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Fleißige Hände

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22.10.2011
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Fleißige Hände

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Babyphon gab. „Für dich“, sagte sie, „man kann es auch für Mütter verwenden. Es ist ein Stück Freiheit von ihr.“

*

Sonnenstrahlen werfen lange Streifen auf ihr Bett. Ich will Mutter aufrichten, damit sie hinausschauen kann, doch sie redet lieber mit Caro. Mutter ist gut gelaunt, die Haare sind gewaschen und in Löckchen gelegt. Mit blanken Augen sitzt sie in ihrem Bett, in den Händen knetet sie Apfelschnitze. Eine niedliche Reklame-Oma, die Erinnerungen an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen weckt. Ich denke an den Duft von Flieder und Jasmin und an ein Blech Zuckerkuchen.
Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum. „Ich möchte Rouge auflegen und Lippenstift, Kind, du weißt schon, welchen. Ich muss schön aussehen, wenn deine Schwester kommt.“
Ich seufze und zucke mit den Schultern. Schon wieder denkt sie das. Wie soll ich sie nur ablenken?
Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.

Wenn Mutter mit Caro spricht, klingt sie anders. Nicht so fordernd, sondern stolz und fast ein wenig ängstlich. „Meine Tochter hat ja eine Pause eingelegt, ihre Karriere aufgeschoben, um mich zu pflegen. Ich finde, das ist doch auch richtig. Oder?“ Caro legt die Hand auf die zarten Finger meiner Mutter. „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Wagner, Ihre Tochter weiß schon, was sie tut.“
Ich bin so froh, dass Caro regelmäßig kommt. Die Pflege einer dementen, alten Frau ist nicht leicht. Vor allem, wenn man allein ist. Manchmal möchte ich mich hinter Caro, dieser fröhlichen, immer nach Zitronenseife duftenden Frau verstecken.
Noch ein paar Minuten Ruhe, bevor sie geht, denke ich und blicke aus dem Fenster. Auf der Straße gegenüber läuft eine Frau mit einem kleinen Hund. Sie zieht an der Leine, doch das Tier will nicht weiter. Das Mäntelchen, das es gegen die Kälte tragen muss, ist ihm über den Hals gerutscht. Nun steckt der Kopf unter einem Stofftrichter aus Schottenkaro. Noch hat die Frau nichts bemerkt. Die Leine wird lang und länger, an ihrem Ende baumelt der Stofftrichter, dahinter folgt der kopflose Hundeleib, unter dem sich vier schiefe Pelzstengel in den Boden stemmen. Endlich entdeckt die Frau das Malheur und zieht den Umhang zurecht. Wie auf Kommando trippelt das Tier los. Ich muss lachen.
„Was kicherst du, Kind?“
Ich zeige auf die zottelige Hunderaupe im Schottenmantel.
„Weißt du, dass ich als Kind einen Rock aus Schottenkaro hatte? Selbst genäht natürlich. Ich war eine begeisterte Näherin. Und so begabt. Deine Schwester hat das von mir. Ich verstehe nicht, warum du nicht nähen kannst.“
Ich wende mich vom Fenster ab, der kleine Hund ist längst um die Ecke gebogen.
„Kind, ein bisschen nähen sollte jeder können. Wenigstens kriegst du Sauerbraten hin. Mit irgendwas muss man die Männer beeindrucken. Ich hätte das alles ja nicht gebraucht.“
Ich antworte immer noch nicht. Die Sonnenstreifen sind weitergewandert und umrahmen den Kopf meiner Mutter mit einem seidigen Lichtkranz wie auf einem alten Madonnengemälde. Was für ein unpassender Ort.
„Damals, als wir noch in Köln lebten, da war doch dieser junge Mann, der uns immer Kuchen geschenkt hat. Aber deine Tante war so, du weißt schon, so ein bisschen wie du.“
„Mutter, ja, sie hat dir den Kuchen weggenommen.“
„Woher weißt du das?“
„Du hast es mir erzählt. Ungefähr hundertmal.“
Meine Mutter kichert verlegen. Immer, wenn sie so lacht, könnte ich sie gern haben. Doch wenn man müde ist, hält Liebe kaum zwei Stunden. Ich reiche ihr einen Becher Kakao, meine Hände zittern. Bevor ich das Tablett mit der Tasse richtig abstellen kann, stößt sie dagegen. Flüssigkeit tropft auf das Laken. „Du musst doch sowieso neu beziehen“, murmelt sie. Ich könnte schwören, sie hat das absichtlich getan. Kakaoflecken neben gelblichen Suppensprengseln. Das war gestern. Ein Rorschach-Test für Töchter. Doch dann schäme ich mich. Sie hat ja Recht, ich sollte das Bettzeug wechseln. Aber ich fühle mich so müde. Ich wollte noch warten, bis Caro mir helfen kann. Absichtlich sollte sie mich trotzdem nicht anstoßen. Das tut man nicht. Auch nicht als Mutter.

Die Stunden dehnen sich. Mir fällt es immer schwerer, die alte Frau zu waschen und zu wickeln. Sie hat heute lange gebraucht, um zur Ruhe zu kommen, das Phon ist eingeschaltet. Nun schläft sie. Hoffentlich.
Freiheit, hat Caro gesagt. Ich stelle den Fernseher an, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Müdigkeit umgibt mich, eine dicke, milchig gefärbte Glasscheibe, hinter der fremd und ungreifbar meine Gedanken treiben. Wie Quallen dehnen sie sich aus, schrumpfen, kehren wieder.

*

Ein neuer Morgen mit einem verschleierten Himmel dämmert herauf. Es gibt Tage, da sehen selbst die Farben aus, als hätten sie den Grauen Star. Ich fröstele. Die Kreuzschmerzen sind stärker geworden, und meine Finger zittern. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber es wird stärker. Das Tablett für meine Mutter rutscht mir aus den Fingern, der Kakao bespritzt das Bett. Schon wieder. Später hilft Caro mir beim Umbetten und bezieht neu. „Sie sollten Ihre Mutter mal in die Kurzzeitpflege bringen“, sagt sie. „Sie brauchen eine Auszeit. Es ist jetzt schon fast zwei Jahre, dass Sie Ihre Mutter ununterbrochen pflegen. Andere sind da rigoroser.“
Ich blicke auf meine Hände. Sie hat ja Recht. Ich kann das nicht mehr. Aber ein Pflegeheim? Keiner hat Zeit, die alten Leute liegen sich wund. Außerdem wäre sie nicht mehr hier bei mir. Ich spüre, dass meine Mundwinkel sich ein wenig kräuseln, ganz von allein.

Meine Mutter freut sich immer, wenn sie Caro sieht. Die ist geduldig und hört sich die Geschichten der alten Frau auch zum zehnten Mal an. Von dem Pferd und ihrer Allergie und dass ihr Mann zum Glück frühzeitig gestorben ist. Dass sie als Kind vor einem alten Lehrer abgehauen ist, der noch Jahre nach dem Krieg die Schüler in Reih und Glied antreten ließ und immer sagte, „es war nicht alles schlecht damals.“ Dem sie heimlich den Stock klaute, mit dem er die Kinder schlug. Und der sie einsperrte, weil sie nicht erzählen wollte, wer den Stock gestohlen hatte. „Und stellt euch vor“, sagt sie stolz zu uns, „kein Kind hat mich verraten. Sie wussten alle, dass ich es war. Aber sie schwiegen. Und den Stock? Den haben wir verbrannt, Kartoffelfeuer gemacht. Die haben geschmeckt, die Kartoffeln.“ Ihr Gesicht glüht.
Ich liebe diese Geschichte, ich stelle mir vor, wie sie mit wehendem Röckchen vom Dach des Schulhauses auf einen Sandhaufen springt, in der Hand den Stab des Lehrers. Und ich sehe ihr wildes Gesicht, wenn sie den Stock ins Feuer wirft. Alle Kinder hielten dicht für meine Mutter. Ja, so war sie. Ich höre zu und denke an das, was zwischen uns hätte sein können.

Am Abend erzählt sie wieder von ihrer Jugend. Davon, dass sie meinetwegen heiraten musste, dass man leider noch nicht sicher verhüten konnte. Und wieder von Köln - und von dem jungen Mann. Dass er so hübsch war, so charmant, sogar zu mir. Sie redet ohne Atempause, den Oberkörper leicht vorgebeugt. Ihr Kiefer mahlt Worte, die wie schwere Brocken auf den Boden fallen, dort liegen sie und warten, dass jemand sie wegfegt. „Er hat Kuchen mitgebracht. Mir, deiner Tante, sogar dir.“ Ich schaue auf meine Hände, sie zittern. Weiß sie denn nicht mehr, dass dieser junge Mann mein Verlobter war?
Später, als sie schläft, schalte ich den Fernseher an. Ein Tele-Arzt rät zu Entspannung. Was weiß der schon von meinem Leben und von der Zeit, die nicht vergehen will? Sie dehnt sich wie ein Band von hier bis zum Zimmer meiner Mutter und schlingt mich darin ein. Irgendwann schaffe ich es aufzustehen und mich hinzulegen.
Im Traum laufe ich durch die Korridore eines alten Hauses. Die Wände sind schief und verschieben sich immer mehr, als wollten sie aus der Vertikalen flüchten. Etwas lässt mich hochschrecken. Und dann höre ich es. Geräusche. Wispern und Ticken. Zuerst leise, dann immer lauter. Ein stetes Klopfen. Das Phon. Als ich aufmerksam hinhöre, merke ich, dass hinter dem Klopfen eine Stimme ist. Unverständliche Worte, die wie Wellen an mein Ohr schwappen, sich zurückziehen und wiederkehren. Unaufhörlich. Monoton. Ich schleiche zu ihrem Zimmer und öffne die Tür. Sie schweigt. Nur manchmal ein damenhafter Schnarcher. Vielleicht verstellt sie sich.

*

Ich bin seit fünf Uhr früh auf den Beinen, ich muss waschen und Mails an die Krankenkasse schreiben. Erschöpfung hüllt mich ein, aber ich kann nicht ruhen, ich muss mich beeilen, bevor meine Mutter wach wird.
„Kind, wo ist mein Kakao? Ich hatte eine schlechte Nacht.“
Da ist sie schon. Ihre Stimme klingt schwach, aber gebieterisch durch das Phon.
Ich öffne die Tür einen Spalt und stecke den Kopf zu ihr hinein. Sie sieht blass aus.
„Mutter, ich muss nur noch was fertig schreiben, in einer Viertelstunde kriegst du deinen Kakao.“
„Mein Herz klopft, Kind, ich fühle mich nicht gut. Bitte, sei so lieb und komm!“
„Nur einen Moment noch, dann bin ich so weit.“
„Warum lässt du mich betteln? Es ist doch nur ein Kakao. Ich weiß, ich bin eine Last für dich. Es ist schlimm, so alt zu sein.“
„Mutter, bitte, ich bin gleich da.“
Im Weggehen höre ich noch ihre Stimme, ganz klein und dünn: „Ich weiß, du willst mich wegschicken, ich habe gehört, was Caro gesagt hat. Das tut so weh, Kind, dass du mich abschieben willst.“
Sie meint das nicht so, denke ich, das sind ihre Spielchen. Gleich, wenn ich fertig bin, werde ich sie trösten. Trotzdem fühle ich mich schlecht.
Aus dem Zimmer ertönt Poltern. Dann ein Aufschrei. Ich springe hoch und laufe hin. Bei dem Versuch aufzustehen, ist sie aus dem Bett gefallen.
„Du hättest doch nur kurz warten müssen.“ Die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Klein und zerbrechlich liegt sie da am Boden und schaut mich von unten herauf an. Wie ein angefahrenes Tier. Ich fasse sie unter den Armen, will sie hochheben. Ihr Körper fühlt sich leicht an, als wären die Knochen mit Luft gefüllt, ich muss aufpassen, dass sie nicht splittern, Gottseidank zittern meine Hände dieses Mal nicht. Warum bin ich nur manchmal so stur? Alles nur wegen einem Kakao.
Rau stößt sie Worte hervor. Es ist kaum zu verstehen, doch mein Körper begreift sofort. „Deine Schwester soll kommen.“ Ich kann machen, was ich will, mir den Arsch aufreißen, sie sogar zu mir holen, alles aufgeben, damit sie mich endlich bemerkt, doch immer wieder fragt sie nach meiner Schwester. Mir ist, als würde die alte Frau immer schwerer werden.
„Du hast doch nie Zeit für mich“, wimmert sie. „So warst du schon immer, neidisch. Was habe ich dir nur getan? Wo ist deine Schwester?“
„Sie ist nicht da. Du musst schon mit mir Vorlieb nehmen.“
„Sie hätte mir Kakao geholt.“
Ich hole tief Luft, doch irgendwo auf halbem Weg zu meiner Lunge formt sich der Atem zu einem pochenden Klumpen, der sich ausdehnt, bis er riesig und glühend meinen Brustkorb füllt.
„Deine Schwester soll kommen.“
„Sie ist tot.“
„Du lügst.“
„Nein. Und gepflegt hätte sie dich sowieso nicht.“
Sie weint. Ganz tief und schrecklich. „Sie war mir so nah. Warum sie?“
Der Klumpen in meinem Inneren fällt in sich zusammen. Es ist keine Explosion, nichts Aufregendes, er fällt nur zusammen und hinterlässt ein Loch, das sich langsam mit etwas Dunklem auffüllt. Ganz selbstverständlich und unspektakulär, einfach so.
Ich stehe vor ihr, meine Hände unter ihren Armen und fühle das Dunkle, bevor ich mich abwende und sie liegen lasse.

*

Tage reihen sich aneinander wie Perlen einer Kette, durchbrochen von dunklen Einfassungen. Am Tag wasche ich meine Mutter und füttere sie. Ich wechsele die Wäsche und bette sie um. Wir sprechen nicht. Am Tag bin ich eine Maschine auf zwei Beinen, erst in der Nacht werde ich zu einem Menschen. Dann, wenn das Phon zum Leben erwacht und meine Mutter sprechen lässt. Es ist kein Wispern mehr, es sind ganze Sätze. Geschichten aus ihrer Kindheit. Vom Meer, von ihrer Zeit in Köln als Sekretärin und von den vielen Männern. Mitten in der Nacht, in einem andauernden Gleichmaß. Ich habe ihre Erzählungen schon früher gehört. Hunderte von Malen. Aber ich hatte sie nie verstanden, weil das Wort Schwester viel zu oft darin vorkam. Jetzt ist es, als wollte meine Mutter die Zeit nachholen, die sie mit mir verpasst hat. Als wollte sie mich begreifen lassen. Das Phon lässt sie zu mir sprechen. Endlich. Und es tut weh, was sie sagt.
Manchmal gehe ich, während sie redet, zu dem alten Schreibtisch mit den Fotos und betrachte unsere Familie. Meine jüngere Schwester Teresa, mein Vater, dazwischen ich. Über uns das strahlende Lachen meiner schönen Mutter. Nur sie ist geblieben. Und ich. Ich höre ihre Stimme: „Fleißig warst du ja, das kann dir keiner nehmen. Aber zu bemüht.“ Die tiefe Stimme meines Vaters, die ich schon vergessen glaubte, kommt hinzu. „Lass sie in Ruhe, sie ist gut, so wie sie ist.“ Und zu mir sagt er: „Du musst nicht bleiben.“ Doch ihre Stimme gewinnt. Das Phon weiß es. Es ist, als könnte ich die Speicheltröpfchen sehen, die bei jedem Wort von ihren Lippen stieben. Und jede Nacht ertappe ich mich dabei, wie ich vor ihrem Zimmer stehe, das Phon in der Hand, und auf ihren Atem lausche. Und jede Nacht wird das Dunkle in mir schwerer. Ich will es aus meiner Brust reißen, doch es geht nicht, weil meine Hände zittern. Sie zittern von der Anstrengung, nicht die Klinke zu ihrem Zimmer hinunterzudrücken.

Eines Nachts gehe ich doch hinein. Der Redeschwall aus dem Phon ist verebbt. Ich stehe vor ihrem Bett, rieche den faden Altfrauengeruch, sehe die feinen, weißen Haare. Ich blicke auf meine Hände und frage mich, wie sie das aushalten. Raue, trockene Haut, bedeckt von kleinen braunen Flecken. Finger, die sich nach rotem Nagellack sehnen und nach einem Streicheln. Stattdessen bewegen sie sich. Hin und her, ein Rhythmus, den ich nicht steuern kann. Ich fliehe aus dem Zimmer, das Phon schalte ich ab.

