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Die heutige Zeit in der Literatur - die Literatur in der heutigen Zeit

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16.06.2002
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Die heutige Zeit in der Literatur - die Literatur in der heutigen Zeit

Zazas Rubrik hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Nach mehrmaligem Lesen dachte ich, daß es vielleicht besser wäre, das nicht auf KG.de zu beziehen, sondern allgemein zu betrachten.

Was fehlt Euch konkret in der neuen Literatur? Was sollte man ändern? Worüber sollte man schreiben?

Wie kann man die heutige Zeit literarisch bearbeiten?

Irgendeiner der Juroren des diesjährigen Bachmann-Preises sagte sinngemäß, daß die neue Autorengeneration offenbar nicht genug erlebt hat. Das merke man den Texten an. Zaza steht mit ihrer Meinung also nicht allein da – und auch ich sehe das ähnlich.

Dabei geht es wohl weniger darum, daß die Zeiten jetzt so erlebnisarm wären, sondern um deren erlebnisarme Wahrnehmung, und zwar im tätigen noch stärker als im Erfahrungsbereich.


Gut, wie sollten wir wahrnehmen? Was sollten wir tiefer wahrnehmen, empfinden? Liegt es an der ständigen Bombardierung mit Werbung, Lärm, Nachrichten, Bildern?

Ich bemühe mich momentan, meine Geschichten im Heute spielen zu lassen. Mir fällt zur Jetztzeit einfach nur folgendes ein:

Furcht vor Unsicherheit (bezüglich Arbeitsplatz, Einkommen zur Sicherung der Lebensgrundlage)

Individualisierung und gleichzeitige Gleichschaltung

Der Einzelne bleibt für sich, ist aber durch vorgebenene Geschmacksrichtungen durch die Unterhaltungsindustrie (aller Bereiche) und Medienkonzentration gleichgeschaltet.

Jeder gegen jeden und Vereinsamung.

Der Verlust der Sicherheit (Abbau des Sozialstaates, unsichere Arbeitsplätze, immer mehr präkäre Beschäftigungsverhältnisse, etc.) was Ängste vor Ungewissem in jedem hervorruft.

Oder haben wir wirklich "zu wenig" erlebt? Ich denke, wahres Erleben findet im Kopf statt.

Vielleicht hat die Jetztzeit einfach nichts mehr zu bieten?

Zuviel elektronische Medien (Internet, etc.)? Zuviel Ablenkung? Zuwenig Tiefgang?

Wenn meine Protagonisten in der Antike herumschwirren, tu ich mir einfach leichter...


Was meint Ihr, sollten wir in der Schreibe ändern?

 
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Erst einmal finde ich die Hauptfragen etwas zu umfassend.

Da jeder eine andere Definition von Literatur hat und dementsprechend völlig verschiedene Erwartungen an sie stellt, würde so eine Diskussion hier wohl zu nichts führen.
Auch besteht dann die Gefahr der Verallgemeinerung. Meiner Meinung nach gibt es nicht so etwas wie "Die heutige Literatur", man kann Houellebecq nicht in einen Topf mit Stuckrad-Barre, Elke Naters oder sonstwem werfen. Genausowenig könnte man vermutlich die kg.de Geschichten unter einen Nenner bringen.

Allein die Themen haben sich seit der Bibel nicht wesentlich verändert, es geht um Liebe, Tod und was dazwischen so passiert.

Da oben schon der Bachmannpreis erwähnt wird, will ich gleich mal da anknüpfen. Übrigens sollte jeder, der sich für die wirklich aktuelle Literatur interessiert, da mal vorbeischauen

Ich glaube auch, dass wir heute anders wahrnehmen, dass Bilder an Bedeutung gewinnen, dass wir ständig mit Reizen "bombardiert" werden.
Natürlich verändert sich dadurch auch die Literatur, jeder Schreiber will ja die Aufmerksamkeit des Publikums gewinnen, daher muss man sich wohl oder übel anpassen. Generell kann man wohl niemanden mehr mit Ellenlangen Sätzen voller Adjektive und in sich verstrickter Nebensätze locken. Dass man heute nicht mehr wie Thomas Mann schreibt, hat sicher seine Gründe.
Die einen verklären die Welt mit Metaphern, die anderen schreiben ironisch.

Die Medien spielen da sicher eine große Rolle, jeder weiß heute, wie es am anderen Ende der Welt aussieht, jeder hat Zugriff auf dieselben Informationen, jeder wächst irgendwie mit denselben Erfahrungen auf.
Daher wird es vielleicht schwerer, etwas zu erzählen, was die anderen nicht ohnehin schon wissen.

Kein Wunder, dass junge Autorinnen wie Inka Parei, Terezia Mora, Zsuzsa Bank usw. einen gewissen Erfahrungsvorteil gegenüber ihren in Deutschland aufgewachsenen Kollegen haben. Ich möchte da mal die Meldung der letzten Bachmannpreisverleihung zitieren:

"Die Wahl für den Ingeborg-Bachmann-Preis gelang zunächst mit einer klaren Mehrheit für Inka Parei. Der Preis der Jury brauchte bereits eine Stichwahl, bis sich Feridun Zaimoglu als Sieger gegen Fahrad Showghi durchsetzen konnte."

Sicher findet das wahre Erleben im Kopf statt, aber die erlebte Wirklichkeit ist immer irgendwo die Basis.
Ich glaube nicht, dass Grass oder Böll ohne den Krieg zu ihrem Nobelpreis gekommen wären...

Aber selbst wenn jeder auf ähnliche Weise wahrnimmt, zieht doch jeder seine eigenen Schlüsse aus dem Wahrgenommenen, das fängt schon bei Männern und Frauen an und geht weiter bei Kleinen und Großen, Armen und Reichen, Rechtshändern und Linkshändern... ;)

Und wer meint, es gäbe keinen Tiefgang mehr, der gräbt wohl selbst nicht tief genug. Auf den Bestsellerlisten wimmelt es sicher nicht von tiefgründiger Literatur, aber geben wird es die immer. Und falls jemand einen neuen Ulysses vermisst, soll er doch mal bei Pynchon, Delillo oder David Foster Wallace suchen, das Problem ist nur, dass die Schinken keiner liest, die schwere Literatur wird zwar von den Kritikern in den höchsten Tönen gelobt, aber lesen tut sie trotzdem fast niemand. Und so war es vermutlich immer.

