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Dach über dem Kopf

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02.02.2004
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Dach über dem Kopf

"Es gibt zuviele Flüchtlinge, sagen die Menschen.
Es gibt zuwenig Menschen, sagen die Flüchtlinge"
Ernst Ferstl​

Es klingelt. Ich stelle die Bierflasche ab, drücke mit der Fernbedienung die Spätnachrichten auf Pause und schäle mich aus dem Fernsehsessel.
"Hallo?", frage ich in die Gegensprechanlage. Nichts.
Ein leises Klopfen verrät, dass der späte Besuch bereits vor meiner Tür steht.
Ich öffne, lasse aber die Kette vor, keine Ahnung, welchen Klinkenputzer die alte Siegenthaler unten ins Treppenhaus gelassen hat.
"Ja?"
"Herr Frutiger. Roland Frutiger?"
"Und Sie sind?"
Vor der Tür steht ein Mann um die vierzig, schlecht sitzender Anzug. In den Händen hält er eine Mappe, aus der er ein A4-Blatt herauszieht und mir entgegenstreckt.
"Geissbühler, freier Mitarbeiter beim Projekt 'Ein Dach für Menschen'. Ich bringe die Ihnen zugewiesenen Leute."
Jetzt bemerke ich im Halbdunkel des Treppenhauses weitere Personen. Hängende Schultern, fremdländische Gesichter, eine Familie wie mir scheint, ein Mann um die vierzig, mit Frau und Kind. Alle starren sie mich an, irritiert schaue ich zurück zu Herrn Geissbühler.
"Was heisst zugewiesene Leute? Und wissen Sie, wie spät es ist?"
"Ja, tut mir leid, aber wir kommen nicht hinterher, es sind einfach zu viele."
Von unten höre ich die alte Siegentaler die Tür öffnen, will ja nichts verpassen, die Schachtel.
"Also, äh, ich bin gerade etwas verwirrt. Sie bringen mir ... Leute?"
Die Familie hinter Geissbühler wird unruhig, das Mädchen fängt leise an zu weinen, der Mann zischelt kehlige Laute, worauf das Mädchen verstummt und ihren Teddy fest an sich drückt.

"Einen Moment", sage ich, löse die Kette und öffne die Tür.
"Kann ich kurz unter vier Augen?" Ich blicke auf Geissbühler und nicke Richtung Flur. Der schlüpft durch den schmalen Spalt und ich schliesse die Tür.
"Sie wollen mir doch jetzt keinen Ärger machen, Herr Frutiger, oder?"
"Ich glaube, hier handelt es sich um ein Missverständnis."
"Aber hier steht", Geissbühler zieht ein weiteres Formular hervor, "Sie bewohnen eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung, besitzen weder Haustiere noch Kinder, haben also Kapazität für maximal drei schutzbedürftige Personen. Und Sie haben sich für eine vorübergehende Aufnahme bereit erklärt. Ist das ihre Unterschrift?"
Fassungslos schaue ich auf das Formular, fange an zu schwitzen, erinnere mich, vor einer Woche in der Einkaufsstrasse, eine junge Frau hielt mir ein Klemmbrett hin, "Ein Dach für Menschen" stand in knalligem Rot auf ihrem T-Shirt, sie erzählte mir etwas von den vielen Flüchtlingen, die alles verloren haben, die in Zügen mit nichts als ein paar Habseligkeiten ankommen werden, zu Tausenden, dringend auf Unterstützung und Soforthilfe angewiesen, und so weiter und so fort.
"Mit Ihrer Unterschrift helfen Sie uns, den Leuten wenigstens ein Dach über dem Kopf zu geben."
Ihr Schmollmund war süss, ihr Lächeln überzeugend und ausserdem war es für eine gute Sache. So liess ich Name und Adresse auf dem Klemmbrett. Meine Güte, warum habe ich mit ihr eigentlich über meine neuen Platzverhältnisse geplaudert? Was habe ich mir dabei gedacht?
"Ja, meine Unterschrift", sage ich kleinlaut.
"Dann wäre das ja geklärt, morgen kommt wieder jemand vorbei, keine Angst, wir lassen Sie da nicht hängen. Hier, die Notfallnummer und danke für Ihre Unterstützung".
Herr Geissbühler öffnet eigenmächtig die Tür und im Treppenhaus verstummt das fremdländische Gemurmel, alle drei blicken dem Geissbühler nach, wie er nach unten spurtet. Ich trete ans Geländer und sehe noch, wie er die alte Siegenthaler fast über den Haufen rennt. Dann blicken mich alle fragend an. Auch die Siegenthaler schaut hoch, droht mit dem Finger.
"Ist jetzt endlich Ruhe dort oben? Und was sind das für Leute, Herr Frutiger?"
"Meine Gäste, weit gereist und müde, wir machen sicher keinen Lärm mehr. Gute Nacht."
Ich seufze, trete vom Geländer zurück und mache eine einladende Geste. Der Vater scheint als erster zu realisieren.
"Danke, viel danke", flüstert er, greift nach meiner Hand, küsst und schüttelt sie. Ich bin verlegen und winde mich vorsichtig aus der Umklammerung. "Schon gut, erstmal rein hier."
Einer nach dem anderen schlurft zaghaft mit Sack und Pack in den Flur, sie drängen sich vor der Garderobe, die Kleine steht unter meinem Mantel und starrt auf den Kunstdruck an der Wand. 'Die Badenden' von Renoir, drei nackte Frauen beim Plantschen. Der Vater stellt sich dazwischen und schaut etwas bedrückt zu seiner Frau.
"Bitte einfach mal durchgehen", sage ich und zeige auf mein Wohnzimmer. Jeder schnappt sich sein Bündel und zaghaft betreten sie die Stube. Der Fernseher zeigt noch immer die eingefrorenen Spätnachrichten, im Bild das überfüllte Flüchtlingslager, ein Polizist, der sich drohend vor einer Mutter mit Kind aufgebaut hat, zum Schrei aufgerissene Münder. Rasch drücke ich die Fernbedienung und der Bildschirm erlischt.

"Bitte setzt Euch", sage ich und zeige auf Couch und Sessel.
Sie riechen streng, Körperdunst schwängert den Raum. Schmutz, Angst und Schweiss steckt in ihren staubigen Kleidern, wie lange sind diese Leute schon unterwegs? Hätte man sie nicht erst einmal in Quarantäne unterbringen müssen, was ist mit ansteckenden Krankheiten?
'Morgen kommt jemand', höre ich Geissbühler. Ich spüre Wut emporsteigen, Wut auf meine voreilige Zustimmung. Hilft nichts, die armen Leute können nichts dafür. Jetzt wird improvisiert, dafür hat mich Tina immer gemocht, aber letztendlich auch verlassen.
"Ihr habt sicher Durst." Fragende Gesichter stehen verloren zwischen Sofa und Fernseher, die Habseligkeiten fest im Griff. Fremde Menschen in einem fremden Land, in einer fremden Wohnung, bei einem fremden Mann. Ich bekomme einen Kloss im Hals.

Ich zeige ihnen verschiedene Flaschen, sie entscheiden sich für Wasser und nachdem alle ein volles Glas in der Hand halten, starte ich einen neuen Anlauf zur Verständigung.
"Können Sie mich verstehen? Do you speak English? French?"
"Le français, un peu", sagte der Mann.
"Oh, très bien." Mein Französisch ist zwar holprig, aber besser als nur mit den Händen reden zu müssen. So lerne ich Familie Tamer kennen. Vater Yusuf, Mama Wafa und Tochter Ghada. Yusuf erzählt von Heimat, Bomben, einem Lastwagen ohne Luft. Yusuf zieht ein Bild hervor, darauf ein weisses Haus, daneben drei Männer. Yusuf hat Tränen in den Augen, nichts sei mehr übrig, er zeigt mit dem Finger auf das Bild. Bruder, und Mann von Schwester. Hatten beim Bauen geholfen, jetzt sind sie tot. Ein kurzer Moment des Schweigens, wir schauen auf Ghada, die im Schoss der Mutter eingeschlafen ist, den neuen Teddy im Arm.

Ich mache ihnen verständlich, dass sie sich mein Schlafzimmer und das Büro teilen können, sie bestehen aber aufs Wohnzimmer, möchten zusammenbleiben, und so basteln wir zusammen eine Art Schlafnest. Die Couch kann ich ausziehen und die vom Sardinientrip mit Tina übrig gebliebene Luftmatratze gibt ein prima Kinderbett. Ich lege meine letzten frischen Handtücher, Seife und Waschlappen bereit, da legt Wafa die Hand über ihren Schritt und schaut mich etwas betreten an. Ich verstehe, krame im Haushaltsvorrat und stosse auf Tinas Restbestand an Binden und Tampons, zum Glück habe ich die Sachen noch nicht weggeworfen.
Während in meiner Wohnung ein geschäftiges Treiben beginnt, ziehe ich mich zurück ins Schlafzimmer und greife zum Handy. Es ist kurz nach Mitternacht, ob Tina noch wach ist? Lange starre ich auf das Display ...


