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Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seelen
Früher hatte Fräulein Wunsch es mit Gott. Später eröffnete Fräulein Wunsch ein Gasthaus, in dem sie heute Minuten in langen Zügen serviert und hastig Brombeerschnaps. Der Kapitän-Direktor führt mich dahin und sagt, es sei ein Stift der Ruinierten, wo sich obendrein ganz prächtig der Bart wärmen ließe.
Draußen am Kai, wo ich zur Entspannung dann und wann das Treibgut inspiziere, ist mir dieser Mann begegnet. Im Qualm der Zigaretten und beduselt von der frischen Luft erwerbe ich von ihm drei Geschichten ohne glückliches Ende.
Heute ist die Woche an ihrem letzten Tag angelangt, und wo manch einer sich die Morgenstunden im Park mit Entenfüttern vertreibt, mache ich mich auf den Weg.
Wir gehen durch dösige Felder am Rande einer Stadt, die vor Zukunft zerbröselt und bald nicht mehr sein wird. Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel.
Am Ausläufer der Fichten, unweit eines morschen Jägersitzes, krüppelt ein Häuschen vor sich hin. Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert, macht es mit zugemauerten Fenstern Front gegen die Zeit.
Der Kapitän-Direktor hüstelt in den Verschlag, die Tür fällt stumm zurück und wir treten hinein.
Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen in das Asyl der gramen Seelen. Wir tasten uns durch das Gerümpel des Vorraums, stolpern über Rollstühle und nackte Puppen, gleich flackern um die Ecke die Kerzen irre.
“Willkommen, willkommen“, raunt Fräulein Wunsch mit einem Lächeln aus Zucker, “ich lasse die Uhr dann mal laufen“, und zieht uns an den Säumen der Mäntel hinein.
Das Gesicht einer Kamee hat das Fräulein, märzjung eingefroren, nicht von einer wegwischbaren Hübschheit, bloß Schatten und Spitzen. Wir folgen.
In der Mitte des Raumes, wo es hoch ist und dunkel, hat die Gastgeberin für uns reserviert. Sie schenkt uns saphirfarbenen Schnaps ein in schnarrende Tassen, die nach Erde der Kriegsgräben schmecken, und nach blutigen Zeiten. Der Kapitän-Direktor hat sich schon umgeschaut und ist vergnügt. Er streichelt das Wucherkraut in seinem Gesicht zurecht: “Bitte schön, das Elend wie bestellt. Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.“
In einem Erker sehe ich alte Männer, über den Tisch gebeugt, fahrig tuscheln; sie rammen sich die Stirne zu Funken und wirren ihre Bärte zu einem zornigen Knäuel.
“Schuld ohne Sühne“, erklärt mein Begleiter großzügig, als sei sie seinen Lenden entsprungen, “für sie hält das liebe Fräulein das feinste Plätzchen bereit.“
Ich lausche gierig, bezahlt ist bezahlt, und dann knallt auch der Schnaps wie die Sonne.
Der Kapitän-Direktor macht es sich gemütlich, knöpft seinen Mantel auf und entwindet den Schal. Schnittig ist mein Fremdenführer gekleidet in braunen Je´taime Cord, und seine Worte sind auch in samtene Heiserkeit getunkt, die einen auf Sänften bettet.
“Das Herrchen da, zum Beispiel, ein gewisser Anton Maus, ehemals Bürokrat von Beruf“, der Kapitän-Direktor geniert sich nicht, deutet mit dem Finger auf einen Alten mit schwarzen Augen, “der hat seinen Jungen auf dem Gewissen.“
Ich trinke bedächtig, jetzt zeigt´s sich, was der Handel taugt.
Jetzt lehnt sich mein Händler nach vorne, knackt mit den Händen; sieh her, das ist meine Ware, was hältst du davon: „Die Motive von Herrn Maus waren recht ordinär. Sie verstehen, ein junges Mädchen von gerade mal zwanzig Jahren, dann noch Karriere plus Nerven und der Bengel plärrt wie besessen. Da erwürgt er den Buben in Rage, und dann heißt es Unfall. Also windet sich Herr Maus, wie er sich bloß windet. Nem Aal wäre es Scham geworden, nicht aber dem feinen Herrn. Bange ist ihm vor dem Kittchen, und dann auch noch Mord.“
Ich schau mir den Elenden an, neugierig bin ich, lässt sich ja herrlich besehen so ein armer Teufel ganz ohne Schultern, und dann aus dem Dunkeln, da braucht sich keiner zu schämen.
