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Die letzte Reise

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27.05.2016
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Die letzte Reise

Auf meinem Schreibtisch steht eine durchsichtige Miniaturvase, aus der sechs dürre Bäume emporwachsen, deren Wurzeln auf dem Grund eines weißgelben Sees liegen. Jede Baumkrone ragt in eine andere Richtung und hält selbst dem stärksten Unwetter stand. Ich kann es wehen, regnen, donnern und auch blitzen lassen – die Bäume bleiben davon unbeeindruckt. Ihnen ist es gleich, dass ich den Qualm in ihre Richtung blase. Obwohl sie wissen, was das zur Folge hat: Ich spucke Blut. Mein Husten erschüttert sie genauso wenig wie die nächste Zigarette, die ich kurz darauf entzünde.

Im Schneidersitz, so sitze ich hier im Garten, den Rücken an einen Stamm gelehnt, und beobachte die Spatzen, die auf den Ästen tanzen. Die Sonne haucht den Bäumen Leben ein. Nun unterscheiden sie sich deutlich von jenen auf dem Schreibtisch, die nichts weiter sind als die stinkenden Stäbchen eines Raumerfrischers. Ich huste.
Um aufzuerstehen, genügt ein einziger Lichtstrahl. Hat das schon jemand geschrieben? Ich hätte es sein können, doch dafür ist es zu spät. Statt aufzuschreiben, wie ich leben möchte, wie wir leben könnten, lebe ich nun das, worauf sich mein Schreiben niemals konzentriert hat.
Kann man den Tod überhaupt leben? Es fühlt sich nicht so an.
Was ich schrieb, landete in Schubladen. Zu Recht. Wer bin ich auch, wer war ich schon, dass ich anderen ein Leben vorschlagen wollte, das ich für lebenswert hielt, ohne es selbst je gelebt zu haben. Rousseau? Er tat nichts anderes – Wen seine Kinder wohl mehr hassten, Émile oder ihn? -, und doch verehre ich ihn und bin gerade deshalb weiter von ihm, weiter von mir entfernt, als ich es in Worte fassen könnte, was sinnbildlich für mein Schreiben steht.
Er schrieb einst, dass die Freiheit eines Menschen nicht darin bestünde, nur das zu tun, wonach einem sei, sondern eben darin, nicht das tun zu müssen, wonach einem nicht sei. Diesen Ausspruch weiß ich zu schätzen, seit meine liebe Großmutter ihn mir das erste Mal vortrug, konnte ihn aber erst verstehen, als vor wenigen Monaten die Diagnose kam. Inoperabler Lungenkrebs stand auf dem Arztbericht, dessen Kopie ich seitdem bei mir trage, um mich an das Damoklesschwert über meinem Kopf zu erinnern, das eigentlich schon längst gefallen ist.
Was ernüchternd klingt, erwies sich zumindest vorübergehend als Segen, da ich mich, stets in Gedanken bei dem Zettel in meiner Tasche, dazu entschloss, etwas aus meinen letzten Monaten zu machen. Ich lebte das, wonach ich mich in meinen schriftlichen Werken sehnte, und dass ich diese Träume durch eine einfache Reise realisieren konnte, legt erneut dar, wie weit ich doch von Rousseau entfernt bin. Auch er brach zu mehreren Wanderungen auf, sehnte sich dabei allerdings nach dem Vergangenen, das nicht mehr war, und beschwor eine Zukunft, die niemals sein sollte, während ich lediglich eins tat: Ich lebte.

Ich schlief in einem Kanu auf dem Vänernsee, in einem Lávvu auf den Lofoten und in einer Hängematte zwischen Tannen des Wolfspades. Unter Sternen und Nordlichtern sowie schräg über einem Feuer, in dem ich vom Bette aus meinen Fang braten konnte. Ich lernte Waliser kennen, die mir unaufgefordert, in einem Park mit kleinem Kanal, auf dem Boote von Pferde gezogen wurden, Gedichte aus eigener Feder vortrugen, während ich ihre Hunde streichelte. Ein Schotte ohrfeigte mich derart, dass all das aufmüpfige Verhalten meiner Jugend getadelt zu sein schien. Außerdem liebte ich eine Australierin. Uns gehörte das Everton Hostel in Liverpool, wenn nicht gar die Welt. Wir begleiteten unsere Mitbewohner zwar zur Karaokebar, übertraten aber nicht die Schwelle, sondern blieben draußen, saßen auf dem kalten Pflaster und sangen Guaranteed von Eddie Vedder. Ich war ihr das Plektron, mit dem sie sanft über die Saiten strich.

