oder die alte Frau, die sich nachts in sein Zimmer stiehlt. Das sind keien Frauen mit Bedprfnissen und Träumen, das sind drei eklige, weibliche Senilzombies, die sich über den armen Herrn Thomsen hermachen. Warum zum Beispiel muss man die alte Frau, die nachts in sein Zimmer kommt (toll beschreibene Szene ansonsten übrigens mit dem durchschimmernden Haar), unbedingt nackt machen? Das ist doch nur, weil man an der Vorstellung andocken will, sie hätte andere Absichten, als sich nur im Zimmer verlaufen. Hinter den Frauen stehen keine eigenen Biographien und Geschichten, sondern es sind Zerrbilder geworden, Karikaturen, die lediglich den einzigen Geschichtendaseinszweck zu haben scheinen, die Hilflosigkeit Thomsens, sein Gefangensein zu bebildern und seine Rolle als Liebesobjekt im Altersheim.
Und das tut mir richtig bisschen weh, das zu lesen. Wenn es spürbar wäre, dass das alles selbst hilflose Frauen sind, die ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr in der Lage sind, angemessen zu äußern oder zu reflektieren. Wenn die vielleicht ganz unterschiedliche Wünsche hätten - hier ist es alles darauf zugeschnitten, dem Herrn Thomsen Avancen zu machen. Wenn man ihre Persönlichkeiten und Träume noch einen Hauch spüren könnte, und du trotzdem noch die Hilflosigkeit Thomsens und das Gefangensein in seinem Körper zeigen könntest, dann wäre das eine 1 a Geschichte. Jetzt macht sie mich traurig.

Natürlich gibt es Übergriffe im Alterheim, es gibt Streitereien, sogar Tätlichkeiten und viel Ärger und Verletztheit. Ich erlebe das ja selbst ständig.
Alters- und Pflegeheime sind furchtbar, die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind es auch. Und ich könnte jedes Mal kotzen, wenn ich wieder hin muss.
Wie gesagt, die Intention kann ich nachvollziehen, den Grund, warum du das so baust, auch, aber die Mittel (die Darstellung und Motive der Frauen in dieser Einseitigkeit) finde ich falsch gewählt

Was ich meine gilt übrigens im abgeschwächten Sinne auch für das Personal.
In dem Text tauchen zwei positiv besetzte Figuren auf. Das ist Thomsen selbst und sein Sohn Martin. Alle anderen sind entweder grotesk wie die alten Frauen oder hilflos und unverständig wie Paul oder ignorant wie die Zwinkerschwester und das Rastamädchen und verkennen die Situationen völlig. Natürlich gibt es die Kindersprachenbenutzer. Und manchmal, wenn man selbst ganz ganz hilflos ist, gerät man selbst in so einen Sog. Aber eigentlich erlebe ich das Personal in der Gesamtheit anders als du es beschreibst. Das ist alles nicht so eindeutig, sondern vieles leitet sich von der wenigen Zeit her, setzt sich eher hinter dem Rücken der Beteiligten durch.

Ich weiß, dass dein Vorhaben sehr schwierig ist, wie willst du das umsetzen, was ich da moniere, wenn du doch aus der Sicht Thomsens scheibst und der fühlt sich eben in die Ecke gedrängt. Aus meiner Sicht wäre aber viel schon gewonnen, wenn man die drei Frauen nicht so überzeichnen und so eindeutig nur auf einen einzigen Zweck hin bauen würde.

Anbei aufgefallen:

Sie sieht zu ihm rüber. Ihre zusammengepressten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln so starr, als drehe jemand ein Messer in ihrem Rücken.
Den Vergleich fand ich nicht so passend. Wenn jemand einem ein Messer im Rücken dreht, lächelt man garantiert nicht, Auch nicht starr.

Viele Grüße von Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

maria.meerhaba

Textkritik hat immer auch mit Emotion zu tun, man bringt sich als ganze Person ein und das ist gut so. Aber hier gehst du zu weit. Dein Kommentar hat in meinen Augen wenig mit Chutneys Text zu tun, dafür umso mehr mit dir und deinem Verhältnis zum Alter und zu deiner Grossmutter. Ich finde, da verlagert sich das Gewicht zu stark, das ist nicht gut.

Und wenn du den (fiktiven!) Text von Chutney abstossend findest, was erwartest du, sollten wir zu deinen Aussagen über deine Oma denken?

