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Die Nacht im Freien

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07.10.2015
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Die Nacht im Freien

Die Schublade rollte bis zum Anschlag aus. Fulvio schob leere Plastikbecher zur Seite, suchte sich unter ihnen Dosen und Deckel zusammen, schnitt danach Weißbrot und Schinkenscheiben, stand schließlich aufrecht im Raum, dachte nach und tat, als ginge es allein ihn an, was er weiter auswählen mochte.

Er durchschritt die Wohnung auf geraden Strecken und nahm sich überall, was er für die Nacht brauchte.
Im Schlafzimmer beugte er sich nach unten und hob das Kind hoch bis über den Kopf, drehte sich mit ihm und sah es lachen. Er drückte es fest an sich, bevor er es wieder absetzte.

Karina stand mit verschränkten Armen und folgte seinen Wegen mit dem Kopf.

So sah sie ihn sonst nicht. Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste. Dort fühlte er seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig. Die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.

Heute jedoch nicht. Heute war er nicht der verlorene Schatten, dem die Deckung gegen das Tageslicht abhanden gekommen war.
Denn es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa. Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen und war dann am Nachmittag mit ihnen ins Café gekommen. Dort hat sie ihn angeschaut, hat mit ihm gelacht, hat ihm quer über den Tisch den Kragen zurecht gezupft und hat sich verwandelt. Und jetzt packte Fulvio seine Sachen.

Er kniete breit auf dem hellblauen Teppichboden, der aus den Fingern Funken zog, wenn man mit der Hand darüber strich, und legte dort einzelne Kleidungsstücke zur Schau zwischen Isomatte, Schlafsack, Windlicht, Laterne.
Karina fragte, wo er denn hingehe. Was das da wieder solle. Was er denn vorhabe. Er schaute nicht auf, sortierte mit Bedacht und wartete eifrig auf die nächste Frage, um die Frau auf ihr sitzen zu lassen.
Groß, schön, sachlich, streng stand Karina da. Alles ließ Fulvio abprallen. Sie sah ihm zu, wie er Kondome in den Waschbeutel zählte. Er rollte die Matte auf. Karina fragte nicht mehr.

Das Kind stolperte und saß plump zwischen den Shirts. Fulvio beugte sich vor, kippte aus den Knien über, fing sich seitwärts das Kind vom Boden und fiel mit ihm auf den Rücken. Das Kind lag auf seiner Brust, schwer, aber immer noch ganz weich.

„Wir schlafen heute am Wasserfall“, sagte er, als er sich wieder aufgesetzt hatte, und es ärgerte ihn, dass ihm die Worte nicht biegsam und nebensächlich gelangen.

Er griff einen Plüschhasen und ließ ihn mit den Ohren wackeln. Der Hase sprach zum Kind: Es solle ihn streicheln. Er kletterte den Arm des Kindes entlang bis an seinen Hals, schmiegte sich an die Schulter, schnüffelte an den Haaren, freute sich, wie sie dufteten und wie das Kind kicherte. Mit den Ohren und den Pfoten winkte er noch einmal fröhlich, dann sprang er obenauf in den Rucksack als ein Siegel und Pfand, das Fulvio bei sich behalten wollte, wenn er aus dem Haus ging. Dabei war die Gefahr, dass er mit der Frau auch das Kind verlieren sollte, für diesen einen Tag zu weit entfernt, um sich je zu verwirklichen.

Rosa! Fulvio winkt und ruft ihren Namen. Eine Frau schaut auf, wendet sich um und winkt ihm zurück. Sie lächelt vermutlich, quer über den Platz sieht man es nicht genau. Das ist Rosa. Sie gehen aufeinander zu, Kies schabt unter den Füßen. Die Laternen mimen den Mondschein. Zur Begrüßung fassen die zwei sich mit beiden Händen. Rosa lacht, hält Fulvio an den Handgelenken fest und wedelt mit seinen Armen. Dann redet er lange. Sie schaut ihn an, immer nickt sie oder schüttelt den Kopf. Immer hält sie seine Arme an den Handgelenken.
Dann lacht sie wieder, heller und lauter als zuvor, schaut in den Himmel, klatscht in die Hände und winkt ab. Schüttelt wieder den Kopf und sagt einen Satz. Jetzt umarmt sie ihn mit einem Ruck.
Bevor sie bei den Arkaden in die Gasse einbiegt, dreht sie sich einmal um, hält an und hebt die Hand.

Fulvio steht mitten auf dem Platz. Erst bewegt er sich nicht, dann geht er in gleichgroßen Schritten. Aus dem Licht der Laternen in den Schatten und wieder ins Licht. Er geht auf und ab, am Rucksack pendelt die Matte.

