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Der rote Teil des Meeres

Seniors
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06.02.2002
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Der rote Teil des Meeres

Überarbeitung hier.

Hinter dem Sicherheitsglas und der grauen Masse des Mittelmeeres wird es Tag, blutrot und kitschig.
Ich starre über den weiten Balkon hinaus nach draußen, und hinter mir erklingt aus den Lautsprechern ein Lied über Rosen. In meinem Kopf toben Gedanken wie ein Gewitter, doch körperlich fühle ich mich seltsam entrückt. Mir kommt ein sehr seltsamer Einfall: Der rote Teil des Meeres, so denke ich, verschluckt das Morgen.
Keine fünf Minuten später steht Mallorca-Gerd mir so nahe gegenüber, dass man ihn küssen könnte, und seine Augen sind weit und blutunterlaufen. Er murmelt etwas Unverständliches, und ein letztes Mal bläst er mir seinen sangriafruchtigen Atem entgegen.
Dann seufzt er, taumelt und fällt rücklings zu Boden, wobei sein Hinterkopf beim Aufschlag auf die dunkelroten, sündhaft teuren Marmorfliesen ein derartig dumpfes Knirschgeräusch verursacht, dass er mir für einen Augenblick beinahe leid tut.
Wie paralysiert bleibe ich stehen, starre weiterhin in den Sonnenaufgang und muss mich nach einer Weile dazu zwingen, in die Realität zurückzukehren.
Er atmet noch; sein Bierbauch ragt empor wie ein wankender Vulkan, der aus der Stichwunde unablässig Lava spuckt; ich glaube zwischen all der weißen, braunen und roten Flüssigkeit sogar einen grünlich schimmernden Farbton zu entdecken, traue mich aber nicht, näher hinzusehen, wie sich sein Kaschmirpullover mit ihm voll saugt. Ich fürchte, mich übergeben zu müssen.
Man singt immer noch von Rosen, die ganze Scheibe scheint von nichts anderem zu handeln. Malle-Gerd mag sie sehr, diese stachligen Pflanzen, hinter der Villa blühen sie zu Dutzenden.

Gerade als die Boxen gesagt bekommen wollten, wo die Blumen sind, stach ich ihm das Messer in den Wanst.
Ich drehte mehrmals am Griff, bis er schlüpfrig wurde, und als ich das Messer herauszog, fiel er um wie ein gefällter Baum.

Ich bin mir sicher, dass er nicht überleben wird. Nicht in seinem Zustand, nicht mit einer derartigen Verletzung, nicht ohne sofortige Versorgung.
Nun liegt Mallorca-Gerd also vor mir, hilflos und schwach, mit viel Weiß in den Augen und einem Zittern im aufgedunsenen Gesicht, und ich stehe im Abendkleid und mit Mordwaffe da und lasse mir die ersten, schwachen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen...
Wie pietätlos.
So knie ich mich neben ihn auf eine unbesudelte Stelle des kalten Marmors um ihn herum, versuche zu lächeln und beuge mich über ihn, so gut es geht.
Meine Haare fallen ihm entgegen und rahmen sein immer bleicher werdendes Gesicht ein, auf dem der Tagesanfang malt wie ein Kind.
I wanna lie in a bed of roses, behaupten die Lautsprecher.
Er atmet immer noch, flach aber beständig, hört man genau hin und achtet nicht auf die Musik.
Ich hasse dieses Rasseln seiner verschleimten Kehle. Für einen Augenblick habe ich den Impuls, sie ihm zu zerfetzen. Ihn zu würgen oder sein Gesicht zu zertreten, all das geht mir in diesem kleinen Zeitsplitter durch den Kopf, Bilder, so wie man sie aus den kurzgeschnittenen Gewaltszenen mancher Horrorthriller kennt.
Doch mir fehlt die Kraft.
Stattdessen hauche ich ihm ein „Schwein“ ins Gesicht und bade einen Moment in seiner Hilflosigkeit.
Er hebt eine Hand, ich erschrecke, aber sie sinkt sofort darauf kraftlos zu Boden. Willst mich anfassen, Schwein? Nie wieder, nie wieder.
Dann reiße ich mich von seinem Gesicht ab und wische das Messer an seiner Chino-Hose ab.
Es kommt mir immer schwerer vor, dieses Messer, und es braucht ein wenig Mühe, überhaupt wieder aufzustehen. Länger als ich dachte muss ich neben ihm gekniet haben, denn das in meine Beine zurückströmende Blut verursacht ein widerliches Kribbeln.
Mallorca-Gerd zuckt leicht, als ich ihn verlasse. Noch einmal fängt er an, kraftlose unverständliche Satzfetzen zu stammeln. Ich nehme sein kleines silbernes Mobiltelefon vom Glastisch. Meister, Meister, gib mir Rosen, Rosen auf mein weißes Kleid, verlangt die Musik noch, dann schließe ich die Tür hinter mir und werfe das Motorola zusammen mit dem Messer in eine Mülltonne neben seiner Hauseinfahrt.
Mir ist nicht einmal kalt, obwohl es noch so früh ist. Ich wende mich, an der schlecht ausgebauten Straße angekommen, nach rechts, werfe meine hochhackigen Schuhe hinter einen der vertrockneten Büsche und gehe talwärts.

