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Die Kampflesbe
Meine Freunde meinen, eine Kampflesbe als Mitbewohnerin zu haben sei ein Luxus. Da müsse man keine Angst vor Einbrechern haben.
„Aber was ist mit der Kampflesbe“, frage ich, „muss man denn keine Angst vor ihr haben?“
„Nein“, sagen sie, „sie ist nur eine Frau.“
Ich habe trotzdem Angst vor ihr. Die Kampflesbe ist vor zwei Wochen eingezogen, und ich höre jede Nacht, wie sie mit sich kämpft. Sie ersticht sich mit Bananen, verstümmelt sich mit Gurken, erniedrigt sich mit Zucchinis. Das Obst finde ich später im Bioeimer – schleimig und unversehrt.
Tilo schließt daraus, dass Kampflesben verschwenderisch seien, schließlich hungern Kinder in Afrika.
Jason findet, das Obst sei eher ein Indiz dafür, dass Kampflesben einen Schwanz brauchen. Mit einem Schwanz könne man nämlich aus jeder Kampflesbe eine Friedenslesbe machen.
Botan stimmt dem zu. Mit seinem Schwanz könne man sie sogar in Frauen verwandeln, sagt er, richtig gute Frauen, die auf Knien blasen und beim Kochen mit dem Hintern wackeln.
Wir sind bei mir im Zimmer. Tilo, Jason, Botan und ich.
Tilo und Jason sind eineiige Zwillinge, und nur für Kenner auseinanderzuhalten. Beide sind ziemlich böse Jungs, mit schwarzen Haaren und platt gedrückten Nasen. Wenn sie wütend werden, regnet es Fäuste aus allen Richtungen. Zusammen sind sie fast unschlagbar.
Doch Botan ist die absolute Macht in unserem Block. Er ist ein Killer, ein Brecher, ein Sturm. Seine Schultern sind so breit, dass er sich zur Seite drehen muss, wenn er durch Türen geht. Seine Haut ist dunkel, seine Stimme klingt wie ein Kontrabass. Gerüchten zufolge fließt Blut aus vier Kontinenten in seinen Adern. Er dürfte nicht viel älter als Mitte zwanzig sein, doch er ist gezeichnet. Er hat viele Narben und Schrammen und Brandflecken im Gesicht, dazu einen schmalen modischen Bartstreifen, der seinen kräftigen Kiefer betont. Vor ein paar Jahren haben Tilo und Jason sich mal mit ihm angelegt. Am Ende hat er sie wie Bud Spencer an den Haaren gepackt und zusammengeknallt. Seitdem gehört der Block ihm.
Botan meint, wir sollten rüber gehen, und es der Kampflesbe ordentlich besorgen.
„Sie ist nicht da,“ sage ich.
Egal, dann sehen wir uns halt ihr Zimmer an. Er wolle schon immer wissen, wie Kampflesben so leben. Das sei doch eine nette Idee, nicht wahr, Jungs?
Botan hat immer nette Ideen, manchmal frage ich mich schon, wo er die alle herhat. Tilo und Jason nicken gierig.
„Aber sie könnte ja jeden Augenblick zurückkehren“, erwidere ich.
Jason lacht. Ob ich meine Eier etwa an die Kampflesbe abgegeben hätte?
„Ich will nur keinen Stress. Ich muss ja mit ihr auskommen auf unbestimmte Zeit.“
Botan packt mich am Kragen. “Halt die Fresse, Schwanzlutscher! Wir gehen jetzt rüber!“
Bei der Kampflesbe hängen Poster von Jackie Chan und Bruce Lee an der Wand. Sie hat ein großes Bücherregal: Tolkien, Larsson, King, Lovecraft…, und in einer kleinen Kuschelecke – da liegen ganz viele bunte Kissen rum – steht ein Fernseher mit DvD-Player und Super Nintendo.
„Hey ihr Zimmer, ist ja viel cooler als deins“, sagt Jason. „Sie hat sogar einen Super Nintendo. Mit Mario Kart! Oldschool!“
Auch Botan ist beeindruckt. „Man kann sie ficken und hinterher Mario Kart zocken, nicht schlecht.“
Botan schaltet den Fernseher ein und breitet sich in der Kuschelecke aus. „Wer glaubt, dass er eine Chance gegen mich hat?“
Tilo setzt sich neben ihn. „Ich bin Mario.“
„Nein, ich bin Mario.“
Jason inspiziert währenddessen das Zimmer. Er durchwühlt Schubladen und wirft Unterwäsche auf den Boden. Boxershorts, Socken ... nichts Aufregendes.