Spontan fällt mir natürlich auch nicht ein, wie sich die Globalisierung in einem Roman verarbeiten ließe, aber ich bin überzeugt, dass man in 50 Jahren wieder wehmütig an unseren Stoffreichtum denken wird und das Gejammer wieder losgeht :)

Außerdem führt das meist sowieso zu nichts, wenn man auf Biegen und Brechen seine Schreibe ändern oder "der Zeit anpassen" will. Wenn jeder schreibt, was ihn interessiert und was er selber lesen wollte, renkt sich das mMn alles von selbst ein.

 

Außerdem führt das meist sowieso zu nichts, wenn man auf Biegen und Brechen seine Schreibe ändern oder "der Zeit anpassen" will. Wenn jeder schreibt, was ihn interessiert und was er selber lesen wollte, renkt sich das mMn alles von selbst ein.
Dem kann ich mich zu 100% anschließen. Man sollte stets die Geschichte erzählen, die man erzählen muß - von innen heraus. Wer Trends hinterherschreibt oder krampfhaft versucht, "Literatur" zu produzieren, der wird m.E.

a) nicht viel Spaß beim Schreiben haben. Und Freude bei allem was man tut, ist die Grundvoraussetzung für gutes Gelingen! ;)

b) wahrscheinlich immer einen Schritt zu spät sein. Trends warten nicht, bis auch der letzte Trittbrettfahrer sein Schäfchen im Trockenen hat. Das beste wäre also: Hinsetzen, eine wirklich gute Geschichte schreiben und u.U. selber einen Trend starten. ;)

c) "Checklisten-Literatur" erzeugen, die langweilig zu schreiben und langweilig zu lesen ist. Damit meine ich "dogmengesteuertes Schreiben", das unbedingt bestimmte Themen behandeln oder eine bestimmte Sprache benutzen muß. Eingeschränkt von sorgfältig zusammendiskutierten "Kriterien" dafür, was Literatur zu sein hat. Früher oder später endet das m.E. immer in einem "Bitterfelder Weg". Was daraus wurde, wissen wir ja...

d) verlernt irgendwann evtl., auf seine innere Stimme zu hören. Und die ist es, die in letzter Ursache alle Geschichten dieser Welt schreibt.

My last tuppence,
Markus

 

Die Medien spielen da sicher eine große Rolle, jeder weiß heute, wie es am anderen Ende der Welt aussieht, jeder hat Zugriff auf dieselben Informationen, jeder wächst irgendwie mit denselben Erfahrungen auf.
Daher wird es vielleicht schwerer, etwas zu erzählen, was die anderen nicht ohnehin schon wissen.
Das ist ein Punkt, den ich gut nachvollziehen kann. Im Gegensatz zu einer Zeit von vor fünfzig oder hundert Jahren werden wir heute mit Informationen zum Weltgeschehen geradezu bombardiert. Um ganz allgemein einigermaßen zeitgemäß informiert zu sein, bleibt einem eigentlich nur die Wahl, von allem immer nur ein bisschen zu wissen und zu verarbeiten - und damit immer hübsch an der Oberfläche zu bleiben. Für tieferes Verständnis bleibt oft keine Gelegenheit und Zeit mehr.

The Police kommentierten diesen eigentlich inhumanen Trend bereits in den Achtzigern mit Songs wie "Too Much Information" und forderten zum "Rehumanize Yourself" auf. Was ist seit damals daraus geworden? Die Antwort ist ernüchternd: Die Info-Welle scheint nur noch immer größer zu werden. In dieser Hinsicht leben wir in einem wahren Zeitalter der Superlative.

Da stellt sich für mich auch schnell die Frage nach den natürlichen Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit. Gleiche ich nicht umso so mehr einem völlig gefühlstoten Computer, je mehr Daten ich jeden Tag durch unsere heutige Umwelt aufzunehmen mir abverlangt wird? Ist die heute gebotene kulturelle wie gesellschaftliche Vielfalt die Hauptursache dafür, dass mir gar keine Gelegenheit mehr bleibt, meine mich umgebene Welt erlebnisreich anstelle von erlebnisarm wahrzunehmen? Wenn ich mich selbst frage, kann ich zumindest anführen, dass ich vor allem Zeit brauche, um etwas tatsächlich erleben zu können, und nicht nur als pure Datenansammlungen aufzunehmen. Auch muss ich möglichst frei von etwaiger anderer, reizvoller Ablenkung sein. Die Versuchung und Verführung, sich heute ständig abzulenken, oder vielmehr: ablenken zu lassen, war aber mMn noch nie so groß wie heute. Fernseher, Computer, Videospiele, Handys, 'zig Formen von Medien im Allgemeinen.. etc. pp. - jeder kennt die vielen Schöpfungen eines Kommunikationszeitalters wie diesem. Die reinste Lawine, die den Menschen als Individuum eher unter sich begräbt, als ihm förderlich sein kann.

Da wird es in meinen Augen umso sinnvoller, von Dingen zu erzählen, die nicht "entäußerbar" sind. Also meinem tiefsten, inneren Empfinden entspringen und sich nicht um gerade aktuelle Themen oder Regeln a la "Wie schreibe ich eine tolle Kurzgeschichte" scheren. Ohne dabei aber zu vergessen, ob mein Schreiben auch anderen etwas bedeuten könnte, bevor ich etwas zu veröffentlichen gedenke.

 

Keine Ahnung - wir sind doch die neue deutsche Literatur, oder?
Ja, wir. Echnaton, Horni, Philosophische Ratte und Wolkenkind.

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Datenvielfalt ist ein natürliches Produkt der Demokratie und des Kapitalismus, und hat dem Menschen enorme Vorteile und Freiheiten erbracht, ebenso wie viele neue Probleme. Das Hauptproblem ist für mich aber nicht, dass es so viel Information gibt, sondern wie genau wir mit diesen Informationen umgehen, sie aussortieren.

Ich will mal versuchen, von diesem Ausgangspunkt wieder zurück zu Echnatons zentralen Frage zu kommen, wie kann man die heutige Zeit literarisch bearbeiten?

Seit den 80er Jahren kennen wir das Phänomen des "Informations-Fetischisten", welches, nicht un-zufällig, zuerst in Japan formuliert wurde, wo es Otaku genannt wird. Wer näheres über das Thema Otaku lesen will, sollte dazu den Maßgebenden Essay von Volker Grassmuck, Allein, aber nicht einsam lesen, oder sich den Dokumentarfilm Otaku von Jean-Jacques Beineix ansehen.