*

Wieder ein Tag und eine Nacht. Caro war da und ist wieder gegangen. Oder war das schon mehrmals? Alle Nächte ticken jetzt und flimmern wie weißgraues Rauschen eines kaputten Fernsehbildes. Doch diese ist besonders schlimm. Ich schlafe nicht. Mein Hörvermögen ist so scharf wie das eines Tieres.
Ein gleichförmiger Monolog tönt aus dem Phon. Ich drücke auf die Austaste, doch es summt weiter. Ich häufe Kissen darauf. Ihre Stimme dringt trotzdem zu mir durch. „Dieser Mann, ich wusste, dass du ihn mochtest. Es geschah einfach, Kind.“ Bestimmt bilden sich Speichelbläschen zwischen ihren Lippen, blühen auf und zerplatzen, hinterlassen giftigen Schaum, der in ihre Mundwinkel wandert und dort verkrustet.
Ich reiße das Phon unter den Kissen hervor und schleudere es gegen die Wand, ein Regen aus weißen Plastikteilchen rieselt herunter, aus der Abdeckung tritt Draht.
Irgendwann finde ich mich doch vor ihrem Zimmer. Sie schläft, bestimmt verstellt sie sich. Hat sie Angst, jetzt, da ich alles weiß? Ich will es aus ihrem Mund hören. Doch es bleibt still bis auf ein leises Schnarchen. Dann ein Flüstern, ich weiß nicht, ob sie es ist oder der Sender des Phons, der neben ihrem Bett steht. Aber es ist egal, die Stimme weiß Dinge, die nur meine Mutter wissen kann. „Du hattest schon ein Brautkleid gekauft. Türkisgrün. Es war keine Absicht, Kind, nur ein Ausrutscher.“ Ich wende mich ab, den Sender stecke ich ein. Soll sie doch reden. Doch ich kann nicht gehen. Meine Finger zittern in einem schnellen Rhythmus. Fast wie der eines fröhlichen, fremden Liedes. Ich beobachte, wie sich meine Hände einander nähern, als gehörten sie nicht zu mir, wie sie sich treffen und einen Reigen beginnen. Sich vereinen und lösen und wieder verschmelzen. Ein Tanz zweier Hände, die einander umschlingen und liebkosen, einen Ring verdecken und wieder freigeben, den mir vor langen Jahren ein Mann geschenkt hat. Der mich zu lieben versprach und dann seine Liebe einfach vergaß. Es ist, als würde der schmale Reif von meinen Händen aufgezehrt und wieder entbunden in endloser Schleife. Dann das Weiß eines Kissens. Verbirgt sich darunter ein Gesicht? Ein Spiel fällt mir ein, das ich immer mit meiner Schwester spielte, als wir noch Kinder waren. Man muss die andere so bedecken, dass kein Glied mehr unter der Decke hervorschaut. Es ist schön, dieses Spiel. Es wird das Dunkle in mir tilgen. Ein Gesicht leuchtet fahl, ein Mund öffnet sich, dann wird alles weiß von dem Stoff, der das Gesicht bedeckt und den schreienden Mund. Ich sehe Hände, die neben dem Kissen tanzen und winken, ich weiß, ich muss auch sie bedecken, bis sie ruhig sind, das gehört zu dem Spiel. Nichts darf mehr hervorschauen. Kein Laut darf mehr zu hören sein. Sonst hat man verloren.

Als das Kissen über dem Gesicht meiner Mutter sich leicht anfühlt, nehme ich es weg, falte ihre Hände und schmücke sie mit einem Ring aus Bernstein. Er wird sie an ihre Kindheit erinnern. Dann finde ich mich vor dem Fernseher. Doch ich weiß nicht, was ich sehe. Meine Hände ruhen.

*

Es ist früher Morgen. Der Fernseher ist eingeschaltet. Eine Sendung flackert vor meinen Augen. Ich habe meiner Mutter das Frühstück bereitet. Doch sie will nichts essen. Sie ist so kalt jetzt. Und sie schweigt. Ich weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist, nur nicht, was es war. Aber ich bin erleichtert. Das Dunkle hat meinen Körper verlassen, es ist davongeflossen.
Als Caro klingelt, öffne ich ihr nicht. Ich habe frei. Irgendwann steht sie doch vor mir, in der Hand den Schlüssel für den Notfall.
„Anna, was ist mit Ihnen? Haben Sie überhaupt geschlafen?“ Sie klingt so besorgt, dass es mir weh tut.
„Natürlich geht es mir gut, ich habe ja heute frei.“
„Wo ist ihre Mutter, Anna?“
„In der Kurzzeitpflege, da habe ich sie angemeldet.“ Das sollte ich doch, will ich antworten, doch plötzlich höre ich ein Weinen. Es kann nicht sein, aber es ist die Stimme meiner Mutter. Ich soll kommen. Sie braucht mich. Aber ich werde nicht gehen. Nie mehr. Ich greife nach dem Sender, taste überall, doch ich finde ihn nicht, so sehr ich auch suche. Ich will ihn ausschalten, zermalmen, zerquetschen. Die Stimme meiner Mutter wird lauter. Wütender. Wieso hört Caro es nicht? Sie blickt nur auf meine Hände. Ich muss einfach ruhig bleiben, die Finger verstecken, dann wird Caro gehen. Aber sie lassen sich nicht halten, müssen suchen, den verdammten Sender finden. Sie winden sich rastlos, verzweifelt, bis Caro sie festhält. Ich schluchze. Das Phon wird lauter und lauter, das Schreien schwillt an, ich reiße mich los, muss meine Ohren schützen vor dem gellenden Gekreisch.
„Was ist passiert?“, fragt Caro. „Ich helfe Ihnen doch.“
„Ich weiß es nicht! Stell das Phon ab! Bitte.“
Dann ist alles ruhig. Eine Stimme, die wie meine klingt, sagt: „Kommen Sie besser morgen wieder, da habe ich sie hübsch gemacht. Sie muss jetzt schön sein, das hätte sie sich gewünscht.“ Caro steht auf und verlässt das Zimmer, ich folge ihr.
In ihrem Bett liegt, aufgebahrt, meine Mutter. In ihren Händen, wie eine Grabbeigabe, ein weißes, zerkratztes Phon.

 

Zum Hintergrund für diese Geschichte.
Sie ist schon vor einiger Zeit geschrieben worden, ursprünglich für einen Wettbewerb, der sich mit Edgar Allen Poe Geschichten beschäftigte. Der Wettbewerb hat dann aber gar nicht stattgefunden. Mich hat die Geschichte nie ganz losgelassen, ich habe sie nun einfach mal überarbeitet, die direkten Anspielungen herausgenommen, sie insgesamt inhaltlich verändert und angepasst.

 

Hallo Novak,
ich muss zugeben, dass ich mir zu Anfang nicht sicher war, was ein "Phon" ist. Ich kenne es nur als Babyphone, und das fehlende "Baby" hat mich irgendwie verwirrt. Aber das nur Gelaber am Rande.

Die Geschichte ist sehr ruhig erzählt, man kann richtig spüren, wie sehr die Prota von ihrem Tagesablauf und ihrem Leben zermürbt ist. Sie spürt zwar noch Wut, aber ich muss zugeben, dass diese nicht richtig auf mich über geht. Ich kann es verstehen (vor einer solchen Situation hat wohl jeder irgendwie Angst) und fühle die Traurigkeit der Protagonistin, aber die Wut über ihre Mutter bleibt ein wenig auf der Strecke, weil sie hinter der Traurigkeit der Prota etwas zurückbleibt.

Offenbar hat die Mutter den Verlobten der Prota verführt. Ein wohl für eine Frau grauenhaftes Szenario: Schlimmer als eine Freundin oder Schwester. Schlimmer wäre vielleicht nur noch die eigene Tochter. Gerade dass du es aber nicht aussprichst finde ich toll, denn man kann es trotzdem ahnen, nur ist man sich als Leser auch nicht sicher.
Gewünscht hätte ich mir jedoch, dass man erfährt, weshalb die Schwester tot ist oder dass du andeuten würdest, dass die Prota sie ermordet hat (das hätte mir gefallen ...).
So bleibt es aber Spekulation, die nie beantwortet wird.

Möglich ist natürlich, dass ich es ganz falsch verstanden habe und die Prota die Schwester getötet hat, weil diese mit ihrem Verlobten geschlafen hat ...


Fazit:
Ich hätte mir ein wenig mehr spürbare Wut gewünscht, eine Antwort mehr und ein bisschen weniger Lethargie.
Ansonsten hat mir die Geschichte aber sehr gut gefallen. :)

LG
Tamira


Eines fällt mir auf: Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.
Ich bin mir nicht sicher, ob das gewollt so rüber kommt, aber für mich klingt das, als wäre die Schwester die geringere, denn ihr Beruf wäre es, nur die Schwester, also eine Nebenperson, der Prota zu sein.
Ich denke aber vielmehr, du willst es genau umgekehrt ausdrücken.
Evtl: als wäre das mein Beruf.

Warum bin ich nur manchmal so stur, alles nur wegen einem Kakao.
Ich würde daraus 2 Sätze machen. Der Selbstvorwurf geht so irgendwie verloren.

 

Liebe Novak,

im Moment sitze ich noch da und überlege, wie ich das angemessen sage ... Also: Die Geschichte ist total genial!!
Du hast darin dieses Horrorelement mit der Schwester und dem Verlobten und dem Phon und dann die Mutter, die Demenz, das Zwischenmenschliche ...
Ganz ehrlich, das eignet sich meiner Meinung nach super für einen Horror-Kurzfilm! Ich bin total geflasht (sprich: begeistert). :)

Auch wenn ich letzte Woche gelernt habe, dass ich als guter Wissenschaflter thesenorientiert und nicht linear vorgehen sollte, geh ich mal linear durch die Geschichte. Oder so einigermaßen ...

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Phon gab. „Für dich“, sagte sie, „ein Stück Freiheit von deiner Mutter.“

Am Anfang, dass muss ich zugeben, was ich von den ersten zwei Sätzen etwas verwirrt. Weil ich bei "Phon" an ein Handy gedacht habe. Aber im Laufe der Zeit wurde es dann klarer und ich war voll drin.
Und die Diabloität dieses Phons wurde mir erst bewusst, als ich die Geschichte zum zweiten Mal angefangen habe zu lesen. Aber das ist so cool ... wie in einem echt guten Horrorfilm. Ich bin ein Horrofilm-Fan. :)

Und das Ironische daran ... Ja, ja, die "Freiheit", die in das genaue Gegenteil umschlägt und die Paranoia in dieser klaustrophobischen Szenerie erst richtig zum Kochen bringt ... Du bist eben eine Meisterin deines Fachs. Sehr subtil, absolut gekonnt.

Eine niedliche Reklame-Oma, die an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen erinnert. Ich denke an den Duft von Flieder und Jasmin und an ein Blech Zuckerkuchen.

Damit schaffst du den gekonnten Kontrast zu der Mutter, die Anna dann tatsächlich hat, nämlich der sehr fiesen Frau, die ihr anscheinend schon in ihrer Jugend mit ihrer Kritik und dem Vergleich mit der Schwester das Leben schwer gemacht hat:

Ich höre ihre Stimme: „Fleißig warst du ja, das kann dir keiner nehmen. Aber zu bemüht.“ Die tiefe Stimme meines Vaters, die ich schon vergessen glaubte, kommt hinzu. „Lass sie in Ruhe, sie ist gut, so wie sie ist.“ Und zu mir sagt er: „Du musst nicht bleiben.“

Das komlexe Verhältnis bzw. die Darstellung des selbigen ist dir so genial gelungen, da kann ich dich nur immer und immer wieder dafür loben. Das hat richtig Spaß gemacht, das zu lesen und ich bekam eine Gänsehaut.

Eine meiner Lieblingsstellen:

Eines fällt mir auf: Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.

Als wäre das jemand, der den Beruf hat, als Vergleich zu dienen, besser zu sein als Anna und sie dadurch noch kleiner zu halten. Das hast du 1A dargestellt.

Das ist auch super, diese alte Dame, die vor anderen so seltsam wohlwollend tut und mit ihrem Lob doch gleichzeitig einen tüchtigen Schlag austeilt:

Wenn meine Mutter mit Caro spricht, klingt sie anders. Nicht so fordernd, sondern stolz und fast ein wenig ängstlich. „Meine Tochter hat ja eine Pause eingelegt, ihre Karriere aufgeschoben, um mich zu pflegen. Ich finde, das ist doch auch richtig. Oder?“

Du bist nicht nur eine Thrillermeisterin, sondern auch eine Meisterin des Zwischenmenschlichen.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Wagner, ihre Tochter weiß schon, was sie tut.“

"Ihre" in diesem Fall groß geschrieben.

Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum.

Das Wort "dirigiert" ist hier super gewählt, das gefällt mir sehr.

Oder das:

Ein Rorschach-Test für Töchter.

Voll super!

Dann wird klar, wie die Mutter das auf die Spitze treibt:

Dass er so hübsch war, so charmant, sogar zu mir.

Die Formulierung fand ich etwas seltsam:

„Wollen Sie nicht mal ihre Mutter in die Kurzzeitpflege bringen?“, fragt sie.

"Ihre" einmal groß und um den Sinn des Satzes richtig zu fassen, hätte ich eher gedacht: "Wollen Sie Ihre Mutter nich mal in die Kurzzeitpflege bringen?" Sie soll da ja nicht für immer hin, nach dem Motto: Wann bringen Sie sie denn da endlich hin? Sondern: Wollen Sie das nicht mal machen, um ein bisschen Ruhe zu haben?

Das Drama bahnt sich ja schon an:

Mir ist, als würde die alte Frau immer schwerer werden.

Die Szene, wie sie die Mutter aufhebt bzw. es beginnt und dann doch liegen lässt, fand ich symbolisch für die ganze Geschichte, so als Kern ist das total super.

Als ich nach dem zwischenmenschlichen Geplänkel dachte, es kann nicht mehr besser werden, beschreibst du den Mord und der ist so "artful" ...

Am Tag bin ich eine Maschine auf zwei Beinen, erst in der Nacht werde ich zu einem Menschen.

Toll!

Künsterlisch/poetisch:

Ein Tanz zweier Hände, die einander umschlingen und liebkosen, einen Ring verdecken und wieder freigeben, den mir vor langen Jahren ein Mann geschenkt hat. Der mich zu lieben versprach und dann seine Liebe einfach vergaß. Es ist, als würde der schmale Reif von meinen Händen aufgezehrt und wieder entbunden in endloser Schleife. Dann das Weiß eines Kissens. Verbirgt sich darunter ein Gesicht? Ein Spiel fällt mir ein, das ich immer mit meiner Schwester spielte, als wir noch Kinder waren. Man muss die andere so bedecken, dass kein Glied mehr unter der Decke hervorschaut. Es ist schön, dieses Spiel. Es wird das Dunkle in mir tilgen. Ein Gesicht leuchtet fahl, ein Mund öffnet sich, dann wird alles weiß von dem Stoff, der das Gesicht bedeckt und den schreienden Mund. Ich sehe Hände, die neben dem Kissen tanzen und winken, ich weiß, ich muss auch sie bedecken, bis sie ruhig sind, das gehört dazu zu dem Spiel. Nichts darf mehr hervorschauen. Kein Laut darf mehr zu hören sein. Sonst hat man verloren.

Und das fand ich so tieftraurig:

Ein Tanz zweier Hände, die einander umschlingen und liebkosen, einen Ring verdecken und wieder freigeben, den mir vor langen Jahren ein Mann geschenkt hat. Der mich zu lieben versprach und dann seine Liebe einfach vergaß.

Liebe Novak, ich find die Geschichte einfach nur toll! :)

Viele Grüße
Tell

P.S. Noch eine grammatikalische Kleinigkeit:

Warum bin ich nur manchmal so stur, alles nur wegen einem Kakao.

wegen eines Kakaos

 
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Liebe Novak,

wie du weißt, bin ich kein Spezialist für Horror, aber ich bin ein Spezialist für die Machtspielchen von Müttern. Zum Glück waren meine drei Schwestern und ich irgendwann so klug, dass wir uns darüber verständigten, uns nicht länger wie Schachfiguren von unserer Mutter hin und herbewegen zu lassen. Unser Verhältnis wurde danach - und ist es zum Glück bis heute - sehr viel entspannter.

Zu deiner Geschichte: Du zeigst sehr gut eine Mutter, die ihre Töchter gegeneinander ausspielt, auch die Pflegerin in dieses Spiel mit einbezieht, Bemerkungen von sich gibt, die wie zufällig daherkommen, in Wirklichkeit aber, den, an den sie gerichtet sind, klein machen und in Abhängigkeit halten, um die eigene Macht zu zementieren.

Eine von vielen Stellen, die das auf den Punkt bringt:

Dass er so hübsch war, so charmant, sogar zu mir.

Und auch die Darstellung der Ambivalenz der Beziehung Annas zu ihrer Mutter ist dir sehr gut gelungen. Ich kann sie mir sehr gut vorstellen, diese Tochter, die sich bemüht, der Mutter alles recht zu machen, die zunehmend überfordert ist, vieles erkennt, u.a., welche Rolle die Mutter in ihrer Liebesbeziehung gespielt hat, und zum Schluss abgleitet in eine Paranoia, wie Tell es nennt.

Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich deine Geschichte wirklich verstanden habe, die Geschichte nämlich, die hinter der Geschichte steht und das Handeln Annas motiviert und erklärt.

Irgendwann finde ich mich doch vor ihrem Zimmer. Sie liegt auf ihrem Bett, aber sie sie verstellt sich bestimmt nur. Vielleicht hat sie Angst, jetzt, da ich alles weiß. Ich will es aus ihrem Mund hören.
Was ist es, was sie jetzt weiß? Ich kann hier leider nur vermuten, für mich löst sich das Puzzle nicht wirklich auf.
Da ist eine Schwester, die jetzt tot ist. Was hat es mit ihrem Tod auf sich? Welche Bedeutung hat dieser Tod für die Handlung?
Und da war ein Mann, den Anna liebte, den es nicht mehr gibt. Hat die Mutter die Beziehung hintertrieben? Hat sie mit ihm geschlafen? Was ist wirklich passiert? Was weiß Anna oder was glaubt sie zu wissen?

Du hattest schon ein Brautkleid gekauft. Türkisgrün. Es war nicht absichtlich, Kind, nur ein Ausrutscher.“

Ich kann nur vermuten: Die Mutter, eine schöne, egoistische und wilde Frau, hatte eine Beziehung zu dem Mann, den Anna heiraten wollte, nennt dies einen ‚Ausrutscher’.


