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Thema des Monats Celebrate Yourself

Seniors
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22.10.2011
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Celebrate Yourself

Das Pflaster ist abgenutzt, brüchig. Doch es schimmert. Als hätten die Besucher nicht nur ihre Schuhe, sondern auch die Steine poliert. Mulden überziehen den Weg zum Kirchenportal, fügen sich zu einer narbigen Landschaft ölig glänzender Plättchen, die an den Panzer eines Reptils erinnern.
Über der Tür hängt eine Fahne. Goldene Schrift auf violettem Grund: Celebrate Yourself steht darauf. Und darunter Unity Healing Church of Arizona. Eine Ecke der Fahne weht hinein in den Eingang, so dass der Stoff den Kopf streift, wenn man sich beim Eintreten nicht beugen will. Rau verputzte Wände umgeben den Platz, wachsen hinein in den Himmel, beschneiden sein Blau zu einem winzigen Viereck.

*​

Wann hatte ich mich in Mady verliebt? Ich wusste es nicht mehr. Irgendwann in den letzten Monaten meines Austauschsemesters hier in Phoenix, als das Frühstück immer noch nach Heimweh schmeckte. Als ich keine Sonne mehr sehen wollte und sie doch jeden Morgen schien und Traurigkeit in mich hineinglühte. Mady. Hatte sie mich gefunden oder ich sie? Ich weiß nur noch, dass sie auf einer Party war, die meine Austauschfamilie mir zu Ehren gegeben hatte. Dass sie weinte, weil ein Typ mit ihr Schluss gemacht hatte. Irgendwann in der Nacht lehnte sie sich gegen mein Knie, und ich streichelte ihr über den Kopf. Winzig und zerbrechlich fühlte er sich an, wie der eines Vogels. Da hatte ich mich in sie verliebt.

„Du musst den Hut absetzen“, sagte Mady, als wir auf den Eingang zugingen.
„So was mach ich nur im Bett.“
„Spinner! Bitte tu‘s! Mir zuliebe.“
Ich hatte ihren verlegenen Blick gesehen. Immer reagierte sie so, wenn ich was Anzügliches sagte. Sie hätte mich mal daheim hören sollen, wenn ich mit meinen Handballkumpels unterwegs war, dagegen war das hier der reinste Betschwesterntalk. Und besonders weit gekommen war ich bei ihr auch noch nicht. Nach sechs Wochen! Hier und da mal ein bisschen Gefummel im Auto. Aber so richtig? Nee Kumpel, das war nicht. Okay, sie küsste tierisch gut. Aber was sollte ich den Jungs zuhause erzählen? Dass ich mich in ein Mädel verguckt hatte, das ich nur küssen durfte? Auch wenn die Küsse süß schmeckten wie Mango? Das konnte man einem Handballkumpel nicht erzählen? Klang verdammt schwul. Ich seufzte. Sie hatte halt noch nicht viel Erfahrung, und dann war da diese strenge Kirche, in die sie ging. Außerdem hatte ich mich in sie verliebt. Sie hatte mir den Ball echt ins Netz gesetzt. Das war einfach so.
Mady lächelte mir zu. Schön sah sie aus, sie hatte Lippenstift aufgelegt und das Haar zu einem Nackenknoten geschlungen. Eigentlich stand ich nicht auf so was, mochte weder angemalte Weiber noch auf altmodisch getrimmte. Aber zu ihr passte es.
Sie tippte gegen die Krempe meines Hutes. „Steht dir! Hab ich gut ausgesucht“, sagte sie. „Richtig cool, du American Idol“, dann kniff sie mich in den Oberarm und lachte. Das war ein Spiel zwischen uns, immer dem anderen sagen, wie gut man ihn fand, bis der verlegen wurde.
Ich nahm den Hut in die Hand und strich stolz über das weiche Stroh. Ein echter Stetson. Dann duckte ich mich. Eine Fahne, die schon Hunderte fettiger Köpfe berührt hatte, wollte ich von meinem Haar fernhalten. Ich war nicht gerade schön, aber auf meine roten Locken war ich stolz. Jedenfalls lobten die Mädels sie immer, wenn sie in mein Haar griffen, kleine Rollen um ihre Finger zwirbelten und damit spielten, bis man erst eine Hand und dann einen weichen Mund küssen konnte. Mady stolperte und griff nach meinem Arm. „Schon gut“, sagte ich, „ich laufe dir nicht weg.“ Ich neigte meinen Kopf zur Seite, um meinen steifen Nacken zu dehnen. Mein Blick streifte einen Vogel, der gerade auf eine Fensterbank im Inneren der Kirche geflogen war. „Siehst du die Krähen? Immer Krähen. Wie kommt das? Immer sind Krähen in den Kirchen. Werden die Menschen ihnen ähnlich oder ist es umgekehrt? Ich glaube, das kommt vom Kirchenlieder Singen, meine Oma hatte zuletzt genauso einen Schnabel, weil sie zu viele Kirchenlieder ...“
„Hör auf“, sagte Mady, „man kann dich hören.“
Ich verstummte. Wenn ich schon mitkam, dann wollte ich den Moment für sie nicht verderben. „Schon gut“, flüsterte ich, „ich meckere ja nicht mehr. Alles für meine kleine Vogellady.“
Mady griff fester nach meinem Arm. „Tut´s dir Leid?“ Ich schüttelte den Kopf, aber sprechen wollte ich trotzdem nicht. Aus Liebe in die Kirche gehen. Mann! Ich war froh, dass die Typen vom Handball das nicht wussten. Mady drückte einen Kuss auf meine Schulter. „Danke“, sagte sie. „Ich finde es schön, dass du mir den Gefallen tust und mitkommst, bevor du zurückfährst. Vielleicht habe ich heute Abend eine Überraschung für dich.“
„Yeah“, sagte ich, dachte kurz an Madys Eltern, die fortgefahren waren und an eine Nacht, die vor mir lag wie ein langes, spannendes Spiel, Angriff, Verteidigung, meine Hand am Ball und dann … Vielleicht würde ich heute Nacht zum Abschluss kommen. „Yeah“, sagte ich, spürte, wie sich mein Schwanz regte, und dachte an Madys kleine, spitze Brüste. „Yeah“, sagte ich noch einmal und fühlte mich sehr männlich und sehr amerikanisch. Dass ich für lange Zeit nicht zurückkehren würde, wenn ich erst nach Hause geflogen war, vielleicht nie mehr, das musste ich ja nicht heute sagen.