Mensch, du kannst so gut aufzeigen, weshalb eine Geschichte funktioniert, und weshalb nicht. Lass dir doch etwas Zeit, bevor du einen Text kommentierst, wenn er dich derart aufwühlt.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Liebe barnhelm,

herzlichen Dank für deine ausführliche Rückmeldung. Ja, das ist ein Thema, was berührt, früher oder später kommt man damit in Kontakt.
Interessant, was du über deine Erwartungshaltung schreibst, die immer wieder enttäuscht wurde. Ja es sind im Grunde abgerissene Geschichten, die Herrn Thomsen in ihrer Ballung an seine Grenze bringen.

Deine Geschichte nimmt nun eine Wendung. Thema ist jetzt nicht mehr die mit dem Zettel angedeutete Beziehungsgeschichte, jetzt stellst du die Veränderung Thomsens von einem sanften zu einem gewalttätigen Menschen in den Mittelpunkt

Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung. Er baut ab, wir sehen das ja hier. Wirft Tassen um, …
Ich hätte mir vielleicht schon vorher so etwas wie eine Andeutung auf diese Wesensveränderung gewünscht. So erlebe ich Thomsen bis dahin als einen verwirrten und hilflosen Menschen, dessen heftige Reaktion ich mir an dieser Stelle noch aus seiner Hilflosigkeit erkläre. Jetzt lieferst du eine medizinische Erklärung für sein Verhalten nach.


Tatsächlich wollte ich eher zeigen, wie es zu seiner Reaktion kam, nämlich, wie du schreibst aus seiner Hilflosigkeit heraus und das die medizinische Begründung der Schwester eine Fehleinschätzung ist, die auch zu einer falschen Maßnahme führt. Ich habe im Moment aber keine Idee, wie ich das noch klarer machen könnte. :hmm:

„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme ist zu schrill. Er sieht, dass sie immer noch zwinkert, gar nicht aufhört mit dem Gezwinkere, und macht eine entschuldigende Geste. „Da, da.“
Ist das die Wahrnehmung Thomsens, dass sie gar nicht mehr aufhört zu zwinkern oder tut sie das wirklich?

Doch, sie zwinkert, sie ist sehr im Stress. Ich habe ihr eine kleine Tic-Störung angedichtet.

Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hoch zieht.
hochzieht

ist geändert, immerhin bin ich schon besser geworden, nachdem du mich mal auf diese kleine Schwäche aufmerksam gemacht hast, vielen Dank ;)

„Ausmalen, einfach ausmalen, Herr Thomsen. Probieren Sie es ruhig nochmal“, ruft das Mädchen mit den Rastahaaren über den Tisch, und endlich kann er seinen Blick von der Frau lösen.
Dieses Mädchen taucht da plötzlich auf. Wer ist sie? Habe ich da etwas überlesen?

Ich bilde mir ein, das man das so machen kann, ohne sie groß einzuführen. Ich denke, das was sie tut und sagt zeigt schon ihre Rolle. (hoffe ich)

Chutney, das ist eine gut geschrieben Geschichte, die den Leser bewegt.

Liebe Barnhelm, ich freue mich, das du das so empfindest, trotz der enttäuschten Erwartungen.

Liebe Grüße von Chutney

Hallo rieger,

das sind wirklich kluge Gedanken, ich bin ganz beeindruckt. Du hast mir selbst nochmal einen ganz anderen Blick auf meine Geschichte gegeben haben, vielen herzlichen Dank. Ich bin keine gute Theoretikerin, aber ich konnte deinen Gedanken gut folgen.

Was ich mich gefragt habe, warum ich es dem Text abnehme, trotz des dokumentarischen Charakters, Geschichte zu sein und nicht Wiedergabe von Realität.

Vielleicht würde man von einem dokumentarischen Text auch mehr Ausgewogenheit erwarten. Letzendlich ist das Ganze ja aus Herrn Thomsens Perspektive geschrieben. Eine Geschichte darf den Fokus auf einen bestimmten, subjektiven Ausschnitt der Wahrheit lenken, meine ich.

Dass sie funktioniert, zeigt Dein Text, den ich gelungen finde. Sicher konstruiert, klar disponiert, sprachlich solide gefasst.

Ich danke dir sehr, Rieger. Und es freut mich sehr, dass du meinen Text gelungen findest.

Liebe Grüße von Chutney


Hallo Willi

auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung.

