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Gefrierfleischorden

Seniors
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28.12.2009
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Gefrierfleischorden

Mein Großvater steht vor dem Herd und rührt in einem großen Topf, feuchter Dunst zieht durch das angekippte Fenster. Er schöpft mit einer Kelle Schaum ab, und erst jetzt sehe ich den Kopf, der auf dem kochenden Wasser schwimmt. Hier, sagt er und schneidet mit einem seiner Ausbeinmesser ein Stück aus der Backe. Da ist der Rauch von Zigaretten und der Geruch des Fleisches in der kleinen Küche. Ich bin zehn oder elf Jahre alt.
Beste Stück vom Schwein, sagt mein Großvater, mein Opa, es liegt dampfend auf der Messerschneide. Ich entstamme einer Familie von Mehlbauern und Metzgern, der Geschmack von Fleisch ist etwas sehr vertrautes für mich.

Meine Onkel und mein Vater spielen im Wohnzimmer Skat, ich kann hören, wie sie ihre Ansage brüllen, das Klirren von Bierflaschen. Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee.
Muss noch Schnauze und Schwarte würfeln, sagt mein Großvater. Kannst mir nachher helfen.
Ich beiße in das Stück Fleisch, es ist weich und voller Saft. Backe ist das beste Stück vom Schwein. Und so oft wird der Opa ja keine Sülze mehr machen, sagt mein Vater, aber das sagt er nur bei uns zuhause, nicht hier, nicht im Haus seiner Eltern. Die Fliesen auf dem Balkon kühl unter meinen Füßen, ich bin barfuß, es sind die letzten Tage der großen Ferien. Danach geht es auf eine andere Schule unten in der Stadt, und ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll. Doch jetzt bin ich hier, in diesem großen Haus, ich gehe die Treppe hinunter und stehe im Garten, ein schmales, langes Stück Land, die Beete akkurat voneinander getrennt, der Weg aus Kopfsteinpflastern gelegt. Ich erinnere mich an den strengen Geruch der Erde; mein Großvater bekam seinen Dünger von den umliegenden Höfen geliefert. Da sind die Pflaumenbäume zu meiner Rechten, ihre Äste dünn und knorrig. Niemand weiß genau, wer sie gepflanzt hat oder wie lange sie schon dort stehen, doch sie tragen jeden Sommer Früchte, auch diesen. Aus einem Teil buk meine Großmutter Kuchen, den anderen Teil gaben sie an einen Nachbarn, der in seiner Laube im Westerwald daraus Schnaps brannte. Eine Sache faszinierte mich besonders: ganz am Ende des Gartens, im Schatten einer halbhohen Backsteinmauer, stand der Komposter. Ein aus Dachlatten zusammengenageltes Behältnis, verschlossen mit einer passenden Lage scharfkantigem Hühnerdraht, so dass die Katzen nicht reinscheißen konnten. Wenn man die Hand ausstreckt und ganz nah über Kompost hält, spürt man eine organische Hitze, so dicht und gleichmäßig wie die späte Glut eines Holzfeuers. Ich bin bei jedem Besuch zu diesem Komposter gegangen und habe meine Kinderhände durch das Holzgitter gesteckt, selbst im Winter, als die Erde schon hart gefroren war.

Als ich später ins Haus zurückkehre, beginnt es schon zu dämmern. Ich höre meinen Vater lachen, sie spielen immer noch Skat, es wird Schnaps getrunken. Mein Großvater war draußen auf dem Balkon, ich habe ihn kurz bei den Frauen gesehen, doch jetzt ist wieder im Haus, in dem abgedunkelten Zimmer neben der Küche, in dem ein kleiner Fernseher und sein Schachbrett steht. Er sitzt in seinem großen Massagesessel, den Kopf auf der Rückenlehne, die Augen geschlossen. Er ruht sich aus, denke ich, er hat Schuhe und Socken ausgezogen, warum hat er sich auch die Socken ausgezogen?, ich weiß es nicht. Seine nackten Füße liegen auf einem Schemel, in der Hand hält er ein bauchiges Glas, Hennessy ist seine Marke. Ich bleibe vor der Tür stehen, das letzte Sonnenlicht fällt durch die halb geschlossenen Lamellen der Rollade und erhellt den kargen Raum. Und da, als ich vor ihm stehe, fällt mir etwas an seinen Füßen auf, sie sind unförmig, wie verdreht; ich hatte sie noch nie gesehen und konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
Krieg, sagt mein Großvater. Abgefroren.
Ich schäme mich, weil ich so ungeniert seine deformierten Füße angestarrt habe, doch ihm scheint das nichts auszumachen.
Wenn du das überlebt hast, habense dir n Orden umgehangen, Gefrierfleischorden, sagt mein Großvater und nickt. Weißt du, was wir im Krieg gemacht haben? Er nimmt einen Schluck und stellt das Glas auf einen Beistelltisch, dann sagt er: Zuerst haben wir ihnen die Zöpfe abgeschnitten, dann haben wir sie geschlachtet wie Schweine.
Ich stehe immer noch schweigend vor der Tür. Mein Großvater erhebt sich aus dem Sessel und sammelt seine Socken ein, es sind lange, graue Wollsocken. Seine Bewegungen schwerfällig, er stöhnt, ächzt, und als er sich den ersten Socken überstreift, bemerke ich seine zitternden Finger.
Komm, sagt er, seine Stimme leise und brüchig, geh schon mal vor, geh schon mal in die Küche. Er reibt sich mit einer Hand über den Nacken, wischt sie am Unterhemd ab, sein Atem geht flach. Er will nicht, dass ich ihn so sehe, denke ich und gehe in die Küche. Vor dem Herd bleibe ich stehen, spüre die dichte Hitze, ein feuchtwarmer Schwall im Gesicht. Da ist immer noch der Topf, ich höre es darin köcheln. Der Dunst riecht nach Fett, nach Knochenmark, nach gegartem Fleisch und Schweinestall. Da passt etwas nicht zusammen; die Schweine, das Schlachten, das begreife ich, das ergibt sich, eins aus dem anderen, nur das mit den Zöpfen … wir haben ihnen die Zöpfe abgeschnitten. Ich überlege, denke nach, versuche es, aber ich werde es noch ein paar Jahre lang nicht begreifen. Auf einmal steht er neben mir, ich habe ihn nicht kommen gehört. Er hat sich im Badezimmer frisch gemacht, Wassertropfen fallen von seinem Kinn auf den Herd, es zischt, und er sieht mich an und lächelt.
Dann holen wir’n mal raus, sagt er und greift nach der Kelle. Dampf setzt sich von der fest gespannten, braunen Kruste ab, er stellt den Kopf auf ein Schneidebrett neben der Spüle, das glatte Holz wird dunkel von der ablaufenden Brühe.
Wenn's gar ist, geht's ganz einfach, sagt er und macht mit der Klinge einen Schnitt an der Stirn. Die Maske löst sich von selbst, fällt geradezu vom Knochen, darunter schimmert gräuliches Fleisch und weiß glänzendes Fett.

Als wir wieder zuhause sind, erzähle ich meinem Vater davon. Ich warte, bis meine Mutter unten in der Waschküche ist, bis er alleine vor dem Fernseher sitzt und die Sportschau guckt. Zuerst frage ich ihn, ob er weiß, was der Opa im Krieg gemacht hat? Mein Vater antwortet nicht sofort, er hebt kurz das Kinn und schaut auf den Bildschirm; es gibt Eckball.
Ich mein, der war an der Flak, sagt er, deswegen hört der doch so schwer.
Dann erzähle ich es ihm, ich erzähle es Wort für Wort.
Ach was, dein Opa, sagt mein Vater. Also nein, das nennt man Demenz, ja? Das ist dann so, das ist gar nicht richtig wahr. Der weiß manchmal nicht mehr, was er da eigentlich von sich gibt. Ein paar Monate später habe ich es noch einmal versucht. Wir saßen im Wohnzimmer, meine Mutter bereitete in der Küche gerade das Abendessen vor, aber mein Vater schüttelte wieder nur den Kopf und tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn: Ach was! Dann nahm er einen Schluck Bier aus seiner Flasche und fragte mich, was ich eigentlich vom neuen FC-Trainer halte. Ich blickte auf den Grund meines leeren Glases und sagte: Der FC steigt schon nicht ab.

Mein Großvater starb kurz darauf. Er starb weg, wie man hier sagt. Er ging an einem heißen Sommernachmittag aus dem Garten zurück ins Haus, setzte sich zum Ausruhen auf den Sessel und wachte einfach nicht mehr auf. Die Ärzte sagten, es war ein Herzinfarkt. Bei der Trauerrede hieß es: liebevoller Vater von sechs Kindern. Treuer Ehemann. Gläubiger Christ. Dreißig Jahre lang bei Mannstedt in der Fertigung. Immer verlässlich und verantwortungsbewusst. Grüner Daumen. Die besten Erdbeeren der Siedlung. Ein Mann, der seinen Humor nie verloren hat. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter bei der Beerdigung keine einzige Träne vergossen hat. Es war ein seltsamer Anblick, über den ich heute noch nachdenke, wie sie da ganz steif neben meinem Vater sitzt, am Ende der ersten Reihe zum Gang hin, und immer wieder auf die Hände in ihrem Schoß blickt.

Der Geschmack von Fleisch ist mir vertraut geblieben. Ich mache die Sülze nicht selbst, ich kaufe sie bei einem Metzger in der Stadt. Sie schmeckt nicht so wie die von meinem Großvater, aber das muss sie auch nicht. Ich schneide sie in dünne Scheiben, beträufele sie mit ein wenig Essig und fein gehackten Zwiebeln. Ich esse sie nicht mehr oft, und wenn, dann lasse ich mir Zeit, kaue langsam und gründlich, trinke dazu ein kühles Bier. Manchmal schließe ich dabei die Augen und versuche so zu tun, als hätte ich noch nie Sülze gegessen, als sei jeder Bissen mein erster.

