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Eskimo

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15.02.2003
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Eskimo

Von innen sehen ihre Augen aus wie Iglus. Nur sie weiß das.

Die meisten Leute nennen sie Alaska. Sie grinst dann zwar, aber nur weil ihr egal ist, was die anderen sagen. Sie ist eine Insel.

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Sie schreibt Geschichten in der Wir-Form, einfach so, zum Zeitvertreib, Liebesbriefe an sich selbst und alle anderen.
Sie schreibt:
Das wir fängt an mit du und ich, und dass die beiden schön sein müssen.

Nur im Wasser ist ein Goldfisch schön.
Der Wind nur, wenn er weht.
Der Regen, wenn er fällt.
Der Winter, wenn er kalt ist.
Und wir, wenn wir alleine sind.

Wir verlassen unsere Wohnung nicht. Wir träumen uns nach draußen. Wir wollen gar nicht raus.
Wir werden ewig hier sein. Wie Goldfische in einem winzigkleinen Glas. Geborgen, nicht gefangen. Unsere Fenster haben dunkle Rollos. Wir reden nicht mehr viel und laufen auch sehr wenig, und wenn dann nur im Kreis. Unsere Münder, unsere Füße bilden sich zurück, wir haben sehr, sehr kurze Beine, wie Lügen. Und Augen wie Taschenlampen kurz bevor die Batterien leer sind, und dazu noch eine ziemlich dünne Haut.

Alles was wir bräuchten, wären die Erinnerungen, alles was wir hätten, wär in unseren Köpfen. Alles was wir wollten, wäre in den Träumen, fest verankert in der Zukunft oder eher noch in der Vergangenheit.
Die Gegenwart hätten wir ermordet und verscharrt, irgendwo, vielleicht im Komposthaufen hinterm Haus.

Wir, die Erinnerungsabhängigen, Schlafsüchtigen. Traumjunkies.

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"Die Leute sagen immer zu mir, lass die Emotionen raus. Ich lass sie lieber gar nicht erst hinein."

Hier, hinter emotionalen Schützengräben hat sie sich verschanzt. Ihr Herz klopft wütend an die Tür, die ganze Zeit schon, aber sie hört weg, verschließt die Augen und die Ohren, ihr Kopf hat alle seine Türen längst verammelt.

Und alle ihre Spiegel hat sie abgehängt, die spitzen Gegenstände eingeschlossen, in den Schränken lagern zudem hundert Tafeln Schokolade. Sie ist auf alles vorbereitet. Die Gefühlsarmeen können kommen, sollen ruhig versuchen, einzubrechen, angeführt von ihrer fiesen Königin, Tyrannin, Diva, der Liebe.

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Sie hat die Wirklichkeit ermordet.
Sie denkt: Niemand versteht mich. Ich hätte gerne Kinder mit der Deckenlampe. Kinder mit traurigen Augen und klitzekleinen Schaltern, mit denen man sie dann zum Leuchten bringen kann. Ihre kleinen Herzen schlagen nicht, sie flackern nur, und pumpen kleine Dosen Halogen statt Blut, nachts stehen sie am Fenster und schauen zu den Sternen, die sie für entfernt Verwandte halten müssen. Alte Männer, alte Frauen, die sich jahrelang von Luftballons ernährten, bis sie soviel Helium in ihren Bäuchen hatten, dass sie ganz nach oben in den Himmel flogen.

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Die Türe biegt sich, draußen steht die Liebe und versucht, sie einzutreten, stur und sehr energisch. Schafft es aber nicht, die Liebe ist mal wieder viel zu schwach. Als die anderen Emotionen das begreifen, fallen sie ihr in den Rücken und verletzen sie mit Messerstichen.

Die Liebe liegt inzwischen in der Notaufnahme. Fast alle Ärzte meinen, sie kommt durch. Einer murmelt leise vor sich hin, Unkraut vergeht nicht.

V
Unterdessen träumt sie weiter, sie, die wir Alaska nennen, glücklich über ihren Sieg, denn jeder Sieg macht sie ein bisschen stärker, bald hat die Liebe keine Chance mehr, zumindest nicht bei ihr, der Insel, uneinnehmbar, sie mit ihren tausend Mitteln gegen Einsamkeit und nur einer knappen handvoll Waffen gegen Liebe.

Sie wohnt in ihren Augen. Manchmal winkt sie noch. Da drinnen ist es sicher warm, wärmer als man denkt, wie in einem Iglu.

 

Deine Geschichte ist wirklich schön. Sprachlich echt sehr gelungen. Hat mir gut gefallen.

affaire

 

Hi Wolkenkind!

Ein für mich schwieriger Text. Geht es um eine Selbstmörderin? Die einen Suizidversuch startet, dann aber gerettet wird? (Es werden ja Ärzte erwähnt...)
Der Stil ist ... wirr. Nicht, weil du komplizierte Sätze schreibst, sondern eher, weil der Inhalt dieser Sätze schwer zu dechifrieren ist. Du verwendest viele Umschreibungen, das Meiste liest sich wie ein wirrer Traum. Ich finde solche Texte immer schwer zugänglich. Das ist aber mein Problem und soll nicht deines sein.
Der Text erinnert mich irgendwie an ein Gedicht... es lässt eben viel Spielraum für Interpretionen, Deutungen.