Das Innere der Kirche war wie ein Aquarium, eine tiefgrüne, kühle Welt. An einer Bankreihe wartete ein Mann und begrüßte die Eintretenden. Ein behäbiger Typ im Flatterhemd, der Bauch wölbte sich über den Jeans. „Das ist Pastor Cattlinger“, sagte Mady. „Komm schon, gib ihm deine Hand.“
Lachfältchen verneigten sich vor mir, eine verschwitzte Hand griff nach meiner. Am Ellenbogen spürte ich Madys sanften Zug. Sein Handdruck war weich, nur ganz am Ende hatten seine Finger etwas spitzig Zupackendes.
„Oh, Sie sind Lenny, wir haben in der Gemeinde schon viel von Ihnen gehört. Sie tun Mady ja so gut. Seit Sie da sind, ist sie ein ganz anderer Mensch.“ Ich lachte und schaute verlegen auf Madys rechten Arm, der noch immer an meinem lag. So dünn ist er, dachte ich und fühlte mich schuldig. Als ich hierhergekommen war, hatte sie auch so ausgemergelt ausgesehen, aber unsere Liebe hatte sie genährt und ein rundliches Vögelchen aus ihr gemacht. Jetzt war er wieder dünn.
„In einer Woche schon fahren Sie zurück nach Deutschland?“, fragte er. „Aber Sie werden unsere Mady doch nicht vergessen. Nicht wahr?“
Ich lachte verlegen und stammelte irgendetwas Belangloses. Wer will schon, dass der Pfarrer einem über die Schulter glotzt, wenn man einfach mal mit seinem Mädchen ficken will? Cattlinger sah mich an. Der kleine, dicke Pfarrer wirkte auf einmal nicht mehr behäbig, sondern erinnerte mich an einen spähenden Vogel. Für einen Moment spürte ich mich von seinem Blick gehalten, die Narbe an meinem rechten Mundwinkel pochte, so dass ich den Kopf senkte. Mein Blick fiel auf meine Schuhe, TV Großwallstadt stand darauf, und ein bisschen Sicherheit flutete zurück. Schlimmer als ein Spiel gegen Kiel konnte es bei den Betbrüdern hier auch nicht sein. Für einen Moment sah ich unseren Kreisläufer, wie er Cattlingers Kugelbauch aus dem Weg und mir den Weg zu Mady frei räumte. Ich grinste, dann drängte ich mich mit einer Entschuldigung an Cattlinger vorbei. Üble Auswirkungen hatte so ein Betpalast, dachte ich, da traute man sich noch nicht mal, an ein bisschen Liebe mit seiner Kleinen zu denken. Mady nahm meine Hand und drückte sie. Wahrscheinlich freute sie sich auch auf heute Abend. Wenn sie nur nicht so dünn geworden wäre. Und so traurig.
Die Kirche war halbvoll. „Lass uns hinten sitzen“, flüsterte ich, doch Mady wollte nach vorne. Na gut. Alles, was sie will, dachte ich, sie wird es schwer genug haben, wenn ich wieder nach Deutschland gehe. Ich hatte ihr versprechen müssen zurückzukommen. Ich wollte es ja auch, denn ich liebte sie. Aber diese Liebe zog mich manchmal unter Wasser. Und wenn ich sagte, dass wir noch verdammt jung waren, dann weinte sie. Welcher Kerl kann es denn ertragen, wenn sein Mädchen weint wie ein Kind? Wenn sie den ganzen Raum mit ihrer Liebe füllt und mit ihren Tränen, so dass für dich kein Platz mehr bleibt? Ach Mady. Ich griff nach ihrer Hand und küsste sie. Sie blickte mich erstaunt an.
Die Wand vor mir war mit violetten Stoffbahnen verhüllt. Davor wartete ein riesiges Schlagzeug, neben dem sich gerade der Chor aufstellte. Alle in schwarzweißer Kleidung. Ich musste grinsen, als mein Blick weiterwanderte zu den Bankreihen rechts von mir. Sie waren nicht leer, wie ich zuerst gedacht hatte, Stofftiere saßen dort. Stofftiere und Puppen. Als wenn sie an der Feier teilnehmen wollten. Ihre Glasaugen fixierten die gegenüberliegenden Wände, die Menschen, sie sahen aus, als warteten sie. Ich stieß Mady an. „Was ist das für eine Plüschbande?“, fragte ich. „Spielen die auch ein Instrument? Oder sind sie für den Spezialsound zuständig? Belly Cattle und die grölenden Teddys?“ Mady riss die Hand, mit der ich auf das Plüschheer gedeutet hatte, herunter. „Darüber lacht man nicht“, sagte sie. „Das sind die Geschenke der Leute, denen beim Healing geholfen wurde. Vor allem Kinder machen das und Jugendliche. Es ist Dankbarkeit. Wenn einem wirklich geholfen wird, schenkt man schon mal seinen Spielgefährten her.“ Ich stupste sie an: „Ist von dir auch einer dabei?“ Sie schüttelte meinen Arm ab. „Das ist was für Kinder“, sagte sie abweisend.
Ganz vorn saß eine Puppe, das lange, blonde Haar zu Zöpfen geflochten. Glänzende Augen starrten mich an. Neben ihr ein Teddy, das Fell abgeschabt und räudig wie bei einem uralten Hund. In der Luft lag ein erdiger Geruch. Ich schnupperte, bis ich es endlich hatte. So roch es, wenn man Marmelade zu lange hatte stehen lassen, und der Deckel sich vom grünen Gewölle des Schimmels nach außen wölbte. Eine Spielzeugarmee saß da, alte Teddys, ein paar neue, dann wieder eine verschrammte Puppe. Abgenutzt und zu Tode geliebt, alle in kunstvoll genähten, schwarzweißen Gewändern. Über der Bank mit den Stofftieren klaffte ein Fenster, es sah aus wie in die graue Wand geschnitten. Von draußen glaubte ich, das Schreien der Krähen zu hören.