„Glaubt ihr, hier liegen irgendwo Dildos rum?“, fragt Jason. „Bestimmt liegen hier irgendwo Dildos rum.“
„Sie benutzt doch Obst“, sagt Botan.
Jason schüttelt den Kopf. „Sie benutzt sicher nur zur Abwechslung Obst. Jede gute Kampflesbe hat eine Dildosammlung, habe ich mal auf Spiegel-TV gesehen.“
„Halt's Maul“, sagt Botan. Er hat es nicht so gern, wenn man ihm widerspricht.
„Blitz!“, jault Tilo.
Botan haut ihm den Kontroller aus der Hand.
„Hey!“
Botan lacht. „Niemand schlägt mich bei Mario Kart!“
„Was macht ihr in meinem Zimmer?“
Ich zuck zusammen.
Die Kampflesbe steht in der Tür, Hände in die schmalen Hüften gestemmt. Sie trägt Jeans und ein weißes Tank-Top. Die Haare sind kurz geschoren, die drahtigen Arme tätowiert, die schwarzen Augen zischen echsenartig hin und her.
Das sieht nicht gut aus.
Jason krabbelt unter ihrem Bett hervor. Er hält einen Umschnalldildo in der Hand. Einen Augenblick lang herrscht Stille. Im Hintergrund seufzt Mario: „Mama Mia!“
„Leg das sofort zurück“, sagt die Kampflesbe. Ihre Stimme ist rau und kratzig, wie Glasscherben.
Jason zögert.
„Gib das mir!“, sagt Botan. Er steht auf, nimmt den Umschnalldildo in die Hand, sieht ihn sich genau an, grinst. „Weißt du, wenn man einen Schwanz hat, braucht man so was nicht.“
„Verlass sofort das Zimmer“, sagt sie Kampflesbe. Sie wirft mir einen mörderischen Blick zu, den ich nicht erwidern kann. Die Echsenaugen sind mir unangenehm.
Botan läuft auf sie zu. „Das möchtest du gern wieder haben, ja? Ich kann dir das Original geben ...“
Die Kampflesbe gibt Botan einen Tritt in die Eier.
Seine Augen weiten sich, er grunzt, Speichel tropft aus seinem Mund.
Volltreffer.
Botan versucht auf die Beine zu bleiben, doch die Schmerzen sind zu stark, er fällt auf die Knie, hält sich die Eier fest.
„Du Schlampe!“, schreit er, seine Stimme eine gute Oktave höher als sonst.
Die Kampflesbe verzieht keine Miene. Sie holt weit aus und schlägt ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
Klatsch!
Ich blinzele mehrmals. Das ist nicht zu glauben. Mit der flachen Hand schlägt sie Botan? So, wie man kleine Hosenscheisser schlägt? So, wie man Frauen schlägt!
Das hätte sie nicht tun dürfen ...
„Pack sie!“, brüllt Botan.
Die Kampflesbe tritt ihm mit dem Stiefel ins Maul, dann holt sie etwas hinter ihrem Kleiderschrank hervor.
Tilo steht auf, rennt auf sie zu und sieht das Samuraischwert viel zu spät.
„Oh Sch...“, sagt er noch, dann enthauptet ihn die Kampflesbe. Das Schwert fliegt durch seinen Hals wie Luft. Tilo läuft eine halbe Sekunde weiter, dann fällt ihm der Kopf von den Schultern.
„Nein!“, schreit Jason. Er rennt hin, hebt den Kopf vom Boden auf und blickt fassungslos in die Augen seines Zwillingsbruders. Und Tilo blickt genau so fassungslos zurück. Sie sehen immer noch identisch aus. Tilo hat etwas Farbe verloren – das Blut plätschert aus seinem Hals – aber der Gesichtsausdruck ist derselbe.
Botan ist bewusstlos. Ich stehe mitten im Raum, kann mich nicht bewegen. Die Kampflesbe geht in Kampfstellung: Oberkörper gebeugt, linkes Bein vor dem rechten. Sie hält das Schwert vor sich her und rotiert es langsam.
