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Der Mann, der in eine Garage ging und aus einem Flugzeug herauskam

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10.10.2006
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Der Mann, der in eine Garage ging und aus einem Flugzeug herauskam

Als ich auf die Dreißig zuging, baute sich der Vater meiner Freundin die Garage zum Flugsimulator um. Achttausend Euro und mehr, so erzählte mir seine Ehefrau, habe Walter schon in die Garage gesteckt. Seit langem habe sie schon Probleme mit ihm, er sei immer unleidlicher geworden und maulfauler, nachts gar nicht mehr ins Bett gekommen, habe dann immer längere Zeit in der Garage verbracht, immer größere Pakete bestellt, und nun verabschiede er sich regelmäßig vom abendlichen Esstisch mit dem Hinweis, er fliege die nächsten acht Stunden Frankfurt – New York, und sie solle nicht auf ihn warten.
Am Abendessen, so erzählte sie weiter, habe er ohnehin kaum noch Interesse. Er rühre das Brot nicht mehr an, auch die geliebten Senfgurken gefielen ihm nicht länger, er schiebe nur lustlos ein paar Cocktail-Tomaten auf dem Teller hin und her. Sie habe ihn dann darauf angesprochen, und er habe geantwortet, das sei wegen der Verdauung. Er könne ja wohl kaum einen Zwischenstopp machen bei Frankfurt - New York, am Ende noch irgendwo in der Karibik notwassern, um aufs Klo zu gehen. Dem Auto-Piloten vertraue er einfach nicht. Wenn sie sich denn wirklich Sorgen um so etwas mache, dann sei das sehr lieb, aber nicht weiter notwendig.

Da ich nicht im eigentlichen Sinne zur Familie meiner Freundin gehörte, fand ich, dass es nicht an mir war, mich dort einzumischen. Aber die Mutter meiner Freundin konfrontierte mich wieder und wieder mit diesen Dingen. Sie dachte, ich müsse mich doch auskennen, immerhin wäre ich in der Stadt gewesen, zum Studium. Sicher seien mir auch höhere Dinge nicht fremd und ein Mann in den späten 60ern, der sein Geld dafür ausgibt, in der Garage nach New York zu fliegen, falle in mein Gebiet.
Ich sagte. immerhin wisse sie ja, wo er sei. Da brauche sie sich keine Sorgen machen. Andere Männer, sagte ich, würden ihre Abende ganz anders verbringen und viel mehr Geld ausgeben. Ich sagte, das sei eine Skurrilität, ein interessanter Spleen, etwas, um das man Walter beneiden würde. Andere hätten ihren Garten, sagte ich, Walter habe nun mal New York. Daran sei überhaupt nichts auszusetzen.