„Dieser Mann, ich wusste, dass du ihn mochtest. Es tut mir Leid, Kind.“
Leider finde ich nicht mehr Hinweise, auf das, was da allmählich in Annas Bewusstsein dringt und sie gepaart mit ihrer körperlichen und psychischen Überforderung allmählich in so etwas wie Schizophrenie gleiten lässt. Am Ende steht fast konsequenterweise der Tod der Mutter. Du nimmst den Leser mit in diese Gedankenwelt Annas und zeigst gleichzeitig die äußeren Anzeichen auch des körperlichen Zusammenbruchs, indem du immer wieder die Hände in den Fokus nimmst. Das ist schon sehr gut gemacht.

Probleme habe ich allerdings mit dem Phon. Das ist etwas sehr Reales und so führst du es auch ein:

als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Phon gab
Es ist die Verbindung zwischen der Mutter und Anna:
Da ist sie schon. Ihre Stimme klingt schwach, aber gebieterisch durch das Phon.

später schaltet Anna es ab:

Ich fliehe aus dem Zimmer, das Phon schalte ich ab.

Das hört sich für mich alles so an, als gäbe es dieses Phon wirklich. Wie soll ich dann aber das Ende verstehen?

Nun sagt Caro, es hätte nie ein Phon gegeben. Alle sagen das.
Diesen Satz am Schluss verstehe ich einfach nicht. Ich begreife, dass das Phon zuerst seine echte Aufgabe erfüllt, später nur noch als Medium für Annas Einbildungen dient. Aber was jetzt: Gibt es das Phon oder gibt es das Phon nicht? Da erschließt sich mir das Ende der Geschichte nicht.

Liebe Novak, um deine Geschichte zu verstehen, muss ich mich sicherlich noch vertiefter mit ihr beschäftigen. Was ich im Moment mitnehme, ist der Eindruck, dass du hier sehr nahe an die Person der Anna und auch die der Mutter herangegangen bist und die Psychologie des Geschehens gut entwickelt hast. Mit dem Phon, das habe ich gesagt, habe ich allerdings meine Probleme: Es ist mir zu konkret, als dass ich es als etwas, was ist und gleichzeitig nicht ist, verstehen kann.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Novak,

eine Horrogeschichte zu lesen, muss man schon wollen.
Und als ich die ersten Absätze gelesen und mitempfunden habe, weil du sie wunderbar bildhaft beschrieben hast, war das bereits genug Horror für mich, den lieben langen Tag eine demente, lieblose Mutter hauptberuflich zu pflegen, aber auch 'Humor', z.B. die Szene mit dem kleinen Hund, die sie beobachtet. Auch der Klang der Geschichte war humorvoll und leicht, blumig und bunt. Du hast viele Bilder geschaffen, die mich zumindest zum Schmunzeln brachten, wie hier

Ich könnte schwören, sie hat das absichtlich getan. Kakaoflecken neben gelblichen Suppensprengseln. Das war gestern. Ein Rorschach-Test für Töchter.

Dennoch offenbarst du ja recht früh "psychotische" Merkmale an der Tochter, mit den zitternden Händen, der Müdigkeit und der Erschöpfung. Und somit verunsicherst du mich als Leser und mir wird unheimlich zumute. Mir schwant Übles.

Es ist sehr gut, dass du von Anfang an mehrere Gründe lieferst, weswegen sich die Situation zuspitzen wird, ich fiebere nach jedem weiteren, dennoch bleiben diese Gründe belanglos, wenig spektakulär und deswegen unheimlich. Und alle liefert die Mutter.

Du schaffst es, mir Bilder zuliefern, die mich immer weiter dazu führen an einen Polanski-Film zu denken, ihn quasi zu sehen. Die Situation spitzt sich zu und ich bin ganz und gar involviert, sehe jede Szene, Schwarz-weiß.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich aus der Stimmung geholt werde, sobald die Tochter ihre Gefühle analysiert, sich selbst noch wahrnimmt, sich erklärt

Am Tag bin ich eine Maschine auf zwei Beinen, erst in der Nacht werde ich zu einem Menschen.

Dann finde ich mich vor dem Fernseher. Doch ich weiß nicht, was ich sehe

Aber ich bin erleichtert. Das Dunkle hat meinen Körper verlassen, es ist davongeflossen.

Ich glaube, du hast alles dafür getan und gezeigt, dass ich diese Zusätze nicht benötige. Auch wenn es das Phon tatsächlich gegeben hätte, wäre der Horror gelungen. Das spielt am Ende keine Rolle.

Eine dichte, beeindruckende, unheimliche Darstellung von Wahnsinn ist dir gelungen.

Noch einen schönen, kreativen Urlaub und liebe Grüße, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Novak

Ich kommentiere, obwohl ich momentan eigentlich gar keine Zeit dazu habe. Aber bei diesem Text muss ich einfach!
Fantastisch, wie du den Horror einer Familienkonstellation, einer Familiengeschichte mit realem (und doch sehr subtilem) Horror anreicherst. Die Geschichte funktioniert auf beiden Ebenen wahnsinnig gut, ein echter Psychothriller ist dir da gelungen. Was ich persönlich stark finde, ist die Tatsache, dass du der Versuchung widerstanden hast, das Phon (bzw. die Stimme) aggressiver auftreten zu lassen, man könnte sich ja vorstellen, dass die Stimme provoziert, die Prota stärker bedrängt etc. Bei dir ist die Stimme viel zurückhaltender und dennoch ist die Reaktion der Prota nachvollziehbar, es sind ja genügend Motive da, es reicht eine Stimme, die sagt, was ist.
Das Verhältnis zu Poes pochendem Herz finde ich optimal. Genügend nah, um daran erinnert zu werden, genügend weit entfernt, um mich als eigenständige Geschichte zu begeistern. Klasse!

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Phon gab. „Für dich“, sagte sie, „ein Stück Freiheit von deiner Mutter.“

Auch mich hat das etwas verwirrt. Nicht nur, dass ich nicht wusste, ob ein Telefon gemeint ist, mir war auch nicht klar, ob sich das „von deiner Mutter“ auf „Freiheit“ bezieht oder auf das Phon.

Eine niedliche Reklame-Oma, die an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen erinnert.

Das lese ich so, dass die Oma ähnlich aussieht wie eine Kuchentafel. Vielleicht: „Erinnerungen weckt“ oder ähnlich?

Ihre Stimme dirigiert mich aus meinem Tagtraum.

Sehr schön, dieses „dirigieren“!

Eines fällt mir auf: Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.

Ebenfalls toll. Aber das vorgestellte „eines fällt mir auf“ erscheint mir unnötig, ein wenig für den Leser geschrieben („Achtung, aufgepasst!“). Ich habe mich auch gefragt, weshalb ihr das (erst) jetzt auffallen sollte.

Ich bin so froh, dass Caro regelmäßig kommt. Die Pflege einer dementen, alten Frau ist nicht leicht. Vor allem, wenn man allein ist. Manchmal möchte ich mich hinter Caro, dieser fröhlichen, immer nach Zitronenseife duftenden Frau verstecken.

Würde ich streichen, die Wirkung wäre m.E. ohne diesen erklärenden Zusatz stärker. Allerdings müsstest du das „dement“ irgendwo anders unterbringen.

Auf der Straße gegenüber läuft eine Frau mit einem kleinen Hund. // Ich verstehe nicht, warum du nicht nähen kannst.“

Ich staune immer wieder, wie bestimmten Menschen zu völlig beliebigem Anlass stets das Gleiche einfällt (Vorwürfe, Anschuldigungen). Sehr schön gezeigt!

Die Sonnenstreifen sind weitergewandert und umrahmen den Kopf meiner Mutter mit einem seidigen Lichtkranz wie auf einem alten Madonnengemälde. Was für ein unpassender Ort für einen Heiligenschein.

Ist mir zu erklärend. Das Bild hat man ja schon. Vielleicht einfach: „Wie unpassend!“

Meine Mutter kichert verlegen. Immer, wenn sie so lacht, könnte ich sie gern haben. Doch wenn man müde ist, hält Liebe kaum zwei Stunden.

Mit solchen Sätzen zeigst du die Ambivalenz der Prota sehr schön, bringst sie mir sehr nahe.

Ich könnte schwören, sie hat das absichtlich getan.

„Sie hat es absichtlich getan.“ gefiele mir besser. Wahrheit schaffen! Der Leser weiss ja um die Perspektive der Prota und die damit verbundene epistemische Unsicherheit.

Ich stelle den Fernseher an, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Müdigkeit umgibt mich wie eine dicke, milchig gefärbte Glasscheibe, hinter der fremd und ungreifbar meine Gedanken treiben. Wie Quallen dehnen sie sich aus, schrumpfen, kehren wieder.

Vielleicht könnte man das erste „wie“ streichen.

Das Tablett für meine Mutter rutscht mir aus den Fingern und bespritzt das Bett.

Das klingt, als sei das Tablett flüssig.

Ich blicke auf meine Hände. Sie hat ja Recht. Ich kann das nicht mehr. Aber ein Pflegeheim? Man weiß ja, wie es da zugeht. Keiner hat Zeit, die alten Leute liegen sich wund. Außerdem wäre sie dann nicht mehr hier bei mir.

Schwierig zu erklären, das klingt mir etwas zu umständlich, zu abwägend, vor allem auch wegen dem „Man weiss ja …“. „Aber ein Pflegeheim? Wo sich die alten Leute wundliegen? Wo sie nicht mehr bei mir wäre?“ So in die Richtung. Aber ist nur ein Vorschlag.

Dem sie heimlich den Stock klaute, mit dem er die Kinder schlug. Und der sie einsperrte, weil sie nicht erzählen wollte, wer den Stock gestohlen hatte. „Und stellt euch vor“, sagt sie stolz zu uns, „kein Kind hat mich verraten. Sie wussten alle, dass ich es war.

Da habe ich mich gefragt, wie der Vater auf die Idee gekommen ist, seine Frau wüsste, wer (der Kinder) den Stock gestohlen hat. War sie denn im Schulzimmer?

Ich liebe diese Geschichte, ich stelle mir vor, wie sie mit wehendem Röckchen vom Dach des Schulhauses auf einen Sandhaufen springt, in der Hand den Stab des Lehrers. Und ich sehe ihr wildes Gesicht, wenn sie den Stock ins Feuer wirft. Alle Kinder hielten dicht für meine Mutter. Ja, so war sie. Ich höre zu und denke an das, was zwischen uns hätte sein können.

Der fettmarkierte Satz gehört für mein Gefühl nicht dorhin, nimmt den Blick weg von der Mutter hin zu den Kindern. „Ich sehe ihr wildes Gesicht … Ja, so war sie.“ gefiele mir viel besser.

die wie schwere Brocken auf den Boden fallen

Zwei Leerzeichen vor „Boden“

Was weiß der schon von meinem Leben und von der Zeit, die nicht vergehen will.

Fragezeichen

Irgendwann schaffe ich es aufzustehen.
Im Traum laufe ich durch die Korridore eines alten Hauses.

Da bin ich drüber gestolpert. Sie steht auf und danach träumt sie? Oder ist gemeint: „Irgendwann werde ich es schaffen, aufzustehen?“

Geräusche. Wispern und Ticken. Zuerst leise, dann immer lauter. Ein stetes Klopfen. Das Phon. Als ich aufmerksam hinhöre, merke ich, dass hinter dem Klopfen eine Stimme ist.

Poes pochendes Herz lässt grüssen! Sehr schön!

Ich bin seit fünf Uhr früh auf den Beinen

Zwei Leerschläge vor „Uhr“

Sie meint das nicht so, denke ich, das sind ihre Spielchen. Gleich, wenn ich fertig bin, werde ich sie trösten. Trotzdem fühle ich mich schlecht. Warum mache ich ihr nicht einfach den Kakao? Die Mail war sowieso schon unterbrochen.

Den vorhergehenden Dialog fand ich klasse! Hier ist mir das zu sehr aufgedröselt. Hat sicher viel mit persönlichen Vorlieben zu tun, wollte es aber dennoch anmerken.

. Klein und zerbrechlich liegt sie da am Boden und schaut mich von unten herauf an. Wie ein angefahrenes Tier. Ich fasse sie unter den Armen, will sie hochheben. Ihr Körper fühlt sich leicht an, als wären die Knochen mit Luft gefüllt, ich muss aufpassen, dass sie nicht splittern, Gottseidank zittern meine Hände dieses Mal nicht.

Grossartig!

Es ist kaum zu verstehen, doch mein Körper begreift sofort.„Deine Schwester soll kommen.“

Leerschlag zwischen den Sätzen fehlt.

Meine jüngere Schwester Teresa, mein Vater, dazwischen ich. Über uns das strahlende Lachen meiner schönen Mutter. Alle tot, nur sie ist geblieben. Und ich.

Das „alle“ liest sich für mich unfreiwillig komisch, denn immerhin leben noch zwei von vier.

„Dieser Mann, ich wusste, dass du ihn mochtest. Es tut mir Leid, Kind.“

Schwierige Sache. Möchtest du das „Es tut mir leid (kleingeschrieben)“ drin haben? Ich fand es irgendwie, wie soll man sagen, dramaturgisch unpassend und hätte eher so etwas wie: „Er war so schön.“ Oder „Es geschah einfach“ oder so erwartet, eine Rechtfertigung, aber keine Entschuldigung.

„Du hattest schon ein Brautkleid gekauft. Türkisgrün. Es war nicht absichtlich, Kind, nur ein Ausrutscher.“

Erscheint mir redundant. Vielleicht nur: „Es war keine Absicht, Kind.“

Ein Spiel fällt mir ein, das ich immer mit meiner Schwester spielte, als wir noch Kinder waren. Man muss die andere so bedecken, dass kein Glied mehr unter der Decke hervorschaut. Es ist schön, dieses Spiel. Es wird das Dunkle in mir tilgen. Ein Gesicht leuchtet fahl, ein Mund öffnet sich, dann wird alles weiß von dem Stoff, der das Gesicht bedeckt und den schreienden Mund. Ich sehe Hände, die neben dem Kissen tanzen und winken, ich weiß, ich muss auch sie bedecken, bis sie ruhig sind, das gehört dazu zu dem Spiel. Nichts darf mehr hervorschauen. Kein Laut darf mehr zu hören sein. Sonst hat man verloren.

Spitzenklasse!

Lass sie reden, denke ich und lausche dem Flüstern meiner Mutter, das aus dem weißen Plastikkästchen klingt.

Ich glaube, ich hätte das Phon nach der Tat verstummen lassen. Meine ich nur so als Anregung. Das Phon fordert ja nicht zur Tat auf, sondern es erzählt die Wahrheit, lässt die Erinnerung lebendig werden. Aber das führt letztlich zur Tat. Nach dem Tod der Mutter hat das Phon in dieser Hinsicht keine Aufgabe mehr. Aber du möchtest wohl zeigen, dass damit die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nicht abgeschlossen ist, die Stimme weiterhin da sein wird?

EDIT: Kanji (unsere Kommentare haben sich überschnitten) schreibt: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich aus der Stimmung geholt werde, sobald die Tochter ihre Gefühle analysiert, sich selbst noch wahrnimmt, sich erklärt"
Das habe ich sehr ähnlich empfunden, obwohl ich dann im einzelnen keine oder nur wenige entsprechende Passagen zitiert habe. Das ändert aber nichts an meinem Fazit:

Liebe Novak, das ist ein echt starker Text, den ich sehr gerne gelesen habe!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Doch wenn man müde ist, hält Liebe kaum zwei Stunden.

Liebe Novak,

dieser Satz, der hat mich gekriegt. Der hat mich irgendwie getroffen ... Aber von vorne:

Der Einstieg hat mir gefallen, deine Protagonistin hatte für mich von Anfang an eine gewisse Schwere. Die Szene mit dem kopflosen Hund und den vier dünnen Beinchen reißt sie für einen kurzen Moment hinaus, ich meinte, ein unbeschwertes Mädchen aufblitzen zu sehen, aber dann war sie auch schon wieder weg. Das fand ich gut gemacht.

Als deine Protagonistin ihrer Mutter den Kakao reicht, da ahne ich etwas. Sie zittert. Sie vermutet, ihre Mutter verschüttet extra Flüssigkeiten auf der Bettdecke. So eine Mischung aus Wut und gleichzeitigem schlechten Gewissen. Eine ganz unangenehme Stimmung.

Müdigkeit umgibt mich wie eine dicke, milchig gefärbte Glasscheibe, hinter der fremd und ungreifbar meine Gedanken treiben. Wie Quallen dehnen sie sich aus, schrumpfen, kehren wieder.
Ich mag bildhafte Sprache einfach sehr. Und deshalb bin ich auch hier hängengeblieben und habe diese zwei Sätze ein paar Mal gelesen. Schön sind sie!

Außerdem wäre sie dann nicht mehr hier bei mir. Ich spüre, dass meine Mundwinkel sich ein wenig kräuseln, ganz von allein.
Auch hier hat's mich irgendwie geschaudert. Sie leidet unter der Pflege ihrer Mutter, ist völlig erschöpft und zittert, aber dennoch scheint sie es schlimm zu finden, wenn ihre Mom nicht mehr bei ihr ist? Irgendwie spooky ... Denn sie könnte sie doch regelmäßig besuchen. Sie müsste ja nicht den Kontakt abbrechen, nur weil sie sich mehr professionelle Hilfe von außen sucht.

Dann ein paar Sätze später wird es bittersüß. Sie stellt sich ihre Mutter als Kind vor. Liebevoll klingen diese Überlegungen. Und doch traurig, wenn sie überlegt, wie es zwischen ihnen hätte sein können.

Ihr Kiefer mahlt Worte, die wie schwere Brocken auf den Boden fallen, dort liegen sie und warten, dass jemand sie wegfegt.
Großartig!

Mir, deiner Tante, sogar dir.
Ständig diese kleinen Spitzen. Ganz sachte baust du sie ein. Aber ich denke mir: Gemeine alte Frau!