 

Ich weiß nicht. Die nächsze Szene ist, dass er nicht lockerlässt, noch einmal nachfragt, wieder auf eine Mauer des Schweigens trifft, und diese Leerstelle würde ich gerne lassen. Was soll er auch denken? Ich hatte vorher ein paar gedachte Fragen da drin, aber das wirkte mir zu konstruiert. Den harten Cut finde ich eigentlich gut, vielleicht mache ich aus Jahren auch Monate, damit es näher dran wirkt.
Vielleicht noch ganz kurz hierzu. Verstehe ich. Ich meinte auch nicht, da jetzt die Gedankenwelt des Jungen komplett auszuerzählen. Auch den Cut finde ich nicht das Problem. Was mir fehlt, ist die Verunsicherung/ Erschütterung. Das ließe sich ja vielleicht auch anders zeigen als durch bloße Fragen, die sich der Junge stellt oder durch Gedanken, die ihm kommen. Andererseits hast du natürlich recht, dass es das nicht zwingend bräuchte. Die Verunsicherung ist ja so oder so (nicht zuletzt dadurch, dass sie sich auf den Leser überträgt) vorhanden. Ich merke, dass ich mir selbst unsicher bin.

Ich finde nicht, dass der ins Leere läuft,
Ja, das tut es so auch nicht. Das war eine zu harte Formulierung meinerseits. Aber es mildert die Geschehnisse ja wieder ein Stück weit ab. Dazu hast du aber in deinem Kommentar auch schon etwas gesagt, warum du es so lösen wolltest, wenn du schreibst:
Es trifft einen selbst keine Schuld, keine Verantwortung, man kann nichts mehr ändern. Das, finde ich, ist aber nichts, was der Text erwähnen sollte, sondern was als Fazit oder Gefühl im Leser schwingen sollte.

Ich finde den Titel gut, ich hatte auch keinen anderen im Kopf. Ich finde, das fasst doch den Zusammenhang, dieses Diskurs gut zusammen, oder? Ich weiß nicht, was würdest du denn vorschlagen?
Habe in den Kommentaren gelesen, dass da wohl tatsächlich ein stehender Begriff ist? Das war mir so nicht bewusst und das verändert es dann auch wieder für mich. Mein erster Gedanke war, dass diese Verunsicherung da noch mehr Platz hätte finden müssen. Aber der richtige Titel ist ja sowieso immer so eine Sache. Schwierig, subjektiv und vielleicht am Ende auch gar nicht so wichtig im Vergleich zum restlichen Text.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende!
Habentus

 

und ja, auch ich gehöre der Generation Kriegsgroßväter an und habe vieles sehr spät verstanden (und drücke mich vor einigem Wissen noch heute)
Moin und danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar,


ich habe da recherchiert, wo meine Opas waren im Krieg etc, aber das sagt nichts über Kriegsverbrechen. Die Szene ist tatsächlich so passiert, nicht genau so, aber der Rahmen war ähnlich, und das hat mich nachhaltig schockiert. Nur habe ich nie ein super Verhältnis zu meinen Großeltern gehabt, zu beiden nicht, trotzdem braucht man eine gewisse Distanz, um es kühl zu erzählen. Das darf meiner Meinung nach nicht zu dramatisch werden, ich verliere da auch manchmal den Überblick und das Gespür, ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto sentimentaler werde ich!

Toller Titel, auffällig, bedeutungsgeladen. Ich kannte ihn als Eisbeinorden, hatte es aber völlig vergessen.
Eisbeinorden kannte ich nun nicht, interessant. Es ist spannend, denn bald wird das, bis auf ein paar Ausnahmen, die sich dafür interessieren, niemand mehr wissen. Als ich 1994 in die Lehre kam, gab es noch jede Menge Menschen, die den Krieg erlebt hatten, da habe ich wirkliche viele ernsthafte, auch krasse Gespräche gehabt, wie das gewesen ist in Russland und so weiter, ein Mann, 85 Jahre alt damals, brachte seine 6x6 Fotosammlung von der Front mit; er sagte, zuhause will diese Geschichten keiner mehr hören, aber vergessen könne er auch nicht. Das ist eigentlich der pure Wahnsinn gewesen.
Falls Du noch Eindampfpotential suchst, dieses wäre meiner Meinung nach verzichtbar.
Ja, das überschneidet sich mit Stureks Kommentar, da habe ich nochmal gekürzt, unter anderem auch diese Passage.
Ich frage mich die ganze Zeit, was er in dieser Abstellkammer macht, warum ist er ausgerechnet dorthin für seine kurze Pause gegangen. Mir würde ein ganz kurzer Hinweis gefallen.
Ich habe es jetzt so gelöst, dass er sich auf seinem Sessel ausruht. Vielleicht mache ich da noch einen Massagesessel draus, das klingt vielleicht plausibler.

Du darfst es gerne ignorieren, aber dick und knorrig sind Apfelbäume. Pflaumen wachsen eher spillerig und mit dünnen Ästen.
Spillerig kannte ich nicht, wird ins Repertoire aufgenommen und sofort geändert, da spricht die Expertin!
In einem Deiner Antworten habe ich gelesen, das Du hier von jiddischen Zöpfen sprichst. Wenn das wichtig ist, würde ich es irgendwie verdeutlichen, so ohne Hinweis sind es auch für mich Frauenzöpfe. Generell ändert es nichts an dem Satz, die Gänsehaut und auch das allmähliche Begreifen ist das selbe.
Ich weiß, dass es verfänglich ist, ich glaube, die Originalaussage war auch eher: Weißt du, was wir mit den Juden gemacht haben?, aber ich wollte das nicht so offensichtlich im Text haben, das wirkte mir zu ausgestellt.
Mit den wenigen Sätzen im Vorkapitel, hast Du jetzt das schneiden, die Klinge und das Fleisch mit völlig anderer Bedeutung aufgeladen, beladen, belastet. Finde ich aus Autorensicht sehr gut gemacht.
Ja, so sehe ich das auch. Man kann das Konstruktion nennen, was es auch ist, aber das gehört für mich zum Handwerk: es kommt irgendwie auch auf die Qualität an, wie man das löst. Ich wäre nicht auf die "Maske" bzw das Lösen der Maske as Symbol gekommen, erst Kopper hat das angemerkt. Ich habe mal gelesen, das 80% aller Autoren ihren Symbolismus nicht beabsichtigen, ich war also einer der 80%!
Ich finde den Schluss gut, er geht mir nach. Ich sehe ihn jedes mal die Erinnerung auspacken, jedes mal irgendwo wünschen, die Erinnerung nicht zu haben. Wir hängen ja an unseren heilen Bildern, für ein Heilen dieser Risse gab und gib es keine Zeit mehr.
Ja, ich denke, es geht nicht um Schuld oder so, sondern eher um Verantwortung, aber auch um einen gewissen Gleichmut: ich kann ja nichts dran ändern, auch wenn ich wollte. Ich muss anerkennen, mein Großvater war ein Nazi und Kriegsverbrecher, wie viele andere Männer und liebe Opis wahrscheinlich auch. Das ist ja ein Diskurs, der mit einer Menge anderem Wissen zusammenhängt, wie kam es dazu?, wie und warum, wer war anfällig?, kann das wieder passieren? Heute unfassbar wichtig. Es gibt von Göbbels eine bekannte Rede, wo er den Deutschen genaustens erklärt, was die Nazis vorhaben, und am Ende der Rede sagt er: Und dazu werden wir euch erziehen! Das klingt mir bis heute in den Ohren nach. Ich meide Menschenmassen, weil in Sekundenschnelle aus jeder netten Glühweinrunde ein rasender Mob werden kann. Ich meide Menschen, die mich erziehen oder erleuchten wollen, die mir ihre Wahrheit als die einzige präsentieren wollen, weil mir sofort Göbbels im Ohr aufklingt. Das sind persönliche Strategien, die natürlich aus der Beschäftigung ganz konkret mit dem Wissen um meinen Großvater stammen. Das entscheidet aber jeder für sich.
Alles habe ich vielleicht noch nicht verstanden, aber ich finde es gut, das Du dich an diesen sehr persönlichen Text gewagt hast.
Danke dir! Ich revanchiere mich, dauert nur etwas, bitte Verständnis, der Dezember ist so killervoll mit Terminen, vor allem Arbeit, dass ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. I try my best!

Gruss, Jimmy

 
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Salü Jimmy

Die Challenge Zeit fordert ihren Tribut. Schwierig, möglichst vielen Teilnehmern was von meinem Leseeindruck da zu lassen. Real life und so, aber wem erzähl ich das.

Ich mag deinen Stil, weiste ja. Diese Verknappung, das auf den Punkt erzählen, lese immer wieder gerne in deine Texte rein.

Beste Stück vom Schwein, sagt mein Großvater, mein Opa, es liegt dampfend auf der Messerscheide.
Nicht eher Messerschneide? Beim anderen steckt man doch das Messer zum Schutz hinein.
Mir dem ersten Abschnitt tauche ich gleich in jimmys Welt, der Junge im Refugium seines Opas, stolz dabei zu sein, vielleicht mit etwas ambivalenten Gefühlen, aber doch in gewisser Weise ehrfürchtig.
Und Schweinebäckchen – best meat ever!

Und so oft wird der Opa ja keine Sülze mehr machen, sagt mein Vater, aber das sagt er nur bei uns zuhause, nicht hier, nicht im Haus seiner Eltern
Hier stockte ich kurz: kann ein Zehnähriger solche Sätze formulieren? Möglich, dass das früher schon mal bei anderer Gelegenheit angesprochen worden ist. Doch dann stellte ich mir vor, wie ein Erwachsener mir gegenüber von seiner Kindheit erzählt, und da vermischt sich eben Erfahrung mit Erinnerung und dann passt das wieder, obwohl du hier die Gegenwartsform als Erzählstil wählst.

