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Fleißige Hände

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22.10.2011
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Fleißige Hände

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Babyphon gab. „Für dich“, sagte sie, „man kann es auch für Mütter verwenden. Es ist ein Stück Freiheit von ihr.“

*

Sonnenstrahlen werfen lange Streifen auf ihr Bett. Ich will Mutter aufrichten, damit sie hinausschauen kann, doch sie redet lieber mit Caro. Mutter ist gut gelaunt, die Haare sind gewaschen und in Löckchen gelegt. Mit blanken Augen sitzt sie in ihrem Bett, in den Händen knetet sie Apfelschnitze. Eine niedliche Reklame-Oma, die Erinnerungen an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen weckt. Ich denke an den Duft von Flieder und Jasmin und an ein Blech Zuckerkuchen.
Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum. „Ich möchte Rouge auflegen und Lippenstift, Kind, du weißt schon, welchen. Ich muss schön aussehen, wenn deine Schwester kommt.“
Ich seufze und zucke mit den Schultern. Schon wieder denkt sie das. Wie soll ich sie nur ablenken?
Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.

Wenn Mutter mit Caro spricht, klingt sie anders. Nicht so fordernd, sondern stolz und fast ein wenig ängstlich. „Meine Tochter hat ja eine Pause eingelegt, ihre Karriere aufgeschoben, um mich zu pflegen. Ich finde, das ist doch auch richtig. Oder?“ Caro legt die Hand auf die zarten Finger meiner Mutter. „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Wagner, Ihre Tochter weiß schon, was sie tut.“
Ich bin so froh, dass Caro regelmäßig kommt. Die Pflege einer dementen, alten Frau ist nicht leicht. Vor allem, wenn man allein ist. Manchmal möchte ich mich hinter Caro, dieser fröhlichen, immer nach Zitronenseife duftenden Frau verstecken.
Noch ein paar Minuten Ruhe, bevor sie geht, denke ich und blicke aus dem Fenster. Auf der Straße gegenüber läuft eine Frau mit einem kleinen Hund. Sie zieht an der Leine, doch das Tier will nicht weiter. Das Mäntelchen, das es gegen die Kälte tragen muss, ist ihm über den Hals gerutscht. Nun steckt der Kopf unter einem Stofftrichter aus Schottenkaro. Noch hat die Frau nichts bemerkt. Die Leine wird lang und länger, an ihrem Ende baumelt der Stofftrichter, dahinter folgt der kopflose Hundeleib, unter dem sich vier schiefe Pelzstengel in den Boden stemmen. Endlich entdeckt die Frau das Malheur und zieht den Umhang zurecht. Wie auf Kommando trippelt das Tier los. Ich muss lachen.
„Was kicherst du, Kind?“
Ich zeige auf die zottelige Hunderaupe im Schottenmantel.
„Weißt du, dass ich als Kind einen Rock aus Schottenkaro hatte? Selbst genäht natürlich. Ich war eine begeisterte Näherin. Und so begabt. Deine Schwester hat das von mir. Ich verstehe nicht, warum du nicht nähen kannst.“
Ich wende mich vom Fenster ab, der kleine Hund ist längst um die Ecke gebogen.
„Kind, ein bisschen nähen sollte jeder können. Wenigstens kriegst du Sauerbraten hin. Mit irgendwas muss man die Männer beeindrucken. Ich hätte das alles ja nicht gebraucht.“
Ich antworte immer noch nicht. Die Sonnenstreifen sind weitergewandert und umrahmen den Kopf meiner Mutter mit einem seidigen Lichtkranz wie auf einem alten Madonnengemälde. Was für ein unpassender Ort.
„Damals, als wir noch in Köln lebten, da war doch dieser junge Mann, der uns immer Kuchen geschenkt hat. Aber deine Tante war so, du weißt schon, so ein bisschen wie du.“
„Mutter, ja, sie hat dir den Kuchen weggenommen.“
„Woher weißt du das?“
„Du hast es mir erzählt. Ungefähr hundertmal.“
Meine Mutter kichert verlegen. Immer, wenn sie so lacht, könnte ich sie gern haben. Doch wenn man müde ist, hält Liebe kaum zwei Stunden. Ich reiche ihr einen Becher Kakao, meine Hände zittern. Bevor ich das Tablett mit der Tasse richtig abstellen kann, stößt sie dagegen. Flüssigkeit tropft auf das Laken. „Du musst doch sowieso neu beziehen“, murmelt sie. Ich könnte schwören, sie hat das absichtlich getan. Kakaoflecken neben gelblichen Suppensprengseln. Das war gestern. Ein Rorschach-Test für Töchter. Doch dann schäme ich mich. Sie hat ja Recht, ich sollte das Bettzeug wechseln. Aber ich fühle mich so müde. Ich wollte noch warten, bis Caro mir helfen kann. Absichtlich sollte sie mich trotzdem nicht anstoßen. Das tut man nicht. Auch nicht als Mutter.

Die Stunden dehnen sich. Mir fällt es immer schwerer, die alte Frau zu waschen und zu wickeln. Sie hat heute lange gebraucht, um zur Ruhe zu kommen, das Phon ist eingeschaltet. Nun schläft sie. Hoffentlich.
Freiheit, hat Caro gesagt. Ich stelle den Fernseher an, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Müdigkeit umgibt mich, eine dicke, milchig gefärbte Glasscheibe, hinter der fremd und ungreifbar meine Gedanken treiben. Wie Quallen dehnen sie sich aus, schrumpfen, kehren wieder.

*

Ein neuer Morgen mit einem verschleierten Himmel dämmert herauf. Es gibt Tage, da sehen selbst die Farben aus, als hätten sie den Grauen Star. Ich fröstele. Die Kreuzschmerzen sind stärker geworden, und meine Finger zittern. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber es wird stärker. Das Tablett für meine Mutter rutscht mir aus den Fingern, der Kakao bespritzt das Bett. Schon wieder. Später hilft Caro mir beim Umbetten und bezieht neu. „Sie sollten Ihre Mutter mal in die Kurzzeitpflege bringen“, sagt sie. „Sie brauchen eine Auszeit. Es ist jetzt schon fast zwei Jahre, dass Sie Ihre Mutter ununterbrochen pflegen. Andere sind da rigoroser.“
Ich blicke auf meine Hände. Sie hat ja Recht. Ich kann das nicht mehr. Aber ein Pflegeheim? Keiner hat Zeit, die alten Leute liegen sich wund. Außerdem wäre sie nicht mehr hier bei mir. Ich spüre, dass meine Mundwinkel sich ein wenig kräuseln, ganz von allein.

