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Die Nacht im Freien

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07.10.2015
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Die Nacht im Freien

Die Schublade rollte bis zum Anschlag aus. Fulvio schob leere Plastikbecher zur Seite, suchte sich unter ihnen Dosen und Deckel zusammen, schnitt danach Weißbrot und Schinkenscheiben, stand schließlich aufrecht im Raum, dachte nach und tat, als ginge es allein ihn an, was er weiter auswählen mochte.

Er durchschritt die Wohnung auf geraden Strecken und nahm sich überall, was er für die Nacht brauchte.
Im Schlafzimmer beugte er sich nach unten und hob das Kind hoch bis über den Kopf, drehte sich mit ihm und sah es lachen. Er drückte es fest an sich, bevor er es wieder absetzte.

Karina stand mit verschränkten Armen und folgte seinen Wegen mit dem Kopf.

So sah sie ihn sonst nicht. Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste. Dort fühlte er seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig. Die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.

Heute jedoch nicht. Heute war er nicht der verlorene Schatten, dem die Deckung gegen das Tageslicht abhanden gekommen war.
Denn es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa. Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen und war dann am Nachmittag mit ihnen ins Café gekommen. Dort hat sie ihn angeschaut, hat mit ihm gelacht, hat ihm quer über den Tisch den Kragen zurecht gezupft und hat sich verwandelt. Und jetzt packte Fulvio seine Sachen.

Er kniete breit auf dem hellblauen Teppichboden, der aus den Fingern Funken zog, wenn man mit der Hand darüber strich, und legte dort einzelne Kleidungsstücke zur Schau zwischen Isomatte, Schlafsack, Windlicht, Laterne.
Karina fragte, wo er denn hingehe. Was das da wieder solle. Was er denn vorhabe. Er schaute nicht auf, sortierte mit Bedacht und wartete eifrig auf die nächste Frage, um die Frau auf ihr sitzen zu lassen.
Groß, schön, sachlich, streng stand Karina da. Alles ließ Fulvio abprallen. Sie sah ihm zu, wie er Kondome in den Waschbeutel zählte. Er rollte die Matte auf. Karina fragte nicht mehr.

Das Kind stolperte und saß plump zwischen den Shirts. Fulvio beugte sich vor, kippte aus den Knien über, fing sich seitwärts das Kind vom Boden und fiel mit ihm auf den Rücken. Das Kind lag auf seiner Brust, schwer, aber immer noch ganz weich.

„Wir schlafen heute am Wasserfall“, sagte er, als er sich wieder aufgesetzt hatte, und es ärgerte ihn, dass ihm die Worte nicht biegsam und nebensächlich gelangen.

Er griff einen Plüschhasen und ließ ihn mit den Ohren wackeln. Der Hase sprach zum Kind: Es solle ihn streicheln. Er kletterte den Arm des Kindes entlang bis an seinen Hals, schmiegte sich an die Schulter, schnüffelte an den Haaren, freute sich, wie sie dufteten und wie das Kind kicherte. Mit den Ohren und den Pfoten winkte er noch einmal fröhlich, dann sprang er obenauf in den Rucksack als ein Siegel und Pfand, das Fulvio bei sich behalten wollte, wenn er aus dem Haus ging. Dabei war die Gefahr, dass er mit der Frau auch das Kind verlieren sollte, für diesen einen Tag zu weit entfernt, um sich je zu verwirklichen.

Rosa! Fulvio winkt und ruft ihren Namen. Eine Frau schaut auf, wendet sich um und winkt ihm zurück. Sie lächelt vermutlich, quer über den Platz sieht man es nicht genau. Das ist Rosa. Sie gehen aufeinander zu, Kies schabt unter den Füßen. Die Laternen mimen den Mondschein. Zur Begrüßung fassen die zwei sich mit beiden Händen. Rosa lacht, hält Fulvio an den Handgelenken fest und wedelt mit seinen Armen. Dann redet er lange. Sie schaut ihn an, immer nickt sie oder schüttelt den Kopf. Immer hält sie seine Arme an den Handgelenken.
Dann lacht sie wieder, heller und lauter als zuvor, schaut in den Himmel, klatscht in die Hände und winkt ab. Schüttelt wieder den Kopf und sagt einen Satz. Jetzt umarmt sie ihn mit einem Ruck.
Bevor sie bei den Arkaden in die Gasse einbiegt, dreht sie sich einmal um, hält an und hebt die Hand.

Fulvio steht mitten auf dem Platz. Erst bewegt er sich nicht, dann geht er in gleichgroßen Schritten. Aus dem Licht der Laternen in den Schatten und wieder ins Licht. Er geht auf und ab, am Rucksack pendelt die Matte.

 

Hi Friedel,

er darf, oder richtiger: Ihr dürft, und gerne auch ein viertes Mal, so sich denn ein Anlass ergeben soll.

Überschäumende Freude, die sich selbst ausbremst?
Eine rhetorische Frage sicher, denn ich kann's nicht sagen. Bestimmt ist sie dem Falben wohlgesonnen und empfindet offenbar den Ausdruck von Zuneigung immerhin nicht, wie das sonst manchmal der Fall ist, als eine Unverschämtheit. Was weiter in ihr vorgeht, kann man nicht wissen.

Trotz des ...Sacks
Oh, stimmt, das ist eine kleine Hürde. Umhalst sie ihn also nur. Das schreibe ich aber so nicht ;)

Bis bald
Sehr gern!

Besten Gruß
erdbeerschorsch


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Hi Geschichtenwerker,

ich danke herzlich für das doppelte Kompliment, auch wenn das zweite zweischneidig ist, aber ich nehme es gerne so an, und versuche zugleich die enthaltene Warnung zu beherzigen, um nicht überzukippen.