Ich erwache, bin wie gerädert. Vom Treppenhaus her dringt lautes Getrampel in mein Schlafzimmer, wie spät ist es? Die Morgendämmerung zwängt sich durch die halb geschlossene Jalousie. Kurz darauf klingelt es.
Die Ereignisse von gestern Abend springen mich an wie ein Tier. Wieder klingelt es, jemand klopft an die Tür. Morgen kommt jemand, hat Geissbühler gesagt. Im Wohnzimmer höre ich Familie Tamer, mein Gott, dieser Lärm muss sie ja total verängstigen. Ich springe aus dem Bett, in Unterhose und T-Shirt eile ich zur Tür, will dem aufdringlichen Besuch gleich mal meine Meinung sagen, im Augenwinkel sehe ich Wafa neben Yusuf sitzen, beide halten Ghada fest in den Armen, da klopft es erneut, diesmal energischer.
"Kantonspolizei Bern, machen Sie auf!"
Ich öffne die Tür, lasse aber die Kette vor.
"Polizei? Aber ..."
"Herr Roland Frutiger?"
Ich nicke und eine Person mit blauer Kappe steckt mir ihren Ausweis entgegen, das Bild zeigt ein lachendes Gesicht mit zum Zopf gebundenem blondem Haar.
"Wir haben Hinweise, dass sich in ihrem Haushalt Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung befinden."
"Das muss ein Missverständnis sein ...", das Déjà-vu lässt mich kurz schwindlig werden.
"Machen Sie auf, wir müssen ihre Wohnung durchsuchen. Hier der Beschluss des Staatsanwalts." Der Ausweis macht einem zerknitterten Papier Platz. Ich nehme der Polizistin den Wisch aus der Hand. Das war sicher die Siegenthaler.

"Okay, Moment, ich zieh mir nur kurz eine Hose an."
Betont ruhig schliesse ich die Tür. Roland denk nach, Flüchtlinge reisen meistens ohne Papiere, aber wenn sie betreut werden, dann ...
Auf Zehenspitzen schleiche ich mich ins Wohnzimmer und sehe in die erschrockenen Gesichter der Familie Tamer.
"C'est seulement la police." Nur die Polizei? Was rede ich da.
Ich erkläre ihm, es handle sich sicher um ein Missverständnis. "Un malentendu!"
Ich frage, ob sie Ausweise haben, oder sonst irgendwelche Papiere.
"Papiers? Mais ... nous n'avons pas papiers." Yusuf sieht mich erschrocken an.
Keine Papiere? Scheisse. Ich dachte, wenn eine Hilfsorganisation sie schon bringe, seien sie wenigstens registriert.
"Vous n'êtes pas enregistré?"
Yusuf schüttelt den Kopf. Geissbühler hat mir auch kein Dokument dagelassen.
Na toll, ich beherberge Flüchtlinge ohne Papiere und wo habe ich bloss die Notfallnummer hingelegt?
Yusuf fängt lautstark an mit Wafa zu diskutieren.

Hinter mir fliegt krachend die Wohnungstür aus den Angeln, Holz- und Glassplitter prasseln aufs Parkett.
Gebellte Befehle, Wafa schreit auf, Ghada fängt an zu weinen. Mir werden die Hände auf den Rücken gedreht, Handschellen klicken. Als ich hinter den Tamers, nur in T-Shirt und Unterhosen, vorbei an der lächelnden Siegenthaler, abgeführt werde, spüre ich zum ersten Mal, wie es ist, völlig unverschuldet am Rand des Abgrunds zu stehen.

Nach zwölf langen Stunden darf ich endlich meine Sicht der Dinge zu Protokoll geben. Ja, die Organisation "Ein Dach für Menschen" sei ihnen bekannt. Leider handle diese Gruppe ohne Bewilligung der Behörden, und Flüchtlinge ohne Papiere zu beherbergen sei nun mal illegal.
Ob ich auch Mitglied sei? Ich verneine.
Ob man mir glaubt? Das sei Sache des Staatsanwalts.
Was aus der Familie Tamir wird? Will man mir nicht sagen, Datenschutz.

Mit der Auflage, bis zum Ende der Strafuntersuchung die Stadt nicht zu verlassen, darf ich gehen. Sie haben mir sogar eine Fahrkarte ausgestellt und eine Trainingshose aus dem Spendenfundus überlassen. Nach einer langen Busfahrt in der Abenddämmerung, treffe ich vor dem Haus auf eine junge Frau, wie sie die sauber eingelassenen Klingelschilder studiert, erkenne sie am "Dach für Menschen"-T-Shirt. In den Händen hält sie einen Waschkorb voll Haushaltssachen. Mein Herz klopft bis zum Hals, das Gefühl von Freude vermischt sich mit aufkeimender Wut.
"Oh, Herr Frutiger", ruft die Frau mit dem Wäschekorb aufgeregt. "Ich bringe Ihnen ein paar Sachen für ..."
"Sie kommen zu spät. Sind schon wieder weg."
"Weg? Warum ... "
"Heute morgen, wurden von der Polizei abgeholt, ich musste auch mit."
"Ich verstehe nicht."
Ich blicke in das geschlossene Küchenfenster im Erdgeschoss, und bin mir sicher, dass wir beobachtet werden.
"Lass uns ins Haus gehen, äh, wie war doch gleich ... ?"
"Stella."
Schöner Name, passt zu ihrem Wesen.
Ich schiebe sie durch die Haustür und weiter, die gebohnerten Treppenstufen hoch bis vor meine Wohnung. Die Tür ist anscheinend provisorisch gerichtet worden, der Schlüssel passt noch.

Ich schliesse auf und lasse Stella zuerst hinein. Ihr Haar riecht nach Pfirsich.
"Was war denn hier los?", fragt sie und scheut sich, den verwüsteten Flur zu betreten. Ich quetsche mich hinter sie und schliesse die Tür. Stellas fragender Blick trifft mich und da ist er wieder, der Kloss im Hals. Vorsichtig nehme ich ihr den Materialkorb ab und stelle ihn unter die Garderobe.
"Als erstes mache ich uns mal Kaffee. Und dann suchen wir im Schrank nach einem anderen T-Shirt."

Wir sitzen in der Küche und nippen an unseren Tassen. Stella sieht mich fragend an und ich suche auf der Tischplatte nach den richtigen Worten.
"Was ist denn eigentlich verkehrt an meinem T-Shirt?", kommt sie mir zuvor.
"Na ja, leider ist deine Organisation den Behörden ein Dorn im Auge. Und ich habe jetzt eine Strafanzeige am Hals."
"Du hast was? Aber das ist doch völlig ... unfair."
"Kann sein, abgesehen davon, es wäre sowieso nicht gut gegangen, ich meine, gleich eine ganze Familie, bei mir alleine. Ich weiss ja nicht mal, was die Tamers essen, und was, wenn sie krank werden? Wie sieht es mit Versicherungsschutz aus?"
Ich rede mich in Fahrt, plötzlich sind da mehr Fragen als Antworten.
"Und dann muss ich auch arbeiten, soll ich sie den ganzen Tag hier alleine lassen? Was, wenn sie was kaputt machen, also im Treppenhaus oder draussen beim Spielen, wer bezahlt das dann?"
"Na ja, das wollte Geissbühler nächstens abklären, bis dahin ..."
"Siehst du? Ihr habt das vorerst einfach ausgeblendet, ganz toll!" Ich haue mit der flachen Hand auf den Tisch.
Stella schaut betreten auf ihre halbvolle Tasse, schiebt sie von sich weg und steht auf.
"Ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Danke für den Kaffee."
"Sorry, ich wollte dich nicht kränken. Bleib doch noch ..."
Warum habe ich nur meine schlechte Laune an ihr ausgelassen? Dabei ist es ja kaum ihre Schuld, na wenigstens nicht allein ihre. Wir sind beide ziemlich naiv an das Thema rangegangen.
"Die Haushaltssachen nehm ich wieder mit, brauchts ja nicht mehr."
Ich nicke stumm, will ihr mit dem Wäschekorb helfen. Sie schüttelt den Kopf.
Betretenes Schweigen, nur das anklagende Knirschen der Diele unter den Schuhsohlen. Ich öffne die Tür, Stella schlüpft hindurch.
"Wir können uns ja auch mal in der Stadt ..."
"Lieber nicht. Machs gut", sagt sie ohne zurückzusehen und läuft die Treppe hinunter.
Ich schaue ihr nach, hoffe vergebens auf ein versöhnliches Lächeln und warte, bis die Haustür ins Schloss fällt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo weltenläufer,

und noch mehr gute Tipps in Richtung Glaubwürdigkeit. Ich krieg so langsam einen Kloß im Hals.

Dafür ist dein Prot einfach zu lax.
Datenschutz und so, also der Ton insgesamt.
Jup, Überbleibsel aus der ersten Fassung, das hätte Dion wohl auch angemeckert, hätte er den Text ein zweites Mal darauf abgeklopft. :D

Gut, den Kloss mach ich fix heil, Datenschutz verliert sein "und so", aber den Rest muss ich erst sacken lassen, damit ich die nötige Distanz habe. Die laxe Stimme muss ganz raus, ok.
Dafür sollen noch krassere Gegensätze rein. Uff, wird ne Herausforderung, ich kann doch nicht ernst bleiben ...

Die Szene mit den Nackten im Flur, das finde ich originell und gut.
Na immerhin ein Darling, dass überleben darf.