Vielleicht verstellt sie sich.
Oha! Da habe ich kurz den Atem angehalten. So ein kleiner Satz mit ziemlicher Wucht dahinter.

Das tut so weh, Kind, dass du mich abschieben willst.
Boah! Jetzt werde ich wirklich wütend auf die alte Dame. Ja, es ist schlimm, krank zu sein, egal in welchem Alter. Und es ist schlimm, niemanden mehr zu haben und sich in einem Heim oder betreutem Wohnen von Fremden helfen zu lassen. Aber deshalb verpflichtet man doch nicht seine Kinder zum Krankendienst. Und schon gar nicht mit psychischem Druck. Ich habe das bei meinem Dad und seinen Eltern mitbekommen, die hatten ähnliche Ansprüche. Das hat mich so wütend gemacht. Er konnte sich daraus zum Glück lösen.

Die ganze Szene ist unfassbar beklemmend. Und das hier

Der Klumpen in meinem Inneren fällt in sich zusammen. Es ist keine Explosion, nichts Aufregendes, er fällt nur zusammen und hinterlässt ein Loch, das sich langsam mit etwas Dunklem auffüllt. Ganz selbstverständlich und unspektakulär, einfach so.
Ich stehe vor ihr, meine Hände unter ihren Armen und fühle das Dunkle, bevor ich mich abwende und sie liegen lasse.
vor allem! Die Stimmung wird immer dichter, immer düsterer.

Ein kleine Winzigkeit:

Irgendwann finde ich mich doch vor ihrem Zimmer. Sie liegt auf ihrem Bett, aber sie sie verstellt sich bestimmt nur.
Ein "sie" zu viel.

Das Ende hat wirklich etwas von Edgar Allan Poe. Ich lese sehr gerne seine Gruselgeschichten. Das Ende deiner Geschichte erinnert mich an "Das verräterische Herz". Der Mann, der sich selbst verrät, weil er ein Herz schlagen hört, das gar nicht mehr schlagen kann. Dieses Phon, das zu ihr flüstert, ist eine sehr gute Idee.

Ach, was soll ich sagen, ich bin begeistert. Ich finde die Geschichte stimmungsvoll, unheimlich und dennoch mit vielen schönen Sätzen durchzogen.

Sehr gerne gelesen!
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Novak,

das nenn ich mal eine ausgereifte Geschichte, man merkt, dass du schon sehr sorgfältig daran gearbeitet hattest und dass es nicht schadet, einen Text ruhen zu lassen.

Was diese Mutter ihrer Tochter angetan hat, darf man als Leser sich selbst im Detail ausmalen, du begnügst dich mit Andeutungen. Das finde ich raffiniert, weil jeder Leser seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen mit einbringen kann. Horror erlebt ja wahrscheinlich jeder auf individuelle Art, da braucht es
nicht unbedingt Splatterszenarien.

Ob das Phon nun real existiert hat oder nicht, ich stelle mir vor, die Pflegerin, Caro, hat ihr irgendeinen Gegenstand gebracht, den deine Prota sofort als Instrument zur "Befreiung" usurpiert. Leider ist mir kein realer Gegenstand eingefallen. Vielleicht etwas, das eine Rolle gespielt hat im Zusammenhang mit ihrem Verlobten, ein Erinnerungsstück, das die unterdrückte Wut befreit. Darum findet dieses "Phon" nach der inneren Logik seinen Platz auf dem Totenbett der Mutter.
Wie auch immer, Wut und Wahn gehen eine absolut plausible Verbindung ein. Und überraschend für mich, deine Prota bleibt mir bis zum Schluss sympathisch.

Töchter und Mütter, immer wieder auch ein Thema zwischen mir und meiner Schwester.

Schade, dass der Wettbewerb abgesagt wurde. Du hättest bestimmt Chancen gehabt.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Bei einigen Naturvölkern – wie etwa den Lakota, bevor der Weiße Mann seine Kultur den Sioux aufzwang – gab und gibt es die Sitte, dass Alte, die ihr Ende nahen fühlen, das Dorf verlassen, um einerseits nicht zur Last zu fallen und andererseits, um bewusst in der Wildnis und unterm freien Himmel zu sterben. Da hat sich die Zivilisation lange von verabschiedet.

Nun hat sich mit der industriellen Revolution die Kleinfamilie (Eltern, Kind/er) durchgesetzt. Nach der Oktoberrevolution versuchten die Bolschewiki, Familie als soziale Gruppe überhaupt zu zerschlagen, was ihnen nicht radikal genug gelang, dass man diesen Versuch nun unter kapitalistischen und scheinbar "freien" Stücken betreibt, eben Single zu werden, was im Prinzip die Professionalisierung und Auslagerung von Tätigkeitsfeldern erzwingt, die vormals durch die Familie erledigt wurden. Jeder eine Insel, eine Insel für sich – wie hier Mutter und Tochter,

liebe Novak,

und dass das Alter zum gesellschaftlichen Problem wird sollte niemand ein Geheimnis sein. Weil der Zusammenhalt und das (Fanilien-)Band zwischen den beiden Inseln aber zunehmend abnutzt, muss die Icherzählerin die Mutter immer mit dem Possessivpronomen versehen, auf dass sie nicht vergesse, wen sie da betreue und doch zuvor keine Treue erfahren hat … Mutterliebe (wie überhaupt zu Eltern und Älteren) ist halt am Anfang eine erzwungene. Karl Kraus hat es auf den Punkt gebracht, Familien-bande habe einen Beigeschmack von Wahrheit.

Paar Flusen aus der wie ich finde souverän erzählten brüchigen Mutter-Tochterbeziehung

Hier ist die Höflichkeitsform

„Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Wagner, hre Tochter weiß schon, was sie tut.“
Hier kann der abschließende Punkt vorverlegt werden
… und immer sagte, „es war nicht alles schlecht damals“.

Hier ist's leider nicht die Konjunktion soweit
„Nur einen Moment noch, dann bin ich so[...]weit.“

Hier mein ich, dass entsprechend dem Modell des „ich muss mich beeilen“,
Erschöpfung hüllt mich ein, aber ich kann nicht ausruhen, ich muss mich beeilen, bevor meine Mutter ...
auch der vorhergehende Satz nach dem Reflexivpronomen verlange „ich kann mich nicht ausruhen“. "Wegen" ruft eigentlich nach dem Genitiv
, alles nur wegen einem Kakao.
„eines Kakaos“ (hört sich vllt. merkwürdig an …)

Hier wär ein Leerzeichen einzufügen

..., doch mein Körper begreift sofort.[...]„Deine Schwester soll kommen.“
Hier stolperstu einmal
..., aber sie sie verstellt sich bestimmt nur.
und hier könnte "dazu" weggelassen werden
, das gehört dazu zu dem Spiel.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Novak,

ich habe bis jetzt nur einige der Kommentare überflogen, weiß also nicht genau, was schon alles zu deiner Geschichte gesagt wurde, habe aber wohl mitgekriegt, dass der eine oder andere Probleme mit dem Phon hatte. Dazu will ich auch gleich kommen, zunächst aber ein paar allgemeinere Worte zu deinem Text.

Mir hat er sehr gut gefallen. Ich finde beeindruckend, wie subtil der Horror zum Tragen kommt, wie er nach und nach langsam und behutsam aufgebaut wird, oftmals nur durch Andeutungen. Wie allmählich mehr preisgegeben wird von dem komplexen Geflecht, das Tochter und Mutter miteinander verbindet. Wie es der Tochter immer schwerer fällt, ihre eigenen Hände unter Kontrolle zu halten, wie das Dunkle in ihr, heraufbeschworen durch ihre Mutter, aufbegehrt. Das hast du wirklich alles toll beschrieben, und obwohl lange unklar ist, was genau zwischen den beiden steht, du es - wie gesagt - weitestgehend bei Andeutungen belässt, konnte ich mich gut in die Tochter hineinfühlen. Wie schwer ihr das alles fällt, sich um eine Mutter zu kümmern, die nicht nur dement, sondern auch noch herablassend und geradezu heimtückisch ist, wie sehr der Tochter das zusetzt, wie sie nicht mehr kann, das konnte ich in jedem Moment nachvollziehen, und damit einher geht ja auch der Horror. Denn daran zerbricht sie ja schließlich, an ihrer Mutter und an ihrer eigenen Aufopferungsbereitschaft, die ihre Mutter als selbstverständlich ansieht ("Ich finde, das ist doch auch richtig", sagt sie an einer Stelle); ihre Mutterm die ihr sogar noch Schuldgefühle einredet und so tut, als wäre die Tochter kaum mehr wert als eine Ameise, definitiv aber weniger als die verstorbene Schwester. Wirklich gut geschrieben, sehr eindringlich.

Jetzt zur Sache mit dem Phon. Da fand ich es auch recht verwirrend, dass am Ende offenbart wird, das Phon habe es nie gegeben, obwohl am Anfang doch klar formuliert wird, dass es ihr von Caro gegeben wird. Meine Theorie ist daher: Wenn das Phon nicht echt ist, dann ist Caro es auch nicht. Caro gibt ihr das Phon mit den Worten: "ein Stück Freiheit von deiner Mutter." Caro selbst repräsentiert doch das gleiche. Sie hilft der Tochter bei der Pflege, entlastet sie, schafft etwas Freiheit für sie. Klar, wenn Caro nur Einbildung ist, tut sie nichts davon wirklich, aber vielleicht schafft es die Tochter so, sich einen Teil ihres Verstandes von der Mutter freizuhalten. Die Worte Caros über das Phon erweisen sich natürlich als falsch. Das Phon bedeutet keine Freiheit von der Mutter, sondern das Gegenteil. Auch des Nachts wird die Tochter nun von den Geschichten ihrer Mutter gequält. Deswegen glaube ich, dass das Phon durch die unheilvolle Beziehung zwischen Tochter und Mutter bedingt ist, während Caro durch das Verlangen der Tochter, sich nicht von der Mutter zerstören zu lassen, bedingt ist. Dass ihr das Phon von Caro, also jener Einbildung, die sie eigentlich schützen soll, gegeben wurde, könnte bedeuten, dass es von Anfang an ein verlorener Kampf ist. Dass Caro am Ende einfach am Ort des Geschehens auftaucht, zwar mit einem Notfallschlüssel in der Hand, aber ansonsten so plötzlich dort stehend wie eine Erscheinung, passt für mich ins Bild. Außerdem sagt sie: "Ich helfe Ihnen doch." Auch das passt.

Gut möglich natürlich, dass ich völlig auf dem Holzweg bin mit dieser Theorie. Es ist lediglich der Versuch, mir selbst zu erklären, wie das Phon nicht real sein soll, wo es doch - so konrekt formuliert - von einer scheinbar real existierenden Person überreicht wird. Aber das ist doch irgendwo auch das Schöne an dieser Geschichte: Es gibt so vieles zu erahnen, so viele Andeutungen, die man selber weiterspinnen kann, so vieles, was man selbst erschließen kann. Da macht das Lesen Spaß.

Viele Grüße
Mix

 

Hallo Novak,

da hast du ja binnen Stunden schon viele lobende Kommentare bekommen, denen ich mich im Prinzip auch nur anschließen kann. Besonders die Analyse von Peeperkorn könnte ich fast komplett unterschreiben (auch wenn ich an ein paar Textstellen weniger streng mit dir gewesen wäre). Wie so oft zeigt sich wahrer Horror nicht in Strömen von Blut (obwohl ein bisschen Splatter manchmal auch nicht zu verachten ist), sondern in der Interaktion zwischen Menschen und in ihren Köpfen. Du beschreibst sehr, sehr gut und wirkungsvoll, wie der Wahnsinn sich erst nur andeutet, sich dann allmählich verdichtet und schließlich voll ausbricht.

Die Mutter, die du da gezeichnet hast, könnte wohl jeden an den Rand des Wahnsinns (oder eben auch darüber hinaus) bringen. Diese passiv-aggressive Masche kenne ich noch von meinen Großmüttern - die hätte vor allem meine Mutter manchmal gerne an die Wand geklatscht. (Irgendwie kriegen es ja immer die Töchter und Schwiegertöchter ab.) Die alte Frau in deiner Geschichte ist außerdem noch dement, da darf man es ihr nicht mal übernehmen, darf sie nicht anschreien, darf ihr keine runterhauen, darf sich nicht mal "einfach" von ihr lossagen - denn sie ist ja krank und kann nichts dafür. Schlechtes Gewissen gleich eingebaut. Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass Anna ihre Mutter wirklich liebt (hat ja auch wenig Grund dazu), sondern dass sie bloß glaubt, sie lieben zu müssen, weil man das als Tochter eben so tut (damit hat sie dann gleich noch eine unerfüllte Pflicht, die auf ihrer Seele lastet). Und vielleicht, weil sie immer noch hofft, von ihrer Mutter irgendwann ebenso geliebt zu werden, wie sie es sich als Kind gewünscht hat - nämlich wie die ach so liebe kleine Schwester Teresa (vermutlich nicht nur zufällig so benannt wie die inzwischen vor der Heiligsprechung stehende Mutter Teresa). Übrigens hätte ich es noch schicker gefunden, wenn Teresa nicht tot wäre, sondern sich fröhlich irgendwo in der Weltgeschichte vergnügen würde und Anna samt Mutter einfach zurückgelassen hätte - was die Mutter natürlich genauso verleugnen könnte wie Teresas Tod. Na ja, vielleicht wäre das auch etwas plump.

Dass du dabei vieles nur andeutest, ist Fluch und Segen zugleich. Ich persönlich finde es immer toll, mir als Leser ein paar Lücken selbst füllen zu dürfen. Dafür muss man es aber auch können, sei es durch einschlägige Begebenheiten in der eigenen Biographie, ausgiebigen Konsum gepflegten Horrors oder einfach eine morbide Phantasie. Wem das fehlt, der bleibt mit einigen Fragezeichen zurück und wünscht sich klarere Auskünfte, was denn nun z.B. mit der Schwester, dem Vater oder dem Verlobten genau passiert sein mag. Ich finde deine Lösung super - mag sein, dass ich die Lücken anders fülle als andere Leser oder sogar die Autorin, aber so kann ich mir meinen eigenen Horror konstruieren in dem von dir gegebenen Rahmen.
(Nachtrag: Ich lese gerade den Komm von Mix: noch eine kreative Interpretation mehr!)

Zu den kleinen Problemstellen, die schon benannt worden sind, zählt auch der Begriff "Phon". Ich finde, der erschließt sich tatsächlich nicht so leicht; für mich klingt das nach Familienjargon, den Außenstehende eben nicht kennen. Ich habe mal kurz gegugelt, und im Internet werden Babyfone für ältere Leute oft als "Seniorenfon" angeboten. Auch kein schönes Wort. Vielleicht könntest du im Intro einen erklärenden Halbsatz einbauen, damit du im restlichen Text das "Phon" problemlos verwenden kannst.

Die Bilder, die du verwendest, sind wieder mal ganz, ganz stark. Sie sind aber auch recht zahlreich und manchmal sehr dicht beisammen, z.B. hier:

Müdigkeit umgibt mich wie eine dicke, milchig gefärbte Glasscheibe, hinter der fremd und ungreifbar meine Gedanken treiben. Wie Quallen dehnen sie sich aus, schrumpfen, kehren wieder.
*​
Ein neuer Morgen mit einem verschleierten Himmel dämmert herauf. Es gibt Tage, da sehen selbst die Farben aus, als hätten sie den Grauen Star.
Da sind drei Bilder in vier Sätzen, die zudem ziemlich unterschiedlich sind und keinen gemeinsamen Nenner haben. Das würde ich zumindest an dieser konkreten Stelle ein bisschen runterfahren, auch wenn es wehtut; vielleicht kannst du z.B. das letzte Bild an einer anderen Stelle einbauen.

Mit deinem Titel tue ich mich ein bisschen schwer, ihn mit dem Text zu verbinden. Klar, Annas Hände geraten im Zeitverlauf immer mehr in Bewegung, bis sie am Ende ständig irgendwas tun. Aber dieses "Irgendwas" ist nicht produktiv - wie ich es mit dem Begriff "fleißig" assoziiere - sondern ziellos. Für mich sind diese Hände eher ruhelos, rastlos, so benennst du es ja auch im Text. Und wenn die Hände am Ende in finaler Weise "fleißig" sind, indem sie die Mutter umbringen, dann ist das zwar eine sehr schöne Ironie, aber es fehlt eben der Bezug zum restlichen Text. Außerdem sind die Hände auch da m.E. nicht "fleißig", weil sie nicht arbeiten. Vielmehr spielen sie ja eigentlich, weil Anna dabei an das Spiel aus ihrer Kindheit denkt.

Beim Schluss bin ich noch hin- und hergerissen, ob man die letzten Sätze nicht weglassen und vor dem Sternchen aufhören sollte. (Nein, das ist keine Retourkutsche wegen der Diskussion um den Schluss meiner eigenen Geschichte. ;)) Klar, du wolltest den Twist mit dem nicht existierenden Phon, der aber m.E. nicht nötig wäre und einige Leser auch verwirrt hat. Außerdem wurde zu Recht die Frage aufgeworfen, ob bzw. warum Anna denn wirklich noch weiterhin die Stimme ihrer Mutter hört und was die wohl jetzt noch zu sagen hat.
Zudem hat mich dieser Schluss so ein bisschen an Psycho erinnert, wo Norman Bates am Ende in der Zelle sitzt und sich weiter mit seiner Mutter unterhält (oder sogar mit ihrer Stimme spricht, meine Erinnerung wird gerade etwas schwammig). Und ich weiß noch nicht, ob ich diese Remineszenz gut oder schlecht finden soll.
Ach, was soll's, ist ja deine Geschichte und dein Schluss!