Eines Tages jedoch kam ich von der Arbeit nach Hause und fand meine Freundin am Esstisch vor, sie hatte ihre Arme unter der Brust zusammengefaltet und als sie mich sah, tat sie bedrückt. Sie stand etwas schnippisch auf und ging noch schnippischer an den Kühlschrank, holte schnippisch einen Joghurt hervor und stellte den schnippisch auf den Tisch. Dann schnippte sie in meine ungefähre Richtung und sagte: „Joghurt.“
Ich sagte Vielen Dank.
Sie fand das nicht sehr komisch. Ich müsse doch merken, dass sie etwas bedrücke, sagte sie. So etwas müsse mir doch auffallen, mir fiele doch sonst alles auf. Für alles hätte ich eine Theorie, behauptete sie, nichts würde mir entgehen. Bei diesen Filmen, die wir immer sähen, sei ich unausstehlich, könne gar nicht aufhören, darüber zu quatschen, was die Figuren empfänden. Sei allgemein ein furchtbar anstrengender Besserwisser und Reinquatscher, ein nervender Übererklärer und Empfindling.
Empfindling sei kein Wort, sagte ich, und probierte von dem Joghurt.
„Für mich schon“, sagte sie, und jetzt solle ich mich mal zusammenreißen, aufhören hier an dem Joghurt herum zu neiseln und ihr mal ins Gesicht schauen. „Seh ich glücklich aus?“, fragte sie.
Ich verneinte.
„Warum seh ich nicht glücklich aus?“, fragte sie.
Ich überlegte, ihr eine Reihe von plausiblen Gründen anzubieten, entschied mich jedoch dagegen und bot ein „Hm“ an.
„Wegen meiner Mutter“, sagte sie.
„Wegen deines Vaters, meinst du?“, fragte ich.
Sie nickte.
Ich nickte auch.
Ich solle dann noch was vom Chinesen mitbringen, sagte sie und klang wie eine selbstzufriedene Frau, die genau weiß, wie sie ihren Freund zu allem kriegt. Sie koche heute nicht. Sie habe heute schon genug getan.
Als wäre es jetzt eine große Leistung gewesen, mich zu manipulieren, und als sei damit schon alles getan, um das Problem aus der Welt zu schaffen, nur weil man mal den Freund manipuliert hat.
Chinesisch, sagte ich, mal gucken, ob es das in New York so gibt. Das sagte ich, während ich schon die Tür aufgemacht hatte, um das letzte Wort zu haben.
„New York war gestern“, rief sie mir noch hinterher. „Heute ist der Rückflug dran. Er zieht das total durch, du musst dich wirklich darum kümmern, Mutter sagt, er isst schon gar nichts mehr, das ist ernst.“ Das rief sie mir noch nach, als ich schon die Treppe hinunterging, nur damit sie das letzte Wort haben konnte. Sie ist so, da darf man sich nichts vormachen. Sie seufzte dann erschöpft und schloss die Tür hinter sich und ich dachte bei mir so: Wenn Mädchen wie ihre Mutter werden, hätte ich es schlechter treffen können. Immerhin sorgte sich die Mutter meiner Freundin ja liebevoll um ihren Ehemann, außerdem hatte sie ein angenehmes Wesen und eine bemerkenswerte Figur für ihr Alter.
Während der Fahrt fiel mir aber ein, dass ich einmal gehört hatte, dass sich Mädchen ihren Freund auch so suchen, dass er sie an ihren Vater erinnert, und ich dachte lange darüber nach, ob mir das gefallen würde.

Als ich am Haus angelangt war, brannte noch Licht in der Küche und ich sah das Gesicht meiner designierten Schwiegermutter, gedankenverloren strich sie über einen Teller und lächelte mir zu.
Ich achtete nicht darauf, sicher hätte es ihr gefallen, mich noch mit letzten Anweisungen zu instruieren, mir ihre Gedanken und gute Wünsche mit auf den Weg zu geben, um das Problem zu lösen, von dem ich immer noch nicht wusste, ob es denn eins war.

