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Gedanken über die Liebe
Verliebtsein bedeutet für mich, dass ein anderer Mensch auf mich große Anziehungskraft ausübt. Diese ist so stark, dass ich für eine gewisse Weile mein Leben oder Teile davon nur auf ihn ausrichte.
Neben dem alles ergreifenden Verliebtsein gibt es eines, das nur partiell ist, das nur bestimmte Teile erfasst. Das kann sich darin erschöpfen, dass man jemanden nur in bestimmten Bereichen sehr anziehend findet. Jemand hat eine erotische Stimme, in die man sich verliebt. Jemand ist so gut aussehend, dass man sich in seine äußerliche Erscheinung verliebt.
Oder jemand kann so anregend, prickelnd reden, schreiben oder sogar nur chatten, dass man sich in das verliebt, was derjenige sagt und schreibt und wie er auf das eigene Gesagte reagiert.
Dieses partielle Verliebtsein birgt die Gefahr in sich, dass man alle anderen Wesens- und Charakterzüge des Menschen miteinbezieht und durch die "rosarote Brille" gleichmäßig einfärbt, genährt von demselben Verliebtsein in nur einzelne Bereiche.
Ich nehme mich davon nicht aus, in dieser Gefahr falsch zu handeln.
Wobei ich mich sogleich korrigieren muß, denn das Wort "falsch" ist eine unrichtige Bewertung.
Als Verliebter macht man keine Fehler. Man hat gar keine Wahl.
Man kann einfach nur so handeln, wie es das Verliebtsein diktiert.
Weshalb man sich nämlich verliebt, ist so tief im Unterbewussten verborgen, dass man es vermutlich nur in seltenen Augenblick begreifen und verstehen kann.
Das Verliebtsein ist eine Art Ausnahmezustand. Es ist gefährlich sich zu verlieben, weil man mehr oder weniger intensiv den Realtitätssinn und den Boden der Tatsachen verliert.
Dennoch ist Verliebtsein ein Gefühl, das jedem Menschen wenigstens einmal in seinem Leben widerfahren sollte, weil es ein wundervolles, mit keinem vergleichbares Gefühl ist.
Es ist die faszinierende Entdeckung des anderen, den man begehrenswert und anziehend findet, ohne, dass man erklären könnte, weshalb es gerade dieser Mensch ist. Der Zauber dieses Zustandes liegt zu einem großen Teil in seiner Unbegreiflichkeit.
Die Tatsache, dass Verliebtsein auch bedeutet, sich schwach und hilflos zu fühlen, liegt daran, dass man für die Zeit des Verliebtseins die Verantwortung für das eigene Glück ausschließlich von der Beziehung zum anderen abhängig macht.
Das macht verletzlich und schwach.
Es hängt vom anderen ab, ob man sich glücklich oder unglücklich fühlt.
So lange es nicht gelingt, aus dem Verliebtsein heraus zu gelangen und wieder das Glück in die eigenen Hände zu nehmen, und sich selbst eigenverantwortlich zu kümmern, steckt das Verliebtsein in der Gefahr der großen Enttäuschung.
Denn auf Dauer ist ein Zustand von emotionaler Abhängigkeit quälend, weil er den Verliebten eingrenzt.
Auf diesen Gedanken aufbauend wird die Liebe ebenfalls wie das Verliebtsein von der Anziehungskraft und dem Begehren getragen, aber frei von der belastenden Situation, dass der andere ausschließlich für das eigene Glück verantwortlich ist.
Liebe zeichnet sich durch hinzutretende große Wertschätzung des anderen aus.
Diese Wertschätzung verfestigt und vertieft sich mit der Dauer der Beziehung, und wächst zu vorbehaltlosem Vertrauen heran.
Liebe ist also getragen von Anziehung, Begehren, Wertschätzung, Achtung, Innigkeit und tiefem Vertrauen.
In ihrer reinsten Form besitzt die Liebe nichts und niemanden. Mir fällt der Satz eines Songs von Sting ein: "if you love somebody, set him free".
In ihrer reinsten Form ist Liebe nur Hingabe an den anderen, ohne Gegenforderungen zu stellen.
Ich kann mir nur sehr wenige Menschen vorstellen, die diese reinste Form der Liebe geben können, ohne ihr eigenes Ich zu verleugnen.
Ich glaube, zur eigenen Abgrenzung vom anderen ist es unumgänglich, dass man nicht in reinster Form einen Menschen liebt.
Wir sind zu dieser liebenden, nichts vom anderen fordernden Hingabe nicht erzogen worden und müssen erkennen, dass wir letztendlich nur die Summe unserer einspurigen Erziehung und uns beeinflussenden Umwelt sind.
Ich vermute daher, dass es diese reinste Form der Liebe nicht gibt, wenngleich es gut ist, zu wissen,was Liebe als Ziel sein könnte.
Und ich bin überzeugt, dass unser menschliches Dasein nur dann einen echten Sinn erhält, wenn sich jeder auf seine Weise auf den Weg macht, dieses Ziel zu erreichen, ein Leben lang.
Vielleicht kann man diese ideale Liebe als ständiges Ringen mit sich selbst betrachten. Als täglicher Versuch, zu erkennen und zu lernen, dass jedwede Forderung an den anderen, ein Entfernen von der Liebe darstellt.
Wenn wir den Bereich der idealen Liebe verlassen, wie sieht es dann aus?
In der Wirklichkeit ist die Liebe eine sich stets verändernde Form aus allen Bereichen. Ein fließender Übergang von Verliebtsein in Liebe, von teilweisem Verliebtsein und schon teilweiser gewachsener Liebe.