On bended knee is no way to be free
Lifting up an empty cup I ask silently
That all my destinations will accept the one that’s me
So I can breath

Sie wusste nicht, wie viel mir diese Zeilen bedeuteten, ich wollte nicht, dass sie wusste, wohin ich gehen und wen konkret ich um Verständnis bitten musste, und doch fühlte ich mich von ihr verstanden. Vedders Text, den ich zu schreiben versäumt habe, war letztlich doch mein eigenes Werk, da sie den Zeilen, die ich wie meine eigenen fühlte, etwas entnahm, das sie sowohl auf sich selbst als auch auf den Autor, auf mich, projizieren konnte.
Nach dem letzten Akkord rutschte sie zu mir, legte den Kopf auf meine Schulter und ließ sich küssen. Ich liebte sie schon, bevor sie mich im Hostel liebte.
So fremd wir uns waren, waren wir einander auch nahe. Ich genoss es, der Siebenundzwanzigjährige auf der Suche nach dem Sinn zu sein, für den sie mich hielt, und es fiel mir leicht, diese Rolle zu spielen, da ich genau genommen nichts anderes verkörperte. Meine Liebe für sie erreichte den Höhepunkt, als sie mich abservierte, weil dadurch meine Diagnose in Vergessenheit geriet und ich den Schmerz empfand, für den wir zu leben scheinen.
Ich schreibe guten Grundes vom Schein, schließlich habe ich das Leben, nun da es dem Ende naht, indem ich es tatsächlich gelebt habe, zwar zu schätzen gelernt, nicht aber verstanden. Obwohl es schwer genug ist, das Leben angemessen schätzen zu lernen, kann das doch nicht alles sein?!
Was ist es, das ich der Welt hinterlasse? Keine Romane, nicht einmal eine verfluchte Kurzgeschichte, sondern bloß eine Handynummer, die aus Anstand und Schuldgefühlen zuerst nicht gelöscht, dafür aber keines Blickes gewürdigt wird und eines Tages dann im Zuge des Telefonwechsel verschwindet, um mit mir gemeinsam unerreichbar und unauffindbar zu sein.
Meine Liebsten sind es, die ich um Verständnis bitten müsste, und auch sie wissen nicht, wohin ich gehen muss.
Ich bin zurückgekehrt, zurück nach Lübeck, habe den Grabstein meiner geliebten Großmutter geküsst, meine Mutter herzlich gedrückt, ihr gesagt, wie sehr ich sie liebe, und meiner Freundin, um ihrer Liebe Willen die meine gestanden und dabei verschwiegen, wie wenig sie vergleichbar ist mit jenen Empfindungen für die Erstgenannten, wie sehr sie ihnen doch nachsteht. Allen teilte ich mit, meine Reise fortzusetzen, mir für weitere Monate diesen einzigartigen Freiraum zu genehmigen, und sie alle, meine zwei oder auch drei Liebsten akzeptierten es.

