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Auf halber Höhe ohne Flügel

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07.10.2015
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Auf halber Höhe ohne Flügel

Davina sah auf die Uhr. „Am besten bleibe ich diesmal gleich hier“, sagte sie. Amos musste zugeben, dass das vernünftig klang. Da gebe es doch irgendwo eine Matratze, sagte er. Er fand sie auf dem Speicher, schob und zog sie die Klappleiter herunter. Beim Tragen zu zweit sackte sie bis zum Boden durch. Davina entschied, sie wolle lieber, sofern es Amos nichts ausmache, neben ihm im Bett schlafen. Sie legte dort die Hand auf seinen Rücken und das war ihm nicht unangenehm, aber er rührte sich nicht. Er schlief schlecht, weil er lebhaft vom Glück träumte. Schließlich war er froh, als er von draußen durchs offene Fenster die Rotschwänzchen singen hörte. „Ich stehe auf“, flüsterte er und strich ihr eine Haarsträhne zurück. Wenn sie jetzt aufgewacht wäre, hätte er sie vielleicht geküsst.

Sie frühstückten vor Sonnenaufgang, in ihren Jacken saßen sie auf dem Balkon, dann brachen sie auf. Vom Parkplatz liefen sie geradewegs los.
Die morgendliche Luft stand kühl im Tal. Das Moos am Boden duftete noch feucht. Ein Bach perlte weiß über große Kiesel. Davina kniete auf den runden Steinen und legte die Handflächen aufs Wasser. Ihre Haare leuchteten im Gegenlicht. Das gefiel Amos. Sie tat, als wollte sie sich nicht fotografieren lassen, ließ sich bitten, bevor sie es zuließ. Drei-, vier-, fünfmal drückte Amos auf den Auslöser. Dann rannte Davina auf ihn zu, legte ihm die nasse Hand an den Nacken und schob sie lachend tief zwischen seine Schulterblätter. Das war kalt auf der Haut, so dass er zusammenzuckte. Davina sprang lachend an ihm vorbei die Böschung hinauf.
Überhaupt lachte sie heute viel, zupfte Amos an seiner Lodenjacke, - „Wie aus Opas Zeiten!“ -, stahl ihm die Baseballcap vom Kopf, so dass er ihr nachlaufen und sich die Mütze wieder schnappen musste. Sie lachte über alles, was er heute sagte, über das ganze Gesicht lachte sie und hüpfte um ihn herum.

Eine Karte hatten sie nicht, im Gehen entschieden sie sich, den Wegweisern Richtung Pik Granice zu folgen, um nicht im Kreis zu laufen. Aber nicht bis hinauf wollten sie, nur ein Stück in die Landschaft und früh zurück, denn der Wetterbericht kündigte zum Abend hin Gewitter an. Ihre Sohlenprofile griffen schneidig in den Schotter, Kuhglocken schickten einen dünnen Klangteppich durch die Luft, zudem blieb es entgegen der Vorhersage wolkenlos. Es gab keinen Grund, umzukehren. Allmählich fanden sich die beiden recht weit oben.

Sie mussten sich entscheiden. Zur einen Seite ging es den Granice hinauf. Der Berg stand so nah, dass der Weg zum Gipfel als dünne Schnur zu erkennen war. In seiner harten Flanke standen keine Bäume.
Sie wählten den anderen Weg, der einladender und kaum ansteigend weiter über die Almwiesen führte. Nur dort, nicht den Granice hoch, stand indes ein Schild, das Ungeübte vor dem Weitergehen warnte. „Gut“, sagte Davina, „ungeübt sind wir nicht.“ Amos wollte nicht widersprechen. Er nahm nur eben den Rucksack ab und steckte den Fotoapparat hinein. Anschließend folgte er Davina.

Der Fußpfad wurde bald schmaler. Er zog sich an einem Felsband entlang, seitlich fiel steil die Halde ab, es blieb jedoch leicht zu gehen. Ausgesetzt war es wohl. Abwärts wechselten Gras, Gestrüpp und Stein. Der Bewuchs am Hang ließ immer noch dem Gedanken Raum, man könne aufgehalten werden, selbst wenn man fiele. Schrofig war es hin und wieder, in solchen Fällen konnte man bergseitig ein Stahlseil zu Hilfe nehmen. Er schaute nicht nach unten, zwang seinen Blick geradewegs auf Davinas Fersen, und bald schon balancierte er die Schritte nicht mehr aus, als ginge er auf einem Seil. Nach einiger Zeit ging er Davina sogar beinahe lässig nach.

Auf einem Sattel standen sie dann und konnten mit einem Mal über den Kamm sehen, bis ins Tal auf der anderen Seite hinunter. Dort unten lag dunkel ein See, um den herum die Dächer einzelner Gehöfte prunkten. Im kurzen Gras blühten Disteln. Von den Höfen her bellte ein Hund. Da war sie ganz nah, die sichere Welt, auf der man gehen konnte, wie man wollte, ohne darauf achten zu müssen, wie man die Füße setzte. Gar nicht weit war sie.

Nur wenig voraus verlor sich der Pfad am Ende eines Wiesengrats im Fels. Es ging dort steil nach oben. Lange Eisenstäbe waren in die Wand getrieben. „Klar“, sagte Davina, indem sie mit der ausgestreckten Hand auf den Klettersteig wies, „das Schild.“ Ohne Sicherung ging man da nicht. Hier würden sie umkehren.
Davina griff in den Rucksack, holte Weintrauben heraus, stellte sich vor Amos hin und steckte erst ihm, dann sich selbst eine in den Mund. „Schön hier“, sagte sie beim Kauen, beugte sich vor, und spuckte einen Kern in die Tiefe.
Amos war zufrieden, dass der Pfad endete. Denselben Weg zurück, das war zu schaffen.
So standen sie, plauderten davon, wie es wäre, weiter zu gehen, was hinter den Felsen wohl noch käme, und ließen die Umkehr reifen.
Amos fühlte sich freier. Etwas flau sei ihm heute, gestand er, wahrscheinlich komme es daher, dass er gestern spät und schlecht geschlafen habe. Das war ja nicht falsch.
Ob ihm schwindlig sei, fragte Davina. Er protestierte und wurde einen Augenblick lang mutig, lachte, breitete die Arme aus und drehte sich einmal im Kreis.
Krähen saßen am Boden, warfen sich wechselweise über den Abgrund, stehend segelten sie mit dem Kopf im Wind, bevor sie wieder landeten. Die Sonne stand jetzt ganz oben und bleichte den Fels.

