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Der feine Herr Focks flüchtet vor der Krise

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10.10.2006
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Der feine Herr Focks flüchtet vor der Krise

Charlotte hieß Charlotte, so wie Marillen Marillen heißen. Als gäbe es in der Sprache einen auserkorenen Platz für Dinge, die in ihrer abstrakten Form ganz wunderbar klingen, und die dann, wenn man sie ans Tageslicht zerrt, wenn man sie einmal mit ihren Doppelkonsonanten aussprechen muss, doch einiges an Glanz einbüßen. Focks’ alter Gemeinschaftskundelehrer, der Herr Kalbfleisch, ich kannte den auch gut, wenn man dem von Charlotte und Marillen erzählt hätte und wie toll die auf dem Papier klingen, dann hätte er gesagt: Genau wie der Kommunismus.
Kalbfleisch, guter Mann, Prostatakrebs, letztes Frühjahr. Als er im Grab lag, hatte er auf einmal einen Vornamen: Herbert. Aber der Herr Focks und ich und der Fixie, wir haben den nur Herr Kalbfleisch genannt. Manche Leute will man ein Leben lang siezen. Ein paar sogar ein bisschen länger.

Charlotte.
In der Kindheit hatten der Herr Focks, der Fixie und ich so Mädchen wie Charlotte nur auf zwei Arten gekannt. Einmal aus der Ferne. Wenn im Fernsehen Amanda Marshall gesungen hat, mit einer Löwenmähne, oder wenn man mal in Filmen oder in Zeitschriften andere Frauen sah, bei denen man an Sonnenblumen dachte und an Löwen. Und dann kannten wir welche, die als Komet durch unser Leben zogen. Die Cousine eines Freundes, die mal einen Sommer lang hier alles auf den Kopf stellte, was drei Beine hatte. Die nach Wiesbaden zurück ging, und die späteren Sommer in Paris verbrachte, in Melbourne, in Johannesburg. Eine Jugend als Sonnenblumenbotschafterkind. Grausam. Als würde man einmal im Jahr für eine halbe Stunde Hoffnung in die Hölle lassen, nur damit die Sünder den Geschmack nicht vergessen.
Wir hatten nur Julias und Judiths und Katrins, mit und ohne H. Gestriegelte, ständig mit sich selbst im Krieg liegende, unmagische, eigenständige Wesen. Wir beobachteten sie dabei, wie sie sich im Unterricht meldeten, wie sie auf dem Schulhof zusammenstanden, wie sie für Jungs schwärmten, die viel älter waren als sie. Schauten ihnen dabei zu, wie sie sich um das jugoslawische Mädchen kümmerten, das nun wegen des Bürgerkriegs da war. Belauschten sie dabei, wie sie im Pullover dem Sportlehrer erzählten, sie könnten heute nicht. Hätten da diese Sache. Ab und an erwischten wir sie natürlich schon mal in einem schönen Moment. Wenn sie einmal lächelten, vielleicht weinten, aber sie merkten es und schlossen ihr Lächeln weg, zeigten und grimassierten in unsere Richtung und waren wie eh und wie je.
Insgeheim haben wir gedacht: Es liegt an ihnen. Wegen denen da, kriegen wir keine Frau mit Sonnenblumenhaar. Die vertreiben sie. Wir dachten, die stießen irgendeinen Duft aus oder vielleicht ein Fiepen. Wir fanden uns damit ab. Fixie und ich haben schließlich welche geheiratet, als wir die älteren Jungs waren. Er eine Julia, ich eine Katrin. Ohne H.
Aber der Herr Focks hat zwar mit einer Judith geschlafen. Vielleicht auch mit zweien. Aber geheiratet hat er keine. Dieser Bastard.

Der Herr Focks wohnte Zimmerküchebad, Lilienthalallee 18b. Der dritte Stock halte ihn fit, hat er immer gesagt. Man merke ihn ohnehin nur bei Wasserkisten, das sei schon eine rechte Qual, grade zwei auf einmal, und nur eine? Dann müsse man ja zweimal laufen. Er habe dann ja Aquaflux benutzt, so einen Wasserreiniger, der auch Kohlensäure ins Leitungswasser gesprüht habe – Werbeslogan: Nie wieder Wasserkisten in den dritten Stock schleppen -, aber das habe er dann aufgegeben. Er wisse nicht mehr, wieso.
Man sieht: Der Herr Focks wäre auch sehr glücklich gewesen ohne eine Charlotte in seinem Leben.

Gearbeitet hat der Herr Focks für die Spedition Lampbale. Hat dort die IT gemacht. Einmann-Abteilung. Was er da wirklich geschafft hat, kann ich kaum sagen. Ich weiß nur, wenn der Fixie oder ich mal bei ihm angerufen haben, unter der Arbeit, hatte er immer Zeit für ein Pläuschchen. Konnte mir sagen, was ich zu tun habe, wenn mir etwas Mirinda in den Computerturm gelaufen war, und hat dem Fixie sagen können, was der zu unternehmen hatte, als mal eine Abmahnung ins Haus geflattert kam bezüglich Urheberrechtsverletzung. Fetenhits und so.
Aber ich denk schon, dass der Herr Focks seine Sache da ganz gut gemacht hat. Hatte ja sonst im Betrieb auch keiner Ahnung, was da vor sich ging. War ein bisschen so wie bei einem Motor, der nur noch mit Spucke und gutem Willen läuft. Jeder fragt sich, was da los ist, wenn’s mal rumpelt und Dampf zischt. Aber reinigen will man das Ding auch nicht. Hat man Angst, dass jetzt, wo er glänzt und funkelt, jetzt, wo das Öl und der Dreck nicht mehr die ganzen Löcher verstopfen, dass dann der Wagen liegen bleibt.
Der Herr Focks hat halt nicht studiert. Als ich studiert habe und als der Fixie seine Lehre gemacht hat beim Schlecker, ist der Herr Focks nach Paris geflogen und nach Melbourne, nach Johannesburg und dann nach Wiesbaden. Und ich hab nicht irgendwas studiert. Nicht Philosophie oder Germanistik, wo du dann zwar weißt, wer Wittgenstein ist, aber danach fragen sie bei den Vorstellungsgesprächen nie. Vielleicht, das hab ich mich schon gefragt, vielleicht lernt man jemanden wie Charlotte nur in einem Wittgensteinseminar kennen. So wie du manche Leute eben nur kennenlernst, wenn du ein Drogenproblem hast.
Ich zum Beispiel hab Katrin auf der Hochzeit von Fixies Schwester kennengelernt, weil wir beide nach dem letzten Stück Bienenstich gegriffen haben. Ist doch auch eine hübsche Geschichte.

Charlotte.
Der Fixie und ich, Julia und die Katrin, wir haben dem Herrn Focks tausendmal gesagt, er soll die Charlotte halt mal mitbringen. Sie uns vorstellen. Wenigstens ein Foto könnte er doch mal zeigen, mit dem iPhone sei das doch gar kein Problem. Zur Not eins, wo sie drauf schlafe oder schiele oder mit dem Kopf in einer Torte hänge. Aber der Herr Focks hat viel lieber Geschichten über Charlotte erzählt. Am liebsten, wenn wir beim Griechen zusammen saßen.
Einmal hätte Charlotte ihn gefragt, ob er an Gott glaube.
Und der Herr Focks hat gesagt: „Nein, aber ich glaube an die Elite. Ich glaube, irgendwo in Harvard oder in Oxford oder in Karlsruhe da wird die Elite ausgebildet. Das meine ich ganz ernst, du brauchst gar nicht lachen. Ich höre und sehe manchmal Leute, die unglaublich klug sind, und ich denke, während wir hier liegen, und gleich miteinander schlafen, da sitzt die Elite irgendwo und arbeitet an den Problemen unserer Zeit und wir können uns zurück lehnen und unser Leben genießen.“ Und während der Herr Focks das gesagt hat, hat er sich zurückgelehnt und gegrinst. Die Katrin neben mir hat auch gegrinst, und die Julia gegenüber, die sonst nie grinst, weil sie ein bisschen einen schiefen Mund hat. Und dann hat die Katrin neben mir gefragt: „Und? Was hat Charlotte geantwortet?“ Denn wir kannten natürlich schon viele dieser Geschichten.
Der Herr Focks hat sich nach vorne gelehnt, den Kopf ein bisschen schräg gelegt und gesagt: „Also ihr müsst euch vorstellen, dass die Charlotte dann immer so zwinkert, wenn sie gleich etwas Kluges sagt, sie schaut aus wie eine Katze, die in die Sonne guckt.“ Dann hat der Herr Focks seine Nase runter zur Hand geführt und ist energisch mit der Nase über den Handrücken gefahren, um sich zu kratzen. Und die Katrin neben mir hat ein bisschen die Augen verdreht und „Oh“ gemacht; und sogar der Fixie hat geschmunzelt, obwohl es da beim Schlecker schon schlecht lief.
„Und dann hat die Charlotte gesagt, da könne ich ja auch gleich an den lieben Gott glauben. Denn wenn es wirklich eine Elite gibt, wie könnte sie dann all den Mist auf der Welt zulassen?“
Ich schau neben mir die Katrin an und denke: Warum sagst du eigentlich nie so was Kluges auf so eine süße Weise? Und ich denke, die Katrin schaut mich an, und denkt: Warum erzählst du nie so von mir, wie der Herr Focks über die Charlotte?
„Ich muss jetzt weg“, hat der Herr Focks gesagt und ganz nett mit dem Kopf dabei genickt und den Fixie und mich, uns hat er mit Katrin und mit Julia zurückgelassen.
„So klug war das gar nicht, oder?“, fragte Fixie dann irgendwann. Julia stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen und sagte: „Halt bitte den Mund.“

Vorgestern Morgen, gegen zehn Uhr, sitzt Herr Focks an seinem Schreibtisch und lächelt schon, dann klingelt es an der Tür und Charlotte ist da. Marschiert an ihm vorbei, lässt ihren beigen Trenchcoat fallen, in dem sie aussieht wie ein Privatdetektiv mit einer viel zu schmalen Taille, und ist darunter nackt, bis auf ein paar weiße Sandalen, die hoch geschnürt sind, bis zu den Waden. Sie lässt sich auf das Bett von Herrn Focks fallen. Noch hat er ihre Brüste nicht gesehen.
Charlotte macht sich im Bett breit, streckt die Beine in die Höhe, und reibt sie gegeneinander. Wie ein Insekt, als wolle sie auf diese Weise irgendeinen Ton erzeugen.
Herr Focks hat keine Spucke mehr im Mund. Die Tür ist noch auf. Vor ihm liegt der Mantel. Charlotte schabt sich mit zwei Fingern über den Hintern und sagt: „Ich könnte etwas essen. Hast du Gebäck da?“
Herr Focks muss blinzeln, greift nach dem Trenchcoat und riecht an ihm.
Charlotte beißt sich auf die Lippe. Immer noch reibt sie ihre Beine aneinander.
Herr Focks dreht sich um, und ihm fällt etwas ein, das er sagen könnte, etwas Cleveres, das jetzt gut passen würde, aber er weiß nicht, ob sie das auch gut fände, es ist ein Risiko. Manchmal ja, manchmal nein. Er dreht sich also und sagt: „Was bist du? Eine Plunderstück-Prostituierte?“
Charlotte mustert ihn, grübelt kurz, fängt an zu strahlen wie eine Sonnenblume und streicht sich mit der Nase über den Handrücken. Dann fängt sie an zu kichern und wedelt ihn mit einer Hand zur Tür heraus.