Den ersten Kilometer denke ich gar nichts. Mein Gehirn ist abgestellt, kein Gedanke existent. An – aus. Funkstille. Ich würde jetzt wirklich gerne irgendwas einschmeißen, ganz egal was.
An einer scharfen Kurve kommt mir ein klappriger Pritschenwagen mit Friedenstaube auf dem Tankdeckel entgegen und hupt wild, während der zahnlückige Fahrer versucht, gleichzeitig zu lenken und eindeutig zu gestikulieren.
Ich lächele ihm nach und hoffe, noch während ich diese Grimasse schneide, an einen Unfall. Erst dann wird mir bewusst, dass meine rechte Hand noch von Malle-Gerds Körperflüssigkeiten beschmutzt ist. Augenblicklich wird mir schlecht und ich erbreche mich haltlos im Straßengraben, wobei ich mir die Beine an einem Dornengeflecht zerschneide.
Ich wische alles mit einem nett geschnittenen Zipfel des Kleides ab, bevor ich weiter gehe.
Der Wind küsst das Blut auf meiner sorgfältig enthaarten Haut, und die Gedanken kommen wieder.

Vom Flieger aus betrachtet liegt diese Insel im Meer wie eine gebrochene Frau auf den Laken. Wie weit war alles gekommen. Ich musste meine Tränen unterdrücken, während wir zum Landeanflug übergingen. Also setzte ich meine Sonnenbrille auf, die ohne Rahmen, und die urbane Fratze Palmas spiegelte sich darin.
Mallorca-Gerd war ein hässlicher, lärmender Mensch mittleren Alters, der zu schnell an zu viel Geld gekommen ist. Mit seinen Immobiliengeschäften finanzierte er sich ein paar abartige Neigungen, draußen in der kahlen Einöde, in der Villa mit Blick auf das Meer.
Der Taxifahrer wusste sofort, wohin er fahren musste, und der Senior beglich großzügig den überteuerten Fahrpreis, nachdem wir angekommen waren.
Meine Gedanken fließen ineinander und verrühren sich zu einer dickflüssigen Masse, welche die Zeit vertreibt.

Junge Frauen. Er wollte junge Frauen, die das Geld brauchten und abschalteten, stillhielten.
Sein Pech, mein Pech: Er ging zu weit, es ging nicht.

Zuhause wohnte ich nahe einer Hundeschule. Eines Tages ließ man wieder alle neuangekommenen Hunde auf die Wiese, damit sie um die Rudelfolge balgten.
Wie immer stürzte sich die ganze Meute unter höllischem Gebell aufeinander. Bis auf einen Husky, der seelenruhig auf einem nahen kleinen Hügel im Gras saß und den Kampf betrachtete.
Erst nachdem sich ein Schäferhund den ersten Platz im Rudel erkämpft zu haben schien, griff er das kräftige, aber ausgelaugte Tier an und besiegte es.
Mallorca-Gerd war so wie der Husky gewesen, irgendwie.