Dann ging Davina weiter. Erst das kurze Stück bis an die Stelle, wo der Fußpfad durch die eisernen Trittstifte abgelöst wurde. Es sah so aus, als wollte sie dort nur einen Augenblick verweilen, am Beginn des Steigs nippen, und wieder zurück. Sie dachte es selbst. Doch dann ging sie langsam immer weiter. Sie stieg die Stahltreppe hinauf, die Eisenstangen, die aus dem Fels in die Luft und über den Abgrund hinausragten. Amos stand ganz gerade und bewegte sich nicht. Er musste hinsehen: Sie ging da wirklich hoch.
„Du darfst dich nur nicht damit befassen, was alles passieren könnte“, rief sie von oben. „Alles kann passieren.“ Wie eine unfertige Wendeltreppe führte das Gestänge nach Kurzem um den herauskragenden Fels. „I’m Canadian“, rief sie Amos auf den Kopf hinunter zu, wie wenn das eine Erklärung wäre. Sie bog um die Steinwand und war nicht mehr zu sehen.

Amos stand. Der Pfad war an dieser Stelle breiter, die ausgetretenen Spuren fächerten sich zu einer Terrasse auf. Links schützte kniehoch, hüfthoch der Grat, rechts bot eine Zirbelkiefer, deren Wurzeln über die Abbruchkante wuchsen, den Augen Halt. Unten bei den Höfen lag der Alltag. Kein Wille zum Verderben hing in der Luft, niemand lauerte, um Davina zur Strafe für ihren Wagemut hinunterzustoßen. Wie friedlich hier alles ist. Alles friedlich hier, sagte sich Amos. Da stand er nun. Davina kam lange nicht.

Als sie endlich doch wieder um die Felsen bog, strahlte sie. Amos hob die Arme, wie um sie zu sich herzuziehen, als sie sich über die Trittstifte mit den Füßen abwärts tastete. Mit den Augen zog er sie zu sich, ging ihre Bewegungen mit, damit wirklich nichts schiefging. „Huhu“, rief sie, noch bevor sie wieder festen Boden unter sich hatte, und Amos wünschte dringend, sie würde nicht winken. Gleich darauf stand sie bei ihm und erzählte mit glühenden Wangen. Im Nachhinein war es genau so, wie sie sagte: Wenn man wusste, was man tat, war es ohne wirkliche Gefahr. Erst ging es hinter dem Fels weiter auf den Eisenstiften, erzählte sie, danach kam sogar wieder ein Pfad, einer wie dieser hier, „Schwierigkeitsgrad Null“, und danach ging allerdings die Kletterei los, erst eine Leiter, die ging noch, aber dann wäre es zu heikel geworden, trotz Stahlseil an der Seite. Verlockend war es schon. „Aber tabu!“ Davina ging neben Amos, sofern es der schmale Weg zuließ, und plapperte aufgekratzt. Wie man dort oben zwar nicht auf einem Gipfel stand, aber alles sehen konnte. Rundherum Felsen und schroffe Spitzen. Gletscherreste in den Nischen, zum Greifen nah. Einsam mitten im Gebirge war man da, als gäbe es nichts anderes mehr. Großartig war das. Amos hätte mitkommen sollen. Nächstes Mal würde er sicher mitkommen, oder etwa nicht? Er brauche keine Angst zu haben, sie sei nicht leichtsinnig. „Du musst dir das klarmachen: Diese Eisenstäbe brechen nicht plötzlich weg, nur weil es tief nach unten geht.“ Sie lachte: „Die merken das gar nicht. Das musst du dir klarmachen. Das ist die Kunst.“
Amos sah vor sich auf den Weg und sagte nichts.

„Du“, sagte Davina, als die Wiesen um sie herum wieder breit und bequem waren, „das war richtig, dass du da nicht hochgegangen bist.“
Er nickte.
„Weißt du“, sagte sie, „ich bin so normalerweise nicht.“
Er ging vor ihr her und nickte.
Sie sprang zwei Schritte voraus und fasste ihn an der Manschette. „Schau mal“, sagte sie, „das war blöd.“ Sie zog ihn am Arm, dass er anhielt und sah ihm ins Gesicht. Sie hob ihm die Baseballkappe vom Kopf, setzte sie sich selbst auf, das Schild zur Seite, hielt ihr Gesicht mit beiden Händen, schaute Amos von unten her an und schob die Lippen vor. „Ich mach’s nicht wieder.“
„Ist ja okay“, sagte er und holte Luft, als wollte er noch etwas sagen. Er schüttelte den Kopf und winkte ab.
„Bergsteigerjacke“, grinste sie, und rupfte am Revers, um etwas von ihm zu spüren, seinen Körper, wie er ihn einsetzte, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kippen. Er grinste ganz wie sie, stand aber nur da, nahm sich seine Kappe nicht wieder, so dass sie mit ihm darum hätte ringen können, nahm nicht ihre Hände. Stand nur da, so wie er auch vorhin nur dagestanden hatte, als sie dort oben wieder um den Fels gekommen war, sie nicht erleichtert in seine Arme genommen hatte, nicht in die Knie gegangen war, vor Freude, dass ihr nichts geschehen war, ihr nicht gesagt hatte, wie mutig sie sei, ihr nicht gesagt hatte, dass er sie liebte.
„Angst hast du gehabt, stimmt’s?“, sagte sie. Er schaute nach unten, dann huschte sein Blick über ihr Gesicht und an ihr vorbei. Verwundbar wie ein Kind erschien er ihr, das man dafür im Arm halten und an sich drücken will. Sie ließ ihn los. Wieder ging er voraus.
„Bergsteiger“, sagte sie und stach ihm mit dem Finger in die Seite. „Almöhi-Jacke.“

Sie waren fast ganz unten. Der Wirtschaftsweg, auf dem sie gingen, war jetzt asphaltiert. Davina fand Kiesel am Wegrand, die sie Amos einzeln hinterherwarf. Sie versuchte, ihn mit den Steinchen hinter dem Ohr zu treffen, so dass er den Kopf einzog. Er wehrte sich auch jetzt nicht.

„Ich mach das nicht mehr, okay?“, sagte sie, als sie wieder im Auto saßen. „Wir machen das nicht mehr. Zufrieden?“ Amos fiel nicht ein, wie er widersprechen konnte.
Sie wolle übrigens nicht mehr mit zu ihm, sagte sie. Am Wagnerplatz könne er sie rauslassen, sie nehme die Bahn. „Nein“, sagte er. „Doch“, sagte sie und schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihm herüber.

Als sie ausstieg, drehte sie sich nicht mehr zu ihm um. An der Kreuzung musste sie warten. Amos legte die Hand an den Türgriff, da sprang die Ampel auf Grün. Schnell stieß er die Tür auf und spürte hart den Ruck des Sicherheitsgurts vor seiner Brust. Er ließ sich wieder in den Sitz fallen und sah durch die offene Tür Davina nach, die auf der anderen Straßenseite die Rolltreppe betrat. Sie hatte noch immer seine Basecap auf, die sah er zuletzt.