Ich muss aber leider zugeben, dass ich nicht viel damit anfangen konnte.

In diesem Sinne
c

 

Hallo Wolkenkind,
liest sich sehr flüssig Deine Geschichte, weil die Sprache so wunderschön gestaltet ist. Die Umschreibung der Gefühle von Alaska ist dir sehr gut gelungen. Alaska ist wohl ein sehr einsamer Mensch, wenn sie selbst das wir ist. Leider hat sie keine Chance auf ein wirkliches wir, da sie sich so abkapselt, um nicht verletzt zu werden. Vielleicht merkt sie ja irgendwann, dass auch eine Insel Teil eines Landes ist.
Hat mir sehr gut gefallen. :thumbsup:
Liebe Grüße
Susie

 

Danke euch dreien für die Rückmeldungen. 1 zu 2 aus Sicht der Unverständlichkeit :)
Es geht hier nicht um Selbstmord, nur die Liebe kommt zu Schaden, alles ist sehr Metaphorisch, der Protagonistin passiert nichts, was ja eigentlich gerade das Schlimme an der ganzen Sache ist, wie Susie gleich erkannt hat ;).
Dass auch Inseln Teile eines Landes sind, stimmt, mh, das Problem bei Metaphern ist, dass sie sich unendlich weiterspinnen und verspinnen lassen, bis man gar nicht mehr durchblickt *g*

Und ja, ich will interpretiert und gedeutet werden, will kompliziert und verstrickt und poetisch schreiben, zumindest wollte ich das heute.

Liebe Grüße
Christoph

 

Ola!

Also, mir gefällt deine kleine Geschichte auch sehr gut, obwohl sie sehr traurig ist.
Deine Prot. verschanzt sich in ihrem Körper, um alles, was sie verletzen könnten, bloß nicht an sich ran zu lassen. Das gelingt ihr so gut, dass sie noch nicht einmal Kummer darüber empfindet, verstehe ich das richtig?
Sie lebt nur für ihre Erinnerungen, weil die ihr nicht weh tun können, und vielleicht noch für die Zukunft, weil die ihr noch nicht wehgetan hat. Der Gegenwart will sie sich jedoch nicht stellen.
Und als die Liebe "droht", tötet sie sie ab.

Traurig, aber ihre noch warmen Augen machen ja Mut zur Hoffnung, dass sie sich irgendwann einmal besinnt.

Man fragt sich, was ihr passiert ist, dass sie so geworden ist.

Wunderschöner, rätselhafter, melancholischer Stil. :thumbsup:

Liebe Grüße,

Felsenkatze

 

Danke dir, Felsenkatze für die absolut richtige Interpretation, das freut mich :)
Kurzgeschichten sollten nur beschreiben, wie es ist. Wie es dazu kam, ist dann Sache der Romane. Zumindest ist das meine und Mr Hemingways Ansicht :)

Lieben Gruß

 

Hallo Wolkenkind,

beim lesen Deines Textes hatte ich die Assoziation `Autismus´ und wahrscheinlich kann man die krankhaft erscheinenden Selbstschutzmechanismen der Protagonistin in diese Kategorie einordnen.
Dies ist eine durchaus interessante Thematik, doch trotzdem bin ich mit dem Text nicht zufrieden: Im fehlt eine Geschichte (was nicht in Widerspruch zu Hemingways Aussage steht), eigentlich geben nur die Metaphern dem Text Gestalt, kein Geschehen oder epiphanisches Erlebnis.

„Ihre kleinen Herzen schlagen nicht, sie flackern nur, und pumpen kleine Dosen Halogen statt Blut, nachts stehen sie am Fenster und schauen zu den Sternen, die sie für entfernt Verwandte halten müssen. Alte Männer, alte Frauen, die sich jahrelang von Luftballons ernährten, bis sie soviel Helium in ihren Bäuchen hatten, dass sie ganz nach oben in den Himmel flogen.“
Das ist ja recht fantasievoll - aber was wird damit gesagt? Ist die Aussage dem Wortgeklingel adäquat, was bleibt ohne es übrig?


„Hier, hinter emotionalen Schützengräben hat sie sich verschanzt“ - Es müsste wohl heißen: In Schützengräben gegen Emotionen ...

Gut gelungen ist hingegen: „wir haben sehr, sehr kurze Beine, wie Lügen“ - eine bekannte Aussage (Lügen haben kurze Beine) wird umgedreht und zum Maßstab für die Beinlänge gemacht. Durch die Verbindung zu „Lügen“ wird das „Wir wollen gar nicht raus“ in einen neuen Kontext gestellt - die zum Rauslaufen zu kurz gemachten Beine sind Teil der Lebenslüge.

Leider diesmal nur so ´ne Kritik,

liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

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