Aber weiter im Text. Also, was ist ein Otaku? Viele kennen den Ausdruck vielleicht schon, als die Hardcore-Fans von japanischen Animes, Mangas und Videospielen beschreibend. Fans, die in eine bestimmte Serie verknallt sind, und davon jeden Comic, jedes Tape, jeden Modellbausatz und jeden sonstigen Merchandize Artikel sammeln wollen, und sich oft Kostüme ihrer Lieblingscharaktäre basteln, um sich dann so mit anderen Fans bei Comic-Conventions zu treffen und abzuhängen. Oft sind diese Fans so von ihrer Materie besessen, dass dies zum kompletten Ausschluss ihrer Umwelt, des RL, führt und sie auch selbst körperlich verwahrlosen (der typische Nerd eben: bebrillt, dick undgewaschen, unfrisiert). Der Begriff Otaku bezeichnet aber nicht nur Anime Fans, sondern kann viel weiter gefasst werden. So gibt es Otakus für Auto-Tuning, bestimmte Kleidermarken, Zierfische, Militaria, Computer-Hacks etc. etc. Ein klassisches Beispiel für einen westlichen Otaku wäre der Trekkie, der alles von Enterprise sammelt, und sich auf Conventions Spock-Ohren überzieht.

Jetzt fragt ihr euch sicher, was ist so interessant an diesen Otakus, und was hat das mit deutscher Literatur zu tun?
Also, die Otakus sind eben Leute, die in unserer Informationsgesellschaft versuchen, nicht nur oberflächlich zu bleiben, sondern sie legen sich auf ein Metier fest, und wollen dazu alle Informationen sammeln. Interessanterweise machen sie das mit trivialen Informationen, meist aus der Unterhaltungswelt. Sie sammeln also alle Modelbausätze einer bestimmten Anime-Serie, Cheats für Sega Spiele aus den späten 80ern, sie schauen sich Star Wars im Freeze-Frame an und picken alle Regiefehler heraus, etc. Wichtig ist hierbei nicht, zu welchem Thema man Informationen sammelt, sondern einfach dass man überhaupt sammelt.

Warum es solche Otakus gibt ist umstritten. Es hat sicher etwas mit der Unsicherheit zu tun, sich dieser Vielfalt an Informationen entgegenstellen zu müssen, auswerten zu müssen, und dabei immer noch zu wissen, dass man es nie schaffen kann mehr als nur an der Oberfläche zu kratzen. Deshalb beschränkt man sich auf ein kleines Feld. Das Sammeln, Katalogisieren und Fetischisieren von bestimmten Informationen wirkt Sinngebend und zugleich ist die triviale Art der Information unkomplizierter als der Umgang mit den "echten" Problemen unserer Welt.
Das andere Extrem ist die Beliebtheit von Verschwörungstheorien. Das ist dann quasi die Resignation vor der Informationsflut. Man kann nicht alles wissen, aber es steckt auf jeden Fall etwas ganz grosses hinter unserer Datenfassade, denn manchmal lassen sie sich ja blicken, die "Programmierfehler in der Matrix".
Auch wenn wir nicht alle Otakus sind, denke ich jedoch, dass in jedem von uns das Zeug zum Otaku steckt.

Was hat das ganze jetzt aber mit der Literatur zu tun?
Sehen wir uns einmal ein paar junge, deutsche Nachwuchsautoren an: Florian Illies, Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht, die Ostalgiebewegung, etc..

Für mich sind diese Autoren ebenfalls Informationsfetischisten. Sie Schreiben genau zu dem Zweck, betsimmte Trends, Lebensgefühle zu sammeln und zu katalogisieren. Ihre Bücher sind fast Listen. 2002 ist toll: Thailandurlaub, BMW, Schuhe von Manolo Blahnik, CD von den Strokes, etc. Als ich 1985 in der DDR 18 war, war toll: Exquisit Kaffe, die engen T-Shirts der Mädels bei den FDJ Jugendsport... blabla.

Das ist nicht unbedingt schlecht, und verkauft sich gut (vor allem bei nicht-Otakus, die selber keine Informationen Sammeln, aber denen es trotzdem Spass macht diese - trivialen! - Informations-Potpourris zu lesen und sich dann an längst vergessenes zu erinnern und sich wieder zu finden). Die besten, dieser Autoren, lassen immer auch ein Gefühl der Leere mitschwingen - Kracht findet es zB gar nicht so toll, dass er eigentlich nur ein ignorantes Konsumkind ist, Stucki findet Mediengestalten wie Birgit Schrowange kacke, etc.

Das Problem bei dieser Literatur ist für mich aber, dass sie sich immer noch im Diskurs befindet, wohingegen sie eigentlich den Diskurs von aussen betrachten sollte, um ihn überhaupt darzustellen zu können. Ganz wenige dieser Autoren schaffen es, sobald sie selbst zur heissen Info, zum Medienereignis geworden sind, einen Schritt weiter zu gehen, und nach Ursachen und Auswirkungen zu suchen, so wie das die Literatur früher einmal machte, sondern sie verwerten sich auf einmal selbst in ihren Listen.

Wie, also, kann man die heutige Zeit literarisch bearbeiten? Man sollte Informationen nicht fetischisieren, sondern den Prozess des Fetischisierens und/oder die Auswirkungen davon darstellen. In Amerika haben das Satiristen wie Easton Ellis geschafft, in Frankreich gibt es dafür Houllebecq und Despentes. Deutsche Autoren, die das geschafft haben gibt es noch nicht.

Was hat das also mit kg.de zu tun?

Teil II folgt ...

 

Hallo Echnaton!
Ich fürchte, ich kann zu diesem Thema nicht viel Konstruktives beitragen, da es mir an geeigneten literarischen Beispielen fehlt. Ich lese kaum Gegenwartsliteratur und speise meine Erfahrung dem gemäß aus Literatur vergangener Jahrzehnte.

Was fehlt Euch konkret in der neuen Literatur?

Ich möchte da für die Phantastik-Literatur sprechen, und zwar jene, die wir auf KG.de vorfinden. Mir fehlt der Mut zum Risiko! Fast jede Geschichte hier ist nach einer bestimmten Schablone gepresst, mitunter sogar deutlich an die Gussform ("liest sich wie King") erinnernd. Wir - und da nehme ich mich nicht aus! - schreiben meist mit der Angst im Hinterklopf, den Leser zu verstören, ihn mit etwas Unbekanntem zu konfrontieren. Dabei lieben wir es bequem: Wie schön, in der Horrorgeschichte läuft ein Werwolf rum, die Fantasy-Geschichte handelt von Zauberern und in der SF durchleben wir das zehn Millionste Zeit-Paraxoxon.

Dazu passend:

Gut, wie sollten wir wahrnehmen? Was sollten wir tiefer wahrnehmen, empfinden? Liegt es an der ständigen Bombardierung mit Werbung, Lärm, Nachrichten, Bildern?