Dann noch ein paar Anmerkungen zu einzelnen Textstellen:

Ich hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmt, als Caro, die Frau vom Pflegedienst, mir das Phon gab.
Da hat tatsächlich etwas nicht gestimmt. Es stimmt gar nicht, dass Caro ihr das Phon gegeben hat. Sehr lustig, wenn man das Ende kennt. :D

„Für dich“, sagte sie, „ein Stück Freiheit von deiner Mutter.“
Ungefähr so viel Freiheit wie eine extralange Hundeleine. Na danke! Das findet sich auch schön im späteren Text mit dem Hund auf der Straße wieder.

Meine Mutter freut sich immer, wenn sie Caro sieht. Die ist geduldig und hört sich die Geschichten der alten Frau auch zum zehnten Mal an.
Woher hat Caro eigentlich so viel Zeit? Pflegedienste sind doch sonst immer extrem unter Druck?

Tage reihen sich aneinander wie Perlen einer Kette, durchbrochen von dunklen Einfassungen.
Das klingt ein bisschen, als wären die Tage schön oder wertvoll (Perlen eben) und die Nächte düster (dunkle Einfassungen). Aber ein paar Sätze weiter steht das Gegenteil:
Am Tag bin ich eine Maschine auf zwei Beinen, erst in der Nacht werde ich zu einem Menschen.
Und der darauffolgende Satz
Dann, wenn das Phon zum Leben erwacht und meine Mutter sprechen lässt.
lässt die Nächte aber wieder düster und bedrohlich wirken. Das finde ich im Zusammenspiel ein bisschen verwirrend.

Ich habe ihre Erzählungen schon früher gehört. Hunderte von Malen. Aber ich hatte sie nie verstanden, weil das Wort Schwester viel zu oft darin vorkam.
Mein persönlicher Lieblingssatz! :thumbsup:

Mein Hörvermögen ist so scharf wie das eines Tieres.
Da hätte ich erwartet, dass du ein konkretes Tier benennst. Oder ist dir keines eingefallen, das gut hören kann und gleichzeitig die Gemütslage deiner Prota wiedergibt? ;)

Vielleicht hat sie Angst, jetzt, da ich alles weiß.
Diesen Satz fand ich etwas merkwürdig. Was weiß Anna denn jetzt, was sie nicht vorher schon wusste? Die Mutter (das Phon) hat ihr ja nichts Neues gebeichtet, keine neue Information gegeben. Das einzig Neue könnte m.E. sein, dass die Mutter sich (wieder) dessen bewusst ist, was sie damals getan hat, und/oder dass sie ein bisschen Reue zeigt. Daraus eine mögliche Angst der Mutter abzuleiten, ist für mich nicht ganz schlüssig.

Dann das Weiß eines Kissens. Verbirgt sich darunter ein Gesicht? Ein Spiel fällt mir ein, das ich immer mit meiner Schwester spielte, (...) Kein Laut darf mehr zu hören sein. Sonst hat man verloren.
Haben schon viele gelobt. Ich auch! :)

Okay, da war jetzt doch recht viel Detailkritik drin. Aber das täuscht, denn in Summe fand ich deine Geschichte sehr atmosphärisch, stimmig und gruselig. Sehr gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 
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Erst einmal ein großes Dankeschön für die vielen wohlwollenden Kommentare. Ich komme von einer Fahhradtour zurück und dann soviel Zeugerl zum Überlegen, aber auch so viel einfach nur zum Freuen und ein bisschen drauf stolz sein. Das war jetzt ein sehr serh schönes Gefühl.

Mir war das schon klar, dass diese Geschichte hier nicht ganz so viel Kritik einfahren wird wie meine vorherige, die Kehrseitengeschichte. Diese hier ist einfach gefälliger. Hmm, eigenartiges Wort, fällt mir gerade auf, wenn man bedenkt,dass die Geschichte von einem Mord oder Totschlag an einer Mutter handelt. Aber sie ist trotzdem im Verlauf und in dem Charakter der Protagonistin wohl einfach greifbarer und nachvollziehbarer.

Zuerst mal zu zwei wichtigen Dingen, die immer wieder vorgekommen sind. Die ich überarbeiten bzw. anpassen möchte. Die anderen Hinweise sind ja zumeist eher Kleinigkeiten, die man so en passent verändern oder verbessern kann. Oder auch mal unterschiedliche Geschmackseindrücke, an denen man eher gar nichts ändern kann.

Das erste, das ist der Name "Phon". Ich hatte zuerst immer Babyphon geschrieben, dann Seniorenphon, überhaupt sehr sehr lange rumrecherchiert nach diesem blöden Teil. Hat nur noch gefehlt, dass ich mir eines bestellt habe. :D
Es wird wirklich sehr oft nur Phon genannt, wenn man es für alte Menschen verwendet. Daher hab ich es übernommen. Das schien mir hübscher als Babyphon, denn das würde ja auch faktisch nicht ganz stimmen, obwohl oft die gleichen Dinger für diese beiden sehr unterschiedlichen Altersgruppen verwendet werden. Und auch hübscher als Seniorenphon. Durch den Hinweis auf die Caro und die nachgestellte Erklärung, dass sie die Frau vom Pflegedienst ist, dachte ich, das ist dann klar, um was für eine Art Phon es sich handelt. War wohl doch zu knapp. Ich überlege mir einfach noch was, entweder baue ich noch eine deutlichere Kurzerklärung am Anfang ein, oder ich nenne es halt nun doch mal am Anfang Seniorenphon. Mal schauen. Aber der Rat ist auf jeden Fall schon mal angekommen, dass das den Leser aus dem Gleis wirft, wenn er deas Phon nicht zuordnen kann.

Die zweite Sache, die angekommen ist, ist das Ende. Und damit die Nichtexistenz des Phons. Da habe ich eh schon die ganze Zeit überlegt, ob ich den allerletzten Absatz nicht rausschmeißen sollte. Denn mit dem steht und fällt die ganze Chose. Fällt der weg, ist das Phon existent, Caro hat es ihr gegeben, und nur der Wahn macht das Phon zu etwas Dämonischem. Aber ansonsten ist es ein ganz einfacher Gegenstand. Eine Lesefreundin, die nicht im Forum ist, hatte das auch schon mal angemerkt, dass man das überlegen sollte, den Absatz rauszunehmen, weil sonst auch die Rolle Caros unklar wird. Ist Caro dann auf einmal die Satanische? Sehr sehr gut gefällt mir in dem Zusammenhang deine Interpretation, Mix, ich fand, da bin ich dir echt Kaffee und Kuchen schuldig, so liebenswert hast du dich auf eine Deutung eingelassen. So könnte man das tatsächlich interpretieren. Aber dann müsste ich Caros Rolle noch für den Leser besser hinbiegen. Und insgesamt ist mir das dann doch eine Wendung zuviel. Denn im Prinzip haben die Kritiker schon Recht, da ist einfach der Gaul mit mir durchgegangen und ich hab mich nicht auf den eigentlichen Fokus der Geschichte bezogen.
Dieses Ende ist vermutlich ein wenig zwei Dingen geschuldet. Zum Einen wollte ich mich wohl stärker von Poes "Verräterisches Herz" absetzen. Ich weiß grad gar nicht mehr, wie die Geschichte richtig hieß. Aber genau zu der Poe-Geschichte ist meine Geschichte eine Reminiszenz. Zum anderen ist es wohl so dem Trieb der Horrordame geschuldet, dass der Horror trotz abgeschlossener Geschichte noch weitergehen soll. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Film "Carry" nach dem Buch von Stephen King, wo zum Schluss, wenn eigentlich schon alles klar und der Film am Ende ist, Carrys Hand aus dem Grab schießt und ihre ehemalige Freundin nach unten reißt. Ich mach da so was Ähnliches, eine Zeitlang war das in Horrorfilmen recht beliebt, solche Enden zu basteln. Man konnte immer eine Fortsetzung dranhängen. Ich sehe aber hier, dass es die Leser zum Teil verwirrt. Der Fokus liegt ja auf dem Mutter-Tochter-Verhältnis und der Entwicklung hin zu dem Verbrechen, das Phon ist dafür nur ein Medium, das seine Rolle nach dem Ende der Beziehung ausgespielt hat und man kommt sonst auch mit dem Anfang durcheinander.

Hallo TamiraTamira,

weißt du, dass du für mich hier im Forum die Grande Dame des Horrors bist? Ja, irgendwann in meiner Zeit hier, ich weiß nicht mehr wodurch oder durch wen, bin ich einmal auf deinen Namen gestoßen und habe ein paar von deinen Geschichten gelesen und sie toll gefunden. Und natürlich auch die neue, die ich klasse fand. Aber damals, als du sie gepostet hast, war ich irgendwie in einer Kommentarunlust, das überfällt mich immer mal wieder, wenn ich zu viel im Forum hinter den Kulissen rumgedödelt bin, außerdem hatte ich in Erinnerung, dass du noch was überarbeiten wolltest. Egal.
Du kannst dir vielleicht jetzt vorstellen, wie sehr mich dein Name überrascht und gefreut hat. Und natürlich auch dein Fazit, das ja zeigt, dass die Geschichte funktioniert.

ich muss zugeben, dass ich mir zu Anfang nicht sicher war, was ein "Phon" ist. Ich kenne es nur als Babyphone, und das fehlende "Baby" hat mich irgendwie verwirrt. Aber das nur Gelaber am Rande.
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Schaust du oben

Sie spürt zwar noch Wut, aber ich muss zugeben, dass diese nicht richtig auf mich über geht. Ich kann es verstehen (vor einer solchen Situation hat wohl jeder irgendwie Angst) und fühle die Traurigkeit der Protagonistin, aber die Wut über ihre Mutter bleibt ein wenig auf der Strecke, weil sie hinter der Traurigkeit der Prota etwas zurückbleibt.
Das ist interessant. Also mit diesem Einwand hatte ich nicht gerechnet. Wahrscheinlich deswegen, weil ich die Protagonistin auch nie so deutlich wütend haben wollte. Wobei ich mir das so genau vorher gar nicht überlegt habe, das lief eher wie eine Selbstverständlichkeit für mich ab. Aber wenn du mich fragst, handelt es sich für mich eher um eine Frau, die ihre eigene Wut gar nicht mehr richtig spürt, spüren kann, die zwar Wut haben muss, sonst würde sie ja ihre "Widersacherin" nicht am Ende töten, aber die diese Wut nur als ein Spiel empfinden und ausdrücken kann. Es ist eine sehr ambivalente Frau, die sich ja auch was verspricht von dem Opfer für ihre Mutter, sie will sie ja bei sich haben, um von ihr wahrgenommen zu werden. Ich glaube nicht, dass eine solche Frau, die sich selbst keine Freiheit gönnt und unter ihren Schuldgefühlen leidet, dabei reflektiert sein will und dies auch ständig von sich fordert, ich glaube, dass eine solche Frau Wut von sich abspaltet, eben in Form dieses Handys. Sie ist keine, die deutlich wütend ist oder Wut zeigen kann.

Offenbar hat die Mutter den Verlobten der Prota verführt. Ein wohl für eine Frau grauenhaftes Szenario: Schlimmer als eine Freundin oder Schwester. Schlimmer wäre vielleicht nur noch die eigene Tochter. Gerade dass du es aber nicht aussprichst finde ich toll, denn man kann es trotzdem ahnen, nur ist man sich als Leser auch nicht sicher.
Ob sie ihn wirklich verführt hat? Man weiß das nicht. Und genau auf diese Ungewissheit oder Unsicherheit lege ich wert. Vielleicht legt dieses verfluchte Handy sie ja auch rein mit der Deutung? Vielleicht war da nie was?

Gewünscht hätte ich mir jedoch, dass man erfährt, weshalb die Schwester tot ist oder dass du andeuten würdest, dass die Prota sie ermordet hat (das hätte mir gefallen ...).
Warum die Schwester tot ist, gehört find ich nicht her. Man könnt zwar schreiben, dass sie krank war, ohne dass einem ein Zacken aus der Krone bricht, aber ich finde auch, man muss nicht immer alles in einer Geschichte bis zum Ende erklären. Ich kenne diesen Impuls natürlich auch, aber trotzdem, da bin ich streng, nicht jedes Leserbedürfnis muss auch befreidigt werden. (Im Moment bin ich noch streng, hehe, bis die Übermacht zu groß wird :) ) Aber was mir total gefiel, das ist das Schwarze. Das ist geil, das ist Tamira, wie sie leibt und lebt.

Ich bin mir nicht sicher, ob das gewollt so rüber kommt, aber für mich klingt das, als wäre die Schwester die geringere, denn ihr Beruf wäre es, nur die Schwester, also eine Nebenperson, der Prota zu sein.
Ich denke aber vielmehr, du willst es genau umgekehrt ausdrücken.
Evtl: als wäre das mein Beruf.
Ich wusste doch, dass da was nicht stimmt. Ja, das ist eine prima Idee, "mein Beruf" zu schreiben. Viel besser. Übernehme ich.

Ich würde daraus 2 Sätze machen. Der Selbstvorwurf geht so irgendwie verloren.
Kann gut sein, dass ich das so mache, schau ich mir noch genauer an.

Liebe Tamira, das war total schön, dass du dich ein bisschen in meiner Geschichte rumgetrieben hast. Tausend Dank für deinen Kommentar.

 

Hallo (Frau!) Novak,

ich bewundere ja immer Menschen, die ihre Eltern pflegen. Das drückt so eine Art von Dankbarkeit aus. Ich war Kind und du hast dich um mich gekümmert, und jetzt bist du alt und ich kümmere mich um dich. Ich finde immer Alter und Kindheit haben viele Gemeinsamkeiten.
Wie du es hier zeigst, ist das verdammt viel Arbeit. Und es ist schwierig, glaube ich, weil man nicht nur Pfleger und Patient, sondern auch Tochter und Mutter ist. Erschwert wird das Ganze noch durch die Demenz der Mutter, und vor allem durch ihr, meiner Ansicht nach, unsympathisches Wesen. Sie greift immer wieder in die Wunde mit der Schwester, die sie viel lieber mag, und dem Verlobten, der irgendwann keiner mehr war. Kein Wunder, dass die Tochter irgendwann durchgedreht ist. Das mit den Händen der Tochter immer wieder und dem Phon machst du, wie ich finde, super. Ich fand den Text superklasse, falls es noch nicht aufgefallen ist. In Gedanken mache ich auch etwas mit meiner Hand, und zwar den Daumen hoch.

Lg, chico

 

Hallo Novak,

zuerst wollte ich deine Geschichte nicht lesen, da du sie auch mit dem Genre "Horror" gepostet hast. So blutrünstiges Zeugs lese ich nicht gerne. Doch dann siegte meine Neugier, denn ich wollte wissen, wie Novak eine Horrorgeschichte schreibt. Und siehe da, es fließt kein Blut, doch Schauer und Unbehagen hätten bei mir nicht größer sein können.
Du beschreibst den Horror einer Tochter in leisen Tönen, beinahe nebenbei und treibst damit die Spannung in die Höhe. Mit knappen Aussagen wie:

Wenigstens kriegst du Sauerbraten hin
Mir, deiner Tante, sogar dir.
Sie war mir so nah. Warum sie?

beschreibst du eine Frau, die man keinem Kind zur Mutter wünscht.

Dann, an dieser Stelle:

… einen Ring verdecken und wieder freigeben, den mir vor langen Jahren ein Mann geschenkt hat.

musste ich heulen. Das war zuviel Dramatik für mich.

Deine Geschichte, liebe Novak zeigt, dass ein guter Autor mehr können muss, als Rechtschreibung und Grammatik zu beherrschen oder Wortgewand sein. Es gehört neben Beobachtungsgabe und Fingerspitzengefühl auch jede Menge Einfühlungsvermögen in Personen und Szenen dazu. Dass du das alles besitzt und in deinen Geschichten umsetzten kannst, hast du hier wieder einmal bewiesen.

Ein wenig gefrustet bin ich jetzt aber schon - ist ein sehr langer Weg den ich noch vor mir habe.

Doch ich seh's als Ansporn und sende viele Grüße

Tintenfass

 
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Liebe Tell

kannst du dir vorstellen, wie sehr ich mich über deinen Kommentar gefreut habe? Es ist ja so, darin sind wir Dichtersleut uns wohl alle gleich, man liest den anderen, um ihm weiterzuhelfen, und meistens schaut man dann nach den Unebenheiten eines Textes. Selten passiert es, dass jemand einfach begeistert ist. Das kenne ich von mir selbst. Und wenn einem das dann mal passiert, dass jemand einen Text richtig gut findet, das sind so seltene Kommentare, dass man sich die irgendwo an die Wand kleben muss, wenn es gerade mal nicht weitergeht mit dem Schreiben. Also echt Danke dafür, das hat echt gut getan.

Ganz ehrlich, das eignet sich meiner Meinung nach super für einen Horror-Kurzfilm! Ich bin total geflasht (sprich: begeistert).
Hmmm, das wär was, Novak schreibt Drehbücher. Aber wahrscheinlich kommt einem das Gucken von Horrorfilmen tatsächlich zugute beim KG-Schreiben.

Auch wenn ich letzte Woche gelernt habe, dass ich als guter Wissenschaflter thesenorientiert und nicht linear vorgehen sollte, geh ich mal linear durch die Geschichte.
Ich bin froh, dass du dich in dem Fall für das Linearvorgehen entschieden hast, und deine dich zwiebelnden Methodikmeister hier nicht mitbestimmen dürfen. :D
Kommentarthesen zu Kurzgeschichten, ich glaub, dann schreibt keiner mehr auch nur einen einzigen Kommentar.

