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Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seelen

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23.08.2013
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Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seelen

Früher hatte Fräulein Wunsch es mit Gott. Später eröffnete Fräulein Wunsch ein Gasthaus, in dem sie heute Minuten in langen Zügen serviert und hastig Brombeerschnaps. Der Kapitän-Direktor führt mich dahin und sagt, es sei ein Stift der Ruinierten, wo sich obendrein ganz prächtig der Bart wärmen ließe.
Draußen am Kai, wo ich zur Entspannung dann und wann das Treibgut inspiziere, ist mir dieser Mann begegnet. Im Qualm der Zigaretten und beduselt von der frischen Luft erwerbe ich von ihm drei Geschichten ohne glückliches Ende.
Heute ist die Woche an ihrem letzten Tag angelangt, und wo manch einer sich die Morgenstunden im Park mit Entenfüttern vertreibt, mache ich mich auf den Weg.
Wir gehen durch dösige Felder am Rande einer Stadt, die vor Zukunft zerbröselt und bald nicht mehr sein wird. Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel.
Am Ausläufer der Fichten, unweit eines morschen Jägersitzes, krüppelt ein Häuschen vor sich hin. Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert, macht es mit zugemauerten Fenstern Front gegen die Zeit.
Der Kapitän-Direktor hüstelt in den Verschlag, die Tür fällt stumm zurück und wir treten hinein.
Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen in das Asyl der gramen Seelen. Wir tasten uns durch das Gerümpel des Vorraums, stolpern über Rollstühle und nackte Puppen, gleich flackern um die Ecke die Kerzen irre.
“Willkommen, willkommen“, raunt Fräulein Wunsch mit einem Lächeln aus Zucker, “ich lasse die Uhr dann mal laufen“, und zieht uns an den Säumen der Mäntel hinein.
Das Gesicht einer Kamee hat das Fräulein, märzjung eingefroren, nicht von einer wegwischbaren Hübschheit, bloß Schatten und Spitzen. Wir folgen.
In der Mitte des Raumes, wo es hoch ist und dunkel, hat die Gastgeberin für uns reserviert. Sie schenkt uns saphirfarbenen Schnaps ein in schnarrende Tassen, die nach Erde der Kriegsgräben schmecken, und nach blutigen Zeiten. Der Kapitän-Direktor hat sich schon umgeschaut und ist vergnügt. Er streichelt das Wucherkraut in seinem Gesicht zurecht: “Bitte schön, das Elend wie bestellt. Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.“
In einem Erker sehe ich alte Männer, über den Tisch gebeugt, fahrig tuscheln; sie rammen sich die Stirne zu Funken und wirren ihre Bärte zu einem zornigen Knäuel.
“Schuld ohne Sühne“, erklärt mein Begleiter großzügig, als sei sie seinen Lenden entsprungen, “für sie hält das liebe Fräulein das feinste Plätzchen bereit.“
Ich lausche gierig, bezahlt ist bezahlt, und dann knallt auch der Schnaps wie die Sonne.
Der Kapitän-Direktor macht es sich gemütlich, knöpft seinen Mantel auf und entwindet den Schal. Schnittig ist mein Fremdenführer gekleidet in braunen Je´taime Cord, und seine Worte sind auch in samtene Heiserkeit getunkt, die einen auf Sänften bettet.
“Das Herrchen da, zum Beispiel, ein gewisser Anton Maus, ehemals Bürokrat von Beruf“, der Kapitän-Direktor geniert sich nicht, deutet mit dem Finger auf einen Alten mit schwarzen Augen, “der hat seinen Jungen auf dem Gewissen.“
Ich trinke bedächtig, jetzt zeigt´s sich, was der Handel taugt.
Jetzt lehnt sich mein Händler nach vorne, knackt mit den Händen; sieh her, das ist meine Ware, was hältst du davon: „Die Motive von Herrn Maus waren recht ordinär. Sie verstehen, ein junges Mädchen von gerade mal zwanzig Jahren, dann noch Karriere plus Nerven und der Bengel plärrt wie besessen. Da erwürgt er den Buben in Rage, und dann heißt es Unfall. Also windet sich Herr Maus, wie er sich bloß windet. Nem Aal wäre es Scham geworden, nicht aber dem feinen Herrn. Bange ist ihm vor dem Kittchen, und dann auch noch Mord.“
Ich schau mir den Elenden an, neugierig bin ich, lässt sich ja herrlich besehen so ein armer Teufel ganz ohne Schultern, und dann aus dem Dunkeln, da braucht sich keiner zu schämen.
„Auf Fahrlässigkeit einigt man sich vor Gericht“, heißt es weiter „der Herr Advokat ist ein Bieger und Beuger von hohem Talent, falscher Eid wie gespuckt, wenn´s denn sein muss, und dann ist auch schon Schluss auf der morschen Bühne. Fünfzig Jahre ist das her.“
Wir lehnen nach vorne und trinken, stoßen an, wie zwei schwarze Berge, die sich in die Hände klatschen. Es rauscht wie blöde, bis es leer ist, mehr Edelstein schenkt die Wirtin uns ein, so fürsorglich ist das schöne Fräulein.
Und fort geht es: „Man stelle sich also vor, Herr Maus darf nach Hause, ein wenig zerknittert, aber ein freier Mann. Nun ist es dann doch nicht so einfach wie ausgedacht; mit so einem Mordchen, da schläft es sich schlecht. Was tun? Herr Maus weiß es nicht, Also trinkt er sich gram und grämlich“, flüstert der Kapitän-Direktor in seinen Bart so leise, dass ich ihm ganz eng werden muss, „bloß der Tod erbarmt sich seiner nicht, dieser Sturkopf. Nicht einmal irre zu werden, schafft es der freie Mann, da sehen Sie mal, was ein Menschchen so aushält. Fünfzehn Jahre Qual für Herr Maus, ohne Urlaub versteht sich, ohne Briefverkehr, Einzelhaft sozusagen, aber von der strengen Sorte. Da hätte manch einer gesagt, sei es drum, fünfzehn Jahr auf die Weise ist wie lebenslänglich, das Haar ist nun ergraut, der Mund voller Trümmer, mit anderen Worten, verbüßt ist verbüßt. Aber nicht so Herr Bürokrat. Die Strafe gäb´s nur im Gefängnis, daheim und im Schädel, da sei´s nicht das Wahre. Also packt Herr Maus sein Mutchen zusammen, und beschließt zu gestehen.“
An diesem Punkt halten wir, Fräulein Wunsch ist zur Stelle, lässt uns vor dem ersten Finale noch an ihrem Wunderbräu stärken, dass es sprudelt und pocht. So lässt sich ein Bürokrat vertilgen, ganz feine Küche ist das. Fremder Kummer ploppt Häppchen für Häppchen dem Kapitän-Direktor von der Zunge, und mir mundet es auch très delikat.
Und zum Dessert dann die Überraschung nach ein wenig Recken und Strecken für die Verdauung: „Schließlich steht Anton Maus, Bürokrat, auf der Matte und gesteht und gesteht. Alles gesteht er, von der Picke zur Sohle, eine Lebensbeichte legt er ab, wie sie die heilige Inquisition nicht bekam mit ihren Schergen und Feuern. Vor dem Wachtmeister schon blutet er los, wird weitergereicht an die Kommissarin, die sich wundert und wundert, von ihr an den Staatsanwalt, der die Gesetze löchrig wälzt. Und siehe da, die mausische Tragödie; die Strafklage ist ja schon verbraucht, futsch, die Tat abgeurteilt, so ist´s mit der Justiz bei uns, einmal hat man schon über Herrn Bürokraten gerichtet, noch einmal ist nicht. Wir würden ja gerne Herr Maus, aber müssen leider passen, gehen Sie lieber nach Hause.“
Schuld ohne Sühne, da sitzt sie, inmitten ihrer Schattenkameraden, einträchtig im Elend, zänkisch in Not.
Musik, Fräulein Wunsch, Musik fürs Erinnern, Tanz gegen das Vergessen. Nehmt diesen Seelen ihre Schuld nicht, denn was soll ihnen sonst noch bleiben.
Fräulein Wunsch hört. „Mit Musik kann ich nicht dienen liebe Gäste, aber sie ist auch nicht nötig. Darf ich bitten, teurer Herr Maus.“
In den Kerzenschatten, die bei Fräuleins Schritten prompt erstarren, gleitet die Gastgeberin in den Erker. Ihre Fingerspitzen legen sich sanft auf den Bürokraten, entkrümmen ihn, ziehen seine Gestalt hoch, zerreißen die Wurzeln um seine Beine. Eine rührende Szene haben wir hier. Fräulein Wunsch macht den Efeu, legt ihre Arme um den trüben Anton, schmiegt ihren Leib an den seinen, wispert und haucht, was wir nicht wissen, jetzt heißt es Tanz ohne Schalk.
Der Raum verstummt, der Schnaps versiegt. Ich sehe die fahlen Köpfe in die Mitte rücken, sehe die Weiden auf den Mauern vor Stille erschlaffen. Langsam bewegt sich das Paar, zeichnet Quadrate in Kreisen, fängt fiebrig die Blicke mit verschlossenen Augen. Der Boden ist still, das Holz ist erstarrt und wartet geduldig darauf, dass man ihm das Knarren wieder gestattet.
Kein Wirbeln, kein Swing, bloß ein trauriges pas de deux legen Maus und Wunsch auf´s Parkett, ein müder Schieber, nichts weiter, aber sollen sie doch. Und dann ist schon Ende.
Das Männchen tattert zurück auf seinen Platz zwischen den Funken und Bärten, das Holz atmet auf, die Kerzen erwachen, alles flüstert zur Decke, geschehen und gut ist, was gibt es denn noch?
Schnaps, Fräulein Wunsch, Schnaps! Von mir für mich, und bringen Sie dem Bürokraten auch ein Gläschen.
Der Kapitän-Direktor ist wieder dran, Geschäft ist Geschäft und ich hab noch Kredit.
„Und da drüben im Grellen“, fährt er fort, durch Fräuleins Brand redselig erhitzt, „in der Idiotenecke, wie manch einer so sagt, da sitzt die Sühne ohne Schuld. Sicher ist´s Ansichtssache, was man von dergleichen hält, aber ihren Reiz hat sie schon. Da haben Sie bestimmt Interesse.“
Gewiss habe ich Interesse. Die Idioten sind mir die liebsten, gebe ich zu. Hier inspiziere ich genau und sehe auf dem Boden ein mageres Dutzend im Schweigen verscharrt, im Schein einer Glühbirne ohne Schirm und Erbarmen. Männer und Frauen sind dort versammelt, an die Mauern gelehnt, von den Weiden umflochten, dass es schon kuschelt. Auch eine hübsche ist dabei, freilich dürr ist das Mädchen und ein wenig welk, aber mit Sinn in den Augen und Taille wie ein Püppchen.
Was mit ihr denn sei, lieber Kapitän-Direktor, ob sie denn Hilfe bräuchte.