Herr Focks sprintet die drei Stockwerke nach unten und denkt daran, Charlotte zu vögeln.
Charlotte, davon hat er Fixie und mir erzählt; nicht Fixie, mir, Julia und Katrin; nur Fixie und mir. Charlotte ist unglaublich. Sie hat einen Grip, sagte der Herr Fox, als er mal etwas getrunken hatte und wir ganz privat wurden. Man könne das gar nicht beschreiben, man müsse das erlebt haben. Es sei so, als würde sie, während sie mit dir schläft, dich noch mit einer dritten, inneren Hand massieren. Beckenbodenmuskulatur sei das.
Ich habe einmal versucht, Katrin auf das Thema zu lenken. Katrin sagte, das könne man schon trainieren, wenn man beim Pipi machen das Pipi halte. Danach habe ich sie nie wieder darauf angesprochen.
Als ich mit Herrn Focks noch einmal darauf zu sprechen kommen wollte, sagte er, über so etwas würde er nie reden. Nicht einmal mit uns. Ein Gentleman genieße da und schweige.
Aber ich weiß, dass er es erzählt hat. Einmal hat er es erzählt. Mir und Fixie, als er zuviel getrunken hatte. Und dass sie unglaublich zu lecken sei, hat er auch erzählt. Schmecke wie eine Sachertorte. Die Muschi käme einem entgegen, als wolle sie einen zurückschlecken. Ganzer Mund voll mit Charlotte.
Gentleman am Arsch! Am Arsch, sag ich!

Seit er beim Schlecker rausgeworfen wurde, hat sich der Fixie gut gehalten. Fortbildungen besucht, Coachings mitgemacht, das Schulenglisch aufgefrischt, ein paar Businessratgeber gelesen und sich viel umgesehen und umgehört. Ein bisschen böse war er uns immer noch, weil wir damals gesagt haben, er soll beim Schlecker bleiben. Obwohl er uns gar nicht gefragt hat, so richtig. Er hat’s uns nur mitgeteilt, und jetzt sollen der Herr Focks und ich vielleicht schuld sein, weil wir damals die Idee mit dem Subway-Franchising, die er uns schon als Schnapsidee verkauft hat, nicht so toll fanden? Wir haben natürlich gesagt: Du kannst das doch immer noch machen mit der Subway-Filiale jetzt. Aber der Fixie natürlich: Nein, damals wäre er horizontal gewechselt, und jetzt wäre er von arbeitslos auf einmal wieder oben. Vertikal. Da spielten die Banken nicht mit. Da hätte man ein ganz anderes Standing. Bisschen wehleidig war der Fixie schon immer, aber man muss auch sagen: Hat sich einwandfrei gehalten.
Dann wohl aber vor ein paar Tagen eine kleine Rückschlagswelle. Ein paar Briefe zurückbekommen, ein paar Lebensläufe, ein paar ungünstige Youtube-Videos gesehen, ein paar mal zu oft einem Untergangspropheten zugehört, und jetzt auf einmal Fixie in der Krise. Kauft sich einen Sechserpack 5,0 Bier beim Rewe, stellt sich an einen Bistrotisch und lässt sich ein bisschen gehen. Also einmal hat er das gemacht. Vorgestern.
Und der Herr Focks musste natürlich noch Plunderstückchen besorgen, und weil alle Bäckereien aus unserer Jugend mittlerweile geschlossen haben und nur noch Filialen in den Supermärkten sind, geht er zum Rewe.
Der Herr Focks sieht ihn zu spät, hat ganz viel Charlotte im Kopf. Steht schon vorm Spuckschutz und schaut sich das Angebot an: Plunderstückchen, Apfelstrudel, Kirschtaschen, Zimtschnecken, Bienenstich, Apfelkuchen, Schmand, Rosinenkuchen, herzhaft belegte Baguettes, Würstchen im Schlafrock und da hat er auf einmal den Fixie im rechten Ohr und der hat schon vier Dosen 5,0 intus und ganz viel Dirk Müller in letzter Zeit gesehen, das ist der aus dem Fernsehen, den sie Mister Dax nennen und der sagt, es kommt zum Crash.

Herr Focks versucht nun, alles richtig zu machen. Er bestellt: eine Zimtschnecke, zwei Stücke Bienenstich, etwas von dem Apfelstrudel, denn der sieht sehr gut aus, und möchtest du auch noch etwas, Fixie?
Fixie sagt: „Unser Finanzsystem dient dazu, dass eine immer kleiner werdende Anzahl von Leuten einen immer größeren Anteil an der Finanzkraft der Bevölkerung auf sich vereinigt. Bis es den Menschen gar nicht mehr möglich ist, Schulden zu machen, weil sie keine Bonität mehr haben.“
Herr Focks hat sich die Tüte mit der Zimtschnecke unter den Arm geklemmt, die übrigen Backwaren balanciert er auf der anderen Hand, sie sind mit Papier überdeckt.
„Tut mir echt leid mit dem Subway“, sagt der Herr Focks.
„Das hat ja damit nichts zu tun“, sagt Fixie und läuft neben Herrn Focks her. „Die wären ja auch pleite. Es ist einfach so, dass es immer wieder zu einem Reset des Finanzsystems kommen muss. Lastenausgleich. Die Enteignung der Reichen. Früher hat man die Templer umgebracht, heute braucht man eine Fiskalsteuer.“
Sie sind durch die Schiebetür durch, als Herr Focks nickt und sagt: „Hat mich sehr gefreut.“
Fixie schaut sich um, und sieht, dass auf dem Bistrotisch noch zwei Dosen Bier stehen, schaut zu Herrn Focks herüber und schlägt ihm einen Arm um die Schulter: „Ich würde gern mit dir reden, komm doch noch mal mit rein. Vielleicht will ich doch einen Amerikaner. So wie früher, weißt du noch? Fix und Foxi?“
„Ich muss nach Hause“, sagt Herr Focks.
„Wart kurz, ich komm mit“, sagt Fixie und geht durch die Schiebetür nach innen.
Herr Focks schaut auf die Zimtschnecke unter seinem Arm und auf das Tablett mit dem Apfelstrudel und dem Bienenstich, schaut kurz nach oben und denkt an einige Sachen, von denen er angeblich nie jemandem erzählen würde. Herr Focks lässt das Tablett fallen und rennt los. Fixie rennt ihm nach.

Ich kann nur darüber spekulieren, was sich die zwei gedacht haben. Ich denke im Kopf vom Herrn Focks war nur eine Blase „Charlotte“, und beim Fixie war nur eine Blase „Sozialer Abstieg“, und die beiden Blasen hatten überhaupt nichts miteinander zu tun, aber jeder hat gedacht, dass der andere dasselbe denkt wie er selbst. Aber das weiß ich nicht.
Allerdings weiß ich, wo sie lang gerannt sind.
Zuerst über den Parkplatz des Rewe, dann eine Gasse hoch, an einem Kiosk vorbei, an einem Lädchen für Fahrräder hinweg, Herr Focks musste da schon keuchen, hat früher geraucht, West Ice, dann sind sie an einer leeren Drogerie vorbei gerannt und an einem Haus, in dem mal eine Judith gewohnt hat, sind über einen Zebrastreifen geflitzt, Fixie hatte Seitenstechen und zwei Stühle einer Eisdiele mitgenommen, Herr Focks ist fast über einen Blumenkübel gestürzt, hat unterwegs die Zimtschnecke verloren, sie fiel auf den Boden und die Tüte riss furchtbar auf, ist dann ein Treppenhaus hinaufgespurtet, in der Tür gestanden und hat sich zu der verdutzten Charlotte umgedreht, die in Pullover und Jogginghose an der Kaffeemaschine stand. Dann hat der Fixie den armen Herrn Focks aus vollem Lauf umgerissen. Und der Herr Focks hat unten gelegen und der Fixie auf ihm drauf und beide haben die Charlotte angestarrt. Und jetzt, wo er zur Ruhe gekommen war, musste der Fixie anfangen zu würgen. Das lauwarme Bier aus dem Rewe ist ihm gar nicht gut bekommen.

Der Fixie hat mir das alles erzählt. Und das einzige, was ich fragen konnte, war, wie die Charlotte ausgesehen hat. Der Fixie hat gelächelt und gesagt: „Gut, ganz normal. Wie eine Frau eben ausschaut. Ein bisschen pummelig ist sie gewesen. Das Haar ein wenig strähnig. Und um die Augen hat sie schon ein paar Falten gehabt, aber sah schon gut aus.“
Dann hat er noch mehr gelächelt. „Weißt“, hat der Fixie gesagt, „wenn ich es mir noch einmal aussuchen könnte, würde ich die Julia noch mal nehmen.“

Gestern bin ich auf die Terrasse gegangen und hab dort Katrin gefunden. Ich wusste das mit dem Fixie schon, und sie hat auch einiges gewusst, wir hatten aber noch nicht darüber gesprochen.
Ich hab mich neben sie auf die Bank gesetzt und wir haben in die Gegend geschaut. Ich hab dann einen Arm um sie gelegt und sie hat ihren Kopf gegen meine Schulter gedrückt.
„Die Charlotte hat mich heute angerufen“, hat sie gesagt. Und, weil sie sehr nett ist, hat sie noch hinzugefügt: „Das ist die Freundin von deinem Herren Focks.“
„Was hat sie denn gewollt?“, hab ich gefragt.
„Sie wollte wissen, ob wir gehört haben, wo der Herr Focks ist?“
„Außer Landes“, hab ich gesagt. „Wieder auf Weltreise. Paris, Johannesburg, Melbourne, vielleicht Wiesbaden.“
„Du hast gar nicht verstanden, wie traurig das eigentlich ist, oder?“, hat Katrin gefragt.
Ich hab nichts mehr gesagt. Man kann nicht mit ihr sprechen, wenn sie so ist.
Viel Glück hab ich dem Herrn Focks heimlich gewünscht und such eine für mich mit.

 
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Deine Argumentation ist halt mehr so nach dem Motto: Der Text ist perfekt und seitdem ich meine Lesart überarbeitet habe und hier und da mal ein Auge zudrücke, sehe ich das auch.

Genau das wollte ich sagen …

Also erotische Fantasien fangen nicht mit Datum und Uhrzeit an, diese Möglichkeit fällt für mich weg.

Also ich glaub unbedingt, dass das die erotische Fantasy des Erzählers ist. Das ist ja fast zwingend so. Anders wär das logisch kaum zu erklären, oder? Woher will er das wissen? Der ganze Text ist doch so, einerseits der Traum, und dann hier die Realität, das ist doch das Thema. Ich finde auch nicht, dass ich da zu sehr was verbiege. Das ist lustig und macht Sinn, wenn das eine Fantasy ist.

Also warum ein Ich-Erzähler etwas erzählt, die Frage ist doch nicht hoch, sondern ziemlich banal. Ich finde schon, dass es legitim ist, sich das zu fragen. Das ist die Frage nach der Motivation der Figuren – und der Ich-Erzähler ist auch Figur.

Ich frage mich zum Beispiel, weshalb der Erzähler das eigentlich erzählt. Das wird mir nicht ganz klar. Man könnte ja annehmen, dass das Verschwinden von Herrn Focks ein Anlass für ihn sein könnte. Aber das scheint ihn nicht zu beschäftigen, er reflektiert darüber gar nicht. Wäre der Text in der dritten Person verfasst, gäbs damit kein Problem. Aber teilweise wirkt er auf mich ein bisschen so, als wäre er im Grunde ein auktorial konzipierter Text, der dann von einem Ich-Erzähler erzählt wird. Ich weiß nicht genau, wie ich das richtig ausdrücken soll. Anders gesagt: Ich frage mich inzwischen, ob dieser Ich-Erzähler die Geschichte auch tatsächlich so erzählen würde, wie er sie erzählt. Ob er wirklich mit Marillen anfangen würde, oder nicht eher mit dem Verschwinden von Focks (als ein Beispiel jetzt).

Aber dir wird doch klar sein, dass sich "normale Leser" diese Frage nie stellen, wenn sich die nicht gerade in den Vordergrund drängt, oder? Also mir gehts jetzt echt nicht darum den Text zu verteidigen, das ist nicht nötig, ich finde den Einwand einfach interessant.
Bei sich dem Kern nähern, warum erzählt er das? Könnt man sich das nicht bei jedem Text fragen? Und der Leser denkt sich einfach: der Ich-erzähler erzählt was, weil der was Interessantes zu erzählen hat, da ist es mir egal ob er ein Serienkiller ist, oder der Typ aus Fight Club oder eine Katze. Und hoffentlich ist er nett und erzählt es so, dass es spannend ist …
Also, das ist vielleicht schon eine berechtigte Frage für den Text hier, aber logisch viel viel höher und literarischer. Also hier: Was ist der Anlass? Ich meine wer schreibt heutzutage schon noch was auf, wenn der nicht gerade Tagebuch führt oder sich für einen Autor hält? Was gibt es da noch groß für Möglichkeiten? Und hier der Text, der hat keinen harten Rahmen, das ist kein Tagebuch, kein Briefwechsel, das ist kein Chatgespräch, kein Auftrag, da gibts also keine "echten" Rahmenbedingunen halten, an die er sich halten müsste, außer dem Logos vielleicht, ja. Wenn es da einen harten logischen Bruch gebe.