Ich öffnete die Tür zur Garage, zu einem Ort, den ich noch nie betreten hatte, und schon blickte ich auf den Himmel über dem atlantischen Ozean. Walter hatte das Geld in einen Panorama-Bildschirm investiert, etwa acht Meter davor saß er in einem Pilotensessel und vor einem Cockpit, er hatte ein Head-Set auf, so dass ich ihn kaum erkennen konnte.
Das ganze wirkte von außen wie in den Spielhallen, wenn Jugendliche ein Rennspiel spielen, nur sind bei diesen Automaten die Bildschirme nur eine Armeslänge vom Gesicht des Spielers entfernt, bei Walter waren es mehrere Körperlängen. Über ein Dolby Surround Soundsystem flüsterte aus allen Ecken der Garage ein weißes Rauschen, ich versuchte ein Muster zu erkennen, vielleicht das Schreien von ein paar Möwen, aber es waren nur die Triebwerke zu hören. Vielleicht, dachte ich, stottert mal eins oder irgendwas, aber es war nichts zu hören.
Walter hatte mich indessen bemerkt und zeigte mit der rechten Hand energisch an, ich solle mich verpissen. Er wedelte mich regelrecht aus der Garage hinaus, doch ich schloss nur die Tür hinter mir, lehnte mich dann gegen eine Wand und lauschte dem Summen der Triebwerke, und wenn ich auf den Monitor schaute, sah ich dort die immer gleichen Polygon-Wolken vor sich hinziehen. Ich zog es vor, mich am Rande der Garage aufzuhalten, kam mir wie ein Eindringling vor, immerhin hatte er deutlich gemacht, dass ihn niemand hier besuchen durfte. Seine Frau, so hatte sie mir erzählt, habe es am Anfang wiederholt versucht, aber er habe sie überhaupt nicht wahrgenommen, was sie dann so verärgert hatte, dass sie ihn mehrmals später darauf angesprochen, aber nur ausweichenden Antworten erhalten habe.
Ich fragte mich, während ich im Halbdunkeln der Garage den Triebwerken lauschte, was meine Freundin nun wohl treibe. Ob sie es sich vielleicht mit einer Tüte Chips im gemeinsamen King-Size-Bett bequem gemacht habe und dort nun alles vollkrümelte, dabei sich vielleicht die Zehen pink lackierte, es sich ganz mollig machte, ihre Haut ganz weich, und sich beim Gedanken daran totlachte, dass ich hier in einer öligen Garage säße auf einer aussichtslosen Mission.
Und während sie sich mein Kissen noch unter das Kreuz legte, statt wie durch mich bei einigen Gelegenheiten vorgeschlagen, einfach ein weiteres zu kaufen, musste ich hier klamm an der Tür lehnen und dabei zusehen, wie jemand nach New York fliegt.

Nach einer Weile wurden die Triebwerke leiser, ich schreckte hoch aus meinen Überlegungen und glaubte nun, ein Stottern zu vernehmen, vielleicht eine Stichflamme aus irgendeiner Ecke der Garage lodern zu sehen, doch statt dessen hörte ich Walter sprechen: „Hör mal, Junge, ich weiß schon, aber du kannst ihnen doch sagen, mit mir ist alles okay. Du kannst ihr sagen, dass du mit mir geredet hast und dass mit mir alles in Ordnung ist.“
Jetzt erst erkannte ich, dass Walters Stimme aus den vier Ecken der Garage kam. Er musste dasselbe System benutzen, um wichtige Durchsagen an die Passagiere zu tätigen.
Ich sagte: Walter, die werden mir nicht glauben. Die machen sich Sorgen um dich. Ich hab keine Wahl, die wollen das verstehen.
„Dann erklär's Ihnen doch“, sagte Walter.
Dazu muss ich aber erst mal so tun, als hätte ich dich lange angeschaut und es verstanden, sagte ich.
Und er fragte: „Wie lange?“
Und ich fragte, ob ich ihn denn störe.
Und er sagte: „Ja.“ Ganz immens störte ich ihn, ich ruinierte alles, machte den ganzen Spaß kaputt, er könne meine Anwesenheit unmöglich ausblenden und ob es mir denn gefalle, fragte er noch.
Wisse ich nicht so Recht, sagte ich, käme mir alles ein wenig eintönig vor, so ganz ohne Luftkampf oder Möwen oder Brände oder so richtiger Aussicht.
„Ja“, sagte er.
„Wie Arbeit“, sagte ich.
„Ja“, sagte er.

Ich sagte dann nichts mehr. Ich schaute ihm noch ein bisschen dabei zu, wie er flog. Fünf Stunden hab ich ihm dabei zugesehen und als er dann zur Landung ansetzte, bin ich aufgestanden, hab die Garagentür geöffnet, bin nach draußen gegangen und hab die kalte Luft eingeatmet. Draußen sind die ersten Wagen losgefahren. Man kennt das ja, wenn eine Straße aufwacht, wenn die Menschen ihren Schlaf abschütteln und zur Arbeit gehen. Der Nachbar fährt, der andere Nachbar fährt, und im Haus der Eltern meiner Freundin brannte kein Licht.
Ich spürte Walters Hand auf meiner Schulter, er ging wortlos an mir vorbei, öffnete die Haustür, drehte sich noch einmal um und nickte mir zu.