„Nein, Herr Tourist, hier ist nichts zu machen, das hat das Kindchen davon, dass es die Sache mit dem lieben Gott ein Quäntchen zu ernst nimmt. Doch Sie sind schon ein wenig bekannt mit der Kleinen; Frau Maria Maus, geboren Wassilsky, Sie gestatten. Von dem toten Buben die Mutter, und selbst ein Kind Russlands. Dort haben die Leutchen es mit dem Herrn, ich weiß auch nicht warum, doch auf Kuppeln und Ikonen ist im Osten Verlass.“
Jung scheint Frau Maus, keine Spur von den siebzig Jahren, ich wundere mich, aber wundern Sie sich nicht, Herr Tourist, höre ich gleich, bei Fräulein Wunsch habe man´s nicht so mit dem Altern, wer früh käme, bliebe auch lange.
Aber das nebenbei, denn es täte nichts zur Sache, das frühe Kommen lasse sich bei Frau Maria nicht leugnen, so flockenzart sei ihr Köpfchen, von Bedeutung bliebe bloß noch der Grund.
„Und hier tritt der Herr auf den Plan“, sagt der Kapitän-Direktor und wir kippen die Schnäpse, von Fräulein Wunsch nicht vergessen.
Strunzbehaglich ist mir zumute, ich lehne mich zurück, dass es ächzt, auch das Hemd knöpfe ich auf in der trächtigen Luft. Was mir die Gestalten schon können. Gar nichts. Mögen sie schwätzen und stieren aus ihren Hasenwinkeln. Ich bezahle bar und gerecht, da gibt´s nichts zu tadeln. Und wer will einem denn die Neugierde verübeln, soll ein Mensch etwa dumm bleiben.
Aber zurück zum Herrn.
„Nun, was machen Sie bloß an der Stelle der jungen Dame“, der Kapitän-Direktor wüsste es selbst nicht, ich wette, doch er kennt die Geschichte.
„Da haben wir einen Ehemann, der aus dem frisch geflochtenen Nest flieht, und denn Buben hat er auch noch erwürgt, der Unmensch, den ersten Jungen und den einzigen, versteht sich. Fahrlässigkeit hin, Gerichtsurteil her, doch das Mutterherz weiß Bescheid. Gläubig ist Frau Maria, erzgläubig wie vom Dorf, aber der Allmächtige schweigt. Ja, wo ist denn der Allmächtige. Das sagt Frau Maus, geboren Wassilsky, niemand.“
Die Situation scheint verzwickt, da schweigen die Zweifel. Ich sehe mir die Hübsche an, wie sie da auf dem mistigen Boden mit der Wand verschmilzt, ein wenig herzzerreißend ist das schon, gebe ich zu, aber das Fräulein könnte auch mal zurückgucken. Ob die Arme nicht vielleicht ein Gläschen vom Schnaps des Hauses vertragen könne, der macht ja ganz wohlig im Bauch. Geht natürlich auf mich, frage ich den Kapitän-Direktor recht rücksichtsvoll, aber er schüttelt nur mit dem Kopf. „In der Idiotenecke gibt´s keinen Schnaps, so ist bei Fräulein Wunsch das Gesetz. Aber wir können einen trinken.“
Also trinken wir, und dann geht´s auch schon weiter.
„Leid minus Hoffnung ist gleich Verzweiflung und am Ende dieser Gleichung finden wir Frau Maria wieder, was kein Wunder ist. Da hätte ein erfahrener Mensch von festem Charakter Abgrund vor Augen, wie soll da so ein Küken schon fühlen. Also vergisst das Mädchen kurz den Allmächtigen und seine Ansprüche, packt einen Strick und geht in den Wald, gleich hier drüben vor der Tür. Man sieht ja sofort, dass das Mädchen im Ballett tanzen könnte und den Ast sucht sie auch gewissenhaft aus bei einem zähen Kiefer unweit der Lichtung. Bloß erweist sich der Strick als faul und so wird aus Frau Marias Plan dann doch nichts.“
Der Kapitän-Direktor schweigt eine Weile und ich schweige mit. Recht dumm gelaufen ist es für Frau Maria, ich denk gleich an Gott und schon zieht´s ungemütlich.
„Ja, und dann, hier spekulieren die Geister, dann meldet sich wohl der ewige Hirte bei seinem Schäfchen, und meint, so und so gehe das freilich nicht. Sie wisse ja, was er von Selbstmordgeschichten halte. Ob der Herr Frau Maria dann für ewig verdammt hat, kann man natürlich nicht sagen, zumal viele doch meinen, es sei nicht weit her mit dem Herren. Frau Maria ist dieser Meinung nun nicht, das wissen Sie ja, und so kommt es für die Arme noch ärger. Ganz benommen ist das Mädchen und dann noch die Sünde, mit ihr sieht sie für sich keinen Platz auf der Erde. Es gäb ja Verständnis, aber das will sie nicht haben. Schwäche und Schandtat, die müssen gebüßt werden, und zwar gründlich, am besten doch ewig. Und da hat Frau Maus dann Glück, Fräulein Wunschs Lokal ist ja gleich um die Ecke.“
So endet die zweite Geschichte und der Kapitän-Direktor schaut mich an, mit einem Blick zum Verlegenwerden. Ich aber schau nicht zurück, sondern habe Lust nachzudenken.
Ja, da ist wohl die Sühne und ihr fehlt wohl die Schuld, da kann man nur wenig drehen. Und dann so ganz ohne Schnaps, wer soll das bloß aushalten.
Ich will mit Frau Maus sprechen, das beschließe ich rasch, so traurig sieht das hübsche Mädchen jetzt aus und ich verstehe ja nun auch was vom Leben. Lossagen soll sie sich von dem Quatsch, lossagen, das will ich ihr raten, die Weiden zerreißen soll sie und gehen. Ob es den Herren nun gibt oder nicht, das wird doch einer verstehen nach fünfzig Jahren. Gleich auf der Stelle soll sie mir folgen, das Weitere werde ich schon in die Wege leiten. Nur bisschen aufmerksamer müsste das Fräulein noch werden, jetzt wo ich Interesse habe. So vor sich hinstarren, das sollte sie hurtig lassen, und dann machen wir es uns schön.
Es ist noch nicht Zeit, aber ich könnte schon gehen. Ich habe genug gehört und jede Menge gesehen. Wie still es bloß um uns geworden ist und die Luft wiegt grad auch recht schwer. Wären meine Beine nicht wie gebrochen, stünde ich schon bei Frau Maus oder besser noch in der Tür. Nur unter dem Tisch, da regt sich nichts, das muss wohl der Schnaps sein. Tückischer Schnaps, wenn auch von schöner Farbe, da hätte mich einer doch warnen sollen.
Wenn die Umstände mich nun aber zwingen, dann mache ich besser ruhig und höre mir die letzte Geschichte an, Geld zurück gibt’s ja nicht.
Was der Kapitän-Direktor noch für mich hätte, soll er es mir sagen, ich bin ja gespannt. Wie die letzte Geschichte denn sei, von der Schuld, von der Sühne oder vielleicht zur Abwechslung von beidem.
Fräulein Wunsch scheint ja auch aufregend zu sein, mit ihren Regeln und Schnäpsen. Wie käme denn die Wirtin zu einem solchen Lokal, davon ließe es sich doch hören.
„Ja das ist ungewöhnlich, aber Sie haben Zeit. Vom Fräulein persönlich werden Sie noch allerhand erfahren.“ Der Kapitän-Direktor wird lauter, dass es schallt, die Leute sind mucksmäuschenstill und glotzen, als gäb´s was umsonst. Fräulein Wunsch bringt noch Kerzen, tausende Kerzen in hunderten Farben, allesamt so dick wie ein Schiffstau. Immer länger wird der Raum, immer breiter, kein Ende ist mehr zu sehen, weder vorne, noch hinten. Ich blicke auf eine Stadt voller Kerzen, mit Bezirken und Straßen, mit Alleen und Plätzen, die alle flimmern und wabern, dass mich die Hast packt. Nur uns übersieht noch das Fräulein, zündet die Kerze nicht an, und so sitzen wir im Dunkeln vor den leeren Tassen.
„Die letzte Geschichte“, sagt mein Begleiter in zerplatzenden Silben, „Sie handelt von Ihnen, da haben Sie doch bestimmt Interesse.“ Die Seelen regen sich, es wird geflüstert, von Tisch zu Tisch werden die Worte weitergegeben, bis die Luft zischt, wie eine Schlangengrube.
An mir? Interesse? Na das, jederzeit. Aber da weiß ich schon alles und muss es denn hier sein?
„Ach, nur keine Scham, Herr Tourist, wir sind unter uns, bei Fräulein Wunsch hat man schon alles gesehen.“
Na wenn das jetzt so ist, dann sprechen Sie ruhig, ich habe ja nichts zu verbergen.
Da nickt der Kapitän-Direktor nun behäbig und reibt sich feste die Hände: „Sie, Herr Tourist, haben nichts zu verbergen, aber bleiben doch lieber im Dunkeln. Da trinkt sich das Schnäpschen auch wohler, und Schauen lässt´s sich viel unbeschwerter. Und die Geschichten erst, denen lauschen Sie gerne, nicht wahr? Stift der Ruinierten? Nehmen Sie mich mit Herr Kapitän-Direktor. Asyl der gramen Seelen? Was soll denn das kosten?“
Nichts habe ich mir vorzuwerfen, der schwere Blick ist nicht nötig, ich bin doch kein Gaffer, das glauben Sie mir. Soll ein Mensch etwa dumm bleiben, wo doch Dinge passieren und zwar so, vor der Nase? Helfen wollte ich doch sogar Frau Maria, wenn sie nur bisschen freundlicher dreinblicken würde. Was soll denn das Ganze, Sie haben ja Nerven.
Die Falten meines Begleiters legen sich einen Zug weicher, er streichelt über meinen Arm, lächelt auch ein wenig: „Und ich habe Verständnis, Herr Tourist, oh, ich habe Verständnis. Niemand soll dumm bleiben, wo kämen wir denn hin. Und sonst bei den Bürgern, da lebt es sich dröge, da kummert´s nur müde und kribbelt schon gar nicht. Da kann man doch mal schnuppern, wie es die anderen so machen. Ist ja wie Feuer und Wasser, weiß man doch, faszinierend ist das, wer schaut da schon weg.“
Unsinn ist das, blanker Unsinn, ob Kapitän oder Direktor, was fällt Ihnen ein. Ich protestiere entschieden, Sie haben kein Recht. Behalten Sie Ihre Geschichte und das Geld schenke ich Ihnen, ich möchte jetzt gehen, wo ist hier die Tür.
„Ja, das mit dem Gehen, Herr Tourist, das wird leider schwierig, ich hab wohl vergessen, es Ihnen zu sagen. Das Tischchen, Herr Tourist, das ist für Sie reserviert, da kann man nichts machen.“
Der Kapitän-Direktor steht auf, seine Zeit ist zu Ende, er packt auch den Stuhl ein, jetzt ist das Tischchen nur mir.
„Ich sag Ihnen Tschüss, aber Sie haben keine Eile. Schauen Sie sich ruhig noch um. Die Wirtin ist ganz reizend, am Schnaps soll´s nicht mangeln und machen Sie sich keine Sorgen, die Kerze bleibt aus.“
Er verschwindet im Schatten und ich bleibe alleine, sitze betrunken im Dunkeln, und hoffe jetzt bloß, dass Fräulein Wunsch mit mir tanzt.