 
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Hey Erdbeerschorsch

Die morgendliche Luft stand kühl im Tal. Der moosige Boden duftete noch feucht. Ein Bach perlte weiß über große Kiesel. Davina kniete auf den runden Steinen und legte die Handflächen aufs Wasser. Die Sonne war noch kaum über die Hänge gestiegen, warf hier aber einen hellen Fleck auf den Uferstreifen und Davina spürte die erste Wärme auf der Haut. Ihre Haare leuchteten wie eine Krone im Gegenlicht.

Sechs Sätze und sechsmal SPO. Gefällt mir nicht so.

da sprang die die Ampel auf Grün.

Wortwiederholung.

So. Ach ja: Dazwischen war ja noch ein Text.

Ein grossartiger Text.

Du weisst natürlich, dass du in mir einen Leser findest, dem a) die Parallelisierung von äusserer und innerer Landschaft und b) das Schwebende, Ambivalente sehr gut gefällt, und beides hast du hier hervorragend dargestellt. Mich haben lediglich die ab und zu etwas gar zu sehr ans 19.Jh. gemahnende Sprache - nur selten, warte, ich such mal ein paar Stellen:

Ihre Sohlenprofile griffen schneidig und herrisch in den Schotter, Kuhglocken zogen einen dünnen Klangteppich durch die Luft, zudem blieb es entgegen der Vorhersage wolkenlos, und so gab es keinen Grund, umzukehren.

Nur dort, nicht den Granice hoch, stand indes ein Schild, das Ungeübte vor dem Weitergehen warnte.

Ausgesetzt war es wohl.

Rechts bot eine Zirbelkiefer, deren Wurzeln über die Abbruchkante wuchsen, den Augen Halt.

... sowie diese eine in meinen Augen zu explizite Wertung:

Am schlimmsten war, dass er sich auch jetzt nicht wehrte.

gestört. Wobei wirklich gestört hat mich Ersteres nicht, ich hab das einfach als Spiel mit Vorgängern - Stifters Bergkristall ist mir in den Sinn gekommen - gelesen.

Ansonsten bin ich den beiden gebannt gefolgt, stand sogar daneben, hab dann gespürt, jetzt geschieht was Entscheidendes zwischen den beiden, hab über männliche Eroberungsrituale, über weibliche Erwartungen usw. usw. nachgedacht und am Ende hätte ich beide (Ja, beide! Das macht eine weitere Stärke des Textes aus, du legst mir das Schicksal beider Figuren ans Herz) am liebsten geschüttelt und georfeigt, sanft zumindest, und gesagt, Mensch, wie alt seid ihr eigentlich?
Finde ich gut, dass du nicht sagst, wie alt sie sind. Sie leben in einer WG, also sind sie vielleicht doch schon über zwanzig, ich finde das passt, auch wenn man einander noch weit später verpassen kann, obwohl man sich schon gefunden hätte. Wobei, in Anbetracht von Davinas Erwartungen und Amos Verhalten hätte das eh nicht funktioniert. Schade trotzdem!

Sprachlich und stilistisch hat mir der Text ausgesprochen gut gefallen. Du lässt die Verben arbeiten (Die Sonne bleicht den Felsen, z.B.), setzt Adverbien und Adjektive im für mich rechten Mass. Die Sprache ist rhythmisch und schwingt. Ja, Hut ab.

Ein feiner Text, den ich sehr gern gelesen habe.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hej du, erdbeerschorsch,

ich sage es gleich und unverblümt, solange deine Sätze noch in mir nachwirken: ich liebe diese Geschichte! Ihren Ton, den Verlauf, das sogenannte "Setting". Es passt alles zusammen, ergänzt, unterstreicht sich.

Ich kenne Davina und Amos leider auch. Ich "kenne" tatsächlich eine Kanadierin mitselbigem Namen. ;) Sie ist ein Charakter, dessen Alter du nicht hättest preisgeben müssen, oder leben alte Leute auch in WGs? Sie ist lebendig, wild, hungrig, provozierend. Dann zeigst du sie mir von einer anderen Seite. Beim Wandern. Und du bist clever genug, es nicht zu übertreiben. Sie achtet auf sich, ist sich ihrer selbst bewusst. Sie wertet sanft, liebevoll, und trifft dann ihre Entscheidung. Und das alles überlässt du mir. Ich gehe richtig mit und freue mich über alles was du zeigst.

Ihre Haare leuchteten wie eine Krone im Gegenlicht.

Sag doch ruhig gold, sonst habe ich eine seltsame Kronenartige Frisur vor Augen.

Sowohl die Situation am Bach als auch im Bett ist zauberhaft dargestellt. Nicht zu viel, nicht zu wenig.

Wenn sie jetzt aufgewacht wäre, hätte er sie vielleicht geküsst.

Sicher nicht. ;) Er traut sich ja nicht mal das zutun, während sie schläft. Das charakterisiert ihn so schnell doppelt schüchtern. Er belügt sich sogar selbst.

Diese Kluft, die dann während des Wanderns immer größer wird zwischen den beiden, festigst du mit jedem Schritt, den sie tatsächlich gehen.

Witze fielen Amos hier oben nicht mehr ein. E
Ach, Amos. Wieso wächst du denn nicht mit der Höhe?

Unten bei den Höfen lag der Alltag. Kein Wille zum Verderben hing in der Luft, niemand lauerte, um Davina zur Strafe für ihren Wagemut hinunterzustoßen. Wie friedlich hier alles ist. Alles ist friedlich hier, sagte sich Amos. Da stand er nun. Davina kam lange nicht.

Deine abstrakten Verbindungen schaffen eine ziemlich bizarre Atmosphäre, die ich sehr gut vertrage. Und Amos steht und wartet.
Die Dialoge sind fein sparsam und unaufdringlich eingefügt. Wie in einem guten Film.

Sie hob ihm die Baseballkappe vom Kopf, setzte sie sich selbst auf, das Schild zur Seite, hielt ihr Gesicht mit beiden Händen, schaute Amos von unten her an und schob die Lippen vor. „Ich mach’s nicht wieder.“

Ich hätte ihn kleiner als sie vermutet. :D

Am schlimmsten war, dass er sich auch jetzt nicht wehrte.

Oder überhaupt irgendwie reagierte.

Ich mach das nicht mehr, ok?“, sagte sie, als sie wieder im Auto saßen. „Wir machen das nicht mehr. Zufrieden?“ Amos fiel nicht ein, wie er widersprechen konnte.

Und : aus!

Schnell stieß er die Tür auf und spürte hart den Ruck des Sicherheitsgurts vor seiner Brust.

Irgendwas hält ihn halt immer. Das ist sooo gut von dir, lieber erdbeerschorsch.