Meine Mutter freut sich immer, wenn sie Caro sieht. Die ist geduldig und hört sich die Geschichten der alten Frau auch zum zehnten Mal an. Von dem Pferd und ihrer Allergie und dass ihr Mann zum Glück frühzeitig gestorben ist. Dass sie als Kind vor einem alten Lehrer abgehauen ist, der noch Jahre nach dem Krieg die Schüler in Reih und Glied antreten ließ und immer sagte, „es war nicht alles schlecht damals.“ Dem sie heimlich den Stock klaute, mit dem er die Kinder schlug. Und der sie einsperrte, weil sie nicht erzählen wollte, wer den Stock gestohlen hatte. „Und stellt euch vor“, sagt sie stolz zu uns, „kein Kind hat mich verraten. Sie wussten alle, dass ich es war. Aber sie schwiegen. Und den Stock? Den haben wir verbrannt, Kartoffelfeuer gemacht. Die haben geschmeckt, die Kartoffeln.“ Ihr Gesicht glüht.
Ich liebe diese Geschichte, ich stelle mir vor, wie sie mit wehendem Röckchen vom Dach des Schulhauses auf einen Sandhaufen springt, in der Hand den Stab des Lehrers. Und ich sehe ihr wildes Gesicht, wenn sie den Stock ins Feuer wirft. Alle Kinder hielten dicht für meine Mutter. Ja, so war sie. Ich höre zu und denke an das, was zwischen uns hätte sein können.

Am Abend erzählt sie wieder von ihrer Jugend. Davon, dass sie meinetwegen heiraten musste, dass man leider noch nicht sicher verhüten konnte. Und wieder von Köln - und von dem jungen Mann. Dass er so hübsch war, so charmant, sogar zu mir. Sie redet ohne Atempause, den Oberkörper leicht vorgebeugt. Ihr Kiefer mahlt Worte, die wie schwere Brocken auf den Boden fallen, dort liegen sie und warten, dass jemand sie wegfegt. „Er hat Kuchen mitgebracht. Mir, deiner Tante, sogar dir.“ Ich schaue auf meine Hände, sie zittern. Weiß sie denn nicht mehr, dass dieser junge Mann mein Verlobter war?
Später, als sie schläft, schalte ich den Fernseher an. Ein Tele-Arzt rät zu Entspannung. Was weiß der schon von meinem Leben und von der Zeit, die nicht vergehen will? Sie dehnt sich wie ein Band von hier bis zum Zimmer meiner Mutter und schlingt mich darin ein. Irgendwann schaffe ich es aufzustehen und mich hinzulegen.
Im Traum laufe ich durch die Korridore eines alten Hauses. Die Wände sind schief und verschieben sich immer mehr, als wollten sie aus der Vertikalen flüchten. Etwas lässt mich hochschrecken. Und dann höre ich es. Geräusche. Wispern und Ticken. Zuerst leise, dann immer lauter. Ein stetes Klopfen. Das Phon. Als ich aufmerksam hinhöre, merke ich, dass hinter dem Klopfen eine Stimme ist. Unverständliche Worte, die wie Wellen an mein Ohr schwappen, sich zurückziehen und wiederkehren. Unaufhörlich. Monoton. Ich schleiche zu ihrem Zimmer und öffne die Tür. Sie schweigt. Nur manchmal ein damenhafter Schnarcher. Vielleicht verstellt sie sich.

*

Ich bin seit fünf Uhr früh auf den Beinen, ich muss waschen und Mails an die Krankenkasse schreiben. Erschöpfung hüllt mich ein, aber ich kann nicht ruhen, ich muss mich beeilen, bevor meine Mutter wach wird.
„Kind, wo ist mein Kakao? Ich hatte eine schlechte Nacht.“
Da ist sie schon. Ihre Stimme klingt schwach, aber gebieterisch durch das Phon.
Ich öffne die Tür einen Spalt und stecke den Kopf zu ihr hinein. Sie sieht blass aus.
„Mutter, ich muss nur noch was fertig schreiben, in einer Viertelstunde kriegst du deinen Kakao.“
„Mein Herz klopft, Kind, ich fühle mich nicht gut. Bitte, sei so lieb und komm!“
„Nur einen Moment noch, dann bin ich so weit.“
„Warum lässt du mich betteln? Es ist doch nur ein Kakao. Ich weiß, ich bin eine Last für dich. Es ist schlimm, so alt zu sein.“
„Mutter, bitte, ich bin gleich da.“
Im Weggehen höre ich noch ihre Stimme, ganz klein und dünn: „Ich weiß, du willst mich wegschicken, ich habe gehört, was Caro gesagt hat. Das tut so weh, Kind, dass du mich abschieben willst.“
Sie meint das nicht so, denke ich, das sind ihre Spielchen. Gleich, wenn ich fertig bin, werde ich sie trösten. Trotzdem fühle ich mich schlecht.
Aus dem Zimmer ertönt Poltern. Dann ein Aufschrei. Ich springe hoch und laufe hin. Bei dem Versuch aufzustehen, ist sie aus dem Bett gefallen.
„Du hättest doch nur kurz warten müssen.“ Die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Klein und zerbrechlich liegt sie da am Boden und schaut mich von unten herauf an. Wie ein angefahrenes Tier. Ich fasse sie unter den Armen, will sie hochheben. Ihr Körper fühlt sich leicht an, als wären die Knochen mit Luft gefüllt, ich muss aufpassen, dass sie nicht splittern, Gottseidank zittern meine Hände dieses Mal nicht. Warum bin ich nur manchmal so stur? Alles nur wegen einem Kakao.
Rau stößt sie Worte hervor. Es ist kaum zu verstehen, doch mein Körper begreift sofort. „Deine Schwester soll kommen.“ Ich kann machen, was ich will, mir den Arsch aufreißen, sie sogar zu mir holen, alles aufgeben, damit sie mich endlich bemerkt, doch immer wieder fragt sie nach meiner Schwester. Mir ist, als würde die alte Frau immer schwerer werden.
„Du hast doch nie Zeit für mich“, wimmert sie. „So warst du schon immer, neidisch. Was habe ich dir nur getan? Wo ist deine Schwester?“
„Sie ist nicht da. Du musst schon mit mir Vorlieb nehmen.“
„Sie hätte mir Kakao geholt.“
Ich hole tief Luft, doch irgendwo auf halbem Weg zu meiner Lunge formt sich der Atem zu einem pochenden Klumpen, der sich ausdehnt, bis er riesig und glühend meinen Brustkorb füllt.
„Deine Schwester soll kommen.“
„Sie ist tot.“
„Du lügst.“
„Nein. Und gepflegt hätte sie dich sowieso nicht.“
Sie weint. Ganz tief und schrecklich. „Sie war mir so nah. Warum sie?“
Der Klumpen in meinem Inneren fällt in sich zusammen. Es ist keine Explosion, nichts Aufregendes, er fällt nur zusammen und hinterlässt ein Loch, das sich langsam mit etwas Dunklem auffüllt. Ganz selbstverständlich und unspektakulär, einfach so.
Ich stehe vor ihr, meine Hände unter ihren Armen und fühle das Dunkle, bevor ich mich abwende und sie liegen lasse.