 

Guten Morgen!

Ich erlaube mir als Leser nicht als Textkritiker ein Urteil abzugeben:

Einfach nur WAU! Hat mich persönlich sehr beeindruckt!!

LG Andorra

 

Hallo randundband

Lustig und hintergründig fand ich Deine Geschichte aus dem Vorraum, na ja von was eigentlich, der Hölle, der Sinnentleerung oder dem Nichts, je nachdem was ein Leser glaubt. Es lehnt sich in seiner abstrusen Darlegung direkt dem Théâtre de l'Absurde an, einem Genre, das eine grosse Herausforderung darstellt. Jarry hatte einen Grundstein gelegt, Ionesco, Genet und andere füllten die leeren Räume. Vor diesem Hintergrund füllte sich mir das Bild im Gasthaus, aus dem es kein Heraustreten mehr gibt.

Die Zusammenfügung des Geschehens hat mir gefallen, dennoch stutzte ich an einigen Stellen, da mir die Sinndeutung in manchen Passagen unzugänglich erschien. Manche Wörter wirkten auf mich dann eher wie Verlegenheitslösungen, was es ja nicht sein sollte. Doch möglicherweise gelang es mir an diesen Stellen nur nicht Deiner Intention zu folgen, die Brückenbildung zum Kontext zu erkennen.

Eine ungewollte Sinnentstellung, und nur diese erschien mir als Tippfehler, hast Du wohl im nachgeführten Satz eingebracht:

Man sieht ja sofort, dass das Mädchen im Ballett tanzen könnte und den Ast sucht sie auch gewissenhaft aus bei einem zähen Kiefer unweit der Lichtung.

einer

Ich finde es toll, dass Du Dich an ein solches Stück gewagt hast, und habe es gern gelesen. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin randundband,

schnell zwischen den Jahren über ein paar Geschichten gescrollt und bin dann über deine gestolpert. Gestolpert im besten Sinne.

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen - ja besonders dein Schreibstil (ich erinnere mich, schon was anderes von dir gelesen zu haben, wo es mir ähnlich ging). Das ganze ist irgendwie dunkel, trostlos, dann wieder bunt, fabu- und nebulös und macht einfach Spaß zu lesen.

An manchen Stellen freilich überlädst du deinen Text mit wuchtigen Adjektiven wie:

grauklirrend

zuckerlächelnd

schwarzleer

Manchmal geht das halt auf, manchmal denke ich etwas zuviel des Guten.

Aber davon mal ab, sehr gerne gelesen.

LG

fvg

 

Hallo Andorra,
ein sehr günstiges Urteil für mich, da werde ich sicher keine Berufung einlegen.
Vielen Dank für deinen Lob, ich habe mich sehr gefreut.

Hallo Anakreon,
auch dir danke ich sehr für deine Zeit und deine Einschätzung. Théâtre de l'Absurde ... . Ich muss zugeben, das ist mir neu, da freue ich mich schon auf die Beschäftigung mit denen von dir Erwähnten. Ich wollte mit dem Text einfach mal was anderes probieren, so als kleinen Testballon von einer längeren Sache die ich gerade plane. Den Impuls, inhaltlich jedenfalls, hat mir, glaube ich, Kafka gegeben, den ich nach zehn Jahren für mich wiederentdeckt habe. Und natürlich Dostojewski, den ich eigentlich immer wieder lese.
Dass du stutzen musstest, ist natürlich nicht schön. Jetzt weiß ich leider nicht, welche Wörter den Anschein einer Verlegenheitslösung für dich hatten, aber in Verlegenheit war ich bei dem Text nicht gewesen. Da sollte schon viel Raum für Interpretation sein, aber für mich ergibt das alles nach wie vor Sinn.
Na ja, wie dem auch sei, ich habe mich über deinen Kommentar sehr gefreut. Vielen Dank.

Hallo fvg,
besten Dank für die Blumen, die nehme ich sehr gerne. Dass dir mein Schreibstil gefällt, und du dich an ihn sogar von einer anderen Geschichte erinnerst, schmeichelt mir natürlich sehr. Ich bin noch nicht sehr lange dabei und bin da noch am suchen und am probieren, aber ich denke, dass ich schon gerne auf diese Art schreiben möchte. Ich finde deinen Vergleich mit der Palette aus verschiedenen Stimmungen sehr treffend und plastisch, und ich hoffe sehr, dass es tatsächlich auf diese Art und Weise wirkt.
Die Adjektive, ja, ich verstehe dich natürlich, aber gerade mag ich jeden einzelnen von denen, und kann mich nicht so einfach davon trennen. Ich werde mir das aber auf jeden Fall nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Nochmal vielen Dank für deinen Kommentar.

Liebe Grüße an euch alle
randundband

 

Später eröffnete Fräulein Wunsch ein Gasthaus, in dem sie heute Minuten in langen Zügen serviert und hastig Brombeerschnaps.

Hallo randundband,

die Brombeere, allzumal als Snaps, hat ja mit zum Beispiel der Quitte gemein, hoffnungslos unterschätzt zu werden, was vllt dem dornigen Gesrüpp geschuldet ist und ihrem Hang als gleichsam blatta orientalis der Flora die Weltherrschaft anzustreben. Das kommt beim durchgeknallten Humiden eben nicht gerade gut an, von welchen dieser Planet ja ziemlich einvernommen ist. Dass ich dem Brombeerschnaps zunächst noch ein Verb oder so was nachgekippt sehen wollte und dann, aha denkend, keins mehr, ja, das ließ mich den Text enger an mich heranziehen ...

Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert, macht es mit zugemauerten Fenstern Front gegen die Zeit.

Yezuss, das motivierte mich noch weniger zum Wiederloslassen. Alle Achtung, randundband, alle Achtung. Ich kenne deine anderen Texte, und der hier ist mir dein Liebster (bislang). Ich möchte ihn mir noch etwas sacken lassen, so unschick das auch klingen mag, und später noch mal mit mehr Zeit genauer drauf zurückkommen.
Gruß
7

 

Hallo morlou,
jetzt bin ich aber leicht geknickt. Ich nehme dir natürlich gar nichts übel, sondern freue mich über deine ehrliche Meinung. Tut natürlich ein bisschen weh, aber klar, deswegen bin ich ja auch hier. Insofern ist es super, dass du kommentiert hast.
Es mag jetzt wirklich dein persönlicher Geschmack sein, es kann aber auch gut sein, dass ich übertrieben habe und einfach zu viel Farbe benutzt habe. Beim Schreiben ist man halt alleine und dann legt man los und meint, ach das ist hübsch, und das Bild mag ich und der Satz ist mir irgendwie zu schmucklos usw.
Es ist natürlich auch schade, dass du nicht bis zum Inhalt durchgedrungen bist, da habe ich mir schon was bei gedacht und er sollte sicher kein Beiwerk sein, aber gut, mit deiner Einschätzung muss ich jetzt leider leben.
In jedem Fall werde ich mir deine Worte durch den Kopf gehen lassen oder vielmehr zu Herzen nehmen, auch wenn sie mir gerade nicht so gut bekommen. Ich will noch abwarten, ob jemand anderes noch was zu der Geschichte sagt und dann überlege ich mir, wo man die Bilder zurückfahren kann.
Es freut mich natürlich sehr, dass du meine anderen Geschichten mochtest, die Fortsetzung folgt auch auf jeden Fall, die nehme ich in nächster Zukunft in Angriff.
Dir auch liebe Grüße und ein frohes Neues.
randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Grüß dich 7,
nach der Klatsche von morlou sind mir deine Worte echter Balsam. Gerne führe ich mit dir die Unterhaltung über vernachlässigte Schnapsbeeren fort, nachdem dieses Gebräu, schick oder unschick, erst einmal gesackt ist.
Danke aber schon mal für den Lob und bis bald.
lg, randundband

 

Hallo, das ist schon ein enormer Text.

Ich bin bisschen verwundert, dass der bisher relativ wenig Beachtung fand, der hätte deutlich mehr verdient. Dir gelingt hier etwas, was ich häufig misslungen sehe: Du schreibst den Text in einer artifiziellen Sprache. Es ist eine Kunstsprache, ein Sing-Sang. Viele Anfänger, die hier ins Forum kommen, glauben, literarische Texte müssten wie Thomas Mann klingen oder was anderes aus dem Deutsch-Unterricht, dann kriegen sie die Sprache nicht hin und die Texte zerschellen böse.