Keine von ihnen weiß, dass ich Lübeck seit unserer letzten Begegnung nicht mehr verlassen habe. Wären sie sich meines Gesundheitszustandes bewusst, hätte ich nicht nur das Leben, das sie der Trauer um meinen Tod widmen, auf dem Gewissen, sondern würde sie auch jener Monate berauben, in denen sie mich meiner Reise wegen glücklich wussten, wofür ich durch etliche Briefe und Telefonate gesorgt habe. Seit zwei Wochen ließ ich allerdings nichts mehr von mir hören und sie allesamt in dem Glauben, weiterhin mich selbst finden zu wollen, abgeschottet von meiner Heimat, die, wie meinen drei Liebsten bekannt ist, kein Ort ist, sondern das, woran mein Herz hängt, also an ihnen, um dann gefestigt zurückzukehren. Ihre ahnungslosen Herzen waren schon schwer genug, als ich ankündigte, einige Wochen abtauchen zu wollen, ohne etwas von mir hören zu lassen. Wie hätten sie verkraften sollen, dass ich auf ewig Lebewohl sagte?
Ich weiß, wie verblümt ich das darstelle, für mich selbst, weil es eben nicht so ist, dass sich alles um mich dreht, weiß, dass ich egoistisch handele, meinen Glauben über denen jener stelle, in deren Sinn ich zu handeln glaube, und verdränge dabei ganz bewusst das unleugbare Wissen, gegen ihren Willen entschieden zu haben.
Die Abschiedsbriefe werden nach meinem Tod zugestellt. Dafür habe ich gesorgt.
Auf den drei Umschlägen steht jeweils, neben den lieblichen Namen, die sich ein Schriftsteller für seine fiktiven Charaktere kaum trefflicher ausdenken könnte, dass ich versuchte, aus Liebe zu handeln, versuchte, die Liebe zu erwidern, die mir geschenkt wurde, und mir darüber im Klaren bin, kläglich versagt zu haben. So stand es dort geschrieben. Das Wissen um mein Scheitern strich ich und packte die Briefe in neue Umschläge. Meine Liebsten sollen glauben, ich sei im Reinen mit der Entscheidung, die ich fällen musste. Musste ich das denn überhaupt?
Ich bin nicht im Reinen, nicht mit meiner Entscheidung, nicht mit meinem Leben. Ich wünschte, ich könnte glauben, der Tod führe mich zu meiner Großmutter. Sie, die immer stark war, würde meine Entscheidung zwar nicht gutheißen, aber in ihrer rührenden Absicht, die Intention dahinter verstehen zu wollen, die Entscheidung selbst verschwinden lassen und mich tröstend in ihren Armen wiegen, bis ich auf ewig einschlafe.

Es handele sich nur noch um Tage, meinte der Arzt betroffen, als er mich vorgestern in der Wohnung meines Freundes besuchte, der gerade jenes Land bereist, in dem mich meine Liebsten wähnen. Kanada. Ich spüre das Eis in seinen Wanderstiefeln, den Schnee in seinem Nacken und die Kälte seiner Hände, als ich einen letzten Blick auf den Arztbericht werfe. Inoperabler Lungenkrebs.
Eine Empfindung ist mir noch vergönnt, bevor ich zu den Schlaftabletten greife. Genaugenommen sind es zwei Empfindungen und mehrere Schlaftabletten. Die Zigarette schmeckt nicht, ich kann sie kaum rauchen, und ich bin schuld.

 

Liebe wieselmaus,

danke für deinen Eindruck, den ich gut nachvollziehen kann. Du hast nämlich recht, von dem sprachlichen Experiment ist wenig bis gar nichts übrig geblieben. Ursprünglich war es nicht geplant, das so radikal zu ändern, aber mit dem nötigen Abstand, den ich durch die Pause zu meiner Geschichte gewonnen habe, erschien es mir angebracht, etwas an der Distanz zu ändern, die der Erzählton mit sich gebracht hat. Ich fand das zu abgeklärt und konnte die Kommentatoren plötzlich gut verstehen, die überhaupt keinen Zugang zu der Figur gefunden haben.

Ich finde es halt schade, wenn die Ungeduld des Lesers verhindert, dass man sich auf einen Text zwei oder dreimal einlässt.
Das sehe ich genauso wie du, daher habe ich in den vorherigen Antworten auch stets geschrieben, "nichts" würde sich ändern, aber wie schon gesagt: Manchmal tut Abstand wirklich gut, um zu erkennen, was eigentlich Sache ist. Ich war, als ich mich an die Korrektur gesetzt habe, echt unzufrieden, und habe (fast) unabhängig von den vielen Kommentaren kurzerhand beschlossen, nochmal einen kleinen Neustart zu wagen.
Momentan bin ich zufrieden, aber wenn ich in zwei Wochen auf den Text blicke, kann das auch schon wieder ganz anders aussehen ... :D