Eine Sache faszinierte mich besonders: ganz am Ende des Gartens, im Schatten einer halbhohen Backsteinmauer, stand der Komposter.
Ich weiss nicht, wieso, aber hier bekam ich beim Lesen Gänsehaut. Keine Ahnung, ob in meiner Vergangenheit mal was mit einem Komposter ... :D

Wenn man die Hand ausstreckt und ganz nah über Kompost hält, spürt man eine organische Hitze, so dicht und gleichmäßig wie die späte Glut eines Holzfeuers.
Das ist halt schon faszinierend. Gerade für ein Kind. Man wirft den Abfall weg, aber das ist nicht das Ende, das ist Nahrung für irgendwelche Käferli, die ihn zersetzen und es entsteht Wärme, im Winter dampft es sogar manchmal. Das bleibt eine starke Erinnerung. Fein beobachtet, nachvollziehbar. Mag ich.

Er sitzt in seinem großen Ledersessel und ruht sich aus, er hat Schuhe und Socken ausgezogen, warum hat er sich auch die Socken ausgezogen?, ich weiß es nicht.
Ich auch nicht. Ein Kniff des Autors, damit Enkel seine abgefrorenen Zehen sehen kann? :p
Könnten auch den Wollstoff unnatürlich aufbauschen. Ist jetzt aber kein show killer.

Spannender ist, warum er nicht kurz bei den Skatbrüdern, oder den Frauen aufm Balkon vorbei schaut. Weil das Verhältnis in den Jahren unter Null abgekühlt ist, auf Gefrierfleischtemperatur.

Mein Großvater nickt. Weißt du, was wir im Krieg gemacht haben? Zuerst haben wir ihnen die Zöpfe abgeschnitten, dann haben wir sie geschlachtet wie Schweine
Bamm! So emotionslos faden grad heraus, das ist schon starker Tobak, zumal der Junge bis anhin grosse Stücke auf seinen Opa hielt.
Das mit den Zöpfen (=Juden) hab ich leider zu spät geschnallt, da war ich verwirrt wie der Junge. Nach dieser Wende sind mir auch noch so saftige Bäckchen verleidet. Ab hier hatte ich einen säuerlichen Geschmack im Mund, jeder Schnitt mit dem Messer, das fallen der Maske, die Assoziation war so stark – würg.

Komm, sagt er, seine Stimme leise und brüchig, geh schon mal vor, geh schon mal in die Küche.
Der Alte möchte ja, dass er geht, deshalb wirkt das einleitende 'Komm' komisch.
'Geh schon, sagte er, ..., geh schon mal vor in die Küche.'

Ach was, dein Opa, sagt mein Vater. Also nein, das nennt man Demenz, ja? Das ist dann so, das ist gar nicht richtig wahr. Der weiß manchmal nicht mehr, was er da eigentlich von sich gibt.
Demenz ist da so ne willkommene Diagnose, kaschiert Verleugnung. Opa doch nicht.

Bei der Trauerrede hieß es: Liebevoller Vater von sechs Kindern.
Spannend, dieser Zeitenwechsel. Die Vergangenheit wird im Präsens erzählt, die nähere Gegenwart aber im Präteritum.

Ein paar Monate später habe ich es noch einmal versucht. Wir saßen im Wohnzimmer, meine Mutter bereitete in der Küche gerade das Abendessen vor,
Ja, das waren aber auch verwirrende Eindrücke für einen Jugendlichen. Der über den Klee lobenden Abdankungsrede steht im verwirrenden Kontrast die regungslose (Nicht-)Reaktion seiner Grossmutter, seiner Eltern gegenüber. Das würde mich da als Enkel/Sohn auch stark interessieren, warum das so ist.

Grammatik: Eigentlich Friedels Metier, aber müsste der erste Satz nicht auch in der Vergangenheit stehen?
Ein paar Monate später hatte ich es noch einmal versucht.

Der Geschmack von Fleisch ist mir vertraut geblieben.
Und die Erinnerung an diese intimen Momente mit Opa.

Manchmal schließe ich dabei die Augen und versuche so zu tun, als hätte ich noch nie Sülze gegessen, als sei jeder Bissen mein erster.
Spannend auch, dass die Erinnerung an den Grossvater scheinbar den grösseren Stellenwert hat, als den zu seinen Eltern. Aber vielleicht lese ich das auch fälschlicherweise aus der Schlussszene heraus, da diese das Augenmerk drauf legt.

Lieber Jimmy, ich hab's gern gelesen, na ja, du weisst, wie ich gern in diesem Zusammenhang meine. Ernstes Thema, dass du hier wieder angefasst hast. Wir erinnern uns mit dem Älterwerden lieber an die schönen Dinge, gell? Doch sollten die Gräultaten nicht zu stark verblassen, um weiterhin die Lehren daraus zu ziehen. Schnell ist es passiert, und die Geschichte wiederholt sich.

Liebe Grüsse, dot

 

Hallo @jimmysalaryman,

habe deinen Text immer wieder mal gelesen, durch die Kürzungen hat er gewonnen.
Ein Absatz, die 'Gartenszene' ist mir noch zu viel Beiwerk.

Danach geht es auf eine andere Schule unten in der Stadt, und ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll.
Nach diesem Satz habe ich einen Absatz vermisst.

Ich entstamme einer Familie von Mehlbauern und Metzgern
Ist 'Mehlbauer' ein regionaler Begriff? Mir ist nur 'Getreidebauer' geläufig.

der Geschmack von Fleisch ist etwas sehr vertrautes für mich.
Vertrautes

Meine Onkel und mein Vater spielen im Wohnzimmer Skat, ich kann hören, wie sie ihre Ansage brüllen, das Klirren von Bierflaschen. Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee.
Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee. Warum hier die Änderung der Zeit?

Eine ansprechende, etwas schwermütige Geschichte. Ein einfaches Leben, mit Skat, der Konzentration auf das Wesentliche des Alltags – eigentlich kann man doch zufrieden sein (der Fußballverein wird schon nicht absteigen).

Trotzdem spürt man, dass da im Verborgenem noch etwas lauert. Und letztlich beiläufig kommt das Unausgesprochene ans Licht, bis es wieder heruntergespielt wird:

Ach was, dein Opa, sagt mein Vater. Also nein, das nennt man Demenz, ja? Das ist dann so, das ist gar nicht richtig wahr. Der weiß manchmal nicht mehr, was er da eigentlich von sich gibt.

aber mein Vater schüttelte wieder nur den Kopf und tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn: Ach was! Dann nahm er einen Schluck Bier

Weiß nicht, wer das gesagt hat: Wenn man aus der Vergangenheit nichts lernt, braucht man sich nicht über die Zukunft zu wundern.

Besonders aussagekräftig ist das Metzger-Motiv (welches angenehm sachlich präsentiert wird):

Beste Stück vom Schwein, sagt mein Großvater, mein Opa, es liegt dampfend auf der Messerschneide.
welches dann in diesem grausame Gedankengang kulminiert:
Da passt etwas nicht zusammen; die Schweine, das Schlachten, das begreife ich, das ergibt sich, eins aus dem anderen, nur das mit den Zöpfen … wir haben ihnen die Zöpfe abgeschnitten.

Am Schluss noch einmal das Motiv, wieder Alltag, aber auch ein 'Loslassen':

Der Geschmack von Fleisch ist mir vertraut geblieben. Ich mache die Sülze nicht selbst, ich kaufe sie bei einem Metzger in der Stadt. Sie schmeckt nicht so wie die von meinem Großvater, aber das muss sie auch nicht.

Normalerweise bin ich kein großer Freund von detailierten Beschreibungen, aber wenn es gut gemacht ist, ist es halt gut :)

LG,

Woltochinon

 

Kurz, das ist das Stichwort. Das Kürzen hat der Geschichte meiner Meinung nach insgesamt gut getan. Nur schade, dass ausgerechnet der Abschnitt über den erzwungenen Fronturlaub dem Streichkonzert zum Opfer gefallen ist. Wie der Vater davon erzählt, hätte gut zum Thema Verdrängung gepasst, natürlich ohne Kommentar des Erzählers.
Moin Sturek,

ich gebe dir insgesamt Recht, die Gartenszene passte besser in ein Format wie "Landleben" oder so, habe ich reduziert, ganz rausschmeißen will ich sie nicht, da ich das Symbolische m Komposter mag, und der Text ja mit dem Bild der werdenden Erde einst endete, jetzt aber eben nicht mehr, da franst das dann aus und steht da wie doof im Text rum. Da hast du unumwunden Recht. Die andere Szene mit dem Fronturlaub habe ich aus anderen Gründen gleich mitgetilgt: entweder gibt es einen Dialog über den Krieg, oder es wird geschwiegen. Da macht man sonst diese Tür auf: Warum nur über den Fronturlaub und nicht über den Rest? Das ist schwierig zu erklären, wie ich finde, und auch unglaubwürdig. Dann wird lieber durchgeschwiegen!