Der Text hier ist über diesen Zweifel erhaben, dieser Sing-Sang ist wirklich gut gemacht. Ich hab mich gefragt, wer dieser Kapitäns-Direktor überhaupt ist und hatte dann so eine Figur vor Augen wie Charon mit Mephisto gekreuzt. Dieses edle Parlieren. Wie die Narren bei Shakesspeare. Dass man über die schrecklichsten Dinge so höflich redet, damit nur keinem auffällt, was man für ein Lump ist.
Und da werden schon großartige Wendungen hier gefunden, find ich. Also über eine 15jährige Haftstrafe im Schweinsgallop zu parlieren und dann mit: Da hatte er nur noch Trümmer im Mund zu enden, das ist schon krass.
Dann am Ende - gut, der dritte Akt - ich hab drauf gewartet, dass im dritten Akt der Tourist sich selbst schuldig macht, dass der eine Rolle in diesem Familiendrama gespielt hat. Aber er macht sich nur schuldig, weil er sich das angesehen hat - das ist eine modernere Variante, aber erzählerisch nicht so stark, finde ich. Das ist eine sehr indirekte Schuld. Ich hab mal einen Film gesehen, da wurden diejenigen bestraft, die bei der Kreuzigung Jesu nur zuguckten, und die mussten dann bei jedem Ereignis in der Weltgeschichte zugucken - also ... das ist ja schon eine sehr christliche Geschichte auch. Mit Schuld und Sühne. Und die beiden Figuren, die dort sitzen, die sitzen wegen ihrer eigenen Gewissensqual dort. Der Tourist aber wird dahin geschickt, obwohl er ein reines Gewissen hat, da kommt dann von außen die strafende Hand und entscheidet: Da hast du dich versündigt, jetzt bleibst du hier.
Auch Frau Wunsch - und ihre Rolle in der Geschichte ist seltsam, das ist ja eigentlich nur so Prunk, nur eine Verzierung, damit noch mehr dort passieren kann.
Aber ich fand das schon allein von der Sprache und wie gut das gemacht ist, fand ich den Text sehr beeindruckend. Von der Thematik -da ist halt so ein "katholisches Weltbild drin" - diese Glaubensideen aus dem Mittelalter, die unsere Erzählkultur stark geprägt haben und sich überall wiederfinden. Ich hab von der Aussage der Geschichte her vor x Jahren mal was ganz ähnliches hier geschrieben: Raider heißt jetzt Styx. Da ist die Verpackung so weit entfernt von hier wie nur möglich, der Inhalt ist aber ganz ähnlich - ist erstaunlich.

Beeindruckender Text. Wenn's noch ein Empfehlungssystem gäbe, hätte der Text hier auf jeden Fall eine verdient. Allein schon für das handwerkliche Geschick, so eine Sprachebene zu finden und durchzuhalten. Auch wenn dieser Sing-Sang mit dem Parlieren auf Dauer schwer zu ertragen ist, finde ich, ist es doch sehr interessant, welche Register so eine Sprachebene dann aufschließt und ermöglicht. Dieses sprachliche Flanieren im Unrat anderer Leben, wenn man aus dem Salon heraus die Gosse behandelt, und dann deutlich wird, dass man selbst dort drin sitzt. Vielleicht hätte ich es - aus der Geschichte heraus - konsequenter gefunden, wenn der Charon bestraft worden wäre, nicht der Tourist. Es fällt leicht, aus der Geschichte auf den täglichen Elends-Voyeurismus zu schließen, der im Fernsehen stattfindet - dieser soziale Abwärtsvergleich (das Wort hab ich aus dem letzten Bayern-Tatort gelernt): Da sähe ich's moralisch auch lieber, die Produktionsfirma zu bestrafen, als die Leute, die am Ende vorm Fernseher sitzen.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,
was soll ich sagen, ich bin sehr geschmeichelt. Dass du die Sprache lobst, bedeutet mir eine Menge. Ich habe schon sehr viele von deinen Kommentaren mit sprachanalytischen Bemerkungen gelesen, und halte dich da für besonders kompetent, insofern freue ich mich umso mehr. Das mit der Empfehlung ehrt mich natürlich auch extrem.
Ich muss sagen, das mit dem Fokus auf die Sprache, ich habe diese Herangehensweise an eine Geschichte relativ vor kurzem für mich entdeckt, ist schon eine ganz andere Schreiberfahrung. Was sich da auf einmal für Möglichkeiten auftun, das habe ich schon sehr stark gefühlt. Man hat schon eine ganz andere Nähe zu dem Text, wenn jedes Wort sich in den Sing-Sang, wie du es nennst, einfügen soll, und dann hatte ich da teilweise auf einmal Stellen stehen, die sich wie ein Gedicht anhörten. Diesen Umstand auszubalancieren, war dann auch eine ganz neue Erfahrung für mich, aber offenbar hat sich das ja gelohnt.
Was den Inhalt anbetrifft, will ich dann auch ein paar Sätze sagen.

das ist ja schon eine sehr christliche Geschichte auch. Mit Schuld und Sühne.
Oh je. Das finde ich schon nachvollziehbar, dass man das so sehen kann, aber der Text ist, Achtung, jetzt wirds hoch philosophisch, zu einem Teil von Nietzsche inspiriert, also doch von sehr antichristlichen Gedanken. Klar, er hat seine Anschauungen vor dem christlichen Hintergrund aufgebaut, ohne ihn wäre seine Philosophie gar nicht möglich, aber in der Geschichte habe ich versucht, den Umgang mit Schuld und Sühne eher auf eine zynisch angehauchte Art und Weise darzustellen. Dabei wollte ich natürlich nicht unter den Tisch kehren, dass es in ihrer gegenwärtigen Ausprägung noch in hohem Maße christlich-jüdisch definierte Konzepte sind und dass die Menschen die in ihrem Wirkungskreis sozialisiert worden sind, sie natürlich in ihr Gewissen integrieren. Ich dachte, ich könnte diese Intention durch den zynischen, leicht sarkastischen Ton und einige Bemerkungen wie
„in der Idiotenecke, wie manch einer so sagt, da sitzt die Sühne ohne Schuld.
mit Bezug auf die Selbstmörder oder auch deutlicher mit
Ob der Herr Frau Maria dann für ewig verdammt hat, kann man natürlich nicht sagen, zumal viele doch meinen, es sei nicht weit her mit dem Herren.
u.a. reinbringen, aber dann ist es wohl nicht ganz aufgegangen.
Das Ganze sollte schon in eine nihilistische Richtung gehen, sicher mit Integration der katholischen Weltbilder usw., aber eher aus einem anderen Blickwinkel bewertet.
Ich hab mich gefragt, wer dieser Kapitäns-Direktor überhaupt ist und hatte dann so eine Figur vor Augen wie Charon mit Mephisto gekreuzt.
Ja, den Typen habe ich mir aus einer längeren Geschichte, an der ich gerade sitze, ausgeborgt, und mit Mephisto liegst du da ganz richtig. Der geht schon in Richting Archetyp Trickster, auf diesem Raum jetzt nicht mit der gesamten Ambivalenz. Dass mit Charon scheint mir auch naheliegend zu sein, aber das ist natürlich ein grimmiger Typ, während ich eher so einen pensionierten Schnapsbrenner vor Augen hatte, mit einem j´taime Cordanzug und Zigarettenetui aus Holz. Aber da wirkt wohl die andere Geschichte bei mir mit rein, das kann natürlich keiner wissen.
Auch Frau Wunsch - und ihre Rolle in der Geschichte ist seltsam, das ist ja eigentlich nur so Prunk, nur eine Verzierung, damit noch mehr dort passieren kann.
Jetzt bist du aber ungerecht zu Fräulein Wunsch. Es muss wohl wieder hoch philosophisch mit Nietzsche anfangen;). Irgendwo in der Geneologie der Moral schreibt der Typ von einer aktiven Vergesslichkeit als einer Türhüterin unseres seelischen Friedens. Da hatte ich das erste Bild im Kopf. Als Gegenstück dient ihm das Gewissen, aber das klingt schon so nach Beichtstuhl und Scheiterhaufen, und das fände ich viel zu klassisch. Also habe ich mir statt dem Gewissen eine Zwillingsschwester der Vergesslichkeit vorgestellt, die reizende Unvergesslichkeit sozusagen, in der Gestalt von Fräulein Wunsch. Ich habe dann versucht dieses Bild nicht überzustrapazieren, und subtil einzusetzen, habe dann nur an dieser Stelle
Musik, Fräulein Wunsch, Musik fürs Erinnern, Tanz gegen das Vergessen. Nehmt diesen Seelen ihre Schuld nicht, denn was soll ihnen sonst noch bleiben.
etwas klarer formuliert.
Und dann fand ich das Bild mit dem Gasthaus wo man nicht altert und nichts vergisst als eine perfekte Heim- und Wirkungsstätte für die Unvergesslichkeit. Natürlich ist das alles etwas lose zusammengefügt, aber auf keinen Fall sollte die Figur nur als Schmuck dienen.
Also über eine 15jährige Haftstrafe im Schweinsgallop zu parlieren und dann mit: Da hatte er nur noch Trümmer im Mund zu enden, das ist schon krass.
So vom Ton her habe ich mich ein bisschen an einige Figuren von Dostojewskij angelehnt. Da gibt es auch immer wieder ganz zynische, verlogene, saturierte, verdorbene Typen, die schon alle Niederungen gesehen haben, die von den Menschen nichts halten, und dann die übelsten Tragödien mit einem müden Lächeln sezieren können. Und wenn sie sich betrinken, dann gibt es Krokodilentränen und reuiges gegen die Brust schlagen. Da habe ich z.B. den Vater bei Brüder Karamasow im Kopf, ich meine, der hatte so eine ähnliche Art. Das gibts irgendwie bei den Russen häufiger. Aber soweit war der Kapitän-Direktor ja noch nicht, ich habe da jetzt versucht etwas ausgewogener zu bleiben.
Dann am Ende - gut, der dritte Akt - ich hab drauf gewartet, dass im dritten Akt der Tourist sich selbst schuldig macht, dass der eine Rolle in diesem Familiendrama gespielt hat. Aber er macht sich nur schuldig, weil er sich das angesehen hat - das ist eine modernere Variante, aber erzählerisch nicht so stark, finde ich.
Ja, das erste wäre schon klassisch, ich hab mir das auch mal überlegt, aber habe mich doch für die andere Variante entschieden. Ich habe da nicht zu viel in diese Richtung nachgedacht, aber du hast schon recht, da wäre bestimmt noch ein interessanter Twist möglich. Mir kam nur ein solcher Aufbau als zu klassisch vor, hatte da kurz den Touristen als den doch-nicht-toten Sohn im Kopf, aber da kam mir das irgendwie albern vor, bei der Schuld hätte ich dann ja nur noch die Erbsünde bemühen können, und für Richter oder Anwalt, so Graf von Monte-Christo-mäßig, war der Typ mir auch zu jung, da hätte ich auch die Geschichte ganz anders aufbauen müssen. Und irgendwie hätte man das doch auch erwartet.
Es fällt leicht, aus der Geschichte auf den täglichen Elends-Voyeurismus zu schließen, der im Fernsehen stattfindet - dieser soziale Abwärtsvergleich
Na ja, meine Lösung, du sagst es, ruft natürlich eher diese Assoziation hervor, das mochte ich wegen dem Schuss Moralin nicht unbedingt und hatte eigentlich gehofft, dem ganzen den Beigeschmack eines Betruges des Kapitän-Direktors an dem Touristen zu geben, und nicht so sehr der strafenden Hand. Aber ja, ich merke, hier bin ich mit dem Ergebnis noch nicht ganz zufrieden. Gut, dass du das sagst.
Da sähe ich's moralisch auch lieber, die Produktionsfirma zu bestrafen, als die Leute, die am Ende vorm Fernseher sitzen.
Jo, das sähe ich auch lieber, aber in dieser Hinsicht bleibt die Geschichte doch ganz realistisch, die Produktionsfirma wird ja nie bestraft.
So, ich glaube, ich habe jetzt eine ganze Menge gelabert, aber das musste irgendwie alles raus.
Ich danke dir auf jeden Fall sehr für deinen Lob, die Kritik und die Zeit.
lg, randundband

 

Hallo randundband

Das ist ein interessanter Text, den du da eingestellt hast. Ich hatte zu Beginn Schwierigkeiten mit der Sprache, gerade am Anfang fand ich einige Teile überladen, aber so wie ich sehe, hast du da bereits erste Überarbeitungen vorgenommen. Es ist besser jetzt, aber definitiv weiterhin eine Sprache, auf die man sich einlassen muss. Ja, beinahe Verse an einigen Stellen, den Eindruck hatte ich auch beim Lesen.