Am Anfang, dass muss ich zugeben, was ich von den ersten zwei Sätzen etwas verwirrt. Weil ich bei "Phon" an ein Handy gedacht habe. Aber im Laufe der Zeit wurde es dann klarer und ich war voll drin.
Da mach ich noch was, schaust du in der allerersten allgemeinen Antwort. Da brauch ich allerdings einen Moment.


Und das Ironische daran ... Ja, ja, die "Freiheit", die in das genaue Gegenteil umschlägt und die Paranoia in dieser klaustrophobischen Szenerie erst richtig zum Kochen bringt ... Du bist eben eine Meisterin deines Fachs. Sehr subtil, absolut gekonnt.
Könntest du das eventuell wiederholen? Der Mensch liebt Komplimente. Aber mal im Ernst, ich freu mich wahnsinnig, dass diese Anspielung oder Umdrehung von Freiheit, dass dir das aufgefallen ist, es gab im Vorfeld bei einem Leser (nicht hier aus dem Forum) damit nämlich Probleme. Der hatte das gar nicht verstanden.

Damit schaffst du den gekonnten Kontrast zu der Mutter, die Anna dann tatsächlich hat, nämlich der sehr fiesen Frau, die ihr anscheinend schon in ihrer Jugend mit ihrer Kritik und dem Vergleich mit der Schwester das Leben schwer gemacht hat
Ja, kennst du das auch, es gibt wirklich Leute, die sehr schön aussehen, sehr einer bestimmten, positiven Rolle entsprechend. Und dann entpuppen sie sich als Widerlinge. Diese Mutter hier hat ja allerdings auch zwei Seiten. Sie muss schon ein liebenswertes Kind gewesen sein, deshalb auch die Schilderung dieser Stockgeschichte oder ihres Lachens. Aber das Leben zaust manchmal so an den Menschen, dass dieses Liebenswerte in den Hintergrund tritt. Und Demenz ist eine wirklich heimtückische Krankheit. Nicht nur wegen der üblichen Dinge, die jeder so kennt, sondern auch, weil sich bestimmte charakterliche Eigenarten zuspitzen und weil die Erkrankten nicht mehr in der Lage sind, zu reflektieren, was sie so alles sagen, so manche Fiesität wäre niemals über die Lippen gekommen, wäre der erkrankte Mensch noch fähig zu merken, was er da sagt.

Eines fällt mir auf: Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.
Als wäre das jemand, der den Beruf hat, als Vergleich zu dienen, besser zu sein als Anna und sie dadurch noch kleiner zu halten. Das hast du 1A dargestellt.
Da war ich jetzt kurzzeitig sehr durcheinander, weil Tamira diesen Satz so ganz anders verstanden hatte, ich hatte es dann auch kurz ihrem Vorschlag entsprechend abgeändert, aber nun lasse ich es doch so, wie es da steht.

Das ist auch super, diese alte Dame, die vor anderen so seltsam wohlwollend tut und mit ihrem Lob doch gleichzeitig einen tüchtigen Schlag austeilt
Ja, das können sie perfekt.

Die höfliche Anrede „Ihre“ ist jeweils verbessert. Auch den Satz mit der Kurzzeitpflege habe ich geändert. Klingt besser, wie du es machst.


Die Szene, wie sie die Mutter aufhebt bzw. es beginnt und dann doch liegen lässt, fand ich symbolisch für die ganze Geschichte, so als Kern ist das total super.
Ja, das ist das, was ich als den Höhepunkt der Geschichte ansehe, oder besser den Wendepunkt, denn dieser Spruch der Mutter, der lässt etwas in der Anna zerreißen.


Als ich nach dem zwischenmenschlichen Geplänkel dachte, es kann nicht mehr besser werden, beschreibst du den Mord und der ist so "artful" ..
Ja, einen Mord zu beschreiben, das ist wohl immer etwas schwierig. Und die Frau hier, die ist ja nicht böse, sondern sie wird durch die Überforderung so in einen Zustand, dass sie das Verbrechen begeht. Sie holt sich auch keine Hilfe, was man ihr vorwerfen könnte, aber im Moment der Tat ist sie nicht zurechnungsfähig, und für die Beschreibung dieses Moments war ich froh, dass mir das mit dem Spiel eingefallen ist.
Das Spiel gibt es übrigens tatsächlich.

Warum bin ich nur manchmal so stur, alles nur wegen einem Kakao.
wegen eines Kakaos
Oh Tell, wenn du wüsstest, wie oft ich über dieser Stelle rumgegrübelt habe. Klar müsste hochsprachlich nach „wegen“ der Genitiv gesetzt werden, umgangssprachlich darf man auch den Dativ verwenden. In einer Geschichte würde man wohl eher die grammatikalisch richtige hochsprachliche Formulierung wählen. Aber einerseits sind das hier so viele fein säuberliche s: wegen eines Kakaos. Und man darf auch nicht vergessen, dass das alles direkt ihr innerer Monolog ist. Würde man im inneren Sprechen wirklich den Genitiv benutzen? Und nicht gerade Umgangssprache? Ich bin da echt sehr unsicher. Ich behalte es im Kopf, aber im Moment lasse ich es noch so.

Liebe Tell, deinen wunderschönen Kommentar rahme ich mir ein. Danke für die Zeit, das Lob und den genauen Blick, die du mir alle mit deinem Kommentar geschenkt hast.
Viele Grüße von Novak


Liebe barnhelm
wie schön, dass du gelesen hast. ich freue mich immer über deine Anmerkungen und über dein klares kritisches Draufschauen.

wie du weißt, bin ich kein Spezialist für Horror, aber ich bin ein Spezialist für die Machtspielchen von Müttern. Zum Glück waren meine drei Schwestern und ich irgendwann so klug, dass wir uns darüber verständigten, uns nicht länger wie Schachfiguren von unserer Mutter hin und herbewegen zu lassen. Unser Verhältnis wurde danach - und ist es zum Glück bis heute - sehr viel entspannter.
Ich wollte, ich könnte das auch sagen.

Zu deiner Geschichte: Du zeigst sehr gut eine Mutter, die ihre Töchter gegeneinander ausspielt, auch die Pflegerin in dieses Spiel mit einbezieht, Bemerkungen von sich gibt, die wie zufällig daherkommen, in Wirklichkeit aber, den, an den sie gerichtet sind, klein machen und in Abhängigkeit halten, um die eigene Macht zu zementieren.
Ein Punkt, der in der Geschichte zwar nicht vorkommt, der aber eine Rolle spielen dürfte. Wir sind ja etwa gleich alt. Und unsere Mütter haben den Krieg noch erlebt als junge Frauen oder als Kinder. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke oft, dass sich die Erfahrungen, die Traumatisierungen auch in die Familiendynamik mit einschleichen. Also, was ich damit sagen will, auch die Mütter sind manchmal Opfer und geben das Gelernte weiter. Klar, das geht aus meiner Geschichte so nicht hervor, aber vielleicht kriegt man trotzdem mit, dass sie nicht nur bösartig war, sondern auch ein liebenswertes Lachen hat oder ein reizendes, wildes Kind war.

“Irgendwann finde ich mich doch vor ihrem Zimmer. Sie liegt auf ihrem Bett, aber sie sie verstellt sich bestimmt nur. Vielleicht hat sie Angst, jetzt, da ich alles weiß. Ich will es aus ihrem Mund hören.“
Was ist es, was sie jetzt weiß? Ich kann hier leider nur vermuten, für mich löst sich das Puzzle nicht wirklich auf.
Das steht eigentlich alles vorher im Text. Aber eben nur als Andeutungen. Und eigentlich hast du auch aus diesen Andeutungen alles herausgelesen, was es herauszulesen gab. Oder so, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich wollte und will hier keine eindeutige Auskunft geben, wie das nun ganz genau war mit Anna und dem Verlobten und der Mutter. Ja, der Leser soll hier rätseln, ob die Mutter nun tatsächlich oder ob Anna sich das im Nachhinein nur einbildet. Anna hört nur das Phon, ob ihre Mutter diese Sachen tatsächlich sagt (ich meine die zu dem ehemaligen Verlobten) das ist gar nicht sicher. Anna kann sich bestimmte Dinge, die sie beobachtet oder gehört hat im Nachhinein so erklären und sie der Mutter in den Mund legen. Vielleicht aber rafft sie auch erst jetzt, dass die Mutter das tatsächlich gemacht hat, zählt eins und eins zusammen, wollte es sich vorher vielleicht nur nicht eingestehen. Ich finde es gerade in dieser Geschichte wichtig, dass ihr Grund für den Mord nicht völlig klar ausgesprochen wird.

Da ist eine Schwester, die jetzt tot ist. Was hat es mit ihrem Tod auf sich? Welche Bedeutung hat dieser Tod für die Handlung?
Ich verstehe die Frage nicht. Die hab ich auch bei Tamira schon nicht verstanden. Die Schwester ist irgendwann gestorben. Wieso soll ihr Tod für die Handlung eine Bedeutung haben außer der, die ich doch aber auch zeige, nämlich, dass die Mutter die gestorbene Tochter immer noch vermisst, und zwar so sehr, dass sie ihren Tod permanent leugnet, ihn nicht wahrhaben will. Und dass die Schwester als permanentes Vorbild und Vergleichsbild fungiert. Mehr ist nicht, und das habe ich in der Geschichte auch gezeigt. Ich könnte, das habe ich Tamira schon geschrieben, natürlich hinzufügen, dass die Schwester an Krebs oder sonstwas gestorben ist. Aber ich weiß nicht, warum muss man das denn? Es gibt manchmal Elemente in Kurzgeschichten, die nur Randelemente sind. In gewisser Weise ist das der genaue Todesumstand von Vaters und Schwesters Tod. Beim Vater beschreibe ich ja auch nichts Näheres. Ich meine, dass man da den Mut zur Lücke haben muss. Oder gibt es was, was ich übersehe?

Nun zu dem Phon. Was das Phon betrifft, da hast du absolut recht. Ich war schon vorher am Überlegen, ob ich den letzten Abschnitt nicht killen soll. Und gut, dass ich ihn gelassen habe, denn jetzt sind das doch eine erkleckliche Anzahl von Leuten, die das Ende zu Recht bekritteln. Nicht nur die Anzahl, eher die Argumente haben mich überzeugt. In dem Zusammenhang einfach großen Dank, dass du das so minutiös aufgedröselt hast, warum dir das Handy als nie existierendes nicht logisch erschein. Denn am Anfang ist Anna zwar überfordert, und zwar heftig, aber sie ist nicht im Wahn. Also würde das inhaltlich überhaupt nicht passen, das Phon bereits als Halluzination zu gestalten. Nein nein, das taugte echt nicht. Vielleicht schaust du auch noch mal, was ich dazu in der ersten Antwort in dem allgemeinen Teil geschreiben habe, da wird der Hintergrund vielleicht verständlich, wieso ich auf die Idee gekommen bin. Aber es passt nicht zusammen, das hast du mir sehr deutlich gemacht. Es steht und fällt ja im Grunde mit dem letzten Absatz. Der weggelassen, ist das Handy echt und wird dann zum Medium ihrer Wahnvorstellungen.

Liebe Barnhelm, vielen Dank für dein Lesen, für deine Eindrücke und deine Zeit. Vor allem aber in diesem Fall, dass du die Handysache so ausführlich aufgelistet hast. Das hat mir die Sache einfach klar gemacht.
Bis bald
Novak

 

Hallo Novak,

noch mal kurz zum Tod der Schwester.

Wieso soll ihr Tod für die Handlung eine Bedeutung haben außer der, die ich doch aber auch zeige, nämlich, dass die Mutter die gestorbene Tochter immer noch vermisst,
Da hast du natürlich völlig recht. Das hat wohl etwas mit meiner Vorliebe für Krimis zu tun. Wenn in einem Text vom Tod eines Menschen die Rede ist, klingelt da schon mal ein Glöckchen, das mich fragen lässt: Was war da los? So vermutlich auch in diesem Fall.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Liebe barnhelm, danke nochmals fürs Melden. ich musste lachen, als ich das las.
Aber es erklärt mir das jetzt etwas besser, warum du dich so nach dem Tod der Schwesetr erkundigt hast.
Bis denn, Novak


Hola Kanji
bin ja gerade in den Pyrenäen, da pass ich mich mal sprachlich an.

eine Horrogeschichte zu lesen, muss man schon wollen.
Oh ja, und die, die das wollen, die wollen das in aller Regel ziemlich gerne. Ich kenne aber auch die anderen, die, die den Horror meiden, obwohl es da so ziemlich viele Spielarten gibt. Und die meiden den so ziemlich grundsätzlich, obwohl sie sich aus meiner Sicht eine Menge damit versauen. Umso erfreuter bin ich, dass du den Schritt trotzdem gewagt hast. Das rechne ich dir hoch an. :D
Zum Glück scheinst du ein wenig belohnt worden zu sein, wenn ich deine Eindrücke richtig verstehe.

Und als ich die ersten Absätze gelesen und mitempfunden habe, weil du sie wunderbar bildhaft beschrieben hast, war das bereits genug Horror für mich, den lieben langen Tag eine demente, lieblose Mutter hauptberuflich zu pflegen, aber auch 'Humor', z.B. die Szene mit dem kleinen Hund, die sie beobachtet. Auch der Klang der Geschichte war humorvoll und leicht, blumig und bunt. Du hast viele Bilder geschaffen, die mich zumindest zum Schmunzeln brachten,
Das fand ich klasse, dass du diese kleinen, eher lustig oder galgenhumorig gemeinten Beispiele goutieren konntest. Neben dem nervenaufreibenden Alltag der Protagonistin. Manchmal wirken solche Einsprengsel ja deplaziert in einem eher ernsthaften Text. Ich persönlich mag das ganz gerne, wenn der Erzähler sowas macht. Aber das gut zu können, das ist schon eine echte Kunst, die mir beispielsweise nur hin und wieder gelingt.

Dennoch offenbarst du ja recht früh "psychotische" Merkmale an der Tochter, mit den zitternden Händen, der Müdigkeit und der Erschöpfung. Und somit verunsicherst du mich als Leser und mir wird unheimlich zumute. Mir schwant Übles.
Gut so.

Du schaffst es, mir Bilder zuliefern, die mich immer weiter dazu führen an einen Polanski-Film zu denken, ihn quasi zu sehen. Die Situation spitzt sich zu und ich bin ganz und gar involviert, sehe jede Szene, Schwarz-weiß.
Mann, was für ein irres, total tolles Kompliment. Ausgerechnet Polanski. Wahnsinn.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich aus der Stimmung geholt werde, sobald die Tochter ihre Gefühle analysiert, sich selbst noch wahrnimmt, sich erklärt
Oooh, schiet, das ist natürlich doof. Aber: Alles klar. Ich bin mir zwar momentan etwas unsicher, ob man wirklich so genau über die Gefühle der Frau Bescheid wüsste, wenn ich solche Stellen alle streichen würde. Und mein Gefühl ist auch, dass diese stillen Reflexionen zu dieser Frau passen, sie schmeißt zwar das Handy, aber sie blickt andererseits immer methodisch auf ihr Handeln. Aber egal, andererseits macht man ja manchmal wirklich zu viel aus Unsicherheit. Also das ist auf jeden Fall auf meiner Liste, dass ich solche Stellen nochmal sichte und prüfe, ob ich solche Reflexionen wirklich brauche. Denn rausbringen sollen sie den Leser ja nicht. Zum Glück hast du mir ein paar Beispiele genannt, an denen ich mich abarbeiten kann. Dafür bin ich total dankbar, denn oft schreibt man so einen Hinweis in seinem Kommentar. Ich aber kann damit, wenn es allgemein gehalten ist, oft nicht so viel anfangen. Ich muss immer mit der Nase draufgestoßen werden.

Liebe Kanji, ich danke dir sehr, weil du mir deine Eindrücke geschenkt hast, dein Lob und deine Hinweise. Ich weiß, das alles ist keine Selbstverständlichkeit, umso mehr freut mich das.
Bis bald mal
Novak

Lieber Peeperkorn

Ich kommentiere, obwohl ich momentan eigentlich gar keine Zeit dazu habe. Aber bei diesem Text muss ich einfach!
Naja und jetzt weiß ich ja auch, warum du so wenig Zeit hast. Mal abgesehen von all dem Beruflichen und sonstigen, was man alltagsmäßig so mit sich rumträgt. Hast eine geile Geschichte über einen menschlichen Bären geschrieben. Gefällt mir total gut.

Fantastisch, wie du den Horror einer Familienkonstellation, einer Familiengeschichte mit realem (und doch sehr subtilem) Horror anreicherst. Die Geschichte funktioniert auf beiden Ebenen wahnsinnig gut, ein echter Psychothriller ist dir da gelungen. Was ich persönlich stark finde, ist die Tatsache, dass du der Versuchung widerstanden hast, das Phon (bzw. die Stimme) aggressiver auftreten zu lassen, man könnte sich ja vorstellen, dass die Stimme provoziert, die Prota stärker bedrängt etc. Bei dir ist die Stimme viel zurückhaltender und dennoch ist die Reaktion der Prota nachvollziehbar, es sind ja genügend Motive da, es reicht eine Stimme, die sagt, was ist.
Das hat mich sehr stolz gemacht, das war nämlich meine Absicht, es so im Hintergrund zu belassen. Kein Gruselinstrument zu kreieren, was auf einmal rumquäkt, das sollte schon als Psychothriller funktionieren. Das gehört einfach zu den Sachen, die ich am meisten selbst lese, schreibe und liebe.