Später heißt es dann, dass Fixie ihm das erzählt hat. Dann wundert es mich aber bei dieser Detailfülle, dass Fixie kein Wort dazu gesagt haben soll, weshalb er überhaupt losgerannt ist. Darüber spekuliert der Erzähler aber wiederum– d.h. es interessiert ihn schon, nur gefragt hat er nicht. Also da gibt es so Sachen, die mir nicht ganz plausibel wurden.

Also da hast du recht, wenn man an der stelle ganz genau hinschaut … dann wird das bisschen schwer. Also ich glaube Fixie hat dem sehr wenig erzählt, und diese Details, da wo Fixie über das Finanzsystem labert und so … das sind alles so lustige Dinge wieder, so wie die erotische Fantasy: "Focks lächelt schon, als die Tür aufgeht", die sich der Ich-Erzähler nur dazu gedacht haben kann. Also ich glaube, "in der realität" wird Fixie vor allem erzählt haben, wie Charlotte aussieht. Und der Rest …
Also was ich mir grad denke: Der Focks wird hier als Schwätzer dargestellt …, einer der bisschen viel erzählt, aber der Erzähler ist doch der, der viel erzählt. :) Der das alles mit diesen Details ausschmückt. Seine eigene Fantasie erweckt Focks und Charlotte doch erst zum Leben. Also … inwiefern unterscheidet sich da der Erzähler vom Focks eigentlich? Rein vom Erzählen her, die Art auch? Eigentlich sehr wenig oder? Und woran liegt das? Weil Focks so ist, wie der Erzähler es gerne wäre, und Charlotte so, wie seine "Traum"frau wäre. Das ist alles projiziert. Man weiß fast gar nichts über Focks. Man weiß im Endeffekt nur, dass der Erzähler solche Sehnsüchte und Wünsche und Träume hat. Der Text hat wirklich große Ähnlichkeiten mit dem Weinverkäufer. Das ist alles so ein Traum irgendwie.

Aber da hast du schon recht, das mit dem Loslaufen und dann Focks verschwinden … warum der so schnell verschwindet schienbar, da wird es ein bisschen kniffelig alles mit der Logik, bin ich auch nicht total mit einverstanden.

Zur Frage wie der Ich-Erzähler erzählt ... Was doch letztlich dahinter steckt, ist: verschwindet der Autor hinter dem Erzähler, oder fühlt man den Schatten seiner Hand. Und bei diesem Text habe ich halt das Gefühl, dass der Autor immer wieder ein bisschen eingreift. Dass der Erzähler nicht so lebendig wird, dass er mir wirklich selbst die gesamte Geschichte erzählt. Der Text wird halt immer wieder beschleunigt und das hätte es gar nicht gebraucht, finde ich

Ja, das ist eine andere Frage jetzt, das Wie. Also ob man den Text nicht anders hätte besser erzählen können … klar möglich wärs, die Frage kann man stellen, ob das zum Schluß so schnell gehen muss und so ... weiß ich auch nicht, ist eine interessante Frage. Aber ich glaube der Schluß passt halt irgendwie zum Erzähler, zu seinen Wünschen auch.

 
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Bei diesem Abschnitt frage ich mich, wer das erzählt. Das klingt jedenfalls nicht mehr nach einem Ich-Erzähler.
Ja, klar. Das ist ein unzuverlässiger Erzähler. Das sollte ja gerade deutlich werden, dass er an der Stelle eben seine sexuellen Phantasien auf Charlotte hier projeziert. Die Stelle kommt doch gleich nach der "inneren dritten Hand"-Sache.
Ich denke es wird deutlich, weil es auf der einen Seite diese "Frau im Trenchcoat"-Phantasie gibt und auf der anderen, wenn sie dann im Pulli vor der Kaffeemaschine steht. Da muss er als Erzähler gelogen haben. Denn innerhalb der Geschichte, die der Erzähler erzählt, müsste sie nackt im Bett liegen, willig und bereit für das Plunderstück da alle Verrenkungen zu machen.
In der anderen Version der Realität hat sie aber normale Rumlungerkleidung an und macht grad Kaffee.

Wenn der Erzähler dann später berichtet, wie sich Focks und Fixie im Supermarkt über den Weg laufen, schildert er das in so einer Detailfülle, sogar mit Dialogen, dass ich mich schon gefragt habe, woher er das eigentlich wissen kann. Das sind Stellen, wo sich die Erzählstimme plötzlich ändert. Da wird das Ganze plötzlich so szenisch erzählt, dass der Plauderton erstickt.
Ja, klar.

Das empfinde ich jetzt auch, je länger ich über den Text nachdenke, als ein Problem. Mir kommt die Perspektive unscharf vor. Ich frage mich zum Beispiel, weshalb der Erzähler das eigentlich erzählt. Das wird mir nicht ganz klar. Man könnte ja annehmen, dass das Verschwinden von Herrn Focks ein Anlass für ihn sein könnte. Aber das scheint ihn nicht zu beschäftigen, er reflektiert darüber gar nicht. Wäre der Text in der dritten Person verfasst, gäbs damit kein Problem. Aber teilweise wirkt er auf mich ein bisschen so, als wäre er im Grunde ein auktorial konzipierter Text, der dann von einem Ich-Erzähler erzählt wird. Ich weiß nicht genau, wie ich das richtig ausdrücken soll.
Wenn man so will, ist der Erzähler in dieser Geschichte auch ihr Konstrukteur. Vielleicht beschäftigt ihn viel mehr, was in ihm selbst vorgeht, was diese Sache mit Charlotte über ihn selbst aussagt. Vielleicht versucht er das unter Kontrolle zu kriegen und er erzählt die Geschichte deshalb?
Also die Perspektive ist unscharf, ja, aber nicht im Sinne von "Der creative writing Schüler springt in die falsche Perspektive in einer Szene, in der drei Leute am Kaffeetisch sitzen", sondern in einem modernen Sinne, finde ich. Dass man Ich-Erzählern in Geschichten einfach nicht trauen kann.
Für mich war an der Stelle, wenn er da ewig über Aqualux und den dritten Stock erzählt, und dann sagt "Man sieht, der Herr Focks wäre auch ohne eine Charlotte sehr glücklich gewesen", da war für mich klar: Okay, dem Erzähler können die Leser unmöglich vertrauen. Das ist ein dickes Neonwarnsignal: Vorsicht vor dem Erzähler.

Anders gesagt: Ich frage mich inzwischen, ob dieser Ich-Erzähler die Geschichte auch tatsächlich so erzählen würde, wie er sie erzählt. Ob er wirklich mit Marillen anfangen würde, oder nicht eher mit dem Verschwinden von Focks (als ein Beispiel jetzt).
Das ist halt so eine Sache. Also es ist klar: Der Text ist konstruierter als wenn da einer, der noch nie geschrieben hätte, das einfach so runtererzählen würde.
Würde er das so erzählen wie es hier erzählt wird? Nein. Weil er kein Autor ist. Wenn es danach ginge, wären so viele Romane mit Ich-Erzählern furchtbar mies, weil die Ich-Erzähler lange nicht so gut schreiben könnten wie ihre Autoren. Das ist gemogelt und ein Kompromiss immer (Warum sollte Max Faber, ein Architekt, so gut schreiben können wie Max Frisch, einer der besten Autoren seiner Zeit, der sich sein Leben lang mit dem Erzählen und Sprache beschäftigt hat? Geht nicht auf).

Also erotische Fantasien fangen nicht mit Datum und Uhrzeit an, diese Möglichkeit fällt für mich weg. Und ich finde es auch nicht so hilfreich, wenn man versucht, Ungereimtheiten oder Perspektivunschärfen in Stärken zu verbiegen.
Ich seh das wie juju, ich finde auch, das sind Stärken des Textes. Perspektivunschärfen - ja. Denkst du wirklich, diese Szene, wenn die Frau da nackt unter dem Trenchcoat reinommt und ist sofort nackt und willig - wie soll der Erzähler an diese Information rangekommen sein? :) Wenn das keine Phantasie ist wie aus dem Lehrbuch. Und dann eben auch die Flucht - in meiner Version "Was wirklich passiert ist?" - ist Fixie ihm einfach nachgegangen, ohne großes Drama, ohne rennen und dass sie über Stühle fliegen. In meiner Version haben Charlotte und Herr Focks eine ganz normale, langweilige Sache´und Charlotte hat vielleicht bei ihm die Nacht verbracht, und Herr Focks geht einfach zum Bäcker, holt bisschen Gebäck, Charlotte macht daheim Kaffee, Fixie ist in einem Tief, labert ihn an, bekommt die kalte Schulter, fühlt sich abgewimmelt und geht ihm nach. Also schon das, was hier passiert, aber 4 Zacken runtergedreht auf der Lautstärkeskala.
Es ist halt so eine creative writing Sache und wenn man sich mit dem Schreiben beschäftigt, dann zu sehen: Perspektivfehler und "auktorialer Erzähler" und diese Sachen, das sind ja Sachen für ganz konventionell erzählte Geschichten. Das hier ist keine konventionell erzählte Geschichte, denke ich, und da ist diese "Perspektivunschärfe" einfach auch Programm, finde ich.

Und bei diesem Text habe ich halt das Gefühl, dass der Autor immer wieder ein bisschen eingreift. Dass der Erzähler nicht so lebendig wird, dass er mir wirklich selbst die gesamte Geschichte erzählt.
Der Erzähler der Geschichte hat doch kein Interesse daran, dass hier Sachen über ihn klar werden. Dass er mit dem, was ihn beschäftigt, rausrückt. Bei dieser Art zu erzählen, sagt der Text ja auch was über die Erzählfigur aus, warum bewertet er das so, was sagt das über ihn usw.
Also mir macht das Spaß, ich weiß nicht, ob das dann Fehler des Autors sind. Wenn man so erzählt, ja mei, das sind halt "unsaubere" Perspektiven, weil der Erzähler eben nicht, wie du sagst, "wirklich die gesamte Geschichte erzählt."
Das ist wie bei "Die üblichen Verdächtigen". Da kann man am Ende doch auch nicht sagen: Der Regisseur ist schuld, dass Verbal Kint den ganzen Film über gelogen hat. :)

Es ist schon hier auch der Spaß dran - oder wäre es für mich als Leser - neben dem was passiert, noch mal auf einer anderen Ebene zu sehen, was das auch über den Erzähler sagt.

Ich finde das auch schwierig, ich kann da auch nichts gegen sagen, wenn man unzuverlässige Erzähler verwendet, dann ist man halt aus diesem Perspektiv-Fehler-Konsens da schnell raus; aber ich denke, wenn man Ich-Erzähler verwendet in einer "modernen" Variante, da kommt man doch um "unzuverlässig" kaum noch herum. Dass ein Ich-Erzähler filtert und wertet und sich Sachen ausdenkt und das man ihm auf den Zahn fühlen muss, ist doch eine der schönsten literarischen Entwicklungen der letzten 100 Jahre.

Gruß
Quinn

Hallo juju!

Jo, ich seh das wie du. Es ist halt eine Konstruktion. Ich denke er hat zwei sehr "wahre" Momente im Text. Das Ende und beim Griechen, wenn er Katrin anschaut "Warum sagst du nichts so Kluges auf so süße Weise/ Warum redest du nie so von mir wie der Herr Focks über die Charlotte" - das waren für mich so die Momente, in denen sich der Erzähler in die Karten schauen lässt und dass er doch mitgekriegt hat, was hier im Text passiert ist. Und vielleicht auch, warum er das erzählen will.

Aber was soll ich sagen? Ich mein, man kann sich mit dem Text doch sicher länger und anders befassen, als mit einer sehr straighten konventionellen Geschichte.