In diesem Fall lohnt es sich - wenn man mal die "erste Hürde" übersprungen hat, ist das wirklich eine tolle Geschichte, die du erzählst. Wenn man den gesamten Text kennt, wirkt auch der Stil authentisch - Stil und Inhalt, das geht hier Hand in Hand, beides wirkt surreal, wie der Tourist mehr und mehr in die Atmosphäre von Fräulein Wunschs Gasthaus eintaucht, so taucht man auch als Leser mehr und mehr in den Text, angezogen von der außergewöhnlichen Sprache.

Es ist einer der Texte, die mir beim zweiten und dritten Lesen viel mehr Spaß gemacht haben als beim ersten. Dieses Spiel mit "Schuld ohne Sühne" und "Sühne ohne Schuld" ist interessant, ich hab aufgrund der Wahl der Begriffe den Text auch in einem moralisch-religiösen Kontext gesehen. Aber es gibt auch Stellen, die dem widersprechen, bspw. hier:

Die Strafe gäb´s nur im Gefängnis, daheim und im Schädel, da sei´s nicht das Wahre. Also packt Herr Maus sein Mutchen zusammen, und beschließt zu gestehen.

Hier geht es nicht um eine Buße im religiösen Sinn, sondern um eine weltliche Strafe, eine Zurechtweisung. Eine übergeordnete Instanz (nicht Gott in diesem Fall), vor dem Herr Maus Rechenschaft ablegen muss, das aber jetzt nicht mehr kann. Ich habe überlegt, ob Sühne hier der passende Begriff ist, denn Sühne sehe ich hier schon:

Nun ist es dann doch nicht so einfach wie ausgedacht; mit so einem Mordchen, da schläft es sich schlecht.

Ist schwierig. Es sind zwei Aspekte hier, zum einen mit sich selbst ins Reine zu kommen, zum anderen die Bestrafung durch einen Dritten. Ich dachte erst, Fräulein Wunsch übernimmt letzteres, der Aufenthalt in ihrem Gasthaus ist die Strafe, das man irgendwann - dann geläutert - auch wieder verlassen darf. Aber du verstehst sie eher als die Unvergesslichkeit - also auch wieder als eine Art "innere" Bestrafung als eine von außen. Also geht es nicht um eine Läuterung, es geht um den Aufenthalt, der wohl niemals endet, wie auch einige Stellen suggerieren, hier zum Beispiel:

“Bitte schön, das Elend wie bestellt. Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.“

Der Kapitän-Direktor kam mir auch vor wie ein Verführer, der die Leute in Fräulein Wunschs Gasthaus lockt - zumindest manche von ihnen. Er verspricht seinen Opfern etwas, lädt sie ein zu einem Handel, der ins Verderben dieser Personen führt. Das erinnert schon an den Pakt mit dem Teufel, wobei ich das Motiv eher so kenne, dass den Leuten zunächst Gutes versprochen wird. Du drehst das hier, in diesem Fall ist der Tourist darauf aus, das Elend zu sehen, dessen Teil er dann selbst wird am Ende. Das Bild des Elends, des Zerfalls, das zieht sich auch durch den gesamten Text, gerade auch am Beginn, wo die Umgebung beschrieben ist - die Stadt zerbröselt vor Zukunft, die Natur ist tot. Das ist ein düsteres Bild, und so sind es denn auch "lahme Zeiten" - die einzige Möglichkeit, dem eigenen Elend zu entgehen, ist es, sich noch größeres anzusehen. Insofern hält der Kapitän-Direktor dem Tourist vielleicht nur den Spiegel vor die Nase, wenn er ihn in Fräulein Wunschs Asyl zurücklässt.

Das waren so meine Gedanken beim Lesen. In deiner Erklärung erwähnst du die Philosophie von Nietzsche, die mir nicht vertraut ist, von daher hab ich einige Dinge auch nicht erkannt. Aber trotzdem, der Text lädt zum Nachdenken ein, da steckt viel drin.

Insgesamt finde ich es inhaltlich eine tolle Idee, sprachlich beinahe schon ein Kunstwerk. Für meinen Geschmack gerade zu Beginn ein wenig zu dick aufgetragen, aber für das handwerkliche Können dahinter hast du meinen vollen Respekt - und, wie gesagt, es passt auch zum Inhalt. Die Geschichte würde wohl viel von ihrer Wirkung (und ihrer Magie) verlieren, wenn man sie in Alltags-Sprache erzählen würde.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups,
Vielen dank für deinen Kommentar. Ich bin gerade unterwegs und werde erst am mittwoch wieder an einen computer kommen. Dann will ich angemessen auf deinen tollen Kommentar eingehen, vom Handy aus, ist es irgendwie blöd. Auf jeden Fall schon mal vielen Dank für deine Worte.
Bis dann und lieben Gruß.
randundband

 

Nun,
da haben sich also Friedrich, Franz und Fjodor um randundband geschart, wodurch dieser außer r.u.b. geriet, oder randundband um die drei, wobei es dann mit dem Scharen eng würde, und man möchte sich nicht beschweren ob solcher literarischer Gemengelage resp. ums Ergebnis. Mir sprang noch Terry Pratchetts Tourist vom Gegengewichtskontinent unterwegs an Bord (The color of Magic), der mit seiner vielbefußten Goldkiste in schrägem Ambiente für Furor sorgt - , Touristen, ja, diese seltsamen Aliens des scheinbaren Unbeteiligt-Seins, die mit ihren langen Strohhalmen Exotisches aufzusaugen trachten - mangels eigener Zahn- und Stachellosigkeit eigentlich? Und ausgerechnet ein solcher schlappt hier durch Wunschens begehbare, zeitlose und jenseits der Endlichkeit praktizierende Seelenabgrundsgastwirstschaft auf seinem one-way-ticket.
All das kleidet sich in eine putzige, triefende, bös-lustig-knorrige Sprachgarderobe, wo ein Bild sich aus dem nächsten schiebt und schraubt, stets eine Wolke garstiger Adjektive im Gefolge, an denen ich keinerlei zu-viel oder zu-fett bemäkelte, denn das ist ja auch irgendwie Programm. Da bin ich schnell versucht mir das Ganze als animiertes Schwer-Ölgemälde zu imaginieren, haselnußbraun mit kontrastierenden, hellen Licht-Schimmern.
Das Gut und das Böse, das Leid und der Schnaps - bei Frau Wunsch ist das ja alles ein Tanz im Kerzenschein, die Moral ist hier nicht zu Gast bei denen mit ohne Schuld, aber auch nicht die Verdrängung, und was da auf den Seelen lastet, das lastet eben, so soll's sein: Prost! (Wobei mir die Idioten allerdings denn doch leid tuen, aber was ist schon perfekt).
Das ist alles in allem mal ein unvoreingenommenes Jenseits, genau: antichristlich, und ob es nun recht und gerecht sei, zu allem Ungemach den depperten Touristen dazubehalten, der doch selber gar keine originäre Markanz mit hineinbringt, je nun, wenn's eine Kerze spart ...

Ich hab mich jedenfalls am "singsang" gelabt und bin auf diesem Ticket sehr gern eingekehrt. (Übrigens ohne einen saphirfarbenen Schnaps verköstigt zu haben, welchem Umstand ich wohl auch verdanke wieder wohlbehalten zurückgekehrt zu sein)

Well done, randundband,
Gruß
7miles

 

Nem Aal wäre es Scham geworden, nicht aber dem feinen Herrn,
& ich streiche mir das Wucherkraut in meinem Gesicht zurecht

Außerrandundband!

Dass mir Deine poetische Sprache gefällt, hab ich schon mal geflüstert und brauch ich nicht zu wiederholen. Aber hier setztu nochmals eins drauf, find ich – auch im Inhaltlichen. Ohne, dass ich es nacherzähle – das überlassen wir der Schulbehörde, Schuld ist mit dem Gebrauch der Erbsünde zu einem lang-andauernden Zustand geworden, mag nun einer ein Vergehen oder eine Missetat begangen, vielleicht auch nur eine Rechnung nicht beglichen haben. Ja, rechtlich ist sogar das Unterlassen ein Tun, dass das Zeug zur Schuld trägt (Stichwort: „unterlassene“ Hilfeleistung). Wer wollte da sagen, dass er ohne Schuld sei? So steht denn jede arme Seele (incl. der, die sich zum Richter erhebt) – wie sie sich auch wende - in einem Schuldverhältnis zum Gläubiger/-n, und wäre der Stigmatisierte auch nur in einem Tauschgeschäft, von dem jeder sich zuvor seinen Vorteil versprach, übern Tisch gezogen worden und damit der Unterlegene im ach so freien Wettbewerb.

Käme aber eine Seele als Tourist ins Himmelreich, wäre das die reale Chance der Widerkehr/-geburt. Aber – um auch Fritz N. zu streifen – es wäre schlimmer als die Summe aller TV- & IT-Programme ohne Nachsicht für die Kurzsichtigen und Blindschleichen. So verstehe ich des Frl. W. Zufluchtsstätte als das Haus jenes unbekannten höheren Wesens, das wir nach den Worten Dr. Murkes alle verehren - ob einer glaube oder nicht, und vermeine das weitgestreckte Zirkuszelt, pardon, Himmelszelt über den armen Seelen zu erkennen, wenn

[z]u ihren Füßen […] die Grashalme [sich verneigen und bibbern knechtisch], der Rest ist tot.
Nein, Gras ist viel zu stolz, sich zu verneigen! Es verneigt sich nicht vor Füßen, sondern wird niedergetreten, um sich hernach wieder aufzurichten (so meint auch Väterchen BB. Und selbst, wo kein Gras mehr wächst, kehrt es irgendwann wieder - noch vor den Hölzern. Das aber wäre dann eine andere Geschichte.

