Es war ein strahlend kalter Apriltag und die Uhren schlugen dreizehn.
George Orwell - 1984
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Es war ein strahlend kalter Apriltag und die Uhren schlugen dreizehn.
Frederic Beigbeder - neununddreißigneunzigAlles ist vorläufig, die Kunst, der Planet Erde, Sie, ich.
Heinrich Mann - Der UntertanDiederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.
An dem Satz kann man mal sehen, wie ein toller erster Satz funktionieren kann.Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.
Und ganz im Gegensatz dazu hier:
Bah! So kann man nur anfangen, wenn man weiß, dass der Leser sowieso das Buch schon gekauft hat.Es war am siebenundzwanzigsten Tag des Wintarmanoth im Jahre unseres Herrn 814, im härtesten Winter seit Menschengedenken.
Musil fängt den Mann ohne Eigenschaften auch mit dem Wetter an, und ironisiert es im selben Satz noch.
Dann geht es noch ewig weiter mit dem Gerede über Wetter, bis der erste Absatz endlich nach fast einer halben Seite endet mit:Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen”
Das ist auch mal exzentrisch. Der ganze erste Absatz legt hier den Ton des Romans fest. Er ist mit einem Augenzwinkern geschrieben.Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913
Und L.A. Confidential, ein knallharter Cop-Thriller fängt genau so an, wie ein harter Cop-Thriller anfangen muss:
So leitet man hochklassige Spannungsliteratur ein; Konflikt, Bedrohung, Atmosphäre im ersten Satz. Buzz Meeks ist im Arsch und der Autor, James Ellroy, macht keine Gefangenen, er fragt sich nicht, ob er über das Ziel hinausschießt und ins Trashige rutscht, er macht einfach.Ein verlassenes Motel in den Ausläufern der San-Bernardino-Berge; Buzz Meeks mietete sich ein mit vierundneunzigtausend Dollar, achtzehn Pfund hochwertigem Heroin, einer großkalbrigen Schrotflinte, einem 38er Special, einer 45er Automatik und einem Schnappmesser, das er einem Pachuco an der Grenze abgekauft hatte - um kurz darauf das auf der anderen Seite parkende Auto zu entdecken: Mickey Cohens Schläger in einem Zivilwagen des LAPD, dazu etliche Tijuana Cops auf der Lauer, sich einen Teil seiner Habe unter den Nagel zu reißen und seine Leiche in den San Ysidro River zu kippen.
So leitet man hochklassige Spannungsliteratur ein; Konflikt, Bedrohung, Atmosphäre im ersten Satz. Buzz Meeks ist im Arsch und der Autor, James Ellroy, macht keine Gefangenen, er fragt sich nicht, ob er über das Ziel hinausschießt und ins Trashige rutscht, er macht einfach.
Das Intro zu "Ein amerikanischer Albtraum" hat es auch in sich:
Sie hatten ihn nach Dallas geschickt, um einen Nigger-Luden namens Wendell Durfee umzubringen.
An dem Satz kann man sehen, wie ein englischer toller erster Satz zu einem schwachen Deutschen wird und wie schwer die Übersetzung sein kann.»Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm«Stephen King - Schwarz
Im englischen heißt der Satz: The man in black fled across the desert, and the gunslinger followed.
Und im Deutschen kriegen wir das "Gunslinger" nicht herübergenommen. Das ist ein Super-Wort, weil es das Bild sofort mitliefert, die Bewegung, wie eine Pistole gezogen wird - aus allen Western bekannt - steckt in dem Wort mit drin. "Slinger". Wir brauchen hier "Revolvermann", da haben wir zum einen die "Mann"-Dopplung mit dem "Mann in Schwarz" und zum anderen haben wir so ein Wort aus der Kindersprache, wir bilden im Deutschen nur wenige Berufe so, indem wir einfach Mann dranhängen - und sogar der Müllmann wird auf die Frage nach seinem Beruf mit "Ich arbeite bei der Müllabfuhr" antworten. Der englische mail man ist bei uns eben nicht der Postmann, sondern der Briefträger. Ein Swordman ist ein Schwertkämpfer, kein Schwertmann und der Pikeman läuft bei uns als Pikenier. Bei "Revolvermann" verliert der Satz schon fast die Hälfte seiner sprachlichen Zugkraft. Es ist in der deutschen Sprache kein natürliches Wort, weil wir keinen Wilden Westen hatten, wir haben nie eine bildhafte Bezeichnung für einen Revolverschützen gebraucht.