*

Tage reihen sich aneinander wie Perlen einer Kette, durchbrochen von dunklen Einfassungen. Am Tag wasche ich meine Mutter und füttere sie. Ich wechsele die Wäsche und bette sie um. Wir sprechen nicht. Am Tag bin ich eine Maschine auf zwei Beinen, erst in der Nacht werde ich zu einem Menschen. Dann, wenn das Phon zum Leben erwacht und meine Mutter sprechen lässt. Es ist kein Wispern mehr, es sind ganze Sätze. Geschichten aus ihrer Kindheit. Vom Meer, von ihrer Zeit in Köln als Sekretärin und von den vielen Männern. Mitten in der Nacht, in einem andauernden Gleichmaß. Ich habe ihre Erzählungen schon früher gehört. Hunderte von Malen. Aber ich hatte sie nie verstanden, weil das Wort Schwester viel zu oft darin vorkam. Jetzt ist es, als wollte meine Mutter die Zeit nachholen, die sie mit mir verpasst hat. Als wollte sie mich begreifen lassen. Das Phon lässt sie zu mir sprechen. Endlich. Und es tut weh, was sie sagt.
Manchmal gehe ich, während sie redet, zu dem alten Schreibtisch mit den Fotos und betrachte unsere Familie. Meine jüngere Schwester Teresa, mein Vater, dazwischen ich. Über uns das strahlende Lachen meiner schönen Mutter. Nur sie ist geblieben. Und ich. Ich höre ihre Stimme: „Fleißig warst du ja, das kann dir keiner nehmen. Aber zu bemüht.“ Die tiefe Stimme meines Vaters, die ich schon vergessen glaubte, kommt hinzu. „Lass sie in Ruhe, sie ist gut, so wie sie ist.“ Und zu mir sagt er: „Du musst nicht bleiben.“ Doch ihre Stimme gewinnt. Das Phon weiß es. Es ist, als könnte ich die Speicheltröpfchen sehen, die bei jedem Wort von ihren Lippen stieben. Und jede Nacht ertappe ich mich dabei, wie ich vor ihrem Zimmer stehe, das Phon in der Hand, und auf ihren Atem lausche. Und jede Nacht wird das Dunkle in mir schwerer. Ich will es aus meiner Brust reißen, doch es geht nicht, weil meine Hände zittern. Sie zittern von der Anstrengung, nicht die Klinke zu ihrem Zimmer hinunterzudrücken.

Eines Nachts gehe ich doch hinein. Der Redeschwall aus dem Phon ist verebbt. Ich stehe vor ihrem Bett, rieche den faden Altfrauengeruch, sehe die feinen, weißen Haare. Ich blicke auf meine Hände und frage mich, wie sie das aushalten. Raue, trockene Haut, bedeckt von kleinen braunen Flecken. Finger, die sich nach rotem Nagellack sehnen und nach einem Streicheln. Stattdessen bewegen sie sich. Hin und her, ein Rhythmus, den ich nicht steuern kann. Ich fliehe aus dem Zimmer, das Phon schalte ich ab.