Paar Anmerkungen (Frage- und Ausrufezeichen könnten vllt. häufiger genutzt werden, auf gelegentlich eigenwillige Kommasetzung will und brauch ich nicht einzugehn, bis auf eine Stelle - kommt sofort! – sinds Regie- und Atemanweisungen.) Die Stelle hier mein ich:

Geschichten habe ich meinem Fremdenführer abgekauft, ein properes Geschäft in lahmen Zeiten, plus die Stimmung als Häubchen.
Die Präposition „plus“ kann Dativ, Akkusativ und – wenn auch selten – den Genitiv zur Folge haben – in dem Fall will mir aber das „plus“ als Konjunktion im Sinne einer bloßen Addition
… ein properes Geschäft [… + …] Stimmung [(Nominativ) …]
erscheinen, also besser ohne Komma, wie dann im folgenden Satz bestätigt
… Jahren, dann noch Karriere plus Nerven und …
und auch in der Umkehrung
Leid minus Hoffnung ist gleich Verzweiflung

Zweimal leuchtet eine kleine Nachlässigkeit auf, nämlich hat sich hier ein n zu viel eingeschlichen
… Nest flieht, und den[…] Buben hat er auch noch erwürgt, …
das man bequem hier spendieren kann
Die Motive von Herr[n] Maus waren recht ordinär

Wie immer gern gelesen vom

Friedel,
der noch’n gutes neues Jahr wünscht, bevor’s wieder rum ist!

 

Hallo Schwups, 7miles und Friedel,
tut mir leid für die späte Antwort, hatte in den letzten Tagen einfach keinen Zugang zu einem Computer.

Lieber Schwups,
ich habe mich sehr gefreut, wieder einen Kommentar von dir unter meiner Geschichte zu sehen, das ist jedes Mal sehr angenehm zu lesen, wie intensiv du dich mit einem Text auseinandersetzt und wieviele Gedanken du dir machst. Dass es dir gefallen hat, und du es sogar drei Mal gelesen hast, freut mich da umso mehr.

Ich hatte zu Beginn Schwierigkeiten mit der Sprache, gerade am Anfang fand ich einige Teile überladen, aber so wie ich sehe, hast du da bereits erste Überarbeitungen vorgenommen. Es ist besser jetzt, aber definitiv weiterhin eine Sprache, auf die man sich einlassen muss.
Ja, ich glaube, so wird es vielen gehen, gerade dieses Adjektivlastige kann ziemlich nerven. Hier auf der Seite lese ich sehr häufig, man soll das nüchterner machen, die Sätze klarer gestalten, mit Beschreibungen sparsamer sein. Das ist irgendwie eine der Grundregeln, die man so hört. Ich habe mir mal vor paar Monaten ein Buch gekauft von Wolf Schneider, das auch angefangen zu lesen, und da steht absolut das gleiche drin. Ich weiß jetzt nicht, ob das halt die aktuelle Art zu schreiben ist, aber es ist definitiv nicht die einzige, die funktioniert. Ich lese auch eine Menge Zeugs, das ganz anders aufgebaut ist, grade die Sachen auf Russisch sind ziemlich adjektivlastig. Ich denke, wenn man stark mit Adjektiven arbeitet, dann müssen es halt besondere sein. Ich habe gerade ein Buch weggelegt, das ist von Sibylle Lewitscharoff, die Frau hat letztens den Georg Büchner Preis dafür gewonnen - weiß nicht, ob du sie kennst, ich kannte sie jedenfalls vorher nicht - jedenfalls hat mich das thematisch sowas von überhaupt nicht gepackt, hab mich richtig gelangweilt, aber was die Frau sprachlich drauf hat, und was sie für sprühende Adjektive raushaut, das hat mich echt fast bis zur Hälfte des Buches getragen. Sehr beeindruckend.
Okay, ich merke, ich schweife total ab, aber als ich so seit meiner letzten Geschichte beschlossen habe, erstmal in die Richtung zu gehen, mit mehr Bildern, mehr Adjektiven usw., da habe ich mir viele Gedanken gemacht, ob ich das tun sollte, war schon ziemlich um die Wirkung besorgt, aber zum Glück gibt es auch einige Leute, die das gut finden. Und, das habe ich schon oben geschrieben, diese Art von Sprache hat sich für mich als eine ganz besondere Quelle für Inspiration herausgestellt, das ist schon ein ganz anderer Zugang zu einer Szene, in meinem Kopf hatte die Geschichte so etwas wie ein fiebriges Eigenleben, das auf einmal ganz neue Impulse gesetzt hat. Ja, solange das
so taucht man auch als Leser mehr und mehr in den Text, angezogen von der außergewöhnlichen Sprache.
der Fall ist, ist es doch perfekt.
Natürlich freut es mich auch extrem, dass es dir inhaltlich gefallen hat.
Dieses Spiel mit "Schuld ohne Sühne" und "Sühne ohne Schuld" ist interessant, ich hab aufgrund der Wahl der Begriffe den Text auch in einem moralisch-religiösen Kontext gesehen.
Das Thema Schuld und Sühne sind natürlich absolute Klassiker und ich finde, da kann man einiges schürfen. Ich hab mich da schon viel damit beschäftigt, und für mich sind diese Begriffe schon so stark relativiert, dass ich, das sagt 7miles sehr treffend, diese Konzepte in einen unvoreingenommenen Rahmen setzen wollte, in dem ich mit ihnen spielen kann. Mal ist es die Bestrafung im Kopf, obwohl man nur die durch eine Instanz als eine solche akzeptiert, ein anderes Mal wird die innere Bestrafung auch als eine solche akzeptiert, aber die Schuld ist hier nur eine Kopfgeburt, schließlich kann die Schuld auch bloß im Zuschauen liegen, keine richtig arge Schuld, und die Bestrafung muss durch den Betrug herbeigeführt werden. Es ist vieles auch eine Spielerei, bei Schuld und bei Sühne sind viele Herkunftsmomente möglich, das ist ja im Leben nicht anders, so richtig klare Regeln wer wann schuldig ist, wie jemand etwas zu sühnen hat, und wer darüber bestimmt, gibt es da meines Erachtens nicht, weil diese Prozesse so vielschichtig und individuell sind. Insofern soll die Geschichte auch Raum für alle Gedanken bieten.
Du drehst das hier, in diesem Fall ist der Tourist darauf aus, das Elend zu sehen, dessen Teil er dann selbst wird am Ende.
Schön, dass du das gesehen hast, das ist auch ein wichtiger Gedanke für mich gewesen.
Das Bild des Elends, des Zerfalls, das zieht sich auch durch den gesamten Text, gerade auch am Beginn, wo die Umgebung beschrieben ist - die Stadt zerbröselt vor Zukunft, die Natur ist tot.
Oh ja, dazu will ich auch was sagen. Ich bin in der letzten Zeit häufiger in Berlin gewesen, und da gibt es in der Umgebung ganz viele verlassene Areale, irgendwelche alte Villen, Fabriken, letztens war ich auf dem Teufelsberg, das ist eine verlassene NSA-Abhöranlage, die schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr benutzt wird und immer mehr zerfällt. Das war krass beeindruckend, überhaupt dieser Zerfall, diese Ästhetik des Morbiden, das ist in Berlin gerade en vogue, und ich hab mich von dieser Atmosphäre irgendwie inspirieren lassen. Und mittlerweile gibt es in Berlin auch so gut wie keine Bar, die nicht durch Kerzen ausgeleuchtet ist und in der alle Möbel vom Sperrmüll sind. Da hat sich mir das ganze Setting irgendwie aufgedrängt.
So, insgesamt Schwups, tut mir leid, wenn ich dich jetzt zugelabert habe, ich finde, da du mich in deinen Denkprozess schauen lässt, ist es an mir, das gleiche zu tun. Ich bin gerade auch sehr mitteilsam und über die eigene Geschichte kann man ja ewig quatschen.
Ich freue mich sehr über deinen Lob und die Anerkennung, die du meiner Geschichte entgegengebracht hast.
7miles, Friedel, tut mir leid, aber ich bin jetzt total müde geworden. Ich werde unbedingt versuchen, euch morgen angemessen zu antworten.
Liebe Grüße
randundband

 

Hallo 7miles,
ich habe das gerade versucht, aber ne, es wird mir nicht gelingen, in meiner Antwort den Ton von deinem Kommentar zu treffen, das ist ja auch irgendwie eine Kunstsprache, die in die Rubrik Seltsam gehört. Das verstehst du hoffentlich nicht falsch.
Und nun zum Geschäft:

Ich kenne deine anderen Texte, und der hier ist mir dein Liebster (bislang).
Das freut mich natürlich ganz besonders. Das Ziel ist ja, immer besser zu werden, es ist natürlich schwierig hier zu urteilen, da wird es ganz sicher andere geben, die mit dem Text weniger anfangen können, aber wenn man alle Texte eines Autors aus der Sicht nur eines bestimmten Kritikers beurteilt, mit dem zitierten Ergebnis, dann kann man sich tatsächlich über Fortschritt freuen. Also freue ich mich, und gebe mir natürlich Mühe, besser zu werden,
da haben sich also Friedrich, Franz und Fjodor um randundband geschart
denn wenn man diese Gesellschaft betrachtet ..., na ja, der Satz liest sich schon ein wenig hochmütig, gefällt mir aber sehr.
Mir sprang noch Terry Pratchetts Tourist vom Gegengewichtskontinent unterwegs an Bord (The color of Magic)
Leider habe ich noch nichts von dem Mann gelesen, eigentlich ist Fantasy nicht unbedingt mein Genre.
Touristen, ja, diese seltsamen Aliens des scheinbaren Unbeteiligt-Seins
Ja, ja, die Touristen, immer wieder ein begehrtes Hassobjekt. Schon bei dem Wort kann man sich der antipathischen Wirkung sicher sein. Dabei gebe ich zu, ich war auch mal Tourist, und das nicht nur einmal.
All das kleidet sich in eine putzige, triefende, bös-lustig-knorrige Sprachgarderobe, wo ein Bild sich aus dem nächsten schiebt und schraubt, stets eine Wolke garstiger Adjektive im Gefolge, an denen ich keinerlei zu-viel oder zu-fett bemäkelte, denn das ist ja auch irgendwie Programm.
Merci, merci, eine Charakterisierung, die mich außerordentlich vergnügt stimmt. Mit dieser Sprache ist es ganz sicher Geschmackssache, freut mich, dass sie deinen offenbar getroffen hat. Ich habe mal versucht, ein paar Bilder wegzunehmen, und die Adjektive zurückzufahren, nachdem ich von morlou so gerügt wurde. Das ist zwar auch ein wenig gelungen, aber als ich angefangen habe, noch mehr zu beschneiden, habe ich gemerkt, dass es nicht mehr derselbe Text war. Das wollte ich natürlich nicht.
Da bin ich schnell versucht mir das Ganze als animiertes Schwer-Ölgemälde zu imaginieren, haselnußbraun mit kontrastierenden, hellen Licht-Schimmern.
Ja, das ist perfekt, finde ich sehr treffend den Vergleich. Genau so stelle ich mir die Stimmung auch vor.
Das ist alles in allem mal ein unvoreingenommenes Jenseits, genau: antichristlich
Auch das trifft den Nagel auf den Kopf, ich habe diesen Satz auch in meiner Antwort an Schwups zitiert. Wer Schuld ist und wer nicht, wie man sühnt, und wer das sagt, das ist bei Fräulein Wunsch nicht die Hauptsache. Wichtig ist nur, dass alle eine gute Zeit haben ;) .
Also lieber 7, ich danke dir sehr für deinen feinen Kommentar, ich habe mich sehr gefreut.