Langsam füllte sich die Kirche. Die meisten standen, hatten die Mäntel ausgezogen, sie achtlos hinter sich auf die Holzbänke geworfen.
Ich atmete erleichtert auf, als ein Trommelwirbel einsetzte. Dann war es in einer Stunde hoffentlich vorbei, dachte ich und seufzte noch einmal. Eine Frau wandte sich mir zu: „Dein erstes Mal, Hun? Du wirst sehen, es ist wunderschön, mach einfach alles nach. Es ist gut, dass du da bist.“ Ich blickte die Bankreihen entlang. Ringsum freundliche Gesichter, die mir zunickten. Gesichter, die mich beobachteten. Voller Erwartung. Gesichter, die wussten, dass man nicht an Ficken denken durfte, wenn die Freundin traurig war. Augen, die mich fixierten. Ein Nicken. Überall. Freundlich und drängend. Ich drehte mich um, schaute nach hinten. Von allen Seiten wandten sich mir Köpfe zu, konnten gar nicht mehr damit aufhören, mich willkommen zu heißen, zu nicken und mich zu fixieren und noch einmal zu nicken. Ganz egal, wohin ich sah, ein Meer schaukelnder Köpfe. Ich wandte mich ab.
Endlich begann der Chor zu singen. Ein schnelles Lied, nicht so lahm, wie ich das von den Kirchenliedern zuhause kannte. Es groovte, ein rockiger Sound, mit Gospel gemischt. Außer mir standen jetzt alle, wiegten sich im Rhythmus der Musik und hoben die Arme. Einer nach oben, einer im rechten Winkel vor dem Körper. Wie begeisterte Schiedsrichter, die froh waren, einem eine Zeitstrafe aufzudrücken für ein Foul, das man nur gedacht hatte. Dann erhoben sie auch den anderen Arm und malten Kreise, ließen ihre Hände immer schneller rotieren, als wollten sie ein Loch aus der Luft herausschneiden. Mady zog mich hoch. Doch ich blieb steif. Cattlinger trat vor die wogende Menge und hob beide Arme. Der Oberschiedsrichter. Mein rechter Mundwinkel zuckte, Stiche pochten von den Zähnen bis in die Schläfen hinein. Verdammt. Nicht jetzt. Bloß keine Anwandlung. So hatte meine Oma die Schmerzattacken immer genannt. Das erste Mal hatte ich das, kurz bevor meine Tante und ich einen schweren Unfall hatten. Ein Wagen war wie aus dem Nichts in uns reingerauscht. Manchmal, wenn alles um mich herum schwieg, wusste ich, dass ich das Auto schon vorher gesehen hatte. Dass ich sie hätte warnen können. Nur meine Oma glaubte mir. Aber Mutter und Schwester erzählten was von Trauma und dass ich in eine Therapie müsste, aber da hatte ich schon mit dem Handball angefangen. Und im Verein lässt du schnell jede Psychomacke in den kleinen Zeh rutschen. Geblieben war mir von dem Unfall die Narbe am Mundwinkel. Und die Anwandlung.
Mir wurde schwindlig, die Luft fühlte sich kühler an, als sei die Temperatur um ein paar Grad gefallen. Die Stimmen des Chors tönten dumpf wie mit Plastikfolie umwickelt, die Bewegung der Tanzenden wurde träge. Die Konturen von Cattlingers Gesicht kräuselten sich, lösten sich auf und setzten sich wieder zusammen zu einer gezackten Raute.
Ich zwinkerte, schlug mit der Hand gegen meinen Kopf, setzte den Hut auf, ruckte ihn in drei verschiedene Richtungen, bis Cattlingers Gesicht in seine normalen Proportionen gerutscht war. Vielleicht sollte ich abhauen von hier, wenn ich schon Anwandlungen bekam von diesen frommen Luftbeschwörern. Wie von weitem hörte ich Madys Stimme. Sie riss mir den Hut vom Kopf und packte meinen Arm. Ich schnappte nach Luft. Mein schöner Stetson. Die Frau neben mir lachte. „Den kriegst du wieder, Schätzchen“, sagte sie und rückte dicht an mich heran. Sie hatte einen sehr tiefen Ausschnitt, wie kleine Pfropfen stachen die Nippel durch die dünne Bluse. Ein saurer Geruch wehte zu mir herüber. Ich ekelte mich, doch ich musste dauernd in ihr üppiges Dekolleté schielen. Von rechts spürte ich Madys Schenkel. Rieb sie ihr Bein gegen meines? „Sorry, das wollte ich nicht“, sagte sie und reichte mir den Hut.
Cattlinger breitete die Arme aus. Das schwarze Hemd blähte sich. Ich grinste, scheiß auf Anwandlungen, er sieht aus wie eine Wachtel, die mit den Flügelchen flattert, dachte ich und verdrängte die Erinnerung an seinen spähenden Blick. Der Chor schwieg, nur ein eintöniges Summen war zu hören. Die Menschen blieben stehen und ließen weiter die Hände in der Luft kreisen. Luftmassage, dachte ich, wie bescheuert, und, Muckibude für Baptisten, doch die Frau neben mir stand zu eng, als dass ich meinen Spott hätte genießen können.
„Freunde“, erhob Cattlinger seine Stimme, „wir wollen feiern. Uns. Heute und alle Tage. Nicht nur am Tag unserer Geburt. An jedem Tag. Es ist gut, wie wir sind. Es ist gut, was wir sind. Feiern wir uns und unsere Bedürftigkeit. Denn so heilen wir uns. Auf immer.“ Das Summen wurde lauter, schwebte im Raum wie eine einlullende Klangwolke, aus der die helleren Stimmen einiger Frauen herausstachen.
„Heilen wir uns, meine Brüder und Schwestern, indem wir uns lieben. Indem wir uns wollen, so wie wir sind. Nehmt eure Brüder und Schwestern an.“ Die Frau neben mir packte meine Hand und hob sie in die Höhe. „Lasst eure Brüder und Schwestern in eure Herzen.“ Die Frau zog meine Hand herunter, rückte dicht an mich heran, so dass ich ihre Brust spürte. Ich zog meinen Arm weg, wollte Abstand, ich schämte mich vor Mady, sie war doch neben mir, wie konnte ich mich da an fremden Titten aufgeilen, aber Mady lachte mir beruhigend zu und presste sich von der anderen Seite an mich, so dass ich auch ihre Brust spürte. Dann rieb sie wieder ihren Schenkel gegen meinen. So drängend hatte ich sie noch nie erlebt. Komisch war das. Vielleicht gehört das alles dazu, zu diesem Healing, beruhigte ich mich. Nicht schlecht, dachte ich gleichzeitig und musste grinsen, vielleicht konnte ich den Handballern zuhause ja doch davon erzählen. Langsam begann mein Körper sich mitzuwiegen im Rhythmus der Menge, begann Madys Bewegungen neben mir zu genießen.