 

Hallo Quinn

Hier ist dir ein schönes Gesellschaftsstück über die Zeit "nach getaner Arbeit" gelungen. Was fängt ein Mensch mit der freien Zeit an, vor allem, wenn sein Leben auf Feierabend-Zweisamkeit aufgebaut ist und mit der Pensionierung ein neues Zeitmanagement gefragt ist. In vielen Ehen spielt sich der Alltag nebeneinander ab. Der Mann geht ins Büro, auf Montage, o. ä., während die Frau den Haushalt schmeisst, Kinder versorgt, später ev. Zeitarbeit annimmt. Dann, von heute auf morgen Pensionierung, Kinder sind raus, der Mann wird zum Fremdkörper im Zeitplan der Frau. Es gibt nun verschiedene Entwicklungsvarianten, der Mann rückt der Frau auf die Pelle: Was gibts zu essen? Was machen wir heute? usw. Oder er zieht sich ganz zurück, vertieft sich in seine Hobbies, um der freien Zeit (wieder)einen Sinn zu geben.
Ich nehme an, Walter flog schon vor der Pensionierung mit dem "Flightsimulator" am PC, nach Feierabend und nicht so lange, da es morgens ja wieder auf Schicht ging. Und jetzt vermisst er das Gebrauchtwerden, deshalb baut er sich seine eigene Schicht, fliegt dafür stundenlang, wird so wieder wichtig im Flow seiner imaginären Welt.

Das ist für die Ehefrau natürlich besorgniserregend, was dann auf die Tochter überschlägt und die wiederum ihren Freund als Mediator einsetzen möchte.

„Warum seh ich nicht glücklich aus?“, fragte sie.
Ich überlegte, ihr eine Reihe von plausiblen Gründen anzubieten, entschied mich jedoch dagegen und bot ein „Hm“ an.
„Wegen meiner Mutter“, sagte sie.
„Wegen deines Vaters, meinst du?“, fragte ich.
Sie nickte.
Ich nickte auch.
Das ist so die Stelle, die uns bereits vortgeschrittene Vertrautheit in ihrer jungen Beziehung aufzeigt. Einander verstehen ohne viel Worte verlieren, hehe.

Ich sagte: Walter, die werden mir nicht glauben. Die machen sich Sorgen um dich. Ich hab keine Wahl, die wollen das verstehen.
Heisst, ich lass dir dein Hobby, von mir aus kannst du zwei Wochen zum Mond fliegen und dich dabei von Astronautennahrung ernähren, wenn das ganze nicht mein Leben tangieren würde, sprich: ich endlich wieder mit meiner Freundin unschnippisch kuscheln darf.;)

Wisse ich nicht so Recht, sagte ich, käme mir alles ein wenig eintönig vor, so ganz ohne Luftkampf oder Möwen oder Brände oder so richtiger Aussicht.
„Ja“, sagte er.
„Wie Arbeit“, sagte ich.
„Ja“, sagte er.
Damit hat der Erzähler ins Schwarze, quasi den Kern der Geschichte getroffen. Das zweite "Ja" wirkt somit wie ein erhellendes "Genau".

Fünf Stunden hab ich ihm dabei zugesehen und als er dann zur Landung ansetzte, bin ich aufgestanden, hab die Garagentür geöffnet, bin nach draußen gegangen und hab die kalte Luft eingeatmet.
Und da wurde mir bewusst, nicht Walter ging in die Garage und kam aus einem Flugzeug heraus. Wer fünf Stunden jemandem bei seiner imaginären Arbeit zusieht, lernt viel über sich selber. Stimmt's?

Vielen Dank für diese wunderbare Geschichte.
Gruss dot

P.S.: Ein Punkt noch zum Schluss:

Ich sagte.[KOMMA] immerhin wisse sie ja, wo er sei.