Hallo Friedel,
schön, dass du wieder einen Text von mir kommentierst.

Dass mir Deine poetische Sprache gefällt, hab ich schon mal geflüstert und brauch ich nicht zu wiederholen. Aber hier setztu nochmals eins drauf, find ich – auch im Inhaltlichen.
Ja, das sollte natürlich für einen Autor, der noch frisch dabei ist, selbstverständlich sein sich zu steigern, aber ich freue mich ungemein, diese Einschätzung von dir zu lesen. Ich werde versuchen, in diesem Sinne weiter zu machen.
Ja, rechtlich ist sogar das Unterlassen ein Tun, dass das Zeug zur Schuld trägt (Stichwort: „unterlassene“ Hilfeleistung)
Wieso mit unterlassener Hilfeleistung kleckern, rechtlich ist durch Unterlassen ohne Weiteres ein Mord möglich, wenn bestimmte Merkmale hinsichtlich der Tat oder des Täters hinzukommen, und eine Garantenstellung natürlich. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wer wollte da sagen, dass er ohne Schuld sei?
Also ich kenne keinen.
So verstehe ich des Frl. W. Zufluchtsstätte als das Haus jenes unbekannten höheren Wesens, das wir nach den Worten Dr. Murkes alle verehren
Was genau Fräulein Wunsch in ihrem Gasthaus treibt, kann ich nicht sagen. Ich finde es gut, wenn man eine Erscheinung nicht genau einordnen kann, weil jede Festlegung ihre Wirkung beschränken würde. Ich finde, aus einer gewissen Ungreifbarkeit heraus entsteht erst die Magie. Aber ein unbekanntes, höheres Wesen belässt das Ganze ja auch recht unklar und tut der Sache keinen Abbruch.
Vielen Dank auch für deine Korrekturen, die werde ich gleich umsetzen.

lg an euch beide und größten Dank für eure Zeit
randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband, noch ein paar Worte drauf:

Das Ziel ist ja, immer besser zu werden, es ist natürlich schwierig hier zu urteilen, da wird es ganz sicher andere geben, die mit dem Text weniger anfangen können, aber wenn man alle Texte eines Autors aus der Sicht nur eines bestimmten Kritikers beurteilt, mit dem zitierten Ergebnis, dann kann man sich tatsächlich über Fortschritt freuen.

Ich habe mal versucht, ein paar Bilder wegzunehmen, und die Adjektive zurückzufahren, nachdem ich von morlou so gerügt wurde. Das ist zwar auch ein wenig gelungen, aber als ich angefangen habe, noch mehr zu beschneiden, habe ich gemerkt, dass es nicht mehr derselbe Text war. Das wollte ich natürlich nicht.

Ja, das Problem ist irgendwie seine eigene Unsicherheit nicht bedingngslos zu Markte zu tragen, dergestalt, den verschiedenen kritischen Töne sirenenhaft zu folgen und alles auf den Opferaltar zu packen, sprich, jedens Vorliebe entsprechen zu wollen - was hernach bleibt ist (wäre) ein Krüppel der Berücksichtigung Allens und Nichtsens. Ohne Frage sind (m.E.) Texte auch hier oftmals besser, ehe der Einfluß seiner Kritiker und Kommentatoren über sie hinweg erodieren. Das muss gar nicht bedeuten, dass die Kritik an sich etwas Verwerfliches sei, dem es auszuweichen gilt, um das Originäre des Textes zu bewahren. Nein, deshalb sind's wir ja auf der Plattform. Es ist letztlich am Textbereiter höchstselbst, Weichspüler von Inspiration zu scheiden.

Leider habe ich noch nichts von dem Mann gelesen, eigentlich ist Fantasy nicht unbedingt mein Genre.

Ich gestehe, auch keiner zu sein, dem es unbedingte Lust verschafft, durch zwanghaft zwergenhafte Gegenwelten zu schlurfen. Ich bin aber auch prinzipiell etikenttenignorant genug und der erwähnte Film war mir vor einiger Zeit einmal über den Weg gelaufen. Es war ein ziemlich sarkastischer Ritt auf dem Genre...

Und noch ein Wort zum Touristen als solchen. Deiner wandelt ja mit einer gewissen Konsumhaltung durchs Geschehen. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass dieser Typus aus innerer Armut zum Touristen wird, einfach, weil sein Dasein nach dem Seelenblut des Erlebens anderer dürstet, vampirisch nahezu, Erlebnis-Osmose sozusagen. Ich kam drauf, auch, da ich deine stachellosen Igel bzw. zahnlosen Füchse in diese Richtung verdeutete. Ich bin übrigens auch ein Tourist, aber einer aus der Not der Wurzellosigkeit.
Gruß 7miles

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich denke die Kritik hier kann nur sehr eingeschränkt einen bestehenden Text "verbessern", auf einer Satz-für-Satz-Ebene geht das sicher, aber alles tiefergehende - schwierig. Ich find das als Kritiker auch oft nicht schön, wenn ein Autor dann die Glühbirne überm Kopf hat, das Messer wetzt und 3 Stunden später mit blutigem Kittel über dem Text steht und sagt: Schmeckt's jetzt besser?

Was die Kritik hier kann, ist als Anstoß dienen, über das Schreiben nachzudenken und das bewusster zu sehen.

Kritik, die funktioniert, kann dann einen Prozess auslösen, der sich Monate später in Texten wiederfindet. Aber das muss jeder Autor natürlich mit sich selbst ausmachen. Das Auseinandersetzen mit Kritik und fremden Ideen - das kann doch nur gewinnbringend sein. Du kannst ja auch sagen: Ich hab mich damit beschäftigt und ich find's blöd, ich mach's weiter so. Oder es kommt was ganz anderes bei raus.

Die Idee: Da ist ein "naturbelassener" Autor und die Kritik kommt mit dem Regelbüchlein daher und planiert ... da macht man es sich auch ein bisschen einfach. Wer so leicht "beeinflussbar" ist und wem so sehr daran gelegen ist, möglichst ganz er selbst und unberührt und natürlich zu bleiben, der muss einen auf Caspar Hauser machen. Da wird das Forum das geringste seiner Probleme sein.

Auch von den Meinungen und den Kritikern hier zu erwarten, sich ganz auf den Autor einzulassen und ihn ganz behutsam zu behandeln, um ja nicht in irgendeine falsche Richtung zu knicken oder so: Das ist im Forum nicht drin, das geht nicht. Das ist eine Ideal-Vorstellung - da muss man sich wirklich komplett von verabschieden. Das Forum ist nicht homogen. Das muss man sich klar machen.

Wenn einer unverfälscht von der Meinung anderer bleiben möchte, aber trotzdem Feedback und Anerkennung für seine Texte möchte - das ist halt schwierig, da muss er wem die Texte geben, der veröffentlicht sie dann hier und filtert die Kritik aus.

 

Lieber randundband,
he, sag mal, was war das denn?
Ich war im Urlaub, also ist mir diese wunderliche Geschichte entfleucht, sonst hätte ich dir schon länger mal geschrieben. Und dann hast du zum Glück auf 7miles und Friedel geantwortet, sonst hätt ich was verpasst. Ich habe die Kommentare nicht gelesen nur deine Antwort. Also kann sein, es wiederholt sich was. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, denn eigentlich hätte ich die Wohnung putzen müssen und jetzt vergnüge ich mich mit deiner Geschichte. Da bleibt eifach keine Zeit für so viele Kommentare.