Schön auch, dass du einen Brocken herausgesucht hast, an dem ich auch schon lange herumgestoßen habe. Ich freue mich sogar über das "Herumpfuschen" (dass ich nur als Zitat so nenne), wenngleich ich das konkrete Angebot erst mal noch ausschlage. Jetzt steht es aber da, zumindest im Kommentar, und man hat den Vergleich vor Augen. Das ist gut, und daraus erntwickelt sich ja vielleicht noch was.
Ich widerspreche dir jedenfalls gar nicht darin, dass der Subjektwechsel ein Stolperstein sein kann. "Kleben" usw. möchte ich trotzdem nicht so gerne an das Gefühl binden, weil mir das umständlich vorkommt, wahrscheinlich wegen der Partizip-Konstruktion.
Das Subjekt beibehalten ist jedenfalls ein guter Tipp, in die Richtung kann ich weiter forschen.
Das einfachste wäre ja die Wiederholung des Verbs: "fühlte den Hals ..., fühlte die Arme ... kleben", aber das ist dann halt immer noch umständlich, denn wenn sie kleben, ist es ja eigentlich schon klar, dass er das fühlt.
Möglich wäre auch, den Stolperstein zu markieren, so dass man ihn rechtzeitig sieht und übersteigen kann, ohne aus dem Tritt zu kommen, etwa "und wie die Arme am Polster klebten" - aber das ist auch irgendwie nicht das Gelbe vom Ei ...
Tja, hm, da hast du dir eine hübsche Grübelaufgabe für mich ausgesucht.

Mir sind gerade in den letzten Tagen einige deiner schönen Kommentare aufgefallen und ich freue mich, dass ich jetzt auch eine abbekommen habe :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erzbischof erdbeerschorsch, :)

ich habe die Kommentare nicht gelesen und steige mal sofort ein.

Im Wohnzimmer beugte er sich nach unten
Er hat das vorherige Zimmer also verlassen.
Da frage ich mich, vor er denn vorher war und reime mir zusammen: Küche. Das bringt mich etwas aus dem Lesefluss.

Im Wohnzimmer beugte er sich nach unten und nahm das Kind hoch, hob es über den Kopf, drehte sich mit ihm und sah es lachen. Er drückte es fest an sich, bevor er es wieder absetzte.
Ich weiß nicht. Ich mache so etwas auch oft, aber hier klingt es sehr gefühlskalt, so abwesend, freudlos.
Mal abwarten, ob das so gewollt ist.

presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa,
Auch hier stoppt mich mein Gedanke wieder beim Lesen, weil ich überlege, welche Ecken denn gemeint sind. Wandecken? Saß er auf dem Boden?

und fühlte dort seinen Hals zu lang, die Gliedmaßen dünn und eckig, die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht.
„Er fühlte seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig“: Was genau hat er gemacht?
Mein erster Gedanke war „Er fühlte seinen Hals“, also er ging mit den Händen über seinen Hals.
Aber in Wahrheit dachte er ja, sein Hals sei zu lang usw. und fühlte nicht daran.
Wofür ist das überhaupt wichtig?

Heute war er nicht das Gespenst, dem das Vermögen abhanden gekommen war,
Sorry, wenn ich schon wieder pingelig bin (vielleicht habe ich heute Morgen auch nur zu viel Koffein intus).
Aber ich denke, du benutzt viele doppeldeutige Wörter und ich will beim Umsetzen der Wörter in eine Geschichte immer die erste Bedeutung verwenden, die meinem Kopf einfällt. Hier „Vermögen“.
„Vermögen abhandengekommen“: Ah, er hat Schulden.
Aber es ist ja „Fähigkeit“ gemeint. Ich persönlich hätte Fähigkeit geschrieben.

Denn es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa.
Ich versuche immer Worte wie „denn“, „obwohl“, „weil/da“ zumindest am Satzanfang zu vermeiden. Hier wäre der Satz m.E. nach viel stärker wenn er nur heißen würde: „Es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa.“

Denn es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa. Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen, war auch danach mit ihnen ins Café gekommen. Dort hat sie ihn angeschaut, hat mit ihm gelacht, hat ihm quer über den Tisch den Kragen zurecht gezupft und hat sich verwandelt.
Zunächst dachte ich, Rosa wäre das Kind, das er auf dem Arm hatte.
Ich versuche mal zu konstruieren:
„Sie“, also Rosa war mit Fulvio und den anderen (also ohne Karina) unterwegs und dann auch ins Café gekommen. „Auch“ sagt mir, dass sie sich zu Karina ins Café gesellt haben. Richtig?

Er kniete breit auf dem hellblauen Teppichboden, der aus den Fingern Funken zog, wenn man mit der Hand darüber strich, und legte dort einzelne Kleidungsstücke zur Schau zwischen Isomatte, Schlafsack, Windlicht, Laterne.
Dieses Detail mit den Funken beim Drüberstreichen brauchst du hier nicht unbedingt.
Ich denke, man sollte nur Details verwenden, wenn die noch wichtig für die Story sind.

Er schaute nicht auf, sortierte mit Bedacht und wartete eifrig auf die nächste Frage, um die Frau auf ihr sitzen zu lassen.
Hier wieder so eine Formulierung, die mich persönlich stört: „Die Frau auf ihr sitzen lassen“.

Groß, schön, sachlich, streng stand Karina da.
Sachlich und streng beißen sich.

und es ärgerte ihn, dass ihm die Worte nicht biegsam und nebensächlich gelangen.
Das finde ich irgendwie abgefahren. Der Stil gefällt mir.

Die Laternen mimen den Mondschein.
Warum nicht einfach „widerspiegeln“?

Die Szene, ab wo Fulvio winkt usw. kommt mir so fern vor. Sie ist geschrieben wie aus den Augen eines weit entfernten Beobachters. Das gefällt mir.

Ja, gefällt mir im Ganzen. Bis auf die in meinen Ohren teilweise schräg klingenden Formulierungen, wo ich leider stoppen und neu ansetzen musste, finde ich das gut.

Schönen Tag und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo erdbeerschorsch,

es freut mich, dass Du Dich über meinen Kommentar gefreut hast und das führt sicherlich dazu, dass ich bei Deiner nächsten Geschichte wieder vorbeischaue.

Eine bessere Idee für den besprochenen Stolperstein habe ich momentan auch nicht, aber manchmal fällt mir auf dem Arbeitsweg etwas ein, dann lasse ich es Dich natürlich wissen.

Übrigens finde ich Deinen Anfangssatz entgegen anderer Kommentatoren nicht irritierend, weil ich bei "ausrollen" an ein Fahrzeug denke, welches ausrollt, und ich dementsprechend genau dieses Bild auf die Schublade übertrage, was dann für mich sehr stimmig wird.