Ich will mich da auch nicht aus der Verantwortung stellen, aber - jetzt das Ding hier ganz straight und konventionell erzählt, das wäre ja ein furchtbares Rührstück. So mit dem Finger von außen. Für mich gehört dieser Erzähler unbedingt zu der Geschichte. Weiß gar nicht, wie die anders möglich wäre.


Gruß
Quinn

 

Bei sich dem Kern nähern, warum erzählt er das? Könnt man sich das nicht bei jedem Text fragen?

Der ist im Präsens verfasst, das ist auch noch mal ein Unterschied. Aber hier bei diesem Text habe ich mich halt gefragt, was den Erzähler eigentlich umtreibt, was ihn an dieser Geschichte beschäftigt.

Also ich hab ja gar kein Problem mit unzuverlässigen Ich-Erzählern. Das ist mir auch nicht entgangen – insbesondere bei dieser Stelle, wo Focks bestreitet, das mit der „dritten Hand“ erzählt zu haben. Als Leser geht man halt davon aus, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Dass Focks mal etwas erwähnt hat, das in diese Richtung ging und der Erzähler das dann aufgebauscht hat. Das funktioniert ja gut und hat eben auch einen Zweck: Man kommt dem Erzähler auf die Schliche. Das ist für mich deshalb gut gemacht, weil der Erzähler sich hier selbst verrät. Das sickert halt irgendwie durch die Zeilen, deshalb ist das gut.
Also die Trenchcoat-Sache ... Das finde ich dann tatsächlich schwächer, weil damit eben noch mal in die selbe Kerbe gehauen wird – nur mit viel drastischeren Mitteln. Im Prinzip ist das mit der „dritten Hand“ wirklich das gleiche. Aber halt viel subtiler – auch wie Fixie sagt, dass das jetzt auch nicht soo klug war, was Charlotte gesagt hat. Solche Stellen finde ich viel wirkungsvoller als so eine Sexphantasie, die den Text hier in diesem Fall auch stilistisch aufreißt. Das mag auch eine Geschmacksfrage sein. Aber die Stelle fällt für mich aus dem Text heraus, weil hier dann offenbar jemand adressiert wird. Offenbar manipuliert der Erzähler hier die Wahrheit ganz bewusst, er lügt also jemanden an – sonst müsste er ja nicht erzählen, wann sich das zugetragen hat. Er will das offenbar als Wahrheit verstanden wissen. Deshalb ist „Sexfantasie“ vielleicht auch das falsche Wort, weil es dann weniger um die Fantasie als viel mehr um die Manipulation gehen würde. Und das ist dann schon ein ganz neues Element, das ich auch im übrigen Text nicht so richtig finde. Es ist ja ein großer Unterschied, ob der Erzähler sich unbewusst verrät, wie bei der Sache mit der dritten Hand, oder ob er bewusst manipuliert. Und welchen Zweck verfolgt er denn damit? Das meine ich eben auch mit Perspektivunschärfe. Hier sieht man doch schon irgendwie, dass es ein Problem ist, wenn nicht klar wird, warum eine Figur etwas beschäftigt.
Insofern, klar, irgendwie komme ich mir jetzt auch blöd vor, dass ich das nicht so eindeutig als Fantasie erkannt habe, aber andererseits finde ich halt, dass das auch so gar nicht reinpasst irgendwie.

Das ist halt so eine Sache. Also es ist klar: Der Text ist konstruierter als wenn da einer, der noch nie geschrieben hätte, das einfach so runtererzählen würde.
Würde er das so erzählen wie es hier erzählt wird? Nein. Weil er kein Autor ist. Wenn es danach ginge, wären so viele Romane mit Ich-Erzählern furchtbar mies, weil die Ich-Erzähler lange nicht so gut schreiben könnten wie ihre Autoren. Das ist gemogelt und ein Kompromiss immer (Warum sollte Max Faber, ein Architekt, so gut schreiben können wie Max Frisch, einer der besten Autoren seiner Zeit, der sich sein Leben lang mit dem Erzählen und Sprache beschäftigt hat? Geht nicht auf).

Das ist schon klar. Das ist auch nicht so mein Punkt. Ich meinte eher die Frage, ob eine Geschichte aus einer Figur heraus erzählt stimmig ist oder nicht. Mir geht es nicht um das Stilistische, das immer unrealistisch ist. Also wenn ich sage, dass mir der Text auktorial vorkommt, oder dass ich nicht weiß, ob diese Figur das so erzählen würde, meine ich damit, dass sich der Text so ließt, als hätte vor allem der Autor eine Motivation, die Geschichte zu erzählen, die Figur eher weniger. Bzw. bei der Figur sehe ich sie halt nicht. So kommt mir das vor. Aber wenn man einen Ich-Erzähler hat, sollte der einem doch die Geschichte erzählen ...

Der Erzähler der Geschichte hat doch kein Interesse daran, dass hier Sachen über ihn klar werden. Dass er mit dem, was ihn beschäftigt, rausrückt. Bei dieser Art zu erzählen, sagt der Text ja auch was über die Erzählfigur aus, warum bewertet er das so, was sagt das über ihn usw.
Also mir macht das Spaß, ich weiß nicht, ob das dann Fehler des Autors sind. Wenn man so erzählt, ja mei, das sind halt "unsaubere" Perspektiven, weil der Erzähler eben nicht, wie du sagst, "wirklich die gesamte Geschichte erzählt."

Also Fakt ist, dass er erzählt. Und das müsste irgendeinen Grund haben. Und das ist ja nicht altbacken, diese Forderung, daran hat sich nichts geändert in den letzten hundert Jahren. Umso mehr, wenn das ein unzuverlässiger Erzähler ist. Er will nicht, dass Sachen über ihn klar werden, das ist ja okay – aber was will er denn? Er befindet sich ja in dem Moment, wo er die Geschichte erzählt, in gar keinem Konflikt mehr. Es ist ja nicht so, dass ihn das Verschwinden von Focks beschäftigt, was eigentlich auf der Hand liegen würde, und er sich mit ihm wirklich auseinandersetzt. Das wäre für mich halt ein Ansatzpunkt. So ist das für mich halt ein Problem. :-)

Gruß

Hal

 

Hey Hal,

Das funktioniert ja gut und hat eben auch einen Zweck: Man kommt dem Erzähler auf die Schliche. Das ist für mich deshalb gut gemacht, weil der Erzähler sich hier selbst verrät. Das sickert halt irgendwie durch die Zeilen, deshalb ist das gut.
Also die Trenchcoat-Sache ... Das finde ich dann tatsächlich schwächer, weil damit eben noch mal in die selbe Kerbe gehauen wird – nur mit viel drastischeren Mitteln. Im Prinzip ist das mit der „dritten Hand“ wirklich das gleiche. Aber halt viel subtiler – auch wie Fixie sagt, dass das jetzt auch nicht soo klug war, was Charlotte gesagt hat. Solche Stellen finde ich viel wirkungsvoller als so eine Sexphantasie, die den Text hier in diesem Fall auch stilistisch aufreißt.
Ich denke, es ist auch schwer mit „Subtilität“. Wenn etwas zu subtil ist, dann verstehen es viele nicht, oder sehen es nicht, hier ist es schon deutlicher, finde ich. Es ist die Frage, ob das jetzt zu deutlich wird, dass es eine Sexphantasie ist. Ich finde: Nein. Es ist ja nicht so, dass hier in einem Text auf Seite 3 etwas impliziert wird, dass dann auf Seite 300 endlich aufgelöst wird – das würde mich auch ärgern. Sondern es schlägt ein, zwei Absätze in dieselbe Kerbe, in einer anderen Tonart – ja. Vielleicht derber. Aber ich find’s für sich, doch auch eine schöne Szene, was er sich da eben vorstellt, welche Art von Phantasie er da entwickelt, das sagt doch auch viel über ihn aus.

Also wenn ich sage, dass mir der Text auktorial vorkommt, oder dass ich nicht weiß, ob diese Figur das so erzählen würde, meine ich damit, dass sich der Text so ließt, als hätte vor allem der Autor eine Motivation, die Geschichte zu erzählen, die Figur eher weniger. Bzw. bei der Figur sehe ich sie halt nicht. So kommt mir das vor. Aber wenn man einen Ich-Erzähler hat, sollte der einem doch die Geschichte erzählen ...
Ich denke der Erzähler hat schon eine Motivation sich der Geschichte hier zu widmen. Der erzählt, um das für sich auf die Reihe zu kriegen. Um das für sich auch zu ordnen. Das beschäftigt ihn doch auf jeden Fall, was da in ihm vorgeht und in Fixie, und dass er Fixie in Schutz nimmt, und Herrn Focks auch. Wenn man so will, kann man die Motivation der Geschichte sehen, dass Katrin ihm am Ende sagt, er verstünde das gar nicht, warum es so traurig sei. Das will er dann beweisen. Er versteht das schon, er sieht das nur nicht so! Oder naja … vielleicht hat sie ja doch Recht.
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Er will nicht, dass Sachen über ihn klar werden, das ist ja okay – aber was will er denn? Er befindet sich ja in dem Moment, wo er die Geschichte erzählt, in gar keinem Konflikt mehr. Es ist ja nicht so, dass ihn das Verschwinden von Focks beschäftigt, was eigentlich auf der Hand liegen würde, und er sich mit ihm wirklich auseinandersetzt. Das wäre für mich halt ein Ansatzpunkt. So ist das für mich halt ein Problem.
Ich denke das Verschwinden von Focks und Charlotte und das alles, das beschäftigt ihn massiv.
Wenn er da Fixie „vorschickt“, um seine Arbeit zu machen. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht hat er es lieber hinter dem Vorhang und kann durch Herrn Focks dessen Leben leben. Und vielleicht auch nicht, vielleicht ist ihm jetzt – so wie Fixie – die eigene Frau wieder attraktiver.
Ich kann das auch nicht abschließend beantworten. Das ist auch schwierig, finde ich, dann genau zu sagen, was da in der Figur, die das erzählt, vorgeht. Wenn man schreibt, versucht man ja auch in die Figur reinzukommen und dann im Schaffensprozess ergibt vieles einen Sinn, der dann später schwer zu rekonstruieren ist.
Die Frage ist für mich, ob die Figur letzlich schlüssig ist und der Text. Und das ist auch schwer, weil Menschen auch nicht super aufgehen, bis ins letzte. Und wenn man dann eine Figur hat, wie hier, bei der viele Leute sagen können: Okay, den find ich echt spannend, da ist was da, über das man nachdenken kann, dann ist das doch eigentlich ganz schön.

Also ich denke auf keinen Fall, dass der Erzähler mit dem Stoff keinen Konflikt mehr hat. Und dass er nicht gezwungen ist, durch diese Geschichte auch einen Blick auf sich selbst zu werfen. Aber grade das will er natürlich nicht zugeben, dass er hier an den Grundfesten rumrüttelt. Also die Basis, auf die der Erzähler sein Leben gestellt hat, mit „Ich hab dann eine Katrin geheiratet – ohne h“ und „Man kann nicht mit ihr reden, wenn sie so ist“ – das ist ja schon eine Basis, bei der man als Leser sagen müsste: Das ist auf Sand gebaut.
Und jetzt durch die Sache mit Charlotte wird da eben mal genauer hingesehen.
Das ist halt dieser Konflikt am Ende, wenn er sagt: Such eine für mich mit, das macht für mich die Figur hier aus.
Ich weiß nicht, ob man den durch Reduktion vergrößern würde. Also die Szene raus, und das subtiler, es geht sicher immer irgendwas in der Konzeption noch anders, und noch präziser und noch leiser, es ist dann die Frage, wen so eine Geschichte dann noch juckt. Also man braucht ja auch mal was fürs Auge. :)
Es ist ja hier grade die Mischung zwischen Komik und Tragik, die gut ankommt, denke ich. Es ist dann die Frage, ob die komischen Elemente durch die Ernsthaftigkeit der Situation gerechtfertigt sind. Aber ich denke man muss da auch dem Leser was geben, ich kann da auch nicht aus meiner Haut. Also super subtil und feingliedrig, wäre nicht so meins: Ich mag’s auf der Oberfläche derb und unten drunter dann feiner, wenn man näher hinguckt, aber nur leise: Nee, wollte ich nicht.