Sie könnten nicht verschiedener sein und der eine scheint den eigenen fehlenden Teil im anderen zu sehen. Aber so einfach ist es eben nicht. Das ergänzt sich eben nicht automatisch .
Auch das Thema ist gut aufgegriffen. Ein ungleiches Paar, das will, aber nicht passt. Und beide spüren und erfahren es gleichzeitig. Genial.
Und von Anfang an nimmst du mich mit, ohne Anlauf, rein ins Geschehen. Niemand verstellt sich, beide zeigen sich.

Sagte ich schon, dass ich diese Geschichte liebe? ;)

Vielen Dank und vielleicht fällt mir noch etwas Kritisches ein, wenn ich mich beruhigt habe.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Lieber erdbeerschorsch,

ich hadere mit deinem Anfang. Obwohl ich die Beschreibungen sehr gelungen finde, klingen mir die ersten Sätze zu aufzählend, zu wenig miteinander verknüpft. Ab "Sie tat, als wollte sie sich nicht fotografieren lassen, ..." wird es dann fließender. Vielleicht fällt dir ein, wie du den beschreibenden Einstieg noch runder gestalten könntest, denn wie gesagt, die Beschreibungen an sich gefallen mir.

Deine Art zu schreiben ist sehr klar und ruhig. Aber ruhig nicht im Sinne von langweilig, sondern eher im Sinne von durchdacht. Ich habe beim Lesen das Gefühl, du hast da richtig viel Arbeit reingesteckt, dir die Sätze ganz genau überlegt, ganz bewusst komponiert. Denn wie sich das entwickelt, dieses Zusammenspiel zwischen der Natur und dem, was da zwischen den beiden geschieht, das hast du sehr geschickt und gekonnt gemacht.
Die Beschreibungen der Wanderung sind präzise, sie sind anschaulich und nicht zu viel. Das hast du gut dosiert, denn da kann man ja leicht mal über die Stränge schlagen.
Davina und Amos, ja, das ist eine andere Geschichte. Ich fühle, was da abgeht, ich werde unruhig, aber ich habe nicht das Bedürfnis, ihnen zu helfen. Davina ist mir persönlich ein bisschen zu viel. Sie provoziert Amos ständig, zupft an der Jacke, klaut ihm die Mütze, geht weiter, obwohl sie mit Sicherheit merkt, wie unwohl er sich dabei fühlt, bewirft ihn mit Steinchen ... Versteh mich nicht falsch, das ist super beschrieben. Aber ganz ehrlich, die Dame würde mich als Mann irgendwie auch anstrengen. Er wiederum ist krass passiv. Dieses Gegensätzliche, dieses Gefühl, das beide wohl haben, dass sie sich irgendwie anziehen, aber irgendwie keiner von beiden über seinen Schatten springt, das ist gut eingefangen. Jeder kennt das wohl, dieses Bedürfnis, sich einem anderen zu nähern, aber sich doch nicht zu trauen, vielleicht weil man unterschwellig merkt, dass es eigentlich nicht passt. Dass man sich nach etwas sehnt, vielleicht sogar nur Nähe, das die Person ein Stück weit verkörpert, eigentlich könnte es aber auch jemand anderes sein. Ich glaube ja, wenn man wirklich verknallt ist, wenn es wirklich sein soll, dann tut einer von beiden den ersten Schritt. Nenn mich romantisch, aber so denke ich
:shy:

Also, erdbeerschorsch, bevor ich kein Ende finde, hat mir gefallen, echt! Das ist ein richtig guter Text.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hi Peeperkorn,

schön, dass du vorbeischaust. Und so schnell auch noch.

Sechs Sätze und sechsmal SPO. Gefällt mir nicht so.
Du wirst mir sicher glauben, wenn ich sage, dass das kein Versehen war. Warum ich das so probiert habe, führe ich mal nicht lange aus, es muss natürlich auch nicht bleiben. Eine Umstellung habe ich jetzt schon mal versucht, das kommt eine leichte Abwechslung früher und vor allem habe ich jetzt einmal den Namen "Davina" eingespart. Drei mal im ersten Absatz - das war auch etwas viel.

Ein grossartiger Text.
Ich danke herzlich. :shy:

Du sprichst die

ab und zu etwas gar zu sehr ans 19.Jh. gemahnende Sprache
an, und da ist sicher was dran. Früher mal, vor allem so direkt nach der Schule, habe ich eine Weile lang fast nur im 19. Jh gelesen, da hatten fast alle, die ich gelesen habe, einen Fuß drin, entweder einen hinein- oder einen herausragenden. Das steckt mir ganz bestimmt noch in den Knochen, auch wenn ich den Genossen inzwischen weitgehend abtrünnig geworden bin. Neulich hab ich mal wieder in "Tonio Kröger" (von 1903) geblättert: "Aber unter Tonios runder Pelzmütze blickten aus einem brünetten und ganz südlich scharf geschnittenen Gesicht dunkel und zart umschattetete Augen mit zu schweren Lidern träumerisch und ein wenig zaghaft hervor." Kaum mehr zum Aushalten ... Aber halt trotzdem auch gekonnt, und das freie Spiel damit ist für mich wahrscheinlich genau das Richtige. Nur zu viel darf es nicht werden.

"schneidig und herrisch" -- ja, das ist hier wirklich ein - Vorsicht, paradox - aus der Not heraus absichtlich gesetzter Ausreißer. Die beiden sind ja keine Soldaten. Es gibt ja dieses Gefühl: man geht, die Füße greifen wie von selbst aus, und, ähm, kauen sozusagen den Boden genüsslich weg. Dafür habe ich einen Ausdruck gesucht. Einerseits ist mir dann nichts besseres eingefallen, andrerseits finde ich "schneidig und herrisch" da an sich nicht unpassend, zwar eigentlich etwas zu brutal, aber um die Verbindung von Stolz und Trittsicherheit geht es ja auch in dem Text, fand ich also letztlich, wie gesagt, als Ausreißer reizvoll.

Diesen Satz: "Rechts bot eine Zirbelkiefer, deren Wurzeln über die Abbruchkante wuchsen, den Augen Halt" finde ich allerdings auch nicht so ganz gelungen, der scheint mir wirklich etwas fremd dazustehen.