Das Verhältnis zu Poes pochendem Herz finde ich optimal. Genügend nah, um daran erinnert zu werden, genügend weit entfernt, um mich als eigenständige Geschichte zu begeistern. Klasse!
Du hättest mal die ursprüngliche Geschichte hören sollen. Da war ich viel näher dran am Poe, da kam die Geschichte von dem Herzen richtig mit drin vor. Das gefiel mir im Nachhinein überhaupt nicht mehr. So, wie es hier ist, merkt man, das ist eine Reminiszenz an E.A.Poe, sofern man ihn kennt, aber die Geschichte funktioniert für sich, man muss Poe nicht kennen, um sie zu verstehen. Da merke ich auch, dass ich was gelernt habe in der ganzen Zeit. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles rausgehauen habe aus der ursprünglichen geschichte und was auch wiederum hinzugefügt, um einen Punkt zu verdeutlichen oder zu verstärken.

Auch mich hat das etwas verwirrt. Nicht nur, dass ich nicht wusste, ob ein Telefon gemeint ist, mir war auch nicht klar, ob sich das „von deiner Mutter“ auf „Freiheit“ bezieht oder auf das Phon
Also das Phon will ich doch deutlicher einführen, denn das waren mir doch zu viele, die darüber gestolpert sind. Klingt wahrscheinlich weniger schön, aber egal. Du sprichst hier einen anderen Punkt an, den ich aber leider nicht ganz verstanden habe.

Eine niedliche Reklame-Oma, die an lange Kuchentafeln unter blühenden Kastanienbäumen erinnert.
Das lese ich so, dass die Oma ähnlich aussieht wie eine Kuchentafel. Vielleicht: „Erinnerungen weckt“ oder ähnlich?
Was hast du gegen Omas, die wie Kaffeetafeln aussehen? :D
Aber ich ändere das mal, man könnte ev. noch schreiben, „deren Aussehen ...“ … aber wurscht jetzt, ich gucke und ich denk, deins ist eleganter.


„Eines fällt mir auf: Nie sagt sie „Teresa“, immer nur „deine Schwester“, als wäre das ein Beruf.“
Ebenfalls toll. Aber das vorgestellte „eines fällt mir auf“ erscheint mir unnötig, ein wenig für den Leser geschrieben („Achtung, aufgepasst!“). Ich habe mich auch gefragt, weshalb ihr das (erst) jetzt auffallen sollte.
Das war ein typischer Icherklärmeinemleserallesbiserplatztfehler. Ist schon weg.

„Ich bin so froh, dass Caro regelmäßig kommt. Die Pflege einer dementen, alten Frau ist nicht leicht. Vor allem, wenn man allein ist. Manchmal möchte ich mich hinter Caro, dieser fröhlichen, immer nach Zitronenseife duftenden Frau verstecken.“
Würde ich streichen, die Wirkung wäre m.E. ohne diesen erklärenden Zusatz stärker. Allerdings müsstest du das „dement“ irgendwo anders unterbringen.
Hmm, mir leuchtet dein Hinweis ein. Die Wirkung wäre tatsächlich stärker. Ich weiß jetzt aber selbst grad noch nicht, wie und wo ich sonst den Hinweis auf Demenz unterbringen könnte. Hach!


Ich staune immer wieder, wie bestimmten Menschen zu völlig beliebigem Anlass stets das Gleiche einfällt (Vorwürfe, Anschuldigungen). Sehr schön gezeigt!
Ich glaube dafür gibt es Volkshochschulkurse. Man hat zumindest den Eindruck bei der weiten Verbreitung solcher Techniken.

Die Sonnenstreifen sind weitergewandert und umrahmen den Kopf meiner Mutter mit einem seidigen Lichtkranz wie auf einem alten Madonnengemälde. Was für ein unpassender Ort für einen Heiligenschein.
Ist mir zu erklärend. Das Bild hat man ja schon. Vielleicht einfach: „Wie unpassend!“
Ja, ja, ja. Du hast ja recht. Und trotzdem, ich glaub, ich brauch noch ein paar Stündchen, bis ich mich endgültig vom Heiligenschein verabschiedet habe.

Ich könnte schwören, sie hat das absichtlich getan.
„Sie hat es absichtlich getan.“ gefiele mir besser. Wahrheit schaffen! Der Leser weiss ja um die Perspektive der Prota und die damit verbundene epistemische Unsicherheit.
Das stimmt so nicht. Du beziehst die Schaffung von Wahrheit nur auf den Leser. Natürlich ist es ihre Sicht, was der Leser auch weiß, aber wie willst du ausdrücken, dass die Frau selbst sich nicht völlig sicher ist? Und das ist sie hier an dieser Stelle noch gar nicht. Sie glaubt es nur, vermutet es und wird es erst im Laufe des Absatzes. Daher die vorangestellte Bemerkung und der Konjunktiv.


So jetzt werd ich mal bisschen kürzer. Alle die Stellen, auf die ich nicht explzit mehr eingehe, die ändere ich eh ganz oder ansatzweise, weil mir deine Anmerkung einleuchtet. Ob das nun ein wie zuviel oder die Leerstellenhäufungen oder das flüssige Tablett ist.

„Dem sie heimlich den Stock klaute, mit dem er die Kinder schlug. Und der sie einsperrte, weil sie nicht erzählen wollte, wer den Stock gestohlen hatte. „Und stellt euch vor“, sagt sie stolz zu uns, „kein Kind hat mich verraten. Sie wussten alle, dass ich es war.“
Da habe ich mich gefragt, wie der Vater auf die Idee gekommen ist, seine Frau wüsste, wer (der Kinder) den Stock gestohlen hat. War sie denn im Schulzimmer?
Das habe ich erst überhaupt nicht verstanden. Dann erst ist mir klar geworden, dass du Vater und Lehrer gleich gesetzt hast. Ich habe jetzt den Satz mit dem Vater rausgenommen, das Garstige der Muttererzählung, wenn sie sagt „zum Glück“ frühzeitig gestorben, merkt man ja trotzdem. Und zudem noch eine Kleinigkeit abgeändert. Vielleicht entfällt dadurch das Missverständnis und die Streichung ist keine wesentliche.

„Ich liebe diese Geschichte, ich stelle mir vor, wie sie mit wehendem Röckchen vom Dach des Schulhauses auf einen Sandhaufen springt, (…) Alle Kinder hielten dicht für meine Mutter.
Der fettmarkierte Satz gehört für mein Gefühl nicht dorhin, nimmt den Blick weg von der Mutter hin zu den Kindern. „Ich sehe ihr wildes Gesicht … Ja, so war sie.“ gefiele mir viel besser.
Das stimmt zwar, dass der Fokus kurzzeitig von der Mutter weg auf die fremden Kinder wechselt, aber das macht amS nichts. Der kurze Einbau hat den Vorteil, dass man die Mutter aus der Sicht dieser fremden Kinder sieht. Sie hat auch etwas, das sie anziehend macht für andere Menschen. Das soll das heißen. Daher finde ich es wichtig.

Ich glaube, ich hätte das Phon nach der Tat verstummen lassen. Meine ich nur so als Anregung. Das Phon fordert ja nicht zur Tat auf, sondern es erzählt die Wahrheit, lässt die Erinnerung lebendig werden. Aber das führt letztlich zur Tat. Nach dem Tod der Mutter hat das Phon in dieser Hinsicht keine Aufgabe mehr. Aber du möchtest wohl zeigen, dass damit die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nicht abgeschlossen ist, die Stimme weiterhin da sein wird?
Ich habs schon geändert. Schaust du in der Antwort an Tamira, der allgemeine Teil und in der Antwort an Barnhelm.
Klar schwebte es mir vor, die Beziehung nicht enden zu lassen nach dem Motto persönliche Hölle für jeden, aber es passt inhaltlich trotzdem nicht.

Lieber Peeperkorn, ich war wieder einmal total angetan von deiner Genauigkeit, mit der du auf einen fremden Text guckst. Ich hab viel übernehmen können von deinen Anregungen, dafür danke ich dir. Ich danke dir aber auch für dein Lob und das Zitieren der schönen Stellen. Das lohnt die Mühe.

Viele Grüße an dich von Novak


Liebe RinaWu und hallo, schön, dich mal wieder zu lesen.


Der Einstieg hat mir gefallen, deine Protagonistin hatte für mich von Anfang an eine gewisse Schwere. Die Szene mit dem kopflosen Hund und den vier dünnen Beinchen reißt sie für einen kurzen Moment hinaus, ich meinte, ein unbeschwertes Mädchen aufblitzen zu sehen, aber dann war sie auch schon wieder weg. Das fand ich gut gemacht.
Das ist gut, dass sie da wie ein Mädchen rüberkommt. Genau um diese Verknüpfung geht es, eigentlich versucht sie da ja, ein normales Verhältnis zu ihrer Mutter zu haben, ihr etwas Lustiges ztu erzählen, an dem sie sich selbst freut. Und dann geht’s schon wieder nach hinten los.

Als deine Protagonistin ihrer Mutter den Kakao reicht, da ahne ich etwas. Sie zittert. Sie vermutet, ihre Mutter verschüttet extra Flüssigkeiten auf der Bettdecke. So eine Mischung aus Wut und gleichzeitigem schlechten Gewissen. Eine ganz unangenehme Stimmung.
Cool, dass das geklappt hat.

Außerdem wäre sie dann nicht mehr hier bei mir. Ich spüre, dass meine Mundwinkel sich ein wenig kräuseln, ganz von allein.
Auch hier hat's mich irgendwie geschaudert. Sie leidet unter der Pflege ihrer Mutter, ist völlig erschöpft und zittert, aber dennoch scheint sie es schlimm zu finden, wenn ihre Mom nicht mehr bei ihr ist? Irgendwie spooky ... Denn sie könnte sie doch regelmäßig besuchen. Sie müsste ja nicht den Kontakt abbrechen, nur weil sie sich mehr professionelle Hilfe von außen sucht.
Zu Recht schaudert es einen da, denn das ist ja wirklich spooky, die hat sich nicht von ihrer Mutter befreien können, will immer noch Anerkennung, deshalb hat sie sie zu sich geholt. Will wahrgenommen werden, wie sie später sagt. Das ist nicht nur Uneigenützigkeit, das ist auch etwas, was sie für sich selbst tut, aber der Schuss geht total nach hinten los. Für alle Beteiligten. Das hat mich mächtig gefreut, dass du gerade diese Stelle zitierst.

Boah! Jetzt werde ich wirklich wütend auf die alte Dame. Ja, es ist schlimm, krank zu sein, egal in welchem Alter. Und es ist schlimm, niemanden mehr zu haben und sich in einem Heim oder betreutem Wohnen von Fremden helfen zu lassen. Aber deshalb verpflichtet man doch nicht seine Kinder zum Krankendienst. Und schon gar nicht mit psychischem Druck.
Ja, dazu gehören zwei. Jemanden, der den Druck ausübt, und jemanden, der ihn erduldet. Die alten Leute, so wie sie häufig agieren, das ist schon manchmal hart, aber sie haben es nicht anders gelernt und haben oft auch nicht die Möglichkeiten, es anders zu machen. Bezahl mal ein echt gutes Pflegeheim, wenn du nicht ein langes Arbeitsleben mit einem relativ hochdotierten Job hattest, das geht gar nicht. Von daher, das ist leider ein ziemlich gruseliges System insgesamt.

Das Doppel-sie ist auch verschwunden.


Liebe RinaWu, vielen Dank für die Zeit, die du mir geschenkt hast und für dein großherziges Lob. Bis bald mal wieder.


Liebe wieselmaus
Und du fällst gleich mit einem ausgemachten Lob ins Haus, du Liebe:

das nenn ich mal eine ausgereifte Geschichte, man merkt, dass du schon sehr sorgfältig daran gearbeitet hattest und dass es nicht schadet, einen Text ruhen zu lassen.
Ist schon sehr überarbeitet worden. Ich merk daran auch, wie ich dazugelernt habe. Hab viel verändert, zugespitzt, aber auch weggelassen.

Was diese Mutter ihrer Tochter angetan hat, darf man als Leser sich selbst im Detail ausmalen, du begnügst dich mit Andeutungen. Das finde ich raffiniert, weil jeder Leser seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen mit einbringen kann. Horror erlebt ja wahrscheinlich jeder auf individuelle Art, da braucht es nicht unbedingt Splatterszenarien.
So sehe ich das auch. Mir gefallen in der Hauptsache Horrorgeschichten, die sich auf einer anderen Ebene als der des Blutes abspielen. Ich möchte von dem Übersinnlichen oder dem, was in den Seelen schlummert, berührt werden, allzu viel Splatter reizt bei mir nur die Lachmuskeln. Sorry, dass ich das so sagen muss, aber Splatter langweilt mich eher.

Ob das Phon nun real existiert hat oder nicht, ich stelle mir vor, die Pflegerin, Caro, hat ihr irgendeinen Gegenstand gebracht, den deine Prota sofort als Instrument zur "Befreiung" usurpiert. Leider ist mir kein realer Gegenstand eingefallen. Vielleicht etwas, das eine Rolle gespielt hat im Zusammenhang mit ihrem Verlobten, ein Erinnerungsstück, das die unterdrückte Wut befreit. Darum findet dieses "Phon" nach der inneren Logik seinen Platz auf dem Totenbett der Mutter.
Letzten Endes war mir das dann doch zu verzwickt. Ich weiß, deine Deutung und auch die von Mix ist natürlich möglich und schön, aber es wäre zu kompliziert und logisch nicht ganz schlüssig geworden. Das Wichtige ist nämlich, auch Horrorgeschichten brauchen eine immanente Logik. Auch wenn ich den letzten Absatz gestrichen habe, ist deine Deutung, dass das Handy ihre Gefühle befreit, schlüssig. Es ist nur eben ein existentes Handy.

Und überraschend für mich, deine Prota bleibt mir bis zum Schluss sympathisch.
Das ist cool. Das sollte sie nämlich auch, obwohl sie etwas sehr Schlimmes tut.

Töchter und Mütter, immer wieder auch ein Thema zwischen mir und meiner Schwester.
Das kannst du laut sagen. Und ich glaube, das ist schlimmer, wenn man älter ist.

Schade, dass der Wettbewerb abgesagt wurde. Du hättest bestimmt Chancen gehabt.
Naja, das weiß ich nun nicht. Jedenfalls habe ich danach nie wieder probiert, bei einem Wettbewerb mitzumachen, der so viele Einsendungen erhält. Aber mich hat das gefreut, dass du so an mich glaubst.
Viele liebe Grüße an dich, Frau mit dem wunderschönen Namen. Ich glaub, das hab ich schon sehr oft gesagt. :)


Lieber Friedrichard, endlich, habe ich gedacht, als ich deinen Namen las. Jetzt erst kann ich zufrieden sein. Eine Geschichte ohne einen Kommentar vom Friedel, das wär für mich nichts. Dann wüsst ich endgültig, ich hab geschichtenmäßig was verbockt. :)

Bei einigen Naturvölkern – wie etwa den Lakota, bevor der Weiße Mann seine Kultur den Sioux aufzwang – gab und gibt es die Sitte, dass Alte, die ihr Ende nahen fühlen, das Dorf verlassen, um einerseits nicht zur Last zu fallen und andererseits, um bewusst in der Wildnis und unterm freien Himmel zu sterben. Da hat sich die Zivilisation lange von verabschiedet.
Okay, ich kenn das aus Filmen oder vom Lesen. Ist doch aber auch eine recht archaische Umgangsweise mit alten Menschen, die in einer so reichen Gesellschaft wie der unsrigen nicht nötig wäre.
Ich meine übrigens, dass nicht nur die Bolschewiki, die etwas gegen das Prinzip der Kleinfamilie hatten, zur Zerschlagung der Familie, so, wie sie es früher einmal gegeben hat, beitrugen, sondern das war die bürgerliche Gesellschaft mit ihren ökonomischen Erfordernissen an Flexibilität und Mobilität. Da wird Familie zwar hochgehalten als Privatsphäre, gleichzeitig aber auch zerstückelt und in die Pflicht genommen zur Aufwendung aller Kosten, materieller wie immaterieller Art, ob man will oder nicht. Dass ein solches System nicht unbedingt für Liebe zwischen Familienmitgliedern sorgt, das halte ich fast schon für eine Selbstverständlichkeit.


muss die Icherzählerin die Mutter immer mit dem Possessivpronomen versehen, auf dass sie nicht vergesse, wen sie da betreue und doch zuvor keine Treue erfahren hat … Mutterliebe (wie überhaupt zu Eltern und Älteren) ist halt am Anfang eine erzwungene. Karl Kraus hat es auf den Punkt gebracht, Familien-bande habe einen Beigeschmack von Wahrheit.
Das mit dem Possesivpronomen ist mir gar nicht so aufgefallen. Aber du könntest Recht haben. Muss mal gleich gucken. Und ja, der Kraus hats richtig gesagt. Familienbande.

Die Flusen sind alle in den Text eingearbeitet außer dem leidigen Genitivkakao, zu dem ich bei Tell schon was geschrieben hatte. Kurz gefasst hört der sich für mich tatsächlich künstlich an. Und es ist ja ihre Sicht der Dinge, ihr innerer Monolog, den würde sie eher umgangssprachlich denken. Ich habs jetzt erst mal gelassen, aber wer weiß. Vielleicht arbeitet der Genitiv an mir.

Lieber Friedel, es war mir mal wieder eine große Freude, dich unter meiner Geschichte zu lesen und deine Gedanken und die Flusen, die aber einfach furchtbar wichtig sind, geschenkt zu kriegen.
Alles Liebe für dich.
Novak

 

Hallo Mix

ich muss dir mal ein Kompliment machen, ich fand das echt toll, wie gut und treffend du diese Geschichte zusammengefasst und den Charakter und die Beziehung zwischen den beiden Frauen interpretiert hast.