Und der Rest geht drauf am Ende: Im englischen nur "followed", im Deutschen brauchen wir da "folgte ihm" (nichtmal verfolgte). Wem sollte er sonst folgen? Natürlich ihm, aber nur ein "Und der Revolvermann folgte" geht auch nicht,
weil die Wendung bei uns anders besetzt ist. "Und nun folgt das Wetter."
Und das Dritte ist, dass "fled across the desert" wohl mehr hermacht als "floh durch die Wüste". Das englische Desert spielt phonetisch in einer anderen Liga als das arme deutsche "Wüste", das unsere Vorfahren nunmal auch nie gebraucht haben. Wenn was "wüst" ist, heißt das bei uns, es ist durcheinander, gebrandschatzt, verwüstet. Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Da hängt an dem Wort eine andere Gedankenkette dran. Und bei "across" hat man das Kreuz mit drin, kreuz und quer geht es da, die Wüste wird durchquert. "Durch" leistet das sprachlich nicht.
Das ist übrigens ein klasse Beispiel dafür, warum man als Autor, der sich mit Sprache auseinandersetzen will, gut daran tut, deutsche Autoren zu lesen. Denn bei einer Übersetzung bewundern wir nicht die Sprachkunst eines Stephen Kings, sondern die eines Übersetzers, der einen verdammt schweren Job hat, das auch noch sinngemäß rüberzubringen. Der Plot, die Erzählstruktur, die Figuren, all das ist davon ausgenommen, das ist in der Übersetzung so gut wie im Orginal, aber die Sprache muss leiden, außer der Autor kann im Orginal nicht viel und der Übersetzer ist sehr stark.
Ich will überhaupt nix gegen den Übersetzer sagen, das ist wirklich ein Beruf, der Hochachtung verdient, und wie hätte man Kings ersten Satz denn auch anders übersetzen können? Wir kriegen den "Gunslinger" nicht rüber, und für Desert können wir halt nur "Wüste" sagen, aber ein Autor schert sich einen Dreck darum, wie sein Text in der Übersetzung wirkt, der schreibt in seiner Sprache und da überdenkt er die Bedeutung jedes Wortes.
Wenn ein Übersetzer dran sitzt - der natürlich nicht annährend soviel Zeit pro Wort aufwenden kann, wie ein Autor, um den richtigen Ausdruck zu finden (dann würde er ein dickes Buch im Jahr übersetzen und müsste vom Sozialamt leben), und der Übersetzer muss zudem noch möglichst dicht am Text bleiben, was soll er da machen? Da muss er halt mit Revolvermann kommen. Revolverschütze ging noch, aber na ja, das klingt dann zu sehr nach Militär, Pistolero bringt das Spanische mit rein, das man in dem Kontext der Fantasy-Welt wahrscheinlich nicht haben will, also ... wie gesagt, es ist wirklich nichts gegen die Übersetzer zu sagen; aber sprachlich kann man den Satz auf Deutsch eben nicht für herausragend halten. Genau so wenig wie den von der Päpstin.
Für mich wiederum ein Beweis, dass Wörter viel mehr sind als nur Zeichen, die für etwas anderes, die Bedeutung, stehen. Sie haben auch einen materiellen-sinnlichen Aspekt, und beim Schreiben ist es immens wichtig, das spüren zu können. Es fließt alles mit ein in einem Wort: Die Bedeutung eines Wortes und damit der ganze kulturell-historische Hintergrund (wie Quinn schon treffend gemeint hat), aber auch diese schillernde, widerspenstige Oberfläche, der Klang des Wortes, die Abfolge der Buchstaben, der KÖRPER eines Wortes.