Auch stolpere ich bis auf die angesprochene Stelle nicht beim Lesen, wie es GoMusic bemängelt (wobei der Kommentar von GoMusic sehr spannend ist, weil er einerseits gute Punkte anspricht, andererseits aber - so empfinde ich es zumindest - bei einigen Vorschlägen Deinen aus meiner Sicht von Dir gewollten Sprachrhythmus oder Fluss außer Acht lässt).

Ich schreibe Dir das, weil mich selbst interessiert inwieweit Probleme, die Kommentatoren ansprechen, allgemeingültig oder eher individuell sind.

Bester Gruß

Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi GoMusic,

freut mich, dass du hierher gefunden hast! Da habe ich dich ja wirklich einige Male aus dem Tritt gebracht, zu häufig, gemessen an der Kürze der Geschichte. Wie schön, dass sie dir trotzdem insgesamt noch gefallen hat.

Ich weiß nicht. Ich mache so etwas auch oft, aber hier klingt es sehr gefühlskalt, so abwesend, freudlos.
Mal abwarten, ob das so gewollt ist.
Gefühlskalt nicht, aber abwesend schon. Der ist weitgehend mit den Gedanken woanders. Ja, hm, aber gefühlskalt sollte es nicht klingen.

„Er fühlte seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig“: Was genau hat er gemacht?
Mein erster Gedanke war „Er fühlte seinen Hals“, also er ging mit den Händen über seinen Hals.
Aber in Wahrheit dachte er ja, sein Hals sei zu lang usw. und fühlte nicht daran.
Ja, das kann ich schon nachvollziehen, aber etwas besseres fällt mir noch nicht ein. Gegen "dachte" könnte man einwenden: Er denkt ja nicht objektiv, dass sein Hals zu lang sei, es fühlt sich eben nur so an. "Empfand ... als"? Wäre vielleicht besser, aber das gefällt mir da irgendwie nicht so (der Satz wird dann so ausgebreitet). "Fand"? Könnte gehen ... Ja, mal überlegen.

Ich persönlich hätte Fähigkeit geschrieben.
"Vermögen" gefällt mir von Rhythmus und Klang her besser als eine "...keit", aber soll auch nicht wie zu viel Make-up aussehen, also wird das gleich geändert. Ich kann ja wieder zurücktauschen, wenn's mir dann doch nicht gefällt :)

Hier wäre der Satz m.E. nach viel stärker wenn er nur heißen würde: „Es war etwas geschehen zwischen ihm und Rosa.“
Hab ich auch überlegt, aber dann erschien es mir zu wichtig, dass das Geschehnis, das ja noch nicht genannt ist, als Grund für das vorangehende erkannt werde. Ich lass es erst mal so, bleibt aber als Änderungswunsch vorgemerkt.

Zunächst dachte ich, Rosa wäre das Kind, das er auf dem Arm hatte.
Guter Hinweis, kann ein Problem sein, auch wenn bisher an dieser Stelle noch keine Klagen kamen. Ich könnte dem Kind einen Namen geben, dann wäre das gelöst, aber es wären dafür für meinen Geschmack zu viele Namen ...

Ich versuche mal zu konstruieren:
„Sie“, also Rosa war mit Fulvio und den anderen (also ohne Karina) unterwegs und dann auch ins Café gekommen. „Auch“ sagt mir, dass sie sich zu Karina ins Café gesellt haben. Richtig?
Nee, nicht ganz, ich hatte eher so gedacht: Die ist auch sonst manchmal mit den anderen unterwegs, aber geht nicht immer mit ins Café. Ich probiere vielleicht mal, das "Auch" rauszunehmen.

Dieses Detail mit den Funken beim Drüberstreichen brauchst du hier nicht unbedingt.
Ich denke, man sollte nur Details verwenden, wenn die noch wichtig für die Story sind.
Es ist schon wichtig für mein Bild von der Wohnung: Die haben einen Polyesterteppich, und wahrscheinlich einen ziemlich billigen, keinen handgeknüpften Perser. Ich könnte auch "Polyesterteppich" schreiben, aber das passt mir da nicht.
Ob das für die Geschichte wichtig ist, könnte ich gar nicht mal sicher sagen, aber zumindest soll es kein willkürlicher Schnörkel sein. Ich lass es mal bis auf weiteres drin.

Die Laternen mimen den Mondschein.
Warum nicht einfach „widerspiegeln“?
Ganz klar: weil ich es mir für alle Zeiten mit Friedrichard verscherzen würde, wenn ich das rausnähme. Das Opfer bringe ich nicht ;)

Auch deine anderen Punkte habe ich natürlich gesehen und bedenke sie. Ich lerne etwas aus allen Vorschlägen, auch dann, wenn ich sie nicht umsetzen sollte.
Herzlichen Dank also dafür, dass du mich aus der bequemen Vorstellung aufgerüttelt hast, es seien nun im Wesentlichen alle ungewollten Unebenheiten geglättet!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

P.S.: Ich habe jetzt den Satz mit den Gliedmaßen und dem langen Hals doch versuchsweise verändert. Noch nicht in deinem Sinne zwar, eher um die Problematik anzugehen, die Geschichtenwerker angesprochen hat. Aber manchmal folgt ja auf den ersten Schritt unverhofft ein zweiter, manches klärt sich beim Basteln.

 

Hallo erdbeerschorsch,

die aktuelle Variante des Satzes bzw. der Sätze gefällt mir nicht sonderlich, weil es jetzt so gewöhnlich ist und stockt und nicht mehr frohlockt, sondern sich sperrt und beim Lesen an einem zerrt, um mal bei den Wortspielereien zu bleiben.

Aber das hängt einfach von Deiner Zielsetzung ab, willst Du den Leser an dieser Stelle ruhig im Wasser gleiten lassen oder ihn ordentlich schütteln.

Für alle Mitleser noch einmal die alte Variante:

Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste und fühlte dort seinen Hals zu lang, die Gliedmaßen dünn und eckig, die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.

und die neue Variante:

Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste. Dort fühlte er seinen Hals zu lang und die Gliedmaßen dünn und eckig. Die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.

und natürlich - Ego sei Dank - noch mein bescheidener Vorschlag:

Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste und fühlte dort seinen Hals zu lang, die Gliedmaßen dünn und eckig, die Arme am Polster klebend und zu hoch oder zu tief liegend oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.