Hier wird es ziemlich gruselig ... dann schilderst du eine Szene voller Angst und Wut, um dann in Müdigkeit zu enden. Uff! Für eine KG fast zu viele Szenen, zu viele Konflikte und Schlaglichter auf den Alltag in einem Altersheim.

Für mich liefen die Szenen zu wenig am roten Faden und so habe ich selbigen beim Lesen einige Male verloren. Aber das bringt andererseits auch die Verwirrung des Prots in dieser Umgebung gut zum Ausdruck.

Ja, es sind verschiedene Szenen auf engem Raum, das stimmt. Aber ich denke, dass das den Druck, unter den er immer mehr gerät, auch deutlich macht. Hoffe ich zumindest. Aber man hätte natürlich auch eine viel längere Geschichte daraus machen können.

Spannend zu lesen!

Immerhin, das freut mich!


Herzlichen Dank und viele Grüße von Chutney


Hallo Jimmisalaryman


auch dir herzlichen Dank!

Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie ein und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund. Er konzentriert sich, um genau zu treffen, doch schon nach dem zweiten Stück hat er das Gefühl, dass ihm der süße Senf am Kinn herunterrinnt. Hastig greift er nach der Serviette und schüttelt sie auseinander.

Du hast eine gute Intention, @Chutney, aber ich finde, du spielst hier ein wenig die Ekel-Karte. Du beutet hier die Hilflosigkeit schon etwas zu sehr aus, um deinen Prot noch würdevoll erscheinen zu lassen, oder nein besser: ihn in Würde zu porträtieren.


Hier bin ich echt überrascht. Er bemüht sich ordentlich zu essen, ihm läuft Sauce am Kinn herab und er will sie abwischen. Meinst du wirklich, dass ich ihm damit die Würde nehme? Das könnte mir auch passieren, sogar ohne Behinderung.

Ihre Stimme ist zu schrill.
Zu schrill für was? Das liest man ja im Vergleich, die eine Stimme ist es, die andere nicht. Hier musst du dich entscheiden, weil ich dann sofort hinterfrage, ob der Autor mehr weiß als ich.

Habe ich geändert, vielleicht finde ich ja auch noch was Besseres. Vielen Dank!

Er vermeidet den Blick in die Richtung, wo sie sitzt, drei Tische weiter, hochrot im Gesicht vermutlich und leicht angeschickert.

Vermutlich? Warum nicht Entschlossenheit zeigen. Du kennst deine Prots doch am besten. Hier wirkt es so, als ob du deinen eigenen Figuren nicht vertraust.


Ich schreibe doch aus seiner Sicht und er vermutet nur, weil er nicht hinsieht.

Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen.
Da steckt ja noch mal eine ganz andere Geschichte drin. Zu schnell, zu viel. Zeig das doch. Ein kurzer Dialog, eine Szene, reingehen, rausgehen, dann bekommt der Sohn und auch die Beziehungen zwischen ihnen Tiefe, ein Gesicht, einen Charakter. Echtheit.

Ja, das stimmt, da könnte man mehr draus machen. Aber die Geschichte ist sehr kurz und ich hätte die Sorge, das das ein Nebenschauplatz wird, der im Vergleich zum eigentlichen Thema zu viel Raum einnimmt.

Er hat ins Bett gemacht. Würde ich streichen, es wird auch so klar.

Na, das glaube ich nicht so recht. Man könnte auch denken, dass die Frau so einen Geruch hinterlässt, da will ich lieber sicher gehen.

„Mein Vater ist doch nicht aggressiv! Mein Vater ist ein ganz sanfter Mensch, der war immer viel zu gutmütig, ich kann mir das gar nicht vorstellen. Erklärbärdialog. Lies das mal laut vor, so spricht niemand, das muss impulsiver kommen, komprimierter. Kein Schaufenster sein.

Das habe ich nochmal geändert und hoffe, dass es jetzt echter rüberkommt. Danke!

„Ist irgendwie dumm gelaufen, oder?“ Würde man das so sagen? Dumm gelaufen? Ich weiß nicht, mir klingt das zu unangemessen, zu lapidar.

Doch, ich glaube, das passt. Und irgendwie stimmt es ja sogar.

Ich finde das gut, das Sujet, aber ich würde es trockener, kompromissloser machen. Weniger Emotion, und daraus dann die Tiefe gewinnen. Der Leser findet sich da selbst, der dockt schon an.