Und schließlich ein spannender Punkt:

diese eine in meinen Augen zu explizite Wertung:
Am schlimmsten war, dass er sich auch jetzt nicht wehrte.
gestört.
Die Wertungen, das ist ja so eine Sache. Ich versuche ja, mich damit zurückzuhalten. Aber das war so eine Stelle, da hatte ich den Eindruck, Zurückhaltung wäre in diesem Fall die falsche Scheu, nämlich eigentlich eine technische: Wertung vermeiden um der Vermeidung willen. Und das wäre ja auch wieder nicht gut. Besser die Wertung platt ausgesprochen, als einen Eiertanz darum herum, so ungefähr. (Gespart habe ich mir wenigstens noch, zu sagen, warum es am schlimmsten war, das wäre mir dann wirklich auch zu viel.) Aber ja, es klingt trotzdem, vor allem wenn ich den Satz jetzt so alleine ankucke, deutlich mehr nach Gebrauchsanweisung für den Text, als dass es nach dem Text selbst klingt. Egal, jetzt lass ich's erst mal drin, später kommt es vielleicht weg.

Und für alles weitere kann ich nur nochmals herzlich danken! Ich sag das nur so knapp, aber es wirkt natürlich nach, was du da Schönes schreibst.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

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Hi Kanji,

auch dir ganz herzlichen Dank für's Vorbeischauen und die schönen Worte!

Ich "kenne" tatsächlich eine Kanadierin mitselbigem Namen.
Ist ja witzig. Aber ich schwöre: Die ist nicht das Vorbild für meine Figur. Grüß sie mal von mir ;)

Sag doch ruhig gold, sonst habe ich eine seltsame Kronenartige Frisur vor Augen.
"Leuchteten gold wie eine Krone"? Ja, das ginge. Ich hatte halt die Vorstellung von einer Art Corona, nur eben mit Haaren, warte,
so ungefähr, oder so. Vielleicht fällt mir noch etwas unmissverständlicheres ein.

Ach, Amos. Wieso wächst du denn nicht mit der Höhe?
Ja, der Arme. Stattdessen schrumpft er.

Ich hätte ihn kleiner als sie vermutet.
Du kannst dir sicher sein: Da oben am Klettersteig war er es auch. Aber jetzt ist er wieder ein Stück gewachsen.

vielleicht fällt mir noch etwas Kritisches ein, wenn ich mich beruhigt habe.
Nur zu, immer gerne. Aber wenn nicht, werde ich mich auch nicht beschweren :schiel:

Freut mich, dass dir der Text so gut gefallen hat!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

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Liebe RinaWu,

freut mich, dass du hergefunden hast! Am Anfang habe ich ein bisschen was geändert, aber nur wenig, nur umgestellt. Die Aufzählung ist geblieben. Vielleicht flutscht es trotzdem schon einen Tick besser, weil zumindest früher ein anderer Rhythmus reinkommt.

Ich habe beim Lesen das Gefühl, du hast da richtig viel Arbeit reingesteckt, dir die Sätze ganz genau überlegt, ganz bewusst komponiert.
Immer! Ich schreibe die Geschichten öfter so, wie man Käse macht: Erst mal die Masse reingießen, überflüssiges Wasser rauspressen, dann reifen lassen, ab und zu wenden usw. Dieser Text hat eine ganze Weile gelegen, und ich hab nur immer mal ein bisschen was dran gemacht. Nur den Schluss, den hab ich so ein bisschen reingewürgt, weil ich das Teil dann doch mal servieren wollte. Freut mich, wenn man das nicht merkt. Und ich will auch nicht sagen, dass ich mir dafür gar leine zeit mehr genommen hätte.

ganz ehrlich, die Dame würde mich als Mann irgendwie auch anstrengen.
Ja, das merkt sie wahrscheinlich selbst und weiß sich umso weniger zu helfen. Sie hat ja auch gute Seiten, wirklich, die ist eigentlich eine ganz Liebe. Und für die anstrengenden Töpfe muss es ja auch irgendwo die passenden Deckel geben.

Er wiederum ist krass passiv.
Genau, der Kontrast. Da hab ich mich auch gefragt, ob das nicht zu viel ist. Das einzige Aktive ist eigentlich sein "Nein" am Schluss, aber damit setzt er sich nicht einmal durch. Ich würde ihm schon noch etwas mehr von Vorstoßen oder Gegenhalten gönnen, aber es ist wie so oft: Es muss einem auch einfallen, wann und wo ...

Ich glaube ja, wenn man wirklich verknallt ist, wenn es wirklich sein soll, dann tut einer von beiden den ersten Schritt.
Vielleicht wird's ja doch noch was mit den beiden. Davina hat sich ja am Abend vorher schon recht weit vorgewagt. Jetzt wäre eigentlich Amos dran. Das ist nämlich so: Sie weiß gar nicht, wie sehr er sich heimlich schämt, denn sie glaubt und hofft ja, er habe nur Angst um sie gehabt. Und dass er dafür jetzt sauer auf sie ist. Dass da auch Höhenangst eine Rolle spielt, ahnt sie gar nicht (bzw. hat sich vom Gegenteil überzeugen lassen). Vertrackte Sache. Wollen wir mal hoffen, die zwei sprechen sich in ein paar Tagen nochmal aus.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

"Had we but world enough and time,
This coyness, lady, were no crime.
We would sit down, and think which way
To walk, and pass our long love’s day.
Thou by the Indian Ganges’ side
Shouldst rubies find; I by the tide
Of Humber would complain. I would
Love you ten years before the flood,
And you should, if you please, refuse
Till the conversion of the Jews.
..."
Andrew Marvell: To His Coy Mistress​

„Ich stehe auf“, flüsterte er, und strich der Schlafenden die Haare von der Wange. Wenn sie jetzt aufgewacht wäre, hätte er sie vielleicht geküsst.

Was könnt einer als Nachgeborener der Weltkriege als Folge des 19. Jh. und somit des bürgerlichen Realismus wie des Naturalismus wider deren literarische Sprache haben?, und zudem selbst vorm Mittelhochdeutschen nicht zurückschreckt (wo er noch "schrofig" als Gesamtdeutsch findet,

lieber erdbeerschorsch,

aber dennoch wäre zunächst zu fragen, ob Wasser nicht an sich eher farblos sei und durchsichtig, jede Tönung der Flüssigkeit durch andere Stoffe oder Lichtbrechung bewirkt werde. Doch zugleich meint die Farbe Weiß als Summe aller Farben nicht nur Reinheit und Unschuld, sondern vor allem Vollkommenheit (wie es auch der Liebe - ob persönlich oder solidarisch - zugesprochen wird), die alle Hindernisse (vom Kiesel bis zum Stein, die einem in den Weg/Fluss gelegt werden) überwindet.

Wasser, und sei es ein noch so kleines Rinnsal, ist halt hartnäckiger als Stein und stärker als Amos. Dass die Sonne ein wenig umständlich übers Gebirg' steigt (obwohl sie's doch eher routinemäßig tut) ist in dieser schönen Geschichte nebensächlich.