 

Hallo dotslash, schön, dass du mit der Geschichte etwas anfangen konntest.

Ich glaube, der Erzähler hat da in den fünf Stunden, die er Walter dabei zusieht, wie er da fliegt, schon auch seine eigenen Gedanken. Das ist auch was Meditatives, denke ich. Zeit zu füllen, sich abzuschalten, sich zu betäuben, berauschen zu lassen - das ist sicher ein Bereich des Menschseins, der in vielen Formen verwurzelt ist.

Ich kann mich an einen Film erinnern, da sitzt ein Rentner vor dem Fernseher, schaut sich den Wetterkanal an und feuert die Tiefruckgebiete lautstark dabei an, doch ihr Werk zu verrichten. Viel mehr macht der am Tag nicht mehr.

Wie viel Zeit im Jahr für Solitär oder eines der anderen Windows-Kartenspiele drauf geht. Früher war es doch bei Frauen auch üblich, zu stricken oder zu häkeln - auch aus so einem Antrieb heraus, oder?
Das sind so Themen, die zum modernen Leben gehören - man sagt, das sei Zerstreuung - ich weiß es nicht, aber das ist sicher ein großer Teil des Lebens, dem wir wenig Aufmerksamkeit widmen, der bisschen peinlich ist, oder der auch einen sehr schlechten Ruf hat. Wobei es da schon diffizile Unterscheidungen gibt: Hier der Vater in der Garage - das wirkt dann "künstlich" und besorgniserregend. Wenn einer 10 Stunden im Garten ist - dann ist er naturverbunden und völlig okay. Wenn einer 16 Stunden im Büro ist und Zahlen wälzt - ist er eine Stütze der Gesellschaft. Wenn einer 16 Stunden sein perfektes Fantasy-Fußball-Team zusammenstellt - na ja. :)

Also die Wertschätzung, das Ansehen, das bestimmten Tätigkeiten entgegengebracht wird und anderen nicht - das ist schon absurd zum Teil. Wenn ich mich morgen hinsetz und beschließ, mich drei Stunden jeden Tag mit dem alten Rom zu beschäftigen - werd ich damit mein gesellschaftliches Ansehen verbessern können. Wenn ich dieselben drei Stunden nehm, und mich in die Welt von Hyboria einlese, in der Conan der Barbar lebt, oder in das Perry Rhodan-Universum eintauche ... das sollte ich wahrscheinlich besser verschweigen. Dabei mach ich im Prinzip dasselbe und es wird für mein Leben dengleichen Nutzen haben oder nicht.


Ist schön, wenn die Geschichte gelesen wird und gut ankommt, ich denke es ist eine Geschichte, die auch so offen geschrieben ist, dass da viele Leser etwas mit anfangen können.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

die stärksten Momente innerhalb deiner Geschichte sind für mich diese hier:

Während der Fahrt fiel mir aber ein, dass ich einmal gehört hatte, dass sich Mädchen ihren Freund auch so suchen, dass er sie an ihren Vater erinnert, und ich dachte lange darüber nach, ob mir das gefallen würde.

„Wie Arbeit“, sagte ich.
„Ja“, sagte er.

Ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass sich dein Protagonist und der Vater so ein bisschen ähneln. Die meisten Leute hätten diese Flugsimulatorgeschichte wahrscheinlich von Anfang an verurteilt, während dein Protagonist dem ja erst einmal offen begegnet. Ja, er scheint es sogar normal zu finden und will diese Sache eigentlich nur "untersuchen", weil Schwiegermutter und Freundin ihn dazu drängen.

Die Szene mit der Arbeit finde ich auch sehr stark! Ich finde, dass in diesem kurzen Dialog eine Erklärung zu finden ist, warum der Vater tut, was er tut. Er sehnt sich "Normalität" herbei, vielleicht eine gewisse Routine. Ich denke, dass es für ältere Menschen oft schwierig ist, zu einem "geregelten Tagesablauf" zu finden - und er sucht sich eben ein Ziel.
Wobei - irgendwie ist es schon seltsam, dass diese Flugsimulatorssache überhaupt als so komisch empfunden wird (also auch von mir beim Lesen). Wenn der Mann jetzt z. B. Briefmarken sammeln würde, wäre das irgendwie "normal".