Ein zweiter Streichkandidat ist in meinen Augen der Tod des Vaters. Warum ist der für die Geschichte bedeutsam?
Verstehe ich. Der ist für mich wichtig, weil damit die endgültige und vielleicht einzige Informationsquelle gekappt ist. Man könnte annehmen, der Vater weiß doch noch etwas, aber er sagt es nur nicht, es bestünde die Möglichkeit, diese Quelle anzuzapfen. Das hat sich erstmal erledigt. Ich sage nun nicht; die ganze Familie weiß nicht, er könnte auch zum Onkel oder zur Großmutter gehen, aber würden die ihm mehr sagen? Ich finde, das kann man sich auch selbst erschließen. Außerdem sind das ja Fiktionen mit einem Kern Realität, man könnte auch einfach sagen: Warum nicht? Muss es für alles einen Grund geben? Darf nicht auch etwas Restgeheimnis da sein?
Was genau hat er versucht? Er hat es doch schon begriffen, also wozu noch einmal das Thema ansprechen?
Die restlichen Ideen habe ich mal umgesetzt, weil richtig. Aber hier sage ich ja klar, nein, natürlich fragt er nach. Nicht: Habe ich das richtig begriffen? Sondern: Weißt du, ob das der Wahrheit entspricht? Würdest du nicht wissen wollen, ob dein Großvater ein Kriegsverbrecher gewesen ist? Kann ich mir nicht vorstellen. Der Vater wäre doch immer die erste Anlaufstelle.
Das will überhaupt nichts besagen. Jeder trauert anders.
Ja, bei uns wurde immer viel geweint, wir haben slawisches Blut, deswegen ist dieses Nicht-Weinen bedeutsam.

Danke die für deine Zeit und deinen Kommentar, Sturek.

Gruss, Jimmy

 
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mir kommt es so vor, als ob du in dieser Geschichte ganz besonders atmosphärisch schreibst, die Sinne intensiv ansprichst. Der Beginn hat fast etwas einlullendes, von Geborgenheit und Vertrautheit, von Ritualen und Kindheit. Aber der Junge steht an der Schwelle zur neuen Schule, auch zum nächsten Entwicklungsschritt und da hinein fällt die verstörende Bemerkung des Opas. Ich sehe bei dem Opa eben auch so etwas, was sich in Auflösung befindet, so eine Altersschwäche, deshalb sagt er das plötzlich, das hat ja fast etwas von einem Schuldbekenntnis, das den Jungen überfordert und neugierig macht.
Moin Chutney,

das beschreibt meine Methode perfekt! Ist so ein wenig wie beim Fußball, italienische Mannschaften lullen ein auch immer ein und schießen dann ein Kacktor! :D Bei denen habe ich mir das abgeguckt. Nein, ich finde ja, ein Text braucht Textur, jede Geschichte sollte auch schmecken und riechen, mir ist das wichtig, auch bei anderen Texten. Nicht immer, aber wenn es das Sujet erfordert. Es ist für mich auch ein Kompliment, wenn das bemerkt wird, ich wünsche mir eine satte Textur für meine Texte. Deswegen freut mich das!

Das ist ja eine Geschichte, die mit den Zeiten spielt, dadurch soll auch ein wenig diese verzerrende Erinnern betont werden, für mich ist das so ein Limbo aus Erinnerung, Traum und Realität, das vermengt sich zu diesem Bild, ein ständiges Springen innerhalb dieser Zustände, ein wenig wie das fast klare Träumen morgens nach dem Aufwachen, wenn man kurz wieder einnickt.

Ich kann die Faszination von dem Kompost absolut nachvollziehen, das ist wie Zauberei und ich muss da auch immer wieder gucken gehen. Auch das Gewimmel von Würmern, wenn das noch so rottet und wie sich die Erde bildet. In dieser Geschichte um Leben und Tod eben auch ein starkes Bild.
Ich antworte mal auf die einzelnen selektieren Sentenzen, weil sich einiges mittlerweile wieder verändert hat und ich da nicht mehr nachkomme, wie wo und warum. Der Komposter muss in irgendeiner Art drinnebleiben, für mich ist das auch ein starkes Bild. Ich will auch nicht immer ein Text lesen, der so dermaßen nüchtern ist, dass er nicht über sich selbst hinausweist, der nur das ist, was er ist. Das kann man machen, ich mache das ja auch oft, einmal durch die Raymond Carver Machine drehen, aber der Komposter steht als Symbol für Werden und Vergehen, aus Altem wird Neues, Zersetzung, Gedeihen. Das muss auch sonst nichts erfüllen, das darf ruhig ein mysteriöses Objekt im Text bleiben.

Okay und hier gebe ich zu, habe ich auch gerätselt und bei Zöpfen erst an Frauen gedacht, das später mit dem Verhalten der Oma bei der Beerdigung zusammengebracht, aber es passte irgendwie nicht. Dass es Juden waren, macht natürlich Sinn. Die Wortwahl des Opas ist erschreckend, weil es eigentlich noch einmal entwürdigend ist. Da hat keine Auseinandersetzung stattgefunden, das bricht so aus ihm raus.
Ich will das nicht zusätzlich erklären, weil das ja das Nachdenken im weiteren Textverlauf impliziert; mir ist das auch nicht erklärt worden. Es sollte auch kein Gesinnungstext werden, das ist mir erst später aufgefallen, wie man einen solchen Text vor dem Nahostkonflikt auch lesen könnte; ich habe da eine sehr dezidierte Meinung zu, die ich aber für mich behalte. So etwas gehört nicht in ein Literaturforum. (Wir sind ja nicht der PEN Berlin, glücklicherweise!). Im Grunde kann man es so oder so lesen, der Effekt ist ein Schock, das Schockierende steht im Vordergrund, das Durchbrechen des Schweigens, eine radikale Einsicht, ganz plötzlich serviert.

Ja, vielleicht wäre da vorher ein klitzekleiner Hinweis gut, in welche Richtung man da denken könnte. Die Oma taucht hier zum allerersten Mal auf. Könnte sein, dass das Verhältnis zum Ehemann nach dem Krieg schwierig wurde, seine Taten und seine Erfahrungen hatten ihn sicherlich verändert. (Meine leibliche Oma ist damals gegangen, weil sie es nicht ausgehalten hat.)

Ich sehe das. Ich muss sagen, da habe ich lange nicht drüber nachgedacht. Die Rolle der Frauen sind immer so eine Sache, ich sehe das ein. Ich muss gestehen, die Oma auch erst nachträglich eingefügt zu haben, "die Frauen" insgesamt. Klingt ein wenig wie Zierrat, das muss ich gestehen, wo ich das jetzt selbst lese und schreibe, ist mir fast peinlich. Ich überlege, ob ich noch eine Szene einfüge, wo ich eventuell einen Dialog mit der Mutter oder der Oma darstelle, es darf sich nur nicht so forciert anfühlen. Aber ja, unumwunden, das ist ein sehr oder eher männlicher Text, das ist wohl richtig so.

Ich finde dieses Thema 2. Weltkrieg, die Rolle der Groß - inzwischen ja Urgroßväter und seine Folgen in den Generationen danach immer noch wenig in den Köpfen, wenn es um die eigene Familie geht, das geht bei vielen über ein "Opa war bei der Flak" nicht hinaus. Und noch einmal ganz besonders, wenn es darum geht, was das für das eigene Leben bedeutet. Insofern auch ein wichtiger Text, der, zumindest bei mir, allerhand anklingen ließ.

Das finde ich auch. Ich habe nachgeforscht, und es ist einfach so, das ist jetzt persönlich, mich hat das alles nicht überrascht oder sonstwas. Man kann sich das auch nicht erklären, wie man dazu kommt, das ist im Grunde Wahnsinn, Irrsinn, ein immenser Abgrund. Die Lehre für mich: Menschen tun so etwas. Da bin ich ausgesprochener Kulturpessimist, der Mensch ist eine Spezies des Soll-Zustands, nicht des Ist. Gelernt haben wir als Gesellschaft offensichtlich nur sehr wenig, und ich glaube, uns stehen kaum bessere Zeiten bevor.

Chutney, danke dir für deine Zeit und deinen sehr guten Kommentar, den Rest pflege ich bei weiteren Überarbeitungen nach und nach ein!

Gruss, Jimmy

 

Lieber @jimmysalaryman ,

ich mag das, dass man deine Geschichte in einem Zug runterlesen kann, sich nirgendwo ausgebremst fühlen muss, weil alles in einem Fluss, in einem Guss ist. So auch hier. Man kommt schnell in die von dir geschildete Szene hinein, spürt die Atmosphäre und schaut deinen Protagonisten zu.
Ich habe deine Geschichte gern gelesen, auch, weil sie mich an meine Großeltern erinnerte, mein Opa auch so ein Mann war, der stets sein Taschenmesser zum Auslösen von Fleisch verwendete, wenn ich mal zu Besuch und zum Mittag dort blieb und meine Großmutter erschaffte wunderbar schmeckende Tellersülzen aus dem abgekochten Schweinekopf, die unvergleichlich besser schmeckten als jede gekaufte Sülze. Aber das weißt du ja selbst.

Der Vorgang, den du beschreibst, ist mir also überhaupt nicht fremd, habe es selbst einmal erfolgreich gewagt, so eine Sülze nachzukochen.
Ich hätte mir gewünscht, dass du den Kochvorgang bis zu seiner Vollendung durch die gesamte Geschichte laufen lässt, so quasi als roter Faden und Zusammenhalt, aber zum Ende hin driftest du weiter, was nicht stört, denn gut lesbar ist alles, was du schreibst, aber es nimmt dem Plot noch mehr seine innere Struktur.
Zum Beispiel ist mir der Tod des Vaters ein Thema, das etwas rausreißt aus dem ganzen Gefüge um den Großvater und ich fragte mich, welcher Tod hier denn das Schwergewicht bekommen sollte? Mein Vorschlag wäre, den Tod des Vaters rauszunehmen, um dem Opa dadurch mehr Raum zu geben.
Überhaupt mäandert mir deine Geschichte etwas zu sehr hin und her, sie bleibt zwar vom Erzählstil hier in einem ruhigen Fluss, aber ich liebe nun mal gute Plots und bin natürlich während des Lesens immer auf der Suche danach.