In den USA gab es die berühmten "angry young Men", die sich einen Scheiß um Vorbilder scherten, um gut abgehangene Klischee-Plots, um moralische Zeigefinger, etc.
Ich würde mir wünschen, dass wir den Mut aufbrächten, das Bekannte hinter uns zu lassen und in den dunklen Wald zu schreiten. Möglich, dass wir mit etwas Verwirrendem konfrontiert werden und verändert daraus hervor gehen. Aber einen Versuch wäre es doch wert, denke ich. Ansonsten - ich spreche hier wirklich nur von "meiner" Schiene! - drehen wir uns munter im Kreis.

Ich denke da zB an Ira Levin ("Rosemary´s Baby", "Boys from Brazil") bzw. Will Friedkin ("Exorzist"), die vor etwa dreißig Jahren auf radikale Weise die Phantastik-Literatur umkrempelten, wie ein Wirbelwind hineinfuhren und keinen Stein auf dem anderen ließen. Ganz frech verbanden sie uralte Motive - Hexen, Dämonen, Exorzizien - mit gegenwartsbezogenen Elementen und schufen so den Nährboden für King&Co.
Ich könnte mir gut vorstellen (ist aber reine Mutmaßung), dass ihre Manuskripte dutzendfach abgelehnt wurden mit dem Hinweis, so etwas könne man doch dem Leser nicht zumuten und niemandem würde so etwas Abgefahrenes interessieren.
Das müsste uns auch gelingen: Den Leser zu überraschen. Ihn nicht sanft in den Schlaf wiegen, sondern ins Gesicht schlagen und anbrüllen. Etwa das, was die Splatterpunker vorhatten, aber woran sie scheiterten, da sie ihre Radikalität auf ein Element - den Ekel - beschränkten, wo es doch mehr bedarf, um Menschen aufzuwühlen.

All zu verlockend wäre es, auf die neuen Medien, den Stress, den technischen Fortschritt hinzuweisen und festzustellen, dass wir überfordert sind von der schieren Masse an Eindrücken.
Dem würde ich jedoch gerne mal widersprechen: Ich bin hundertpro davon überzeugt, dass JEDE Generation seit etwa 200 Jahren (auf ein Datum will ich mich festlegen; aber ich würde sagen, so etwa industrielle Revolution herum) sich dieser Situation ausgesetzt fühlt. Drehen wir das Rad hundert Jahre zurück: Autos, Flugzeuge, Radio, Telefon,... Wie atemberaubend muss all dies gewirkt haben auf die Generationen?
Ich abstrahiere jetzt einfach: Ist es verwegen zu behaupten, dass Handys, Internet, Computer, Herzschrittmacher, etc. im Grunde die selben verstörenden Faktoren sind? Dass sie "ältere Generationen" stumm vor Ehrfucht hinterlassen und jüngere begeistern?
Ich bin kein Historiker, aber vermutlich haben auch damals viele den Kopf geschüttelt und den viel zu raschen Wandel bejammert und befürchtet, künftige Generationen würden heillos überfordert von ihren eigenen Erfindungen werden. Heute fahren wir Autos, jeder hat ein Telefon, hört nebenher Radio und fliegt in den Urlaub.
Mit ist es deshalb zu billig, auf die Technisierung mit all ihren gesteigerten Elaboraten hinzudeuten, als wäre es etwas vom Himmel herab gestiegenes, das uns geistig überfordert.
Die subtilen Wahrnehmungen sind immer noch da: Der Lärm der Straßen, der Gestank der Städte, der Smog, die Neon-Reklamen können es nicht verdecken!
Warum sonst sind Lovecrafts Erzählungen, Frankenstein, Vampire, etc. immer noch beliebt, ja, beliebter denn je? Weil wir Menschen geblieben sind. Selbst wenn du dir einen Smoking anziehst, teure Ringe trägst und in der First Class im Flugzeug sitzt, bist du ein Mensch, gesteuert von deinen Instinkten. Wenn das Flugzeug plötzlich in ein Luftloch sackt, wirst du Grün im Gesicht und siehst dich bereits an die Flugzeugwände verteilt.

Oder haben wir wirklich "zu wenig" erlebt? Ich denke, wahres Erleben findet im Kopf statt.

Für die meisten von uns sicher. Wir müssen uns nicht mit Hungersnöten herumschlagen, Stammesfehden, Bürgerkriegen, etc. Anstatt uns zu fragen, ob wir im Winter genug zu essen haben werden, ob das Dach über dem Kopf dem Sturm stand hält und ob unser Kind heil vom Krieg nach Hause kommt, sorgen wir uns um unsere Pensionen, die Telefonrechnung und ärgern uns über unfähige Politiker.
Es gibt - falls es sie je gab! - keine großen Abenteuer für uns, wie sie in Hollywood-Filmen suggeriert werden. Statt dessen müssen wir sie "erfinden".
Ich gehe mal von mir selber aus: Ich staune immer wieder, welche Erlebnisse andere Menschen hatten, welche Erfahrungen sie sammelten. Mein Leben ist dermaßen öde, dass ich nur in Büchern und Filmen Zuflucht finde. Nicht, dass ich mich danach sehne, in einem Schützengrab mir die Hosen vollzupissen oder mich dem Herrn der Unterwelt zu stellen. Aber um ein Gefühl von Lebendigkeit zu bekommen, strecke ich immer wieder meine Hände nach dem ältesten unserer Gefühle aus: Der Angst.

Vielleicht hat die Jetztzeit einfach nichts mehr zu bieten?

Oberflächlich betrachtet mag das so scheinen. Und tatsächlich beziehen viele ihre Motive aus alten Stoffen. Deshalb die vielen Holocaust-Geschichte, Erinnerungen an Hiroshima und Stalingrad, Nacherzählungen alter Sagen wie Merlin oder die Nibelungen, nostalgisches Träumen von einer Welt voller Dinosaurier, etc.
Ich denke aber, man muss nur die Augen offen halten: Stell dir vor, irgend so ein Irrer entführt ein Flugzeug und lässt es in Temelin reinkrachen. Unwahrscheinlich? Vor drei Jahren hätte man die Ereignisse von 2001 als absurd abgetan. Und doch ist es geschehen. Es waren ganz normale Menschen, die ganz normale Flugzeuge entführten! Keine Aliens mit ihren Laserstrahlen vom Planeten XYDFDKLJF haben das WTC vernichtet - Menschen waren es.
Vielleicht haben die Leute Recht, die behaupten, Handys könnten Tumore erzeugen? In 30 Jahren vielleicht wird man zurückblicken und sich darüber wundern, wie fahrlässig wir mit dieser Gefahr umgingen, genau so wie die am. Regierung, die ihre eigenen Soldaten munter verstrahlte um zu sehen, was geschieht.
Oder die als Globalisierung getarnte Verschwörung der mächtigsten Konzerne der Welt. In ein paar Jahren wird es vielleicht nur noch drei, vier große Autokonzerne geben, zwei große Computererzeuger und zehn alles beherrschende Pharma-Konzerne.
All dies sind Entwicklungen, die nicht über Nacht statt finden. Da stecken Geschichten dahinter, kleine und große Triumphe und Tragödien. Wir müssen sie nur erkennen.