„Auf Fahrlässigkeit einigt man sich vor Gericht“, heißt es weiter „der Herr Advokat ist ein Bieger und Beuger von hohem Talent, falscher Eid wie gespuckt, wenn´s denn sein muss, und dann ist auch schon Schluss auf der morschen Bühne. Fünfzig Jahre ist das her.“
Wir lehnen nach vorne und trinken, stoßen an, wie zwei schwarze Berge, die sich in die Hände klatschen. Es rauscht wie blöde, bis es leer ist, mehr Edelstein schenkt die Wirtin uns ein, so fürsorglich ist das schöne Fräulein.
Und fort geht es: „Man stelle sich also vor, Herr Maus darf nach Hause, ein wenig zerknittert, aber ein freier Mann. Nun ist es dann doch nicht so einfach wie ausgedacht; mit so einem Mordchen, da schläft es sich schlecht. Was tun? Herr Maus weiß es nicht, Also trinkt er sich gram und grämlich“, flüstert der Kapitän-Direktor in seinen Bart so leise, dass ich ihm ganz eng werden muss, „bloß der Tod erbarmt sich seiner nicht, dieser Sturkopf. Nicht einmal irre zu werden, schafft es der freie Mann, da sehen Sie mal, was ein Menschchen so aushält. Fünfzehn Jahre Qual für Herr Maus, ohne Urlaub versteht sich, ohne Briefverkehr, Einzelhaft sozusagen, aber von der strengen Sorte. Da hätte manch einer gesagt, sei es drum, fünfzehn Jahr auf die Weise ist wie lebenslänglich, das Haar ist nun ergraut, der Mund voller Trümmer, mit anderen Worten, verbüßt ist verbüßt. Aber nicht so Herr Bürokrat. Die Strafe gäb´s nur im Gefängnis, daheim und im Schädel, da sei´s nicht das Wahre. Also packt Herr Maus sein Mutchen zusammen, und beschließt zu gestehen.“
An diesem Punkt halten wir, Fräulein Wunsch ist zur Stelle, lässt uns vor dem ersten Finale noch an ihrem Wunderbräu stärken, dass es sprudelt und pocht. So lässt sich ein Bürokrat vertilgen, ganz feine Küche ist das. Fremder Kummer ploppt Häppchen für Häppchen dem Kapitän-Direktor von der Zunge, und mir mundet es auch très delikat.
Und zum Dessert dann die Überraschung nach ein wenig Recken und Strecken für die Verdauung: „Schließlich steht Anton Maus, Bürokrat, auf der Matte und gesteht und gesteht. Alles gesteht er, von der Picke zur Sohle, eine Lebensbeichte legt er ab, wie sie die heilige Inquisition nicht bekam mit ihren Schergen und Feuern. Vor dem Wachtmeister schon blutet er los, wird weitergereicht an die Kommissarin, die sich wundert und wundert, von ihr an den Staatsanwalt, der die Gesetze löchrig wälzt. Und siehe da, die mausische Tragödie; die Strafklage ist ja schon verbraucht, futsch, die Tat abgeurteilt, so ist´s mit der Justiz bei uns, einmal hat man schon über Herrn Bürokraten gerichtet, noch einmal ist nicht. Wir würden ja gerne Herr Maus, aber müssen leider passen, gehen Sie lieber nach Hause.“
Schuld ohne Sühne, da sitzt sie, inmitten ihrer Schattenkameraden, einträchtig im Elend, zänkisch in Not.
Musik, Fräulein Wunsch, Musik fürs Erinnern, Tanz gegen das Vergessen. Nehmt diesen Seelen ihre Schuld nicht, denn was soll ihnen sonst noch bleiben.
Fräulein Wunsch hört. „Mit Musik kann ich nicht dienen liebe Gäste, aber sie ist auch nicht nötig. Darf ich bitten, teurer Herr Maus.“
In den Kerzenschatten, die bei Fräuleins Schritten prompt erstarren, gleitet die Gastgeberin in den Erker. Ihre Fingerspitzen legen sich sanft auf den Bürokraten, entkrümmen ihn, ziehen seine Gestalt hoch, zerreißen die Wurzeln um seine Beine. Eine rührende Szene haben wir hier. Fräulein Wunsch macht den Efeu, legt ihre Arme um den trüben Anton, schmiegt ihren Leib an den seinen, wispert und haucht, was wir nicht wissen, jetzt heißt es Tanz ohne Schalk.