Den grünen Heinrich habe ich noch nicht gelesen, werde das aber schleunigst nachholen. Du kannst dir sicher denken, für welche Fassung ich mich entschieden habe. :)

Herzliche Grüße zurück und danke!
JackOve

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JackOve,
Deine Veränderungen habe ich mit großem Interesse gelesen. Ja, ich persönlich finde das viel direkter und berührender. Davon unbenommen die Überlegungen, ob das nun eine Geschichte ist oder eine große Abschiedsreflexion. Aber da gibt es ausreichende Kommentare. Ich finde das viel näher, wenn es nicht um so viele stilistische Ecken und Windungen geht und das ist auch in keiner Weise forciert massenkompatibel. Dadurch kann ich persönlich nachvollziehbarer und lebendiger an Deiner Figur sein.
Herzlich
rieger

 

Hallo Bea Milana,

ich schreibe dir das gleiche, was du zu Jimmy geschrieben hast.

Bea Milana schrieb:
Vielen Dank für deinen Komm, aber ich fürchte, er hilft mir nicht weiter.

Ich mein das nicht böse, aber größtenteils ist es so.

Wenn du folgendes sagst,

Bea Milana schrieb:
Es gibt auch jüngere Menschen, die ihren Gedankengängen wie in sich verkettete Spaghettis folgen, aber in einem Text müssen sie stimmen.
,
weiß ich nicht, was das soll ... Was bitte hat das Alter damit zu tun? Wen meinst du mit den jungen Leuten? Meine Figur, mich oder uns beide? Verallgemeinerungen dieser Art ärgern mich ungemein und lassen mich mehr als nur ratlos zurück.

Durch die Blume teilst du mir hier auch mit, dass die Gedankengänge meiner Figur nicht stimmen. Halte ich allerdings für gewagt, wenn du zu meiner Textstelle

JackOve schrieb:
Ich genoss es, der Siebenundzwanzigjährige auf der Suche nach dem Sinn zu sein, für den sie mich hielt,und es fiel mir leicht, diese Rolle zu spielen, da ich genau genommen nichts anderes verkörperte.
folgendes schreibst:
Bea Milana schrieb:
"für den sie mich hielt" bezieht sich auf den Siebenundzwanzigjährigen. Wer ist in dem Zusammenhang "sie"? Welche "Rolle" verkörperte er?
Warum klammerst du das "auf der Suche nach dem Sinn" einfach aus? Ich tue das nicht, also bezieht es sich direkt auf den Siebenundzwanzigjährigen und das geht eindeutig aus dem Kontext hervor. Wenn du das eigentlich Unzertrennbare nicht auseinander gerissen hättest, würde sich auch die Frage nach der Rolle erübrigen.
Wer "sie" ist, sollte auch glasklar sein, wenn im Vorsatz noch von "wir", also von den beiden, von der Australierin (=sie) und ihm, gesprochen wird.

Bea Milana schrieb:
Wer sind die Erstgenannten?
Wenn unmittelbar vorher (im gleichen Satz!) die Großmutter und die Mutter genannt werden, frage ich mich, ob du die Frage ernst meinst.

Bea Milana schrieb:
sind oder ist "sie"? Hier müsste es korrekt heißen: " ..., sondern würden sich jener Monate berauben, in denen ...
Nein, müsste es nicht. Seiner Ansicht nach würde er sie nämlich der Monate berauben, und sie sich nicht selbst.

Bea Milana schrieb:
Dein Erzähler ist mir zu selbstverliebt
In der Fassung, die seit Dienstag online ist, findet sich meines Erachtens nichts, das auf übermäßige Selbstliebe schließen lässt. Die Reise mal ausgeklammert, geht aus jedem Absatz hervor, wie wenig er von sich hält.

Bea Milana schrieb:
fiktive Charaktere oder meinst du seine Pseudonyme? Wenn Charaktere gemeint sind ... schreibt er dann seinen Figuren die letzten Zeilen zum Abschied? Sorry, ich habe das nicht verstanden.
Und ich verstehe nicht, was für Pseudonyme du meinst.