Einen Schritt vor den anderen. Der oftmals brüchige Asphalt ist noch kühl von der Nacht, aber die Sonne wird immer stärker. Ich habe die Brille vergessen, verdammt. Sicherlich habe ich schon Schweißflecken. Meine Fußsohlen tun höllisch weh, aber irgendwann legt sich der Schmerz.
Vor mir liegt der nächste Ort, ein kleines heruntergekommenes Dorf, das sich in den Schatten des kahlen Berghanges krallt und dort wohl oft übersehen wird.
Ich streiche durch meine Haare. Ich habe sie rot gefärbt und mir Rastas machen lassen.
„Wie Napalm“, hat Mallorca-Gerd gesagt, als er es mit seinen Fettfingern berührte, und dabei lachte er ekelhaft und ich lächelte.
Inzwischen bin ich nicht mehr als ein Körper. Schaue nach innen.
So gehe ich weiter, ohne zu wissen wohin. Vielleicht zum Flughafen. Aber ich habe kein Geld. Mal sehen, ist doch scheißegal erst mal.
In den Gassen längs der Straße kommt mir eine alte Frau entgegen, starrt mich an, ich starre zurück, ihr zerfurchtes Gesicht tritt aus dem Schatten hervor, die Sonne malt darauf, ihr Gesicht quillt auf, ihre Augen werden groß, ihre Haare fallen zu Boden.
Mallorca-Gerd grinst mich böse an und lacht höhnisch, sein fetter Kopf auf den schmalen, gebeugten Schultern der Alten, unnatürlich weit herumgedreht, mich zu verspotten...
Ich taumle weiter, stoße gegen irgendetwas, verliere das Gleichgewicht, stürze nach vorne, Grün empfängt mich.
Ich greife in Pflanzen, unter mir zerspringt etwas, eine Welle von Schmerz, lautstarkes Gezeter, mein Bauch fühlt sich komisch an. Meine Hände greifen umher, stoßen um, ich krümme mich zusammen und schreie, schreie, bin nur noch Schrei, mein Bauch schmerzt, fremde Stimmen, wo, was und warum splittern durch meinen Schädel...

Ich bin mitten in einen der kleinen Stände hineingelaufen, von denen aus man vorbeifahrenden Touristen Blumen verkaufen möchte. Die Verkäuferin, ich sehe sie nicht, aber höre sie keifen, jemand greift nach mir, ich schlage nach ihm; um mich herum Blüten und Blätter, Schmutz und Tonscherben, was ist mit meinem Bauch, ich rudere ziellos mit den Armen, als drohe ich zu ertrinken, die Welt ist ein Schrei, mein Schrei, den nur die heranjaulenden Sirenen übertönen.

 

Hallo Paranova,

deine Geschichte gefällt mir gut. Du beschreibst die Situation sehr intensiv, mit vielen passenden Bildern. Richtig finde ich auch, daß du die Hintergründe nur andeutest, nicht beschreibst. Explizitere Darstellungen der Gründe, warum die Frau den Mann ersticht, hätten der Geschichte nur geschadet.

Ein paar Details, die beim Lesen störten:

Dann reiße ich mich von seinem Gesicht ab und wische das Messer an seiner Chino-Hose ab.
Von einem Gesicht abreißen? Auch als Bild gefiel mir das nicht so sehr.
werfe meine hochhakigen Schuhe
"hochhackigen".
wo bin ich, was bin ich, warum...
Fand ich unglücklich an dieser Stelle, da der Spruch eher in unernsten Situationen fällt (als ich am nächsten Morgen mit nem Mörderkater aufwachte, dachte ich nur: Wo bin ich,...)

Gruß
Rainman

 

Hallo rainman,
auf nähere Hintergrunds-Beschreibungen wurde bewußt verzichtet, schön, dass das honoriert wird.
Das fehlende "c" wurde ersetzt, bei den anderen beiden Anmerkungen muss ich mal schaun, gerade das "wo bin ich" kann anscheinend einiges kaputt machen, wenn man es so aufnimmt wie du. Eigentlich war es weder trivial noch ortsbestimmend gemeint. Sondern eher als Zeichen von Orientierungslosigkeit, Verwirrtheit, wie es so weit kommen konnte, Fassungslosigkeit. Sollte das nicht rüberkommen, muss ich mir natürlich was ausdenken.
Vielen Dank für´s Lesen und deine Anmerkungen.
...para

 

Hallo Paranova,

es ging mir nicht um das "Wo bin ich" alleine, sondern um die Kombination "Wo bin ich, wer bin ich, warum bin ich?". Letztere kenne ich halt nur aus eher spassig gemeinten Situationsbeschreibungen.

Gruß
Rainman

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey, immerhin kein "warum bin ich", das musst du mir lassen...