Was meint Ihr, sollten wir in der Schreibe ändern?

Ich für meinen Teil muss lernen, radikaler zu werden, gewissermaßen "darauf zu scheißen", ob eine Geschichte vielleicht gut ankommt, wenn ich dies und jenes streiche, dieses oder jenes Wort weg lasse. Bei den Plots mehr Risiko nehmen, bei den Charakterisierungen realistischer werden.
Jedenfalls nehme ich mir das schon länger vor. Keine Ahnung, ob´s gelingt.

Was ich als "guten Rat" für alle anderen Bereit halten möchte: Schreibt so, dass es eure Geschichte ist, hinter der ihr voll und ganz steht. :)

 

Ich möchte Rainers treffendem Plädoyer noch eine Kleinigkeit hinzufügen.
Richtig, wir haben "nicht viel erlebt", unser Leben besteht aus zur Arbeit gehen, SMS schreiben und Wer wird Millionär. Ungefähr. Wo sollten also andere Themen her kommen?
Antwort: Von anderen Menschen!
Ich plädiere dafür (und tue es), sich mit anderen Menschen intensiver auseinander zu setzen, sie kennenzulernen. Man erfährt von Erlebnissen, die man nicht selbst hatte, die man aber in Geschichten verarbeiten kann, z.B. indem man sich in die betreffende Situation hinein versetzt. Das Leben schreibt bemerkenswerte Geschichten, aber es hat keine Tastatur und kann sie nicht dauerhaft festhalten. Dafür sind wir Autoren zuständig.
Also, in Kneipen und auf Partys keinen Smalltalk halten und einander mit flachen Wortspielen übertreffen, sondern etwas über Menschen erfahren! Da gibt es garantiert einige Überraschungen ...

 

Zu meiner großen Freude, entwickelt sich hier eine äußerst interessante Diskussion.

Da jeder eine andere Definition von Literatur hat und dementsprechend völlig verschiedene Erwartungen an sie stellt, würde so eine Diskussion hier wohl zu nichts führen.

Das mag schon stimmen. Natürlich definiert jeder anders, empfindet anders. Andererseits wird in diversen Literaturbeilagen/Zeitschriften lamentiert, es fehle etwas. Warum? Da happerst doch irgendwo.

Sicher findet das wahre Erleben im Kopf statt, aber die erlebte Wirklichkeit ist immer irgendwo die Basis.
Ich glaube nicht, dass Grass oder Böll ohne den Krieg zu ihrem Nobelpreis gekommen wären...

Ja, das Erlebte ist immer die Basis, wir brauchen ja Erfahrungswerte. Andererseits betrachten wir doch mal die Literatur in Ländern, wo es nie Krieg gegeben hat (Nord- Südamerika, z.B. oder die Schweiz) Gut dort gab's und gibt es andere Umstände, die man als Basis für Literaur nehmen kann, was ja auch geschieht. Klüfte zwischen Arm und Reich, Kriminalität, Slumgürtel um die Großstädte etc.

Und wer meint, es gäbe keinen Tiefgang mehr, der gräbt wohl selbst nicht tief genug.

Ich denke da a innere Reflexion, Selbstgespräche, das Wahrnehmen der eigenen Gefühle, der eigenen Ängste, Sehnsüchte und die anderer Menschen. Da haben Uwe und rainer den Nagel auf den kopf getroffen. Menschen in Kneipen erzählen, wenn man sich für sie interessiert. Lebensgeschichten, die einem oft das Herz in die Hosen rutschen lassen. Auch in unseren Ländern. Man hört viel über Einsamkeit, Bindungsängste, Verunsicherung, vor allem die Einsamkeit.

auf seine innere Stimme zu hören. Und die ist es, die in letzter Ursache alle Geschichten dieser Welt schreibt.

Haben wir aufgehört sie zu hören, wird sie übertüncht mit der Informations- und Medienflut? Ich hab manchmal die Befürchtung, daß dem so sei.

Aber um ein Gefühl von Lebendigkeit zu bekommen, strecke ich immer wieder meine Hände nach dem ältesten unserer Gefühle aus: Der Angst.

Das ist eines der stärksten, wenn nicht das stärkste Gefühl. Angst ist überall irgendwie dabei. Ist man verliebt, lauert im Hintergrund die Angst des Verlassenwerdens, etc.

Ich für meinen Teil muss lernen, radikaler zu werden, gewissermaßen "darauf zu scheißen", ob eine Geschichte vielleicht gut ankommt, wenn ich dies und jenes streiche, dieses oder jenes Wort weg lasse. Bei den Plots mehr Risiko nehmen, bei den Charakterisierungen realistischer werden.

Diesbezüglich kämpf ich mit mir selbst. Ich bin ja vom Naturell her schon nicht der Mutigste. Experimentiere im Moment so herum, auch stilistisch. Bin aber unsicher diesbezüglich. Die Antike ist halt so einfach. Da kann man viel Alltagsleben reinflicken, Götter, Tempel, wahnsinnige Kaiser, Zauberer, Auguren, was weiß ich, da ist so viel Stoff.

Ich probier halt zweigleisig zu schreiben im Moment, versuche über Heutiges zu erzählen. Ich versuchs halt.

Der Apekt der Otakus ist sehr interessant. Ich bin irgendwie auch so einer mit meinem Antiketick.

Viel Stoff zum Nachdenken...

 
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Wenn man Menschen zuhört, erfährt man eine Menge. Und in den Geschichten, die man so erzählt bekommt, steckt Stoff für alle Romane dieser Welt. Dem kann ich mich nur anschließen. Die Frage, vor der man als Autor halt immer wieder steht: Was davon picke ich mir raus? Welche Themen stehen mir am nächsten? Und wie setze ich sie um?