Ich danke dir fürs Lesen und deine Rückmeldung,
Gruss dot

 

Hallo dotslash,

ich hab die anderen Kommentare nicht gelesen, also entschuldige, wenn ich irgendetwas wiederhole.

Deine Geschichte greift einen sehr guten Punkt auf, finde ich. Ich komme aus München und die letzten Wochen war hier das Thema "Flüchtlinge willkommen heißen" und "Flüchtlingen helfen" Thema Nummer eins. Genau über das, was du in deinem Text beschreibst, habe ich neulich mit Freunden gesprochen: So viele Leute, die jetzt an den Bahnhof rennen und Plakate in die Luft halten... so schön diese Geste ist - wie viele wären tatsächlich bereit, etwas von ihrem eigenen Standard zu Gunsten der Flüchtlinge aufzugeben? Wäre ich selbst bereit dazu?
Deine Geschichte trifft dieses Thema sehr gut.
Ich finde es auch eine interessante Wendung, dass der Protagonist seine Lage schon halbwegs akzeptiert und dann der Staat ihm letztlich seine Hilfe wieder "verbietet".

Sprachlich ist mir gar nichts aufgefallen. ;)

Jetzt wird improvisiert, dafür hat mich Tina immer gemocht, aber letztendlich auch verlassen.
Da bin ich nur kurz drüber gestolpert und hab mich gefragt, ob Tina ihn für sein Improvisationstalent verlassen hat, oder ich den Satz nur falsch verstehe.

Mais ... nous n'avons pas papiers.
Das ist jetzt eigentlich echt nicht wichtig, aber müsste das nicht "pas de papiers" heißen? :D (mein Französisch ist aber auch schon bisschen eingerostet) Oder war der Fehler gewollt?

Also, ich habs gern gelesen :)

Liebe Grüße
Tintenfisch

 

„Kein Mensch ist illegal.“
Aufdruck auf einem T-Shirt​
„Es ist schon alles gesagt,
nur noch nicht von allen.“
Karl Valentin​
“… Schon gut, erst[...]mal rein hier."Einer nach dem anderen schlurft zaghaft mit Sack und Pack in den Flur, sie drängen sich vor der Garderobe, die Kleine steht unter meinem Mantel und starrt auf den Kunstdruck an der Wand. 'Die Badenden' von Renoir, drei nackte Frauen beim Plantschen. Der Vater stellt sich dazwischen und schaut etwas bedrückt auf seine Frau.

Ja gibbet dat - vor allem inne uudemokratischen Schweiz,

lieber dot,
dass helfende Hände illegal sein können? Gut, dass nach Ablehnung und langwierigem Widerspruchsverfahren „abgelehnte“ Asylsuchende „untertauchen“, statt sich gehorsam zum und mit dem Abtransport Richtung Westbalkan ein- und abzufinden, ist hierorts bekannt, Schlepper abgefangen werden (aber ohne um die Hinterleute - auch Frauen wollen da sicherlich ihren Reibach machen - zu wissen ), ebenso wie die nachtschlafene Zeit, zu der der Staat in Flüchtlingsunterkünften Abzuschiebende hierorts heimsucht und auch leerstehende Wohnungen dem Staat als Unterkunft angeboten werden, aber auf dessen Kosten erst mal wieder renoviert werden müssen . Erst profitieren nicht nur (Waffen-)Exporteure und dann die (da)heimlichen Nutznießer.

Nun gut, wenn's dem lieben Nachbarn nicht gefällt ist man auch hierorts zunächst machtlos …
Und Stella (= Stern) ist halt nicht nur ein schöner Name ...

Also zu bisher großzügig übersehenen Trivialitäten, wie der Höflichkeitsform

Ich bringe die hnen zugewiesenen Leute."
"Bitte setzt [E]uch", sage ich und zeige auf Couch und Sessel.

Aber, die Frage sei erlaubt: Befindestu Dich auch auf der Flucht? Da ist einige Flüchtigkeit drin (ohne Garantie, dass ich alles gefunden hätte). In der Reihenfolge des Auftritts:

Tinas Restbestand an Binden und Tampo[n]s,
will dem aufdring[l]ichen Besuch
"[O. K.//alternativ das ein Zeichen kürzere Okay], Moment, ich zieh mir nur kurz eine Hose an."
Ich dachte, wenn eine Hilfsorganisation sie schon bringe[...], seien sie wenigstens registriert.
"Was war denn hier los?"[,] fragt sie ...

Gruß

Friedel

"Anbei"

Ob das Thema sich zu einer Satire eigne, vermag ich noch nicht zu beurteilen, obwohl's mich aus einem andern Grund ganz schön juckt -
Aus Flyern, Einladungen, auf Plakaten und aus meinem eMail-Verkehr weiß ich aber, dass der Gender-Wahnsinn nebenbei fleißig Urständ feiert (Beispiel für den schlichten und eindeutigen Sammelbegriff "Bewohner" - es schüttelt mich schon ... - "Bewohner*innen", worinnen ja ein (dr)außen zugleich mitschwingt. Da soll man "freundlichst" und ähnliche Superlative umsetzen, und muss sich nachher duschen von dem Schleim ...

 

Lieber dot

Der überarbeitete Text gefällt mir nun noch besser. Weniger schrill, näher bei der Frage, die mich beim Lesen beschäftigt hat: "Was, wenn ich Flüchtlinge aufnehmen würde?"
Beim erneuten Durchlesen ist mir die Siegenthaler etwas auf den Keks gegangen:

keine Ahnung, welchen Klinkenputzer die alte Siegenthaler unten ins Treppenhaus gelassen hat.
Auch die Siegenthaler schaut hoch, droht mit dem Finger.
"Ist jetzt endlich Ruhe dort oben? Und was sind das für Leute, Herr Frutiger?"
vorbei an der selbstgefällig lächelnden Siegenthaler, abgeführt werde,
Ich starre in das triumphierende Gesicht der Siegenthaler und schüttle den Kopf. Bei der Alten ist einfach kein Platz für verfolgte Menschen, weder im Haus, noch in ihrem Herzen.
Dann schiebe ich Stella durch die Haustür, weg von der gehässigen Siegenthaler.

Mir scheinen die letzten Charakterisierungen überflüssig zu sein. Vor allem der kommentierende Satz: "Bei der Alten ist einfach..." Nach dem drohenden Finger habe ich schon ein sehr gutes Bild von der Frau und ihre Taten sprechen ja für sich.

Und dann:

Herr Geissbühler öffnet eigenmächtig die Tür und im Treppenhaus verstummt das fremdländische Gemurmel, alle drei blicken dem Geissbühler nach, wie er nach unten spurtet und die alte Siegenthaler fast über den Haufen rennt, dann blicken mich alle fragend an. Auch die Siegenthaler schaut hoch, droht mit dem Finger.

Vielleicht habe ich zuwenig Phantasie, aber ich krieg' das nicht hin, mir die Szene so vorzustellen, dass der Prot (zusammen mit den drei anderen) das alles sehen kann.

Weiterhin gern gelesen

Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tintenfisch

Zuerst ein dickes Sorry für das Überlesen deines Kommentars!


... so schön diese Geste ist - wie viele wären tatsächlich bereit, etwas von ihrem eigenen Standard zu Gunsten der Flüchtlinge aufzugeben? Wäre ich selbst bereit dazu?
Deine Geschichte trifft dieses Thema sehr gut.
Danke dafür.
Es ist in der Tat ein spannendes Thema und durch die Geschichte habe ich mich zunehmend selber damit auseinandergesetzt. Allerdings käme für mich eine private Unterbringung eines oder mehrer Flüchtlinge aufgrund der Platzverhältnisse schon mal nicht in Frage. Aber auch wenn ich Platz hätte, so kämen da einige Herausforderungen auf mich zu. Bürokratische und auch persönliche. Wie käme ich mit einem Flüchtling in Kontakt, den ich allenfalls bei mir einziehen lassen könnte?
Recherchen zeigten, dass bei der zuständigen Sozialbehörde bereits Endstation wäre. Das ganze ist in der Schweiz kantonal geregelt, heisst, jeder Kanton geht damit anders um. Zum Teil sind die Abläufe dazu noch gar nicht definiert, oder der Kanton ist gar nicht bereit dazu und verweist auf die Flüchtlingshilfe Schweiz.
Dort verweist man aber auf die Kantone, die auch die Flüchtlingsunterkünfte betreiben und somit wissen, wer überhaupt in Frage kommt. Ping-Pong.

Stefan Frey schrieb:
Laut Frey sind Zimmer mit separatem WC und Bad oder Einliegerwohnungen sehr gesucht, die für mindestens ein halbes Jahr vermietet werden. Ohne ein gewisses Mass an Privatsphäre gehe es kaum, wolle man längerfristig miteinander auskommen, sagt Frey. Wichtig sei zudem, dass auch der Vermieter als Person geeignet sei. Ein vermittelter Flüchtling soll schliesslich nicht bereits nach wenigen Wochen wieder ausziehen müssen oder vom Regen in die Traufe geraten.