Der Chor sang wieder. Eine Frau hatte sich aus der Menge gelöst und tanzte auf Cattlinger zu. Der Pastor legte ihr beide Arme auf den Kopf, als wollte er sie auf die Knie zwingen. Sie zuckte stärker und fing an zu schreien: „Vergib mir Herr, ich habe gesündigt, ich konnte mich selbst nicht lieben und wollte gehen. Hilf mir, dass ich zu dir finde und mich selbst liebe. Ich will geheilt werden.“ Cattlinger nahm die schluchzende Frau in die Arme, schob ihr etwas in den Mund, umarmte sie noch einmal und küsste sie, bis ihre Bewegungen weich wurden. Dann rief sie: „Ich danke dir, jetzt weiß ich, dass du mich liebst. Jetzt weiß ich, dass ich mich selbst liebe.“ Mir war heiß, meine Hände an den Brüsten der beiden Frauen schwitzten. Die Leute um mich herum rückten immer enger, traten nach vorne, zogen uns mit. Mady zuckte. Ein unheimliches Beben, das immer stärker wurde. Ich riss mich los, packte sie, schaute ihr ins Gesicht, sprach sie an. Mady sah aus, als wäre sie weit weg von mir. Ihre Arme wischten durch die Luft, zirkelten Spuren hinein, ihr Körper stampfte und drängte. Ich hatte Angst um sie, wollte sie halten, doch sie riss sich los und tanzte auf Cattlinger zu, wand sich, kreiste mit den Hüften. Wenn der Drecksack sie jetzt umarmte und küsste wie vorhin die andere Frau, dann würde ich ihn mit einem meiner besten Schlagwürfe beglücken, auch ohne Ball. Pfarrer hin oder her.
Mady tanzte mit weit erhobenen Armen vor Cattlinger, der sie an der Stirn hielt. „Sag es, Mady!“, schrie er. „Was ist es, das dich nicht lieben lässt?“ Hinter mir spürte ich Hände, die mich vorwärts schoben. Mady schrie, immer wieder, sie war in dem Gesang der Gemeinde kaum zu hören: „Ich habe Angst, dass er geht, Herr, hilf mir, mich selbst zu lieben. Hilf mir zu lernen, dass meine Wünsche zählen.“ Die Hände, die mich nach vorne zwangen, waren unerbittlich, Körper drängten nach, in der Luft lag ein betäubender Geruch. Wie Baldrian; aber gleichzeitig lag noch etwas anderes dahinter, etwas Schweres, wie verrottende Blumen. Ich war von Leibern eingeklemmt, direkt vor mir Mady. Mein Mundwinkel pochte. Ein Pulsen, das an Stärke zunahm, erfasste die Schläfe und ließ mich nur unscharf sehen. Wieder hörte ich die Stimme des Pastors, er sah groß aus, beugte sich über mich, als wollte er mich küssen. Der Gesang wurde dröhnend. „Oh Herr, hilf diesem armen Jungen sich zu lieben. Sich und seine Nächsten.“ Ein Stich, Blut lief über mein Gesicht, noch ein Stich, ein Messer wühlte über meinem Mund. Ich riss mich los, keilte mit dem Ellenbogen aus, Körpertäuschung und Durchbruch nach außen, das war´s, weg hier. Doch Mady drängte sich in mein Blickfeld, ich sah ihre Enttäuschung, ihren verletzten Blick, ich zögerte, dann spürte ich ihre Hüften an meinen, ihre Lippen auf meinem Gesicht. Arme griffen nach mir, Körper kesselten mich ein. Mady drängte sich noch dichter an mich, ich hörte ihr Flüstern: „Es wird schön, ich verspreche es, trink, das ist gegen die Schmerzen.“ Vor mir sah ich ihr Gesicht, hörte Cattlingers Stimme, spürte zwei Hände, die meinen Mund öffneten, etwas Scharfes floss hinein, Hände griffen nach meiner Nase, so dass ich schlucken musste. Wie in einer Großaufnahme sah ich Madys Mund, ihre Zunge wischte über die Zähne und ich hörte ihre Stimme: „Sag es, dass du bleiben willst, sag es!“ Mir wurde schwindlig, alles verschwamm und war heiß. Ich spürte ihren Körper, wie er sich an mich drängte, kreiste, forderte. Sie, die Schüchterne, forderte, wie noch nie eine Frau vor ihr. Ich war geil, schämte mich, hatte Schmerzen und drängte doch zu ihr hin. Ich schämte mich, hier vor allen Leuten, aber ich wollte sie. Jetzt und hier. Andere Frauenkörper drängten von hinten nach, griffen nach mir, Beine zwängten sich zwischen meine, rieben und pressten, über allem dröhnte Cattlingers Stimme: „Sag es, dass du willst, dass du sie willst.“ Ich spürte ihren zitternden Leib, ihre Hände auf meinen Oberschenkeln, wie sehr wünschte ich, dass sie weiterwanderten. „Ja, ich will, ich will“, krächzte ich und erkannte meine eigene Stimme nicht mehr. Noch einmal füllte etwas meine Kehle, süß schmeckte es und bitter. Ein glühendes Schneiden schälte meine Lippen, höhlte meinen Schädel und füllte ihn mit giftigen Dämpfen wie Quecksilber. Dann nur noch Hände, überall Hände. Das Brennen sank, als ob es meine Füße erreichen könnte, breitete sich aus und wurde kalt. Eiskalt. Ich wollte sprechen, doch alles war taub, von meinen Füßen her wuchs eine kalte Wand nach oben, ergriff meine Schenkel, meinen Bauch. Madys Gesicht verschwamm, bis ich nur noch ihre Lippen sah, ein Versprechen lag darin, dann fraß sich die Kälte in meine Brust, ließ sie erstarren. Ich wollte Mady küssen, wollte noch einmal ihre Augen sehen, doch dann war nur noch Eis.