Ich arbeite dran. Vielen Dank, Jimmi!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hej Chutney,

dieser Einblick in ein Altenpflegeheim ist erschütternd und ich möchte glauben, du hättest sie frei erfunden und in Wirklichkeit wäre die Würde eines einzelnen wesentlicher geschützt.
Natürlich weiß, bzw. bin ich darüber informiert, dennoch ist eine Geschichte über bestimmte Charaktere im Detail unendlich traurig, das Alter, der Verfall, die Hilflosigkeit der Mitmenschen.

Ich habe mich allerdings immer wieder zwischendurch gefragt, ob Herr Thomsen, clever wie er ja noch ist, nicht hätte in einer anderen Form kommunizieren können, um auf sich und seine Belange aufmerksam zu machen. Wenn schon nicht an das abgestumpfte Personal, dann aber doch an seinen Sohn.

Nun gut, du hast dich dazu entschieden, ihn aufgeben zu lassen und vermutlich habe ich auch gar nicht realisieren wollen, dass Herr Thomsen kapituliert.

Du hast dicht und emotional packend beobachtet und beschrieben.

Sie schaut die dicke Frau bei ihm an, als wollte sie sie ermorden.

Die Präposition ist sicher richtig, klingt jedoch in meinem Ohren seltsam "unmenschlich". Ich hätte wohl "neben" gewählt oder einen weiteren Nebensatz. Ist aber auch nicht wichtig.

Er kann gar nicht mehr aufhören zu schütteln, bis er sieht, wie blass sein Sohn ist. Er hebt seine gesunde Hand, um ihm über den Kopf zu streichen, aber Martin sitzt zu weit weg. So winkt er ihm.

Das ist so traurig und steht für mich für all die Missverständisse und Unzulänglichkeiten.

Vielen Dank für den "unterhaltsamen" Einblick in einen Teil unserer Gesellschaft.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Tintenfass,

dir auch vielen Dank für deine Gedanken und Gefühle zu meiner Geschichte. :)

„Ist irgendwie Dumm gelaufen, oder?“
Mein Lieblingssatz bringt es auf den Punkt. Hilflos einerseits aber doch voll Verständnis.

Ja, ich mag den Satz auch. Danke.

Was mir gut gefällt, ist Deine Sicht auf das Pflegepersonal. Ist ja nicht gerade das, was man sich unter einem Traumjob vorstellt. Die Frauen und Männer in solchen Berufen kommen an ihre Belastungsgrenze. Ihre Motivation anderen Menschen zu helfen, passt nicht in den Dienstplan. Da bleibt dann viel auf der Strecke. Man wird unzufrieden, lustlos und am Ende krank. Du hast das, wie ich finde sehr schön an der Schwester gezeigt. Ihr Gezwinkere sehe ich als ein nervöses Leiden und ernstzunehmendes Anzeichen.

Ich freue mich, dass das so bei dir ankommt. Das auch ein gewisses Verständnis für die Schwester entsteht. So hatte ich mir das auch erhofft.

Ich finde, Du hast das sehr eindringlich geschrieben.

Danke, Tintenfass!

Liebe Grüße von Chutney

Hallo Isegrims@

Was mir besonders gefällt: es ist ein leiser Text, nicht kalkuliert, nicht auf Effekte aus (gerade auch was die Themenwahl betrifft), tief drin und nahe am Unsagbaren. Du gibst einem Menschen eine Stimme, der seine eigene gerade verliert und zeigst dadurch, was Literatur vermag. Hat mich sehr berührt, weil die Erzählstimme unmittelbar ins Herz dringt. Für mich einer der stärksten Texte der Challenge. (alle habe ich bisher nicht gelesen)

Oh, vielen Dank, Isegrims, über diese Einschätzung freue ich mich natürlich riesig!

Seinen rechten Arm legt er so weit auf den Tisch, dass er nicht so leicht herunterrutschen kann. Er will ihn trotzdem im Auge behalten.
da könntest du drei Sätze draus machen: Den rechten Arm legte er auf den Tisch. Er sollte nicht herunterrutschen. Im Auge behalten will er ihn trotzdem.

Das wären mir doch zu viele kurze Sätze hintereinander. Allerdings habe ich deinen letzten Satz übernommen, danke schön!

einem Lächeln so starr, als drehe jemand ein Messer in ihrem Rücken.
stelle dir das mal vor, was du da schreibst, das Messer dreht sich? Vibriert oder tanzt es?

Ja, das habe ich jetzt geändert, fand ich originell, passt aber wohl nicht so gut.