*

Wieder ein Tag und eine Nacht. Caro war da und ist wieder gegangen. Oder war das schon mehrmals? Alle Nächte ticken jetzt und flimmern wie weißgraues Rauschen eines kaputten Fernsehbildes. Doch diese ist besonders schlimm. Ich schlafe nicht. Mein Hörvermögen ist so scharf wie das eines Tieres.
Ein gleichförmiger Monolog tönt aus dem Phon. Ich drücke auf die Austaste, doch es summt weiter. Ich häufe Kissen darauf. Ihre Stimme dringt trotzdem zu mir durch. „Dieser Mann, ich wusste, dass du ihn mochtest. Es geschah einfach, Kind.“ Bestimmt bilden sich Speichelbläschen zwischen ihren Lippen, blühen auf und zerplatzen, hinterlassen giftigen Schaum, der in ihre Mundwinkel wandert und dort verkrustet.
Ich reiße das Phon unter den Kissen hervor und schleudere es gegen die Wand, ein Regen aus weißen Plastikteilchen rieselt herunter, aus der Abdeckung tritt Draht.
Irgendwann finde ich mich doch vor ihrem Zimmer. Sie schläft, bestimmt verstellt sie sich. Hat sie Angst, jetzt, da ich alles weiß? Ich will es aus ihrem Mund hören. Doch es bleibt still bis auf ein leises Schnarchen. Dann ein Flüstern, ich weiß nicht, ob sie es ist oder der Sender des Phons, der neben ihrem Bett steht. Aber es ist egal, die Stimme weiß Dinge, die nur meine Mutter wissen kann. „Du hattest schon ein Brautkleid gekauft. Türkisgrün. Es war keine Absicht, Kind, nur ein Ausrutscher.“ Ich wende mich ab, den Sender stecke ich ein. Soll sie doch reden. Doch ich kann nicht gehen. Meine Finger zittern in einem schnellen Rhythmus. Fast wie der eines fröhlichen, fremden Liedes. Ich beobachte, wie sich meine Hände einander nähern, als gehörten sie nicht zu mir, wie sie sich treffen und einen Reigen beginnen. Sich vereinen und lösen und wieder verschmelzen. Ein Tanz zweier Hände, die einander umschlingen und liebkosen, einen Ring verdecken und wieder freigeben, den mir vor langen Jahren ein Mann geschenkt hat. Der mich zu lieben versprach und dann seine Liebe einfach vergaß. Es ist, als würde der schmale Reif von meinen Händen aufgezehrt und wieder entbunden in endloser Schleife. Dann das Weiß eines Kissens. Verbirgt sich darunter ein Gesicht? Ein Spiel fällt mir ein, das ich immer mit meiner Schwester spielte, als wir noch Kinder waren. Man muss die andere so bedecken, dass kein Glied mehr unter der Decke hervorschaut. Es ist schön, dieses Spiel. Es wird das Dunkle in mir tilgen. Ein Gesicht leuchtet fahl, ein Mund öffnet sich, dann wird alles weiß von dem Stoff, der das Gesicht bedeckt und den schreienden Mund. Ich sehe Hände, die neben dem Kissen tanzen und winken, ich weiß, ich muss auch sie bedecken, bis sie ruhig sind, das gehört zu dem Spiel. Nichts darf mehr hervorschauen. Kein Laut darf mehr zu hören sein. Sonst hat man verloren.

Als das Kissen über dem Gesicht meiner Mutter sich leicht anfühlt, nehme ich es weg, falte ihre Hände und schmücke sie mit einem Ring aus Bernstein. Er wird sie an ihre Kindheit erinnern. Dann finde ich mich vor dem Fernseher. Doch ich weiß nicht, was ich sehe. Meine Hände ruhen.

*

Es ist früher Morgen. Der Fernseher ist eingeschaltet. Eine Sendung flackert vor meinen Augen. Ich habe meiner Mutter das Frühstück bereitet. Doch sie will nichts essen. Sie ist so kalt jetzt. Und sie schweigt. Ich weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist, nur nicht, was es war. Aber ich bin erleichtert. Das Dunkle hat meinen Körper verlassen, es ist davongeflossen.
Als Caro klingelt, öffne ich ihr nicht. Ich habe frei. Irgendwann steht sie doch vor mir, in der Hand den Schlüssel für den Notfall.
„Anna, was ist mit Ihnen? Haben Sie überhaupt geschlafen?“ Sie klingt so besorgt, dass es mir weh tut.
„Natürlich geht es mir gut, ich habe ja heute frei.“
„Wo ist ihre Mutter, Anna?“
„In der Kurzzeitpflege, da habe ich sie angemeldet.“ Das sollte ich doch, will ich antworten, doch plötzlich höre ich ein Weinen. Es kann nicht sein, aber es ist die Stimme meiner Mutter. Ich soll kommen. Sie braucht mich. Aber ich werde nicht gehen. Nie mehr. Ich greife nach dem Sender, taste überall, doch ich finde ihn nicht, so sehr ich auch suche. Ich will ihn ausschalten, zermalmen, zerquetschen. Die Stimme meiner Mutter wird lauter. Wütender. Wieso hört Caro es nicht? Sie blickt nur auf meine Hände. Ich muss einfach ruhig bleiben, die Finger verstecken, dann wird Caro gehen. Aber sie lassen sich nicht halten, müssen suchen, den verdammten Sender finden. Sie winden sich rastlos, verzweifelt, bis Caro sie festhält. Ich schluchze. Das Phon wird lauter und lauter, das Schreien schwillt an, ich reiße mich los, muss meine Ohren schützen vor dem gellenden Gekreisch.
„Was ist passiert?“, fragt Caro. „Ich helfe Ihnen doch.“
„Ich weiß es nicht! Stell das Phon ab! Bitte.“
Dann ist alles ruhig. Eine Stimme, die wie meine klingt, sagt: „Kommen Sie besser morgen wieder, da habe ich sie hübsch gemacht. Sie muss jetzt schön sein, das hätte sie sich gewünscht.“ Caro steht auf und verlässt das Zimmer, ich folge ihr.
In ihrem Bett liegt, aufgebahrt, meine Mutter. In ihren Händen, wie eine Grabbeigabe, ein weißes, zerkratztes Phon.

 
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Hallo Eva, schön, dass du wieder da bist.
ich hab mich eben richtig erschrocken, als ich auf einmal meine Geschichte auftauchen sah. Aber klar, so weit liegt die ja auch noch nicht zurück.
Ich danke dir sehr für dein Lob.
Dass dir die Affäre zu viel ist, kann ich irgendwo nachvollziehen, nur ist es so, dass in dem Text gar nicht unbedingt klar ist, dass die Mutter wirklich was gemacht hat. Das liest jeder ein bisschen anders. Klar ist nur, dass der Verlobte gegangen ist. Aber warum? Das lässt der Text offen. Vielleicht redet sich Anna nur ein, dass es was mit der Mutter zu tun hat, vielleicht interpretiert sie in ihrem übernächtigten Zustand falsch und zuviel, vielleicht ist es ja auch wirklich ein Schweinebabyphon. Wer weiß.
Es ist schwierig für mich, da das richtige Maß zu finden, denn ich habe wie gesagt erlebt, dass jeder Leser das anders sah, den einen war ich zu genau, den anderen zu wenig genau. Wenn ich dich jetzt lese, denke ich, ich hätte die Geschichte mit dem Verlobten vielleicht mehr in der Schwebe lassen können/sollen.
Wie auch immer, eine Sache, die Anna wirklich auf die Palme bringt, wenn man das so nennen will, die das Fass wirklich überlaufen lässt, brauchten sie als Protagonistin und ich als ihre Autorin schon.

