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Der feine Herr Focks flüchtet vor der Krise
Charlotte hieß Charlotte, so wie Marillen Marillen heißen. Als gäbe es in der Sprache einen auserkorenen Platz für Dinge, die in ihrer abstrakten Form ganz wunderbar klingen, und die dann, wenn man sie ans Tageslicht zerrt, wenn man sie einmal mit ihren Doppelkonsonanten aussprechen muss, doch einiges an Glanz einbüßen. Focks’ alter Gemeinschaftskundelehrer, der Herr Kalbfleisch, ich kannte den auch gut, wenn man dem von Charlotte und Marillen erzählt hätte und wie toll die auf dem Papier klingen, dann hätte er gesagt: Genau wie der Kommunismus.
Kalbfleisch, guter Mann, Prostatakrebs, letztes Frühjahr. Als er im Grab lag, hatte er auf einmal einen Vornamen: Herbert. Aber der Herr Focks und ich und der Fixie, wir haben den nur Herr Kalbfleisch genannt. Manche Leute will man ein Leben lang siezen. Ein paar sogar ein bisschen länger.
Charlotte.
In der Kindheit hatten der Herr Focks, der Fixie und ich so Mädchen wie Charlotte nur auf zwei Arten gekannt. Einmal aus der Ferne. Wenn im Fernsehen Amanda Marshall gesungen hat, mit einer Löwenmähne, oder wenn man mal in Filmen oder in Zeitschriften andere Frauen sah, bei denen man an Sonnenblumen dachte und an Löwen. Und dann kannten wir welche, die als Komet durch unser Leben zogen. Die Cousine eines Freundes, die mal einen Sommer lang hier alles auf den Kopf stellte, was drei Beine hatte. Die nach Wiesbaden zurück ging, und die späteren Sommer in Paris verbrachte, in Melbourne, in Johannesburg. Eine Jugend als Sonnenblumenbotschafterkind. Grausam. Als würde man einmal im Jahr für eine halbe Stunde Hoffnung in die Hölle lassen, nur damit die Sünder den Geschmack nicht vergessen.
Wir hatten nur Julias und Judiths und Katrins, mit und ohne H. Gestriegelte, ständig mit sich selbst im Krieg liegende, unmagische, eigenständige Wesen. Wir beobachteten sie dabei, wie sie sich im Unterricht meldeten, wie sie auf dem Schulhof zusammenstanden, wie sie für Jungs schwärmten, die viel älter waren als sie. Schauten ihnen dabei zu, wie sie sich um das jugoslawische Mädchen kümmerten, das nun wegen des Bürgerkriegs da war. Belauschten sie dabei, wie sie im Pullover dem Sportlehrer erzählten, sie könnten heute nicht. Hätten da diese Sache. Ab und an erwischten wir sie natürlich schon mal in einem schönen Moment. Wenn sie einmal lächelten, vielleicht weinten, aber sie merkten es und schlossen ihr Lächeln weg, zeigten und grimassierten in unsere Richtung und waren wie eh und wie je.
Insgeheim haben wir gedacht: Es liegt an ihnen. Wegen denen da, kriegen wir keine Frau mit Sonnenblumenhaar. Die vertreiben sie. Wir dachten, die stießen irgendeinen Duft aus oder vielleicht ein Fiepen. Wir fanden uns damit ab. Fixie und ich haben schließlich welche geheiratet, als wir die älteren Jungs waren. Er eine Julia, ich eine Katrin. Ohne H.
Aber der Herr Focks hat zwar mit einer Judith geschlafen. Vielleicht auch mit zweien. Aber geheiratet hat er keine. Dieser Bastard.
Der Herr Focks wohnte Zimmerküchebad, Lilienthalallee 18b. Der dritte Stock halte ihn fit, hat er immer gesagt. Man merke ihn ohnehin nur bei Wasserkisten, das sei schon eine rechte Qual, grade zwei auf einmal, und nur eine? Dann müsse man ja zweimal laufen. Er habe dann ja Aquaflux benutzt, so einen Wasserreiniger, der auch Kohlensäure ins Leitungswasser gesprüht habe – Werbeslogan: Nie wieder Wasserkisten in den dritten Stock schleppen -, aber das habe er dann aufgegeben. Er wisse nicht mehr, wieso.
Man sieht: Der Herr Focks wäre auch sehr glücklich gewesen ohne eine Charlotte in seinem Leben.