Habs jetzt erstmal geändert, ist das besser? Oder weißt du was?
:shy:

 

Hallo Paranova,

mir persönlich gefällt es so besser. Ist nur schade, dass noch niemand sonst sich zu dem guten Text geäußert hat, vielleicht hab ja nur ich das so empfunden. In dem Fall wärst du zu voreilig gewesen :)

Hey, immerhin kein "warum bin ich", das musst du mir lassen...
Na gut: *augezudrück* :)

Gruß
Rainman

 

Servus Paranova!

Du hast die Empfindungen und auch Gedankengänge die sich in dieser Ausnahmesituation wohl nicht realisieren und einordnen lassen gut beschrieben. Es ist, wie du sagst, das Erleben einer paralysierten Frau. Dennoch bewegt sie sich blindlings weiter bis sie verloren in ihrer Gedankenwelt in ein Hindernis läuft und erwacht. Es ist eine gut gemachte Momentaufnahme.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

hallo para,
ich sage es dir: das ist keine schlechte geschichte, aber es ist keine gute para-geschichte. das ist aber kein echtes makel, ich find den inhalt nur ein wenig zu klassisch und auch die umsetzung ist nicht sehr neuartig, wenn auch gelungen.

ja, hmm, konkret ist mir aufgefallen dass du um einen sehr ausgefeilten stil bemüht bist. aber es solte mir nicht auffallen.

ich finde stellen wie "der oftmals brüchige asphalt" oder "bis der griff schlüpfrig wurde" für misslungen.

schlüprig ? im sinne von glitschig vom blut? ich finde schlüpfrig unpassend.

und "oftmals brüchig" ist auch unangenehm. weil oftmals bezieht sich auf zeit, aber eine strasse dehnt sich ja eher im raum aus als in der zeit. oftmals brüchig meint für mich eher dass die ein und die selbe stelle oft mal brüchig ist, aber halt nihct immer. irgendwas stimmt da nicht.

alles in allem aber eine gute geschichte, für dich aber nicht mehr als eine stilübung

 

Hi para,

diese Geschichte lebt von der intensiven, lebendigen Erzählweise. Einige besonders gelungene Stellen:

- rahmen sein immer bleicher werdendes Gesicht ein, auf dem der Tagesanfang malt wie ein Kind.

- und wische das Messer an seiner Chino-Hose ab. -> ganz wichtig, diese Details: Es ist nicht einfach eine Hose, es ist eine Chino-Hose (was immer das ist)

- werfe das Motorola zusammen mit dem Messer in eine Mülltonne neben seiner Hauseinfahrt. -> hier auch: Es ist nicht ein Handy, es ist ein Motorola (ich werfe meins demnächst auch weg)

- Malle-Gerd -> das ist ein kreativer, charakterisierender Name.

- liegt diese Insel im Meer wie eine gebrochene Frau auf den Laken.

- ich krümme mich zusammen und schreie, schreie, bin nur noch Schrei

Einen Fehler habe ich noch gefunden:

hoffe, noch während ich diese Grimasse schneide, an einen Unfall. -> auf einen Unfall

Das Geschehen steht in der Tat für sich, und der Leser erfährt alles, was nötig ist, obwohl einige Fragen offen bleiben. Zum Beispiel der Vergleich mit den Hunden, der nur einen Charakterzug des Malle-Gerd beleuchtet, der scheinbar in keinen direkten Zusammenhang zum Geschehen steht. Unpassend erscheint es mir zwar nicht, aber ein weiterer Satz wäre vielleicht nicht schlecht. Warum die Frau am Ende zerbricht, nur weil sie ihren Peiniger umgebracht hat, vermutlich sogar in Notwehr, liegt vermutlich an ihrer Persönlichkeit. Das mit der "gebrochenen Frau" deutet sowas an, aber ich mag jetzt nicht ihre komplette Lebensleidensgeschichte verlangen - aber die eine oder andere weitere Andeutung vielleicht.

Fazit: inhaltlich bleiben Fragen offen, was der Geschichte aber nicht schadet, weil sie routiniert und dicht erzählt ist.