Ein kleiner Blick auf meine eigenen Geschichten z.B. sagt mir, daß mir scheinbar zwischenmenschliche Themen eher liegen als gesellschaftskritische. Liegt dann halt an mir als Autor, das zu erkennen und das beste draus zu machen. Denn ich glaube nicht, daß es Themen gibt, die explizit "wertvoller" sind als andere. Und selbst wenn dem so wäre, kämpfe ich mit mir selbst darum, daß mir das egal ist. Weil ich sonst irgendwann gar nix mehr schreiben könnte - immer die "wird das diesen oder jenen Ansprüchen genügen"-Zensur im Hinterkopf kann einen nachweislich in den Wahnsinn treiben (mir hat es mal eine komplette dreijährige Scheibblockade beschert...).

Ich denke, am Ende hat jede Epoche die Literatur, die ihr entspricht - im Guten wie im Schlechten.

Word-User wie Stuckradt-Barre, Hennig von Lange und Konsorten sprechen eindeutig nicht meine Sprache und ihre Problemchen sind nicht die meinen. Und inzwischen nehme ich persönlich mir gerne die Freiheit, mich deshalb nicht als literarisch minderwertig zu fühlen. :D

 

@Echnaton

Der Apekt der Otakus ist sehr interessant. Ich bin irgendwie auch so einer mit meinem Antiketick.
Wie? Du sammelst auch jeden Comic, jeden Modellbausatz und jedes Kostüm der Heldencharaktere aus der Antike? :D

Wann gibt's denn das nächste Antike-Convention? :lol: ;)

 

Weil ich sonst irgendwann gar nix mehr schreiben könnte - immer die "wird das diesen oder jenen Ansprüchen genügen"-Zensur im Hinterkopf kann einen nachweislich in den Wahnsinn treiben (mir hat es mal eine komplette dreijährige Scheibblockade beschert...).

Da geb ich Dir vollkommen recht! Ich bräucht viel mehr Selbstbewußtsein. Leider laß ich mich da immer reinreiten, denk nach, finde dann meine eigenen Sachen schlecht und bin blockiert.

Mehr "sich nix scheissen" und mehr Vertrauen auf die eigene Urteilsfähigkeit (ich spür wenn mir was gelingt oder nicht eh ganz gut selbst).

Und inzwischen nehme ich persönlich mir gerne die Freiheit, mich deshalb nicht als literarisch minderwertig zu fühlen

eine sehr gesunde Einstellung, ich hoffe, ich komm auch mal dorthin...

 
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Wenn ich mir die Frage stelle, was ich generell von Literatur erwarte, komme ich zu der Antwort: ich will verzaubert werden, in andere Welten eintauchen, verstehen.
Hierbei meine ich nicht unbedingt Fantasy. Das eintauchen in eine andere Welt besteht für mich auch im Eintauchen in die Gedankenwelt anderer.
Wenn ein schriftsteller mir plausibel erklären kann, warum xy seine Mutter umbrachte, warum z seine große Liebe nur im Internet finden konnte, die Beziehung aber zerbrach, warum v sich das Leben nahm, nachdem w ihn einen dummen Pisser nannte...
Ich will geschichten lesen. Geschichten, wie sie hätten passiert sein können, will von den Gedanken und Gefühlen anderer lesen, will mich in manchen Charakteren widerfinden, sie lieben, sie hassen, will mit ihnen leben, will von ihnen beeindruckt werden. DAS macht für mich gute literatur aus.

Sicher, unsere Generation hat nicht so wahnsinnig viel Schlimmes erlebt. Doch was ist mit den "kleinen" Grausamkeiten rund um uns herum? Mir will doch jetzt keiner weismachen, daß unsere Welt perfekt ist? Warum dann bringen sich Menschen um?
Ja, wir müssen nicht mehr wirklich um unser täglich Brot kämpfen, müssen nicht unser Haus verteidigen, haben es in vielen Dingen leichter. Doch ich glaube, ich bin nicht die einzige, die schon einmal von Menschen früherer Generationen gehört hat, daß sie in der heutigen Zeit nicht mehr jung sein wollten...

Es ist nur rudimentär wichtig, was ein Autor selber erlebt hat, viel wichtiger ist, daß er die Handlungen seiner Protagonisten plausibel erklären kann. Das wiederum kann er nur, wenn er sich in den Charakter des Prots versetzen kann.

Literatur ist für mich nicht gleich Erlebnisbericht. Das Grauen, aus dem wir schöpfen können (so das denn tatsächlich für die Literatur notwendig ist), begegnet uns jeden Tag. Man muß nur hinschauen, hinhören, zwischen den Zeilen lesen.
Eine ganz normale Alltagssituation und du denkst einfach, was wäre wenn, spinnst den Gedanken weiter, schreibst ihn auf und schon hat man es.

Menschen handeln in den meisten Situationen je nach Charakter ähnlich. Wieso sollte ich nicht eine Story im Kriegsgeschehen plazieren können, nur weil ich noch keinen Krieg miterlebt habe?

Wer als Autor nicht genug Fantasie besitzt, sich vorzustellen, wie er z.B. im Krieg eventuell empfinden und handeln würde, hat meiner Meinung nach die Bezeichnung Autor nicht verdient.

Natürlich stellt sich dann noch die Frage, warum man selber schreibt. Hat man etwas zu sagen oder schreibt man nur, um dem Leser zu gefallen (was man sicher immer auch ein wenig will, logisch), Ruhm zu erlangen. Ich denke, daß man den Romanen oder KGs (oder was auch immer) ansieht, ob ein Autor nur die Masse bedienen wollte.

Ich persönlich möchte etwas erzählen. Es gelingt mir noch nicht immer, das, was ich sagen will, auch rüberzubringen, aber ich bin am Üben.
Wenn ich damit erfolgreich bin, gut, wenn nicht, ist es zwar schade, aber ich bin mir wenigstens treu geblieben.
Meine Themen sind oft ungewöhnlich, Tabuthemen oder eben Dinge, die nicht "aktuell" sind. Sind sie deshalb schlecht? Sind sie es deshalb nicht wert, erzählt zu werden? Nein, glaub ich nicht. Schlecht sind meine Geschichten nur dann, wenn ich sie schlecht schreibe.

Und darum: ...ich will so schreiben wie ich bin...

 

Hallo Magd!
Bitte, könntest du dir angewöhnen, Groß-Kleinschreibung zu verwenden sowie Absätze zu machen? Nimm´s nicht persönlich, aber solche wortschlangen animieren zumindest mich nicht zum Lesen.
Danke.