Erst dachte ich ja am Anfang gleich mal, wunderbar dieser Titel. Das muss man ja einfach lesen: Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seele. Wer kennt denn überhaupt noch das Wort Gram und benutzt es dann adjektivisch? Einfach toll. Ich weiß nicht, vielleicht hab ich da noch so eine Geschichte wie den Weltempfänger erwartet, oder deine andereGeschichte mit dem verliebten jungen Mann, der am Gummiplatz wohnt, da habe ich ja auch schon deine besondere und sehr liebevolle Sicht auf die Dinge und die Menschen bewundert. Gt, das hane ich dann schnell gemerkt, dass es hier anders wird.
Genauso wie mit dem Titel ging es mir dann auch mit den ersten Sätzen, die sind so eigentümlich und drollig, dass ich erst dachte, du würdest mich in eine Art Alice im Wunderland führen. Dann hast du eine Nase existenzialistische Lyrik beigemischt und ich dachte schon, der randundband gerät jetzt außer ... na du weißt schon, machst halt deinem Namen alle Ehre. Und dann dachte ich nur noch, randundband, du spinnst. Und das meine ich als großes Kompliment. Denn ich muss da an so schöne getigerte Katzen denken, die an einem Kamin sitzen und die sich in ihren Katzenhirnen ganze Geschichtennetze zurechtspinnen und wenn man dann so ein Geschichtennetz liest, dann ist man auch völlig eingesponnen in die silbrigen Fädchen. Sehr sehr schön. Gefällt mir ganz wunderbar.
Ich weiß, das klingt nicht sehr konstruktiv, ich will dir nur meine Gedankengänge und die Leseeindrücke mitteilen. Es war einfach so, dass der Inhalt am Anfang sehr merkwürdig war, so dass ich sehr auf die Sprache geachtet habe. Die wurde dann sehr schnell so, dass sie mich an russische Literatur erinnert hat. Und dann irgendwann hatte mich die Geschichte auch am Kragen gepackt.
Ich glaube, das ist auch ganz normal, und das solltest du nicht als Kritikpunkt verstehen, wenn ich erst jetzt mit dem Inhalt komme. Denn deine Sprache nimmt ja schon einen sehr starken Raum ein. Das ist sehr künstlerisch gemacht. Und das gefällt mir sehr, wie du das machst. Ich finde, deine Geschichte ist ein super Beispiel dafür, wie das aussehen kann, wenn man viele Adjektive und Adverbien benutzt, und "trotzdem" toll schreibt. Das Trotzdem ist in Anführungszeichen gesetzt, weil moderne Autoren ja eher weniger Adjektive und Adverbien benutzen, manche wollen sie sogar gänzlich raushauen. Aber das ist wie immer mit den Prinzipien. Man muss sie dosieren. Und wenn man eben ungewöhnliche Adjektive wählt und nicht nur redundante, die dem Nomen keine neue oder andersartige Färbung geben, dann kann das eine ganz tolle Wirkung haben. So hast du es geschafft, die Nomen ein bisschen neuer und fremdartiger aufzuputzen und ich finde halt auch, dass es zum Thema passt und der Art, wie du an diesen Last Chance Saloon rangehst. Dein Thema finde ich sehr philosophisch. Ein Thema, einen Kerngedanken, wie sühnen Menschen, den man natürlich auch an einem Einzelschicksal aufziehen könnte. So wie du es gemacht hast, wird es allgemeingültiger und wie gesagt philosophischer. Ich fand das sehr schön, diese Trennung in den Mausmann, der schuldet ohne zu sühnen. Und dann welche, die sühnen ohne dass sie je Schuld auf sich geladen hätten. Ich fand das ist auch so ein wenig ein Spiegel auf psychologische Reaktionsmuster. Es gibt ja Leute, die sich ewig und an allem schuldig sehen, auch wenn sie gar nichts gemacht haben. Die Ecke, die ihnen in der Hölle zugewiesen wird, die Idiotenecke zu nennen, fand ich eine großartige Idee. Und dass dann der Tourist, der Kerl, der meint, er hätte mit nichts etwas zu tun, der keine schälichen Emotionen kennt, der meint, er könnte nur immer zuschauen und alles interessant finden, was die anderen so verbrechen, der also Schuld und Sühne goutiert wie einen Cocktail, dass der dann dableiben muss, ok, ich habs erwartet, finde es aber auch folgerichtig und in deiner Geschichte logisch und konsequent. Es ist ja auch ein interessanter Gedanke. Sich aus allem raushalten, nur immer zuschauen, lediglich prüfen, ob der Handel sich lohnt und man auch ganz wertfrei genug kriegt für sein Geld, keine Schuld also auf sich lädt und auch keine übertriebene Verantwortung, der, ja der kann ja keinen Fehler machen. Und das ist sein größter.

Also ich finde den Text echt toll. Er gibt mir einiges zum Knabbern auf der inhaltlichen Ebene und auf der sprachlichen natürlich auch.

Der Kapitän-Direktor führt mich dahin und sagt, es sei ein Stift der Ruinierten, wo sich obendrein ganz prächtig der Bart wärmen ließe.
Schön.
Den Teufel und seinen Ball der verlorenen Seelen so zu beschreiben, dass man sich dirt auch den Bart wärmen könnte, das ist klasse, erinnert mich an alte russische Volksmärchen, an die Sprache meiner einen Ima, die aus Lettland stammt.

Wir gehen durch dösige Felder am Rande einer Stadt, die vor Zukunft zerbröselt und bald nicht mehr sein wird. Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel. Zu ihren Füßen verneigen sich und bibbern knechtisch die Grashalme, der Rest ist tot.
Und das ist jetzt die expressionistische Stadtlyrik. Ich bin sehr überrascht, was du sprachlich alles auf dem Kasten hast. Diese Art von Sprache ist jetzt nicht so mein Ding, aber es ist echt gut gemacht. Und es passt zu den Bildern dieser Stadt ohne Zukunft, die sich ihres Schicksals gar nicht bewusst ist. Man sieht die graue und verlorene Stadtlandschaft es durch diese an Meoaphern und Personifikationen reiche Sprache. Und ich finds auch mutig, das zu machen, gerade weil heut keiner mehr so schreibt. Man schreibt ja auch nicht immer so, sondern dann halt, wenn es zu der Szenerie und dem Inhalt, den man erschaffen will, passt.

Gleich am Ausläufer der Fichten, unweit eines morschen Jägersitzes, krüppelt ein Häuschen vor sich hin. Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert, macht es mit zugemauerten Fenstern Front gegen die Zeit.
Mensch, wie machst du das nur. Ist richtig gut.


Der Kapitän-Direktor hat sich schon umgeschaut und ist vergnügt. Er streichelt das Wucherkraut in seinem Gesicht zurecht: “Bitte schön, das Elend wie bestellt. Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.“
In einem Erker sehe ich alte Männer, über den Tisch gebeugt, fahrig tuscheln; sie rammen sich die Stirne zu Funken und wirren ihre Bärte zu einem zornigen Knäuel.
Auch hier - dieser Gegensatz zwischen dem Teufel, eine starke Idee, ihn Kapitän-Direktor zu nennen, der sich vergnügt über das Elend den Bart krault, und die anderen Männer, die ihre Bärte verwüsten.

Und fort geht es: „Man stelle sich also vor, Herr Maus darf nach Hause, ein wenig zerknittert, aber ein freier Mann. Nun ist es dann doch nicht so einfach wie ausgedacht; mit so einem Mordchen, da schläft es sich schlecht.
Hier ist es wieder. Mordchen. Diese Verkleinerungsform. Das ist wie in russischen Märchen. Ich mag das sehr.

Ich könnte nich viele Stellen aufzählen. Aber leider habe ich jetzt keine Zeit mehr. Schon allein, wie du den Tanz beschreibst zwischen dem grauen Herrn Maus und dem Fräulein Wunsch. Aber du hast es sicherlich soweiso schon gemerkt, wie sehr ich den Text mag und bewundere.
Er ist wirklich voller voller Bilder. Ich finde, man kann durch die Sprachgemälde und die Rhythmik, die dein Text gewinnt, hindurchspazieren. Das hat eine merkwürdige Wirkung, so als hätte deine Art zu schreiben und die Sätze und Sprachbilder miteinander zu verknüpfen sehr viel mit Lyrik und mit alten Märchen zu tun, da geht mir das auch oft so.
Ich habe deine Geschichte von den bärtigen alten Männern, den beiden Mäusen, dem zuckerschnütigen Fräulein Wunsch, die leider nur die schrecklichen Wünsche erfüllt, dem dussligen Touristen, dem seine verdammte Neugierde einen Streich spielt und der dann im Dunkeln sitzen und für immer und ewig den Tanz gegen das Vergesseb tanzen muss, furchtbar gerne gelesen. Sie ist voller Bilder, voller Anspielungen und kurioser Gedanken. Und nicht zuletzt sprachlich sehr mutig und sehr schön.
Ja, so sehe ich das.

Bis die Tage und lass es dir gut gehen.Viele Grüße von Novak.

 

Ja, das Problem ist irgendwie seine eigene Unsicherheit nicht bedingngslos zu Markte zu tragen, dergestalt, den verschiedenen kritischen Töne sirenenhaft zu folgen und alles auf den Opferaltar zu packen, sprich, jedens Vorliebe entsprechen zu wollen - was hernach bleibt ist (wäre) ein Krüppel der Berücksichtigung Allens und Nichtsens.
Ich denke, dass es was völlig Normales ist, unsicher zu sein, weil das Schreiben so höchstpersönlich ist und man sich dabei so stark entblößt. Gerade wenn man damit anfängt, ich merke das selbst sehr intensiv, da ist man wegen der Kritik total aufgewühlt, und ist schnell versucht, seine vorherigen Ansichten über einen bestimmten Gegenstand über Bord zu werfen. Vor allem, wenn die Kritik von Leuten kommt, die man für kompetent hält. Wenn man das länger macht - ich beobachte da viel, was die erfahrenen und guten Leute hier zu negativen Kommentaren schreiben - dann wird man naturgemäß seiner Sache sicherer, aber das darf natürlich nicht in Arroganz umschlagen. Die gibt es hier leider auch hin und wieder, jedenfalls in den Antworten. Ob die Kritik aber vllt später wirkt, ist eine andere Frage.
Auf jeden Fall sollte man m.E. an einen Punkt gelangen, wo man im Hinblick auf die eigenen Texte ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt.
Dann ist man hoffentlich irgendwann an
Es ist letztlich am Textbereiter höchstselbst, Weichspüler von Inspiration zu scheiden.
dem Punkt angekommen.
Aber ich persönlich will gerne Kritik zulassen, denn mit diesen Aussagen
Kritik, die funktioniert, kann dann einen Prozess auslösen, der sich Monate später in Texten wiederfindet
und
Was die Kritik hier kann, ist als Anstoß dienen, über das Schreiben nachzudenken und das bewusster zu sehen.
bin ich absolut einverstanden. Mir persönlich hat die Kritik hier sehr geholfen. Und das muss noch nicht einmal Kritik an eigenen Texten sein.
Aber ich denke, ehrlich gesagt, nicht, dass du diese Aussagen ernsthaft bestreiten möchtest, insofern relativierst du ja selbst in deinem Kommentar. Da kann man eigentlich nur wieder die Litanei von der goldenen Mitte runterbeten und sagen: gesundes Selbstvertrauen einerseits und Aufgeschlossenheit sachlicher Kritik gegenüber andererseits sind der Schlüssel.
Und schließlich muss man auch strikt unterscheiden können, ob etwas einfach schlecht gemacht ist, oder nur einen bestimmten Geschmack nicht trifft.
Jetzt kommen mir meine Ausführungen ein wenig binsenweisheitsmäßig und redundant vor, aber was solls, jetzt labere ich halt auch ein bisschen.
Da geht es gerade übrigens ganz lustig in der Romanrubrik zu, mit den "Fifty Shades of pink." Da will jemand wirklich keine Kritik gelten lassen, obwohl der Text, mMn, wirklich verbesserungsbedürftig ist. Das ist so eine Extremeinstellung, keine Ahnung, ob sie wirklich Früchte tragen kann.

 

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