Bea Milana schrieb:
und mich frage, was du mir sagen willst.
Das frage ich mich auch, Bea. Ich habe dich mit meiner Geschichte ganz offensichtlich in keiner Weise erreicht, was sehr schade, aber allem Anschein nach auch nicht zu ändern ist.

Danke für deinen Kommentar, aus dem ich zumindest deinen letzten Hinweis verwerten kann. Du hast nämlich recht. "In" wäre besser als "auf dem Umschlag".

Grüße,
JackOve

***

Hallo rieger,

herzlichen Dank für die Rückmeldung. Das freut mich wirklich sehr! Abschiedsreflexion trifft es tatsächlich eher als Kurzgeschichte im herkömmlichen Sinne. Wenn es überwältigende Emotionen sind, die mich an den Schreibtisch ziehen, entstehen meistens reflexionsartige Texte. Gerade arbeite ich aber an einer Geschichte, die zumindest eher massentauglich ist, als es diese zu sein scheint. :)

Danke und liebe Grüße an dich!
JackOve

 

Hej JackOve,

es ist deine höchsteigene Entscheidung, wie du deinen Protagonisten mit seinem anstehenden Ende umgehen lässt. Auch die Art und Weise, wie du ihn handeln lässt im angesichts seiner letzten Lebenszeit, bleibt dir überlassen. Mir sagt beides nicht zu, musses ja auch nicht.

Was mir gefällt, ist deine Leidenschaft dabei, deine Freude am Fabulieren, dein Tempo und deine Überzeugtheit (kann man das sagen?). Mir sagen viele deiner Bilder zu und ich akzeptiere einfach mal, dass dem Todgeweihten (hier spielt halt Zeit eine entscheidene Rolle) eben so dies und das durch den Kopf geht und du als Autor versucht hast, dir das vorzustellen. Kann man machen.

Eine Geschichte fehlt mir ein bisschen. Ich hätte ihn gerne interaktiv beobachtet, mit seinen Lieben, aber er bevorzugt ja, schnell noch die halbe Welt zu bereisen (gute Konstitution ob seiner Erkrankung ;)).
Wer weiß schon, was einen treibt, wenn die Tage absehbar sind, außer den Betroffenen?

Ein literarischer Genuss allemal. Vielen Dank dafür und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,

schön, dass du wieder da bist. :)

Ich danke dir sehr für deinen Leseeindruck. Über das Lob bzw. darüber, was dir gefällt, freue ich mich sehr, und verstehe total, dass du Schwierigkeiten mit den Entscheidungen meiner Figur hast. Die haben alle, ich eingeschlossen. Du nennst sie "höchst eigen" und das trifft den Nagel auf den Kopf, denke ich! Auch, dass dir die Geschichte fehlt, leuchtet ein. Ich kann und möchte diese "Geschichte" jedoch nicht so abändern, dass eine interaktive Beobachtung möglich wäre.
Beim nächsten Mal wird das aber ganz gewiss wieder möglich sein.

Danke für deinen Besuch, literarische Grüße zurück und bis bald!

JackOvev

 

Hallo @ JackOve,

dir ist eine interessante Geschichte gelungen.
Dein Protagonist hat was. Dir gelingt es eine Vielschichtigkeit seines Charakters durchscheinen zu lassen, die mir gut gefallen hat.
Der eigentlich immer noch Entsetzte, der nicht mal ansatzweise versteht, weshalb es ausgerechnet ihn trifft, versucht sich in Generosität seinen Lieben und seinem Leben gegenüber.
Eigentlich ist er groß in seiner Selbstdarstellung, was ich daran festnagele, dass er weitschweifig, wortreich berichtet und beschreibt.

Manchmal schlich sich bei mir der Gedanke ein, ob du deswegen so viele Worte in einen einzigen Satz packst, weil du befürchtest, man würde aussteigen, wenn daraus mehrere Sätze würden. Nur so ein Verdacht. So ähnlich wie die Anfänger (ich denke, du bist kein Anfänger), die sich nicht trauen, ihren Texten Raum zu geben und derartig gedrängt ohne Absätze schreiben, dass man karierte Augen vom Lesen bekommt.