Gearbeitet hat der Herr Focks für die Spedition Lampbale. Hat dort die IT gemacht. Einmann-Abteilung. Was er da wirklich geschafft hat, kann ich kaum sagen. Ich weiß nur, wenn der Fixie oder ich mal bei ihm angerufen haben, unter der Arbeit, hatte er immer Zeit für ein Pläuschchen. Konnte mir sagen, was ich zu tun habe, wenn mir etwas Mirinda in den Computerturm gelaufen war, und hat dem Fixie sagen können, was der zu unternehmen hatte, als mal eine Abmahnung ins Haus geflattert kam bezüglich Urheberrechtsverletzung. Fetenhits und so.
Aber ich denk schon, dass der Herr Focks seine Sache da ganz gut gemacht hat. Hatte ja sonst im Betrieb auch keiner Ahnung, was da vor sich ging. War ein bisschen so wie bei einem Motor, der nur noch mit Spucke und gutem Willen läuft. Jeder fragt sich, was da los ist, wenn’s mal rumpelt und Dampf zischt. Aber reinigen will man das Ding auch nicht. Hat man Angst, dass jetzt, wo er glänzt und funkelt, jetzt, wo das Öl und der Dreck nicht mehr die ganzen Löcher verstopfen, dass dann der Wagen liegen bleibt.
Der Herr Focks hat halt nicht studiert. Als ich studiert habe und als der Fixie seine Lehre gemacht hat beim Schlecker, ist der Herr Focks nach Paris geflogen und nach Melbourne, nach Johannesburg und dann nach Wiesbaden. Und ich hab nicht irgendwas studiert. Nicht Philosophie oder Germanistik, wo du dann zwar weißt, wer Wittgenstein ist, aber danach fragen sie bei den Vorstellungsgesprächen nie. Vielleicht, das hab ich mich schon gefragt, vielleicht lernt man jemanden wie Charlotte nur in einem Wittgensteinseminar kennen. So wie du manche Leute eben nur kennenlernst, wenn du ein Drogenproblem hast.
Ich zum Beispiel hab Katrin auf der Hochzeit von Fixies Schwester kennengelernt, weil wir beide nach dem letzten Stück Bienenstich gegriffen haben. Ist doch auch eine hübsche Geschichte.
Charlotte.
Der Fixie und ich, Julia und die Katrin, wir haben dem Herrn Focks tausendmal gesagt, er soll die Charlotte halt mal mitbringen. Sie uns vorstellen. Wenigstens ein Foto könnte er doch mal zeigen, mit dem iPhone sei das doch gar kein Problem. Zur Not eins, wo sie drauf schlafe oder schiele oder mit dem Kopf in einer Torte hänge. Aber der Herr Focks hat viel lieber Geschichten über Charlotte erzählt. Am liebsten, wenn wir beim Griechen zusammen saßen.
Einmal hätte Charlotte ihn gefragt, ob er an Gott glaube.
Und der Herr Focks hat gesagt: „Nein, aber ich glaube an die Elite. Ich glaube, irgendwo in Harvard oder in Oxford oder in Karlsruhe da wird die Elite ausgebildet. Das meine ich ganz ernst, du brauchst gar nicht lachen. Ich höre und sehe manchmal Leute, die unglaublich klug sind, und ich denke, während wir hier liegen, und gleich miteinander schlafen, da sitzt die Elite irgendwo und arbeitet an den Problemen unserer Zeit und wir können uns zurück lehnen und unser Leben genießen.“ Und während der Herr Focks das gesagt hat, hat er sich zurückgelehnt und gegrinst. Die Katrin neben mir hat auch gegrinst, und die Julia gegenüber, die sonst nie grinst, weil sie ein bisschen einen schiefen Mund hat. Und dann hat die Katrin neben mir gefragt: „Und? Was hat Charlotte geantwortet?“ Denn wir kannten natürlich schon viele dieser Geschichten.
Der Herr Focks hat sich nach vorne gelehnt, den Kopf ein bisschen schräg gelegt und gesagt: „Also ihr müsst euch vorstellen, dass die Charlotte dann immer so zwinkert, wenn sie gleich etwas Kluges sagt, sie schaut aus wie eine Katze, die in die Sonne guckt.“ Dann hat der Herr Focks seine Nase runter zur Hand geführt und ist energisch mit der Nase über den Handrücken gefahren, um sich zu kratzen. Und die Katrin neben mir hat ein bisschen die Augen verdreht und „Oh“ gemacht; und sogar der Fixie hat geschmunzelt, obwohl es da beim Schlecker schon schlecht lief.