Der Raum verstummt, der Schnaps versiegt. Ich sehe die fahlen Köpfe in die Mitte rücken, sehe die Weiden auf den Mauern vor Stille erschlaffen. Langsam bewegt sich das Paar, zeichnet Quadrate in Kreisen, fängt fiebrig die Blicke mit verschlossenen Augen. Der Boden ist still, das Holz ist erstarrt und wartet geduldig darauf, dass man ihm das Knarren wieder gestattet.
Kein Wirbeln, kein Swing, bloß ein trauriges pas de deux legen Maus und Wunsch auf´s Parkett, ein müder Schieber, nichts weiter, aber sollen sie doch. Und dann ist schon Ende.
Das Männchen tattert zurück auf seinen Platz zwischen den Funken und Bärten, das Holz atmet auf, die Kerzen erwachen, alles flüstert zur Decke, geschehen und gut ist, was gibt es denn noch?
Schnaps, Fräulein Wunsch, Schnaps! Von mir für mich, und bringen Sie dem Bürokraten auch ein Gläschen.
Der Kapitän-Direktor ist wieder dran, Geschäft ist Geschäft und ich hab noch Kredit.
„Und da drüben im Grellen“, fährt er fort, durch Fräuleins Brand redselig erhitzt, „in der Idiotenecke, wie manch einer so sagt, da sitzt die Sühne ohne Schuld. Sicher ist´s Ansichtssache, was man von dergleichen hält, aber ihren Reiz hat sie schon. Da haben Sie bestimmt Interesse.“
Gewiss habe ich Interesse. Die Idioten sind mir die liebsten, gebe ich zu. Hier inspiziere ich genau und sehe auf dem Boden ein mageres Dutzend im Schweigen verscharrt, im Schein einer Glühbirne ohne Schirm und Erbarmen. Männer und Frauen sind dort versammelt, an die Mauern gelehnt, von den Weiden umflochten, dass es schon kuschelt. Auch eine hübsche ist dabei, freilich dürr ist das Mädchen und ein wenig welk, aber mit Sinn in den Augen und Taille wie ein Püppchen.
Was mit ihr denn sei, lieber Kapitän-Direktor, ob sie denn Hilfe bräuchte.
„Nein, Herr Tourist, hier ist nichts zu machen, das hat das Kindchen davon, dass es die Sache mit dem lieben Gott ein Quäntchen zu ernst nimmt. Doch Sie sind schon ein wenig bekannt mit der Kleinen; Frau Maria Maus, geboren Wassilsky, Sie gestatten. Von dem toten Buben die Mutter, und selbst ein Kind Russlands. Dort haben die Leutchen es mit dem Herrn, ich weiß auch nicht warum, doch auf Kuppeln und Ikonen ist im Osten Verlass.“
Jung scheint Frau Maus, keine Spur von den siebzig Jahren, ich wundere mich, aber wundern Sie sich nicht, Herr Tourist, höre ich gleich, bei Fräulein Wunsch habe man´s nicht so mit dem Altern, wer früh käme, bliebe auch lange.
Aber das nebenbei, denn es täte nichts zur Sache, das frühe Kommen lasse sich bei Frau Maria nicht leugnen, so flockenzart sei ihr Köpfchen, von Bedeutung bliebe bloß noch der Grund.
„Und hier tritt der Herr auf den Plan“, sagt der Kapitän-Direktor und wir kippen die Schnäpse, von Fräulein Wunsch nicht vergessen.
Strunzbehaglich ist mir zumute, ich lehne mich zurück, dass es ächzt, auch das Hemd knöpfe ich auf in der trächtigen Luft. Was mir die Gestalten schon können. Gar nichts. Mögen sie schwätzen und stieren aus ihren Hasenwinkeln. Ich bezahle bar und gerecht, da gibt´s nichts zu tadeln. Und wer will einem denn die Neugierde verübeln, soll ein Mensch etwa dumm bleiben.
Aber zurück zum Herrn.
„Nun, was machen Sie bloß an der Stelle der jungen Dame“, der Kapitän-Direktor wüsste es selbst nicht, ich wette, doch er kennt die Geschichte.