*​

Über das Pflaster wirbeln Blätter. Die Fahne über dem Holztor ist neu, doch die Farben sind geblieben. Golden auf lila spannen sich die Buchstaben über den Eingang: Celebrate yourself. Das Innere der Kirche ist leer bis auf drei einsame Besucher. Durch ein Fenster fällt ein Lichtstrahl auf die Bänke neben dem Altar. Staub flimmert. Eine Gestalt tritt aus dem Schatten, eine junge Frau mit hochgestecktem Haar. Der Lichtstahl streift ihre Hand, die Blume darin, und tanzt weiter, bis er auf einer Puppe und einem uralten Teddy liegt. Daneben sitzt ein neues Tier. Ein Stoffbär. Dichtes Fell drängt aus der schwarzweißen Kleidung. Unter dem Strohhut quellen rotblonde Kringel hervor. Locken, mit denen Mädchenhände so gerne spielen, bis man erst eine Hand und dann weiche Lippen küssen konnte. Am rechten Mundwinkel des Bären, wie von der Hand eines unachtsamen Kindes geflickt, das Zickzack einer groben, weißen Naht.

 

Hallo Novak,
Sehr gute Pointe, die sich nicht wirklich ankündigt.
Allerdings fand ich den Gruselfaktor bis dahin mäßig.
Von Anfang an, ist nichts bedrohliches, und damit nichts, was mich bei der Stange hält.
Die Kuscheltiere erwecken durchaus Interesse, ansonsten muss für mich am Anfang noch etwas rein, dass sozusagen aufpeppt, ansonsten springen die Leser zu früh ab
- was schade wäre

Das Thema mit der Narbe hat mich intensiv an Harry Potter erinnert und ich fand es hier abgekupfert. Vielleicht fällt dir da nochwas anderes an- Die Vögel zum Beispiel. Ist zwar abgedroschen, aber ein paar Raben kommen immer gut ;)

Als ich hierhergekommen war, hatte sie auch so ausgemergelt ausgesehen, aber unsere Liebe hatte sie genährt und ein rundliches Vögelchen aus ihr gemacht. Jetzt war er wieder dünn.
Zuerst dachte ich, der Satz springe in die Zukunft. Mir gefällt auf jeden Fall nicht, dass sie so schnell von dünn, dick, dünn wechselt. Bis jetzt sehe ich keinen Grund dafür, dass sie aus Liebeskummer abnimmt.

lg
Bernhard

 
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Hallo Bernhard,
das ist mir jetzt ein wenig peinlich, normalerweise antworte ich schneller, wahrscheinlich habe ich es die ganze Zeit übersehen, weil ich einfach nicht erwartet habe, dass noh jemand auf die Geschichte schreibt. Du wolltest dich sozusagen mit einem Kommantar revanchieren. Und ich Blödi seh es noch nicht mal.