Wir befinden uns deshalb manchmal in der Beziehung zu einem Menschen gleichzeitig in verschiedenen Stadien aus Verliebtsein und Liebe.
So unterschiedlich wie wir sind, so individuell wird diese Mischung sein.
Mit Sicherheit kann man sagen, dass eine Liebe erloschen ist oder nicht mehr heranwachsen kann, wenn weder Anziehung noch Begehren, weder Achtung noch Wertschätzung, weder Innigkeit noch tiefes Vertrauen vorhanden sind und sei es nur in einer abgeschwächten Form.
Nicht erwähnt habe ich, dass wir häufig diese soeben genannten Eigenschaften mit unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen verwechseln.
Der Partner wird anziehend und begehrenswert gefunden, geachtet und geschätzt, weil er etwas kann oder besitzt, das wir uns selbst sehnlichst wünschen, woran wir in unserem Leben stets Mangel gelitten haben.
So wünschen wir uns vielleicht einen Partner der Halt gibt, weil wir selbst unsere Bodenlosigkeit nicht beseitigen können. Wir begehren einen Partner, der uns begehrenswert finden soll, weil wir selbst keine Achtung für uns aufzubringen vermögen. Wir bewundern, achten und begehren einen Partner vielleicht nur, weil wir unsere eigenen Defizite in ihm zu kompensieren versuchen.
Ich meine ausdrücklich "versuchen", denn je deutlicher und tiefer ein solches eigenes Defizit vorhanden ist, desto weniger ist der Partner in der Lage hilfreich zu sein. Desto mehr wird er, um die ihm wahrhaft gebührende Liebe betrogen, denn er bleibt, so lange der andere in seinen Defiziten verfangen ist, ja nur Mittel zum Zweck.
Ich wäre eine schlechte Beobachterin der menschlichen Beziehungen, wenn ich diese Gedanken nicht weiterführen würde, denn so abwertend und hoffnungslos, wie ich eben diese Form der Beziehungen beschrieben habe, treten sie in der Realität nicht auf.
In glücklicherweise vielen Fällen passen sich die Defizite wie ein Zahnrad oder Puzzle ein, in die hohlen, eigenen defizitären Stellen des anderen.
Wir suchen zum Beispiel Halt und Schutz, und finden einen Partner, dessen Selbstwertgefühl nur durch das Geben von Halt und Schutz aufleben kann.
Der Volksmund hat hierzu einen schlichten, aber deshalb nicht minder zutreffenden Satz gefunden: "Gegensätze ziehen sich an."
Für mich bedeutet das nichts anderes, als dass sich zwei Bedürftige ergänzen und zufriedenstellen können, indem sie jeweils die Sehnsüchte des anderen mit ihren eigenen Bedürfnissen stillen.
Wäre das Liebe?
Nach meiner Definition der reinsten idealen Liebe wohl kaum.
Aber mit Sicherheit wäre es Zuneigung, getragen und gestützt von nur allzu menschlichen Bedürfnissen aufgrund der eigenen Unzulänglichkeiten.
Es liegt mir völlig fern, diese Art der menschlichen Beziehung abzuwerten oder für minderwertig zu halten, weiß ich doch, dass wir Menschen nun mal aus einem nicht zu übersehenden Teil von Fehlern bestehen.
Hätten wir keine, wäre das unser größter, unverzeihlichster Fehler.
Ich glaube daher, dass es einfach nur wichtig ist, sich bewusst zu machen, in welcher Form, auf welcher Bedürfnisebene wir uns begegnen, wir verliebt sind oder gar lieben, damit es uns gelingt, ein kleines bisschen Licht in unser Gefühlschaos und Lebenschaos zu bringen.
Was ich bislang nicht erwähnt habe, aber für unerläßlich halte, ist die Eigenliebe. So lange ich mich nicht selbst lieben kann, ich mich selbst nicht schätze und achte, wird meine Bedürftigkeit ein Fass ohne Boden, denn der andere wird kaum in der Lage sein, mir immer wieder meinen Mangel aufzufüllen.
Das mag eine Weile gewiss gut gehen, aber irgendwann würde die fehlende Liebe zu sich selbst dazu führen, dass der andere nichts zurück erhält.
Ich wage die These und behaupte, dass man nur dann jemanden lieben kann, wenn man in der Lage ist, sich selbst zu lieben, so wie ich niemandem eine Sprache vermitteln kann, die ich selbst nicht spreche.
Womit sich die Frage auftut, ob man Liebe erlernen kann. Ich gestehe, dass ich darüber noch nachdenken muss.
Es fällt mir schwer, jetzt ein Schlusswort zu schreiben, um meine Gedanken nicht so klanglos abbrechen zu lassen.
Aber ich glaube, es ist nicht möglich, bei diesem Thema jemals zu einem Schluss zu kommen.
Je länger ich darüber nachgesonnen habe, was Verliebtsein und Liebe bedeuten, wie sie sich in Worte fassen lassen, desto mehr sind mir die tausendfachen Facetten deutlich geworden, die eine Beziehung zwischen Menschen ausmacht.
Ich empfinde mich mit meiner Darstellung daher unfertig und rohbaulich und noch lange nicht am Ende.
Bevor ich jedoch auf der Suche nach einer gültigen Definition für die Liebe aufhöre, im Garten der Worte zu pflügen, ein kleiner Satz noch, der bei der Beziehung zwischen Menschen genauso Gültigkeit hat, wie er in anderen Lebensbereichen wichtig ist: "Das einzige Beständige, ist die Unbeständigkeit."