---

Jetzt wird improvisiert, dafür hat mich Tina immer gemocht, aber letztendlich auch verlassen.
Da bin ich nur kurz drüber gestolpert und hab mich gefragt, ob Tina ihn für sein Improvisationstalent verlassen hat, oder ich den Satz nur falsch verstehe.
Damit will er ausdrücken, dass sein Improvisationstalent zunehmend negative Züge angenommen hat. Anfänglich fand Tina es praktisch, dass er auf ungeplante Situationen immer eine Antwort wusste, später war es nur nervig, wenn er auch bei geplanten Sachen improvisierte, weil er's wieder mal vergessen hatte.
Ich hoffe, ich konnte dir diesen Satz etwas näher bringen, weil ich ihn ungern in der Geschichte noch weiter ausführen möchte.

Mais ... nous n'avons pas papiers.
Das ist jetzt eigentlich echt nicht wichtig, aber müsste das nicht "pas de papiers" heißen? (mein Französisch ist aber auch schon bisschen eingerostet) Oder war der Fehler gewollt?
Gewollt, ehrlich!
Hatte es nachgeschlagen [mein Wissen aus dem Franzunterricht ist bereits arg verblasst] und den Artikel extra weggelassen, um das holprige Französisch zu unterstreichen. ;)

Danke dir fürs Lesen und deine Rückmeldung,
liebe Grüsse
dot

***

Salut Friedel

Ja gibbet dat - vor allem inne uu[r]demokratischen Schweiz,
lieber dot,
dass helfende Hände illegal sein können?
JA.
Dazu die Aussage von :
Stefan Frey schrieb:
Heute nach mehreren Asylgesetzrevisionen sei alles viel stärker reglementiert, der bürokratische Aufwand habe sich vervielfacht, sagt Stefan Frey. «Wenn Private heute unter denselben Umständen wie damals* Flüchtlinge aufnehmen würden, handelten sie illegal.»

*1973 nach dem Militärputsch in Chile.


Zur Satire in anderer Sache:
Ja ja, die Bewohnerinnen und aussen, die alte Leier der politisch korrekten Ansprache männlicher, wie weiblicher Personen. Mach mal ... :D

Danke auch fürs Anmeckern der Höflichkeitsform und deine Fluchthilfe, habe die Fehler korrigiert.

Liebe Grüsse,
dot

***

Salü Peeperkorn,
schön schaust du noch einmal vorbei.

Der überarbeitete Text gefällt mir nun noch besser. Weniger schrill, näher bei der Frage, die mich beim Lesen beschäftigt hat: "Was, wenn ich Flüchtlinge aufnehmen würde?"
Da bin ich froh, dass mir das so weit mal gelungen ist.

Beim erneuten Durchlesen ist mir die Siegenthaler etwas auf den Keks gegangen
Die kommt wirklich viel vor, ist aber auch eine nervige Tante.;)
Aber du hast recht mit den geschwärzten Adjektiven und dem erklärenden Satz: Der Leser hat schnell ein gutes Bild von der Alten, da braucht es keine neuen Beschreibungen. Hab ich geschliffen, Danke!

Vielleicht habe ich zuwenig Phantasie, aber ich krieg' das nicht hin, mir die Szene so vorzustellen, dass der Prot (zusammen mit den drei anderen) das alles sehen kann.
Ich hatte das Bild vor Augen, wie mein Prot ans Geländer tritt und nach unten blickt.
Aber das reicht nicht, dem Leser muss ich das Bild natürlich auch vermitteln. Hab's erweitert.

Danke für deine erneute Rückmeldung.

Liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Zitat Zitat von Stefan Frey, Mediensprecher der Flüchtlingshilfe Schweiz

Heute nach mehreren Asylgesetzrevisionen sei alles viel stärker reglementiert, der bürokratische Aufwand habe sich vervielfacht, sagt Stefan Frey. «Wenn Private heute unter denselben Umständen wie damals* Flüchtlinge aufnehmen würden, handelten sie illegal.»

*1973 nach dem Militärputsch in Chile.

Euer Nationaldichter, ein Alt48-er, Staatsschreiber und Sekretär des Zentralkomitees für Polen und somit Kümmerer um Flüchtlinge vorm Zarenreich rotiert,

lieber dot,

und fragt mich ernsthaft, ob das System Escher nie verschwunden war ... Für den nördlichen Nachbarn Beerde kann ichs beantworten und Mutti stößt da bald an ihre Grenzen in doppeltem Sinne.

friedel

 

Hallo maria

Das hast du aber schön zusammengefasst, und dass ich unbeschadet aus deiner berüchtigten hart-aber-fair-Kritikmühle herauskomme, darauf bilde ich mir schon was ein. :D
Danke dafür.

Zum einzigen Kritikpunkt: Jep, kann ich voll leben mit, denn inzwischen habe ich den Text x-mal gelesen und bin an dem Punkt, wo ich (ihn) gerne los lassen würde. Um da jetzt noch mehr Nachhaltigkeit und Tiefe reinzubringen, dazu brauchts Distanz.

Verzeih mir =D
C'mon! Ich bedanke mich bei dir fürs Lesen und Tollfinden.
Liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo dotslash

Das einführende Zitat und die sich anbahnende Thematik weckten mir vorerst etwas Skepsis, ob das Nachfolgende sich in eine Geschichte einbinden lässt, ohne auf die eine oder andere Seite leerzulaufen. Nach letztem Wahlsonntag wäre es auch als Manifest denkbar gewesen, eine aufbäumende Stimme der schweigenden Mehrheit, doch ich schaute nach und sah, dass Du die Geschichte bereits vor einem Monat eingestellt hattest. An sympathischer Brisanz hat sie nur gewonnen.

"Es gibt zuviele Flüchtlinge, sagen die Menschen.
Es gibt zuwenig Menschen, sagen die Flüchtlinge"
Ernst Ferstl

Am Zitat blieb ich vorerst hangen, da dessen Logik mir nicht eindeutig ist. Das Wortspiel ergibt erst einen Sinn, denke ich, wenn man die Aussage der Flüchtlinge tiefer deutet und Menschen mit Menschlichkeit gleichsetzt. So wie es formuliert ist, wirkt es mir eher überflüssig und verwirrend.

Es klingelt, ich stelle die Bierflasche ab, drücke mit der Fernbedienung die Spätnachrichten auf Pause und schäle mich aus dem Fernsehsessel.

Im ersten Satz, der durchaus ein Stimmungsbild zu vermitteln vermag, stört mich das nahtlos zusammenhängende der Ereignisse. Es ist nichts falsch daran, doch subjektiv gesehen fände ich es literarisch angenehmer zu lesen, wenn nach dem Klingeln ein Punkt folgte. Der Leser hätte einen Sekundenbruchteil des Innehaltens und es wäre dadurch dem realen Erleben nachvollzogen.

Ein Moment des Stutzens trat mir dann bei Klinkenputzer auf. Spätabends ist es ungewöhnlich, dass Vertreter, Hausierer oder Bettler ihre Tätigkeit an Haustüren ausüben. Doch möglicherweise verwendet der Protagonist den Ausdruck pauschaler als üblich und benennt alle möglichen Personen damit?

Der Grund für die Kenntnis der Unterschriftensammlerin mit seinen persönlichen Verhältnissen könnte noch in einem erinnernden Satz einfließen, um diese Lücke zu schließen. Z. B. im Gespräch hatte sie ihn beiläufig gefragt, wie denn seine Wohnsituation sei, was ihm eher als ein Moment erschienen war, die Passanten zum Mitfühlen zu bewegen. Dass sie diese Angaben nachträglich festgehalten haben muss, ergibt sich aus dem Zusatzblatt, welches Geissbühler ihm präsentierte.

"Francais, un peut", sagte der Mann.

Der Flüchtling spricht nur radebrechend Französisch, wie er sich ausdrückt. Ich finde es jedoch heikel, wenn dessen zitierte Worte gebrochen wiedergegeben sind. Besser dünkte mich die korrekte Schreibweise: „Le français, un peu“, mit Artikel vorab, dem Cedille (ç) in français und peu für wenig. Dass er sich nur beschränkt in Französisch auszudrücken vermag, besser danach festhalten z. B. mit: sagte der Mann stammelnd.

Meine anfängliche Skepsis war unbegründet, was die Bearbeitung der Thematik anbelangt. Ungewöhnlich vielleicht, wie widerstandlos sich der Protagonist mit der Situation abfand, ungebetene Gäste aufnehmen zu müssen. Die Charakterzeichnung von ihm lässt dies jedoch als plausibel aufscheinen. Auch seine Arglosigkeit in Bezug auf die Rechtslage, ihm da gar keine Bedenken aufkommen, kann man ihm uneingeschränkt abnehmen. Sein Pech ist nur, das Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Es ist also eine zunehmend sympathisch dargelegte Handlung, deren Tragik sich im Alltag wohl in ähnlicher oder anderer Weise nicht so wenig abspielt.

Was mich als Leser dann dennoch etwas ins Leere laufen lässt, ist der Ausgang. Ein Techtelmechtel von Frutiger mit Stella scheint sich anzubahnen, doch als Wende in der Geschichte wirkt es auf mich etwas zu dürftig.
Desungeachtet habe ich beim Lesen selbst eine Wende erfahren, trotz des leidlichen Ausgangs für die Flüchtlinge, hat der Stoff in der inhaltlichen Aufarbeitung mir Unterhaltung gegeben.

