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Die Rache der Blaublütigen
„Aua“, sagte das Sandglöckchen, „sie hat mir mit ihrem Rollstuhl zwei Blüten platt gefahren.“
„Das ist ein Rollator, kein Rollstuhl“, verbesserte der Rittersporn, „ich hatte dich gewarnt, du ragst zu weit in den Gehweg. Heinrich ist zu nachsichtig mit dir und deinen Auswüchsen.“
Das Sandglöckchen guckte trotzig auf die zerquetschten blauen Blüten.
„Da war genug Platz, sie ist aber extra nicht drumherum gerollt.“
„Ich bin Zeuge“, sagte das Blaukissen, „Heinrich seine Frieda hat unsere Lütte einfach überfahren. Neulich ist sie auch über mich mit Karacho gebrettert. Da hab ich jetzt noch was von. Die hat uns Blauen auf dem Kieker.“
„Frieda, dieser verschrumpelte Apfel, die taucht immer nur auf, wenn es was zu ernten gibt,“ sagte die Lupine, „dieses Hardcore-Vegetarier-Miststück räumt Heinrichs gesamten Gemüsegarten ab.“
„Was ist eine Hartkorkwegelagerin?“, fragte das Sandglöckchen.
„Sagt mal, ist bei dir keiner mehr für ein bisschen Bildung zuständig? Kümmert sich hier wer um das Kind, die redet ja nur Bickbeermus“, sagte der Rittersporn.
„Erinnerst du das denn nicht mehr?“, fragte die Kornblume, „letzten Sommer?“
„Genau, da hat Rollator-Tussnelda Heinrich gezwungen, die halbe Verwandtschaft von der Lütten wegzuschmeißen. Seitdem ... Eltern Kompost“, sagte das Blaukissen.
„Doch nicht vor dem Kind!“, mahnte die Kornblume, „sag, mein blaublütiger Ritter, hat dich dein Gedächtnis wieder im Stich gelassen?“
Die Kornblume wiegte sich aufreizend im Wind.
„Seit Frieda versucht hat, mich mit einer Überdosis Blaukorn umzubringen, ist mein Kopf oft wie leer gefegt", sagte der Rittersporn.
„Diese vermoderte Tulpe, die will uns alle weg haben. Nix gegen Tulpen, war mal mit einer drei Monate verbandelt, aber wer braucht Holländer im Garten? Was’n Glück, dass es nach dem Blaukornanschlag kräftig regnete.“
„'abt ihr das gesehen? Das ist skandalös!“, rief die Schmucklilie, „diese impertinente Person stellt 'ier drei grässlische Sonnenblumentöpff neben misch. Das ge’t so nischt!“
„Die ist ja nicht mehr grün am Stängel“, sagte die Lupine, „jetzt müllt sie Heinrich die Terrasse auch noch mit Supermarkttöpfen voll.“
„N’est pas?“, sagte die Schmucklilie, „dieses eklige Gelb, neben meiner magnifique Blütenfarbe! Isch bin...“
„Lapislazuliblau“, fiel das Blaukissen ins Wort, „wissen wir. Es ist nicht lupinenblau, nicht marineblau, nicht kornblumenblau, sondern lapislazuliblau.“
„Und es ist kein tintenblau, blaulichtblau, niveadosenblau oder schlumpfblau“, ergänzte das Sandglöckchen.
„Nu is' aber gut“, sagte das Blaukissen.
„Exactement“, sagte die Schmucklilie, „einrisch libt mein extravagantes Blau. Sein Geschmack ist exquisit.“
„Was ist ein Ekstarakantes?“, fragte das Sandglöckchen.
„Plapper nicht alles nach!“, sagte die Lupine, „und halt deine Stängel grade!“
„Isch überlebe so keine Minüt mit diesem abscheulischen Gelb direkt neben mir“, sagte die Schmucklilie, „verlassen Sie auf der Stelle diesen Garten, Sie Schmutzkraut! Wir sind hier alle bleu!“
"Die verstehen dich nicht", sagte das Blaukissen.