„Was ist denn da los?“, schreit jemand aus der Küche. Die weibliche Stimme durchfährt mich wie ein kalter Windstoß.
Nicht noch eine!
„Es ist alles in Ordnung“, schreit die Kampflesbe. „Ich habe alles im Griff!“
Eine kleine Blondine betritt den Raum und sieht sich um. Sie kaut Kaugummi und schmatzt dabei. Ihre Fingernägel sind lang und weiß, wie Krallen.
Aber das ist doch nicht ... Lena? Die heiße Stripperin aus dem achten Stock? Was macht sie denn hier?
Lenas Augen bleiben auf Jason ruhen. Er sitzt auf dem Boden, weint und wiegt den Kopf seines Bruders hin und her.
„Das sieht aber nicht ganz aus“, sagt Lena.
„Mach dir keine Sorge, Kleines“, sagt die Kampflesbe. „Die Männer sind eingebrochen und wollten uns vergewaltigen, ich hab einen enthauptet, die anderen mache ich gleich fertig. Ich habe alles im Griff.“
Die Kampflesbe legt ihren Arm um Lenas Taille, drückt ihr die Zunge in den Hals und begrapscht ihre Titten wie ... Obst muss ich schon wieder denken. Sie züngeln eine Weile, dann kommt Botan langsam wieder zu sich. Er fasst sich an den Mund und spuckt einen Zahn aus.
„Ich mach euch fertig“, sagt er. „Wisst ihr, wer ich bin? Wisst ihr, mit wem ihr es zu tun habt?“ Seine Stimme boomt.
„Noch ein Wort von dir, und ich schlitz dich auf!“, erwidert die Kampflesbe. Sie zeigt mit dem Samuraischwert auf ihn.
Botan sieht es und wird still.
„O scheisse, das ist ja Botan“, sagt Lena. „Was machen wir jetzt?“
„Ich denke, wir müssen sie alle kaltmachen, Baby.“
Lena mustert uns, zieht die gezupften Augenbrauen zusammen, leckt die roten Lippen. „Ich kenn die Jungs, sie machen nur Ärger.“ Sie öffnet ihre Handtasche und zückt eine Pistole. „Soll ich?“
Die Kampflesbe schüttelt den Kopf. „Ist nicht nötig, ich mach das gern mit dem Schwert. Ist leiser.“
„Stimmt.“
Die Kampflesbe läuft mit dem Schwert auf mich zu, Armmuskeln gespannt.
Ich hebe die Hände, laufe nach hinten. „Jetzt warte mal ... warte doch kurz ... es muss doch irgendeinen Weg geben. Wir müssen doch nicht mehr Blut vergießen als nötig ist.“
„Dein Blut ist nötig.“
„Aber wir können sicher irgendeine Vereinbarung treffen!“
Die Kampflesbe lässt das Schwert aus dem Handgelenk kreisen und lächelt zum ersten Mal, seit ich sie kenne. „Eine Vereinbarung sagst du? Was denn für eine Vereinbarung? Habt ihr Geld? Was könnt ihr uns bieten? Nichts ...“
Sie kommt noch näher.
„Jetzt warte mal! So funktioniert das nicht!“
Botan, der sich in die gleiche Ecke zurückzieht wie ich, kommt endlich auf die Beine. „Das stimmt“, sagt er. „Man bringt Leute nicht einfach um. Das verstößt gegen Kodex.“
Jason sieht vom Kopf seines toten Bruders auf. Er sitzt vor dem Fernseher in der Kuschelecke. Seine Stimme ist schwach und zart. „Ja das stimmt wirklich, Kampflesbe, wir sagen immer: Gib uns die Kohle!, oder: Spreiz die Beine!, oder so was ...“
Die Kampflesbe bleibt stehen, seufzt, streichelt nachdenklich ihr Kinn.
Dann hebt sie den Umschnalldildo vom Boden auf.
„Willst du oder soll ich?“ fragt sie Lena.
Botans Kinnladen fällt nach unten. „Das habe ich jetzt nicht gemeint.“
„Mach du, Schatz“, sagt Lena. „Ich schaue dir gerne zu.“
Die Kampflesbe schnallt sich den Dildo um.