„Und dann hat die Charlotte gesagt, da könne ich ja auch gleich an den lieben Gott glauben. Denn wenn es wirklich eine Elite gibt, wie könnte sie dann all den Mist auf der Welt zulassen?“
Ich schau neben mir die Katrin an und denke: Warum sagst du eigentlich nie so was Kluges auf so eine süße Weise? Und ich denke, die Katrin schaut mich an, und denkt: Warum erzählst du nie so von mir, wie der Herr Focks über die Charlotte?
„Ich muss jetzt weg“, hat der Herr Focks gesagt und ganz nett mit dem Kopf dabei genickt und den Fixie und mich, uns hat er mit Katrin und mit Julia zurückgelassen.
„So klug war das gar nicht, oder?“, fragte Fixie dann irgendwann. Julia stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen und sagte: „Halt bitte den Mund.“
Vorgestern Morgen, gegen zehn Uhr, sitzt Herr Focks an seinem Schreibtisch und lächelt schon, dann klingelt es an der Tür und Charlotte ist da. Marschiert an ihm vorbei, lässt ihren beigen Trenchcoat fallen, in dem sie aussieht wie ein Privatdetektiv mit einer viel zu schmalen Taille, und ist darunter nackt, bis auf ein paar weiße Sandalen, die hoch geschnürt sind, bis zu den Waden. Sie lässt sich auf das Bett von Herrn Focks fallen. Noch hat er ihre Brüste nicht gesehen.
Charlotte macht sich im Bett breit, streckt die Beine in die Höhe, und reibt sie gegeneinander. Wie ein Insekt, als wolle sie auf diese Weise irgendeinen Ton erzeugen.
Herr Focks hat keine Spucke mehr im Mund. Die Tür ist noch auf. Vor ihm liegt der Mantel. Charlotte schabt sich mit zwei Fingern über den Hintern und sagt: „Ich könnte etwas essen. Hast du Gebäck da?“
Herr Focks muss blinzeln, greift nach dem Trenchcoat und riecht an ihm.
Charlotte beißt sich auf die Lippe. Immer noch reibt sie ihre Beine aneinander.
Herr Focks dreht sich um, und ihm fällt etwas ein, das er sagen könnte, etwas Cleveres, das jetzt gut passen würde, aber er weiß nicht, ob sie das auch gut fände, es ist ein Risiko. Manchmal ja, manchmal nein. Er dreht sich also und sagt: „Was bist du? Eine Plunderstück-Prostituierte?“
Charlotte mustert ihn, grübelt kurz, fängt an zu strahlen wie eine Sonnenblume und streicht sich mit der Nase über den Handrücken. Dann fängt sie an zu kichern und wedelt ihn mit einer Hand zur Tür heraus.
Herr Focks sprintet die drei Stockwerke nach unten und denkt daran, Charlotte zu vögeln.
Charlotte, davon hat er Fixie und mir erzählt; nicht Fixie, mir, Julia und Katrin; nur Fixie und mir. Charlotte ist unglaublich. Sie hat einen Grip, sagte der Herr Fox, als er mal etwas getrunken hatte und wir ganz privat wurden. Man könne das gar nicht beschreiben, man müsse das erlebt haben. Es sei so, als würde sie, während sie mit dir schläft, dich noch mit einer dritten, inneren Hand massieren. Beckenbodenmuskulatur sei das.
Ich habe einmal versucht, Katrin auf das Thema zu lenken. Katrin sagte, das könne man schon trainieren, wenn man beim Pipi machen das Pipi halte. Danach habe ich sie nie wieder darauf angesprochen.
Als ich mit Herrn Focks noch einmal darauf zu sprechen kommen wollte, sagte er, über so etwas würde er nie reden. Nicht einmal mit uns. Ein Gentleman genieße da und schweige.
Aber ich weiß, dass er es erzählt hat. Einmal hat er es erzählt. Mir und Fixie, als er zuviel getrunken hatte. Und dass sie unglaublich zu lecken sei, hat er auch erzählt. Schmecke wie eine Sachertorte. Die Muschi käme einem entgegen, als wolle sie einen zurückschlecken. Ganzer Mund voll mit Charlotte.