Uwe
:cool:

 

Hallo, den ersten Satz und den letzten Absatz finde ich wundervoll, der Anfang hat mich sofort gefesselt, ich fand ihn originell und authentisch, wie viele der von Dir verwendeten Bilder; der letzte Absatz hat mich überzeugt wegen des völligen Bruches in Perspektive und Erzählstil, ich hatte mich vor den letzten Zeilen noch gefragt, wie die Geschichte nun wohl so schnell enden kann.
Was die ganzen nicht beleuchteten Hintergründe betrifft, finde ich es zwar nicht explizit störend, dass diese eben nicht weiter ausgeführt werden. Ich bin jedoch neugierig und würde gerne mehr erfahren. Die Geschichte vermittelt mir das Gefühl, nicht vollständig zu sein. Sie wirkt auf mich ein bißchen wie ein sehr ausführliches Exposé zu einem Roman. Ich bin auch auf viele kleine Fehler (?)/ Unsicherheiten (?) gestoßen, die mir den Eindruck vermitteln, als habe sich die Geschichte noch nicht vollständig entfaltet. Beispiel: "körperlich fühle ich mich seltsam entrückt. Mir kommt ein sehr seltsamer Einfall", das doppelte "seltsam" hat mich irritiert. Auch das gehauchte "Schwein" finde ich ein unglückliches Bild, nachdem sie gerade noch voller Horrorszenarien war, erscheint mir "hauchen" als das falsche Verb. Und das "wie pietätlos" finde ich etwas unpassend, es hat mich rausgerissen, weil es mir zu humorvoll in der Situation erschien.
Das sind Kleinigkeiten. Viele Momente finde ich auch wundervoll: "sein Bierbauch ragt empor wie ein wankender Vulkan, der aus der Stichwunde unablässig Lava spuckt" und "ein kleines heruntergekommenes Dorf, das sich in den Schatten des kahlen Berghanges krallt und dort wohl oft übersehen wird", das ist ein Bild, das ich gut kenne und genau vor mir sehe. Gleichzeitig fiel mir bei diesem Satz auf, dass Du noch auf das "wohl" und einige andere Füllwörter verzichten könntest. Nicht viele. Aber sie fallen schon auf, weil der Text sonst so überzeugt.

Maja

 

Hallo Leute,
aufgrund meiner ständigen Herumreiserei verschiebt sich die Überarbeitung der Geschichte leider um einige Zeit. Unnötig zu erwähnen, dass eure hilfreichen Kommentare einfließen werden.
Einen schönen Tag wünscht
...para

 

Sag Bescheid wenn's soweit ist, dann ist sie vermutlich Kandidat für den Empfehlungsthread.

 

Am roten Teil des Meeres

Hinter dem Sicherheitsglas und der grauen Masse des Meeres wird es Tag, blutrot und kitschig.
Ich starre über den weiten Balkon hinweg nach draußen, und aus den Lautsprechern hinter mir erklingt ein Lied über Rosen. In meinem Kopf tobt ein Gedankengewitter, doch körperlich fühle ich mich seltsam entrückt. Mir kommt ein ziemlich verrückter Einfall: Der rote Teil des Meeres, so denke ich, verschluckt das Morgen.
Keine fünf Minuten später steht Mallorca-Gerd mir so nahe gegenüber, dass man ihn küssen könnte, und seine Augen sind weit und blutunterlaufen. Er murmelt etwas Unverständliches, und ein letztes Mal bläst er mir seinen sangriafruchtigen Atem entgegen.
Dann seufzt er, taumelt und fällt rücklings zu Boden, wobei sein Hinterkopf beim Aufschlag auf die monovarer Marmorfliesen ein derartig dumpfes Knirschgeräusch verursacht, dass er mir für einen Augenblick beinahe leid tut.
Wie paralysiert bleibe ich stehen, starre weiterhin in den Sonnenaufgang und muss mich nach einer Weile dazu zwingen, in die Realität zurückzukehren.
Er atmet noch; sein Bierbauch ragt empor wie ein wankender Vulkan, der aus der Stichwunde unablässig Lava spuckt; ich glaube zwischen all der weißen, braunen und roten Flüssigkeit sogar einen grünlich schimmernden Farbton zu entdecken, traue mich aber nicht, näher hinzusehen, wie sich sein Kaschmirpullover mit ihm voll saugt: Ich fürchte, mich übergeben zu müssen.
Man singt immer noch von Rosen, die ganze Scheibe scheint von nichts anderem zu handeln. Malle-Gerd mag sie sehr, diese stachligen Pflanzen, hinter der Villa blühen sie zu Dutzenden.

Gerade als die Boxen gesagt bekommen wollten, wo die Blumen sind, stach ich ihm das Messer in den Wanst.
Ich drehte mehrmals am Griff, bis er schlüpfrig wurde, und als ich das Messer herauszog, fiel er um wie ein gefällter Baum.