Soweit aus meiner Perspektive.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

"Es gibt zuviele Flüchtlinge, sagen die Menschen.
Es gibt zuwenig Menschen, sagen die Flüchtlinge"
Ernst Ferstl
Am Zitat blieb ich vorerst hangen, da dessen Logik mir nicht eindeutig ist. Das Wortspiel ergibt erst einen Sinn, denke ich, wenn man die Aussage der Flüchtlinge tiefer deutet und Menschen mit Menschlichkeit gleichsetzt. So wie es formuliert ist, wirkt es mir eher überflüssig und verwirrend.
Nur eine kurze Anmerkung dazu: Wer je in Afrika oder Asien (Ägypten, Indien, Indonesien, etc.) war, wird sicher überrascht gewesen sein, wie voll von Menschen da die Straßen sind. Im Vergleich zu dem sind unsere Straßen und Plätze leer, d.h. in den Augen der Flüchtlinge gibt es hierzulande zu wenig Menschen. Insofern kann man die obige Aussage auf zweierlei Arten lesen: Es gibt bei uns zu wenige Menschen als absolute Zahl oder zu wenige Menschen, die diesen Namen verdienen, sprich sich den Menschen in Not wirklich zuwenden wollen.

So wie dieser Herr Furtiger eben, der nur wegen schönen Augen der Werberin – und der vagen Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer – bereit ist, zu helfen. Und als es so weit ist, am liebsten seine Bereitschaft wieder rückgängig machen will.

 

Hi dot,

ich habe die Story schon gleich nach dem Einstellen gelesen und fand sie super. Was mir besonders gefallen hat, war, dass dein Prot praktisch von dieser ganzen Situation überrumpelt wird - und sich dann die Rollen von Flüchtlingen und Prot "vertauschen", also, er kommt dann selbst in die Situation, ohne eigentlich etwas "falsch gemacht" zu haben, von der Polizei verfolgt zu werden. Also das ist so ein Prozess in ihm, er versteht plötzlich, wie sich die Familie fühlt, und das hat mir gut gefallen.

Wie ich sehe, hast du die Urversion noch mal überarbeitet, die alte Nachbarin spielt jetzt eine größere Rolle, und das Ende ist auch anders.
Ja ... ich weiß nicht, ob das mit der Nachbarin wirklich der Geschichte noch guttut, oder ob sie da so einen Tick eine zu große Rolle spielt. Und sie ist als Flüchtlingshasser-Poliziei-Petze auch keine wirklich originelle Figur - genau solche Omas sieht man in den Nachrichten bei Pegida oder sowas, wenn sie meinen, Flüchtlinge bringen Bazillen mit und sowas. Mhm, ich weiß gerade nicht, was ich davon halten soll, ich persönlich würde ihre Präsenz wahrscheinlich im letzten Viertel einen Hauch runterfahren.

Was ich vom neuen Ende halten soll, weiß ich auch nicht. Also das ist jetzt auch kein negatives Feedback deinem neuen Ende ggü., ich bin tatsächlich unentschlossen. Einerseits ist es toll, dass es jetzt "auserzählt" wirkt, andererseits macht deine Figurenentwicklung bei deinem Prot mit diesem Satz:

Stella hat offensichtlich keine Ahnung, dass ihre Organisation aus Sicht der Behörden einen kriminellen Status besitzt.
"Als erstes mache ich uns mal Kaffee. Und dann suchen wir im Schrank nach einem anderen T-Shirt."
irgendwie wieder zwei Schritte zurück. Also, er war ja anfangs skeptisch, aber ist trotzdem gutherzig, und dann lernt er die Familie kennen und kann sich - spätestens nach dem Polizei-Einsatz - ja eigentlich mit ihnen identifizieren, kann nachvollziehen, wieso sie illegal in das Land kommen: Und diese Erkenntnis, die geht mit dem Schlusssatz wieder ein bisschen verloren. Der Prot denkt sich ja demnach: Ja, ich kann sie verstehen, weil ich selbst in einer solche Situation jetzt war, aber das ist illegal, also ist es falsch.

Also sind wirklich nur Kleinigkeiten, alles in allem ist das eine tolle Geschichte, auch super geschrieben, du schaffst es, dass ich mir jede Figur ziemlich gut vorstellen kann, obwohl du sie eigentlich wenig beschreibst.

Viele Grüße,
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anakreon

In der Tat überholt die Realität die Geschichte mit riesen Schritten. Private Unterbringung ist in aller Munde, gerade gestern hörte ich im Radio ein Porträt über den Clown Dimitri zu dessen achzigstem Geburtstag, wie er zusammen mit seiner Frau in den Siebzigern problemlos Chilenische Flüchtlinge privat aufnehmen konnte, in den Neunzigern hingegen bosnische Flüchtlinge aus dem Jugoslawienkrieg illegal verstecken musste, da die damalige Landesregierung der Schweiz diese nicht hier haben wollte.

Und heute? Es ist keine unlösbare Aufgabe, die erwartete Anzahl Flüchtlinge unterzubringen. Aber dazu braucht es eine durchdachte Logistik und vor allem eine gute Kommunikation gegenüber der Bevölkerung. Ansonsten werden Ängste weiter geschürt statt abgebaut und die sozialen Unruhen nehmen zu. Besonders seit letztem Wochenende, (dem Rechtsrutsch im Schweizer Parlament,) was mMn bloss eine Verlangsamung der Entscheidungsprozesse bei diesem Dossier nach sich ziehen wird.

Das Wortspiel ergibt erst einen Sinn, denke ich, wenn man die Aussage der Flüchtlinge tiefer deutet und Menschen mit Menschlichkeit gleichsetzt.
Und was spricht dagegen, das Zitat genauso, in seinem übertragenen Sinn zu verstehen? ;)
Für dich ist Ernst Festels Zitat, einmal losgelöst von meiner Geschichte, nur eine Worthülse ohne eindeutige Aussage, richtig? Ansonsten verweise ich auf Dions Kommentar, der es in meinen Augen treffend interpretiert hat.

, wenn nach dem Klingeln ein Punkt folgte. Der Leser hätte einen Sekundenbruchteil des Innehaltens und es wäre dadurch dem realen Erleben nachvollzogen.
Absolut richtig. Da gehört ein Moment des Staunens hin. Punkt.

Ein Moment des Stutzens trat mir dann bei Klinkenputzer auf.
Stimmt schon, um diese Zeit kommt eher selten einer dieser Spezies vorbei, aber du hast recht: Frutiger pauschalisiert, aber nur, weil die Siegenthaler wirklich alles reinlässt, was auf die Klingel drückt. Allerdings kam die Gruppe Geissbühler wohl nur dank eines anderen Bewohners, der im selben Moment das Haus verlassen haben musste, direkt ins Treppenhaus. Mut zur Lücke, ich lass das mal so stehen.

Der Grund für die Kenntnis der Unterschriftensammlerin mit seinen persönlichen Verhältnissen könnte noch in einem erinnernden Satz einfließen, um diese Lücke zu schließen.
Stimmt, hat Dion bereits angemeckert und ich versprach auch, das umzuschreiben. Deine Idee mit der leichtfertig geäusserten Auskunft während der Plauderei mit Stella in der Fussgängerzone übernehme ich, danke.

Der Flüchtling spricht nur radebrechend Französisch, wie er sich ausdrückt. Ich finde es jedoch heikel, wenn dessen zitierte Worte gebrochen wiedergegeben sind. Besser dünkte mich die korrekte Schreibweise
Sei's gedankt. bernadette hat mir auch schon einzelne "accents" um die Ohren gehauen. "Stammelnd" finde ich jetzt zu hart, ein (richtig geschriebens ;)) "un peu" sagt eigentlich schon alles.

Was mich als Leser dann dennoch etwas ins Leere laufen lässt, ist der Ausgang. Ein Techtelmechtel von Frutiger mit Stella scheint sich anzubahnen, doch als Wende in der Geschichte wirkt es auf mich etwas zu dürftig.
Stimmt schon, hier wechselt der Fokus vom Flüchtlingsdrama auf die Beziehungsschiene. Beim Versuch, der Geschichte einen neuen Schluss zu verpassen, habe ich wohl unabsichtlich ein neues Fass geöffnet. Die neue Haltung meines Prot am Ende der Geschichte, es sei halt nun mal illegal, einfach so Flüchtlinge aufzunehmen, das wurde ja auch von zigga angemeckert.

Schön, dass ich dich mit der Geschichte trotz anfänglicher Skepsis, doch noch etwas unterhalten konnte, Anakreon, und danke für deine konstruktive Rückmeldung.

Liebe Grüsse,
dot

***

Hallo Dion

Insofern kann man die obige Aussage auf zweierlei Arten lesen: Es gibt bei uns zu wenige Menschen als absolute Zahl oder zu wenige Menschen, die diesen Namen verdienen, sprich sich den Menschen in Not wirklich zuwenden wollen.
Danke für diese Lesart, wobei die erste mich verblüffte, die zweite sich mit meiner Auffassung von Ernst Ferstels Zitat deckt.

... und der vagen Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer – bereit ist, zu helfen.
Nun ja, dass wäre eine Erklärung, dass er ihr bereitwillig Anschrift und Telefonnummer überliess, und er habe seit neustem auch Platz für hilfsbereite Damen in seiner 3 Zimmer Wohung, aber ihm jetzt so ein chauvinistisches Getue zu verpassen - ich weiss nicht ...