Irgendwie war das grad schön, mal wieder in diese Geschichte hineinzuschnuppern. Ich schreibe nämlich seit Längerem an einer anderen Geschichte, die sich aber einfach nicht fertigschreiben lassen will. Gute Ausrede für Faulheit, gell? Jetzt ist hier die Challenge, also irgendwie bin ich grad woanders, aber ja, ich merke das gerade, da war es umso schöner, mal wieder was Fertiges von mir zu lesen. :D

Danke dir für das Hervorkramen und Lesen und überhaupt. Und tausend Grüße an dich.

 

Liebe Novak!
Längere Sinnkrise gehabt:D, kann nicht sagen, dass ich schon zu einer Lösung gekommen bin:

Ist es für den Autor sinnvoll, hier auf KG.de Kritiken zu empfangen?
Ich hab rischtich was gelernt beim Kritiken vergeben, das muss ich unumwunden einräumen. Aber tut es gut, wenn man Kritiken erhält?
Die Antwort darauf ist nicht so einfach, wie man annehmen könnte, im ersten Moment. Denn der Kritiker gibt ja immer eine Richtung vor, die Richtung des Kritikers.
Aber so gesehen, wäre ja jede Kritik hinterfragenswert.

Ja, weiß nicht, gehört wohl gar nicht hierher. Vielleicht ja doch.
Eine Sinnkrise halt.

Deine Geschichte hat mir recht gut gefallen. Ich hab jetzt keine der anderen Kritiken gelesen, aber ich denke schon, der Tenor wird in diese Richtung gehen.

Das Leid der Zu-Hause-Pflegenden hast du ziemlich eindringlich geschildert, in manchen Passagen gehst du sogar den Weg des Bewusstseinstroms. Für eine Horror-Story - Respekt.

Als Zustandsbeschreibung ziemlich treffend, der Schluss zeichnet sich natürlich von Beginn an ab, ist wohl auch folgerichtig, wobei ich ihn etwas sehr konventionell (?) finde. Nicht so der Twist.

Man merkt dem Teil in beinahe jeder Silbe an, dass du fleißig warst (möcht ich sagen, bist du wohl immer mit deinen Storys - insofern, weiß man, was man kriegt bei dir:D), Saubere, flüssige Formulierungen.

Eine oder zwei Bilder haben mir nicht so zugesagt.


Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum.

Hab ich n bisschen was von Einparken im Kopf, was sicher nicht deine Absicht war. Vielleicht wäre das gute alte "reißt" angebrachter? Irgendwie immer noch unaufdringlich, find ich.


Eine niedliche Reklame-Oma, die Erinnerungen an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen weckt

"blühenden" kann weg. Weißt ja, weniger ist immer mehr, kill your darlings, usw.:D Ich finde, die Formulierung verliert kein bisschen durch das Streichen.

Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.

Man soll ja nicht nur kritisieren. Das hat mir sehr gut gefallen, unaufdringlich, aber treffend.


Was jetzt - meiner Meinung nach - gar nicht geht, ist der erste Satz.

Der erste Satz! Tritt ein in meine Geschichte ... und so, weißt du ja.
Da kann es eigentlich nicht sein, dass er so kompliziert ist. Zunächst mal

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Babyphon gab.

gilt hier wohl dasselbe, wie für die "blühenden". Ohne ist es wenigstens genauso gut. Und damit besser, weil kürzer.

Aber guck mal, wie viele Nebensätze du in deinem ersten, deinem Einleitungssatz, unterbringst, einschließlich eingeschobenem. Find ich nicht gut. Find ich kompliziert, wie du mir erklären willst, dass Caro die Frau vom Pflegedienst ist, und sie dir das Babyphon gegeben hat und dass etwas nicht stimmt und dass du das gewusst hast.
Mach zwei Sätze draus.:)
Oder trenne die Informationen durch ein Semikolon, den Punkt des Unentschlossenen.:lol:

Ganz wie du möchtest. Nur diese Sachen sind recht objektiv negativ, finde ich jedenfalls.:shy:
(Übrigens finden sich diese Fehlerchen auf den ersten zwei Seiten)
Alles was danach kommt, ist sehr subjektiv.
Dass das Ende etwas sehr klischeehaft ist.
Die vermasselte Liebschaft vielleicht bisschen folkloristisch.
Und der letzte Satz vielleicht doch etwas zu konventionell.

Aber meine Meinung, du hast die Geschichte geschrieben, du hast wirklich dran gefeilt und man sollte als Leser dann vielleicht auch mal sagen - bin ich vielleicht zu doof.:schiel:


Hat mir gut gefallen, die Geschichte, hab ich schon gesagt?
Auch weil man sich in vielen Stellen findet.

Schöne Grüße von diesseits!

 
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Lieber Hannibal

was, du auch Sinnkrise? Ich auch.
Zeichnet sich schon länger ab bei mir, zwischendrin brutal verstärkt durch eine längere Krankeitsphase, nichts Schlimmes, nur sehr ermüdend. Und jetzt bin ich auf einem absoluten Faulheitstrip. Und was soll ich sagen, ich genieße es. Ich hab mein Leben lang gearbeitet, warum soll ich mir ausgerechnet jetzt und ausgerechnet durch ein Hobby, also durch etwas Selbstgewähltes den Alltag diktieren lassen?
So sehe ich das jedenfalls, meine Lust am Schreiben wird schon wieder kommen. Oder auch nicht. Wen störts.

Jedenfalls kann ich deine Überlegungen vielleicht ein bisschen nachvollziehen. Auch deine Gedanken bezüglich der Kritiken.

Aber tut es gut, wenn man Kritiken erhält?
Ich sehe das wie du, die Antwort ist nicht ganz einfach. Ich denke oft, dass es sehr stark darauf ankommt, was der Kritisierte damit anfängt, also ob er es versteht, die Kritiken für sich und seine Geschichten zu nutzen. Nicht jede Krititk passt zu jedem. Ich zum Beispiel nehme längst nicht mehr jede Kritik an. Okay, das habe ich auch am Anfang nicht getan, aber da war ich viel eher dazu bereit, etwas auszuprobieren und mich auf das Urteil der anderen zu verlassen. Jetzt weiß ich eher, was ich selbst von einer Geschichte will und kann von daher eher schauen, ob eine Kritik für mich sitzt. Gedanken machen und überlegen - das tu ich immer, es sei denn, jemand kann von vorneherein mit einer meiner Geschichten nichts anfangen. Aber es kommt dann nach dem Gedanken machen eben sehr darauf an, ob die Kritik zur Geschichte, wie ich sie haben will, passt.
Was anderes sind Stilfragen, da probier ich nach wie vor rum. Manchmal gefällt mir der Rat des Kommentierenden besser, mal nicht.