Vielen Dank noch mal für deine Überlegungen, ich find’s sehr interessant, die Geschichte noch einmal aus so einer Warte zu besehen und wird das sicher im Hinterkopf behalten
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

Einmal scheint Du Dich nicht entscheiden zu können, wovon Du eigentlich erzählen willst - ein bisschen Schulzeit, ein wenig Beziehungsgeschichten, dann noch etwas Gesellschafts- kritik - das ist mir in diesem Rahmen zu viel, ich tue mich schwer, mit diesem Mix warm zu werden.
Ich denke, du wirst mit der ganzen Geschichte halt nicht warm. Ich versteh das, ich versteh die Kritik auch, aber hier z.B: „Gesellschaftskritik“ – das kommt immer. In der Geschichte ist „Gesellschaftskritik“ – wo denn? Bzw. wenn es Gesellschaftskritik wäre, dann könnte man ja keine ohne schreiben. Also auch hier „ein bisschen Schulzeit“ – das ist einfach ein Rückblick, der zu der Geschichte dazugehört. Liest man das und denkt: Oh! Eine Schulzeitgeschichte! Und ist dann total enttäuscht, wenn es nach 3 Absätzen was anderes wird? Also ... die Geschichte lässt sich halt nicht sofort in eine Schublade stecken -
Das mit der Gesellschaftskritik find ich schon immer absurd als Begriff und als Vorwurf.

Dann wirken viele Stellen unrund, sodass man beim Lesen wirklich stutzig wird.
Ja, das ist halt so in einem Literaturforum. Bei einem Text merkt man Dinge an, weil man denkt: Naja, der Autor ist ja noch ein Anfänger, vielleicht hat er da Fehler gemacht. Da stolpere ich drüber, das merke ich an.
Also grundsätzlich, bei dem Teil mit dem „Der muss glücklich sein“, da SOLL der Leser um Gottes Willen stutzen. Da soll er nicht pfeifend dran vorbeigehen.
Aber dann zu sagen: Der Autor weiß offenbar gar nicht, was er da schreibt, und fischt völlig im drüben, das kann einem dann auch wieder nur in einem Literaturforum passieren, weil da der Autor eben nicht diesen Bonus hat „Der wird schon wissen, was er da macht".

Wozu, für wen relevant? Woher weiß der Erzähler das? Wirkt wie "vor-sich-hinsinnieren".
Ja. ;) Ich seh den Kritikpunkt, aber ich denke dann: Ja, so könnte man den Text von jemandem in einem creative writing Kurs kritisieren, in dem es darum geht, dass irgendein pseudo-auktorialer Erzähler möglichst neutral davon berichtet, wie es dritten so ergangen ist.
Das ist völlig weg von dem, was ich mit der Geschichte machen wollte.
„Für wen relevant“? Zeigt dass der Erzähler sich auch schützend vor Herrn Focks stellt.
Woher weiß der Erzähler das? Er vermutet es nur, vielleicht geht er mit Arbeitskollegen aus der Spedition Lampale gerne einen trinken?
Wirkt wie „vor sich hinsinnieren“? Der ganze Text ist so. :) Es ist doch nicht die Aufgabe des Erzählers hier, dass der Leser zu Hause einen objektiven Blick auf das Geschehen hier kriegt. Der Erzähler manipuliert. Der wählt aus, der dichtet Sachen dazu, der war nie in einem creative writing Kurs. :)

Das ist grundsätzlich halt die Sache. Ich verstehe, dass man einen Text nicht mag. Der Text hier kann unmöglich für jeden geschrieben sein, in jeder Situation, usw. Im Forum sind natürlich viele, idie mit dem Schreiben anfangen und aus so einer „creative writing“-Richtung kommen, für die ist jede Form von abwegiger Erzählsituation erstmal der Horror, weil das ausgeklammert wird in der Logik dort.
Also mal angeommen, ich würde den Text jetzt in diesem Grundkontext so abändern, dass er deinen Ideen folgt, dann würde er weder so, noch anders funktionieren.

Als IT-ler kennt er sich mit Urheberrechtsverletzungen aus? Den IT-ler musst Du mir zeigen
Mit Abhmanungen wegen illegalem Download? Find ich schon glaubwürdig, dass der sich damit auskennt.

Wofür ist das wichtig? Scheint ein völlig neuer Kontext. Hat keine Anbindung zum Gesamtzusammenhang, finde ich.
Ja, das ist das halt.
Also der Text ist eben nicht: Ich erzähle neutral vom Schicksal einer dritten Person, so dass der Leser sich sein eigenes Bild machen kann. Ich erzähl nur das Wichtige, ich bleibe immer beim Thema. Sondern das ist auch: Warum sagt der das jetzt da?
Was sagt es über den Erzähler aus, dass er meint, er müsste diesen halben Satz da schreiben
Und du kannst dann fragen: Quinn, lieber Autor. Warum denkst du, dass der Erzähler denkt, er müsste jetzt diesen Satz schreiben.
Und dann kann ich dir sagen: Weil der Erzähler dieser Geschichte an dieser Stelle sagen will, dass er selbst studiert hat, und der Herr Fox nicht. Und dass er aber nicht Germanistik studiert hat, sondern einen Brotberuf, und dass er denkt, wenn er Germanistik studiert hätte, dann hätte er jetzt auch eine andere Frau. Und das ist alles für mich wichtig, es in der Geschichte drin zu haben.
So ist das halt mit vielem. Die Geschichte hier ist, konzipiert, auch, dass der Erzähler über sich selbst erzählt.
Das ist im „creative writing“ nicht vorgesehen.
Deshalb find ich die Kritik halt schwierig, das ist wie am Anfang, wenn Berg sagt: Es wird alles nur erzählt, ja … klar
Dann sagt der nächste: Ja, wie kann denn der Erzähler das wissen? Der denkt sich das doch aus? Ja, klar.
Und du sagst: Hier sind ja vier verschiedenen Themen und der Erzähler kommt zu komischen Schlüssen und bleibt überhaupt nicht am Ball? Ja. Klar.

Also das sind Kritiken, da kann ich nur nicken und sagen: Ja, aber ich würde das ganz anders werten.

Hier fordern turnusmäßig immer Leute, dass „neue Literatur“ zugelassen wird und dass man ausbricht und Experimente wagt, ich denke der Text hier ist, obwohl er überhaupt nicht so aussieht, mindestens so experimentell wie der Kram, in dem alles kleingeschrieben wird und es tausend Formatierungstricks gibt, der irgendwo in den Untiefen des Forums lauert. Wo die Gesaltung in der Sprache stattfindet, dass man vom Textbild schon sagen kann: „oh, hier hat jeder Satz nur ein Wort. Das ist wohl experimentell.“

Dann sagst du am Ende, du hättet gerne mehr über Bonität erfahren und wie das zusammenhängt … also dann muss man halt auch sagen: Dann bist du nicht die Zielgruppe für den Text, ich weiß aber auch nicht, wie man mit „bonität“ und wirtschaftlichen Thesen einen spannenden Text gestalten sollte. Wenn du davon wirklich mehr lesen willst, das ist alles komplett von dem Börsianer, der da auch zitiert wird. Dieter Müller, heißt der glaub ich.
Das kannst du also jederzeit in voller Länge nachlesen.
Man kann halt nicht für jeden schreiben. Wenn ich hier anfange und schreib 50 Zeilen darüber, was Fixie im Internet von Dieter Müller über die Schuldenkrise gehört hat, glaubst du wirklich, der Text hier wäre dann besser?
Könnte man einen anderen Text schreiben und sich da über die Schuldenkrise unterhalten und Leuten die Thesen in den Mund legen? Ja, klar. Aber bei dem Text hier?

Also ich versteh die Kritik, find sie aber schwierig. Die Kritik ist letztlich „Ich würd gern was anderes lesen“, so zu kritisieren ist aber schwierig, weil ich eben nix anderes geschrieben hab. Also statt ein Bericht eines Erzählers über seine beiden besten Freunde, deren Leben und fiktive Frauenbilder usw. möchtest du lieber einen nüchternen Bericht lesen, in dem sich Leute über die Finanzkrise austauschen.
Ich kann die Kritik echt gut verstehen, aber ich wüsste nicht, wie ich sie umsetzen soll. Im Prinzip müsste ich alles komplett löschen und den Text so aufbauen, dass es dort Leute gibt, die sich über diese Finanzkrise unterhalten können, und nicht über ihre Frauen.

Also deine Kritik direkt hier auf den Text angewandt, ist ja eigentlich: Der Erzähler soll objektiver sein. Der Erzähler soll weniger rumlabern. Der Erzähler soll sich bemühen, konkreter zu werden.
Das sind Kritikpunkte, die sage ich im Jahr sicher auch 200mal zu anderen Texten.
Ich denke: Auf den Text hier angewandt würde das einen ganz anderen Text geben.

Ich denke, es ist da eben ein Unterschied, ob man sagt: Quinn, warum erzählst du den Text so?
Oder: Warum denkst du, dass die Erzählfigur, die du dir ausgedacht hast, diesen Text so erzählt?
Das sind 2 verschiedene Arten von Kritik hier.
Wenn man akzeptiert: Okay, der Autor ist soweit, dass er hier eine Erzählfigur erschaffen hat, und das macht – ist halt eins.
Wenn man sagt: Hier ist aber schmuddelig erzählt, der Autor kann es offenbar nicht besser – das ist halt was anderes dann.

Also tut mir leid, ich bin nicht genervt oder lehne deine Kritik rundheraus ab, ich hab mich schon mit den Kritikpunkten, auch vor der Kritik auseinandergesetzt, das beschäftigt mich aber natürlich schon. Also ist natürlich auch ein Text, bei dem man als Autor dann sagen muss: Jo … ich seh ein, dass der Text diese Schwachstelle hat und diese Schwachstelle, das muss aber so sein, weil es viel über den Erzähler sagt und wie er tickt.
Und wenn man dann halt denkt: Der kann’s halt nicht besser, ist das halt ein Text, bei dem man als Autor nicht so glänzen kann. Ist auch okay.

Gruß
Quinn

 

Hi,

In Form der Worte, die Fixie im Gespräch mit Herrn Focks gebraucht - habe ich schon zitiert. Implizit doch wohl auch. Fixie wird gefeuert, findet keine Stelle, lässt sich gehen... wenn Du damit nichts sagen willst, gut. Bei mir kommt es aber so an.

Mich würde interessieren, was aus diesem Ansatz entstehen kann - keineswegs nur als "nüchterner Bericht" über die Finanzkrise. Ich lese ja hier keine Zeitung. Aber weil das nur so angerissen wird, ohne weitergeführt zu werden, langweile ich mich als Leser ein bisschen.

Es ging ja darum, dass du gesagt hast: Es ist zu viel in dem Text und Gesellschaftskritik auch.
Und da frag ich mich halt: Wie man einen Text schreiben soll, ohne ihn irgendwie mit der Gesellschaft zu verknüpfen.
Also dass Leute arbeitslos werden oder dass es die Wirtschaftskrise gibt – das kann man ja nicht ausblenden, weil es dann zu viel wird.
Das ärgert mich an dem Begriff „Gesellschafstkritik“ immer. Da ist einer arbeitslos – Gesellschaftskritik!
Innerhalb der Geschichte hat das schon eine Funktion – du sagst „Es wird nur angedeutet, führt aber zu nix“ – Ich finde es macht die Figur aus, die sich über den Beruf definiert hat, so wie sich Herr Focks eben über die Frau definiert hat, und dann führt es zu diesem Konflikt.
Das entsteht aus diesem Absatz.

Ich möchte dir entschieden widersprechen. Ich kann doch nicht dich fragen, warum Du deine Geschichte wie gestaltet hast. Dann wären wir im creative- writing-Seminar, wo alle im Kreis sitzen. Als Leser möchte ich nur die Geschichte lesen und unterhalten werden. Gut, vielleicht auch was lernen.
Ist ein Missverständnis.
Du hast mich gefragt.
Ich wollte deutlich machen, dass du, meiner Ansicht nach, die falsche Frage gestellt hast.
Du hast gefragt: Warum hast du das so geschrieben?
Und ich wollte, dass du fragst: Warum denkst du, hat der Erzähler das so erzählt?
Darum ging es mir.
Die Geschichte hier verlangt schon mehr als nur zu sitzen und sich berieseln zu lassen, ja.
Das ist mit jeder Form von unzuverlässigem Erzähler so. Wenn man den nicht erkennt, wenn man nicht anfängt, den Erzähler zu hinterfragen, geht so ein Text als Leser jedes Mal schief.
Das Problem als Autor ist, dass der Leser oft dann den Autor hinterfragt und nicht den Erzähler.