Ich finde beeindruckend, wie subtil der Horror zum Tragen kommt, wie er nach und nach langsam und behutsam aufgebaut wird, oftmals nur durch Andeutungen. Wie allmählich mehr preisgegeben wird von dem komplexen Geflecht, das Tochter und Mutter miteinander verbindet. Wie es der Tochter immer schwerer fällt, ihre eigenen Hände unter Kontrolle zu halten, wie das Dunkle in ihr, heraufbeschworen durch ihre Mutter, aufbegehrt.
Wow, das klingt ja echt toll. Macht mich auch ein bisschen stolz, dass du da von einer meiner Geschichten schreibst.


und obwohl lange unklar ist, was genau zwischen den beiden steht, du es - wie gesagt - weitestgehend bei Andeutungen belässt, konnte ich mich gut in die Tochter hineinfühlen. Wie schwer ihr das alles fällt, sich um eine Mutter zu kümmern, die nicht nur dement, sondern auch noch herablassend und geradezu heimtückisch ist, wie sehr der Tochter das zusetzt, wie sie nicht mehr kann, das konnte ich in jedem Moment nachvollziehen, und damit einher geht ja auch der Horror. Denn daran zerbricht sie ja schließlich, an ihrer Mutter und an ihrer eigenen Aufopferungsbereitschaft, die ihre Mutter als selbstverständlich ansieht ("Ich finde, das ist doch auch richtig", sagt sie an einer Stelle); ihre Mutterm die ihr sogar noch Schuldgefühle einredet und so tut, als wäre die Tochter kaum mehr wert als eine Ameise, definitiv aber weniger als die verstorbene Schwester. Wirklich gut geschrieben, sehr eindringlich.
Du fasst das auch sehr treffend zusammen, dass es auch nur mit den Andeutungen klappt, das Verhältnis der beiden Frauen zu charakterisieren. Und das Üble in dieser Beziehung wahrzunehmen. Ja, Aufopferungsbereitschaft tun niemandem gut, ganz im Gegegnteil.

Und deine Offenheit und Bereitschaft, sich auf eine Geschichte einzulassen, sie deuten zu wollen, Mix, die haben mich auch sehr beeindruckt. Ich habe das selten erlebt. Und klar, wenn man das so durchdenkt, wäre Caro ein Abspaltung von ihr.
Dein anfängliches Bedenken aber, dass es da eben zu einer Irritation kommt, das hat dann doch überwogen. Ich denke, man kann es dem Leser nicht zumuten, sich auf so eine intensive und großmütige Interpretationsreise zu machen. Das hast du getan, aber viele andere werden mir da was husten. Das weiß ich. Und es wär auch okay.
Mein Hintergrund war, das kannst du auch in der ersten Antwort nachlesen so ein bisschen was Formales, nicht zu sehr mich an den Poe zu hängen, aber auch ein bisschen Spaß an Horrorenden. Und natürlich auch die Vorstellung, dass man den Horror, also diese Mutter-Tochter-Beziehung dadurch nie enden lässt. Trotzdem denke ich, so passts besser.

Gut möglich natürlich, dass ich völlig auf dem Holzweg bin mit dieser Theorie. Es ist lediglich der Versuch, mir selbst zu erklären, wie das Phon nicht real sein soll, wo es doch - so konrekt formuliert - von einer scheinbar real existierenden Person überreicht wird. Aber das ist doch irgendwo auch das Schöne an dieser Geschichte: Es gibt so vieles zu erahnen, so viele Andeutungen, die man selber weiterspinnen kann, so vieles, was man selbst erschließen kann. Da macht das Lesen Spaß.
Nein, auf dem Holzweg warst du natürlich nicht. So hätte das gut zusammengepasst. Aber an deinem Kommentar, daher war der für mich auch so wichtig, ist mir klar geworden, dass das logisch zu viele Puzzleteile zusammenzusetzen gilt, und dass ich meinen Lesern da viel zu viel abverlangen würde.

Vielen Dank, dir Mix, für diesen sehr ausführlichen und mich weiterbringenden Kommentar.
Bis die Tage.


Lieber The Incredible Holg

Ach du gute Güte, hab ich gedacht, als ich deinen Namen las, in meiner Geschichte ist doch dieses Mal kein Mann.
Nee, nur Spaß, ich will dich bloß mal wieder ein bisschen ärgern.

(auch wenn ich an ein paar Textstellen weniger streng mit dir gewesen wäre).
Och, das macht nix, weißt du doch. Ich nehm das, was ich brauche. Und manche Sachen merkt man ja wirklich nicht. Aber ich nehm das schon zur Kenntnis, du Lieber, dass dir mein Seelenheil im Kopfe ist. :D

Wie so oft zeigt sich wahrer Horror nicht in Strömen von Blut (obwohl ein bisschen Splatter manchmal auch nicht zu verachten ist), sondern in der Interaktion zwischen Menschen und in ihren Köpfen. Du beschreibst sehr, sehr gut und wirkungsvoll, wie der Wahnsinn sich erst nur andeutet, sich dann allmählich verdichtet und schließlich voll ausbricht.
Ich glaube, das hab ich dieses Mal tatsächlich geschafft, dass die allermeisten Leser das so wahrnehmen konnten. Du kannst glauben, dass ich darüber froh bin nach der Kehrseitengeschichte. Da hatte ich zum Schluss das Gefühl, ich hab Tintenfischärmchen, die sich überall hinschlängeln müssen.
Ach und ja, dass du ein kleiner Splatterfreund bist, gut zu wissen. :D

Die Mutter, die du da gezeichnet hast, könnte wohl jeden an den Rand des Wahnsinns (oder eben auch darüber hinaus) bringen. Diese passiv-aggressive Masche kenne ich noch von meinen Großmüttern - die hätte vor allem meine Mutter manchmal gerne an die Wand geklatscht. (Irgendwie kriegen es ja immer die Töchter und Schwiegertöchter ab.) Die alte Frau in deiner Geschichte ist außerdem noch dement, da darf man es ihr nicht mal übernehmen, darf sie nicht anschreien, darf ihr keine runterhauen, darf sich nicht mal "einfach" von ihr lossagen - denn sie ist ja krank und kann nichts dafür. Schlechtes Gewissen gleich eingebaut. Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass Anna ihre Mutter wirklich liebt (hat ja auch wenig Grund dazu), sondern dass sie bloß glaubt, sie lieben zu müssen, weil man das als Tochter eben so tut (damit hat sie dann gleich noch eine unerfüllte Pflicht, die auf ihrer Seele lastet). Und vielleicht, weil sie immer noch hofft, von ihrer Mutter irgendwann ebenso geliebt zu werden, wie sie es sich als Kind gewünscht hat - nämlich wie die ach so liebe kleine Schwester Teresa (vermutlich nicht nur zufällig so benannt wie die inzwischen vor der Heiligsprechung stehende Mutter Teresa).
Da schreibst du so viel Wichtiges auf einem kleinen Haufen. Ja, diese Beziehung funktioniert nur, weil Schuldgefühl, Scham und Wunsch nach Anerkennung alle drei ihre bösen Dienste tun.
Ich musste lachen, dass mir der Name Teresa eingefallen ist, hättest du mich nicht drauf hingewiesen, ich hätte nicht gemerkt, dass der Name auf eine so üble Art gut passt. Wenn mir jetzt noch einer erzählt, was Anna eigentlich bedeutet und das passt dann auch noch, dann schreib ich ein Hohelied auf das Unterbewusstsein.

Übrigens hätte ich es noch schicker gefunden, wenn Teresa nicht tot wäre, sondern sich fröhlich irgendwo in der Weltgeschichte vergnügen würde und Anna samt Mutter einfach zurückgelassen hätte - was die Mutter natürlich genauso verleugnen könnte wie Teresas Tod. Na ja, vielleicht wäre das auch etwas plump.
Du wirst lachen, ich wollte das ursprünglich so machen, aber dann hab ich befürchtet, dass alle mich fragen, warum die denn nix macht, die andere Schwester, und was denn da los ist. Also die Plumpheit war nicht der Hintergrund, weiß auch nicht, ob das wirklich plump gewesen wäre, aber eigentlich wollte ich einfach nur kein neues Fass aufmachen. Naja, und jetzt ist es so, dass ich gefragt werde, warum die denn tot ist. :D

Wem das fehlt, der bleibt mit einigen Fragezeichen zurück und wünscht sich klarere Auskünfte, was denn nun z.B. mit der Schwester, dem Vater oder dem Verlobten genau passiert sein mag. Ich finde deine Lösung super - mag sein, dass ich die Lücken anders fülle als andere Leser oder sogar die Autorin, aber so kann ich mir meinen eigenen Horror konstruieren in dem von dir gegebenen Rahmen.
Komm, jetzt stell dein Licht aber nicht unter den Scheffel oder das Licht anderer Leser, soviel Lebenserfahrung dürften die meisten haben, dass sie sich da was zurechtreimen können. Nee, das bleibt so in Andeutungen wie es ist. Ich mach mir sonst die Geschichte kaputt. Auch wenn ich das Bedürfnis nach Klarheit gut nachempfinden kann. Ich weiß, dass ich manchmal richtig sauer war bei Horrorgeschichten, wenn es nicht klar aufgelöst wurde. Aber das waren dann wirklich unklare Dinge, wo man vorn und hinten nichts wusste.
Ich denke, wenn ich lese, was die Kommentatoren so schreiben oder wie sie es sich zurechtreimen, das passt schon alles.

Was das Phon betrifft, habe ich das jetzt anders gelöst. Steht schon neu drin. Ich hab halt doch Babyphon benutzt, es gibt zwar Phon zu lesen, aber wenn viele damit nichts anfangen können, ist das ja blöd. Und mir jetzt einen abzubrechen, wie ich das ohne die Nennungen, die nun mal üblich sind, hier einführe, also das kam mir dann irgendwann zu verkrampft vor. Vielleicht geht der Anfang ja so.

Zu der Dichtheit der Bilder behalte ich mir deinen Hinweis mal im Kopf, aber ich fand halt, dass das hier passte mit der Glasscheibe und kurz darauf mit der Grauheit der Farben. Es dient mir dazu, ihre zunehmend verschwimmende Wahrnehmung darzustellen. Darum benötige ich das hier. Aber im Prinzip hast du recht. Ich denke nur, hier passt es gerade.

Auch deine Kritik an dem Titel kann ich nachvollziehen, du argumentierst ja sehr klar, mir kam es aber noch auf etwas anderes an. Fleißig kann auch eine Tugend an sich sein, die sich gar nicht unbedingt in einem produktiven Ausstoß zeigt, oder in einer Qualität der Person, die diese Eigenschaft besitzt, sondern dies Attribut wird bemüht, wenn es scheinbar sonst nichts zu loben gibt an der Person. Du kennst doch bestimmt das Lehrerlob, sie bringts zwar nicht, ist nicht schlau, nicht kreativ, sonstwas, aber fleißig ist sie. Das wird so natürlich nicht Eltern gegenüber geäußert, aber Kollegen untereinander. Oh je, da kommt manch Zynisches zutage. Sie erhält übrigens auch von ihrer Mutter eine widerliche Kritik, sie sei zu bemüht. Also die fleißigen Hände bleiben.

Beim Schluss bin ich noch hin- und hergerissen, ob man die letzten Sätze nicht weglassen und vor dem Sternchen aufhören sollte. (Nein, das ist keine Retourkutsche wegen der Diskussion um den Schluss meiner eigenen Geschichte. ) Klar, du wolltest den Twist mit dem nicht existierenden Phon, der aber m.E. nicht nötig wäre und einige Leser auch verwirrt hat. Außerdem wurde zu Recht die Frage aufgeworfen, ob bzw. warum Anna denn wirklich noch weiterhin die Stimme ihrer Mutter hört und was die wohl jetzt noch zu sagen hat.
Also echt, Retourkutsche. So denk ich doch nicht. Und werd ich auch nie.
Nee, das passt schon, wie du hier argumentierst, kannst ja mal in der Geschichte gucken, der Schluss ist eh schon geändert. Und damit ist das Phon existent und nur das Mittel, mit dem sie Zugang zu ihrem Inneren erhält.
Naja und einen so vordergründiger Spiegel von Psycho und seinem Norman Bates solls ja auch nicht geben.

„Für dich“, sagte sie, „ein Stück Freiheit von deiner Mutter.“
Ungefähr so viel Freiheit wie eine extralange Hundeleine. Na danke! Das findet sich auch schön im späteren Text mit dem Hund auf der Straße wieder.
Cool, dass du das gemerkt hast. Ich hab das zwar gar nicht mit Absicht gemacht, aber als ich jetzt die letzte Zeit über an dem Text gebrütet habe, da ist mir das aufgefallen, wie symbolisch dieses Hundeleinenbeispiel ist.
Zu der Stelle mit der Perlenkette überlege ich noch was, keine Ahnung, was daraus wird Und ob überhaupt. Gemeint jedefalls war nicht das Kostbare, sondern das Helle der Perlenfarbe. Dass die Nächte dann einerseits so bedrohlich sind, gleichzeitig aber auch das Aufregende für sie, das empfinde ich in seiner Widersprüchlichkeit zutreffend.

Mein Hörvermögen ist so scharf wie das eines Tieres.
Da hätte ich erwartet, dass du ein konkretes Tier benennst. Oder ist dir keines eingefallen, das gut hören kann und gleichzeitig die Gemütslage deiner Prota wiedergibt?
Hach, jetzt auch das noch. Novak weiß kein Tier. Die Prota auch nicht. Nicht immer ist ein Haus ein Bungalow, ein zehnstöckiges Hochhaus oder ein abgehalfteter Caravan, manchmal ist es eben nur ein Haus. Im Ernst jetzt, wenn du was Hübsches weißt, nur her damit.

Die Mutter (das Phon) hat ihr ja nichts Neues gebeichtet, keine neue Information gegeben. Das einzig Neue könnte m.E. sein, dass die Mutter sich (wieder) dessen bewusst ist, was sie damals getan hat, und/oder dass sie ein bisschen Reue zeigt. Daraus eine mögliche Angst der Mutter abzuleiten, ist für mich nicht ganz schlüssig.
Wieso sagt ihr das Handy (die Mutter) nichts Neues? Natürlich tut es das. Am Anfang ist die Mutter/das Handy nur fies und macht Bemerkungen, dass der Verlobte sogar zur Prota nett war und so. Da hat die Mutter vergessen, dass Anna mit diesem Mann zusammen war. Später macht sie Bemerkungen, die auf ein Verhältnis zwischen ihr und ihm schließen lassen können. Aber lassen sie das wirklich so klar? Und sagt das die Mutter real? Ob das die Mutter nun real war oder nur Annas Einbildung oder ob der Betrug tatsächlich einer war oder die Mutter nur rumgeflirtet hat. Das alles ist nicht eindeutig. Es ist vielleicht nur Annas Einbildung, mit der sie sich das Verlassenwerden erklärt, die da aus dem Phon spricht. Oder die Mutter hat tatsächlich einen Betrug an ihrer Tochter begangen hat, und Anna bisher immer nur Anzeichen gemerkt hat, es sich bisher nicht wirklich hat eingestehen wollen, dass es so war. Jetzt, im Zustand der Überforderung und des zunehmenden psychischen Drucks interpretiert sie es aber doch, und zwar richtig. Ganz egal, was da ganz genau war. Der Betrugsverdacht steht massiv im Raum durch die Stimme aus dem Handy. Und dieser sehr starke Verdacht, der ist ihr jetzt klar geworden.

Okay, da war jetzt doch recht viel Detailkritik drin. Aber das täuscht, denn in Summe fand ich deine Geschichte sehr atmosphärisch, stimmig und gruselig. Sehr gern gelesen!
Das nehm ich jetzt einfach mal so mit und suhl mich ein bisschen drin rum.
Vielen Dank, Holg, für dein Lesen, deine Textarbeit, ach einfach für alles.
Bis bald
Novak


Hallo Chico1989

Hallo (Frau!) Novak,

:D
Das muss man mal festhalten.


Und es ist schwierig, glaube ich, weil man nicht nur Pfleger und Patient, sondern auch Tochter und Mutter ist. Erschwert wird das Ganze noch durch die Demenz der Mutter, und vor allem durch ihr, meiner Ansicht nach, unsympathisches Wesen.
Ich glaube auch, wie du es hier schreibst, dass familiäre Bindungen die Pflege eigentlich noch erschweren. Egal wer davon erzählt, es ist immer das gleiche. Die Beziehungen der Personen untereinander, die scheinen sehr wichtig zu sein, Negatives verstärkt sich, Positives ist vielleicht eher in der Lage etwas aufzufangen. Und Demenz verschlimmert das Ganze noch einmal mehr, ist zumindest meine Erfahrung.

Das mit den Händen der Tochter immer wieder und dem Phon machst du, wie ich finde, super. Ich fand den Text superklasse, falls es noch nicht aufgefallen ist. In Gedanken mache ich auch etwas mit meiner Hand, und zwar den Daumen hoch.
Ach das nehm ich doch gerne und backe es mir auf einen Kuchen. Das klingt toll. Und ich beende die Antwort an dich mit gehobenen Mundwinkeln. Bis über die Ohren.
Vielen Dank für ein Stückchen Motivation.
Bis die Tage, Chico.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Novak,

weil es eine wahre Freude ist, deine Kommentare zu den Kommentaren zu lesen und das hoch aus den spanischen Pyrenäen, habe ich, u.a. auch den Dialog mit dem Holg verfolgt.
Und als die Sprache auf ein passenden "Tier" kam, fiel mir nahezu spontan der Elefant ein, vor allem weil er sehr sozial innerhalb der Herde ist, sich (aufopfernd) kümmert und auch trauert. Zudem hört er im Infraschallbereich außerordentlich gut, bis zu mehreren Kilometern weit.;)

Liebe Grüße, Kanji

 

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