Herzlichen Dank, Isegrims

Liebe Grüße von Chutney

Hallo bernadette

Danke für diese Geschichte. Wir alle werden in den nächsten Jahren immer mehr mit solchen Erfahrungen umgehen müssen und eine Sensibilisierung ist ein wichtiger Schritt, um die Würde der betroffenen Menschen zu erhalten.

Es wäre schön, wenn meine Geschichte zur Sensibilisierung beitragen könnte, danke für diesen Gedanken, Bernadette.

Deine Buchempfehlung klingt interessant. Ich werde mal schauen, wann ich mir das Thema wieder zumute.

Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie ein und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund.
Wieso nennst du hier nicht schon den Senf? Das hat mich irritiert.
Du kannst im zweiten Satz dann von der gelben Soße schreiben oder so, um die Wiederholung zu vermeiden.

Das habe ich geändert, danke.

„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme ist zu schrill.
Da gebe ich Jimmy recht. Das zu schrill hat keinen Vergleich.

Und das auch. :)

Mit der Geschichte hast du mir eine Freude gemacht, weil du auf die Seite derjenigen gegangen bist, die das erleben müssen.

Und ich freue mich sehr über deine Worte, Bernadette. Vielen Dank!

Liebe Grüße von Chutney


Hallo Novak,

oh, du hast mich ganz schwer ins Grübeln gebracht.

Ich sag das mal ganz platt. Ich vermisse das Mitgefühl bei der Beschreibung der Frauen. Ja echt.
Mich schaudert es regelrecht, was für Abziehbilder aus den alten Frauen geworden sind.

Sofort habe ich angefangen kleine Zusatztexte zu den Frauen zu entwerfen, sie als Figuren komplexer zu machen, ein bisschen mehr Hintergrund zum Verhalten des Personals zu zeigen. Aber dann war es auf einmal nicht mehr Herrn Thomsens Geschichte, seine Bedrängnis verschwamm irgendwie. Du hast das Problem auch so benannt:

Ich weiß, dass dein Vorhaben sehr schwierig ist, wie willst du das umsetzen, was ich da moniere, wenn du doch aus der Sicht Thomsens schreibst, und der fühlt sich eben in die Ecke gedrängt.

Möglicherweise wäre es fast einfacher, noch mehr bei ihm und seiner Wahrnehmung anzusetzen, um die Subjektivität seiner Eindrücke noch deutlicher zu machen. Aber da ist mir noch keine rechte Idee gekommen. Ich erzähle die Geschichte von jemandem, der versucht irgendwie durchzukommen und der seine Ruhe haben will. Und dessen Grenzen permanent überschritten werden, in dem Fall von Frauen. Er nimmt sie schablonenhaft wahr. Und er wird selbst nicht richtig wahrgenommen.

Warum zum Beispiel muss man die alte Frau, die nachts in sein Zimmer kommt (toll beschriebene Szene ansonsten übrigens mit dem durchschimmernden Haar), unbedingt nackt machen? Das ist doch nur, weil man an der Vorstellung andocken will, sie hätte andere Absichten, als sich nur im Zimmer verlaufen.

Es ist etwas, was ich total furchtbar finde, dass jemand nachts am Bett steht, und es kommt durchaus häufig vor, wenn man mit Demenzerkrankten auf einer Station wohnt. Und auch der Drang sich auszuziehen besteht häufig. Ich habe jetzt den Satz mit den Füßen in der Szene hinzugefügt, um für die Leser deutlich zu machen, dass es sich um eine verwirrte Frau handelt, die keine sexuellen Anliegen hat.

Ich weiß, dass es ganz wunderbare alte Menschen gibt, die in Heimen leben, habe viel von ihnen gelernt, Spaß mit ihnen gehabt und viele berührende Situationen erlebt, auch und gerade mit demenzerkrankten Menschen. Ich habe große Achtung vor dem Beruf der Altenpflegerin und kenne so einige, die seit Jahren mit Liebe und Einfühlung ihren Beruf ausüben. Und es gibt auch sehr unterschiedliche Heime.

Aber eigentlich erlebe ich das Personal in der Gesamtheit anders als du es beschreibst. Das ist alles nicht so eindeutig, sondern vieles leitet sich von der wenigen Zeit her, setzt sich eher hinter dem Rücken der Beteiligten durch.