 
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Bitte. Mach ich doch gerne, wenn du mich so lieb darum bittest.
Schau mal, ich überarbeite das Ganze jetzt gleich für dich sogar noch einmal. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen, werter Herr... ;)

 

@die-magd

Deinen Beitrag finde ich interessant, weil er innerhalb dieser Diskussion erneut einen völlig anderen Blickwinkel eröffnet. Damit bleibt dieses Thema lebendig.

Allerdings bin ich in Bezug zu deinen Argumenten sehr entgegengesetzter Ansicht.

Ich finde es nicht ehrlich, von etwas zu erzählen, das man nicht einmal annähernd selbst erlebt hat. Das wäre ungefähr so, als wenn jemand behaupten würde, eine Fremdsprache so gut erlernt zu haben, dass man ihn von einem Muttersprachler dieser Sprache nicht mehr unterscheiden könne. Oder wenn jemand vom Fliegen erzählen will, obwohl er selbiges bisher nur aus dem Fernsehen oder diversen computergesteuerten Flugsimulatoren kennt. Oder noch ein anderes Beispiel: Wir meinen vielleicht zu wissen, was im Inneren eines Kindes vor sich geht. In Wirklichkeit projizieren wir jedoch nur unsere persönlichen Vorstellungen in jenes Kind hinein und nehmen diese uns selbst vorgetäuschte, subjektiv bleibende Wirklichkeit für bare Münze.

Auch ein Erfolgsautor wie der vielzitierte King (und all die anderen) weiß aber wohl vielmehr, was seine Leser glauben wollen, und nicht, was diese auch glauben können oder gar noch, was der Realität entsprechen mag. Diese ist nämlich, wir wissen das aus zahllosen Beispielen aus der Gegenwart oder der Geschichte, oft per se einfach unbeschreiblich (Holocaust, Vietnam, usf..) !

Ich glaube sogar, dass es vorkommen kann, dass ein authentischer Tatsachenbericht unglaubwürdiger klingen kann, als so manch eine fiktive Erzählung. Beispiele dafür sind etwa die zahlreiche Berichte über Entführungen von Außerirdischen, die allgemein für fiktiv anstelle von real gehalten werden. Andersherum gibt es aber auch einige berühmte Beispiele für real gehaltene, jedoch völlig fiktive Geschichten, wie zum Beispiel Wells Krieg der Welten, Poes Arthur Gordon Pym oder auch die Illuminaten-Triologie. Das zeigt schon mal die (allzu-)menschlichen Grenzen dafür, was nun eigentlich als "glaubwürdig" gelten kann und was nicht.


Sicher, grundsätzlich gilt natürlich, dass die Literatur naturgemäß fiktiv ist und dass der Autor nicht zwingend einem seiner Figuren entsprechen muss und diese Dinge. Ich finde es aber sehr gefährlich, einem jeden das grundlegende Potenzial zuzusprechen, etwa über Kriegserlebnisse erzählerisch berichten zu können, nur mit der mutmaßenden Annahme, dass auf gewisse Umstände und Lebensverhältnisse schon jeder Mensch so ungefähr gleich handeln würde, so dass es im Rahmen der Glaubwürdigkeit bleibt (so habe ich eine deiner Ausführungen verstanden). Ich meine, Erlebnisse sind nicht einfach durch vorweggenommene bzw. fremde Vorstellungen ersetzbar, auch wenn der erzählende Autor noch so begabt sein mag. Dir persönlich mag es vielleicht so erscheinen, weil du gewisse Erlebnisse, über die du in Geschichten liest, noch niemals selbst erlebt hast (besonders natürlich, wenn diese aus der Phantastik kommen). Damit bist du zugleich aber auch ein herzlich schlechter Urteilsgeber zu dieser Frage.


@allgemein

In dieser Diskussion hier geht es unter anderem um "erlebnisarme Wahrnehmung", die offensichtlich zu einem Problem in der jungen Literatur geworden ist (so zumindest die Annahme). Ein weiteres Problem besteht vielleicht auch darin, dass diese "erlebnisarme Wahrnehmung" von der jungen Generation gar nicht als solche wahrgenommen wird! Schriftsteller haben zwar besondere Vorlieben (eben das Schreiben). Das heißt aber noch lange nicht, dass diese gegenüber anderen Menschen irgendeine besondere oder weitergehendere Wahrnehmung haben müssen.
Man erkennt nur, was man kennt. meinte einst Goethe. Und das ist wohl wahr, solange es Menschen geben wird. Und damit ist es auch gut möglich, dass eine ganze Generation ihrer eigenen Naivität nicht anders als blind gegenübertreten kann (d.h., es wird natürlich noch nicht einmal zu einer Auseinandersetzung kommen, denn dafür braucht es gegensätzliche Standpunkte).

 
Zuletzt bearbeitet:

@PhiloRatte
Ich denke, die Frage, ob man bestimmte Themen, und im speziellen Krieg o.ä., nur dann beschreiben kann, wenn man sie erlebt hat, läßt sich ganz gut mit Rainers Aussage über die Angst verknüpfen:
Für eine Geschichte über die Schrecknise des Krieges ist nichts so wichtig wie die Angst. Alles in einem solchen Szenario ist Angst - Angst, getötet zu werden, Angst vor Schmerzen, Angst, Haus und Hof zu verlieren, Angst um die Liebsten, Angst um das Vaterland, Angst um den Zustand der Welt. Dies sage ich nicht aus der Erfahrung heraus, selbst im Schützengraben gelegen zu haben, was freilich nicht der Fall ist, sondern einfach aufgrund meiner Erfahrung mit diverser Kriegsliteratur (oder Filme, etc.).

Nun glaube ich, daß Angst etwas Grundsätzliches ist. Eine Art Urgefühl (was wohlgemerkt nicht heißen soll, daß es das einzige Urgefühl sein muß).
Wenn ich einen Zahnarzttermin habe, dann empfinde ich Angst. Wenn ich frisch verliebt bin, dann empfinde ich Angst. Wenn ich auf dem Beifahrersitz eines 160-fahrenden Autos sitze, wenn ich dazu überredet werden soll, Achterbahn zu fahren, wenn man mir Tanzen beibringen will, wenn ich ein Referat halten soll, dann empfinde ich nichts als pure Angst.

Bleibt nun die Frage, ob die Angst, die ich während eines Krieges empfinden würde, irgendwie anders wäre. Ich vermute (und nicht mehr) - nein. Warum?
Nun, meine Angst vor der Liebe und meine Angst vor dem Zahnarzt sind, oberflächlich betrachtet, grundverschiedene Dinge. Trotzdem ist das mulmige Gefühl, das mich so fertig macht, für mich das gleiche.
Kriegsangst ist eine existentielle Angst, aber die Angst, die ich habe, während ich in einem rasenden Auto sitze ist nichts anderes. All das läßt mich gleiches empfinden - warum sollte Kriegsangst da eine Ausnahme sein?