Sehr gute Pointe, die sich nicht wirklich ankündigt.
Danke dafür, das hat mich sehr gefreut, denn es gab ja Diskussionen um das Ende und dass es dir gefiel, das erleichtert mich ein wenig.Dann ist es vielleicht nicht das fulminante Ede, aber halt trotzdem ganz schön.

Allerdings fand ich den Gruselfaktor bis dahin mäßig.
Von Anfang an, ist nichts bedrohliches, und damit nichts, was mich bei der Stange hält.
Die Kuscheltiere erwecken durchaus Interesse, ansonsten muss für mich am Anfang noch etwas rein, dass sozusagen aufpeppt, ansonsten springen die Leser zu früh ab
- was schade wäre

Ja, das sagen manche. Vor allem die, die selbst aus dem Horrorbereich stammen. Ist vielleicht auch eine Frage der Erwartung an einen Text. Und ich bin sehr froh, wenn du mir so eine Rückmeldung gibst. Denn es bereichert meine Möglichkeiten des Schreibens, auch an so was zu denken. Ich persönlich finde zwar bisher gar nicht, dass da nichts Bedrohliches ist, aber es bleibt halt eher auf einer gefühlsmäßigen Ebene. Das stimmt. Und das ist auch etwas, mit dem ich mich wohl eher beschäftige, was mich interessiert. Ich mag es, wenn die Atmosphäre sich langsam verändert und so. Vielleicht ist das eher so ein Frauenhorror? Ich weiß es nicht. Aber klar, es wäre natürlich gut, wenn man das so könnte, dass man auch Geschichten schreibt, die schon von vorneherein knallen und einem das Herz stehen bleiben lassen. Was man dann schreiben will, letztendlich, das ist dann immer noch die Entscheidung, die man jeweils trifft. Aber ich fände es gut, wenn ich beides könnte.


Das Thema mit der Narbe hat mich intensiv an Harry Potter erinnert und ich fand es hier abgekupfert. Vielleicht fällt dir da nochwas anderes an

JAAUUUULL! Ich schreib nie mehr was über eine Narbe. Vor allem hab ich blöde Kuh den Harry Potter Vergleich auch noch selbst reingebracht, als Schwups fand, dass die Narbe es nicht bringt. Eine Freund hatte mich nämlich darauf aufmerksam gemacht. Ich habs nicht mit Absicht abgekupfert, aber das denkt, glaub ich eh keiner. Viele hat es auch gar nicht gestört. Aber: Wenn ich einen zündenden Einfall hätte, wie ich etwas hinkrieg, was die Funktion dieser bescheuerte Narbe übernimmt, ich hätte es schon längst geschrieben. Das kannste mir glauben. Aber vielleicht ist auch einfach die Luft draußen und von daher fällt mir dazu nix ein.
Also wenn dir ganz spontan was einfällt, BITTE schreib es mir!

Mir gefällt auf jeden Fall nicht, dass sie so schnell von dünn, dick, dünn wechselt. Bis jetzt sehe ich keinen Grund dafür, dass sie aus Liebeskummer abnimmt.
Da bin ich jetzt nicht deiner Meinung. Also klar, deine Meinung dazu ist logisch akzeptiert, denn dir hats halt nicht gefallen, aber die Veränderung der Arme verläuft erstens über einen längeren Zeitraum. Und zweitens schildert es auch die Wahrnehmung von Lenny. Er sieht das Mädchen so, es ist auch seine Stelung zu ihr, die sich an seinen Wahrnehmungen hier äußert. Und von daher ist es mir sehr wichtig.

Ich habe mich gefreut über deinen Kommentar, auch wenn ich ihn so spät entdeckt und beantwortet habe. Bis bald mal wieder.
Grüße von Novak

 

Hallo Novak,

deine Geschichte ist angenehm zu lesen und man bleibt bis zum Ende neugierig, was noch passiert. Aber es ist für mich ein bisschen wie Kuchen essen, wenn man Appetit auf Schnitzel hat. Mein Geschmack ist einfach ein anderer. :)

Zu der Narbensache hätte ich eine Idee: Schreib sie vielleicht auf Höhe des oberen Eckzahns, irgendwo zwischen Unterkante des Jochbeins und der Kauleiste. Wenn er seine Anwandlungen und seine Schmerzen bekommt, beschreibe sie dann nicht als "in der Narbe", sondern "in den Zähnen".

Dieser diffuse, matte Schmerz, den man fast mit der Zunge im Mund herumschieben kann wie einen Lolli. Eignet sich gut, um etwas vages, warnendes darzustellen, finde ich. Bietet auch viel Raum für eigene Darstellungen, Zahnschmerzen kennt jeder. Über die Zähne ist man assoziativ schnell beim (warnenden) Mund und dem (zweiten) Gesicht. Zähne haben auch etwas mit "Verarbeitung" und "Potenz" zu tun, was der Szene ja auch stehen könnte.

Das Nervengefüge dieses Bereichs ist auch in der Lage, vielfältiges Schmerzempfinden zu vermitteln: vom dumpfen Pochen der Wurzel bis zur siedenden Klinge des Trigeminus. Schmerzen in dem Bereich können auch Tränenfluss, Schwindel und Sensationsstörungen auslösen, so dass man evlt. nicht gleich zum Übernatürlichen gedrängt wird, wenn der Charakter soetwas beschreibt.