Bevor ich mich mit weiteren Anmerkungen anhand der Zitate weiterhangele noch kurz der Hinweis, dass ich aus Zeitgründen keine der Kritiken, die du bereits erhalten hast, gelesen habe.

sehr vertrautes für mich.
Ich würde "Vertrautes" schreiben.
. Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee.
Ich habe mich gefragt, ob du hier bewusst in der Vergangenheit schreibst, sonst ist es ja stets die Gegenwart, in der das alles spielt.
fällt mir etwas an seinen Füßen auf, sie sind unförmig, wie verdreht; ich hatte sie noch nie gesehen und konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
Krieg, sagt mein Großvater. Abgefroren.
Ich schäme mich, weil ich so ungeniert seine deformierten Füße angestarrt habe, doch ihm scheint das nichts auszumachen.
Wenn du das überlebt hast, habense dir n Orden umgehangen, Gefrierfleischorden, sagt mein Großvater und nickt. Weißt du, was wir im Krieg gemacht haben? Er nimmt einen Schluck und stellt das Glas auf einen Beistelltisch, dann sagt er: Zuerst haben wir ihnen die Zöpfe abgeschnitten, dann haben wir sie geschlachtet wie Schweine.
Hier nimmt die Geschichte etwas Fahrt auf, finde ich. Weil man sich zusammen mit dem Jungen fragt, was da passiert ist. Einerseits, was dem Großvater Schreckliches mit seinen Füssen passiert ist, andererseits was er mit dem Abschlachten der Schweine, denen zuvor die Zöpfe abgeschnitten wurden, gemeint hat. Eigentlich weiß man ja, was er gemeint hat und doch möchte man möglichst mehr darüber wissen. Hier baust du Spannung auf, während davor kaum etwas passiert und ich den roten Faden, ausser dem Sülzeherstellen, nicht so recht finden konnte.

Ach und an dieser Stelle wollte ich noch kurz bemerken, dass der von dir gewählte Titel zwar absolut passend zur Geschichte ist, aber ich finde ihn widerlich. Ich hätte ihn nicht gewählt, weil er einfach nur abtörnende Dinge anstößt. Sicherlich ist er hochinteressant und besitzt ein Alleinstellungsmerkmal, aber mir wäre es das nicht wert. Das ist aber reine Geschmackssache, nichts, was ich insoweit dann kritisiere.

Der Dunst riecht nach Fett, nach Knochenmark, nach gegartem Fleisch und Schweinestall.
Gut beschrieben. Ich hatte auch noch diesen typischen Lorbeerblattgeruch in der Nase damals. Ohne Lorbeer wurde bei Oma kein Schweinekopf gekocht.
Da passt etwas nicht zusammen; die Schweine, das Schlachten, das begreife ich, das ergibt sich, eins aus dem anderen, nur das mit den Zöpfen … wir haben ihnen die Zöpfe abgeschnitten.
Ist dieser Junge, dessen damalige Gedanken du beschreibst, 10-11 Jahre alt oder älter? Würde man in diesem Alter nicht schlichter denken? Ich meine, wenn ich versuche, mich in kindliche Gedanken zu versetzen, dass mich das mit den Zöpfen sofort interessieren würde. Wer hatte Zöpfe? Vielleicht würde ich kindliche Vermutungen anstellen? Und mehr kindklich bohren.
Zuerst frage ich ihn, ob er weiß, was der Opa im Krieg gemacht hat?
Diese Frage finde ich zu erwachsen.
Ach was, dein Opa, sagt mein Vater. Also nein, das nennt man Demenz, ja? Das ist dann so, das ist gar nicht richtig wahr. Der weiß manchmal nicht mehr, was er da eigentlich von sich gibt.
Super Antwort, man spürt förmlich, wie der Vater versucht, abzuwiegeln.
Bei der Trauerrede hieß es: Liebevoller Vater von sechs Kindern.
Der ansonsten fehlerfreie Text, Respekt dafür, könnte an dieser Stelle noch geändert werden, denn mein System meint, dass "Liebevoller" klein geschrieben werden müsste, weil kein vollständiger Satz nach dem Doppelpunkt folgt.
. Mein Vater starb kurz darauf, ganz plötzlich und unerwartet. Er starb weg, wie man hier sagt. Er ging an einem heißen Sommernachmittag aus dem Garten zurück ins Haus, legte sich zum Ausruhen auf die Couch und wachte einfach nicht mehr auf. Die Ärzte sagten, es war ein Herzinfarkt.
Ich finde diesen Absatz so tragisch, dass ich erwarte, dass dann der Vater viel mehr Gewicht bekommt in dieser Geschichte. Es ist aber gar nicht SEINE Geschichte, sondern die des Großvaters. Und weil es so ist, wird der Tod ein wenig bedeutungsloser als er es sollte. Ich würde es tatsächlich komplett weglassen, es wird der Tragik des einfach Wegsterbens überhaupt nicht gerecht. Das war doch sicherlich ein Drama.
Sie schmeckt nicht so wie die von meinem Großvater, aber das muss sie auch nicht.
Stimmt, aber wieso muss sie das nicht. Wäre eine Idee, diesen Grund nachzureichen.
Manchmal schließe ich dabei die Augen und versuche so zu tun, als hätte ich noch nie Sülze gegessen, als sei jeder Bissen mein erster.
Auch hier weiß ich nicht so genau, was für eine Idee dahintersteckt. Was soll das bei mir auslösen, welche Gedanken?
und versuche so zu tun, als hätte ich noch nie Sülze gegessen, als sei jeder Bissen mein erster.
Hier sagt mir mein Rechtschreibsystem, dass hinter "versuche" ein Komma stehen soll.
Eine Sache faszinierte mich besonders: ganz am Ende des Gartens, im Schatten einer halbhohen Backsteinmauer, stand der Komposter.
Nach einem Doppelpunkt wird der folgende Satz groß geschrieben, wenn es ein ganzer Satz ist. Das ist hier der Fall. Also "Ganz" am Ende ...


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich kann es mir nicht erklären, aber eine der besten Geschichten ist mir durchgerutscht. Ein paar Gedanken dazu:

Mein Großvater steht vor dem Herd und rührt in einem großen Topf, feuchter Dunst zieht durch das angekippte Fenster. Er schöpft mit einer Kelle Schaum ab, und erst jetzt sehe ich den Kopf, der auf dem kochenden Wasser schwimmt.
Schöner Einstieg, bildlich, atomsphärisch gelungene Einstimmung.
Skat, ich kann hören, wie sie ihre Ansage brüllen, das Klirren von Bierflaschen. Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee.
Muss noch Schnauze und Schwarte würfeln, sagt mein Großvater. Kannst mir nachher helfen.
Das Switchen zwischen den Zeiten hat mich manchmal zum Stolpern gebracht.

geschlossenen Lamellen der Rollade
Rolllade mit drei l sieht komisch aus, ist aber wohl gefordert
Bei der Trauerrede hieß es: Liebevoller Vater von sechs Kindern. Treuer Ehemann. Gläubiger Christ.
An sich ist das sehr stark, vielleicht wäre es personifiziert noch emotionaler, wenn z.B. ein Pastor das sagt
Zuerst haben wir ihnen die Zöpfe abgeschnitten, dann haben wir sie geschlachtet wie Schweine.
Ein Satz wie eine Bombe.

Um es kurz zu machen: Die Geschichte hat mir sehr gefallen, ich finde deinen Stil großartig, mit Ausnahme der Verwendung von Präsenz/Präteritum gehört es zu den besten Geschichten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Vielleicht bin ich an der story wegen des Titels vorbeigerauscht, der mich abgeschreckt hat. Aber auch der passt sehr gut!

Schöne Adventszeit wünscht

Jaylow

 

Ich hätte mir gewünscht, dass du den Kochvorgang bis zu seiner Vollendung durch die gesamte Geschichte laufen lässt, so quasi als roter Faden und Zusammenhalt, aber zum Ende hin driftest du weiter, was nicht stört, denn gut lesbar ist alles, was du schreibst, aber es nimmt dem Plot noch mehr seine innere Struktur.

Moin Lakita, sorry, dass es so lange dauert, aber ich komme zu nichts, Ende des Jahres machen wir das Fachgeschäft auch samstags auf, und ich arbeite dann quasi die ganze Woche durch, da komm ich zu nix.

Ja, wäre eine Idee, das Sülze machen als plot device zu nehmen, aber ich finde, es ist ja auch ein wenig so, denn es endet mit dem Geschmack der Sülze, die reine physische Tätigkeit, da würde ich wahrscheinlich nicht alles unter kriegen. Denke ich mal drüber nach.