„Das Fass ist voll“, sagte die Lupine, „Frieda hat jedem von uns übelst mitgespielt. Mir hat sie alle Stiele abgerissen, nur um mich einen lächerlichen Tag in eine viel zu enge Blumenvase zu pressen. Dann flog ihr verfetteter Kater gegen die Vase, Frieda wurde stinkwütend und meine Blüten landeten in einer miefigen Blechtonne voll mit Kaffeebohnenmatsch und fauligen Gurkenschalen.“
„Mon Dieu, so 'at sie misch gefoltert“, sagte die Schmucklilie, „Frieda muss verschwinden!“
„Unbedingt“, sagte die Kornblume, „nicht auszudenken, sie versucht wieder unseren Rittersporn zu ermorden.“
„Danke meine treue Blaue“, sagte der Rittersporn gerührt, „dass du dich für mich verwendest. Ja, vertreiben wir sie.“
„Vertreiben langt nicht. Wir müssen es wie bei Eva machen“, sagte das Blaukissen.
„Wie bei Eva? Ich verstehe nicht“, sagte der Rittersporn.
„Was wohl? Eva liegt nun auf dem Friedhof“, sagte das Blaukissen.
„Ist es wieder das Gedächtnis?“, fragte die Kornblume, „du warst doch dabei."
„Eva Kompost“, sagte das Sandglöckchen.
„Da siehst du, was du mit deiner Unverblümtheit bei dem Kind anrichtest“, tadelte die Kornblume.
„Ich kümmere mich mal drum und strecke meine Wurzeln nach Freddy aus“, sagte die Lupine, „ vielleicht hat unser Gartenmaulwurf noch was von dem Zeug“.
„Wer war denn diese Eva?“, fragte der Rittersporn.
„Das war Friedas Vorgängerin“, sagte das Blaukissen, „die hat dafür gesorgt, dass wir nur noch ein Drittel vom Garten für uns haben. Eva wollte nur Rasen.“
„Aber was für einen!“, sagte die Lupine, „als Heinrich Quecke, Giersch und Klee nicht mehr jäten durfte, handelten wir.“
„Mein armer Rittersporn, ich schick dir die Details via Wurzel“, sagte die Kornblume, „besser unterirdisch wegen dem Kind.“
„Klar hab ich von dem Zeug noch was“, sagte Freddy, „perfekt in zweiter Generation degeneriert. Wo soll es denn hin?“
„Auf den Kompost, dann hat Erna es nicht so weit, weil dort der Zierkürbis wächst“, sagte die Lupine.
„Die dicke Erna?“, fragte Freddy, „die hat doch zu schwache Flügel für diese Aktion, wenn die mit ihrem Pummelbody in die Blüten kracht, knicken die ab.“
„Das Risiko müssen wir eingehen“, sagte die Lupine, „keine Bienen! Auf einmal 70.000 Mitwisser? Nicht mit uns!“
„Ihr wisst aber schon, dass Hummeln nach den Gesetzen der Aeorodynamik nicht fliegen können, nich?“, sagte Freddy.
„Hast du nach 1930 jemals nochmal was gelesen?“, fragte der Rittersporn.
„Wie soll ich das denn in den dunklen Gängen?“, fragte Freddy, „was bezahlt ihr, wenn ich eurem Heinrich Blaubart helfe?“
„Er hat damit nichts zu tun!“, sagte das Blaukissen.
„Also, was wächst da für mich rüber?“, drängelte Freddy.
„Du darfst bei uns Gänge graben“, sagte die Kornblume.
„Aber wenn du auf unsere Wurzeln stößt“, sagte die Lupine, „dann schieb sie gefälligst nicht wie ein Bulldozer beiseite, sondern buddele tiefer oder mach die Biege.“
„Was ist ein Pulldosa?“, fragte das Sandglöckchen.