Deine Gedanken gehören übrigens - finde ich - schon hierher, jeder hangelt sich ja zwischen Kommentaren und eigenen Ansprüchen hin und her, will nicht kritikresistent sein, aber auch nicht seinen eigenen Anspruch aufgeben. Und es gibt nun mal auch Kommentare, die einen völlig anderen Schwerpunkt setzen als man ihn mit der Geschichte setzen wollte, manchmal geht ein Kommentar an einer Geschichte (finde ich) sogar vorbei. Warum solls das auch nicht geben.

Grundsätzlich finde ich die Kommentarkultur hier ziemlich gut, wenn ich sie mit anderen Foren vergleiche, hier gibt es wenig Kleinlichkeit, wenig Prinzipienreiterei und wenig Festhalten an einem starren Regelement von Schreibregeln. Das ist schon mal die halbe Miete, aber das Grundproblem, was mache ich selbst aus einem Kommentar, das bleibt.


Dann gehen wir doch auch gleich mal in medias res. :)

Dankeschön erst einmal für dein Lesen und für den grundsätzlichen Daumen. Ich freu mich einfach immer, wenn ein anderer Horroautor den gibt, der weiß nämlich von den Tücken der Horrorschreiberei.
Besonders habe ich mich über das Urteil "eindringlich" gefreut. Dass die Geschichte so rüberkommt liegt sicherlich auch daran, dass ich mit dem Thema in gewisser Weise vertraut bin. Den Bewusstseinsstrom habe ich ehrlich gesagt gar nicht bemerkt oder gar bewusst eingesetzt. Mir erschien einfach die Art der Darstellung für das Thema passend. Ich bin sehr froh, dass du dem folgen mochtest.

Dass du das Ende vorhersehen konntest, glaub ich dir sofort, bist ja ein erfahrener Horrorleser und -schreiber. Ich meine nur, dass es bei dieser Geschichte gar nicht so sehr auf die Vorhersehbarkeit oder die flotte, völlig unerwartete Wendung ankommt, sondern auf den Weg, den die Geschichte nimmt und auf den Charakter der beiden Frauen. Das war mein Hauptaspekt.
Überhaupt habe ich mich geistig ein bisschen von dieser Frage, habe ich den die völlig unerwartete Wendung in meiner Geschichte drin, absentiert. Ich lege mittlerweile einen viel größeren Wert auf Charakterisierungen, auf psychologische Entfaltung. Die Suche nach der unerwarteten Wendung bremst mich eher, da schreibe ich gar nicht mehr. Ich glaube diese Hoffnung auf das Unerwartete oder die Originalität gibt es so stark auch nur im Horror. Hätte ich diese Geschichte unter Sonstiges oder Alltag gepostet, hätte ich vielleicht Fresse voll gekriegt, weil viele keine Geschichten über Mord und Totschlag in der Rubrik "Alltag" lesen wollen, aber die Vorhersagbarkeit wäre wahrscheinlich kein Hauptargument geworden. Auch nicht, dass das Ende klischeeartig sei.
Was den letzten Satz betrifft, ja, konventionell. Kann sein. Ich weiß das nicht. Es erschien mir einfach folgerichtig. Und so wirklich versteh ich nicht, was du genau mit "konventionell" meinst. Ich finde meine Geschichte nicht bieder oder sowas, auch nicht den letzten Satz. ich stocher jetzt einfach mal rum, weil ich die Anmerkung konventionell nicht ganz versteh. Ich find ihn eher klassisch. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass ich die Geschichte ganz ursprünglich mal für einen E.A.Poe Wettberwerb geschrieben hatte, der dann gar nicht mehr stattgefunden hat. Ich hatte sie hier für das Posten sehr überarbeitet, so dass man kein Poe-Fan oder -Kenner sein muss. Vielleicht ist da unbewusst was eingeflossen?

Der erste Satz! Tritt ein in meine Geschichte ... und so, weißt du ja.
Da kann es eigentlich nicht sein, dass er so kompliziert ist.
Wie bitte? So kompliziert? Das sind zwei Nebensätze und ein Einschub. :) Der Satz ist noch nicht mal eine Zeile lang. Wieso soll ich denn da zwei draus machen? Nee das leuchtet mir nicht ein. Im Gegenteil, mir geht oft die Manie, immer nur Hauptsätze aneinanderzureihen auf die Nerven. Hihi, ich muss grad über mich selbst lachen und über mein Gezeter. Gut, ich bin erst mal stur, denk aber, das ist selbstverständlich, nochmal drüber nach und probiere die Fassung mal so aus und mal so und geb das meinem Testleser zum Schmecken. Es ist ja lediglich ein kleines stilistisches Problem.
Was mir aber sofort einleuchtet ist die Streichung von "gleich".


Man merkt dem Teil in beinahe jeder Silbe an, dass du fleißig warst (möcht ich sagen, bist du wohl immer mit deinen Storys - insofern, weiß man, was man kriegt bei dir:D), Saubere, flüssige Formulierungen.
KREISCH!!! Bitte nicht. ich hasse es, wenn man mir sagt, ich sei fleißig. Das ist so ziemlich das schlimmste Kompliment, das man kriegen kann. "Novak beherrscht zwar immer noch nicht die Division im Hunderterbereich, aber sie ist ausgesprochen fleißig und wischt jeden Tag die Tafel." Achtung Hanniball, merkst was, ich schmeiß gleich mit Schwämmen.
Nein, Spaß beiseite, ich weiß ja, was du meinst, und ich finde das ja auch richtig, dass man gut überarbeitet und keine groben Schnitzer einbaut. Dass ich auf die "Fleiß-Formulierung" so reagiere, liegt daran, dass ich in der Beziehung beruflich versaut bin. :D Also nimms mir bitte nicht übel, sondern sag dir einfach nur, die Novak spinnt.


Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum.
Hab ich n bisschen was von Einparken im Kopf, was sicher nicht deine Absicht war. Vielleicht wäre das gute alte "reißt" angebrachter? Irgendwie immer noch unaufdringlich, find ich.
Hmmm. Ist auch eine Formulierungsfrage. Das "reißt" würde aber nicht das ausdrücken, was ich ausdrücken will. Die Mutter spricht ja nicht nur und reißt die Protag. damit aus einem Tagtraum, sondern es ist das Befehlende der Stimme, was ich ausdrücken wollte.


"blühenden" kann weg. Weißt ja, weniger ist immer mehr, kill your darlings, usw.:D Ich finde, die Formulierung verliert kein bisschen durch das Streichen.
Muss ich überlegen. Vielleicht ist es echt ein Darling, dem man eins auf die Rübe donnern muss.


Lieber Hanniball, ich wünschte sehr, du wärst wieder häufiger da. Und würdest Sinnkrisen dorthin schmeißen, wohin sie gehören, wenn sie zu lange dauern. Ich hab gut reden. :D Kenn ich doch selbst, solche Probleme.
Nimm es einfach als Hoffnung, mal wieder was von dir zu hören, denn ich hab mich echt total gefreut, bin richtig aus dem Sitz hochgehüpft, als ich deinen Namen las, auch wenn es jetzt so lange gedauert hat.

Ganz ganz lieben Gruß an dich
von Novak

 

Hallo Novak,

die Geschichte gefällt mir sehr gut; ich finde, die Verzweiflung und Erschöpfung Annas hast du sehr realistisch und detailliert dargestellt. Der gesamte Text hat eine wunderschön dichte Atmosphäre, die aber auch nicht übertrieben ist.

Dennoch sind mir ein paar Sachen aufgefallen:

Ich war eine begeisterte Näherin. Und so begabt. Deine Schwester hat das von mir.
Schöner fände ich, wenn zunächst ein Bezug zur Schwester hergestellt würde, etwa "Deine Schwester kann es ja auch, das hat sie von mir." So bin ich jedoch in den Satz "hineingestolpert".

Mein zweiter Punkt bezieht sich auf keine explizite Stelle, sondern schleicht sich so durch den gesamten Text, und zwar geht es um die Abneigung der Mutter gegen ihre Tochter.
Ein Grund wird nicht genannt und daran bin ich immer ein wenig angeeckt. Es muss ja etwas vorgefallen sein, weswegen die Mutter von ihr enttäuscht ist.
Ist es wegen der abgesagten Hochzeit? Hat sie den falschen Beruf gewählt? Gibt die Mutter ihr vielleicht sogar die Schuld an Teresas Tod?
Meine Theorie ist ja, dass Anna es selbst nicht weiß, aber dafür finde ich im Text keine handfesten Beweise.
Oder hast du den Grund extra rausgelassen? Wenn ja, was war dieser Grund?

Gelungen finde ich die Darstellung von Annas Charakter, die trotz der verletzenden Aussagen der Mutter diese nicht mit ihrer Demenz allein lassen kann. Ich denke, sie hat die Suche nach ihrer Anerkennung und Liebe nie aufgegeben.
Auch passend finde ich die Kurzschlussreaktion, die zur sofortigen Beendigung von Annas Tortur führen soll, aber der Stress hat sich einfach so in sie reingefressen, dass sie eben doch komplett am Ende ist.

In ihrem Bett liegt, aufgebahrt, meine Mutter. In ihren Händen, wie eine Grabbeigabe, ein weißes, zerkratztes Phon.
Mit diesem Satz habe ich so meine Probleme, denn er hat mich prompt aus der schönen Atmosphäre rausgerissen, anstatt sie ausklingen zu lassen. Er ist mir zu final, zu konkret und vor allem zu malerisch. Du beschreibst da im letzten Satz eine Szene, die wie für ein Gemälde komponiert wirkt.
Da ist diese Bitte um Vergebung mit drin, weil die Mutter in der Nacht alle Geschichten nochmal erzählt hat - vielleicht als Erklärung für das gestörte Verhältnis.
Da ist bereits die ehrfürchtige Gottesdienststimmung mit drin, weil sie wie aufgebahrt (vielleicht sogar drapiert) daliegt.
Und als letzte Komponente die Kratzer auf dem Phon, die ich irgendwie nicht richtig einordnen kann.

Ich hätte mir eine sanftere, gestrecktere Herangehensweise an dieses Schlussbild gewünscht.
Der Grundgedanke, dieses Bild zu malen stört mich gar nicht, nur wie gesagt war es mir zu viel und zu drapiert für den kurzen Abschnitt.

Ansonsten war es eine wirklich wunderschöne Geschichte mit viel Feingefühl und großer Erzählkunst.

Liebe Grüße,

Jana

 

Huch!!! Ach du heiliger Scheiß, wo kommt das denn jetzt her?????
Aber ich hab mich ja gefreut über einen Kommentar zu der alten Geschichte.

Und damit gleich Hallo Jana,
herzlich Willkommen bei uns.
Du hast dir meine "Fleißigen Hände" rausgegriffen. Fand ich schön, dass du sie lesen mochtest und ja, auch ein bisschen mochtest. Große Erzählkunst hört man ja immer gerne, aber mindestens genauso interessant sind ja oft die Fragen oder Probleme, die Kommentierende mit einem Text haben.

Da will ich mal versuchen, mich wenigstens einer Antwort zu nähern.