Da hast du vollkommen recht. Aber ich denke, dass eine Kurzgeschichte den Fokus auf einen Aspekt legen darf, es ist eine individuelle Geschichte. Die Situation, die ich beschreibe, ist ein Teil der Realität und noch nicht mal die allerschlimmste. Und ich denke, eine Geschichte darf so eine Sicht einnehmen.

Liebe Novak, ich danke dir sehr für deinen engagierten Kommentar, mit dem du mich echt herausgefordert hast und der mich wahrscheinlich auch noch weiter beschäftigen wird.

Ich wünsche dir einen schönen Abend

Liebe Grüße von Chutney

Hallo maria.meerhaba,


herzlichen Glückwunsch zu deiner Großmutter, mir scheint du hast viel von ihrer Power geerbt. ;)

Nein im Ernst, das war zwar keine sachliche Textkritik, wie Peeperkorn schon ganz richtig schreibt, aber mein Gefühl beim Lesen war doch irgendwie. "Ups, Treffer, versenkt."

Ich habe es schon genauso verstanden, wie du es in deiner zweiten Nachricht schreibst. Und, ganz ehrlich, als Nächstes will ich vielleicht lieber mal was Lustiges schreiben. Mal sehen.

Danke dir für deine Emotionen, Maria!

Liebe Grüße von Chutney


Hallo Kanji

auch dir herzlichen Dank dafür, dass du dich von meiner Geschichte hast berühren lassen.

dieser Einblick in ein Altenpflegeheim ist erschütternd und ich möchte glauben, du hättest sie frei erfunden und in Wirklichkeit wäre die Würde eines einzelnen wesentlicher geschützt.

Sie zu schützen erfordert jedenfalls viel Kraft und Einfühlungsvermögen. Das ist eine der großen Herausforderungen.

Nun gut, du hast dich dazu entschieden, ihn aufgeben zu lassen und vermutlich habe ich auch gar nicht realisieren wollen, dass Herr Thomsen kapituliert.

Irgendwie ja und irgendwie geht das Leben auch weiter für ihn.

Sie schaut die dicke Frau bei ihm an, als wollte sie sie ermorden.
Die Präposition ist sicher richtig, klingt jedoch in meinem Ohren seltsam "unmenschlich". Ich hätte wohl "neben" gewählt oder einen weiteren Nebensatz. Ist aber auch nicht wichtig.

"Bei" klingt für mich enger als "neben", bedrängender, deshalb würde ich das gerne lassen.

Vielen Dank für den "unterhaltsamen" Einblick in einen Teil unserer Gesellschaft.

Und ich danke dir, Kanji für deine Gedanken zu meiner Geschichte.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hi Chutney,

ich bin gerade nicht ganz auf dem Laufenden, was den Stand der Kommentare angeht, aber da war mal das Thema Würde bzw. Würdelosigkeit. Da wollte ich schon länger einwerfen - und das tue ich jetzt einfach mal so zwischendurch - dass dein alter Herr bei mir gar nicht würdelos ankommt. Sein Körper gehorcht ihm nicht mehr, deswegen sieht manches an ihm und an seinen Tätigkeiten merkwürdig oder sogar eklig aus. Ich finde nun aber, dein Text zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er all diese Dinge als völlig oberflächlich erkennen lässt. Der Mann selbst ist davon in seiner Würde gar nicht betroffen, und das Schlimme ist ja eben gerade, dass die anderen diese Oberfläche bloß nicht mehr durchdringen können.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Liebe Chutney

Gut beobachtet, mit unerbittlichem Blick, sprachlich sehr sauber.

Dennoch hat er mich nicht ganz gepackt und ich weiss nicht, ob ich verstehe, weshalb das so ist. Vielleicht, weil du die einzelnen Abschnitte jeweils mit einer Zeitangabe einleitest. ("Nachmittags, Nachts, Am nächsten Tag, Als er aufwacht"). Das ist an sich kein Problem, aber es unterstreicht, dass die ganze Geschichte einerseits sehr linear erzählt ist, unterstreicht aber auch das Protokollartige der ersten drei Abschnitte. Auch das ist an sich kein Problem.