„Du schlägst hier echt einen Kampflupinenton an!“, entrüstete sich Freddy, „wo soll ich denn noch hin? Unter Heinrichs Terrasse is nich, im Gemüsegarten wartet Friedas Todesspaten und ihr zickt wegen ein paar Würzelchen?“
„Von mir aus kannst du bei den genmanipulierten Unkrautflittchen ungehobelt mittendurch, aber wage es nicht bei mir!“, sagte die Lupine.
„Was habt ihr jetzt hier zu suchen?“, fragte der Rittersporn, „schwänzt ihr die Schule?“
„Wieso?“, fragte ein Ameisenkind, „wir spielen hier.“
„Aber nicht auf dieser Seite des Gartens! Holt mal auf der Stelle euren Clan-Chef Ari her!“, forderte der Rittersporn.
„Es tut mir leid“, sagte Ari, dessen Fühler zitterten und Beine einknickten, weil er so schnell gerannt war, „die jungen Dinger wissen nichts. Die gehen seit Monaten nicht mehr in die Schule. Wir sind alle im Ausnahmezustand wegen des Lockdowns.“
„Verstehe“, sagte der Rittersporn, „die Innenstadtameisenvölker drücken in die Gärten, weil sie auf den Straßen nichts zu fressen finden.“
„Wir sind im Krieg mit denen“, sagte Ari, „täglich sterben meine Leute, uns geht der Soldatennachschub und die Nahrung aus.“
„Das passt ja wie die Blume zum Stängel“, sagte das Blaukissen, „wir haben nämlich einen schönen Deal für dich.“
„Siehst du die drei Sonnenblumen gleich neben der Schmucklilie?“, fragte der Rittersporn, „die darf dein Volk vollständig mit Blattläusen kolonisieren.“
„Oh ha“, sagte Ari anerkennend, „das gäb ordentlich Honigtau. Die Rettung in letzter Minute. Und ihr erlaubt es auf allen Dreien?“
„Isch bitte darum, Ari, mon Chéri, isch alte das nischt mehr aus mit diesem Gelb, das muss weg!“, flötete die Schmucklilie.
„Aber ein kleines Problem ist da“, Ari hob und senkte seine Beine ähnlich Kneippscher Wassertretanwender, „wenn wir unsere Kolonien bis hoch zu den Körbchen angelegt haben, fallen die kopfüber.“
„Wunderbar! Kopfüber klingt so gut, Ari, mon ami“, rief die Schmucklilie, „du bist mein grand hèros.“
„Keine Ahnung, was du jetzt genau meinst“, sagte Ari verlegen zur Schmucklilie aufblickend, „aber ich schick dann mal die Arbeiter. Euch allen vielen, vielen Dank!“
„Flitz ja nicht weg, Ari, wir wollen noch was von dir“, sagte das Blaukissen.
„Du bekommst die drei Sonnenblumen nur, wenn sich deine Arbeiter um die Pflanzen auf dem Kompost kümmern. Die dürfen nicht eingehen“, sagte die Lupine.
„Ihr schafft bei Trockenheit genügend Wasser ran und beschützt sie!“
„Auf uns ist Verlass“, beteuerte Ari.
„Wehe, die Schnecken steigen drüber“, sagte die Lupine.
„Ich werde 2000 Krieger dort als Wachen postieren“, sagte Ari, „vor denen haben die Schnecken Respekt.“
„Wenn sie alle blühen, sagst du Erna, sie soll zwischen den Zierkürbissen und den Zucchini kreuz und quer bestäuben. Sie weiß wie“, befahl die Lupine.
„Geht klar“, sagte Ari, „sagt mal, habt ihr nicht schon mal so eine Aktion durchgezogen?“
„Du fragst zu viel, Ari“, drohte das Blaukissen.
„Was, wenn Frieda beim Essen misstrauisch wird?" , sagte die Kornblume.
„Du meinst, falls sie die Bitterstoffe raus schmeckt?“, fragte die Lupine.