Liebe Grüsse,
dot

***

Hallo zigga

Also das ist so ein Prozess in ihm, er versteht plötzlich, wie sich die Familie fühlt, und das hat mir gut gefallen.
Prima, er macht da schon eine Wandlung durch, und das hinterlässt sicher auch seine Spuren.

Ja ... ich weiß nicht, ob das mit der Nachbarin wirklich der Geschichte noch guttut, oder ob sie da so einen Tick eine zu große Rolle spielt.
[...]
ich persönlich würde ihre Präsenz wahrscheinlich im letzten Viertel einen Hauch runterfahren.
Die übermässige Präsenz der Siegenthaler wurde bereits mehrfach angemeckert, aber anscheinend reicht es nicht aus, nur etwas die Adjektive zu schleifen, sondern wie du vorschlägst, sie muss weniger Spielzeit bekommen, ich guck mal.

... ja eigentlich mit ihnen identifizieren, kann nachvollziehen, wieso sie illegal in das Land kommen: Und diese Erkenntnis, die geht mit dem Schlusssatz wieder ein bisschen verloren. Der Prot denkt sich ja demnach: Ja, ich kann sie verstehen, weil ich selbst in einer solche Situation jetzt war, aber das ist illegal, also ist es falsch.
Ich verstehe dein Empfinden, der Prot wird aus der Verantwortung genommen und "darf" sich mit Stella beschäftigen. Dadurch verliert die Geschichte am Ende den Fokus auf das eigentliche (spannende) Thema. Allerdings weiss ich (noch) nicht, wie ich da die Kurve noch nehmen soll.

du schaffst es, dass ich mir jede Figur ziemlich gut vorstellen kann, obwohl du sie eigentlich wenig beschreibst.
Prima, das freut mich jetzt ungemein.

Vielen Dank fürs Lesen und Besprechen.
Liebe Grüsse
dot

 

Hallo dotslash!

Am Anfang wirkte deine Geschichte auf mich kafkaesk - sie erinnerte mich an den Beginn von Kafkas Prozess. Bei Josef K. klingelt es:

Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.

Kafkaesk nennt man die Situation von Josef K., weil er nicht den Grund für seine Verhaftung weiß. Eine Anklage durch ein anonymes allmächtiges Gericht schwebt über ihm, aber er erfährt nicht, was ihm vorgeworfen wird. Trotzdem wird ihm seine Verhaftung von den unerwarteten Besuchern in einem amtlich-förmlichen Ton mitgeteilt, der den Eindruck erweckt, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Dadurch wirkt seine Lage besonders unheimlich.

Nun wird dein Herr Frutiger zwar (noch) nicht verhaftet, aber dass er dazu "verurteilt" ist, in seine Wohnung Menschen aufzunehmen, die er dazu nicht kennt, und dass ihm dies ebenfalls durch unerwarteten Besuch und in einem amtlich-förmlichen Ton mitgeteilt wird - auch das wirkt ganz schön unheimlich.

Dann aber klärst du die Situation durch Rückblende zu der Unterschrift, die Frutiger auf der Straße gegeben hat, und die kafkaeske Stimmung löst sich auf - es geht offenbar doch mit rechten Dingen zu.

Aber bis dahin ist deine Geschichte kafkaesk, so dass ich mich zu einem Vergleich ermutigt sehe.

In Kafkas Prozess ist die Anklage durch ein anonymes allmächtiges Gericht, die über Josef K. schwebt, Ausdruck für sein verdrängtes Schuldgefühl, das ihn anklagt, weil er Bankier und Kapitalist ist und auf Kosten anderer Menschen in Wohlstand lebt.

Und solch ein uneingestandenes Schuldgefühl des Schweizers Frutiger, der ja in der Metropole (Finanzplatz Schweiz) lebt und von der Ausbeutung der Dritten Welt profitiert, könnte auch der Grund sein, warum er dem Projekt der Flüchtlingshelfer seine Unterschrift gegeben hat, freilich in der Hoffnung, mit einer Geldspende wie mit einer Ablasszahlung sein Gewissen zu erleichtern und davonzukommen. Was sich dann als Irrtum erweist - plötzlich steht die Dritte Welt bei ihm auf der Matte!

Deine Geschichte ist psychologisch stimmig. Ich habe sie gerne gelesen!
Grüße
gerthans

 

So, ich habe der Geschichte erneut einen anderen Schluss verpasst. Damit hoffe ich, noch etwas näher beim Thema geblieben zu sein. Danke allen Kritikern, die mich dazu bestärkt haben, doch noch an der Geschichte zu feilen.

***​

Hallo gerthans

Kafkaesk würde ich mein Werk jetzt nicht gerade bezeichnen, aber nun gut, der kurzgeschichtliche Einstieg ohne Hintergrundwissen kann natürlich zu der Annahme, es laufe da gerade etwas sehr Seltsames, Rätselhaftes ab führen. Erst recht mit dieser amtlich geäusserten Unfehlbarkeit zu später Stunde, was meinen Protagonisten scheinbar keine Wahl zu lassen scheint.

Dann aber klärst du die Situation durch Rückblende zu der Unterschrift, die Frutiger auf der Straße gegeben hat, und die kafkaeske Stimmung löst sich auf - es geht offenbar doch mit rechten Dingen zu.
Und dies war denn auch eher meine (ganz reale) Intention. Was passiert, wenn man unbedacht aus einem leichtfertig geäusserten Wohlwollen heraus, seine Zustimmung für eine gute Sache gibt. Dabei kann durchaus dein erwähntes "schlechtes Gewissen" als Triebfeder gedient haben, um ihn anschliessend mit gutem Gefühl bei einer Flasche Bier die Flüchtlingsbilder der Tagesschau an sich vorbeiziehen zu lassen.

An reinen Geldspenden ist ja auch nichts verkehrtes, nur sollte man damit nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sich selbstzufrieden zurücklehnen. Eine Geldspende ist nur ein Puzzelteilchen, wie man, (wie ich) dem Thema begegnen kann. Die innere Haltung gehört ebenso dazu, sich zu hinterfragen, wie weit geht denn meine Hilfsbereitschaft, wie weit bin ich bereit, mich überhaupt zu engagieren, um ein Stück von meiner Lebensqualität an Bedürftige weiterzugeben?

Deine Geschichte ist psychologisch stimmig. Ich habe sie gerne gelesen!
Das freut mich.

Danke für deine interessante Rückmeldung.
Liebe Grüsse,
dot

 

Hallo Dot,

ich bin gerade eben erst bei euch Kriegern aufgenommen und hab mir gleich deinen Text vor genommen...so etwas gutes habe ich bislang noch nicht im Web lesen dürfen. Hut ab und vielen Dank.

Auch die Diskussion die darauf folgte hat mir gefallen. (Ich glaube, bei euch werde ich mich wohl fühlen.)
Ich kenne die unrevidierte Fassung nicht aber ich finde, die Geschichte ist trotz allem eine Satire. Ich versuche es einmal kurz zu begründen warum:
Es gibt keine Nebenhandlungen. Fast alles was in der Geschichte passiert, dient der Fortführung der Haupthandlung. (Bis auf die Erwähnung der Exfreundin vielleicht.) Jede Figur erfüllt eine entscheidende Aufgabe und wir lernen auch so gut wie keine weiteren (für den Plot nebensächlichen) Details. Das macht die Figuren für mich zu Typen einer Fabel.
Es ist keine Satire in dem Sinne, dass sie mich über die gezeigte Situation lachen lässt und doch kann ich nicht genügend Sympathie für die Leidenden und Sinnsuchenden entwickeln, um mich emotional in der Geschichte zu verlieren. Ich bleibe bis zum Schluss ein distanzierter Beobachter eines, wie unter Laborbedingungen gezüchteten, klinisch reinen Versuchs und das ist für mich Satire.

Und das finde ich nicht schlimm. Ich mag Satire. Aber wenn du davon weg willst würde ich an deiner Stelle noch mehr Beiwerk unterheben. Die Exfreundin von Roland zum Beispiel ist ein tolles Ding. Ohne sie wäre der Konflikt mit Stella einfach nur eine Metapher für die Kluft zwischen dem konservativen und dem progressiven bürgerlichen Lager. Mit der Exfreundin im Hinterkopf erhält es für mich aber noch die Zusatzebene: "Roland kann nicht so mit Frauen". Auf einmal hat das erzählerische Ich richtig Tiefe und reagiert nicht einfach nur auf die Situation.

Ich will einfach nur sagen: Elemente wie die Ex...das würde ich mir noch mehr wünschen.


Es hat Spaß gemacht, mich so in deinen Text einnisten zu dürfen. Vielen Dank für die Kurzweil. Und auch Danke für die Denkanstöße, denn deine "Moral" ist mir gut und richtig.

Grüße,
Klotz

 

Hallo Klotz

Willkommen bei den Wortkriegern.
Freut mich, dass ich dich mit meiner Geschichte unerhalten konnte.