Botan verschränkt die Arme. „Nie im Leben.“
„Jetzt komm schon, Botan“, sage ich. „Augen zu und durch, dann lässt sie uns leben! Nicht wahr, Kampflesbe?“
Sie nickt. „Klar ...“
Botan schüttelt den Kopf. „Schau dir doch das Ding an. Das ist so groß wie mein Arm! Lieber sterbe ich.“
Ich seufze. Vielleicht hat Botan recht. Der Dildo ist wirklich riesig. „Gibt es nicht irgendeinen anderen Weg?“, frage ich. „Du musst und doch eine Chance geben, du weißt schon, ein Wettkampf, eine Herausforderung. So machen wir Männer das, verstehst du? Wir kämpfen bis zum Tod ...“
Meine Worte zeigen Wirkung. Die Kampflesbe hält inne. Ihre gepiercten Nasenflügel blähen sich auf. „Wer von euch hat behauptet, dass er nie bei Mario Kart verliert?“
Botan streckt seine massige Hand. „Das war ich.“
„Gut. Wir fahren ein Rennen, ein einziges, und wenn du gewinnst, dann lassen wir den Dildo aus dem Spiel und ihr dürft gehen. Der Block gehört dann mir. Wenn ihr verliert, schlitze ich euch alle auf.“
Botan nickt, obwohl ich weiß, dass er keine Ahnung von Mario Kart hat. „Damit kann ich leben“, sagt er.
„Warte, Botan“, sage ich. „Lass mich fahren.“
Botan verzieht das Gesicht. „Hier geht’s um viel, das ist nichts für dich.“
„Botan, ich habe das früher jeden Tag gespielt, ich kann das, und ich habe dich vorhin fahren gesehen ...“
Botan mustert mich. „Schwanzlutscher, wenn du das verbaust, dann ...“ Er blickt zur Kampflesbe. „Darf er fahren?“
„Ist doch völlig egal, wer fährt“, sagte sie und streichelt den Dildo zwischen ihren Beinen. „Ihr verliert sowieso gegen mich.“
Ich setze mich neben der Kampflesbe vor den Fernseher. Lena steht dahinter, Pistole auf meinen Kopf gerichtet. Botan und Jason positionieren sich hinten mir.
„Ganz ruhig, Schwanzlutscher“, flüstert Botan mir ins Ohr, „konzentrier dich ganz auf das Spiel.“ Er massiert meine Schulter. „Das packst du schon.“
Jason flüstert in mein anderes Ohr. „Alter, wenn du das packst, dann nennen wir dich von nun an auch nicht mehr Schwanzlutscher, versprochen.“
Ich nicke, dann hält er mir den Kopf seines Bruders ins Gesicht. „Tu's für Tilo, Schwanzlutscher.“
Ich lasse meine Finger langsam über den Kunststoff gleiten, berühre jeden Knopf einzeln. Der Kontroller sitzt verdammt gut in meiner Hand ...
Ich denke an all die Stunden, die ich mit Spielkonsolen verbracht habe, all die Nächte, all die Wochenende, und mir kommen fast die Tränen. Plötzlich macht alles Sinn.
Mein ganzes Leben bin ich immer nur den anderen hinterher gelaufen. Ich bin mehrmals sitzen geblieben, konnte keinen Job halten, hatte nie eine Freundin.
Ich war einfach nicht für Leistung geschaffen, das versuchte ich anderen immer zu vermitteln, wenn man mir vorwarf, ich sei zu faul.
Doch mir glaubte niemand so recht, und wenn ich ehrlich zu mir war, ich auch nicht. Denn es gab eine Sache, die ich schon immer gut konnte, und das war Zocken. Während andere Vokabeln paukten oder sich im Fitnessstudio einen abschwitzten, spielte ich Mario Kart und Zelda und Final Fantasy und Donkey Kong ...
Und das war schön, ich tat das, was ich liebte, doch irgendwann verliert man den Anschluss. Irgendwann merkt man, dass die anderen Jungs viel besser kämpfen und dissen können als du. Man schaut zu, wie sie auf der Tanzfläche abgehen, wie sie mit Fußbällen jonglieren, wie sie Bong rauchen, ohne zu husten. Man lernt nie, wie man Frauen behandeln muss.