Ich erhalte als Leser also diese einzelnen Szenen, im vierten Abschnitt dann aber einen dramatischen Höhepunkt, diesen Ausbruch. Dafür fühlte ich mich zuwenig vorbereitet. Es ist schwierig zu beschreiben oder zu analysieren, ich denke, der Text hat mich in dramaturgischer Hinsicht nicht ganz befriedigt. Du hast einen spachlichen Wechsel ab der Passage: "Er malt noch mehr Linien, gibt sich Mühe ...", da werden die Sätze länger und dynamischer. Vorher aber schreibst du eben eher in kurzen Sätzen, protokollartig und da wurde ich nicht so recht zu diesem Ausbruch hingeführt. Als ich den Text das erste Mal gelesen habe, dachte ich hier, was ist denn jetzt los?, ich konnte das emotional gar nicht so recht mit dem Anfang in Verbindung bringen.

Ist jetzt natürlich fies, das mit einem Roman zu vergleichen, der zudem thematisch ja schon etwas anders gelagert ist, aber in Einer flog über das Kuckucksnest wird der dramatische Höhepunkt halt viel umfangreicher vorbereitet, da brodelt es schon vorher, es gibt ein Auf und Ab, auch schöne Momente.

Jimmy hat vorgeschlagen, noch trockener, kompromissloser zu werden. Ja, das ist im Text angelegt. Das wäre die eine Richtung, dann könnte ich mir sogar vorstellen, den roten Faden aus der Geschichte rauszunehmen, da gar keinen eigentlichen Plot mehr zu verfolgen, sondern auf diese protokollartigen Szenen zu fokussieren. Das wäre Text A. Eine andere Idee wäre, den Text auszubauen, diese Steigerung, die du jetzt drin hast, vorzubereiten, nicht nur einen Zettel, sondern mehrere, vielleicht auch eine Reflexion, der Versuch, sich verständlich zu machen (und dessen Scheitern) szenischer zu gestalten, zu eben diesem Ausbuch am Ende hinzuarbeiten. Das wäre Text B. Momentan steht der Text zwischen den beiden Varianten und ich denke, das ist der Grund, weshalb ich nicht ganz reinfinden konnte.

Ich weiss nicht, ob ich hier einfach nur Unsinn hinschreibe, aber immerhin, ich habe lange über diesen Text nachgedacht, das musst du mir glauben. Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen.

Um das alles noch ins richtige Licht zu rücken: Für mich ist das trotz meiner Vorbehalte bisher einer der stärksten Texte in der Challenge.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Erdbeerschorch,

schön, dass du dich nochmal meldest. :)

Ich finde nun aber, dein Text zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er all diese Dinge als völlig oberflächlich erkennen lässt. Der Mann selbst ist davon in seiner Würde gar nicht betroffen, und das Schlimme ist ja eben gerade, dass die anderen diese Oberfläche bloß nicht mehr durchdringen können.

Ja, das war das was ich ausdrücken wollte, es ist schön, dass das so bei dir ankommt und ich denke bei ihm ist mir das auch gelungen. Ich glaube, das Thema Würde und alles was dran hängt, wie Scham, Kontrolle oder deren Verlust ist wahrscheinlich das, was bei der Geschichte bewegt, oder was mich bewegt hat sie zu schreiben.

Herzlichen Dank, Erdbeerschorch und liebe Grüße von Chutney


Lieber Peeperkorn,


Um das alles noch ins richtige Licht zu rücken: Für mich ist das trotz meiner Vorbehalte bisher einer der stärksten Texte in der Challenge.

Wow, das war das Sahnehäubchen am Schluss, herzlichen Dank!


Deine Gedanken zu meinem Text fand ich sehr inspirierend und die Möglichkeit in zwei verschiedene Richtungen zu gehen, vielleicht sogar für mich mal beide auszuprobieren, hat mich angesprochen. So wie ich dich verstehe, reicht für dich der Druck, der in ihm entsteht noch nicht aus, um seinen Ausbruch genügend zu motivieren. Da ginge natürlich noch mehr Vorgeschichte. Und das würde auch noch mehr Gelegenheit bieten den Frauengestalten gerecht zu werden, was Novak sich wünschte. Zu der Möglichkeit noch trockener zu werden, das behalte ich im Hinterkopf, das finde ich reizvoll.
Momentan bin ich aber ziemlich erschöpft, was diese Geschichte betrifft, ich glaube, ich muss da jetzt erst mal etwas Zeit verstreichen lassen.


Ich habe mich sehr gefreut von deinem Preis in Basel zu lesen, Peeperkorn, es ist wunderbar, dich hier im Forum zu haben! :)

Herzlichen Dank und liebe Grüße
von Chutney

 

Hallo Chutney,

Mich hat deine Geschichte aufgewühlt, da ich gerade selber einem "Pflegefall" nahegestanden habe und öfters im Pflegeheim war. In der begrenzten Besuchszeit ist es tatsächlich schwer, hinter die Kulissen zu schauen. Ist es dort vielleicht ähnlich zugegangen, frage ich mich jetzt??