Ich kenne die unrevidierte Fassung nicht aber ich finde, die Geschichte ist trotz allem eine Satire.
[...]
Es ist keine Satire in dem Sinne, dass sie mich über die gezeigte Situation lachen lässt und doch kann ich nicht genügend Sympathie für die Leidenden und Sinnsuchenden entwickeln, um mich emotional in der Geschichte zu verlieren.
Ich gebe dir recht, es bleibt ein Stück zum Nachdenken, ein Denkanstoss, der mit seinem Situationsplot nur die Oberfläche der einzelnen Schicksale kratzt.

Ich muss gestehen, auch wenn mir dein Vorschlag Spass macht ("Roland kann nicht so mit Frauen"), so werde ich es warscheinlich dabei belassen, nicht dass mir am Ende beim krampfhaften Versuch, den satirischen Touch rauszupolieren, die ursprüngliche Geschichte, bzw. die Idee dazu, entgleitet.

Es hat Spaß gemacht, mich so in deinen Text einnisten zu dürfen. Vielen Dank für die Kurzweil. Und auch Danke für die Denkanstöße, denn deine "Moral" ist mir gut und richtig.
Danke für deine Rückmeldung und viel Spass noch bei uns Wortkriegern,
bin gespannt auf dein erstes Werk.

Liebe Grüsse
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey dotslash,

eine einzige Überrumpelung ist das hier. Und damit passt das gut zu der gegenwärtigen Situation. Der Ich-Erzähler tut etwas und ist sich dessen nicht bewusst, nimmt seine – mehr oder minder ungewollte – Verantwortung ernst, wird dafür bestraft und letztendlich sogar emotional sanktioniert.

Ich mochte den Einstieg: Es klingelt, der Mann und die Familie stehen direkt vor der Wohnungstür, die neugierige Nachbarin stellt die Ohren ins Treppenhaus, der Protagonist wird sofort konfrontiert, hat gar keine Möglichkeit irgendwie über irgendwas nachzudenken, die Rahmenbedingung gefällt mir auch. Erst dachte ich, du skizzierst eine Zukunftsvision, in der der Staat jedem Haushalt Flüchtlinge zuteilt – ist ja nicht undenkbar, und schon gar nicht unmöglich, aber dass er da etwas hinkritzelt, weil das Mädel so lieb gelächelt hat, und weil man ja nicht so sein will – das fand ich stark. (Den Kommentaren ist zu entnehmen, dass du da nachbearbeitet hast. Finde ich super!) Bei dem Rückblick, als er sich an das Unterzeichnen erinnert, würde ich aber einiges wegnehmen.

Fassungslos schaue ich auf das Formular, fange an zu schwitzen, erinnere mich, vor einer Woche in der Einkaufsstrasse, eine junge Frau hielt mir ein Klemmbrett hin, "Ein Dach für Menschen" stand in knalligem Rot auf ihrem T-Shirt, sie erzählte mir etwas von den vielen Flüchtlingen, die alles verloren haben, die in Zügen mit nichts als ein paar Habseligkeiten ankommen werden, zu Tausenden, dringend auf Unterstützung und Soforthilfe angewiesen, und so weiter und so fort.
"Mit Ihrer Unterschrift helfen Sie uns, den Leuten wenigstens ein Dach über dem Kopf zu geben."
Ihr Schmollmund war süss, ihr Lächeln überzeugend und ausserdem war es für eine gute Sache. So liess ich Name und Addresse auf dem Klemmbrett, nur dass es anscheinend, wie ich schmerzhaft erfahren muss, nicht um eine simple Geldspende ging, sondern wirklich um "ein Dach über dem Kopf". Meine Güte, warum habe ich mit ihr eigentlich über meine neuen Platzverhältnisse geplaudert? Was habe ich mir dabei gedacht?
"Ja, meine Unterschrift", sage ich kleinlaut.
Das fett Markierte ist im Grunde keine Zusatzinformation, es wird wiederholt, es ist nicht notwendig, das so zu erklären.

Ansonsten passiert hier alles in einer rasanten Geschwindigkeit. Dem Protagonist bleibt keinerlei Zeit zur Reflektion, der nimmt das alles hin und dann wird ihm alles genommen.

Ein paar Anmerkungen:

Einer nach dem anderen schlurft zaghaft mit Sack und Pack in den Flur, sie drängen sich vor der Garderobe, die Kleine steht unter meinem Mantel und starrt auf den Kunstdruck an der Wand. 'Die Badenden' von Renoir, drei nackte Frauen beim Plantschen. Der Vater stellt sich dazwischen und schaut etwas bedrückt auf seine Frau.
Das mit dem Kunstdruck hat mir sehr gut gefallen, es ist keine plumpe Erotik, sondern Kunst, und trotzdem löst es ja dieses unangenehme Gefühl aus, wenn Mädels Minirock tragen, Pärchen sich küssen oder Schwule sich im Park in die Hose fassen, oder auf einem Plakat eine halbnackte Frau mit Auto zu sehen ist – das sind alles Szenen, die ich schon gesehen, gelesen und sonstwie mitbekommen habe. Das Kunst das macht … aber klar! Vielleicht: „schaut etwas bedrückt ZU seiner Frau?“

Sie riechen streng, Körperdunst schwängert den Raum. Schmutz, Angst und Schweiss steckt in ihren staubigen Kleidern, wie lange sind diese Leute schon unterwegs? Hätte man sie nicht erst einmal in Quarantäne unterbringen müssen, was ist mit ansteckenden Krankheiten?
Das ist auch krass. Und im Endeffekt schämt man sich vor solche Gedanken. Deutsche sind aller Erfahrung nach schlichtweg ordnungsliebend, nicht nur orientiert. Am liebsten würde das der Staat auch so machen, es geht halt einfach nicht.

Ob man mir glaubt? Das sei Sache des Staatsanwalts.
Was aus der Familie Tamir wird? Will man mir nicht sagen, Datenschutz.
Das zeigt gut, wie sachlich das alles bei uns abläuft. Ich habe letztens Das Blaue Zimmer von Georges Simenon gelesen, da muss er alles preisgeben, seine persönliche Perspektive vollkommen offenbaren, er macht sich nackt und wenn er fragt, ob man ihm glaube, vertröstet man ihn ständig. Glauben reicht den Behörden nicht, aber mehr geht halt nicht. Und dann: Was wird jetzt aus ihnen? Datenschutz. Damit werden sie anonym, verschwinden in den Blättern.

Ich rede mich in Fahrt, plötzlich sind da mehr Fragen, als Antworten.
Komma weg.

"Na ja, das wollte Geissbühler nächstens abklären, bis dann ..."
Bis dann oder bis dahin?

Dabei ist es ja kaum ihre Schuld, na wenigstens nicht allein ihre.
Das ist das tragische überhaupt. Niemand hat direkt Schuld, alle haben irgendwie indirekt Schuld.

Sehr interessant fand ich, dass der Kerl alleine in einer ziemlich großen Wohnung wohnt, er ist allein und mit Bier und Fernseher ist das auch okay. Aber irgendwie wäre er auch gerne nicht alleine dort. Er ist verlassen worden. Und nun kommt eine ausländische Familie, die Situation war bestimmt unangenehm, aber bereits einige Stunden später (in meinen Augen hast du den Zeitraum da sehr knapp bemessen, aber vielleicht ist das auch genau richtig) einige Stunden später verteidigt er sie bereits. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, dass er die Familie in einem Geheimversteck verbergen kann – ich bin mir sicher: er hätte das gemacht. Also da spielt sich auch sehr viel bei dem Protagonisten ab, auch am Ende, als er sich ein versöhnliches Lächeln wünscht, der simple und gut nachvollziehbare Wunsch nach Zuneigung und Ordnung.

"C'est seulement la police." Nur die Polizei? Was rede ich da.
Das ist richtig gut! Wie er beim Reden bemerkt, dass die Polizei, die für Sicherheit und Ordnung steht, hier Unsicherheit und Unordnung herbeiführt.

ernst offshore schrieb:
Interessant wird es erst dann, wenn man als Einzelner plötzlich unmittelbar mit der Frage konfrontiert wird, wie weit man für seine (theoretische) Hilfsbereitschaft auch persönliche Opfer zu bringen bereit ist. Insofern war der Beginn deiner Geschichte der für mich spannendste Teil, bzw, der Teil, der mich am meisten nachdenken und grübeln und, ja, auch meine eigene Einstellung zu dieser Problematik hinterfragen ließ. Wie würde ich mich in so einer Situation verhalten? Wieviel Unbequemlichkeit nähme ich in Kauf, um Reden Taten folgen zu lassen? Habe ich überhaupt das Recht, mich über unfähige, untätige Politiker aufzuregen, solange ich selbst nur quasi Zuschauer bin? Und wenn es eine Geschichte schafft, mich ernsthaft über meine Rolle in unserer wunderbaren, grausamen Welt nachdenken zu lassen, dann hat der Autor schon einmal sehr viel richtig gemacht. Ja, so gesehen ist es eine wirklich tolle Story, dot.
Genau diese Gedanken hat die Geschichte auch bei mir ausgelöst!

Und in noch einem Punkt muss ich offshore nachplappern:

Jetzt wird improvisiert, dafür hat mich Tina immer gemocht, aber letztendlich auch verlassen.
Man kann jemanden für seine Eigenheiten lieben oder hassen, zum Großteil ist das eine Entscheidung; weitergesponnen gilt das auch für Texte.