Ich war eine begeisterte Näherin. Und so begabt. Deine Schwester hat das von mir.
Schöner fände ich, wenn zunächst ein Bezug zur Schwester hergestellt würde, etwa "Deine Schwester kann es ja auch, das hat sie von mir." So bin ich jedoch in den Satz "hineingestolpert".
Klar, das ist überlegenswert, aus Lesersicht zumindest. Mein Gedanke war, dass das in diesem Gespräch oraler und glaubwürdiger wirkt, wenn die Mutter so spricht. Auch wenn der Leser vielleicht mal kurz ins Stocken kommt. Die Mutter assoziert ja eher, ihre Gedankengänge sind unterbrochen, wie das bei dementen Personen in der Abfangszeit ja oft der Fall ist, da wird nicht alles ausgesprochen, weil es für sie ja anstrengend ist, Bezüge herzustellen. Dieses Stolpern riskiere ich also einfach mal und empfinde es auch nicht als zu gravierend. Jedenfalls noch nicht. :) Also du siehst, ich prüf noch mal.

und zwar geht es um die Abneigung der Mutter gegen ihre Tochter.
Ein Grund wird nicht genannt und daran bin ich immer ein wenig angeeckt. Es muss ja etwas vorgefallen sein, weswegen die Mutter von ihr enttäuscht ist.
Ist es wegen der abgesagten Hochzeit? Hat sie den falschen Beruf gewählt? Gibt die Mutter ihr vielleicht sogar die Schuld an Teresas Tod?
Meine Theorie ist ja, dass Anna es selbst nicht weiß, aber dafür finde ich im Text keine handfesten Beweise.
Oder hast du den Grund extra rausgelassen? Wenn ja, was war dieser Grund?

Was wäre anders an der Geschichte, wenn man einen expliziten Grund nennt? Ich sehe da nichts. Was ich damit sagen will, es geht ja hier nicht um einen ursprünglichen Hintergrund, warum eine Mutter sich fies zu ihrer Tochter verhält, das wäre ja ein anderes Thema, sondern es geht um das, was du auch benennst: Da macht jemand weiter, kämpft bis aufs Blut um die fehlende Anerkennung, von der sie nicht weiß, warum sie sie früher (abgeschwächt) schon nicht bekommen hat und jetzt im dementen Zustand noch viel weniger. Außerdem lässt der Text offen, ob sie zu der toten Schwester nicht ähnlich manipulativ war.
Anna fragt sich das nicht, warum die Mutter so zu ihr ist, sie konstatiert es und opfert sich. Und das führt zu dem Verderben.
Wenn sie sich nur mal ernsthaft gefragt hätte, dann wäre sie vielleicht darauf gekommen, dass es an ihr keinen Grund gibt, der sie unliebenswert erscheinen lässt und dann hätte sie es vielleicht auch nicht nötig gehabt, durch ihre Verzichtsbereitschaft quasi zu büßen.
Du siehst, dass mir der mütterliche Grund nicht sonderlich wichtig war. Jedenfalls für die Geschichte und die kurze Zeit, in der das Phon die Macht übernimmt.

Die letzte Stelle. Ohje, ist in Ordnung, ich überprüfe noch mal. Mit dem malerischen sprichst du was an. Ich sehe wohl recht oft Situationen wie Bilder vor mir. Und diese hier erschien mir sehr sehr stimmig. Es kann auch sein, dass eine Rolle gespielt hat, dass der Text ursprünglich mal für einen Wettbewerb (E.A.Poe) geschreiben war, der dann nie stattfand. Vielleicht hängt das Plakative damit zusammen?
Ich prüfe es noch mal in ein paar Tagen (oder Wochen wie ich mich kenne) ob ich wirklich an dem letzten Bild was machen will. Ich mag es eigentlich recht gern, gerade wegen des Malerischen und dem Bezug zu Aufbahrung und Vergebung. Trotzdem nehme ich deine Anregung zur Kenntnis und mach mir innerlich eine Notiz. Ich wollte sowieso noch am Anfang was ändern, wo Hanniball, der vorherige Kommentator was gefunden hatte. Muss ich halt nur mal machen. Und im Moment bin ich von dieser alten Geschichte weit weg. Wie insgesamt grad eh vom Schreiben, eigentlich schade.

Ist halt so, dass durch dieses Bild der Fokus ganz stark auf das komische Handy gerückt wird. Und darauf kams mir als alter Horror- und Mysteryliebhaberin wohl an. Ob allerdings das "zerkratzte" sein muss, das weiß ich auch nicht. So wichtig ist das nicht und klar, wenn das verwirrt, ists blöd. Es sollte nur die häufige Benutzung zeigen. Prüf ich.

Jana, auch wenn ich gerade gar nicht so mit dem Schreiben beschäftigt bin, ich hab mich echt total gefreut. Immerhin kommt man mal wieder drauf, hey Novak, hast ja selbst mal Geschichten geschreiben. Ja, kommt mir grad vor, wie wenns schon sehr lang her wäre. Mal gucken, ob ich überhaupt noch schreiben kann. :D

Du bist die, die diese reizende Samstaggeschichte geschrieben hat, gell? Die fand ich sehr sympathisch. Hätte aber eine kleine Anregung gehabt. Vielleicht kann ich mich ja bei dir durch einen Komm bedanken. Mal schauen, ist aber nicht versprochen. :)
Also dankeschön für deinen Besuch. Das war sehr erfreulich. Kannst gerne öfters kommen :D


Viele Grüße von Novak

 

Hallo Novak,

ich freue mich riesig über deine ausführliche Antwort, auch wenn, oder gerade weil die Geschichte ja nicht mehr so brandneu ist.

Da hab ich mir aber gerade ordentlich ins Knie gebissen: Meine erste Assoziation, als ich den Text gelesen habe, war ja "Tell-Tale Heart" von E.A. Poe! Und ich hätte es beinahe sogar in den Kommentar geschrieben - du hast also ganz schön was richtig gemacht, wenn die Geschichte ihm zu Ehren oder mindestens mal als durch ihn inspiriert geschrieben wurde.

Ich muss ja zugeben, dass ich nicht aus Versehen hier hereingestolpert bin, denn Kanji hat mich hierher verwiesen, damit ich mal lese, was gute Dialoge sind :) Ich stimme voll zu!

Dass der Grund für das gestörte Verhältnis extra nicht verraten wurde, hat letzten Endes vielleicht der Dichte des Textes sogar gut getan, wenn ich genau darüber nachdenke. So bleibt man im Moment.

Ich drück dir die Daumen, dass du bald wieder die Zeit zum Schreiben findest. Weil Schreiben einfach Therapie für alles ist. Und weil ich sehr gerne mehr von dir lesen möchte - also sei dir sicher: I'll be back ;)

Liebe Grüße,

Jana

 

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