Zum Beispiel ist mir der Tod des Vaters ein Thema, das etwas rausreißt aus dem ganzen Gefüge um den Großvater und ich fragte mich, welcher Tod hier denn das Schwergewicht bekommen sollte? Mein Vorschlag wäre, den Tod des Vaters rauszunehmen, um dem Opa dadurch mehr Raum zu geben.
Ja, verstehe ich. Für mich ist das ein Endpunkt, ein Symbol, dass man in dieser Richtung nichts weiter erwarten kann und sollte, das Schweigen wird nicht durchbrochen und mit dem Tod endet auch diese Brücke. Eigentlich könnte er aber auch dann die Onkel und Tanten fragen, das ist an sich also ein schwaches Argument, sehe ich gerade. Überlege ich.
Überhaupt mäandert mir deine Geschichte etwas zu sehr hin und her, sie bleibt zwar vom Erzählstil hier in einem ruhigen Fluss, aber ich liebe nun mal gute Plots und bin natürlich während des Lesens immer auf der Suche danach.
Verstehe ich nicht. Was hat das Mäandern mit dem Plot zu tun? Das ist doch eine Art Offenbarungsgeschichte, die Erzählung einer Erinnerung, die er sich selbst während des Erinnerns rekapituliert, daher sind diese einzelnen Bruchstücke schon wichtig, in meinen Augen. Vielleicht kannst du ja mal ausführen, was du genau meinst, bezüglich der Geschichte, dass du da den Plot suchst.
Ist dieser Junge, dessen damalige Gedanken du beschreibst, 10-11 Jahre alt oder älter? Würde man in diesem Alter nicht schlichter denken? Ich meine, wenn ich versuche, mich in kindliche Gedanken zu versetzen, dass mich das mit den Zöpfen sofort interessieren würde. Wer hatte Zöpfe? Vielleicht würde ich kindliche Vermutungen anstellen? Und mehr kindklich bohren.
Der ist ja nicht 10 oder 11, sondern das erzählende Ich ist älter. Das ist eine aktive Rekapitulation, ich erzähle dir eine Begebenheit aus der Vergangenheit, aber ich tue es so, als sei ich gerade dabei. Das ist eine interessante Mischform, das ist auf der einen Seite unzuverlässig ist, an was kann man sich tatsächlich erinnern?, man kann auch Leerstellen ausfüllen, ich weiß es nicht mehr?, und der Erzähler ist in dieser Stegreif-Situation, wo man auch mit den Zeiten hin und herrückt, sie vor dem inneren Augen sozusagen korrigiert. Also muss das nicht in kindlichert Sprache oder in kindlichen Gedanken verfasst sein.
Hier baust du Spannung auf, während davor kaum etwas passiert und ich den roten Faden, ausser dem Sülzeherstellen, nicht so recht finden konnte.
Naja, der Text nimmt sich Zeit und bereitet diese Spitze ja vor; man fällt doch nicht mit der Tür ins Haus, oder? Der Text ist doch als flash fiction konzipiert, da komprimiert man die Dinge eben auf das Wesentlichste, das entwickelt sich ja auch beim Redigieren, da kürzt und presst man zusehendes den Text dichter und dichter. Einen roten Faden scheint es mir hier, wie in vielen meiner Texte, eigentlich nicht zu geben, denn das ist eine Erinnerung, die ja einer gewissen inneren Logik nicht so ganz gehorcht, wie ich finde.
Auch hier weiß ich nicht so genau, was für eine Idee dahintersteckt. Was soll das bei mir auslösen, welche Gedanken?
Das ist so etwas wie der jungfräuliche Biss. Wenn er Sülze isst, denkt er unweigerlich an die vorher beschriebenen, belasteten Szenen, und er kennt ja auch den Geschmack der Sülze, die er mit seinem Großvater verbindet. Ich denke, der Wunsch etwas unbelastet zum ersten Mal zu schmecken, ist ein Wunsch nach Reinheit, um es mal so auszudrücken.
Es ist aber gar nicht SEINE Geschichte, sondern die des Großvaters. Und weil es so ist, wird der Tod ein wenig bedeutungsloser als er es sollte. I
Ja, ich sehe das auch. Ich überlege mir da etwas.

Danke dir für Zeit und Kommentar, liebe lakita!

Gruss, Jimmy

 

Lieber @jimmysalaryman ,

ich kann gut verstehen, dass bei dir in dieser Jahreszeit der Bär steppt. Hatte auch noch gar nicht mit deiner Erwiderung gerechnet. Aber nun steht sie da und ich kann mir dazu schon mal ein paar Gedanken machen.

Sicherlich wirst du verstehen, dass meine Erwiderung, die ich dir gerne gebe, noch etwas Zeit benötigt, denn ich stecke eigentlich gar nicht so arg in Weihnachtsvorbereitungen, sondern im Moment hat einer unserer Kater gesundheitliche Probleme. Das hat absoluten Vorrang. Ich melde mich also auf jeden Fall noch irgendwann. Das wollte ich kurz mitteilen.

Lieben Gruß
lakita

 

Ich mag deinen Stil, weiste ja. Diese Verknappung, das auf den Punkt erzählen, lese immer wieder gerne in deine Texte rein.

Mensch, dot, da habe ich dich fast vergessen! Sorry ey, mit meinem Kopf kannst du heute morgen Fußball spielen.

Verknappung, ja. Ich bin ja immer dafür zu haben, die Frage ist ja immer, wie man wo verknappt, damit es nicht unlesbar und kryptisch wird.

Mir dem ersten Abschnitt tauche ich gleich in jimmys Welt, der Junge im Refugium seines Opas, stolz dabei zu sein, vielleicht mit etwas ambivalenten Gefühlen, aber doch in gewisser Weise ehrfürchtig.
Und Schweinebäckchen – best meat ever!
Ja! Danke dir. Für mich ein Kompliment. Manchmal frage ich mich, ob mir das nicht selbst am Wichtigsten ist, einen Text mit tatsächlicher Textur, mit einem gewissen Feeling. Plot wird mir irgendwie immer unwichtiger, klar, muss da was passieren, aber eben nicht sonderlich viel. Wie glaubwürdig das ist, ist mir eher wichtig.
Das ist halt schon faszinierend. Gerade für ein Kind. Man wirft den Abfall weg, aber das ist nicht das Ende, das ist Nahrung für irgendwelche Käferli, die ihn zersetzen und es entsteht Wärme, im Winter dampft es sogar manchmal. Das bleibt eine starke Erinnerung. Fein beobachtet, nachvollziehbar. Mag ich.
Finde ich auch. Wir haben ja zwei, und die dampfen tatsächlich, das ist schon sehr krass, das zum ersten Mal zu bemerken, dass da was passiert.
Ich auch nicht. Ein Kniff des Autors, damit Enkel seine abgefrorenen Zehen sehen kann? :p
Könnten auch den Wollstoff unnatürlich aufbauschen. Ist jetzt aber kein show killer.
Ja, das ist wohl ein Kniff. Habe es mittlerweile nochmals anders gedreht, mal schauen, ich finde es so unauffälliger.
Bamm! So emotionslos faden grad heraus, das ist schon starker Tobak, zumal der Junge bis anhin grosse Stücke auf seinen Opa hielt.
Das mit den Zöpfen (=Juden) hab ich leider zu spät geschnallt, da war ich verwirrt wie der Junge. Nach dieser Wende sind mir auch noch so saftige Bäckchen verleidet. Ab hier hatte ich einen säuerlichen Geschmack im Mund, jeder Schnitt mit dem Messer, das fallen der Maske, die Assoziation war so stark – würg.
Ja, ich denke, so soll es auch wirken, bzw hat es auf mich so gewirkt, es ist natürlich im ersten Moment nicht durchschauber, begreifbar, verstehbar, man spürt jedoch, dass da etwas Fundamentales sich entblättert hat. Das Zusammenschneiden mit dem Fleisch und der Sülze ist ja eine bewußte Entscheidung, die Gleichheit der Tätigkeiten, die Grausamkeit, die wir nur unter einem anderen Kontext vollkommen anders lesen.
Ja, das waren aber auch verwirrende Eindrücke für einen Jugendlichen. Der über den Klee lobenden Abdankungsrede steht im verwirrenden Kontrast die regungslose (Nicht-)Reaktion seiner Grossmutter, seiner Eltern gegenüber. Das würde mich da als Enkel/Sohn auch stark interessieren, warum das so ist.
Das ist natürlich auch eine Leerstelle, man könnte da noch ausbauen, die Frage ist aber ja, wo legt man den Fokus hin? Ich habe jetzt den Tod des Vaters rausgenommen, weil es ja stimmt, das nimmt dem Text Wucht und auch Dramatik, und auch die Schärfe; ich denke ja, auf der typischen Länge einer Flash Fiction gelten auch etwas andere Regeln als bei einer "normalen" Kurzgeschichte, da muss man sich einfach etwas reduzieren im Ausmaß.
Spannend auch, dass die Erinnerung an den Grossvater scheinbar den grösseren Stellenwert hat, als den zu seinen Eltern. Aber vielleicht lese ich das auch fälschlicherweise aus der Schlussszene heraus, da diese das Augenmerk drauf legt.
Ja, jetzt wo der Vater ganz raus ist, liest man das vielleicht nochmals ganz anders, ich finde es so, in der aktuellen Variante, eigentlich besser, es wirkt näher, das Essen der Sülze, der jungfräuliche Biß, kommt klarer raus, wirkt präziser, hat mehr Deutlichkeit, wie ich finde.

Lieber Jimmy, ich hab's gern gelesen, na ja, du weisst, wie ich gern in diesem Zusammenhang meine. Ernstes Thema, dass du hier wieder angefasst hast. Wir erinnern uns mit dem Älterwerden lieber an die schönen Dinge, gell? Doch sollten die Gräultaten nicht zu stark verblassen, um weiterhin die Lehren daraus zu ziehen. Schnell ist es passiert, und die Geschichte wiederholt sich.
Ja, vielen Dank, dot, gern liest man so was nicht, aber ich hoffe, man liest es dennoch gerne, weil es hoffentlich gut gemacht ist! Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss, Jimmy

 

habe deinen Text immer wieder mal gelesen, durch die Kürzungen hat er gewonnen.
Ein Absatz, die 'Gartenszene' ist mir noch zu viel Beiwerk.
Moin Wolto,

ist ja gekürzt, ganz trennen mag ich mich nicht, das hat zuviel Symbolgehalt, wie ich finde.