 

Hi Anne49,

freut mich, dass du auch hier vorbeischaut hast. Ist ja schon ein paar Tage her, hab's aber nicht vergessen.

ich weiß nicht, wie du das machst, dass ich deine Geschichten immer mehrmals lesen muss. Und ganz langsam, so mit Konzentration.
Bei dieser hier, weil sie kurz ist, finde ich das nicht so schlimm. Im Großen und Ganzen ist es aber sicher eher ungünstig, wenn eine Geschichte erst bei mehrmaligem Lsen verständlich wird.
Ich habe mal noch einen Satz eingefügt, der erste im zweiten Absatz, vielleicht kann man dadurch schon etwas leichter folgen.

Magst du es, wenn dich jemand an den Handgelenken festhält? (Ich nicht.) Und das schreibst du gleich zweimal.
Muss man das denn mögen? Direkt unangenehm fixe ich das nicht, je nachdem, wie. Rose möchte Fulvio nicht so richtig an den Händen nehmen, sie sagt ihm ja offenbar gerade ab, aber sie möchte ihn auch nicht wegschieben. Deswegen macht sie so etwas dazwischen. Und natürlich ist das für beide nicht die kuscheligste Situation.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch,

ich kann nicht lange lesen gerade, daher hatte ich nach deiner Geschichte - weil sie mir rätselhaft schien - nur ein paar wenige Kommentare sowie deine Antworten gelesen und schon dabei gemerkt, dass ich das Ganze irgendwie falsch aufgefasst hatte.

So sah sie ihn sonst nicht. Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste. Dort fühlte er seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig. Die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.
Für mich war das kein 'Paar in Auflösung', sondern ein junger geistig oder seelisch Beeinträchtigter, der vielleicht bei seiner Schwester wohnt, mit deren Kind eine Ebene findet, mit ihr aber nicht. Und der sich mehr Freiheit nehmen möchte. Und mit Rosa, ich hatte mir auch sie mit einer Behinderung gedacht, meint er sie gefunden zu haben. Aber sie mag ihn zwar, jedoch nicht so, nicht in seiner Art, und vielleicht möchte sie gar nicht irgendwo anders als zuhause schlafen.
Jetzt schreibst du aber, dass er doch mit der Mutter seines Kindes lebt, oha - wer zählt denn aber vor den Augen seiner Fast-noch-Partnerin Kondome ins Reisegepäck? Das ist ja oberfies ... Gut, mit Fulvio werde ich dann halt nicht warm, wenn er Familienvater ist. Aber leid tut er mir doch, wie er von einer netten und freundlichen Rosa stehen gelassen wird. Interessant wäre seine Rückkehr 'nach Hause'.

Gern gelesen,

Eva

 

Hi Eva Luise Groh,

das ist ja was:

Für mich war das kein 'Paar in Auflösung', sondern ein junger geistig oder seelisch Beeinträchtigter, der vielleicht bei seiner Schwester wohnt, mit deren Kind eine Ebene findet, mit ihr aber nicht.
Das ist ja gar nicht mal so eine schlechte Idee! Aber es stimmt schon, so war es nicht gemeint. Jetzt weiß ich nur nicht, ob ich es mir leicht machen soll und sagen, dass es immer mal vorkommen kann, dass jemand die Geschichte anders liest. Oder ob ich irgendetwas tun sollte, um die Situation klar zu machen.

"Sein Kind" könnte ich versuchen, aber dann kann man wieder denken, es sei nur seins.
Oder "seine Frau", aber ohne dass ich sagen könnte, warum, gefällt mir das nicht so ganz.
Tja, ich hab eh noch das eine oder andere über die Geschichte nachzudenken, da nehme ich deine Beobachtungen mal einfach mit auf.

Interessant wäre seine Rückkehr 'nach Hause'.
DAs wird kein leichter Gang, so viel ist klar!

herzlichen Dank für's Vorbeischauen und Kommentieren.
Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Wahrscheinlich hätte mir - um das auch ohne Kommentare richtig zu verstehen - ja folgende Ergänzung gereicht:

So sah sie ihn sonst nicht. Nicht mehr. Er sah sonst auf den Boden,
Weil mir dann klar gewesen wäre, dass es Zeiten gegeben hatte, in denen er sich anders, normaler, verhalten hatte. Aber diese falsche Einordnung, die ist ja nur mir passiert, daher braucht es das vielleicht gar nicht.

 

Hallo erdbeerschorsch,

nach erneutem Lesen frage ich mich, was mich bei meinem letzten Beitrag geritten hat, zu schreiben, ich hätte mich beim Lesen so konzentrieren müssen. Entschuldige, das klang ja total negativ.
Vielleicht war ich nur müde? Oder auch geistig beeinträchtigt?

Dann lese ich den neuen Satz:
Er durchschritt die Wohnung auf geraden Strecken ...
Zwangsstörung oder Asperger? :sealed:

Und dann den Beitrag von Eva Luise Groh ...
Wobei mir jetzt nicht klar ist, ob sie da den neuen Satz schon gelesen hatte oder ob du den erst danach geschrieben hast?

Also, ich mag deine nuancierte, eigenwillige Schreibe schon. Jedes einzelne Wort setzt du mit Bedacht, so scheint es mir. Das muss ich jetzt einfach mal loswerden ...

LG, Anne

 

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