Ich bin mir sicher, dass er nicht überleben wird. Nicht in seinem Zustand, nicht mit einer derartigen Verletzung, nicht ohne sofortige Versorgung.
Nun liegt Mallorca-Gerd also vor mir, hilflos und schwach, mit viel Weiß in den Augen und einem Zittern im aufgedunsenen Gesicht, und ich stehe im Abendkleid und mit Mordwaffe da und lasse mir die ersten, schwachen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen...
Wie pietätlos.
So knie ich mich neben ihn auf eine saubere Stelle des kalten Marmors, versuche zu lächeln und beuge mich über ihn, so gut es geht.
Meine Haare fallen ihm entgegen und rahmen sein immer bleicher werdendes Gesicht ein, auf dem der Tagesanfang malt wie ein Kind.
I wanna lie in a bed of roses, behaupten die Lautsprecher.
Er atmet immer noch, flach aber beständig, hört man genau hin und achtet nicht auf die Musik.
Ich hasse dieses Rasseln seiner verschleimten Kehle. Für einen Augenblick habe ich den Impuls, sie ihm zu zerfetzen. Ihn zu würgen oder sein Gesicht zu zertreten, all das geht mir in diesem kleinen Zeitsplitter durch den Kopf...
Doch mir fehlt die Kraft.
Stattdessen schließe ich die Augen, hänge über ihm wie eine Marionette in den Seilen. Als ich sie wieder öffne, hebt er eine Hand, ich erschrecke, aber sie sinkt sofort darauf kraftlos zu Boden. Ich lächle ihm meinen Triumph ins Gesicht, bade einen Augenblick in seiner Hilflosigkeit. Nie wieder wirst du mich anfassen. Nie wieder.
Dann reiße ich mich von diesem Anblick los und wische die Klinge an seiner Hose ab.
Es kommt mir immer schwerer vor, das Messer, und es braucht ein wenig Mühe, überhaupt wieder aufzustehen. Länger als ich dachte muss ich neben ihm gekniet haben, denn das in meine Beine zurückströmende Blut verursacht ein widerliches Kribbeln.
Mallorca-Gerd zuckt leicht, als ich ihn verlasse. Noch einmal fängt er an, kraftlos Satzfetzen zu stammeln. Ich nehme sein kleines silbernes Mobiltelefon vom Glastisch. Meister, Meister, gib mir Rosen, Rosen auf mein weißes Kleid, verlangt die Musik noch, dann schließe ich die Tür hinter mir und werfe das Motorola zusammen mit dem Messer in eine Mülltonne neben seiner Hauseinfahrt.
Mir ist nicht einmal kalt, obwohl es noch so früh ist. Ich wende mich, an der schlecht ausgebauten Straße angekommen, nach rechts. Werfe meine hochhackigen Schuhe hinter einen der vertrockneten Büsche und gehe talwärts.

Die ersten Kilometer denke ich gar nichts. Mein Gehirn ist abgestellt, kein Gedanke existent.
An – aus.
Funkstille.
An einer scharfen Kurve kommt mir ein klappriger Pritschenwagen mit Friedenstaube auf dem Tankdeckel entgegen und hupt wild, während der zahnlückige Fahrer versucht, gleichzeitig zu lenken und eindeutig zu gestikulieren.
Ich lächele ihm nach und hoffe, noch während ich diese Grimasse schneide, auf einen Unfall. Erst jetzt wird mir bewusst, dass meine rechte Hand noch von Malle-Gerds Körperflüssigkeiten beschmutzt ist. Augenblicklich wird mir schlecht und ich erbreche mich im Straßengraben, wobei ich mir die Beine an einem Dornengeflecht zerschneide.
Ich wische alles mit einem nett geschnittenen Zipfel des Kleides ab, bevor ich weiter gehe.
Der Wind küsst das Blut auf meiner Haut, schlägt Wellen in den Stoff. Was gäbe ich darum, könnte er mich mitnehmen.
Über mir fliegen sie davon, die Maschine erinnert im Sonnenlicht an einen Glassplitter, und ihre Kondensspur zerschneidet den klaren Morgenhimmel.

Meine Gedanken fließen ineinander und verrühren sich zu einer dickflüssigen Masse, welche die Zeit vertreibt.