Würdest aber einfach den vorherigen Teil etwas ändern, sodass das Glück des Herrn Focks deutlicher wird, wäre auch der Leser viel glücklicher: er würde mitgenommen.
Du meinst, ich soll reinschreiben: Bitte, lieber Leser, frage dich doch an der Stelle, was mit dem Erzähler schief gelaufen ist, dass er diese trostlose Passage damit beendet auf das Glück von Herrn Focks hinzuweisen?
Du siehst ja selbst, dass es nicht passt. Aber die Reaktion, die mich mir gewünscht hätte: Der Leser hinterfragt den Erzähler.
Deine Reaktion: Ich hinterfrage den Autor. Das ist eine Option, die man außerhalb des Forums kaum hat.

Also das „mitgenommen“ – man kann nicht jeden Leser mitnehmen.
Du hast gesagt im Prinzip vom ersten Absatz, letzte Zeile, war dir der Erzähler schon extrem unsympathisch. Dann liest man einen Text auch so, dann ist man gegen ihn eingenommen.
Also wen soll man „mitnehmen“? Man kann nicht jeden mitnehmen. Wenn du schon bei der Passage mit dem Kalbfleisch sagst: Zynischer Erzähler! Unsympath.
Dann war’s das halt. Ich kann doch nicht so schreiben, dass es keinem weh tut und dass es so schön unpointiert dahinsiecht.

Du hast ja schon gesagt: Der verdient keine Frau. Wer verdient denn überhaupt irgendwen? Also ist halt klar, wenn unsere Weltbilder schon vor der Geschichte so stark entgegengesetzt sind, dann könnte so ein Text nur funktionieren, wenn ich mich und meine Ansichten und meine Art möglichst aus so einem Text raushielte. Und das bringt überhaupt nix.

Du hast im Moment wahrscheinlich sehr diesen creative-writing-Blick auf Texte, da liest man das so halb-automatisch und dann „Unklar“, roter Strich dran, Perspektivfehler, „woher weiß das der Erzähler“, „Unklar“, „Ja? Schon wieder Kindheit“ usw.


Aber vielleicht gibt´s auch in solchen Kursen etwas zu lernen?
Ja, klar, gibt es da was zu lernen. Aber man kann es nicht auf alles anwenden. Creative Writing ist mies darin, wenn es um Erzählperspektive geht z.b. Wenn es um Kohärenz geht. Da hört es auf.
Und das Problem ist mit „creative writing“; grade bei Leuten, die erst angefangen haben, sich damit zu beschäftigen, dass sie es sehr formelhaft und blind anwenden.
Und man muss auch sagen - ich hab neulich wieder gesehen, wer da so Kurse anbietet und was der selbst so schreibt – mit dem „creative writing“ wird auch, grade im Internet, viel Geld gemacht und viele Leute bieten da Workshops an, die dafür nicht sonderlich qualifiziert sind, denke ich. Wir haben da halt nicht die Kultur wie in den USA, wo das an Hochschulen gelehrt wird, sondern bei uns geht das alles mehr im Erwachsenenbildungsbereich/VHS/Privat-Kurs ab – wäre da insgesamt skeptisch.

Also mal ganz primitiv gefragt. Welcher creative writing Kurs beschäftigt sich denn mit dem unzuverlässigen Erzähler? Das ist generell eine Erzähltechnik, die selten benutzt wird, und die hochspannend ist.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn,

also der Text hat schon einige sehr schöne Stellen, die mit dem Vornamen vom Kalbfleisch zum Beispiel, oder Zimmerküchebad. Insgesamt ist mir die Erzählstimme sehr angenehm und sympathisch, die setzt zwar immer noch einen oben drauf oder hinten dran, aber ich hab nicht das Gefühl so zugelabert zu werden, wie ich das bei ein paar anderen Deiner Erzähler hatte, die mir zu prätentiös daherkamen. Hier hat das alles was Bodenständigeres. Obwohl selbst nebensächlich erscheinende Bemerkungen extrem kalkuliert sind, wie der Marilleneingang, der das Thema, diese Lebensenttäuschungen, schon vorweg nimmt.
Nur ganz selten wird mir da einmal zu viel nachgesetzt, eine Drehung zu viel irgendwie. Hier zum Beispiel:

Es liegt an ihnen. Wegen denen da, kriegen wir keine Frau mit Sonnenblumenhaar. Die vertreiben sie. Wir dachten, die stießen irgendeinen Duft aus oder vielleicht ein Fiepen.
Das wäre mir etwas schlichter einfach stärker. Klar sind diese jugendlichen Welterklärungsversuche alle etwas albern. Aber hier kommts mir irgendwie zu aufgesetzt vor, unglaubwürdig, dass sich die Jungs das Problem so ausgefeilt und albern erklären. Eher so ein Witzchen des Autors für den Leser.

Dieses Thema desillusionierend unmagischer Realbeziehungen hast Du ja schon öfter bearbeitet, aber hier kommt es mir irgendwie leichfüßiger, nicht so bitter vor. Das gefällt mir und es liegt glaube ich an der entspannteren Erzählstimme. Aber es ist schon auch ziemlich deprimierend. Hat mir gut gefallen, wie Du die Beziehung des Erzählers zu Katrin zeichnest, so seelenzerstörend banal.

Ich zum Beispiel hab Katrin auf der Hochzeit von Fixies Schwester kennengelernt, weil wir beide nach dem letzten Stück Bienenstich gegriffen haben. Ist doch auch eine hübsche Geschichte.
Ich habe einmal versucht, Katrin auf das Thema zu lenken. Katrin sagte, das könne man schon trainieren, wenn man beim Pipi machen das Pipi halte. Danach habe ich sie nie wieder darauf angesprochen.
Und zumindest lässt Du durchblicken, dass es von ihrer Seite aus auch nicht anders aussieht. Das ist gerecht. Auch traurig wie dem Fixie sein kleines Glück, sein Spatz in der Hand dadurch wieder wert wird, dass er Foxens Spatz gesehen hat. Aber vor allen Dingen macht mich traurig, dass alle männlichen Figuren der Geschichte (ausgenommen Kalbfleisch) gleich ticken. Da gibt es halt überhaupt keine Gegenstimme. Selbst der großartige Herr Focks ist keinen Deut souveräner als seine Bewunderer, findet auch keine Lösung, mit der Makelhaftigkeit echter Charlotten umzugehen. Ich war sehr enttäuscht. Wie cool wäre das gewesen, wenn er ihnen irgendwann stolz seine Charlotte vorstellt, mit ihrer Pummeligkeit und ihren strähnigen Haaren. Und die anderen sind dann ganz desillusiniert, während ihm dieses ganze Gepose mit der Traumfrau einfach wurscht ist, weil er eben glücklich mit der echten Charlotte ist. Und wenn sie das dann kapieren, wie der sowas hinbekommen kann, wo sie nur immer mit der Realität herumhadern, dann hätten sie mal echt was zu beneiden. Es gibt ja tatsächlich Menschen, die es fertigbringen, gegen jede Alltagsimperfektion heiss zu lieben. Aber na ja, offensichtlich eine andere Geschichte hier. Das werfe ich Dir nicht vor (nur ein bisschen), was ich Dir aber schon vorwerfe, ist die Ähnlichkeit der Figuren. Die sind sich sogar so ähnlich, dass man den namenlosen Erzähler, der ja eh die Fix und Foxy-Zweisamkeit sprengt, gar nicht bräuchte. Nicht als Figur zumindest. Du brauchst den als Perspektivträger, damit Du Dein Spielchen mit den unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen spielen (wie verlässlich ist diese Verfolgungsgeschichte) und den Fixie so aus ironischer Distanz beschreiben kannst, aber als Persönlichkeit bringt der doch keine neue Perspektive ein. Der hat doch genau denselben Blick auf den Herrn Fox und genau so eine Katrin-Frau wie der Fixie.
Ja, also diese Kritik am Figurenensemble ist glaub ich der einzig genuine Beitrag dieses Kommentars. Deshalb wollte ich mich melden. Sonst hab ich nichts Neues beizutragen.

Ach so, die Verfolgungsgeschichte. Ich hab mal überlegt, ob es mir zu albern ist. Aber dann dachte ich, warum eigentlich nicht, wenn die nun schon Fix und Foxy heißen. Und der Ernsthaftigkeit des Themas tut es ja nun keinen Abbruch.

Er wisse nicht mehr, wieso.
Da kommt mir das Komma sehr pedantisch vor

Marschiert an ihm vorbei, lässt ihren beigen Trenchcoat fallen, in dem sie aussieht wie ein Privatdetektiv mit viel zu schmalen Hüften
Also die Charlotte ist doch so ein Vollweib. Und selbst ganz durchschnittliche Frauen haben schon breitere Hüften als durchschnittliche Männer/Privatdetektive. Carlotte müsste aussehen wie ein Privatdetektiv mit viel zu schmalen Schultern.

ch glaube, irgendwo in Harvard oder in Oxford oder in Karlsruhe da wird die Elite ausgebildet.
Frechheit!

lg,
fix

 

Hallo feirefiz,

danke für deinen tollen Kommentar.

Dieses Thema desillusionierend unmagischer Realbeziehungen hast Du ja schon öfter bearbeitet, aber hier kommt es mir irgendwie leichfüßiger, nicht so bitter vor. Das gefällt mir und es liegt glaube ich an der entspannteren Erzählstimme. Aber es ist schon auch ziemlich deprimierend. Hat mir gut gefallen, wie Du die Beziehung des Erzählers zu Katrin zeichnest, so seelenzerstörend banal.
Ich denke die Erzählstimme ist auch deshalb entspannter, weil es eben diese dritte Figur ist, die nicht direkt alles erlebt, sondern das spiegeln kann.
Wenn die Geschichte direkt aus der Sicht von Fixie erzählt wäre, wäre sie schon wieder bitterer, denke ich. Es ist da ja auch – Juju hat das ja gesagt : dass der Text halt von einem Autisten gar nicht verstanden werden könnte, weil so viel in der Gegenschwingung liegt. So ist das ja, wenn einer über sein Leben redet immer.
Überleg dir mal: Du triffst jemanden, den du seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hast, du wirst den nur 10 Minuten jetzt wiedersehen, wie überzeugst du den davon, dass es dir gut geht und du mit deinem Leben zufrieden bist?
Da lauscht man natürlich auch „Ist das bitter“, „wie ist das?“, „wie wirkt das?“, „Was schwingt da mit?“, „Warum will der unbedingt, dass ich höre, wie gut es ihm geht?“
Also als Autor zu versuchen eine Figur eindeutig „nicht bitter“ klingen zu lassen, ist sicher sehr schwer, weil jeder Leser da auch anders hinhört.
Ich wollte halt deutlich machen: Denen geht es seit ewigen Zeiten so. Dass Focks „frei“ ist und sie nicht. Das ist keine Bitterkeit, die man fühlt, 5minuten nachdem man gehört hat, dass man den Traumjob nicht bekommt, sondern sowas abgehangenes, etwas Gewohntes, sowas das Dieter Hoeneß fühlen muss.
Ich find die meisten Beziehungen sind doch auch ziemlich „banal“, oder? Wenn man mal länger mit wem zusammen ist, ich würd nicht sagen „seelenzerstörend“, aber dass man da sagt: Jede Minute mit dir ist total inspirierend und verleiht mir Schwingen – das glaub ich auch nicht. Ich mochte grade das Ende, dass er auf die Terasse geht und da ist seine Frau, weil die einfach dahin gehört.

Aber vor allen Dingen macht mich traurig, dass alle männlichen Figuren der Geschichte (ausgenommen Kalbfleisch) gleich ticken. Da gibt es halt überhaupt keine Gegenstimme. Selbst der großartige Herr Focks ist keinen Deut souveräner als seine Bewunderer, findet auch keine Lösung, mit der Makelhaftigkeit echter Charlotten umzugehen. Ich war sehr enttäuscht.
Ja, ich denke Katrin geht’s am Ende der Geschichte auch so. Also man weiß ja letztlich nicht, wie Fixie tickt und wie viel der Erzähler dort hineininterpretiert. Ich weiß nicht, ob Fixie genau gleich wie der Erzähler tickt. Oder ob der das alles ein bisschen bodenständiger hat.