Deine Erzählung hat mich überrumpelt, unangenehme Fragen provoziert bzw. wiederbelebt und das globale Auge verschlossen, um einen ganz persönlichen Blick auf die gegenwärtige Situation zu werfen. Was ich davon halte? Ich habe mich klar entschieden!

Beste Grüße
markus.

 

Habe die Geschichte gern gelesen!

(murmelt vor sich hin:.. "Leider gibts hier nirgends eine "gefällt mir Funktion" oder so.
Da muss ich mal suchen gehen... Will ja nicht gleich einen "Empfehlungs-Thread" eröffnen")

 

Habe die Geschichte gern gelesen!

(murmelt vor sich hin:.. "Leider gibts hier nirgends eine "gefällt mir Funktion" oder so.
Da muss ich mal suchen gehen... Will ja nicht gleich einen "Empfehlungs-Thread" eröffnen")


Hallo Alfonx,

leider wird es dir hier nicht so einfach gemacht. Mit einem kurzen Klick die Sympathie zu bekunden, bringt den Autor nicht weiter.

Schreib' ihm, was dir an der Geschichte gefällt, oder eben was vielleicht auch nicht.
Schreib' auf, was du für Gedanken beim Lesen hattest - über was du gestolpert bist, über was du geschmunzelt hast, über was du den Kopf geschüttelt hast -

so Anmerkungen bringen die Schreibenden weiter. Ein Daumen hoch jedoch leider weniger.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo markus

Danke für deine ausführliche Besprechung, macht Spass zu sehen, wie eizelne Leser sich dank der Geschichte mit der Thematik auseinandersetzen und für sich ausdefinieren. Letztendlich macht sich das Problem halt immer stärker auch in unserer Wohlfühlzone breit. Jetzt wird bei uns diskutiert, ob man die Sicherheitsvorschriften für Schutzräume, sprich Armeeunterkünfte lockern könnte.
(Wobei ich mich halt schon frage, warum für Armeedienstleistende laschere Sicherheitsvorschriften gelten, als für Zivilpersonen :hmm: )

Doch zurück zur Geschichte.

eine einzige Überrumpelung ist das hier. Und damit passt das gut zu der gegenwärtigen Situation.
Schöner Vergleich mit der Überrumpelung, das müssen unsere Regierungen sich auch eingestehen, nix mehr mit Aussitzen und funktionierenden Aussengrenzen. Die Flüchtlinge sind plötzlich viel näher, mitten unter uns, viel mehr Menschen, als erwartet, was machen wir nun mit ihnen?

Ihr Schmollmund war süss, ihr Lächeln überzeugend und ausserdem war es für eine gute Sache. So liess ich Name und Addresse auf dem Klemmbrett, nur dass es anscheinend, wie ich schmerzhaft erfahren muss, nicht um eine simple Geldspende ging, sondern wirklich um "ein Dach über dem Kopf". Meine Güte, warum habe ich mit ihr eigentlich über meine neuen Platzverhältnisse geplaudert? Was habe ich mir dabei gedacht?
Das fett Markierte ist im Grunde keine Zusatzinformation, es wird wiederholt, es ist nicht notwendig, das so zu erklären.
Stimmt, aber nur zum Teil. Name und Addresse sind Zusatzinfos, der Rest wird eingedampft, danke.

Ansonsten passiert hier alles in einer rasanten Geschwindigkeit. Dem Protagonist bleibt keinerlei Zeit zur Reflektion, der nimmt das alles hin und dann wird ihm alles genommen.
Was wieder schön ins Bild der Überrumpelung passt, desshalb habe ich mich entschieden, das Eindringen der Polizei so zu belassen. Die sind halt einfach auch überfordert und es ist auch kein Kameraream in der Nähe, so wegen "Auf Streife - hier agieren echte Polizisten". :D

Das mit dem Kunstdruck hat mir sehr gut gefallen, es ist keine plumpe Erotik, sondern Kunst, und trotzdem löst es ja dieses unangenehme Gefühl aus, ...
Im Gegenzug beschleicht uns Unbehagen beim Anblick verschleierter Frauen, andere Kultur, anderes Empfinden. Und schaut Yusuf schaut nun ZU seiner Frau, sie sitzt ja nicht am Boden oder so.

Sie riechen streng, Körperdunst schwängert den Raum. Schmutz, Angst und Schweiss steckt in ihren staubigen Kleidern, wie lange sind diese Leute schon unterwegs? Hätte man sie nicht erst einmal in Quarantäne unterbringen müssen, was ist mit ansteckenden Krankheiten?
Das ist auch krass. Und im Endeffekt schämt man sich vor solche Gedanken. Deutsche sind aller Erfahrung nach schlichtweg ordnungsliebend, nicht nur orientiert. Am liebsten würde das der Staat auch so machen, es geht halt einfach nicht.
Da sind wir Schweizer nicht viel anders. Schmutz und Dreck wird sofort mit versteckten Krankheiten in Verbindung gebracht, und auch hier wieder das Eindringen in die Wohlfühlzone. Die Besucher riechen ungewohnt, das hat in dem Fall - wie andernorts angeprangert - nichts mit "Ausländer stinken" zu tun, sondern ist das gleiche Gefühl, wenn Tante Erna mit dick aufgetragenem Parfüm die Wohnung flutet, ein Störfall in der gewohnten Umgebung der eigenen vier Wände.

Ob man mir glaubt? Das sei Sache des Staatsanwalts.
Was aus der Familie Tamir wird? Will man mir nicht sagen, Datenschutz.
Das zeigt gut, wie sachlich das alles bei uns abläuft.
Schön, dass es so rüber kommt. Ja, ja, es sind halt so viele "Fälle" zu erledigen, auf der Wache, in den Migrationsämtern, bei Bund, Kantonen, und Gemeinden. Antragsmappen zu Hauf, da werden Menschen zu Fallnummern, anders ist die Flut nicht zu bewältigen. Klar, man könnte die Arbeit auf mehr SachbearbeiterInnen verteilen, dann wirds aber schnell mal teuer und das Budget ist begrenzt, ausserdem winkt die Sonderprämie für sparsames Wirtschaften in den Ämtern, warum soll die alleinerziehende Mutter ihren Job riskieren und "Fälle" mit menschenwürdigen, aber Kosten verursachenden Massmahmen abhandeln? Vielleicht etwas zu spitz formuliert? Hoffentlich.

(in meinen Augen hast du den Zeitraum da sehr knapp bemessen, aber vielleicht ist das auch genau richtig) einige Stunden später verteidigt er sie bereits.
Stimmt schon, die Wandlung meines Prots geht da ziemlich rasch vor sich, aber nicht unrealistisch. Sein "kummervolles" Dasein, (von der Freundin verlassen und nun alleine in der viel zu gross gewordenen Wohnung,) erhält plötzlich eine neue Aufgabe, er ist der Auserwählte. Gut, er hat sich in seiner Naivität selbst ausgewählt, aber diese Verantwortung in der Rolle des Beschützers, das gefällt ihm schon, vorerst.


als er sich ein versöhnliches Lächeln wünscht, der simple und gut nachvollziehbare Wunsch nach Zuneigung und Ordnung.
Jetzt, wo du's sagst, gut beobachtet. ;)
Dass damit die Ordnung wiederhergestellt werden soll, bitte alles wie vorher, Freundin da, Wohnung aufgeräumt, nix passiert.

Das ist richtig gut! Wie er beim Reden bemerkt, dass die Polizei, die für Sicherheit und Ordnung steht, hier Unsicherheit und Unordnung herbeiführt.
Da hatte sogar ich beim Schreiben ("nur die Polizei") ein ambivalentes Gefühl, das war krass.

Die übrigen Fehlerchen nehm ich noch raus.
Schön, dass ich dich "überrumpeln" konnte, und der Text dir eine ganz persönliche Sichtweise ermöglichte.

Liebe Grüsse,
dot

 

Hallo Dot,

seit dem ich hier bei den Wortkriegern bin, wollte ich eine Geschichte von Dir lesen (und kommentieren).
Und heute ist es soweit :)
Ja klar - beim TDM im Januar habe ich Deine Geschichte auch gelesen, aber das war eben "Wettbewerb". Daher habe ich mir Deine Vorletzte, diese hier, vorgenommen.

Und ich muss sagen: Hammer!
Super tolle aktuelle Idee. Zum einen natürlich der Flüchtlinge wegen (das Thema wird uns alle wohl noch einige Zeit beschäftigen)
Aber ich finde es großartig, wie Du das gesellschaftliche Dilemma aufzeigst, das diejenigen, die helfen, oft dafür bestraft werden. Mittlerweile muss man bei einem Unfall ja überlegen - helfe ich und riskire ne Klage wegen Körperverletzung, weil, wenn ich den Verletzten bewege und der klemmt sich dabei den kleinen Finger, bin ich ja plötzlich schuld, oder geh ich weiter, weil "unterlassene Hilfeleistung" mich weniger kostet, und die Chance, dass ich dabei erwischt werde sowieso kleiner ist.

Insofern finde ich die Geschichte doppelt aktuell.

Und ich fand es gut, dass aus dem Flirt am Ende nichts wurde.

sehr gern gelesen. :) Wusste ich doch, dass es sich lohnt, bei deinen Geschichten mal zu stöbern!

Gruß
pantoholli

 

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