Von dort oben aus betrachtet liegt diese Insel im Meer wie eine gebrochene Frau auf den Laken. Während wir zum Landeanflug übergingen, setzte ich meine Sonnenbrille auf, die ohne Rahmen, und die urbane Fratze Palmas spiegelte sich darin.
Mallorca-Gerd war ein hässlicher, lärmender Mensch mittleren Alters, der zu schnell an zu viel Geld gekommen ist. Mit seinen Immobiliengeschäften finanzierte er sich ein paar abartige Neigungen, draußen in der kahlen Einöde, in der Villa mit Blick auf das Meer.
Der Taxifahrer wusste sofort, wohin er fahren musste, und der Senior beglich großzügig den überteuerten Fahrpreis, nachdem wir angekommen waren.

Ich streiche durch meine Haare. Ich habe sie rot gefärbt und mir Rastas machen lassen.
„Wie Napalm“, hat Mallorca-Gerd gesagt, als er es mit seinen Fettfingern berührte, und dabei lachte er ekelhaft und ich lächelte.

Zuhause wohnte ich nahe einer Hundeschule. Eines Tages ließ man wieder alle neuangekommenen Hunde auf die Wiese, damit sie um die Rudelfolge balgten.
Wie immer stürzte sich die ganze Meute unter höllischem Gebell aufeinander. Bis auf einen Husky, der seelenruhig auf einem nahen kleinen Hügel im Gras saß und den Kampf betrachtete.
Erst nachdem sich ein Schäferhund den ersten Platz im Rudel erkämpft zu haben schien, griff er das kräftige, aber ausgelaugte Tier an und besiegte es.
Mallorca-Gerd war so wie der Husky gewesen, irgendwie.

Das Leben zehrt manche Menschen auf. Er wusste das, und er nutzte es aus. Suchte junge Frauen und bot viel Geld.
„...Reduktion auf Kreatur bringt Ehrlichkeit“, hatte er gesagt und zufrieden gelächelt. „Weißt du, was ´einreiten´ auf Englisch heißt? Nein? `To break a horse´. Noch etwas Champagner?“
Sein Pech, mein Pech: Er ging zu weit, es ging nicht.

Vor mir liegt der nächste Ort, ein kleines heruntergekommenes Dorf, das sich in den Schatten des kahlen Berghanges krallt und dort wohl oft übersehen wird.
Einen Schritt vor den anderen. Der oftmals brüchige Asphalt ist noch kühl von der Nacht, aber die Sonne wird immer stärker. Ich habe die Brille vergessen, verdammt. Sicherlich habe ich schon Schweißflecken. Meine Fußsohlen tun höllisch weh, aber irgendwann legt sich der Schmerz.
So gehe ich weiter, ohne zu wissen wohin. Vielleicht zum Flughafen. Aber ich habe kein Geld. Mal sehen, ist doch scheißegal erst mal.
In den Gassen längs der Straße kommt mir eine alte Frau entgegen, starrt mich an, ich starre zurück, ihr zerfurchtes Gesicht tritt aus dem Schatten hervor, die Sonne malt darauf, ihr Gesicht quillt auf, ihre Augen werden groß, ihre Haare fallen zu Boden.
Mallorca-Gerd grinst mich böse an und lacht höhnisch, sein fetter Kopf auf den schmalen, gebeugten Schultern der Alten, unnatürlich weit herumgedreht, mich zu verspotten...
Ich taumle weiter, stoße gegen irgendetwas, verliere das Gleichgewicht, stürze nach vorne, Grün empfängt mich.
Ich greife in Pflanzen, unter mir zerspringt etwas, eine Welle von Schmerz, lautstarkes Gezeter, mein Bauch fühlt sich komisch an. Meine Hände greifen umher, stoßen um, ich krümme mich zusammen und schreie, schreie, bin nur noch Schrei, mein Bauch schmerzt, fremde Stimmen...

Mir wird schlecht. Ich muss in einen der kleinen Stände hineingelaufen sein, von denen aus man vorbeifahrenden Touristen Blumen verkaufen möchte. Gedanken splittern umher. Die Verkäuferin, ich sehe sie nicht, aber höre sie, jemand greift nach mir, ich schlage nach ihm; um mich herum Blüten und Blätter, Schmutz und Tonscherben, was ist mit meinem Bauch, ich rudere ziellos mit den Armen, drohe, im Grün zu ertrinken, die Welt ist ein Schrei, mein Schrei, den nur die heranjaulenden Sirenen übertönen.

 

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