Ich denke, dass Du den Namen "Amos" (= "der [von Gott] Getragene") bewusst und doch ohne Ironie gewählt hast wie auch die weibliche Form des Namens David (= der [Anm.: nicht nur von Gott] Geliebte), Davina. Und wie einer der ältesten Propheten und Viehhirt gleichen Namens, ist Amos schüchtern und zurückhaltend, während die Geliebte wie ihr bibl. männliches Vorbild (übrigens kein Frauenverächter) mutig vor keinem Hindernis zurückschrickt, die "Hand anlegt" und wohl die Hosen anhat, kurz, die treibende Kraft in der Beziehung ist, einer unvollendeten, an der eher Amos denn Davina (wie's das bibl. männliche Vorbild) zu tragen hat - ein Leben lang und wahrscheinlich so die Beziehung erhöht zur Liebe des Lebens ... Womit sich der Name des Amos zum "Tragenden" wandelt. Amos deutet die Krähen

Krähen saßen am Boden, warfen sich wechselweise über den Abgrund, stehend segelten sie mit dem Kopf im Wind, bevor sie wieder landeten. Die Sonne stand jetzt ganz oben und bleichte den Fels.
vielleicht als Unglücksraben.

Vor den Trivialitäten hierzu

...froh, als er aus dem offenen Fenster die Rotschwänzchen singen hörte.
die Frage: Kommt der Gesang der Drossel nicht von draußen, durchs Fenster hinein in den Raum?

Abwärts wechselten Gras[,] Gestrüpp und Stein.
... ganz nah, die sichere Welt, auf der man gehen konnte[,] wie man wollte, ohne ...

... trotz Stahlseil an der Seite.
wie zuvor "schrofig" landschaftlich bedingter Dativ, was darf da ein Ruhr(s)pöttler meckern, wenn im Ruhrlatin der Mörder des Genitivs durch den Akkusativ hingemeuchelt wird?
„Ist ja ok“, sagte er, ...
Besser o. k., ansonsten Abkürzung für Oklahoma

So viel oder wenig für heute vom

vridel

 
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Hola Erzbischof,

getreu meiner Marotte, vor der eigentlichen Geschichte erst einmal die Kommentare und die Antworten des Autors zu lesen, hatte ich bereits so viel erbaulichen Lesestoff, dass ich allein auf diese Weise schon auf meine Kosten gekommen wäre, ich jedoch dadurch noch gespannter Deinen Text anklickte. Ach, und ehe ich’s vergess’ – Dein feiner Humor kommt bei mir besonders gut an.
Vielleicht fatal, schon derart eingestimmt zu sein in der Absicht, einen Text wie ein unbestechlicher Juror zu kommentieren. Aber sei’s drum.
Nein – nix ist drum! Im Wissen, dass der Autor ein ganzer ein Gewissenhafter ist, muss ein eventueller Kommentator alles doppelt und dreifach abwägen, was er meint sagen zu müssen. Das ist schwierig. Aber ich wage es.

Der Titel lässt mich kalt. Der will mir partout nichts signalisieren.
Dann lässt der Autor eine merkwürdige Atmosphäre entstehen.
Dass die Drei nicht von dieser Welt sind, wird angedeutet. Amos' Verhalten im Bett finde ich treffend beschrieben – es gibt diese Starre, wenn’s ernst wird / werden könnte;).

Schließlich war er froh, als er aus dem offenen Fenster die Rotschwänzchen singen hörte.
Die Rotschwänzchen. Vor meinem Schlafzimmer ist zu dieser Jahreszeit auch der Teufel los – und es sind nicht nur die Rotschwänzchen. Aber vielleicht sind’s bei Amos doch ausschließlich nur jene.
Wenn sie jetzt aufgewacht wäre, hätte er sie vielleicht geküsst.
Eher nicht. Wer sich im Dunkel der Nacht nichts traut ...

... nur ein Stück in die Landschaft, dann gegen Mittag und vor dem Gewitter zurück.
Vor welchem Gewitter? Der Leser rätselt. Dann denkt er noch: Wer beginnt eine Bergwanderung, wenn Gewitter angesagt sind? Aber wer weiß.
Ihre Sohlenprofile griffen schneidig und herrisch in den Schotter, ...
‚Sohlenprofile’ finde ich schrecklich. Ich würde mich für ‚Bergschuhe’ entscheiden.
... griffen schneidig und herrisch in den Schotter ...
hingegen finde ich rasant und treffsicher. Hab auch gleich dieses idiotische Stiletto-Klickern im Ohr. Könnte sie umbringen.
Sie mussten sich entscheiden. Zur einen Seite ging es den Granice hinauf. Der Berg war so nah, dass der Weg zum Gipfel als dünne Schnur gut zu erkennen war. In seiner harten Flanke standen keine Bäume.
Das Fette will mir was sagen? Ist die Frage nicht eher: Wollen wir hoch oder lassen wir es?
... es blieb jedoch leicht zu gehen. Ausgesetzt war es wohl.
Das Fette irritiert mich. Ist das Schweizer Idiom? Keine Ahnung, es sagt mir absolut nichts.

Witze fielen Amos hier oben nicht mehr ein.
Anderswo auch nicht – sollte ich bis hierher aufmerksam gelesen haben.

... konnte sich fassen und bald schon balancierte er seine Schritte nicht mehr aus, als ginge er auf einem Seil.
Lieber Erzbischof – vielleicht ist das süddeutsch-schweizerisch, aber glatt liest sich das für mein Leseempfinden nicht.
Weiter im Text:
... um den herum die Dächer einzelner Gehöfte prunkten.
Dieses ‚prunkten’ empfinde ich als unpassend – zumal in Verbindung mit Gehöft. Fährt man durchs Bordelais, dann prunken tatsächlich die Dächer der schlossähnlichen Weingüter, aber das ist eine andere Liga.
Von den Höfen her bellte ein Hund.
Ein Hund für viele Höfe?
... holte Weintrauben heraus, stellte sich vor Amos hin und steckte erst ihm, dann sich selbst eine in den Mund.
Wie ich Amos kenne, wird er mit einer Weinbeere schon ausgelastet sein, aber eine ganze Traube?

Es sah so aus, als wollte sie dort nur einen Augenblick verweilen, am Beginn des Steigs nippen, dann zurück.
Was ‚nippen’? Da habe ich keine Vorstellung.
Unten bei den Höfen lag der Alltag. Kein Wille zum Verderben hing in der Luft, ...
Warum sollte ein Wille zum Verderben in der Luft hängen? Keine Ahnung.
Sie sprang zwei Schritte voraus und fasste ihn an der Manschette.
Manschette? Ist das nicht ein bisschen sehr vorgestrig?
Die nachfolgende Szene allerdings hat all meine Fragezeichen beiseite gewischt – das geht ans Herz, das ist sehr gut geschrieben.
Und dann der Wagnerplatz! Gut gemacht. Alles in allem ein Leseerlebnis, das lange nachwirkt.
Danke, das ist wirklich mit feiner Mine geschrieben.