Tja, frag zwei Kommentatoren und Du bekommst fünf Meinungen!

Jetzt muss ich aber wieder an die Arbeit.

Viel Spaß noch beim Nachgrübeln.

Bester Gruß
Geschichtenwerker

 

Ach ich armer Mohr, da steh ich nun, habe doch so viel zu tun und bin es leider leid, auf dieser schönen Seit, angezickt zu werden, wegen meiner Adverbien, verstößt dies Verhalten auch noch gegen meine Prinzipien, es sind nämlich Partizipien.

Und was lerne ich daraus? Für heut - und vielleicht auch länger-, bin ich raus.

Gruß
Geschichtenwerker

 
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Hola Geschichtenwerker,
ich bitte Dich - ruhig Blut ist erste Bürgerpflicht! Im Forum ganz besonders.

Wir zwei hatten uns auch mal gekabbelt, aber flugs, durch meine PN, auch wieder vertragen.
Nimm doch den goldenen Mittelweg: Du bist raus, aber nur bis morgen. Vale?

In guter Hoffnung, dass Du uns erhalten bleibst
José

Außerdem ist das mein 888. Beitrag - Schnapszahl also.
Stellt sich die Frage, wer einen ausgeben muss - Du oder ich?

 

Hi zusammen,

ich muss gestehen, dass ich mich, was den Inhalt betrifft, über alle obenstehenden Beiträge nur freuen kann. Ich finde es natürlich sehr schön, wenn Geschichtenwerker sich mit Einzelheiten so nachdrücklich befasst, und kann für die Vorschläge nur danken. Es kann mir nichts Besseres passieren, als verschiedenen Versionen nebeneinander sehen zu können, vor allem wenn sie dann noch wirklich direkt nebeneinander in einen Post kopiert sind. Dann kann man unmittelbar vergleichen und es auf sich wirken lassen.

Gleichzeitig komme ich wiederum auch nicht umhin, mich darüber freuen, wenn dieser Vergleich bei Bea Milana so ausfällt, dass ich das als ein Lob aufassen kann; und wenn ihr meine Sätze wichtig genug sind, dass sie sich die Mühe macht, mir beizuspringen :shy:

Obendrein finde ich es sowieso spannend, sich über Feinheiten zu streiten auseinanderzusetzen, ganz wie es Geschichtenwerker gesagt hat: inwiefern es sich um individuelle Vorlieben oder (mehr oder weniger) allgemeingültige Urteile handelt (bzw. was beides überhaupt unterscheidet).

Der geänderte Satz, den ich jetzt in mehrere unterteilt habe, bleibt mal erst so, auch wenn es etwas geschmerzt hat ihn aufzubrechen und ich mit der neuen Version nicht unbedingt zufriedener bin als mit der
alten. Aber die neue Version erlaubt einen neuen Blick, und vielleicht entsteht da irgendetwas draus. Kann aber auch sein, ich tausche in ein paar Tagen einfach wieder zurück. :cool:

Schlussendlich erhebe ich das Glas und stoße auf josefelipes Zahlenjubiläum an, das die Debatte als Nebenprodukt abgeworfen hat. Denn ich fürchte, als lokaler Gastgeber hier in diesem Thread - muss ich einen ausgeben ...
:anstoss:

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
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Hi allein,

Ganz klar: weil ich es mir für alle Zeiten mit Friedrichard verscherzen würde, wenn ich das rausnähme. Das Opfer bringe ich nicht
Das will ich aber auch meinen, denn mein dritter Vorname ist Ernst - und das bis zum geht nicht mehr!

"welcher freund den andern vermag, der steckt jn in sack"
Luther, zitiert nach dem grimmschen Wörterbuch​

Heute war er nicht das Gespenst, dem die Fähigkeit abhanden gekommen war, sich unsichtbar zu machen.

"fähigkeit, f. nicht capacitas nach fähig 1. 2, sondern facultas: das thier hat nicht die fähigkeit zu sprechen; leser von der eingeschränktesten fähigkeit; fähigkeit zu allem guten; wir aber nehmen uns die freiheit zu behaupten, eine jede dieser kleinen erhöhungen sei von der natur mit fähigkeit begabt eine schale zu bilden. Göthe 55, 328, heißt es knapp bei den Grimms (grimmsches (Deutsches) Wörterbuch Bd. 3, Sp. 1239 )

Hallo erdbeerschorsch,
grüß Dich, GoMusic,

"vermögen, verb. zu stande bringen, kraft haben zu etwas, mhd. vermügen, mnd. vormogen, ahd. farmagan" beginnen dagegen die Brüder Grimm im Deutschen Wörterbuch (wörterbuch.de) die ein Dutzend Seiten Ausführungen und Belege übers Verb und dessen Substantivierung (es regierte noch die Kleinschreibung bis in die Duden-Ära hinein), deren Mutter das Verb "mögen" ist. selbst der Herkunftsduden (Bd. 7) folgt noch den Ausführungen der Brüder Grimm, Begründer der Germanistik überhaupt.

Das Wort hat eine abenteuerliche Geschichte und taucht in der heutigen Bedeutung des "gern haben" bereits im mhd. auf - Schock, lass nach! - in negativen Sätzen wie "ich mag/kann [mhd. mac] das nicht", womit sich die Bedeutung ausweitet zu "möglich" (= denkbar, ausführbar, erreichbar etc.) und eben der Präfixbildung "vermögen", intrans. vermögen, Macht haben, besitzen, trans. als "Macht haben über etwas" (und sei's sich selbst), nebst seiner Substantivierung zum Vermögen als Fähigkeit, Kraft (Duden Bd. 7 erweitert dort zur "Zeugungskraft"!) und der verdinglichten Seite der "Mittel, Geld und Gut" (Duden), womit in der aufkommenden bürgerlichen Welt das Adjektiv "vermögend" Wohlstand und Reichtum kennzeichnen.