Toll fand ich auch, wie gut deine Erzählstimme den Erzähler charakterisiert. Gerade auch diese indirekte Rede finde ich in diesem Zusammenhang gut gewählt. Deinen Protagonisten stelle ich mir als einen etwas umstandskrämerischen Besserwisser vor. Aber einen netten. Und ich fand, dass sich meine Meinung am Text oftmals widerspiegelt.

Wie z. B. hier:

Für alles hätte ich eine Theorie, behauptete sie, nichts würde mir entgehen.
Empfindling sei kein Wort, sagte ich, und probierte von dem Joghurt.

Sehr gelungen fand ich in diesem Zusammenhang auch die Wortwahl. Worte wie "designierte Schwiegermutter" tauchen in seiner Sprache genauso auf wie "verpissen". Das beweist für mich einerseits wieder dieses "umstandskrämerische", zeigt andererseits eben doch, dass er noch sehr jung ist.

Ich habe mich außerdem gefragt, ob die Flugroute Frankfurt - New York wohl irgendeine spezielle Bedeutung für den Mann hat oder ob das nur zufällig gewählt ist. Ich musste hier irgendwie so ein bisschen an den Song "Ich war noch niemals in New York" denken. Vielleicht hat er auch sehnsucht, nochmal etwas zu erleben, ist aber womöglich gesundheitlich nicht mehr in der Lage bzw. denkt vielleicht auch nur, er könnte das nicht mehr schaffen - und so ist dieser Flugsimulator für ihn vielleicht auch so etwas wie ein Ersatz.

Also - mir hat´s ausgezeichnet gefallen. Handwerklich ist für mich alles gut gelungen. Diese Kurzgeschichte zeigt für mich auch, dass nicht immer ne ganze Lebensgeschichte etc. erzählt werden muss, sondern dass einem die Protagonisten eben auch in der Erzählung eines recht kurzen Ereignisses nahe gebracht werden können bzw. dass sich auch so ein sehr gutes Bild von ihnen ergibt.

Liebe Grüße
die Bella

 

Hey Quinn!

Habe den Text schon vor längerer Zeit gelesen und jetzt noch einmal, da er mir nicht aus dem Kopf ging. Das ist für mich auch das positive an der Geschichte. Sie bleibt hängen wegen Idee und Titel. Die zweite Lektüre war aber enttäuschender, so dass mein Eindruck ist: Da wäre mehr drin.

Der erste Satz (und auch der zweite):

Als ich auf die Dreißig zuging, baute sich der Vater meiner Freundin die Garage zum Flugsimulator um. Achttausend Euro und mehr, so erzählte mir seine Ehefrau, habe Walter schon in die Garage gesteckt.
Finde ich sprachlich schwach, was stört, da es doch gerade der erste Satz ist. ...baute die Garage zum Flugsimulator um.... umgangssprachlich aber unnötig umgangssprachlich und auch keine karge Sprache im positiven Sinn. Mir gefällt der so nicht.
(Inhaltlich könnte es evtl. spannender sein, wenn noch nicht alles offengelegt wird (Bspw „Als ich auf die dreißig zuging, verschwand der Vater meiner Freundin.“), Bringt man sofort den Flugsimulator wird im ersten Satz der Witz und die Spannung des Titels gleich wieder abgeschwächt.)

Mitte, die Freundin des Prot:
Warum wird die denn so unerträglich gezeichnet? Das erinnert ja schon an dieses Mario-Barth-Zeug, wie der Prot seine Freundin beschreibt und über sie denkt. Wenn da ein wenig mehr Liebe oder wenigstens Sympathie wäre, dann könnte man auch nachvollziehen, wieso sich der Prot um ihr Problem kümmert. Als Leser würde einen das dann auch mehr interessieren und man würde mit mehr Spannung verfolgen, ob der Prot ihr helfen kann.