Und eines Tages wacht man dann auf und man hat den Spitznamen Schwanzlutscher. Man blickt in den Spiegel und sieht eine arbeitslose Jungfrau ohne Schulabschluss vor sich stehen, der seine komplette Energie in Videospielezocken investiert hat, eine Tätigkeit, mit der man weder Geld verdienen noch Frauen beeindrucken kann.
Und dann kommen Zweifel auf. Hätte ich vielleicht doch mehr Zeit in PC-Strategie-Spiele wie World of Warcraft investieren sollen? Da verdienen ja manche ganz gut.
Wäre es besser gewesen, wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen hätte, anstatt hundertfünfzig Sterne bei Mario 64 zu holen und jedes Pokemon auf Level hundert zu trainieren?
Diese Fragen plagen mich schon länger, doch jetzt weiß ich, dass ich mich auf dem richtigen Pfad befand. Mein Bauchgefühl stimmte. Diese tiefe Befriedigung, die ich beim Zocken verspürt habe, diese eiserne Disziplin, mit der ich übte, war doch nicht sinnlos. Meine Zeit ist gekommen. All die Demütigungen, all die Rückschläge, all die verschämten Blicke bei den Familienfesten ... endlich darf ich zeigen, was ich kann. Bei diesem Rennen geht es um mehr als nur Leben oder Tod, es geht um Erlösung.
„Welche Strecke?“, fragt die Kampflesbe.
„Rainbow Street“, sage ich.
Sie nickt. „Gute Wahl.“
Die Rainbow Street führt den Fahrer auf einem pixeligen Regenbogen durch die Tiefen des Weltalls. Sie ist eine der legendärsten Mario Kart Strecken, und gerade auf dem Super Nintendo eine der schwierigsten, denn es gibt kein Geländer. Wenn man nur eine falsche Bewegung macht, stürzt man von der Strecke und verliert sehr viel Zeit. Ich habe die Strecke gewählt, weil hier Können erfordert ist. Auf dem Rainbow Street gewinnt der beste Fahrer.
Das Rennen beginnt, und ich spurte los.
„Gib Gas!“, schreit Botan.
Ich habe das Spiel seit einem Jahr nicht mehr gespielt, doch die Steuerung ist mir noch immer vertraut. Ich spüre, wie mein Hirn sich fokussiert, wie ich den gewohnten Tunnelblick bekomme. Mario bremst im allerletzten Moment, rutscht um Kurven und zündet seine Turbos genau zum richtigen Zeitpunkt, um eine maximale Beschleunigung zu erzielen.
„Mama Mia!“, schreit Mario.
„Gut so!“, schreit Botan.
Die Kampflesbe ist mir dicht auf den Fersen, auch sie hat was auf dem Kasten, das muss man ihr lassen, doch in mir hat sie ihren Meister getroffen. Ich lege ihr eine Banane in den Weg, optimal platziert. Sie rutscht darauf aus und fliegt von der Strecke.
„Du bist der Beste!“, jault Botan.
Ich lache laut auf. Ein Rennen umfasst drei Runden, und nach der Zweiten habe ich sie schon weit hinter mir gelassen.
„Schwanz-Lutscher, Schwanz-Lutscher!“, singen Jason und Botan hinter mir im Chor.
Der Name klang noch nie so schön in meinen Ohren. Ich hebe die Hand und sie schlagen ein.
In der dritten Runde bekomme ich sogar einen Stern, der mich noch schneller macht. Ich will die Kampflesbe jetzt nicht nur besiegen, ich will sie demütigen. Sie soll wissen, dass ich der ultimative Mario Kart Champion bin. Ich zische über den Regenbogen wie ein goldener Pfeil, fliege durch den Äther wie ein Komet – doch dann geschieht etwas. Eine Komplikation, ein Glitch in der Matrix, vielleicht auch ein Spielfehler, die Kurve ist nicht da, wo sie sein soll. Ich stürze von der Strecke.
„Alter, was machst du?“
Ich blicke nach links. Die Kampflesbe hat noch nicht aufgegeben. Luigi holt auf ...
Scheisse, wie lange dauert das noch? Wann stellen sie mich wieder auf die Strecke? „Los doch!“, schreit Botan, als ich endlich wieder fahren darf. „Los doch!“
Doch Luigi hat mich schon überholt.