Gentleman am Arsch! Am Arsch, sag ich!
Seit er beim Schlecker rausgeworfen wurde, hat sich der Fixie gut gehalten. Fortbildungen besucht, Coachings mitgemacht, das Schulenglisch aufgefrischt, ein paar Businessratgeber gelesen und sich viel umgesehen und umgehört. Ein bisschen böse war er uns immer noch, weil wir damals gesagt haben, er soll beim Schlecker bleiben. Obwohl er uns gar nicht gefragt hat, so richtig. Er hat’s uns nur mitgeteilt, und jetzt sollen der Herr Focks und ich vielleicht schuld sein, weil wir damals die Idee mit dem Subway-Franchising, die er uns schon als Schnapsidee verkauft hat, nicht so toll fanden? Wir haben natürlich gesagt: Du kannst das doch immer noch machen mit der Subway-Filiale jetzt. Aber der Fixie natürlich: Nein, damals wäre er horizontal gewechselt, und jetzt wäre er von arbeitslos auf einmal wieder oben. Vertikal. Da spielten die Banken nicht mit. Da hätte man ein ganz anderes Standing. Bisschen wehleidig war der Fixie schon immer, aber man muss auch sagen: Hat sich einwandfrei gehalten.
Dann wohl aber vor ein paar Tagen eine kleine Rückschlagswelle. Ein paar Briefe zurückbekommen, ein paar Lebensläufe, ein paar ungünstige Youtube-Videos gesehen, ein paar mal zu oft einem Untergangspropheten zugehört, und jetzt auf einmal Fixie in der Krise. Kauft sich einen Sechserpack 5,0 Bier beim Rewe, stellt sich an einen Bistrotisch und lässt sich ein bisschen gehen. Also einmal hat er das gemacht. Vorgestern.
Und der Herr Focks musste natürlich noch Plunderstückchen besorgen, und weil alle Bäckereien aus unserer Jugend mittlerweile geschlossen haben und nur noch Filialen in den Supermärkten sind, geht er zum Rewe.
Der Herr Focks sieht ihn zu spät, hat ganz viel Charlotte im Kopf. Steht schon vorm Spuckschutz und schaut sich das Angebot an: Plunderstückchen, Apfelstrudel, Kirschtaschen, Zimtschnecken, Bienenstich, Apfelkuchen, Schmand, Rosinenkuchen, herzhaft belegte Baguettes, Würstchen im Schlafrock und da hat er auf einmal den Fixie im rechten Ohr und der hat schon vier Dosen 5,0 intus und ganz viel Dirk Müller in letzter Zeit gesehen, das ist der aus dem Fernsehen, den sie Mister Dax nennen und der sagt, es kommt zum Crash.
Herr Focks versucht nun, alles richtig zu machen. Er bestellt: eine Zimtschnecke, zwei Stücke Bienenstich, etwas von dem Apfelstrudel, denn der sieht sehr gut aus, und möchtest du auch noch etwas, Fixie?
Fixie sagt: „Unser Finanzsystem dient dazu, dass eine immer kleiner werdende Anzahl von Leuten einen immer größeren Anteil an der Finanzkraft der Bevölkerung auf sich vereinigt. Bis es den Menschen gar nicht mehr möglich ist, Schulden zu machen, weil sie keine Bonität mehr haben.“
Herr Focks hat sich die Tüte mit der Zimtschnecke unter den Arm geklemmt, die übrigen Backwaren balanciert er auf der anderen Hand, sie sind mit Papier überdeckt.
„Tut mir echt leid mit dem Subway“, sagt der Herr Focks.
„Das hat ja damit nichts zu tun“, sagt Fixie und läuft neben Herrn Focks her. „Die wären ja auch pleite. Es ist einfach so, dass es immer wieder zu einem Reset des Finanzsystems kommen muss. Lastenausgleich. Die Enteignung der Reichen. Früher hat man die Templer umgebracht, heute braucht man eine Fiskalsteuer.“
Sie sind durch die Schiebetür durch, als Herr Focks nickt und sagt: „Hat mich sehr gefreut.“
Fixie schaut sich um, und sieht, dass auf dem Bistrotisch noch zwei Dosen Bier stehen, schaut zu Herrn Focks herüber und schlägt ihm einen Arm um die Schulter: „Ich würde gern mit dir reden, komm doch noch mal mit rein. Vielleicht will ich doch einen Amerikaner. So wie früher, weißt du noch? Fix und Foxi?“
„Ich muss nach Hause“, sagt Herr Focks.