Ich habe es aber auch alternativ als Marotte deines Protagonisten verstanden. Er nimmt sich eigentlich ziemlich wichtig und das drückt sich in seinem Bemühen aus, eloquente und langgestreckte Sätze zu formulieren. Das ist einer seiner Charakterzüge für mich und das ist gut so. Er wirkt dadurch lebendig und plastisch.

Irgendwie zieht dein Text in den Bann, auch wenn inhaltlich herzlich wenig geschieht. Insoweit mein Kompliment an dich, dass es dir gelingt, trotzdem zu fesseln.

Nicht so gut gelingen dir die Übergänge, da ruckelt es noch ziemlich.

[QUOTE ] Außerdem liebte ich eine Australierin. Uns gehörte das Everton Hostel in Liverpool, wenn nicht gar die Welt. Wir begleiteten unsere Mitbewohner zwar zur Karaokebar, übertraten aber nicht die Schwelle, sondern blieben draußen, saßen auf dem kalten Pflaster und sangen Guaranteed von Eddie Vedder. Ich war ihr das Plektron, mit dem sie sanft über die Saiten strich.
[/QUOTE]

Bis zu genau dieser Stelle ist alles rund und gut.

Vorher zählst er auf, hakt er quasi ab. Aber nun wird der Text ausgebremst, der Schwung kommt zum Erliegen und man spürt, du willst jetzt zum eigentlichen Thema kommen: Der Trauer um den Abschied von denjenigen Personen, die man liebt.
Ich wünschte, du würdest deinen Protagonisten an dieser Stelle mehr zusammenbrechen lassen. Bis zu der zitierten Stelle baut er sich eine Fassade auf aus Abgeklärtheit. Er steht über den Dingen. Man spürt, das ist nur tönern.

Das Zitat ist der Anfang der Verletzlichkeit deines Protagonisten und es kommt wirklich etwas zu unvermittelt und dann nicht intensiv genug.

Gefallen hat mir diese Sehnsucht nach der großmütterlichen Geborgenheit, die die sog. "Lieben" nicht geben können. Sie ist in seiner Erinnerung klug und warmherzig. Es ist als würde dein Protagonist bis zu seinem Lebensende hin unbedingt seine "Lieben" schonen wollen, was mich für ihn einnimmt und trotzdem ist da die Sehnsucht nach dem Aufgefangenwerden. Ich könnte mir vorstellen, dass das genau der Grund ist, weshalb so viele Menschen sich kurz vor ihrem Ende einem Priester zuwenden. Dein Protagonist dagegen besucht das Grab der Großmutter.

Ich mag den Text und natürlich auch diese Sarkasmussprengsel, die du dazwischen gemischt hast und die das Ende der Geschichte vollkommen erträglich machen.

Ich gestehe, dass ich dir zuerst ankreiden wollte, dass du das Damoklesschwert "fallen" lässt, weil nach meinem Dafürhalten man mit einem Schwert zuschlägt oder sticht etc. Aber du hast es völlig korrekt, nachdem ich den Begriff nachgelesen habe, verwendet. Wieder was dazu gelernt. Nur warum bemühst du dich nicht, etwas zu finden, was nicht so allgemeinplatzig ist? Lass deinen Protagonisten etwas sagen, was mich erstaunt an dieser Stelle. Das wünsche ich mir.

Den Titel finde ich zwar durchaus passend, aber er klingt recht banal.
Das gestellte Thema ist auch wieder zu finden, wobei ich unterstelle, dass wir beide den Arztbericht als Aufhänger für das gestellte Thema meinen.

Gute Geschichte!


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo JackOve,

die vielen Kommentare zu Deiner Geschichte habe ich wegen Zeitmangels nicht gelesen, möchte aber trotzdem einen kurzen Eindruck hinterlassen.

Ehrlich gesagt bin ich verwirrt. Deine Geschichte liest sich sehr gut, das Thema ist tiefgründig, die kleinen philosophischen Andeutungen gefallen mir, der Protagonist ist komplex. Also eigentlich alles super. Und dann sitze ich hier und frage mich, warum mich die Geschichte nicht berührt. Das finde ich schade und ich verstehe ich nicht, warum dem so ist. Vielleicht liegt das auch gerade an mir persönlich. Daher werde ich Deine Geschichte bei Gelegenheit - was aber etwas dauern kann - noch einmal lesen. Sollte ich eine Idee haben, woran es liegen könnte, dass sie mich berührt, lasse ich es Dich wissen.