Ist 'Mehlbauer' ein regionaler Begriff? Mir ist nur 'Getreidebauer' geläufig.
Ja, hier schon.
Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee. Warum hier die Änderung der Zeit?
Das ist Absicht, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Er erzählt sich das, rekapituliert das, und im Mündlichen macht man das oft unbewußt, dass man eine bekräftigende Aussage in einer andere, der korrekten Zeit wiedergibt, wie so ein Mantra.
Eine ansprechende, etwas schwermütige Geschichte. Ein einfaches Leben, mit Skat, der Konzentration auf das Wesentliche des Alltags – eigentlich kann man doch zufrieden sein (der Fußballverein wird schon nicht absteigen). Trotzdem spürt man, dass da im Verborgenem noch etwas lauert. Und letztlich beiläufig kommt das Unausgesprochene ans Licht, bis es wieder heruntergespielt wird:
Ja, danke dir. Ich weiß nicht, schwermütig? Wie definierst du das? Ich finde, die ist vielleicht etwas nostalgisch, wobei das ja kontrastiert mit der Gegenwart. Ich denke, ich weiß aber, was du meinst.
Besonders aussagekräftig ist das Metzger-Motiv (welches angenehm sachlich präsentiert wird):
Danke dir! Ich bemühe mich.
Normalerweise bin ich kein großer Freund von detailierten Beschreibungen, aber wenn es gut gemacht ist, ist es halt gut
Ich denke, manche Dinge müssen und sollten auch exakt beschrieben werden. In der präzisen Beschreibung, oder aus dieser heraus, entsteht für mich auch eine eigene Poetik, Poesie sogar, wenn man dann es hinbekommt, dass die reine Deskription über sich selbst hinausweist und eine solitäre Gültigkeit zugesprochen bekommt, Wahrhaftigkeit, Klarheit.

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @jimmysalaryman ,

endlich hab ich den Kopf frei und kann den Text mit Genuß lesen, was ich schon vom ersten Reinschauen nach Einstellen erwartet hab. Es gibt Texte, die mag ich nicht mit Hektik lesen.

Mein Großvater steht vor dem Herd und rührt in einem großen Topf, feuchter Dunst zieht durch das angekippte Fenster.
Kein Gedöns zum Einstieg, passt sehr gut, mit einem Satz den Text verortet. Gefällt mir enorm gut, wie du alles so ruhig erzählst und doch hat man den Eindruck von einem Vortex, und als der auftaucht (auch an der passenden Stelle), ist es dieses Fiese, Leise, kein dramatischer Knall mit Trommelwirbel.
Klasse, total angemessen, alles klingt (wie Hanniball mal sagte) so 'nebenbeiig', aber es ist das Nebenbeiige der Figuren, nicht des Autors, auch passend zum Grundthema, echt schön gemacht.

Ach ja: vom Klang her fände ich schöner: zieht durchs Fenster. Soweit ich weiß, ist das immer noch Standard.

Beste Stück vom Schwein, sagt mein Großvater, mein Opa, es liegt dampfend auf der Messerschneide. Ich entstamme einer Familie von Mehlbauern und Metzgern, der Geschmack von Fleisch ist etwas sehr vertrautes für mich.
Sagt er 'beste' wegen einem leichten Dialekt, oder fehlt ein -s?
Tolle Szene, ich kann mich da durchaus wiederfinden, weil meine Großmutter (ich wuchs mit ihr und meiner Mutter im Haushalt auf) auch unglaublich gut kochte, und es ein nicht immer gewährtes Privileg war, vom rohen Kuchenteig oder aus dem Topf kosten zu dürfen.
Schön, dass diese Szene etwas Vertrauliches zeigt, aber nicht zu eng, nicht zu nostalgisch. Ich finde das Bild mit dem dampfenden Fleisch auf dem Messer so schön, da finde ich den zweiten Satz eher ablenkend. Es ist offensichtlich, dass der Junge Fleisch kennt und es mag, allein durch die Beschreibungen. Kommt mir als Erklärung unnötig nachgeschoben vor.

Meine Onkel
-e zu viel.
Die Frauen saßen auf dem Balkon und tranken Kaffee.
Ich hab aus Zeitgründen keinen der anderen Komms oder deine Antworten gelesen, letztere les ich gleich, also: Stand der Text mal in der Vergangenheitsform? Davon sind recht unvermittelt ein paar im Text. Dies hier und anderes muss aber eindeutig gleichzeitig mit all dem anderen Geschehen stattfinden.
Ich finds nicht groß störend, weil ich von mündlichen Erzählungen durchaus kenne, dass man spontan wechselt, wollts aber mal anmerken.

Da sind die Pflaumenbäume zu meiner Rechten, ihre Äste dünn und knorrig. Niemand weiß genau, wer sie gepflanzt hat oder wie lange sie schon dort stehen, doch sie tragen jeden Sommer Früchte, auch diesen.
Fettes würde ich kicken, weil imO der Satzrhythmus nach 'Früchte' abgeschlossen ist. Zudem ist es logisch, weil 'jeder' den aktuellen Sommer einschließt.

Eine Sache faszinierte mich besonders: ganz am Ende des Gartens, im Schatten einer halbhohen Backsteinmauer, stand der Komposter.
Ganz muss groß, weil nach dem Doppelpunkt ein vollständiger Satz folgt.

spürt man eine organische Hitze, so dicht und gleichmäßig wie die späte Glut eines Holzfeuers.
Das finde ich eine so derart schöne Beobachtung. War im Kopf beim Lesen erst dabei, das zu korrigieren - hey, Feuer ist unregelmäßig heiß - und dann sofort gesehen: Ah, Glut, klar! Hab es sehr gern, wenn man in solchen kleinen Beschreibungen genau hinschauen muss, das richtig nachfühlen kann.

Da sind die Pflaumenbäume zu meiner Rechten, ihre Äste dünn und knorrig. Niemand weiß genau, wer sie gepflanzt hat oder wie lange sie schon dort stehen, doch sie tragen jeden Sommer Früchte, auch diesen. Aus einem Teil buk meine Großmutter Kuchen, den anderen Teil gaben sie an einen Nachbarn, der in seiner Laube im Westerwald daraus Schnaps brannte. Eine Sache faszinierte mich besonders: ganz am Ende des Gartens, im Schatten einer halbhohen Backsteinmauer, stand der Komposter.
Hab das noch mal im Ganzen rauszitiert, weil es mir irre gut gefällt - Dinge, die da sind, bei denen man nicht fragt (fragen kann) seit wann, woher, von wem, und das alles aber so selbstverständlich geworden ist. Auch schön, hier ein weiteres soziales Netz zu sehen, also nicht dieses vielleicht typische: Alte Männer saufen und werden laut, und das ist so oft mit akuter Gewalt verbunden: Hier wird klar, dass es alles Leute sind, die sich umeinander sorgen und mit anderen auskommen. Auf ganz nicht-süßliche Art, nicht, ohne Konflikte zu negieren oder auszuschließen. Und jetzt noch mehr Konflikte unterzubringen (z.B. stärkere Spannungen zw. Vater und Großvater oder beider zu den Frauen), würde alles komplett aus dem Gleichgewicht bringen.

Und da, als ich vor ihm stehe, fällt mir etwas an seinen Füßen auf, sie sind unförmig, wie verdreht; ich hatte sie noch nie gesehen und konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
Krieg, sagt mein Großvater. Abgefroren.
Großes Kino, das wirkt ganz enorm lebensecht. Auch, dass das Kind erstmal ganz spontan reagiert, mit dieser Mischung aus Faszination und Abgestosseinsein und dann gleichzeitig der Gedanke: Das sollte ich vielleicht nicht denken, aber konkret verboten hat es ihm ja eigentlich keiner, weil sowas nie vorkam. Für mich enorm gut solche winzigen ambivalenten Kindheitsmomente eingefangen, die später schnell vergessen sind.

Ich mein, der war an der Flak, sagt er, deswegen hört der doch so schwer.
Dann erzähle ich es ihm, ich erzähle es Wort für Wort.
Ach was, dein Opa, sagt mein Vater. Also nein, das nennt man Demenz, ja? Das ist dann so, das ist gar nicht richtig wahr. Der weiß manchmal nicht mehr, was er da eigentlich von sich gibt.
Das finde ich extrem gut gemacht, eigentlich wie bei einer Geistergeschichte, bei der man am Ende nicht weiß, ob überhaupt etwas Paranormales passierte: Ich gehe schon stark davon aus, dass der Großvater die Wahrheit sagt und der Vater / die Familie das nie hören wollte und negiert. Aber andererseits lässt du die Möglichkeit offen, dass es auch so sein könnte, wie der Vater sagt.
Und dann ist es auch ein psychologisches Drama, weil (wenn ich weiterhin annehme, Opa redet von der Realität), weil dieses Verschweigen in die neue Generation weitergetragen wird, und der Junge steht noch vor dem Problem, dass entweder der Großvater oder der Vater lügt und das ist fies.

Sehr toll, weil das alles augenscheinlich leichtfüßig daherkommt, man aber durch diese ganzen sinnlichen Eindrücke dabei ist, die Geschichte extrem langsam zu lesen und dann eben auch diese Passage mit der nötigen Langsamkeit aufnimmt. (Klingt das konfus? Vielleicht weißt du, was ich meine.)

liebevoller Vater von sechs Kindern.
Der erste Buchstabe auch kursiv.
Ja, hier folgt kein vollständiger Satz, daher eigentlich klein, aber weil es das Zitat / Teilzitat ist, das selbst nicht ganz direkt zum Satz davor gehört, würde ich das Liebevoller großschreiben.

Tolles Ende, nicht zu forciert aufs Heute gewechselt, keine augenscheinlich gewichtigen neuen Erkenntnisse (im Sinne von: Ich fand später durch XY heraus, was der Wahrheit entsprach), sondern eine ruhige Szene, die keinen harten Bruch darstellt, die das Vergangene weiterwirken lässt. Alles erzählt über das Essen, implizit aber geht es um anderes. Finde sehr gut, dass du hier nichts erzwingst, als Autor quasi die Füße stillhälst, keine Parabel aufziehst, keine Theatergeste als Ende. Feine Sache!