Wie cool wäre das gewesen, wenn er ihnen irgendwann stolz seine Charlotte vorstellt, mit ihrer Pummeligkeit und ihren strähnigen Haaren.
Das wäre aber schon sehr Weihnachtsmäßig, finde ich. Also klar, ich find das ist ja auch ein Kompliment, wenn man sagt: Ich hätte mir ein Happy-End gewünscht. Mir geht das bei Filmen auch so, dass ich mich unheimlich ärgern kann, wenn der Autor eine Figur abserviert, die ich toll finde, die dann aber im Finale so in einem Nebensatz umgewatzt wird (bei L.A. Confidential z.B. oder bei Game of Thrones – und diesmal meine ich sogar die Buchbeispiele!).
Davon ab: Es ist halt so, ich denke ich bin da auch in meinem Denken beschränkt. Ich bin ja kein guter Staatsbürger und Familienvater, der irgendwann erwachsen werden musste, weil er jetzt Verantwortung hat für eine Familie. Ich hab das mal hier gelesen, das hat sammamish als Kritik zu so einem exaltierten Mädchentext geschrieben, dass sie sich auch ewig selbst analysiert hat, bis zu dem Moment, als sie ein Kind bekommen hat, da war sie nicht mehr das Wichtigste in ihrem Leben. Das hat mir schwer zu denken gegeben.
Also sicher, ich kann nachvollziehen, dass man als Leser sagt: Das ist schon alles eher kindisch, was die Figuren machen, wie sie an ihren Selbstbildern hängen, ja.
Die drei Männer hier sind jetzt nicht gerade Helden, mit denen man in den Sonnenuntergang reiten würd. Da ist natürlich auch dieses klassische Thema der Popkultur drin, dass Männer keine John-Wayne-Männer mehr sind und nie erwachsen werden, diese ganze „Bro“-Kultur eben. Ich kenn das halt so aus meinem Umfeld auch und krieg das da immer wieder gespiegelt. Wenn ich andere Freunde hätte, würde ich auch anderes Zeug schreiben. Wenn ich in der IHK wär oder so. ;)

Und wenn sie das dann kapieren, wie der sowas hinbekommen kann, wo sie nur immer mit der Realität herumhadern, dann hätten sie mal echt was zu beneiden. Es gibt ja tatsächlich Menschen, die es fertigbringen, gegen jede Alltagsimperfektion heiss zu lieben.
Ja, ich denke das wollte ich in der Figur der Katrin halt andeuten, dass die was weiß, dass die weiß, dass Focks ins Verliebtsein verliebt ist, während die Männer gerade das nicht sehen.
Also dieses „I like liking things“.

Die sind sich sogar so ähnlich, dass man den namenlosen Erzähler, der ja eh die Fix und Foxy-Zweisamkeit sprengt, gar nicht bräuchte. Nicht als Figur zumindest. Du brauchst den als Perspektivträger, damit Du Dein Spielchen mit den unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen spielen (wie verlässlich ist diese Verfolgungsgeschichte) und den Fixie so aus ironischer Distanz beschreiben kannst, aber als Persönlichkeit bringt der doch keine neue Perspektive ein. Der hat doch genau denselben Blick auf den Herrn Fox und genau so eine Katrin-Frau wie der Fixie.
Ja, es ist schon ein Kniff, klar. Aber andererseits könnte der Erzähler ja über sich selbst nicht so reden, und er projiziert da das Verhalten eben, ich find das schon einen guten Kniff.
Wenn die Geschichte länger gewesen wäre, hätte man das sicher noch differenzieren können zwischen Erzähler und Fixie, das stimmt auf jeden Fall. Für die „Länge“ der Geschichte ist sie sehr vollgepackt, mit Figuren und Andeutungen, aber ich hab auch das Gefühl, dass die Geschichte im Kopf des Lesers ziemlich keimt noch. Das freut mich am meisten, dass die sich auszubreiten scheint und dann länger und größer wirkt als sie ist.

Also die Charlotte ist doch so ein Vollweib. Und selbst ganz durchschnittliche Frauen haben schon breitere Hüften als durchschnittliche Männer/Privatdetektive. Carlotte müsste aussehen wie ein Privatdetektiv mit viel zu schmalen Schultern.
Der Erzähler fantasiert hier ja ein Sex-Szenario zurecht, und da guckt er Charlotte natürlich eher auf die Hüften als auf die Schultern hier. Frauen in so Szenarien haben ja oft auch eher Comic-Dimensionen. Aber ich glaub, ich hab eher die Taille gemeint als die Hüfte hier, änder ich gleich mal.

Vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich gefreut!
Quinn

 

Hallo,
ich habe noch nicht alle Geschichten von dir gelesen, aber schon einige und diese hier will ich endlich mal kommentieren.
Gestern habe ich mit einer Freundin darüber diskutiert, was ein "richtiger" Autor leisten muss und als Beispiel, da war ich noch ziemlich unter ihrem Eindruck, habe ich ihr diese Geschichte geschickt.
Ohne jetzt auf die einzelnen Passagen einzugehen, denn bei all den wirklich guten, will ich wirklich nicht auf manchen Kleinkram eingehen, der sicher nur Geschmackssache ist, kann ich sagen, dass diese Geschichte eine sehr feine ist. Fein ist genau das richtige Wort für sie, weil sie auf eine spielerische, kaum greifbare Weise ein Stück Zwischenmenschlichkeit einfängt, wie es nur ganz selten gelingt. Ich mag diese vielschichtigen Facetten und die Magie des alltäglichen, die diese Geschichte versprüht. Es gefällt mir, wie die Beobachtungen in die Sprache gegossen werden, dass ich sie nachfühlen kann. Die Geschichte ist auf eine subtile Art und Weise tragisch. Das gefällt mir an ihr besonders gut.
Das ist insgesamt wirklich etwas feines, habe ich das schon gesagt? Es macht mir große Freude deine Arbeit zu beobachten.
Gruß
HT

 

Hallo,

Gestern habe ich mit einer Freundin darüber diskutiert, was ein "richtiger" Autor leisten muss und als Beispiel, da war ich noch ziemlich unter ihrem Eindruck, habe ich ihr diese Geschichte geschickt.
Und was hat sie gesagt? :)

Fein ist genau das richtige Wort für sie, weil sie auf eine spielerische, kaum greifbare Weise ein Stück Zwischenmenschlichkeit einfängt, wie es nur ganz selten gelingt. Ich mag diese vielschichtigen Facetten und die Magie des alltäglichen, die diese Geschichte versprüht. Es gefällt mir, wie die Beobachtungen in die Sprache gegossen werden, dass ich sie nachfühlen kann.
Das freut mich sehr. Juju hat in einemd er ersten Kommentare gesagt, dass man die Geschichte einem Autisten nicht erklären könnte oder einem Alien, weil alles im Subtext. Ich hab den Text jetzt auch noch mal gelesen und ich finde er ist schon sehr dreist, ein sehr dreister Text, der vom Leser unheimlich viel verlangt. Er ist ja so geplaudert und täuscht vor, dass alle Figuren schon bekannt sind, im Moment, wenn sie erst eingeführt werden. Das Maß in dem der Text hier Intimität annimmt, ist schon dreist, finde ich.

Also ich hab normalerweise zu Texten dann nach einer Zeit auch eine gewisse Distanz, aber der hier, der gehört auch zu den Texten: Was weiß ich - mich kriegt er jedesmal, diesmal hat er mich bei "Der ganze Mund voll mit Charlotte" gekriegt. :) Normal kriegt er mich beim letzten Satz jedesmal. Ich weiß nicht, ich könnte für den Text auch keine Partei ergreifen, ich könnte den nicht rational und mit Argumenten verteidigen, denke ich.
Das ist ja Rollenprosa mit einem unzuverlässigen Erzähler , der den Text so anordnet, wie er es richtig findet.

Die Geschichte ist auf eine subtile Art und Weise tragisch. Das gefällt mir an ihr besonders gut.
Ja, also natürlich gab es die Option für das Happy-End, das feireifz wollte, dass Charlotte ganz normal ist und nur in Fox' Augen so toll scheint und dass sie dem Blick "Stand hält", dass Focks sich nicht beirren lässt und dass sie eben für ihn die Traumfrau ist, ganz egal, was andere in ihr sehen. Aber herrje - syo ist der Focks in dieser Geschichte eben nicht, und Katrin weiß das und Julia weiß das auch und jede Judith, mit der Herr Focks mal geschlafen hat, wird das früher oder später gemerkt haben. Ist das übertrieben? Ja, sicher. Ich mag's tragisch hier auch lieber. Dieses Dorian-Gray-Motiv/Eurydike-Motiv.

Wie viele Menschen leben auch in dem Bild, das andere ihnen spiegeln? Es ist natürlich in dem Text auch in einer übersteigerten Form da, aber - also ich finde die meisten Konstruktionen, die man sich aufbaut, um im eigenen Leben gut dazustehen und sich im Spiegel gut zu finden, sind doch auch tragische Konstruktionen, oder? Also - wenn sich jeder selbst mit messerscharfer Klarheit sehen könnte, das wär ja furchtbar. Ständig Massenselbstmorde. ich find schon, dass die Lebensentwürfe der drei Figuren hier in Tragik münden müssen. Fixie definiert sich nur über seinen Job, Focks nur darüber, dass er "den Traum" lebt und der Erzähler definiert sich vielleicht darüber, dass er einen klaren Blick hat, dass er die Nachteile der anderen sieht und einen guten Kompromiss gefunden hat. Und in diesem Dreiergespann - das ist natürlich auch - jedenfalls in dem Text - "ungesund". Ich hab, das hab ich später gemerkt, tatsächlich auch Vorlagen für die drei Figuren gehabt - ganz grobe zumindest - einfach Freunde, sie sich seit Kindertagen kennen bis in die 30er hinein. Das ist ein Verhältnis zum Teil ... also , ich find das schon glaubhaft, dass da Fixie Charlotte als normal "outen" muss, damit es ihm in seiner Krise etwas besser geht.

Ich kann ja aus dem Nähkästchen plaudern: Wenn die Figuren hier "echt" wären, dann hätte Focks jeden Kontakt abgebrochen und wär in eine neue Stadt gezogen, um ganz von vorne anzufangen, der Erzähler wär Vater und Fixie wahrscheinlich Single, in einer tiefen Lebenskrise und in einem Job, der in einer Sackgasse endet.
Wobei - wie gesagt, um Gottes willen - die Figuren sind natürlich nicht echt.

Danke für deinen Kommentar, ich lieb es ja, angetrunken über eine meiner Lieblingsgeschichten zu reden und nutze dafür jeden Vorwand!

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Und was hat sie gesagt?
Auf die Rückmeldung warte ich immer noch. Werde berichten.