Das Ende:
Der Moment als der Prot in den geheimen Raum zum Vater geht – Das hätte so ein bleibender Literaturmoment werden können, der sich einbrennt. Ein spannendes Thema, diese fitten Rentner, die auf einmal in die Freiheit entlassen werden. Vor dem Moment haben wahrscheinlich die Kinder, die Partner und die Verrenteten selbst wahnsinnig oft Angst. Also spannend, spannend. Dann noch der Flugsimulator... Was der für ein poetisches Potential bietet!
Ich finde in der jetzigen Lösung wird da etwas verschenkt. Das scheint mir fast so, als würde an der Stelle nicht bewusst etwas offen gelassen, sondern diese Lösung gewählt, weil sie einfacher ist, als tiefer zu bohren. Das funktioniert zwar so, wie es ist, es ist für mich sogar der stärkste Moment der Geschichte. Aber, ich glaube, dass da, trotz des schon hohen Niveaus etwas geschaffen werden könnte, was man gerne wieder und wieder liest.
Mein jetziger Eindruck also: Witzige Idee und natürlich zu recht gelobter Text, aber als Ergebnis der zweiten Lektüre: Nichts was man gerne wieder rauskramt.

Hoffe mein noch nicht ganz überzeugter Eindruck ist trotz der vielen Vorkommentare noch von Interesse für Dich.
-T.

 

Hallo Quinn

Der Titel hatte mich lange abgeschreckt, in den Alltag eines Cockpits einzusteigen. Heute tat ich es, vorab ohne andere Kommentare zu lesen. Es war ein vergnügliches Erleben und beinah wie aus dem realen Alltag gegriffen. Vor einiger Zeit las ich in einer Zeitung von einem Verein, bei dem sich Männer einen Flugsimulator zu ihrem Freizeitvergnügen leisten. Da muss Dein Protagonist gar nicht so abwegig sein, wenn er sich auf seine Familie besinnend wenigstens nur auf Kurzflüge beschränken könnte. :D

Sie dachte, ich müsse mich doch auskennen, immerhin wäre ich in der Stadt gewesen, zum Studium.

Die Problematik der Ehefrau ist klar, doch bei dieser Aussage von ihr stutzte ich, da die Formulierung je nach Betonung verschiedene Rückschlüsse zulässt. Im Nachfolgenden wird es dann klar, wie es zuzuordnen ist. Aber ich finde, es stört den Lesefluss als einzige Stelle unnötig. Auch wenn Du es nicht präzis benennen möchtest, warum er prädestiniert ist, den Schwiegervater in spe auf den rechten Weg zurückzuführen, liesse es sich hier mit einem kleinen Dreh klarer darstellen. – Doch vielleicht bin ich auch der Einzige, der dies hinterfragte.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, ihr 3, schön dass ihr die Geschichte gelesen habt und auch was dazu gesagt habt.

Bella: Ich hab die Geschichte nach deinem Kommentar auch noch mal gelesen und hab mittlerweile wohl das Stadium erreicht, wo ich mich mehrmals gefragt hab, ob das wirklich von mir ist. Das ist schon immer interessant.
Also freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Mit der Erzählperspektive – das war so geplant, dass er wie jemand wirkt, der nicht „in Kontakt treten will“, der Abstand zu seiner Umwelt sucht. Ich hab auch versucht, das in dieser Erzählperspektive anzulegen. Dieses „wider Willen“ und „er fügt sich in sein Schicksal“. Ich hab versucht, mich der Geschichte auch so zu nähern, dass er mit einer gewissen Neugier da rein geht.