Also, tolle Geschichte (mit der kleinen Einschränkung, die vielleicht wirklich an mir liegt).

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo lakita! Wow, ganz lieben Dank für deinen tollen Kommentar. Ich habe mich sehr gefreut. :)

Irgendwie zieht dein Text in den Bann, auch wenn inhaltlich herzlich wenig geschieht. Insoweit mein Kompliment an dich, dass es dir gelingt, trotzdem zu fesseln.
Wie schön, dass der Text so auf dich gewirkt hat bzw. dass du ihn so lesen konntest. Ich finde das ziemlich interessant, wie du meine Figur wahrnimmst, und freue mich darüber, dass du ihr folgendes zuschreibst:
Dein Protagonist hat was. Dir gelingt es eine Vielschichtigkeit seines Charakters durchscheinen zu lassen, die mir gut gefallen hat.
Tut gut, nachdem schon reichlich auf sie geschimpft wurde. :D Sympathisch wollte ich sie nicht zeichnen, bewegt allerdings schon und wenn du schreibst, dass sie für dich lebendig und plastisch wirkt, bin ich sehr zufrieden.

Nicht so gut gelingen dir die Übergänge, da ruckelt es noch ziemlich.
Stimmt!

Vorher zählst er auf, hakt er quasi ab. Aber nun wird der Text ausgebremst, der Schwung kommt zum Erliegen und man spürt, du willst jetzt zum eigentlichen Thema kommen:
Du hast völlig recht, da muss und möchte ich nochmal ran. Danke für's Aufzeigen.

Ich wünschte, du würdest deinen Protagonisten an dieser Stelle mehr zusammenbrechen lassen.
Darauf wird es dann hinaus laufen.

Es ist als würde dein Protagonist bis zu seinem Lebensende hin unbedingt seine "Lieben" schonen wollen, was mich für ihn einnimmt und trotzdem ist da die Sehnsucht nach dem Aufgefangenwerden.]/QUOTE]
Schön, dass du das Motiv hinter seiner fragwürdigen Entscheidung erkennst. Das und generell die Gedanken, die du dir zu meiner Geschichte gemacht hast, bedeuten mir sehr viel. Eine Leserin wie du ist ein Geschenk für jeden Schreiberling. :)

Das gestellte Thema ist auch wieder zu finden, wobei ich unterstelle, dass wir beide den Arztbericht als Aufhänger für das gestellte Thema meinen.
Du unterstellst richtig. Über das Damoklesschwert und den Titel denke ich nochmal nach.

Ich sehe gerade, dass du Kempowski liest. Ich habe zu dem Zeitpunkt, als die Geschichte entstanden ist, "Hundstage" von ihm gelesen. Allerdings nur die ersten hundert Seiten, weil ich nicht wirklich mit seiner Figur warmgeworden bin. :shy: Ich verstehe es also nur zu gut, wenn es Lesern mit meiner Geschichte ähnlich geht, finde es aber trotzdem schade. :shy:

Ich danke dir ganz herzlich für deine Zeit und deine Gedanken, über die ich mich wirklich sehr gefreut habe, und wünsche dir besinnliche Festtage.

Liebe Grüße,
JackOve

***

Hallo Geschichtenwerker,

schön, dass du den Weg zu meiner Geschichte und überhaupt ins Forum gefunden hast. Ich finde es super, wie du dich einbringst. :) ich habe mich sehr über deinen lobenden Leseeindruck gefreut, obwohl es natürlich schade ist, dass dich die Geschichte nicht berührt hat. Das schreibe ich nicht dir zu, sondern mir. Nicht nur weil es vielen anderen auch so ging. Ich kann das wirklich nachvollziehen. Über einen Nachtrag bzw. eine Idee für den Grund dafür, würde ich mich trotzdem sehr freuen. Lass dir alle Zeit der Welt, ich habe momentan auch extrem viel um die Ohren.

Danke, liebe Grüße und frohe Festtage!

JackOve

 

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