„Bei Eva hat das auch geklappt“, sagte das Blaukissen, „und Frieda mag es gern bitter, die isst Chicorée, Radicchio und Endivie, und die bitterste Schokolade.“
„Ich setze darauf, dass sie zu geizig ist, etwas wegzuwerfen“, sagte die Lupine.
„Frieda mit Zucchini umbringen? Ist das nicht gewagt blauäugig?“, fragte der Rittersporn.
„Liebster, erinnerst du es nicht mehr? Ich hab es dir doch haarklein rübergeschickt“, sagte die Kornblume.
„Vielleicht“, sagte der Rittersporn verlegen, „war die unterirdische Verbindung gestört?“
„Ich glaube eher, Frieda hat dir mit dem Blaukorn alles weggeschossen“, sagte die Lupine.
„Aber man darf nie aufgeben“, sagte die Kornblume, „eines Tages, lieber Rittersporn, wirst du wieder der Alte sein. Du musst nur fest daran glauben."
"Hast du jetzt deine esoterischen drei Minuten?", fragte die Lupine, "seit wann spielt denn der Glaube in der Botanik eine Rolle? Und wenn du mir gleich mit Luft und Liebe kommst, kündige ich dir die Freundschaft."
* * *
„Die feindliche Armee vom Busbahnhof hat die Gartengrenze überrannt, wir konnten diese Übermacht nicht zurückschlagen“, sagte Ari mit wackelnden Beinen, „sie haben die Zucchini besetzt und verlangen Lösegeld.“
„Mon dieu“, rief die Schmucklilie, „unser guter Plan droht zu scheitern. Quelle grande Katastroph'.“
„Ärgerlich“, sagte die Lupine, „denn die Zucchini sind praktisch erntereif. Woher wissen
die verfluchten Busbahnhof-Penner das überhaupt?"
"Das waren die Schnecken", sagte Ari mit aufgeregt hin und her schwenkenden Fühlern, "die haben es verraten."
"Hätt ich mir ja denken können", sagte die Lupine, "dieses braune Schleimwürstchengelump, wer die erfunden hat, hat die Abläufe in der Natur missverstanden."
„Was, wenn wir die größte Zucchini diesen Verbrechern überlassen?“, fragte das Blaukissen.
„Eventuell lassen sie dann die anderen frei“, sagte Ari, „aber die sind ausgehungert, die leben ja gewöhnlich auf dem Busbahnhof wie die Maden im Speck.“
„Versuch’s“, sagte die Lupine.
„Reicht denn die übrig gebliebene Zucchinimenge aus, um Frieda ...?“, fragte der Rittersporn.
Alle nickten.
„Aber wie?“, fragte der Rittersporn.
„Cucurbitacin“, sprudelte es aus dem Sandglöckchen, „ist Gift.“
„Die Lütte wird erwachsen“, staunte die Kornblume, „das Wort sprech ja selbst ich nicht fehlerfrei aus.“
„Und dieses Gift ist im Zucchini?“, fragte der Rittersporn.
Alle nickten.
„Und wie kommt es da hinein?“, fragte der Rittersporn.
„Durch Rückkreuzungen“, sagte die Kornblume, "du ziehst Samen aus Samen, Erna macht eine Kreuzbestäubung zwischen dem Zierkürbis und dem Zucchini und schwupps ist das Gift drin."
„Attention“, rief die Schmucklilie, „es wird spannend. Isch sehe Frieda bei der Zucchini.“
„Ich kann nichts sehen“, sagte das Blaukissen, „was macht sie? Erntet sie?“
„Oui! Fantastique! Sogar alle drei“, rief die Schmucklilie begeistert.
* * *
„Ich sag mal in die Runde: das ist gut gelaufen. Die Frieda sind wir los“, sagte das Blaukissen.
„Frieda Kompost“, sagte das Sandglöckchen.
„Wer war nochmal Frieda?“, fragte der Rittersporn und alle Blaublütigen lachten bis sich ihre Stängel bogen.