Anin: Also dieses „Die Freundin ist ja wie bei Mario Barth“ - das ist ja wirklich fies.
Das hab ich jetzt schon paar mal gehört. Manche mögen die Szene ja und lesen das mit einem Schmunzeln und für andere ist das wirklich dieser ausgelutschte „Die Freundin tyrannisiert den armen Protagonisten“-Ding. Also ja – ich hab da auch wenig entgegenzusetzen. Ich mochte die Szene und auch die Freundin – und ich find, so eine Beziehung, in der beide sich reiben, spannend und gut. Wenn dann einer sagt: Das ist aber ein Klischee … das ist doch aber die spannendste Form von Beziehung, in der es so einen Konflikt gibt. Wenn die da in Tränen ausbricht oder sie „ganz ernsthaft darüber reden“ - das macht doch keine gute Szene.
Das Ende. Bleibender Literaturmoment, der sich einbrennt – den Text hab ich ganz anders empfunden, überhaupt nicht auf so einen Punch aus, oder dass ich jetzt sag: Den Leser schnapp ich mir und den Stoff und dann hau ich's aber … sondern das wirklich so was leichtes. So den Stoff mal mit den Fingerspitzen antippen und schauen, was passiert. Ich hab das Gefühl, es sind manchmal Anforderungen im Raum, denen ich nicht gerecht werden kann. Also Glass sagt ja auch, er ist enttäuscht. Und andere sagen, warum ist das nicht wie Focks? Weil's eine ganz andere Herangehensweise ist. Hier ist der Ich-Erzähler, der sich ganz vorsichtig diesem Thema nährt und auch seinem Leben. Mir hat das Spaß gemacht, so eine Figur zu haben, die sich diesem Problem stellt.
Ich kann die Kritik echt nachvollziehen. Es ist nicht dicht, es ist nicht straff, es ist nichts groß im doppelten Boden versteckt – ja. Es ist nicht viel dran, das stimmt schon. Aber das wär jetzt so eine Geschichte, da würde ich sagen, die Kritik ist im Prinzip: Warum erzählst du das überhaupt? Warum erzählst du nichts anderes? Weil den Stoff verdichtet zu erzählen oder mit irgendeinem Clou – das käm mir nicht richtig vor. Ich weiß nicht. Ist eine komische Geschichte, die Idee spukte mir eine Weile durch den Kopf rum und ich hab gedacht, machst du mal so, machst du mal so eine Figur und guckst was passiert.
Ich denke, die Geschichte würde auch ganz anders gelesen werden, wenn sie nicht von mir wär, muss man halt sagen. Wenn die ein Debütant postet, kriegt die 2 Kommentare und dann fällt sie nach unten wie ein Stein. Da sucht einer die Kommafehler und der 2. schreibt was über Simulatoren und dann war's das.
Es gab neulich mal eine Geschichte vor dem Umbau, da hat ein Erzähler mit seiner Frau, dem Bruder und dessen Freundin Weihnachten gefeiert, es wurd bisschen beschwingt, die beiden Frauen sind verschwunden, der Protagonist hat darüber nachgedacht, dass sein Bruder immer die heißen Weiber hat, während er selbst schon so ein Familienvater geworden ist, dann kamen die beiden Frauen wieder, und die Frau des Protagonisten hatte ein Dessous an, nicht die Freundin des Bruders. Den Protagonisten hat das total aus dem Konzept gebracht. Und dann war die Geschichte zu Ende.
Die Geschichte haben vielleicht 2 Leute kommentiert, das hatte ich so im Hintergrund, diese Art, sich einem Thema zu nähern.

Also ja, ich kann die Kritik nachvollziehen, das ist schon komisch. In 2 Jahren würd ich auch lieber den Focks lesen, klar. Aber ich hab die jetzt mehrmals gelesen, das letzte mal nach dem Kommentar von Bella: Für mich hat die echt was mittlerweile. Ich finde das ist so eine Geschichte: Ich könnte der nicht böse sein

Anakreon: Schönen Dank für deinen Kommentar. Ich hab zu der Geschichte jetzt schon so viel gesagt und zu Flugsimulatoren, ich hab gar nichts mehr zu sagen. :) Auf jeden Fall schön, dass du sie kommentiert hast!

Vielen Dank euch dreien
Quinn

 

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