Damit zu spielen, kann aber auch zu Abstürzen führen, ich erinnere da nur an das Wort "marathonischlang" - ein gutes Beispiel dafür, wie ein Wort, abseits von den zusammengeführten Bedeutungen, ein Eigenleben entwickeln kann, welches dann mit dem Gewollten nicht mehr viel zu tun hat.
Mein Favorit:
William Gaddis: Letzte InstanzGerechtigkeit? - Gerechtigkeit gibt's im Jenseits, hier auf Erden gibt's das Recht.
Ansonsten natürlich:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
It is a truth universally acknowledged that a zombie in posession of brains must be in want of more brains.
Weniger, nee quatsch, überhaupt nicht antiquarisch:
>Meinen lieben Lesern lege ich eine neue Erzählung vor.<*
Das ist ein gelungener Beitrag eines selten klugen Kopfes,
>Gott steh uns bei, wenn du uns jemals was vorsetzt, das selbst du als angestaubt bezeichnen würdest<
der es wahrlich verdient hätte, empfohlen zu werden. In schlichter & modischer Sprache zeigt er alles, was gute und moderne, pardon, modische Literatur leisten kann:
Es ist Bekenntnis-Literatur und zugleich der Hilferuf der gequälten Kreatur an die höchstmögliche Instanz, darüber gibt's nichts, wie es auch überm Autor nichts geben kann. Der Prot, den wir getrost mit dem Autoren gleichsetzen können, schreit seinen Hilferuf an den hERrn nun keineswegs in der Sprache der Altvorderen, sondern kommuniziert in modisch eleganter würde Konstruktion, dass jedermann - auch der selten blödeste Hund - ihn verstehen möge. Wobei der Fall eintreten könnte, dass der hERr Zensur ausübe oder schlimmer noch, unerwünschte Schmierereien statt Hexen und Zauberer verbrannt werden.
Wie dem auch sei, ich empföhle diesen wundervollen kleinen Text, bestünde nicht die Gefahr, dass das Kartellamt eine geheime Absprache zwischen dem Belobigten und dem von ihm entlobten wittern könnte, ist etwas ähnliches doch gelegentlich schon früher vorgekommen.
Mit freundlichem Gruß
Friedchen
Ausgezeichnete Idee, das mit den Erst-Sätzen. Und, Quinn, danke dir, dass du das mit dem "Revolvermann" mal aufgedröselt hast. Zu ähnlichen Überlegungen, was die Übersetzerei hier und im Allgemeinen anbetrifft, kam ich auch, nachdem ich damals las, King hielte den Satz für den besten je von ihm geschriebenen. Was mich, dem nur die deutsche Fassung vorlag, zunächst geradezu schockierte.
Nun aber meine fünf Cent:
Ernst Jünger, "Auf den Marmorklippen"Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift.
Was ein genialer Thread. Dass ich den jetzt erst sehe.
Paul Mercier - Der KlavierstimmerJetzt, da alles vorbei ist, wollen wir aufschreiben, wie wir es erlebt haben.
Sie wollten unbedingt einen Kopfschuß.
J.M. Simmel - Und Jimmy ging zum Regenbogen.
Ich hab in einem Wartesall in einer Klinik auf meine Frau gewartet und begonnen ein paar Bücher durchzublättern. Ich sah den Satz , begann zu lesen, und konnte nicht aufhören weiterzulesen. Sowas ist mir noch nie passiert. Und da meine Frau dann doch kam, habe ich mir inzwischen das Buch gekauft und finde es insgesamt außerordentlich empfehlenswert - insbesonders für die Österreicher unter euch
LG
Bernhard
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