Daher denke ich, daß Angst, welche für mich eines der Kernaspekte jedweden nachdenkenswerten Themas ist, von jedem Menschen empfunden wird und sich in ihren verschiedenen Formen nicht grunsätzlich unterschiedet. Davon ausgehend kann auch jeder Mensch über Krieg schreiben, ganz gleich, wie weit seine Erfahrungen mit diesem Gegenstand tatsächlich gehen.

Nun habe ich Krieg auf Angst reduziert, was nicht sehr genau zus ein scheint. Aber ich denke, alles andere ist entweder direkt mit Angst verbunden oder bloßes Drumherum. Sicher weiß ein Stalingrad-Überlebender sehr viel genauer, wie es ist, wenn um einen herum der Tod regiert und alles Menschentum vergeht. Aber kann er es deswegen realistischer beschreiben...? Das ist für die Wirkung eines Kriegsromans mMn unerheblich. Ich kann solcherlei Dinge rekonstruieren, aus Filmen, aus Geschichten, aus Tagebüchern, aus Träumen, aus bloßer Phantasie - es wird auf diejenigen, deren Erfahrungen den meinigen ähneln, echt wirken. Niemand wird merken, daß es erstunken und erlogen ist.

Vielleicht, wenn ich eine Kriegsgeschichte schriebe und sie 1946 einem Kriegsgefangen in Sibirien vorlesen würde, sie käme nicht an und würde Kopfschütteln ernten.
Aber darum geht es nicht, weil es darum nicht gehen kann. Ich behaupte mal ganz frech, daß es auf dieser Seite keinen gibt, der direkte Erfahrungen mit Krieg hat - aber jeder hier kennt das Gefühl der Angst. Jeder! Und das reicht völlig, oder?

@all
Was mich besonders an der Diskussion in dem, diesem vorausgegangenen, thread ärgert, ist, daß man so sehr darauf bedacht ist, zu sagen, man schreibe um der Unterhaltung willen, und es sei falsch, Tiefsinniges schreiben zu wollen. Da frage ich mich doch - warum?
Goethe hat seinen Faust auch nicht aus dem Bauch heraus heruntergeschrieben. Dieses Werk ist Philosophie pur, durch und durch konstruiert und auf Tiefsinnigkeit angelegt. Ist es nun deswegen schlecht? Auch in der heutigen Zeit schlecht?

Und das bringt mich zum Thema dieses threads: Wieso über angeblich "aktuelle" Problematik schreiben müssen, um Tiefsinniges zu erzielen? Wenn man sich die Mühe macht, nach aktuellen Problemen zu suchen, hat man mMn schon verloren. Es gibt sie nicht, oder nur als Oberfläche.
Ob Gryphius über den 30jährigen Krieg schreibt, ob Grass über die Nazizeit schreibt oder ob man über Globalisierung schreibt - es reduziert sich doch immer auf das Grundsätzliche. In diesem Falle, wir ahnen es schon, auf die Angst. "Angst" läßt sich auch gerne durch Liebe oder Hass, Tod oder Leben, Lust oder Leiden ersetzen. Was ist das alles? Gefühle, Instinkte, Triebe? Es ist Mensch. Schlicht und ergreifend Mensch.

Wenn ich das Thema des Faust in einem Wort zusammenfassen müßte, so würde ich sagen: Mensch.

Meine Antwort auf die Ausgangsfrage ist also, einfach darüber zu schreiben, worüber schon immer geschrieben wurde. Ich persönlich habe den Anspruch, tiefsinnig zu schreiben, den Menschen und mich selbst zu ergründen.
Bin ich jetzt ein größenwahnsinniger Autor? Weil ich zugebe, bewegen zu wollen?

Somit halte ich derlei Debatten für schon im Ansatz falsch, für eine Diskussion, die nur in einer völlig trivialisierten, banalen Literaturwelt überhaupt geführt werden kann.

PS: Nicht falsch verstehen - ich finde den thread wie auch den vorhergehenden äußerst interessant und will ihn also keineswegs madig machen. :)

 

@PhiloRatte:

Ich finde deinen Standpunkt ehrlich gesagt etwas merkwürdig. Darf ich nur über einen Mord schreiben, wenn ich selber schon mal jemanden umgebracht habe???

Letzten Endes geht es in Geschichten doch immer wieder um die ureigenen menschlichen Dinge: Liebe. Angst. Tod. Verlust. Verrat. usw. Und die haben wir alle irgendwo schon mal erlebt. Wie intensiv wir das erlebt haben bzw. wir uns damit auseinandersetzen ist denke ich Teil dieser Erlebnisarmut-Sache. Nichtsdestotrotz wäre die Welt der Literatur sehr leer und trostlos, wenn jeder nur über das schreiben dürfte, was er/sie wirklich erlebt hat. Wieso kann ich mir nicht für die Dinge, die ich sagen will, ein Sujet aussuchen, das mir passend erscheint, und mir die Details durch Recherche erschließen? Ich denke jedenfalls nicht, daß Shakespeare tatsächlich selbst mit Gespenstern parlierend durch dänische Schlösser wandelte, daß Schiller mit Maria Stuart Tee trank oder Arthur C. Clarke tatsächlich auf dem Mond war... ;)

 

@falk:

Was mich besonders an der Diskussion in dem, diesem vorausgegangenen, thread ärgert, ist, daß man so sehr darauf bedacht ist, zu sagen, man schreibe um der Unterhaltung willen, und es sei falsch, Tiefsinniges schreiben zu wollen. Da frage ich mich doch - warum?
Vielleicht mißverstehst du da etwas. Ich zumindest schreibe nicht nur um der Unterhaltung willen und mache einen Bogen um allen Tiefgang. Ich sage nur, daß eine gute Geschichte diesen "Tiefgang" (allmählich werd ich allergisch gegen das Wort...) von ganz alleine besitzt. Ihn absichtlich "reinzubasteln" halte ich allerdings für Krampf und eher kontraproduktiv, weil dabei m.E. "Zeigefinger-Literatur" oder so überfrachtete Eskalations-Symbolismus-ich-will-den-Nobelpreis-Literatur herauskommt.

 

Ihn absichtlich "reinzubasteln" halte ich allerdings für Krampf und eher kontraproduktiv

Eben das meine ich. Genau das gefällt mir und ich denke, es funktioniert bisweilen auch blendend - siehe das Beispiel Faust.

 

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