Nunja, da lassen sich die Grimm bros. sehr knapp zum Wort "Fähigkeit" aus (s. o.), dass der Herkunftsduden hauptsächlich herhalten muss, der Spur der "Fähigkeit" zu folgen:
Im frühnhd. (ab 15. Jh) taucht für die "Fassungskraft" und den "Inhalt" das Substantiv "fehikeit" auf, abgeleitet aus dem älteren "gevæhic" i. S. eines "imstande, etwas zu empfangen/aufzunehmen" und wird tatsächlich wie man bei der fehikeit vermuten darf, für Gefäße verwendet und hat heute noch in diversen Zusammensetzung einen "rechtlichen" Hintergrund, wobei das Adjektiv zum Suffix verkommt (der Duden nennt z. B. trag-, geh-, lebensfähig)wie in der Geschäftsfähigkeit.

Dem Rechtschreibduden ist es heute die "geistige, praktische Anlage, die zu etwas befähigt; Wissen, Können, Tüchtigkeit" und fachsprachlich eine "durch bestimmte Anlagen, Eigenschaften geschaffene Möglichkeit, gewisse Funktionen zu erfüllen, gewissen Anforderungen zu genügen, etwas zu leisten" und das ehrwürdige "Vermögen" gilt dem Artikel "Fähigkeit" als "gehoben" (ebd.)

Da wüsste ich gerne, was das Attribut bei Funktionen und Anforderungen bedeute ...

Wie dem auch sei,

Euch allen ein schönes Wochenende

Friedel

 

Hallo erdbeerschorsch,

zunächst mal ein paar Anmerkungen zu einzelnen Textstellen:

saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste
Ist damit gemeint, dass er sich nicht in Luft auflösen kann, aber auch nicht im Weg sein will?
Die Formulierung ist interessant - sie stört mich nicht wirklich, macht mich aber nachdenklich. Wenn meine Theorie stimmt, ist das ein ganz armer Tropf, den du da beschreibst...

Heute war er nicht das Gespenst, dem die Fähigkeit abhanden gekommen war, sich unsichtbar zu machen.
Hier, finde ich, passen Wortwahl und Aussage nicht richtig zusammen: das Gefühl, welches du da beschreibst, hat mit ernstzunehmenden psychischen Problemen zu tun. Aber so verpackt nimmt man es fast schon auf die leichte Schulter. "dem die Fähigkeit abhanden gekommen war" klingt ziemlich frei Schnauze und dadurch verpasse ich einfach die Message in dem Satz.

Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen und war am Nachmittag mit ihnen ins Café gekommen.
Zweimal war in einem Satz. Könnte man vermeiden:
Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen, am Nachmittag ging/ kam sie mit ihnen ins Café.

Insgesamt hat mir die Geschichte in ihrer Erzählform gut gefallen. Du verwendest einen Erzählstil, den ich teilweise als ein wenig entrückt bezeichnen würde, da er oft unspezifisch ist und nicht unbedingt konventionell. Das soll aber keineswegs negativ gemeint sein, denn so passt es sehr gut zum Inhalt.

Was mir in der Geschichte ein wenig gefehlt hat, ist der Fokus: Du beschreibst zunächst den Hauptcharakter Fulvio, so wie Karina ihn sieht und dann beschreibst du den Umgang mit dem Kind.
Am Ende trifft er sich dann plötzlich mit seiner Freundin und das Kind und Karina sind überhaupt nicht mehr relevant. Da frage ich mich, warum du dir die Mühe gemacht hast, Karina und das Kind dem Leser so ausführlich vorzustellen. Oder, wenn die Freundin am Ende so eine Enttäuschung für Fulvio bereithält und somit sehr relevant ist, sie dem Leser eigentlich gar nicht vorzustellen.

Vielleicht hast du ja eine gute Erklärung, ich würde mich freuen, sie zu hören!

Liebe Grüße,

Jana

 
Zuletzt bearbeitet:

beierdbeerschorsch heißt's
Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen und war am Nachmittag mit ihnen ins Café gekommen.
Dazu merktstu an Jana Retlow
Zweimal war in einem Satz. Könnte man vermeiden:
Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs gewesen, am Nachmittag ging/ kam sie mit ihnen ins Café.
Guck an,

liebe Jana Retlow,

geht doch nahezu ohne Schulgrammatik ... Aber "war" ließe sich auch durch ein schlichtes aufzählendes Konstrukt reduzieren, etwa so

"Sie war mit ihm und mit den anderen unterwegs und am Nachmittag mit ihnen ins Café gekommen."

Tschüss, gut Nacht und schönes Wochenende euch beiden vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jana Retlow, mit herzlichem Dank zum Gegenbesuch, und hi lieber Friedel,

ich habe in dem Satz jetzt tatsächlich etwas geändert aber frecherweise nicht in eurem Sinn :shy: Die Wiederholung stört mich im Moment gar nicht, aber der Takt hat mir nicht gefallen. Da hab ich also ein "dann" eingefügt. Das kann man sicher auch als Verschlechterung empfinden, schließlich sind Füllwörter immer kritisch. Mal kucken, ob es so bleibt. Jedenfalls ist mir die Abfolge wichtig: erst unterwegs, dann ins Café, sie sind also den Tag über länger beieinander. Weiß nicht, ob das so ankommt, auch nicht, ob das wirklich wichtig ist. Jetzt hab ich's halt mal so probiert.

"dem die Fähigkeit abhanden gekommen war" klingt ziemlich frei Schnauze und dadurch verpasse ich einfach die Message in dem Satz.
Früher stand da "Vermögen", kommt vielleicht auch wieder hin, schon weil es von den beiden Wörtern sicher das entrücktere ist. Ob diese Wortwahl speziell aber mit deiner Irritation in Zusammenhang steht oder sie gar löst, kann ich gar nicht abschätzen ...

Da frage ich mich, warum du dir die Mühe gemacht hast, Karina und das Kind dem Leser so ausführlich vorzustellen. Oder, wenn die Freundin am Ende so eine Enttäuschung für Fulvio bereithält und somit sehr relevant ist, sie dem Leser eigentlich gar nicht vorzustellen.
Da hab ich eigentlich nur eine faule Antwort: Mir ist die Idee eben so vor Augen gestanden, dass ich gerne den Abschied von zu Hause zeigen und den guten Fulvio dann verloren auf dem Platz zurücklassen wollte. Du bist nicht die Einzige, die gerne mehr über Rosa erfahren hätte. Ich finde, das genügt so, mich interessiert gar nicht weiter, was Rosa für eine Geschichte hat. Auf der andere Seite kann ich nicht garantieren, dass ich das immer noch genauso sehen würde, wenn die Geschichte nicht von mir wäre und ich also keinen so privilegierten Zugang zu den Vorstellungen des Autors hätte :) Tja, was soll ich sagen: Vielleicht gibt es da eine Lücke, aber ich sehe sie bisher nicht selbst. Vielleicht fallen mir die Schuppen ja noch von den Augen. Vorher kann ich da wohl nicht nachbessern.