„Gib Gas du Motherfucker!“, brüllt Jason. „Das ist die letzte Runde!“
Ich gebe alles, fahre mit Präzision und Wucht und Intensität, mein ganzes Können blitzt auf, und schon sehe ich die Prinzessin vor mir, ich habe sie fast, ich lehne mich in der Realität nach vorn ... und sie legt mir eine Bombe in den Weg. Ich kann nicht ausweichen.
Boom!
Das Rennen ist verloren. Die Kampflesbe düst locker ins Ziel und lächelt.
Ich lasse den Kontroller fallen, fahre gar nicht zu Ende.
Jason und Botan schütteln bestürzt den Kopf. „Alter, du warst so nah dran.“
Ich kann es nicht fassen. Mein Ganzes Leben dafür trainiert, und dann verloren? Kann das sein? War das mein Schicksal?
Die Kampflesbe gibt mir die Hand „Gut gefahren ...“
Ich nehme sie an. „Danke.“
„... aber nicht gut genug“
Lena wirft ihr das Samuraischwert zu.
Die Kampflesbe steht auf. „Ihr habt die Wahl, Schwert oder Dildo?“
Wir tauschen untereinander Blicke aus. Ich will Botan nicht in die Augen schauen, doch als ich es wage, werde ich überrascht. Keine Wut sehe ich da, keinen Hass, nur Angst spricht aus diesen großen braunen Augen. Er will nicht sterben.
„Ihr zuerst“, sagt er.
Ich weiß, warum er das sagt. Es geht um die Ehre. Nur wenn Jason und ich beide den Dildo wählen, kann er auch den Dildo wählen. Wählen wir beide das Schwert, muss er sterben – es sei denn, er wartet, bis wir tot sind, und entscheidet sich dann um. Das traue ich ihm fast zu, denn dann kann er sich einreden, er will uns rächen. Irgendwie biegt er sich das schon hin.
Doch wenn einer den Dildo wählt, und der andere das Schwert, kann er sich unmöglich auf die Seite des Feiglings schlagen. Es kann nicht sein, dass der große böse Botan sich lieber von einer Kampflesbe einen Dildo in den Arsch schieben lässt, als mit den Kameraden zu sterben.
Das geht einfach nicht.
„Ich nehme das Schwert“, sagt Jason.
„Also gut“, sagt die Kampflesbe.
Sie packt ihn an den Haaren und zerrt ihn in die Mitte des Raumes. Jason geht auf die Knie, klammert sich an den Kopf seines Bruders, schließt die Augen.
„Machs schnell“, sagt er, dann gibt er seinem Bruder einen Kuss auf die Stirn. „Bis gleich.“
Die Kampflesbe schwingt das Schwert, Jasons Kopf rollt ihm von den Schultern, Tilos Kopf fällt aus Jasons Händen, und beide Köpfe kullern nebeneinander im Blut, kommen zum Stillstand und sehen sich an. Im Tode vereint.
Die Kampflesbe dreht sich um. „Wer kommt als Nächster?“
Botan sieht mich an, reicht mir seine Hand. „Wir sterben alle zusammen“, meint er.
Doch ich schüttele nur den Kopf.
Sein Blick verdüstert sich. „Schwanzlutscher“, sagt er leise. „Du warst schon immer ein Schwanzlutscher.“
Er steht auf und geht neben Jasons Körper runter auf allen Vieren. Seine Jeans färben sich in der Blutlache dunkelbraun.
Die Kampflesbe braucht drei Schläge bis Botans Kopf ab ist. Und nach den ersten beiden lebt er noch. Sein Blut spritzt viel länger und ausgiebiger. Es sickert unter die Tür.
„Und du?“, fragt die Kampflesbe, die einiges von Botans Blut abbekommen hat. Sie wischt es mit dem Handrücken von den Mundwinkeln weg.
„Dildo“, sage ich.
„Gute Wahl.“
Die Kampflesbe streichelt den massiven Plastikpenis, schmiert es mit Gleitgel ein, sagt, ich solle die Hosen runter lassen und mich übers Bett bücken, ja genau so, ganz entspannt, dann tue es nicht so weh ...
Als ich den Dildo am Aftereingang fühle, durchzuckt mich der Gedanke, dass dieses Fiasko auch ein Neuanfang sein könnte. Vielleicht kann ich doch noch was aus mir machen. Immerhin bin ich jetzt keine Jungfrau mehr.