Ja, dieses Ausgeliefertsein ist keine schöne Sache. Unglaublich traurig.


Betroffene Grüße
Lind

 

Hallo Lind,

Ist es dort vielleicht ähnlich zugegangen, frage ich mich jetzt??

Vielleicht ja, vielleicht besser oder auch noch schlimmer. Ich selbst siedele das Heim, welches ich hier beschreibe in der oberen Mitte ein.
Fehlmedikationen kommen vor. Auch das z.B. Schmerzmittel gegeben werden, weil man nicht die Zeit hat eine mühsam sprechende Patientin bis zu Ende anzuhören, die einfach nur anders gelagert werden müsste. Auch, das schwierige Bewohner ruhig gestellt werden kommt vor. Und man kann es dem Personal z.T. nicht mal verdenken.

Meine Mutter hilft ehrenamtlich in einem Heim, da war gestern ein Schülerpraktikant von ca. 15 Jahren, seit einer Woche da, für das Kaffeetrinken von 12 Bewohnern alleine zuständig. (Sie hat das von einem Angehörigen gehört) Vor einigen Jahren haben die Schwestern dort morgens einfach mal Musik angeschmissen und mit den Leuten getanzt. Das ist schon lange nicht mehr möglich. Nachmittags sitzen die Leute stundenlang alleine. Sie könnten auf einen Knopf drücken, wenn sie Hilfe brauchen, aber das weiß ein Demenzkranker nicht unbedingt. Und wenn, dann dauert es oft mindestens zehn Minuten bis jemand kommt. Das Personal wird dort völlig ausgepresst. Und es ist ein katholisches Haus mit Einsernoten, übrigens.

Ich kenne aber auch ein Haus, dort leisten sie es sich Zimmer leer stehen zu lassen, wenn sie nicht genug Personal finden, welches vernünftig und einfühlsam mit den Leuten umgeht. Das ist aber eine Stiftung, die nicht gewinnbringend arbeiten muss. Dort habe ich eine ähnliche Situation wie mit Herrn Thomsen erlebt, aber mit anderem Ausgang. Ein Mann, der neu war, wurde rechts und links gegenüber den Frauen, die dort saßen tätlich, der Unmut ihm gegenüber wuchs und es war eine Mitarbeiterin, die ganz deutlich machte: "Er ist nicht aggressiv. Das ist eine Reaktion aus Angst." Hier war Unterstützung beim Einleben wichtig.

Das Heim, welches ich in meiner Geschichte beschreibe, hat immerhin ein Konzept und auch Unterhaltung für die Bewohner. Selbst das Malen/Basteln, was in den Kommentaren z.T. als sinnfrei und damit irgendwie entwürdigend empfunden wurde, macht vielen alten Menschen großen Spaß, gerade in der Gruppe. (In der mittelalten Bevölkerung ist ja momentan gerade ausmalen wieder voll in und Computerspiele sind ja auch nicht unbedingt sehr produktiv)
Die Pflegerin ist da, wenn sie gebraucht wird und sie ist in gewisser Weise freundlich. Es fehlt aber an Sensibilität und Einfühlung in seine Situation.

Aber zurück zu deinem Kommentar. Es lohnt sich immer als Angehörige genau hinzuschauen. Man könnte Thomsen Junior nur raten nochmal mit dem Arzt zu sprechen, wenn ihm sein Vater nach einer Änderung der Medikamente plötzlich verändert erscheint.

So, liebe Lind, da hast du nun mit deinem kleinen Kommentar eine riesenlange Antwort ausgelöst. Ich bin heute auch gerade etwas angepiekst, weil ich mehrere dieser Geschichten gehört habe und dann war da noch dieser Artikel in der TAZ. (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5359989&s=rechtsfreier+raum+im+heim/)

Herzlichen Dank, Lind. :)

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Chutney,

ähm, was soll ich sagen? Keine Ahnung eigentlich ...
Also, zunächst beschreibst du die Atmosphäre sehr gut. Es scheint so, als würdest du dich in der Umgebung gut auskennen, als würdest du selbst als Krankenschwester arbeiten.
Gefühle konntest du auch schön vermitteln(show don't tell ist gelungen).
Naja, das wars von meiner Seite.

LG,
alexei

 

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