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- Anmerkungen zum Text
Der Text ist als Übung entstanden, bei der ich drei zufällige Begriffe aus dem Duden genommen habe und versucht habe sie sinnvoll und sinnstiftend in einen Text unterzubringen. Die Begriffe waren: Ausüben / knickrig / Sittenverfall
Der Magistrat von Pompeji
Die Stadt brannte. Rauch füllte die Lungen und Angst die Herzen der Menschen. Flüssiges Gestein regnete auf die Bewohner Pompejis nieder, entzündete, was es berührte und erstickte die Stadt in einem Meer aus Flammen und Asche. Wenn der Gott Vulcanus wütete, starben die Menschen zu Tausenden. Wer konnte, war geflohen: entweder mit dem Boot auf das offene Meer oder über die von prunkvollen Häusern flankierte Hauptstraße aus dem Stadttor. Sie flohen, in der Hoffnung schneller zu sein als die donnernden Wogen aus Glut des zürnenden Feuergottes. Nur einer war noch da: der Magistrat Marcus Avarus aus dem Geschlecht der Parsimonia. Er war zurückgeblieben, da seine Beine nicht nur das Gewicht seines Körpers tragen mussten, sondern auch das eines schweren Sackes, den er umklammert hielt.
Denn nicht zu den Toren der Stadt oder zu den Bootsstegen des Hafens war er geflüchtet, sondern zur Schatzkammer der Stadt. „Soll das denn alles sein?“, rief Avarus und raffte mit zitternden Händen alles Silber zusammen, das ihm aus Rauch und Qualm entgegenglitzerte. „Soll das etwa der Dank für meine harte Arbeit sein, ihr grausamen Götter?“ Mit dem mit Silber befüllten Sack flüchtete er aus der Stadtkammer und auf die von brennenden Villen gesäumte Straße, die zum rettenden Tor führte. Doch das Gewicht des Geldes, das er zu retten versuchte, hinderte ihn an der Flucht und der schwarze Qualm behinderten Sicht und Atmung. So kam Avarus nicht weit, bevor er erschöpft und ohne Hoffnung auf die Knie sank.
Da hockte er. Das Silber mit beiden Händen umklammernd schrie er zum Himmel empor: „Ist das also der Dank? Ist das der Dank dafür, dass ich mein Amt immer treu und ehrlich verwaltet habe? Habe ich nicht immer meine Pflicht als Magistrat mit der größten Tugend ausgeübt? War nicht ich es, der den Sittenverfall der Stadt aufgehalten und dem sinnlosen Geldverschwenden Einhalt geboten habe?“ In der Stimme des Magistrats mischten sich Wut und Verzweiflung: „Ist die Sparsamkeit nicht die größte Tugend von allen? Und habe ich nicht immer nach ihr gelebt? Erinnere dich, Jupiter! Allwissender, allsehender Gott, erinnere dich! Ich war es, der die Stadt davon überzeugte, das Geld besser zu sparen. Kein neues Aquädukt, keine neuen Brunnen, keine Speisung für obdachlose Schnorrer! Ich allein habe mich dieser Verschwendungssucht des Pöbels entgegengestellt, in deinem Namen, großer Jupiter! Hilf nun auch mir!“
Da trat aus dem Qualm ein Bettler hervor. Verkohlte Lumpen hingen ihm von der rußgeschwärzten Haut. „Was kriechst du hier auf dem Boden herum, du alter Narr?“, rief er Avarus mit donnernder Stimme zu: „Steh jetzt auf und renn um dein Leben, wenn es dir lieb ist!“ Doch Avarus rührte sich nicht. „Hilf mir, guter Mann!“, wimmerte er: „Ich habe zwar nicht viel, aber trage mich und meine Habe in Sicherheit und ich will dich auch mit einer Bronzemünze belohnen.“ „Was redest du da, du knickriger, verlogener Greis?“, entgegnete ihm der Bettler: „Lass den Sack und nicht dein Leben fallen! Bring dich in Sicherheit! Das Stadttor ist ganz nah. Lass nur den schweren Sack zurück, dann kannst du es schaffen!“ Doch da wurde Avarus zornig: „Nun erkenne ich dich! Du willst, dass ich alles zurücklasse, was ich so hart erspart habe, damit du es stehlen kannst. Doch darauf falle ich nicht herein, elender Dieb! Der Göttervater soll dich in Ketten legen, wie er es einst mit Prometheus tat! Verschwinde jetzt, du Halsabschneider!“ Doch bevor der Magistrat seine Verwünschung gegen den Bettler ausrufen konnte, war dieser bereits wieder im Rauch der näherkommenden Flammen verschwunden.
Nun war der Magistrat der Stadt wieder alleine. Und so fand man seine Überreste schließlich tausende Jahre später. Verbrannt, vergessen und mit beiden Händen den schweren Sack umklammernd.