José

 

Hallo erdbeerschorsch,

Deine Geschichte habe ich nur überflogen, aber die Stimmung gefiel mir gut, der Rhythmus, die Leichtigkeit, das Melancholische.

Für einen längeren Kommentar und tiefgehende Analysen fehlt mir momentan die Lust.

Aber zum ersten Absatz lasse ich Dir meine Gedanken hier:

Die morgendliche Luft stand kühl im Tal. Der moosige Boden duftete noch feucht. Ein Bach perlte weiß über große Kiesel. Die Sonne war noch kaum über die Hänge gestiegen, warf hier aber einen hellen Fleck auf den Uferstreifen und Davina spürte die erste Wärme auf der Haut. Sie kniete auf den runden Steinen und legte die Handflächen aufs Wasser. Ihre Haare leuchteten wie eine Krone im Gegenlicht. Das gefiel Amos.

Das ist für mich ein Perspektiven- und Kameragewirr (mit Kamara meine ich den Ortspunkt, von dem aus der Erzähler erzählt):

Erster Satz - der Erzähler ist auf dem Berg, schließlich "sieht" er die kühle Luft im Tale stehen.

Zweiter Satz - die Nase des Erzählers steckt im Moss, riecht es und fühlt die Feuchtigkeit.

Dritter Satz - der Erzähler betrachtet den Bach aus einiger Entfernung.

Drei Sätze, drei völlig unterschiedliche Kamerastandorte. Würdest Du das bei einem Film machen, wäre dem Zuschauer schummrig.

Vierter Satz: Womöglich Davinas Perspektive, zumindest im zweiten Halbsatz, denn sie spürt die Wärme auf der Haut. Der erste Halbsatz gehört vielleicht noch zum Erzähler, der zur Sonne blickt.

Fünfter/Sechster Satz: Womöglich wieder der Erzähler, jedenfalls nicht Davina.

Siebter Satz: Eher Amos Perspektive.

Ich persönlich habe Schwierigkeiten mit so vielen Wechseln der Kamerastandorte und der Perspektiven - im Prinzip pro Satz -, weil ich mich nicht auf den Texte einlassen kann, sondern nur damit beschäftigt bin, mein inneres Auge neu zu justieren und mich neu zu orientieren.

Die auf mich negative Wirkung dieser Wechsel wird auch nicht durch die identischen Satzkonstruktionen SPO gemildert, sondern eher noch verstärkt.


Vielleicht wolltest Du das auch alles so, aber wenn dem so ist, verstehe ich den Sinn nicht.

Lieber Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Bea Milana,

schön, dich hier zu begrüßen und noch schöner, einen so freundlichen Kommentar lesen zu dürfen!

Die Geschichte scheint wohl eine Art Rückblick zu sein, oder?
Nicht unbedingt, aber sie ist in der Vergangenheit erzählt, also darf man das so sehen.

Zuerst dachte, dir ist ein Fehler passiert.
Dann sagte ich mir, Erdbeerschorsch passieren keine Fehler.
Stimmt natürlich nicht, wissen wir alle, trotzdem sehr schmeichelhaft von dir! Den Punkt lasse ich, glaube ich, aber verkürzen scheint mir keine schlechte Idee zu sein.

"Im Nachhinein war alles, wie sie sagte:" Das wirkt holprig. Ich würd den Satz streichen. Ich verstehe ihn auch hier nicht.
Man hat ja manchmal solche Situationen, in denen man vor etwas Angst hat, und nachdem man durch ist, war es gar nicht so schlimm oder sogar gut. Was weiß ich, Achterbahnfahren oder so. So in der Art war das gemeint.Vielleicht auch: Natürlich ist das schon gefährlich, was sie da macht, aber dadurch, dass nichts passiert ist, hat sie belegt, dass sie das im Griff hat. Ich kann aber nachvollziehen, das das nicht rauskommt. Kuck ich mir nochmal an.

Herzlichen Dank für's Vorbeischauen!
Besten Gruß
erdbeerschorsch

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Hi Friedel,

Ich denke, dass Du den Namen "Amos" (...) bewusst und doch ohne Ironie gewählt hast wie auch die weibliche Form des Namens David (...), Davina.
Aber ja: Für dich :) Das stimmt wirklich, denn seit ich deine Kommentare kenne, vergebe ich keine Namen mehr nur so einfach nach dem Klang.

Vor den Trivialitäten hierzudie Frage: Kommt der Gesang der Drossel nicht von draußen, durchs Fenster hinein in den Raum?
Aha, ja, stimmt. "Aus dem Fenster" ist da wirklich nicht ganz passend. Ich dachte mir wahrscheinlich "aus dem Fenster" so wie "aus der Lautsprecherbox" oder so ...

Besten Dank für's Vorbeischauen und Kommentieren!
erdbeerschorsch

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Hi josefelipe,

getreu meiner Marotte, vor der eigentlichen Geschichte erst einmal die Kommentare und die Antworten des Autors zu lesen
Sieh an, da haben wir was gemeinsam.

Nach deiner schönen Einleitung hast du mir ja einiges zu denken gegeben. Zumindest auf manches habe ich eine Antwort. Schauen wir mal, inwiefern ich dich zufriedenstellen kann.

Die Rotschwänzchen. Vor meinem Schlafzimmer ist zu dieser Jahreszeit auch der Teufel los – und es sind nicht nur die Rotschwänzchen. Aber vielleicht sind’s bei Amos doch ausschließlich nur jene.
Ja, weil es so früh ist. Die beiden fahren ja noch vor Sonnenaufgang auf, dazwischen liegt das wenn auch schnelle Frühstück auf dem Balkon, und Davina muss ja auch erst mal noch aufwachen. Und nun ist es eben so, dass die Rotschwänzchen schon 80 Minuten vor Sonnenaufgang den Gesang anstimmen, während alle anderen noch still sind. Aber ich muss dir was verraten: Das habe ich nachgekuckt.

Vor welchem Gewitter? Der Leser rätselt. Dann denkt er noch: Wer beginnt eine Bergwanderung, wenn Gewitter angesagt sind? Aber wer weiß.
Ja, das ist ein Problem. Es ist ja so: Die beiden wollen nur ein bisschen in die Landschaft. Dann hat es sich aber so ergeben, dass sie ganz früh aufgebrochen sind. Und da hab ich mir überlegt, warum brechen die denn so früh auf, wenn sie doch nur ziellos herumspazieren wollen? Deswegen hab ich das vorgesagte Gewitter aus der Kiste geholt. Wenn das z.B. für den Abend angesagt ist, darf man sich schon am Vormittag raustrauen. Trotzdem hast du recht: Man erwartet wahrscheinlich mehr Bedeutung von dem Gewitter, während man sich die anderen Überlegungen vermutlich gar nicht machen würde.