„Wart kurz, ich komm mit“, sagt Fixie und geht durch die Schiebetür nach innen.
Herr Focks schaut auf die Zimtschnecke unter seinem Arm und auf das Tablett mit dem Apfelstrudel und dem Bienenstich, schaut kurz nach oben und denkt an einige Sachen, von denen er angeblich nie jemandem erzählen würde. Herr Focks lässt das Tablett fallen und rennt los. Fixie rennt ihm nach.
Ich kann nur darüber spekulieren, was sich die zwei gedacht haben. Ich denke im Kopf vom Herrn Focks war nur eine Blase „Charlotte“, und beim Fixie war nur eine Blase „Sozialer Abstieg“, und die beiden Blasen hatten überhaupt nichts miteinander zu tun, aber jeder hat gedacht, dass der andere dasselbe denkt wie er selbst. Aber das weiß ich nicht.
Allerdings weiß ich, wo sie lang gerannt sind.
Zuerst über den Parkplatz des Rewe, dann eine Gasse hoch, an einem Kiosk vorbei, an einem Lädchen für Fahrräder hinweg, Herr Focks musste da schon keuchen, hat früher geraucht, West Ice, dann sind sie an einer leeren Drogerie vorbei gerannt und an einem Haus, in dem mal eine Judith gewohnt hat, sind über einen Zebrastreifen geflitzt, Fixie hatte Seitenstechen und zwei Stühle einer Eisdiele mitgenommen, Herr Focks ist fast über einen Blumenkübel gestürzt, hat unterwegs die Zimtschnecke verloren, sie fiel auf den Boden und die Tüte riss furchtbar auf, ist dann ein Treppenhaus hinaufgespurtet, in der Tür gestanden und hat sich zu der verdutzten Charlotte umgedreht, die in Pullover und Jogginghose an der Kaffeemaschine stand. Dann hat der Fixie den armen Herrn Focks aus vollem Lauf umgerissen. Und der Herr Focks hat unten gelegen und der Fixie auf ihm drauf und beide haben die Charlotte angestarrt. Und jetzt, wo er zur Ruhe gekommen war, musste der Fixie anfangen zu würgen. Das lauwarme Bier aus dem Rewe ist ihm gar nicht gut bekommen.
Der Fixie hat mir das alles erzählt. Und das einzige, was ich fragen konnte, war, wie die Charlotte ausgesehen hat. Der Fixie hat gelächelt und gesagt: „Gut, ganz normal. Wie eine Frau eben ausschaut. Ein bisschen pummelig ist sie gewesen. Das Haar ein wenig strähnig. Und um die Augen hat sie schon ein paar Falten gehabt, aber sah schon gut aus.“
Dann hat er noch mehr gelächelt. „Weißt“, hat der Fixie gesagt, „wenn ich es mir noch einmal aussuchen könnte, würde ich die Julia noch mal nehmen.“
Gestern bin ich auf die Terrasse gegangen und hab dort Katrin gefunden. Ich wusste das mit dem Fixie schon, und sie hat auch einiges gewusst, wir hatten aber noch nicht darüber gesprochen.
Ich hab mich neben sie auf die Bank gesetzt und wir haben in die Gegend geschaut. Ich hab dann einen Arm um sie gelegt und sie hat ihren Kopf gegen meine Schulter gedrückt.
„Die Charlotte hat mich heute angerufen“, hat sie gesagt. Und, weil sie sehr nett ist, hat sie noch hinzugefügt: „Das ist die Freundin von deinem Herren Focks.“
„Was hat sie denn gewollt?“, hab ich gefragt.
„Sie wollte wissen, ob wir gehört haben, wo der Herr Focks ist?“
„Außer Landes“, hab ich gesagt. „Wieder auf Weltreise. Paris, Johannesburg, Melbourne, vielleicht Wiesbaden.“
„Du hast gar nicht verstanden, wie traurig das eigentlich ist, oder?“, hat Katrin gefragt.
Ich hab nichts mehr gesagt. Man kann nicht mit ihr sprechen, wenn sie so ist.
Viel Glück hab ich dem Herrn Focks heimlich gewünscht und such eine für mich mit.