Vielen Dank euch beiden für's (erneute) Hereinschnuppern!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch ,

Rosa! Fulvio winkt und ruft ihren Namen.
Sollte es nicht heißen: "Rosa!" Fulvio winkt...

Das Bild am Anfang war schön und hat Interesse geweckt. Leider habe ich die Handlung nicht verstanden :( . Der Erzähler ist distanziert. Ich fand, das passt irgendwie zur Story.

Ich hoffe, meine konfusen Gedanken konnten dir helfen.
LG,
alexei

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo erdbeerschorsch,

selten ist mir eine KG begegnet, in der mehr Informationen zwischen den Zeilen versteckt waren als in dieser hier.
Die Fantasie, die Kombinationsgabe des Lesers ist gefordert. Und was soll ich sagen: Es funktioniert, also bei mir hat es gut funktioniert.
Aber ich möchte dir meine Leseeindrücke gerne in chronologischer Reihenfolge schildern.

Beim ersten Lesen, und das ist schon einige Zeit her, bin ich öfters gestolpert, musste immer wieder zurückkehren, um schon Gelesenes zu wiederholen, als würde mir das Begreifen vom Autor bewusst schwer gemacht. Also bin ich im Zickzackkurs durch deinen Text, der im ersten Anlauf die Geschmeidigkeit deiner anderen mir bekannten Texte vermissen ließ.

Allerdings bildete ich mir ein, deine Intention, deine Grundaussage gut verstanden zu haben:
Das Paar weiß, die Beziehung ist zerbrochen, man hat sich nichts mehr zu sagen, es fehlt aber auch der Mut, den letzten entscheidenden Schritt zu tun.
Da begegnet Fulvio der lebenslustigen Rosa, ihre offene Art, ein paar tiefe Blicke, ein feucht-fröhlicher Abend. Fulvio deutet die Signale falsch. Ich denke, weil er auf der Suche nach einem Weg aus der gescheiterten Ehe ist (bewusst oder unbewusst) ergreift er diesen Strohhalm. Er will sich in eine neue Beziehung stürzen, um der alten zu entkommen. Er braucht Rosa zur Lösung seines Konfliktes, weil er in Feigheit und Erstarrung gefangen ist.

Dass seine Pläne so nicht aufgehen, trifft ihn weniger hart als man annehmen sollte. So hat er
nämlich Gelegenheit sich im Freien und somit auch in Freiheit über sein weiteres Leben Gedanken zu machen. Er muss Rosa also dankbar sein.

Beim zweiten Lesen bin ich nicht hängengeblieben, mir kam es so vor, als wäre der Text von seiner Sperrigkeit befreit. Obwohl, die Veränderungen erscheinen mir nur minimal. Das Durchflutschen könnte auch an meiner Vertrautheit mit dem Text liegen.

Es gefällt mir gut, dass du stets auf der Suche nach „exotischen“ Formulieren bist, dass du Konventionelles ersetzen möchtest. Auch wenn manche Konstruktionen „unrichtig“ wirken könnten, so sind sie es, die deine Texte so besonders machen.

Die Arme klebten am Polster und lagen zu hoch oder zu tief oder zu leicht. Erst wenn Karina mit dem Kind schlafen ging, aß er zu Abend.
Natürlich weiß ich auch nicht, wie das "leichte Liegen" konkret aussehen sollte, aber ich bekomme dadurch eine Bestätigung meiner Info: Fulvio fühlt sich daheim nicht wohl.

"Wir schlafen heute am Wasserfall“, sagte er, als er sich wieder aufgesetzt hatte, und es ärgerte ihn, dass ihm die Worte nicht biegsam und nebensächlich gelangen.
Sehr schöne Stelle!

Jetzt reite ich auch noch mal auf dieser Textstelle herum, aber ich nehme an, dass du doch etwas anderes aussagen wolltest, und barnhelm das erkannt hat.

Heute jedoch nicht. Heute war er nicht das Gespenst, dem die Fähigkeit abhanden gekommen war, sich unsichtbar zu machen.
Der bisherige Text vermittelt mir: Fulvio ist ein Schatten seiner selbst geworden, also ein Gespenst, das die Fähigkeit besitzt, sich unsichtbar zu machen. Auf diese Weise geht Fulvio Konfrontationen aus dem Weg.
Der markierte Satz drückt aber aus: Das Gespenst Fulvio kann sich nicht unsichtbar machen (=sichtbar). Heute ist es allerdings anders. = Fulvio ist heute unsichtbar.
Willst du nicht sagen: Heute war er nicht das Gespenst, das die Fähigkeit besaß, sich unsichtbar zu machen. Er will in seiner Entscheidungsfreude doch gesehen werden.
Oder steht da jemand auf meiner Leitung? Das erinnert mich an positive und negative Vorzeichen in der Mathematik, irgendwie heben sich die Aussagen des Satzes auf.

Sei es drum, ich hab deine gestraffte Geschichte, die so gänzlich ohne Dialoge auskommt, nicht zuletzt deshalb, weil ihre Bilder eine klare Sprache sprechen, gerne gelesen.

Liebe Grüße,
peregrina

 

Liebe peregrina,

vielen Dank für deinen schönen Kommentar!