„Da haben wir einen Ehemann, der aus dem frisch geflochtenen Nest flieht, und denn Buben hat er auch noch erwürgt, der Unmensch, den ersten Jungen und den einzigen, versteht sich. Fahrlässigkeit hin, Gerichtsurteil her, doch das Mutterherz weiß Bescheid. Gläubig ist Frau Maria, erzgläubig wie vom Dorf, aber der Allmächtige schweigt. Ja, wo ist denn der Allmächtige. Das sagt Frau Maus, geboren Wassilsky, niemand.“
Die Situation scheint verzwickt, da schweigen die Zweifel. Ich sehe mir die Hübsche an, wie sie da auf dem mistigen Boden mit der Wand verschmilzt, ein wenig herzzerreißend ist das schon, gebe ich zu, aber das Fräulein könnte auch mal zurückgucken. Ob die Arme nicht vielleicht ein Gläschen vom Schnaps des Hauses vertragen könne, der macht ja ganz wohlig im Bauch. Geht natürlich auf mich, frage ich den Kapitän-Direktor recht rücksichtsvoll, aber er schüttelt nur mit dem Kopf. „In der Idiotenecke gibt´s keinen Schnaps, so ist bei Fräulein Wunsch das Gesetz. Aber wir können einen trinken.“
Also trinken wir, und dann geht´s auch schon weiter.
„Leid minus Hoffnung ist gleich Verzweiflung und am Ende dieser Gleichung finden wir Frau Maria wieder, was kein Wunder ist. Da hätte ein erfahrener Mensch von festem Charakter Abgrund vor Augen, wie soll da so ein Küken schon fühlen. Also vergisst das Mädchen kurz den Allmächtigen und seine Ansprüche, packt einen Strick und geht in den Wald, gleich hier drüben vor der Tür. Man sieht ja sofort, dass das Mädchen im Ballett tanzen könnte und den Ast sucht sie auch gewissenhaft aus bei einem zähen Kiefer unweit der Lichtung. Bloß erweist sich der Strick als faul und so wird aus Frau Marias Plan dann doch nichts.“
Der Kapitän-Direktor schweigt eine Weile und ich schweige mit. Recht dumm gelaufen ist es für Frau Maria, ich denk gleich an Gott und schon zieht´s ungemütlich.
„Ja, und dann, hier spekulieren die Geister, dann meldet sich wohl der ewige Hirte bei seinem Schäfchen, und meint, so und so gehe das freilich nicht. Sie wisse ja, was er von Selbstmordgeschichten halte. Ob der Herr Frau Maria dann für ewig verdammt hat, kann man natürlich nicht sagen, zumal viele doch meinen, es sei nicht weit her mit dem Herren. Frau Maria ist dieser Meinung nun nicht, das wissen Sie ja, und so kommt es für die Arme noch ärger. Ganz benommen ist das Mädchen und dann noch die Sünde, mit ihr sieht sie für sich keinen Platz auf der Erde. Es gäb ja Verständnis, aber das will sie nicht haben. Schwäche und Schandtat, die müssen gebüßt werden, und zwar gründlich, am besten doch ewig. Und da hat Frau Maus dann Glück, Fräulein Wunschs Lokal ist ja gleich um die Ecke.“
So endet die zweite Geschichte und der Kapitän-Direktor schaut mich an, mit einem Blick zum Verlegenwerden. Ich aber schau nicht zurück, sondern habe Lust nachzudenken.
Ja, da ist wohl die Sühne und ihr fehlt wohl die Schuld, da kann man nur wenig drehen. Und dann so ganz ohne Schnaps, wer soll das bloß aushalten.
Ich will mit Frau Maus sprechen, das beschließe ich rasch, so traurig sieht das hübsche Mädchen jetzt aus und ich verstehe ja nun auch was vom Leben. Lossagen soll sie sich von dem Quatsch, lossagen, das will ich ihr raten, die Weiden zerreißen soll sie und gehen. Ob es den Herren nun gibt oder nicht, das wird doch einer verstehen nach fünfzig Jahren. Gleich auf der Stelle soll sie mir folgen, das Weitere werde ich schon in die Wege leiten. Nur bisschen aufmerksamer müsste das Fräulein noch werden, jetzt wo ich Interesse habe. So vor sich hinstarren, das sollte sie hurtig lassen, und dann machen wir es uns schön.
Es ist noch nicht Zeit, aber ich könnte schon gehen. Ich habe genug gehört und jede Menge gesehen. Wie still es bloß um uns geworden ist und die Luft wiegt grad auch recht schwer. Wären meine Beine nicht wie gebrochen, stünde ich schon bei Frau Maus oder besser noch in der Tür. Nur unter dem Tisch, da regt sich nichts, das muss wohl der Schnaps sein. Tückischer Schnaps, wenn auch von schöner Farbe, da hätte mich einer doch warnen sollen.
Wenn die Umstände mich nun aber zwingen, dann mache ich besser ruhig und höre mir die letzte Geschichte an, Geld zurück gibt’s ja nicht.
Was der Kapitän-Direktor noch für mich hätte, soll er es mir sagen, ich bin ja gespannt. Wie die letzte Geschichte denn sei, von der Schuld, von der Sühne oder vielleicht zur Abwechslung von beidem.