Das Maß in dem der Text hier Intimität annimmt, ist schon dreist, finde ich.
Ich glaube, deswegen schätzt man den Text auch so. Diese Alltagskisten über uns alle, können, wenn sie denn gut sind, etwas kleines, in der Weltperspektive eigentlich völlig nichtiges, so groß machen, dass es teilweise schwerer zu ertragen ist, als die zwar tragischen, aber doch immergleichen Bilder aus den Kriegsgebieten oder von sonstwelchen Katastrophen.
Man versucht ja irgendwie frei zu leben und sich nicht von fremden Projektionen beirren zu lassen, wenn man jetzt mal diesen Satz
Wie viele Menschen leben auch in dem Bild, das andere ihnen spiegeln?
oder diesen
die meisten Konstruktionen, die man sich aufbaut, um im eigenen Leben gut dazustehen und sich im Spiegel gut zu finden, sind doch auch tragische Konstruktionen, oder?
aufgreifen möchte, aber eigentlich, sind es ja immer die anderen, die dich in irgendeine Richtung treiben, ob jetzt durch hervorgerufene Bewunderung oder, wie so häufig, durch die Ablehnung. Sich darüber zu stellen, kann eigentlich nur die Einsamkeit gewährleisten und wer will sie schon. Nur glaube ich eigentlich, dass jeder Mensch, die Wahrheit schon kennt, wenn er denn mal in den Spiegel schaut, aber er tut das nicht, weil man auch ohne die "Wahrheit" wirklich gut auskommt.
Und natürlich fragt man sich da immer, das hast du mal bei einer Geschichte von mir treffend angemerkt, ob der eigene Lebensentwurf, die eigene Wahl, die eigene Vorstellung von "richtig", denn überhaupt die richtige ist.
Wie lebt man mit den Kompromissen, die man ständig eingeht? Ja, diese Frage steckt in deiner Geschichte zu einem großen Teil drin. Sucht man das Maximum und scheitert oder ist man irgendwie zufrieden und wenn die Zufriedenheit beklemmend wird, dann... ja, dann geht es auch irgendwann vorüber.
Und wenn die Geschichte nicht dreist wäre, könnte sie das alles auch nicht zeigen. Es ist ja ein bisschen wie mit deinen Kommentaren. Dreist ist ja nicht das richtige Wort für sie, aber invasiv sind sie allemal. Und du nimmst dann etwas auseinander und das liest man eigentlich gar nicht gerne, aber, es hilft zu sehen. Besser kann´s ja dann gar nicht sein.
Gruß
HT

 

Und was hat sie gesagt?
Auf die Rückmeldung warte ich immer noch. Werde berichten.

"Also, die feine Beobachtungsgabe ist schon oft zu spüren." (...)

"Du, sag ihm das nicht mit ... . Aber schon, dass wir Leserinnen plastischere und vielschichtigere Frauenfiguren haben wollen!"

Gruß
HT

 

Es ist irgendwie schade, dass schon so viel zu der Geschichte geschrieben wurde und du von mir wahrscheinlich nichts mehr neues hören wirst. Aber wurscht, ich lese mir die Kommentare später durch.

Charlotte hieß Charlotte, so wie Marillen Marillen heißen. Als gäbe es in der Sprache einen auserkorenen Platz für Dinge, die in ihrer abstrakten Form ganz wunderbar klingen, und die dann, wenn man sie ans Tageslicht zerrt, wenn man sie einmal mit ihren Doppelkonsonanten aussprechen muss, doch einiges an Glanz einbüßen.
Das ist toll, wie du die Essenz der Geschichte in diesen ersten Satz packst und sie dem Ganzen voranstellst. Ein sehr starkes Mittel. Wirkt bei mir total. Hat sich für mich erst beim zweiten Lesen richtig entfalten können.
Alles wird klar, es ist genau so. Und in diesem Sinn geht auch die ganze Geschichte. Die Sehnsucht nach dem Fernen, nach dem Ungreifbaren, diese Idealisierung von dem was jemand anderes hat und der kritische, verstaubte Blick auf das eigene kleine Glück. Da werden unerfüllte Träume projeziert und die leben natürlich nur davon, dass sie unerfüllt bleiben.
Es gelingt dir, in die Geschichte den ganzen, ja wie sagt man das am besten, den ganzen Druck des Alltäglichen zu packen, mit all den Unzulänglichkeiten, die man sieht, die das "gewöhnliche" Leben halt hat und mit denen man sich arrangiert. Da sind diese Stelle mit dem Bienenstich und mit dem Pinkeln und Beckenboden oder mit der Freundin von Fixie und ihrem schiefen Mund, die schmerzen schon fast, weil das so eindrucksvolle Bilder sind für die Mäkel des normalen Lebens, an denen deine Prots da zu nagen haben.
Und dann ist da Herr Focks, der ja eigentlich in völlig durchschnittlichen Verhältnissen lebt und der hat da dieses Besondere. Diese magische Charlotte, diesen personifizierten Seufzer, voll beladen mit Illusionen, der das Leben von Focks in Augen seiner Freunde so bemerkenswert macht.
Da gibt es diese Stelle, sie bringt es für mich auf den Punkt, nicht nur weil das Bild so schön ist und mich die Bewegung persönlich an jemanden erinnert, sondern auch, weil sie so voller Subtext ist, in den man sich so gut reinfühlen kann.
Der Herr Focks hat sich nach vorne gelehnt, den Kopf ein bisschen schräg gelegt und gesagt: „Also ihr müsst euch vorstellen, dass die Charlotte dann immer so zwinkert, wenn sie gleich etwas Kluges sagt, sie schaut aus wie eine Katze, die in die Sonne guckt.“ Dann hat der Herr Focks seine Nase runter zur Hand geführt und ist energisch mit der Nase über den Handrücken gefahren, um sich zu kratzen. Und die Katrin neben mir hat ein bisschen die Augen verdreht und „Oh“ gemacht; und sogar der Fixie hat geschmunzelt, obwohl es da beim Schlecker schon schlecht lief.
Diese Sätze packen einen. Es erinnert mich ein bisschen an den Film "Happiness" von Todd Solondz. Da ist auch alles absolut unaufgeregt, aber mit erdrückend viel Subtext. Und so ist es auch hier.
Und dann zum Schluss reißt du den Schleier runter, entzauberst die Illusionen, aber machst das dabei nicht auf eine boshafte Art und Weise, obwohl sich die Freude von Focks ja doch etwas zu freuen scheinen, dass Charlotte und der feine Herr Focks, doch nur so Menschen sind wie sie selbst. Da ist diese Freude menschlich doch sehr nachvollziehbar. Da erkennt man, dass der eigene Toyota Corolla doch gar nicht so beschissen ist und dann ist man auch froh drum, weil man schon so viel dafür bezahlt hat. Und der feine Herr Focks erträgt das nicht und flüchtet.
Mist, da sind eigentlich noch so viele starke Gedanken verbaut in der Geschichte, zu dem Fixie gäbe es noch einiges zu sagen und zu dem Erzähler auch und zu der Charlotte erst, der Ärmsten, zu dem ganzen sozialen Hintergrund, zu dem Sex und und und, aber jetzt muss ich los.
Insgesamt eine tolle Geschichte. Du schaffst es eine Gedankenebene in den Text zu gießen, die, glaube ich, viele so fühlen, aber niemals so rund und treffend in einen literarischen Text umwandeln können. Hier will ich mir was abschauen. Und sprachlich sowieso klasse. Ein sehr lesbarer Stil.
Habe mir auch ein paar andere Texte von dir durchgelesen, der hier gefällt mir am besten. Und wenn ich deine ersten Texte hier auf der Seite damit vergleiche, dann sehe ich, wie viel man wachsen kann als Autor und das macht Hoffnung.
Gruß
randundband

 

Hallo, dein Kommentar schmeichelt mir natürlich sehr. Das scheint eine Geschichte zu sein, mit der viele was anfangen können und die bei den Menschen auch das Bedürfnis auslöst, was zu der Geschichte zu sagen.

Es ist irgendwie schade, dass schon so viel zu der Geschichte geschrieben wurde und du von mir wahrscheinlich nichts mehr neues hören wirst. Aber wurscht, ich lese mir die Kommentare später durch.
Jau, ist wirklich so, dass hier schon viel zu gesagt wurde. Das wünscht man sich als Autor natürlich - oder ich wünsch mir das zumindest. Hier bei der Geschichte finde ich es immer erstaunlich, wie wenig Text eigentlich da ist, und wie viel die Leser trotzdem aus der Geschichte herauslesen. Ich finde es hat auch keiner bisher was groß in die Geschichte reingelesen, dass ich mich hier erschreckt hätte. ;) Ich hatte mal einen Text "Das Kisok Gottes" - da haben die Leute Sachen interpretiert, da hab ich mich echt erschreckt, aber der Text scheint doch bei vielen, die was dazu schreiben, sehr klar anzukommen. Ist erstaunlich.

Alles wird klar, es ist genau so. Und in diesem Sinn geht auch die ganze Geschichte. Die Sehnsucht nach dem Fernen, nach dem Ungreifbaren, diese Idealisierung von dem was jemand anderes hat und der kritische, verstaubte Blick auf das eigene kleine Glück. Da werden unerfüllte Träume projeziert und die leben natürlich nur davon, dass sie unerfüllt bleiben.
Ich denke das ist eine der bezeichnenden Eigenschaften für unsere Zeit. Auch dass es so weitgefächert war, natürlich haben schon immer Leute geträumt und haben sich nach etwas gesehnt, aber früher war das eigentlich fast immer nur eine kleine Schicht. Heute ist das weit gefächert. Ich hab mich da schon oft drüber unterhalten, auch mit Berg oder so. Früher gab es die schönste Frau im Dorf und das war die schönste Frau auf der ganzen Welt, weil man an den Rest gar nicht ran kam. Oder früher war ein Typ, der zwei Lieder kannte und ein bisschen auf so einer Gitarrenkonstruktion spielen konnte, halt der angesagteste Typ weit und breit - heute ist das ja alles anders. Da wird jeder Traum mit etwas abgeglichen, das nicht erreichbar sein kann.
Ich denke viele haben völlig irrwitzige aufgeblasene Traumentwürfe ihrer Existenz. Ich hab das glaub ich hier im Thread auch schon erwähnt, ich hab mir mal ein Spiegelei gemacht, dabei Radio gehört und irgendeine quietschende Ische hat da im Radio den Mann beschrieben, der gut genug für sie wäre - und das war im Prinzip dann ein Idealbild, auf das Brad Pitt und noch zwei andere passen. Wie soll diese Frau je glücklich werden? Wie hoch stehen ihre Chancen? Ja klar, kann man dann sagen: Ach, die wird schon einen Mann finden, der für sie der richtige ist und dann wird der maulfaule Kioskverkäufer mit Zauselbart und Problem-Schwester in ihren Augen Collin Firth- aber ... meine Fresse.


Da sind diese Stelle mit dem Bienenstich und mit dem Pinkeln und Beckenboden oder mit der Freundin von Fixie und ihrem schiefen Mund, die schmerzen schon fast, weil das so eindrucksvolle Bilder sind für die Mäkel des normalen Lebens, an denen deine Prots da zu nagen haben.
Ja, ich denke das ist so. Das ist auch sowas, das im Text ja nie "zwischen den Figuren" erwähnt wird, sondern so ein stillschweigender Nenner, denke ich. Das ist wahrscheinlich auch ein Konzept, das man nicht so ans Licht ziehen kann. Die Geschichte hier hält auch keiner inquisitorischen Befragung stand: Warum rennt Fixie dem hinterher? Warum haut Focks dann am Ende ab? Was hat es damit auf sich?

Und dann ist da Herr Focks, der ja eigentlich in völlig durchschnittlichen Verhältnissen lebt und der hat da dieses Besondere. Diese magische Charlotte, diesen personifizierten Seufzer, voll beladen mit Illusionen, der das Leben von Focks in Augen seiner Freunde so bemerkenswert macht.
Personifizierter Seufzer ist schön, ja.


Und dann zum Schluss reißt du den Schleier runter, entzauberst die Illusionen, aber machst das dabei nicht auf eine boshafte Art und Weise, obwohl sich die Freude von Focks ja doch etwas zu freuen scheinen, dass Charlotte und der feine Herr Focks, doch nur so Menschen sind wie sie selbst. Da ist diese Freude menschlich doch sehr nachvollziehbar. Da erkennt man, dass der eigene Toyota Corolla doch gar nicht so beschissen ist und dann ist man auch froh drum, weil man schon so viel dafür bezahlt hat. Und der feine Herr Focks erträgt das nicht und flüchtet.
Ja, ich hab mich da auch darum bemüht, dass es eben so eine Mischung aus Erleichterung und Sympathie ist. Die "verstehen" das schon auf irgendeine Art, denke ich. Vielleicht ist das Intimität und Vertrautheit, dass man einander auf eine Art versteht, die keinen Sinn ergibt.

Vielen Dank für deinen Kommentar, ich hab mich sehr darüber gefreut, was du zu der Geschichte gesagt hast. Ich kann hier auch immer ewig drüber labern, glaub ich. Ich werd wohl mancher Themen nie müde. Ich kann auch zum fünften Mal dasselbe im Fernsehen gucken, vielleicht ist ja Wiederholung mein Ding.

Gruß
Quinn

 

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