Beim zweiten Lesen bin ich nicht hängengeblieben, mir kam es so vor, als wäre der Text von seiner Sperrigkeit befreit. Obwohl, die Veränderungen erscheinen mir nur minimal. Das Durchflutschen könnte auch an meiner Vertrautheit mit dem Text liegen.
Das kann gut sein. Ich möchte aber doch lieber glauben, dass es an den minimalen Veränderungen gelegen hat. :schiel:

Der bisherige Text vermittelt mir: Fulvio ist ein Schatten seiner selbst geworden, also ein Gespenst, das die Fähigkeit besitzt, sich unsichtbar zu machen.
Teils, teils. Ich habe es ein kleines bisschen anders gemeint. Trotzdem hat mich deine Kritik überzeugt, so dass ich den Schatten gleich gekapert habe und jetzt etwas mit dem "Schatten" statt dem "Gespenst" probiert habe.
Gedacht war: Ein Gespenst kann sich normalerweise unsichtbar machen, Fulvio kann das nicht, hat aber das Bedürfnis das zu tun. So als wäre das die Eigenschaft, die er seinem ganzen Empfinden nach quasi natürlicherweise haben müsste.

Heute ist es allerdings anders. = Fulvio ist heute unsichtbar.
Genau, so könnte man die Verneinung lesen, und du hast recht: So ist es nicht gemeint.

Willst du nicht sagen: Heute war er nicht das Gespenst, das die Fähigkeit besaß, sich unsichtbar zu machen. Er will in seiner Entscheidungsfreude doch gesehen werden.
Das ist schon auch richtig. Gemeint war aber eben: Er ist heute gar kein Gespenst, weder mit noch ohne Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Weil der ganze Satz verneint worden ist, ist es halt unklar, wodurch der Satz "er war das Gespenst, das die Fähigkeit verloren hatte usw." falsch wird. Weil er kein Gespenst ist? Oder weil er sich nur nicht unsichtbar machen kann? Oder aus beiden Gründen.
Dass man das als Unklarheit empfindet, erscheint mir nachvollziehbar. Deswegen habe ich es jetzt eben auch anders probiert:
"Heute war er nicht der verlorene Schatten, dem die Deckung gegen das Tageslicht abhanden gekommen war."
Das geht vermutlich immer noch klarer, könnte so aber schon besser sein. Immer noch kann man sich zwar streng genommen fragen, ob er denn dann gar kein Schatten oder ein Schatten mit Deckung ist. Wie dem auch sei, es dürfte - hoffentlich - unmittelbarer deutlich sein, dass dem guten Fulvio heute nichts fehlt.

Herzlichen Dank für's Lesen und Herumreiten!
Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch

Ist eine seltsame Geschichte.

Die Schublade rollte bis zum Anschlag aus. Fulvio schob leere Plastikbecher zur Seite, suchte sich unter ihnen Dosen und Deckel zusammen, schnitt danach Weißbrot und Schinkenscheiben, stand schließlich aufrecht im Raum, dachte nach und tat, als ginge es allein ihn an, was er weiter auswählen mochte.

Zuerst musste ich mehrmals überlegen, was da gemeint ist und wie ich mir das vorstellen muss. Es wäre hilfreich, wenn du sagen würdest, dass die Geschichte in einer Küche beginnt. Vielleicht willst du das aber nicht, weil du denkst, es sei besser, wenn der Leser solche Einzelheiten selber herausfindet. Dann wäre freilich folgendes zu bedenken: Wenn ich Fakten herausfinden muss, die erstens gewöhnlich und zweitens notwendig sind, damit man sich überhaupt etwas vorstellen kann, dann denke ich bei der Lösung des Rätsels nicht: Mein Gott, ist das raffiniert! Eher denke ich dann: Hey, was soll die Ziererei. Sag doch einfach, wo die Geschichte beginnt.

Einiges habe ich also verstanden. Anderes blieb mir unklar. Ich glaube, das liegt daran, dass du maximal viel willst, aber lieber nur minimal erzählen würdest. Das passt meistens wie kleine Schuhe an großen Füßen. Ich denke: Wird der Stil reduziert, müssen auch die Gedanken reduziert sein.
Einerlei, darauf will ich nicht weiter eingehen. Doch bevor ich erkläre, warum mir deine Geschichte sonderbar vorkommt, möchte ich noch auf eine besondere Form der Reduktion hinweisen, die Geschichten manchmal blass erscheinen lässt.

Karina stand mit verschränkten Armen und folgte seinen Wegen mit dem Kopf.

Zusammenfassende Begriffe sind auch eine Form der Reduktion. Langes Handeln an verschiedenen Orten kann damit in ein kurzes Wort gefasst werden. Erzählen erfordert aber nicht selten konkretes, unmittelbares Aufzählen: Karina steht in der Küche, verschränkt die Arme und schaut ihm zu. Er geht hin und her, geht durch die Wohnung, geht von der Küche ins Schlafzimmer, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer und vom Wohnzimmer wieder zurück in die Küche. Einmal geht er auch noch ins Badezimmer. Jedes Mal, wenn er an ihr vorbeigeht, schaut sie ihm nach, bleibt aber an Ort und Stelle stehen. – Wird ein Vorgang auserzählt, kann ich mir ein Geschehen eher vorstellen. Manche meinen zwar: Je weniger, desto besser. Sie sagen nicht, die Form muss der Sache angepasst sein. Sie versimpeln zu: Weniger ist immer besser. Sie behaupten, das sei stets besser für den Leser. Bildstarkes Erzählen erfordert dagegen oft, dass auserzählt wird, was man auch in einem (abgezogenen) Begriff zusammenfassen könnte. Kurzum: Obige Stelle würde mir besser gefallen, wenn sie länger, wenn sie mehr auserzählt würde.

Jetzt endlich zu meinem eigentlichen Anliegen:

Im zweiten und dritten Teil folgt, was die Geschichte in meinen Augen sonderbar macht. Sie erzählt nur noch von Fern gesehen. Plötzlich wird einem nur noch soviel mitgeteilt, dass die Sache vage und unbestimmt wird. Wenn der Held seine Tusnelda trifft, vermittelt der Erzähler nicht mehr, was die Figuren miteinander reden und wie sie einander sehen. Vorher hat er beides noch gekonnt. Das ist ein sonderbarer Wandel, der es mir erschwert, das Geschehen zu erfassen. Würde der Erzähler zum Beispiel sagen, was sie reden, wäre das eine andere Sache. Stattdessen wirkt es, als wäre er, der Erzähler, zu einem Beobachter geworden, dessen Zugang zum Geschehen beschränkt ist, weil er sich den handelnden Personen nicht mehr nähern kann oder darf. Woran es liegt? – Nicht am Erzähler, denn der hat schon gezeigt, was er kann, und in der Geschichte wird nirgends erzählt, dass er nach der ersten Szene aus irgendeinem Grund nur noch von Fern schauen kann. Wenn es nicht am Erzähler liegt und auch nicht am Verlauf der Geschichte, dann tritt eine weiter Instanz auf. Beschränkt vielleicht der Autor den Erzähler? – Das könnte sein. Freilich wäre es dann schlüssiger den Erzähler von Anfang an zu beschränken. Wandelt sich der Erzähler hingegen mitten in der Geschichte, würde der Wandel auf mich weniger verstörend wirken, wenn auch vermittelt würde, warum der Erzähler plötzlich nur noch Augenzeuge des Geschehens ist.

