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Ein Morgen danach
Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die durch Pfützen zischen.
„Du sagst mir, wie ich fahren soll, ja?“
„Letzte Ausfahrt vor der Autobahn. Danach ist es nicht mehr weit.“
„Ich kann auch das Navi einschalten.“
„Brauchst du nicht. Ich zeig dir den Weg.“
Graue Pudelmütze mit rotem Bommel. Seidige, sonnenblond leuchtende Locken, die darunter hervorlugen. Die Jacke fest geschlossen. Nebel, der sich über die Dämmerung legt. Ein Schimmern dahinter. Undeutlich, fahles Licht. Schweigen. Sie starrt vor sich hin und ich in den Dunst.
„Mir ist kalt.“
„Echt? Ich dreh die Heizung auf.“
„Lass mal. Die Jacke ist warm.“
Ein Stück unbedeckte Haut am Hals. Ein winziger Fleck am Kehlkopf, an den ich mich erinnere. Wie durchscheinend sie ist. Vor allem ihre Haut. So blass, sogar die feinen Äderchen sieht man darunter. Die Hände ineinander verschränkt. Smaragdfarbene Augen schauen mich an.
„Ich übernachte nicht mehr bei dir. Ich hab nicht gut geschlafen.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht.“
„Mm.“
Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Die feuchte Straße vor mir reflektiert das Licht. Schweigen.
„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie schließlich.
Ich stelle mir die Lippen vor, die sie dabei leicht geöffnet hat. Weich.
„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“
„Geht nicht. Ich mach heute eine Präsentation.“
„Über was?“
„Neues EDV-Projekt. Serviceorientierte Software-Architekturen und was man damit sparen kann.“
„Ach so. Hast du mir gar nicht erzählt.“
„Nee.“
Schnellere Fahrt, als wir zur Bundesstraße kommen. Regentropfen, die als Schlieren auf der Scheibe zerfließen. Leise Musik aus dem Radio. Abgelöst von einer fröhlichen Sprecherstimme. Wir hören zu. Restgeruch der Zigaretten, die ich im Auto geraucht habe. Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr erinnert, an Oleander, an Brennnesseln, an Rosen. Sie schaut aus dem Fenster. Irgendwohin.
„Du musst jetzt abfahren. Nächste Ausfahrt und dann gleich rechts.“
„Was ist das für ein Parfüm?“
"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten.“
Feste Stimme. Schnell gesprochene Worte.
„Da ist es. Hier kannst du anhalten.“
Eine rechteckige Glasfront mit Metallstreben, ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Am Eingang eine Tafel mit glänzenden Lettern. Die meisten goldfarben. Ich entschließe mich, den Zündschlüssel zu drehen. Der Motor verstummt. Wende mich um, blicke ihr entgegen. Keine Zeit mehr, um auszusteigen und ihr die Tür aufzuhalten. Sie öffnet sie selbst und schaut mich an. Dann lächelt sie und ich erinnere mich an die Fältchen um ihre Augen. Ihr Blick lastet auf mir. Sie sagt nichts und sieht irgendwie glücklich aus.
Ich halte mit beiden Händen ihre kalten, schmalen Finger, ziehe sie ein wenig zu mir. Küsschen rechts und links.
Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an", sage ich. Worte, die im Nichts verhallen.
Sie nimmt die Mütze ab und schüttelt sich die Haare. Ich starte den Motor.
Sie dreht sich nicht mehr um.