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Alaglast

 

Ja hallo, das ist ja eine Freude, fand ich einerseits schön, dass du dich mit einem Kommentar erkenntlich zeigen wolltest, aber
das hier,

Aber es ist für mich ein bisschen wie Kuchen essen, wenn man Appetit auf Schnitzel hat. Mein Geschmack ist einfach ein anderer.

das kann ich mir lebhaft vorstellen. Du bist ja interessiert an den Veränderungen eines unverstandenen, traumatisierten Menschen, das kam in deiner Geschichte vor und du hast es geschrieben. Das kommt hier natürich nicht vor.
Falls es in Vergessenheit geraten ist, ich hatte dir als Beispiel, einfach mal, um zu gucken, wie andere das gemacht haben, Tante Anni vorgeschlagen von Schwups in Horror. Die Geschichte finde ich toll. Und mir fällt jetzt auch noch die Geschichte von Salem in Horror ein, sie heißt Bolero.
Die ist auch klasse, die könnte dir gefallen. Mich selbst interessiert das Thema zwar sehr, daher habe ich an deiner Gesch. auch sehr Anteil genommen, hab auch grad eine am Wickel, die sich damit beschäftigt, aber bis die hier erscheint, kann das noch Jahre dauern. Bin nicht sehr schnell beim Schreiben. :D
Mit meinen Geschichten zu diesem Thema, das lass ma bloß stecken, das käme mir komisch vor, und sonst landest du noch bei den Trottellummen, das wäre fatal, die liebe ich zwar, aber das hat für einen horrorinteressierten Menschen mit Grauen so viel zu tun wie Erdbeereis mit einer Atomkatastrophe.
Aber lies mal Salems Geschichte. Vielleicht magst du die und kannst für dich was rausholen.
Was deine Idee mit den Zähnen betrifft, das finde ich eine sehr, sehr coole produktive Idee. Und es löst evenuell tatsächlich mein Problem.
Also wenn sich das Kommntieren so sehr auszahlt, dann kommentier ich hier stundenlang weiter.
Und PS: Wenn ich nur allein höre, wie du Zahnschmerzen beschreibst, dann bitte ich doch sehr um eine neue Geschichte.
Vielen Dank noch mal für diesen guten Tipp
Auch dir ein schönes Wochenende, Novak

 

Also wenn dir ganz spontan was einfällt, BITTE schreib es mir
Hi Novak,
Verleg doch einfach seine Narbe in sein Bein, oder an sein Ohr, Hauptsache nicht an die Stirn, - das würde mir schon genügen ...

Lg
Bernhard

 

Hallo Bernhard,
danke auch dir noch mal für deine Rückmeldung. Mich beruhigt es etwas, dass du schreibst, nur die Narbe an der Stirn ist so potterbesetzt.
Also werd ich bei Gelegenheit die Narbe etwas verrücken und das eventuell mit der Zahnidee von Alaglast kreuzen.
Aber das dauert noch und das macht ja auch nix, weil es an der Geschichte selbst nichts Wesentliches ändert.
Bis die Tage
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AGuyCalledGerald,
na warte, schreib du mir mal eine Horrorgeschichte, aber dann ...
Nein, im Ernst, hab deine Rückmeldung mit Interesse gelesen, wenn auch mal wieder zu spät, irgendwie erwarte ich eigentlich keine Antworten mehr, umso schöner, wenn da doch noch welche kommen.

Außerdem trägst Du ganz schön dick auf. Krähen, der verschrobene Pfarrer, Puppen -
Ja, so bin ich, immer ein Quäntchen zu viel. Beim nächsten Mal wirds weniger, versprochen. Aber wehe, du beschwerst dich dann. :naughty:

Also freut mich, zu deinem Amüsement beigetragen zu haben, wenn auch unfreiwillg. Vielleicht sollte ich die Geschichte umposten. In Humor.:schiel:
Danke fürs Lesen und Grüße von Novak

PS: Wie kommt man denn auf so einen Namen?

 

Hej Novak,

irgendwie ist es doof, dir unter einem anderen Text zu sagen, ich hätte diese Geschichte gelesen, und mich dann hier nicht blicken zu lassen ...

Ich hab den Text gerade nochmal gelesen, und er ist anders als die Version, die ich im Hinterkopf hatte (du hast den überarbeitet, oder?).
Und es ist auch schon so viel gesagt worden, deswegen in Kürze:

1.) Ich habe durch diesen Text und die ersten Komms einige nützliche Erkenntnisse über das Schreiben von männlichen Protagonisten gewonnen. :D

2.) Das Bild mit dem grünen Aquarium (ich habe es jetzt nochmal gesehen: es ist ein tiefgrünes Aquarium, kein dunkelgrünes) hat sich echt in meinem Hirn eingenistet, das mag ich sehr gerne.

3.) ok, das ist ein Haar in der Suppe: "angemalte Weiber" - empfinde ich als störenden Bruch in der Sprache.
(Ach verdammt, wenn ich schon mal beim Meckern bin: Narbe, schmerzende Narbe, Harry Potter - den Gedankengang hatte ich auch, ich glaube, in den nächsten fünf Jahren kann kein Autor sowas schreiben, ohne HP heraufzubeschwören.)

4.) Lieblingsstelle:

Sie tippte gegen die Krempe meines Hutes. „Steht dir! Hab ich gut ausgesucht“, sagte sie. „Richtig cool, du American Idol“, dann kniff sie mich in den Oberarm und lachte. Das war ein Spiel zwischen uns, immer dem anderen sagen, wie gut man ihn fand, bis der verlegen wurde.
Ich nahm den Hut in die Hand und strich stolz über das weiche Stroh. Ein echter Stetson.
Das finde ich wirklich schön.