Lieber Schorsch, ist wirklich eine seltsame Geschichte. Ich kann nicht sagen, dass sie mir gefällt, kann aber auch nicht sagen, dass sie missraten ist.

Wünsche noch einen schönen Tag
Gruß teoma

 

Hi teoma,

schön, dass du die Geschichte nochmal ausgegraben hast. Grundsätzlich hast du für deine Überlegung zum Anfang bei mir ein offenes Ohr. Ich bin auch nicht für Reduktion um der Reduktion willen. Manches sieht man einfach nicht so, und in diesem Fall haben sich einige über den undurchsichtigen Anfang beschwert, dann habe ich ein bisschen was geändert, und dann kamen - glaube ich - keine Beschwerden mehr. Deswegen dachte ich, das wäre jetzt eingängig genug.
Mal sehen, was sich machen lässt. Die einfachste Lösung wäre ein neuer Anfangssatz: "Fulvio stand in der Küche." Geht. Finde ich aber nicht sooo toll. Alternativ ginge auch "Küche" statt "Raum". Und schließlich ist noch die Frage, ob wirklich die Küche das Wichtige ist, oder nicht vielmehr das, was er tut. Also ob nicht der erklärende Zusatz eher seine Absicht betreffen sollte, sinngemäß: "Er packte Proviant für ..." Das wäre mir eigentlich am liebsten, aber auch am schwierigsten, da muss ich noch länger drüber nachdenken. So etwas ähnliches wäre dann vielleicht nochmal möglich, um seinen Gang durch die einzelnen Räume etwas plastischer zu machen.

Und nun zu deinem eigentlichen Anliegen: Ich gehe mit Perspektiven manchmal leider etwas unbekümmert um. In dem Fall hat mir diese Distanz gefallen, und ich finde sie sogar von der Handlung her gar nicht mal völlig ungerechtfertigt. Aber du bist nicht der einzige, der bei mir über Perpektivwechsel geklagt hat und das ist auch nicht nur in dieser Geschichte geschehen. Wahrscheinlich muss ich noch öfter Haue bekommen, bevor die Lektion ankommt.

Herzlichen Dank in jedem Fall für den langen Kommentar!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Erdbeerschorsch

Alternativ ginge auch "Küche" statt "Raum".

Das ist die Variante, die ich wählen würde. Muss aber nicht heissen, dass es deine Variante sein muss. Ob du den Anfang überhaupt ändern willst, wäre auch eine berechtigte Frage. Das Wort Raum durch Küche zu ersetzten ist aber so oder so eine gute Idee, weil Raum ein eher unbestimmter Ausdruck ist. Vom Weltraum bis zum Innenraum einer Hundehütte ist so ziemlich alles ein Raum, was drei Dimensionen hat und Platz für andere Dinge bietet.

Hallo Bea Milana

Man darf Distanz nicht mit Perspektive verwechseln

Stimmt.

Ich finde nicht, dass im ersten Satz ein Perspektivwechsel vorliegt.

Stimmt auch.

Ich finde: Wie der Erzähler die Welt sieht, wechselt mehrmals. Einmal schaut er den Helden durch die Augen Karinas an, einige Male geht er nah heran und andere Male schaut er von Fern. Wen er sich in die Lage Karinas versetzt und ihre Sichtweise des Helden vermittelt, dann könnte man von einem kurzen Wechsel der Perspektive reden, allerdings von keinem ganzen Wechsel. Vielleicht ist das etwas pingelig, wenn man zwischen definitiven und vorübergehenden Wechseln unterscheidet. Aber ich denke tatsächlich auch, dass der Verfasser die Perspektive nirgends wechselt. Ferner denke ich wie du, Bea, dass die Perspektive Aspekte hat, die sich verändern können, ohne dass die Perspektive wechselt. Ob etwas von fern oder nah gesehen wird, ist so ein Aspekt.

So sah sie ihn sonst nicht. (Das bezieht sich auf die Perspektive der Frau.) Er sah sonst auf den Boden, wenn er durch die Wohnung ging, presste sich in die Ecken, wenn Karina zu Hause war, saß auf dem Sofa, weil er irgendwo sein musste und fühlte dort seinen Hals zu lang, (Das bezieht sich auf die Perspektive des Mannes.)

"So sah sie ihn sonst nicht" kann ein gut unterrichteter oder auch ein allwissender Erzähler sagen. Er weiss eben, wie sie ihn sonst sieht. "Er sah sonst auf den Boden […]" kann der Mann, von dem erzählt wird, zwar auch sagen, wenn er von sich in der dritten Person Einzahl redet, doch eher würde er sagen: "Ich sah sonst auf den Boden […]" Seine Perspektive wäre nämlich die eines Ich-Erzählers.

Bea, wir sind uns also eins, oder?

Gruss teoma

 

Hallo erdbeerschorsch

ich weiß nicht, wie du das machst, dass ich deine Geschichten immer mehrmals lesen muss. Und ganz langsam, so mit Konzentration.

Diese Geschichte ist für mich schwerer zugänglich als "Auf halber Höhe ohne Flügel".

Magst du es, wenn dich jemand an den Handgelenken festhält? (Ich nicht.) Und das schreibst du gleich zweimal.
Das macht Fulvio bei Rosa schon wieder so hilflos. So wie davor, als er sich bei Karina in die Ecken pressen muss.

Hmmh, irgendwie ist das ein schonungsloser Blick, den du da auf deine Figuren wirfst. Sie bleiben mir fremd. Und dann das Kind, das nicht mal einen Namen hat ...

LG, Anne

 

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