Meine oben erwähnte Großmutter konnte alles gut kochen und backen, und ich hab selten was gefunden, das dem nahekommt (dann freue ich mich immer irre). Sie hat Leber mit diesen perfekt angebräunten, glasigen, halbweich/halbknusprigen süßen Zwiebeln gemacht, ohne Soße, nur mit Salz & Pfeffer und Kartoffelmus. Die Leber war samtweich und buttrig und das habe ich nie wieder irgendwo so gegessen und recht bald - nach der dritten oder vierten bitteren Schuhsohle in sonst guten Restaurants - aufgegeben zu suchen. Da docke ich also ganz extrem an den Text an.

Das Maskenrezept (hab ich nie live gesehen / gegessen, sozusagen) hab ich bei einer meiner ersten Geschichten als Humor-Horror benutzt, damals fand ich das recht eklig. Wie du es beschreibst, krieg ich voll Appetit!

Vielen Dank für den Text, tolles Thema, toll gelöst. Und unglaublich, wie kurz der Text faktisch ist, kommt mir jetzt schon im Nachklang viel länger vor.
Ich würde an deiner Stelle bis auf die kleinen angemerkten Korrekturen kein weiteres Wort mehr ändern. Auf gar keinem Fall sogar.

Dir schöne Festtage mit allem Guten, das dazugehört,
Liebe Grüße,
Katla

 

Lieber @jimmysalaryman ,

ich hoffe, dass dich der berufliche Stress alsbald loslässt und du die Weihnachtsfeiertage entspannt genießen kannst. Meist benötigt man ja doch immer ein wenig mehr Zeit, um richtig runterkommen zu können.
Im Grunde genommen könnte man ununterbrochen über das Konsum- und überhaupt Verhalten unserer Gesellschaft den Kopf schütteln. Kurz vor jeglichen Feiertagen, aber besonders vor dem Weihnachtsfest drehen wir alle nochmal auf und durch und tun so, als ob die Feiertage einen Monat lang anhalten und es in der Zeit keine Einkaufsmöglichkeiten etc. gibt. Davon ist dann deine Branche genauso heftig betroffen wie meine, weil Kunden und Mandanten erwarten, dass alle ihre Belange auf der Stelle erledigt werden und zwar noch vor Weihnachten. Als gäbe es kein Morgen. Verrückt einfach.
Aber nun zu deinen Bemerkungen zu meinem Feedback:

Mein Großvater steht vor dem Herd und rührt in einem großen Topf,
Ich zeige dir auf, an welchen Stellen mir das sozusagen Mäandern besonders aufgefallen ist. Du beginnst atmosphärisch dicht mit dem Kochen des Schweinskopfes, also der Sülzenherstellung.
Danach geht es auf eine andere Schule unten in der Stadt, und ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll.
Dann wird dieser Moment eingeflochten. Neuer Aspekt und betrifft deine Erzählfigur.
ich gehe die Treppe hinunter und stehe im Garten,
Der Garten ist auch ein neues Thema. Du könntest auch im Haus bleiben.
Aus einem Teil buk meine Großmutter Kuchen, den anderen Teil gaben sie an einen Nachbarn, der in seiner Laube im Westerwald daraus Schnaps brannte.
Die Großmutter kommt mit in die Szenerie, ohne dass sie weiter an Bedeutung bekommt. Am Ende nimmst du sie noch mit hinzu bei der Beerdigung, aber ansonsten ist sie unwichtig.
Wenn man die Hand ausstreckt und ganz nah über Kompost hält, spürt man eine organische Hitze,
Schönes Thema mit dem Kompost und übrigens mit interessanter Symbolkraft, aber neuer Aspekt oder neuer Faden.
fällt mir etwas an seinen Füßen auf, sie sind unförmig, wie verdreht;
Die Füsse kommen jetzt ins Spiel, die alle vorangegangenen Themenfäden beiseite drücken.
Wenn du das überlebt hast, habense dir n Orden umgehangen, Gefrierfleischorden,
Sie bleiben kurz Thema, um dann
Zuerst haben wir ihnen die Zöpfe abgeschnitten, dann haben wir sie geschlachtet wie Schweine.
zu dem vermutlich Kern der Geschichte vorzudringen, den(m) Kriegsverbrechen.
Ich überlege, denke nach, versuche es, aber ich werde es noch ein paar Jahre lang nicht begreifen.
Bei diesem Thema bleibst du.
Als wir wieder zuhause sind, erzähle ich meinem Vater davon.
Nimmst den Faden auf und
, aber mein Vater schüttelte wieder nur den Kopf und tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn:
behältst ihn bei bis
Mein Großvater starb kurz darauf. Er starb weg, wie man hier sagt.
zum Tod des Opas. Hier bist du also aus meiner Sicht konsequent. Mit dem Ende des Großvaters endet auch die Suche nach weiteren Informationen über sein Verhalten im Krieg.
Ich erinnere mich, dass meine Großmutter bei der Beerdigung keine einzige Träne vergossen hat.
Hier wird etwas Neues mitgeteilt, ohne es aufzulösen oder deutlich intensiver in das Thema des Opas zu integrieren. Das wirkt insoweit unfertig für mich.
Ja, verstehe ich. Für mich ist das ein Endpunkt, ein Symbol, dass man in dieser Richtung nichts weiter erwarten kann und sollte, das Schweigen wird nicht durchbrochen und mit dem Tod endet auch diese Brücke. Eigentlich könnte er aber auch dann die Onkel und Tanten fragen, das ist an sich also ein schwaches Argument, sehe ich gerade. Überlege ich.
Das hast du geändert. Freut mich.
Verstehe ich nicht. Was hat das Mäandern mit dem Plot zu tun? Das ist doch eine Art Offenbarungsgeschichte, die Erzählung einer Erinnerung, die er sich selbst während des Erinnerns rekapituliert, daher sind diese einzelnen Bruchstücke schon wichtig, in meinen Augen. Vielleicht kannst du ja mal ausführen, was du genau meinst, bezüglich der Geschichte, dass du da den Plot suchst.
Nachdem ich deine Erwiderung durchgelesen hatte, ist mir klar geworden, von welchen Voraussetzungen du ausgehst und wieso wir da nicht miteinander d'accord gehen können.

Wenn dein Text eine Biografie sein soll, dann hätte ich dir all die Vorhalte gar nicht gemacht, weil dann sämtliche Aspekte deiner Beschreibungen Sinn gemacht hätten. Sie wären einerseits dazu da, das Drumherum um die Person des Opas und vor allen Dingen des Erzählers zu schildern, um dem Leser mehr Informationen zur damaligen Zeit zu geben und auch einzelne Aspekte gezielter zu beleuchten und das mal hierhin und mal dahin driften wäre nachvollziehbarer gewesen, eben, weil es sich um die Sprengsel von Erinnerungen handelt, eben weil wir Geschehenes spotlightartig abspeichern und nicht in Form einer runden vollendeten Geschichte. Ich hätte keinen Plot gesucht, um es kurz zu sagen.

So aber deutest du an, dass du, ob fiktiv oder nicht, ist egal, eine Art Biografie schreiben wolltest und ich werde somit auf die Frage zurückgeworfen, ob das dann, auch in seiner Vermischung mit den Attributen einer Geschichte noch eine klassische Geschichte ist oder nicht. Bei deiner Gratwanderung stürzt du dann für meine Begriff zu oft in den Bereich der Biografie ab, umgekehrt wäre ein Absturz in den Bereich der Geschichte wünschenswerter.

Der ist ja nicht 10 oder 11, sondern das erzählende Ich ist älter. Das ist eine aktive Rekapitulation, ich erzähle dir eine Begebenheit aus der Vergangenheit, aber ich tue es so, als sei ich gerade dabei. Das ist eine interessante Mischform, das ist auf der einen Seite unzuverlässig ist, an was kann man sich tatsächlich erinnern?, man kann auch Leerstellen ausfüllen, ich weiß es nicht mehr?, und der Erzähler ist in dieser Stegreif-Situation, wo man auch mit den Zeiten hin und herrückt, sie vor dem inneren Augen sozusagen korrigiert. Also muss das nicht in kindlichert Sprache oder in kindlichen Gedanken verfasst sein.
Deine Erklärung, weshalb das "Kind" so erwachsen denkt, ist für mich jetzt eindeutig klarer geworden. Ich frage mich, ob ich nur zu kurz geblickt habe und somit eigene Ursache dafür bin, dass ich das so nicht von Anfang an erkennen konnte oder ob es noch eines wenigstens kleineren Hinweises des Autoren bedurft hätte, um auf den richtigen Weg zu gelangen. Ich habe das noch nicht zuende gedacht.
Einen roten Faden scheint es mir hier, wie in vielen meiner Texte, eigentlich nicht zu geben, denn das ist eine Erinnerung, die ja einer gewissen inneren Logik nicht so ganz gehorcht, wie ich finde.
Hier sprichst du meine Sorge mit der Gratwanderung zwischen Biografie und Geschichte auch nochmals an. So interpretiere ich dich. Was ich weiter oben dazu geschrieben habe, könnte also auch an dieser Stelle stehen.
Das ist so etwas wie der jungfräuliche Biss. Wenn er Sülze isst, denkt er unweigerlich an die vorher beschriebenen, belasteten Szenen, und er kennt ja auch den Geschmack der Sülze, die er mit seinem Großvater verbindet. Ich denke, der Wunsch etwas unbelastet zum ersten Mal zu schmecken, ist ein Wunsch nach Reinheit, um es mal so auszudrücken.
Danke für die Erläuterung. Ja, nun kann ich den Gedankengang auch in deinem Text erkennen. Dieses Anhängsel mit den Empfindungen des Erzählers beim Essen einer Sülze hätte auch wegbleiben können, weil ich finde, es ist alles gesagt und mit dem Tod des Opas zuende.
Ja, ich sehe das auch. Ich überlege mir da etwas.
Hast du schon.

Lieben Gruß und hab frohe Weihnachten!

lakita

 

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