Und dann halt die "Pointe", er wird zu Plüsch.
Pointe setze ich in Anführungszeichen, denn wenn man schon mal Horror gelesen hat, dann ist das Ende ziemlich vorhersehbar. Ab der Stelle, wo die Stofftiere da eingeführt werden. Ich kenne mehrere stories und einen Trickfilm, die ein Kind in eine Puppe verwandeln ... beim ersten Mal fand ich das super eklig, aber danach, naja. :)
Also, ich denke, hätte ich die story in "Sonstige" gelesen, hätte der Text noch hundertmal so gut funktioniert. Hier in der Rubrik hat man gleich eine Erwartungshaltung, und die story bedient die dann ... Der Horror hier im Text ist von der Sorte, die so von hinten rum ist. Das käme viel besser, wenn Leser nicht dagegen gewappnet wären ...

Aber was ich an diesem Text mag, man wird so ein bisschen eingelullt durch die Sprache. Und dann kippt es plötzlich und wird bedrohlich.
Und diese religiöse Ekstase, das kommt sehr gut rüber, wo die Gemeinde abgeht und der ich-Erzähler fragt sich, wo zur Hölle bin ich hier gelandet!
Und dann wird er irgendwie mitgerissen, und dann wird alles Eis ...

Atmosphärisches Schreiben, das hast du gut drauf, das ist irgendwie dein Aushängeschild. :)

 
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Himmel, Möchtegern, was machst du da, wir jagen uns ja umeinander. Warum schläfst du nicht?????!!!!:lol:
Ich antworte dir morgen ernsthaft. Aber ich fand das eben derartig witzig. Wie du, gerade, als ich mich so schön zur Ruhe legen wollte, aus dem nächsten Text lugtest.
Schlaf schön und vielen Dank schon mal für deinen Kommentar.

Und jetzt kommt der Nachtrag.
Himmel, ich bereue jetzt schon die Anwortorgie der letzten Nacht. Ich hoffe, du darfst noch länger schlafen.

Ich habe mich über deinen Kommentar wieder sehr gefreut. Über das Lob natürlich auch. Dass ich atmosphärisch schreibe, das wurde schon öfters gesagt. Ich finde es natürlich gut, wenn es so ist, aber im Moment lechze ich regelrecht nach einem Satz, der sagt: Spannender Aufbau, unvorhergesehenes Ende, aber sprachlich ein wenig ruppig. :D

Das ist im Moment glaube ich das größte Feld, an dem ich ackere, einen spannenden Aufbau hinzukriegen. Da plage ich mich zur Zeit mit einer Geschichte bös rum und mit allen anderen, die im Schubkästchen hocken, ist es ähnlich. Ist witzigerweise auch eine Froschgeschichte wie deine wunderschöne mit dem Tentakelsex. Aber wahrscheinlich dauert es noch ein Jahr, bis ich die endlich mal fertig habe. Im Moment komme ich da grad nicht weiter, weil ich immer denke, es müsste spannend sein und ein cooler Aufbau und ein unvorhergesehenes Ende und dann vertüddel ich mich und schreib grad wieder alles um und mach es linearer. Ihhh, ich glaube, ich fange an zu spüren, wie Schreibblockaden zustande kommen. Bisher war das für mich ein Fremdwort.

Die Narbe: Ich werde nie wieder in meinem Leben eine Narbe im Kopfbereich in den Mund nehmen, Ich schwör!!!!
Mit Narben generell schein ichs ja irgendwie zu habe, fällt mir da gerade so en passant auf. Die schleichen sich andauernd in meine Geschichten.
Die Lenny-Narbe jedenfalls hatte sich ja ganz klammheimlich in die Geschichte und dann auch noch an diese Stelle gestohlen. Wär mir die Potteranalogie aufgefallen, glaub mir, ich hätte die Narbe achtkantig rausgeschmissen.
Ich weiß ja zum Glück mittlerweile durch die Hinweise von Alaglast und Bernhard, wie ich diese dämlich Narbe ändern kann, ohne meine Intention zu verlieren.
Bin nur noch nicht dazu gekommen. Brauch auch für Änderungen leider immer viel Zeit, und die ist grad ziemlich knapp.

Du hast sicher Recht, dass das Ende besser käme, wenn es nicht schon vorerwartet wird durch die Rubrik Horror. Gib mir ungewappnete Leser! Aber es ist nun mal ein Bereich, der zu Horror gehört. Und da ist es für mich auch zugehörig. Ich selbst lese gerne Geschichten, die nicht ultrabrutal sind, sondern wo der Grusel, das Grauen sich langsam hineinschleichen. Vielleicht versuche ich ja sowas unbewusst nachzuahmen.
Aufgefallen ist mir natürlich auch, dass das Ende für Leute, die normalerweise nicht Horror lesen, unvorhersehbarer war. Ich habe sogar auch den Hinweis bekommen, die Teddyabteilung (als Hinweis) noch zu verstärken, was ich dann nicht gemacht habe, weil es zuviel des Guten gewesen wäre. Gottseidank muss ich im Nachhineien sagen.

Was ich echt erstaunlich finde, das ist mir auch bei anderen Texten schon aufgefallen. Ich habe hier nicht viel überarbeitet. Vielleicht einen Satz weggelassen, und einen umgestellt oder so und achja, die Farbe der Fahnen geändert. Und trotzdem macht das so einen anderen Eindruck.

Wie gesagt, ich fand das toll von dir, dass du auch hier gelesen und mir deinen Eindruck aufgeschrieben hast.
Und ein Aushängeschild, das ist doch schon mal was. :shy:
Danke und ganz liebe Grüße, bis die Tage

 

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