Fräulein Wunsch scheint ja auch aufregend zu sein, mit ihren Regeln und Schnäpsen. Wie käme denn die Wirtin zu einem solchen Lokal, davon ließe es sich doch hören.
„Ja das ist ungewöhnlich, aber Sie haben Zeit. Vom Fräulein persönlich werden Sie noch allerhand erfahren.“ Der Kapitän-Direktor wird lauter, dass es schallt, die Leute sind mucksmäuschenstill und glotzen, als gäb´s was umsonst. Fräulein Wunsch bringt noch Kerzen, tausende Kerzen in hunderten Farben, allesamt so dick wie ein Schiffstau. Immer länger wird der Raum, immer breiter, kein Ende ist mehr zu sehen, weder vorne, noch hinten. Ich blicke auf eine Stadt voller Kerzen, mit Bezirken und Straßen, mit Alleen und Plätzen, die alle flimmern und wabern, dass mich die Hast packt. Nur uns übersieht noch das Fräulein, zündet die Kerze nicht an, und so sitzen wir im Dunkeln vor den leeren Tassen.
„Die letzte Geschichte“, sagt mein Begleiter in zerplatzenden Silben, „Sie handelt von Ihnen, da haben Sie doch bestimmt Interesse.“ Die Seelen regen sich, es wird geflüstert, von Tisch zu Tisch werden die Worte weitergegeben, bis die Luft zischt, wie eine Schlangengrube.
An mir? Interesse? Na das, jederzeit. Aber da weiß ich schon alles und muss es denn hier sein?
„Ach, nur keine Scham, Herr Tourist, wir sind unter uns, bei Fräulein Wunsch hat man schon alles gesehen.“
Na wenn das jetzt so ist, dann sprechen Sie ruhig, ich habe ja nichts zu verbergen.
Da nickt der Kapitän-Direktor nun behäbig und reibt sich feste die Hände: „Sie, Herr Tourist, haben nichts zu verbergen, aber bleiben doch lieber im Dunkeln. Da trinkt sich das Schnäpschen auch wohler, und Schauen lässt´s sich viel unbeschwerter. Und die Geschichten erst, denen lauschen Sie gerne, nicht wahr? Stift der Ruinierten? Nehmen Sie mich mit Herr Kapitän-Direktor. Asyl der gramen Seelen? Was soll denn das kosten?“
Nichts habe ich mir vorzuwerfen, der schwere Blick ist nicht nötig, ich bin doch kein Gaffer, das glauben Sie mir. Soll ein Mensch etwa dumm bleiben, wo doch Dinge passieren und zwar so, vor der Nase? Helfen wollte ich doch sogar Frau Maria, wenn sie nur bisschen freundlicher dreinblicken würde. Was soll denn das Ganze, Sie haben ja Nerven.
Die Falten meines Begleiters legen sich einen Zug weicher, er streichelt über meinen Arm, lächelt auch ein wenig: „Und ich habe Verständnis, Herr Tourist, oh, ich habe Verständnis. Niemand soll dumm bleiben, wo kämen wir denn hin. Und sonst bei den Bürgern, da lebt es sich dröge, da kummert´s nur müde und kribbelt schon gar nicht. Da kann man doch mal schnuppern, wie es die anderen so machen. Ist ja wie Feuer und Wasser, weiß man doch, faszinierend ist das, wer schaut da schon weg.“
Unsinn ist das, blanker Unsinn, ob Kapitän oder Direktor, was fällt Ihnen ein. Ich protestiere entschieden, Sie haben kein Recht. Behalten Sie Ihre Geschichte und das Geld schenke ich Ihnen, ich möchte jetzt gehen, wo ist hier die Tür.
„Ja, das mit dem Gehen, Herr Tourist, das wird leider schwierig, ich hab wohl vergessen, es Ihnen zu sagen. Das Tischchen, Herr Tourist, das ist für Sie reserviert, da kann man nichts machen.“
Der Kapitän-Direktor steht auf, seine Zeit ist zu Ende, er packt auch den Stuhl ein, jetzt ist das Tischchen nur mir.
„Ich sag Ihnen Tschüss, aber Sie haben keine Eile. Schauen Sie sich ruhig noch um. Die Wirtin ist ganz reizend, am Schnaps soll´s nicht mangeln und machen Sie sich keine Sorgen, die Kerze bleibt aus.“
Er verschwindet im Schatten und ich bleibe alleine, sitze betrunken im Dunkeln, und hoffe jetzt bloß, dass Fräulein Wunsch mit mir tanzt.