In seiner harten Flanke standen keine Bäume.
Das Fette will mir was sagen? Ist die Frage nicht eher: Wollen wir hoch oder lassen wir es?
Aber ja: Der kahle Berg sieht so abweisend aus, dass sie da lieber nicht hochgehen (auch wenn das am Ende der weniger gefährliche Weg wäre). Zumindest Amos geht sicher lieber über die Almwiese.

Ausgesetzt war es wohl.
Das Fette irritiert mich. Ist das Schweizer Idiom? Keine Ahnung, es sagt mir absolut nichts.
Das heißt "exponiert". Aber exponiert klingt nicht so gut, finde ich, und ich bin auf die Übersetzung auch erst jetzt gestoßen, als ich nachgeschaut habe, wie ich das am besten erkläre.

Anderswo auch nicht – sollte ich bis hierher aufmerksam gelesen haben.
Stimmt einerseits, andrerseits hat Davina weiter oben oder viel mehr weiter unten ständig was zu lachen gehabt. Nehmen wir mal an, dass Amos sich schon auch darum bemüht hat, sie bei Laune zu halten.

... konnte sich fassen und bald schon balancierte er seine Schritte nicht mehr aus, als ginge er auf einem Seil.
Lieber Erzbischof – vielleicht ist das süddeutsch-schweizerisch, aber glatt liest sich das für mein Leseempfinden nicht.
Hm, da komme ich, fürchte ich, nicht darauf, was dich irritiert. Immerhin die einzige Stelle, wo ich auf dem Schlauch stehe, soweit verstehen wir uns.

Dieses ‚prunkten’ empfinde ich als unpassend
Ich bisschen verspielt, zugegeben. Ich dachte wegen der roten Farbe neben dem dunklen See.

Ein Hund für viele Höfe?
Es bellt grad nur einer.

Wie ich Amos kenne, wird er mit einer Weinbeere schon ausgelastet sein, aber eine ganze Traube?
Das finde ich knifflig. Du hast natürlich völlig recht. Andrerseits ist "Weinbeere" so ungebräuchlich, dass ich mich scheue, das Korrekte hinzuschreiben.

Manschette? Ist das nicht ein bisschen sehr vorgestrig?
Ist ja ich eine Jacke wie aus Opas Zeiten.

Zwei Kleinigkeiten hab ich übersprungen, die kriegst du noch schnell nachgeliefert.
"Nippen": Ich nehme gern ein besseres Wort. Gemeint war: Sie fasst mal eben diese Trittstifte an, setzt vielleicht einen Fuß drauf, und geht dann wieder zurück, weil sie für den Steig nicht ausgerüstet ist.
"Wille zum Verderben": Es gibt ja manchmal das Gefühl, als habe das Schicksal es auf einen abgesehen, gerade weil man etwas tut, was man nicht sollte. Kennst du nicht? Jedenfalls war das so in der Art gemeint. Und diesen Gedanken möchte der Amos gerne wegschieben.

Herzlichen Dank fürs Vorbeischaun und akribische Bekritteln.
Besten Gruß
erdbeerschorsch


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Hi Geschichtenwerker,

es gibt ja Leute, die schimpfen, wenn man eine Geschichte kommentiert, ohne sie ganz gelesen zu haben, und da will ich dir mal gleich sagen, dass du das bei mir nicht zu befürchten hast. Ich mache das nämlich auch gelegentlich ganz gern, und ich finde das auch sinnvoll, weil eine Teilrückmeldung immer noch mehr ist als gar keine.

Deinen Eindruck vom ersten Absatz kann ich nun natürlich nicht wegdiskutieren. Ich werde dich aber gleich mal so führen, dass du mir hoffentlich abnimmst, ich habe dich an Davinas Hand gehen lassen.

Davina fühlt die kühle Luft unten im Tal (vom Berg aus sehen kann man sie ja nicht), geht über das Moos zum Bach, und zwar gerade da, wo sie und er Sonne sein kann, sieht das Wasser aus der Nähe perlen und findet das so anziehend, dass sie das Wasser berühren möchte. Und dann kommt Amos, das stimmt, da ist ein Wechsel. Allerdings steht Amos ziemlich nah bei ihr, deswegen scheint mir das nicht so schlimm.
Allerdings muss ich gestehen, dass ich an der Umstellung, die ich vorgenommen habe, nach deiner Beobachtung wieder zweifle. Ob durch sie etwas besser geworden ist, war mir eh nicht so ganz klar aber jetzt fürchte ich, es könnte sogar schlechter geworden sein. Mal kucken.

Vielen Dank für's kurze Vorbeischauen aus der Zurückgezogenheit.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch,
mein Kompliment!!! Deine Geschichte hab ich sehr gerne gelesen! :-)
Mein Lieblingssatz: "Witze fielen Amos hier oben nicht ein." Das hat was.
Einziger Kritikpunkt vielleicht ist der Kontrast zwischen der altertümlichen Sprache (Syntax, Vokabular) und der WG.
Seit wie vielen Jahrzehnten gibt es schon WGs? Da haben die Leute nicht mehr so gesprochen, oder? Ich kannte jedenfalls ein paar Wörter nicht, z.B. schrofig und Wiesengrad.
LG, Anne

 

Hi Anne49,

herzlichen Dank für denen freundlichen Kommentar! Dein Lieblingssatz ist auch einer von meinen :)

Altertümlich finde ich die Sprache allerdings eigentlich nicht, speziell "schorfig" und "Wiesengrat" nicht. Bei letzterem kann dich eventuelle sogar ein Tippfehler auf die falsche Fährte gelockt haben, den ich dank dir entdeckt und inzwischen korrigiert habe. Ein gewisses Echo aus Zeiten, in denen Amos' Jacke (er hat sie geerbt) noch modischer war, streite ich hingegen gar nicht ab.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch,
ach das erste ist auch ein Tippfehler! Schrofig soll also schorfig heißen. Das Wort kenne ich. Und Bea Milana hat sich in ihrem Kommentar schon gefreut, dass sie ein neues Wort gelernt hat.
Viele Grüße
Anne

 

Hola Erzbischof,
nur ein kleiner Nachtrag:

Zitat von josefelipe
... konnte sich fassen und bald schon balancierte er seine Schritte nicht mehr aus, als ginge er auf einem Seil.
Lieber Erzbischof – vielleicht ist das süddeutsch-schweizerisch, aber glatt liest sich das für mein Leseempfinden nicht.
Erdbeerschorsch: schrieb:
Hm, da komme ich, fürchte ich, nicht darauf, was dich irritiert. Immerhin die einzige Stelle, wo ich auf dem Schlauch stehe, soweit verstehen wir uns.
Aber auf einem Seil balanciert man ja gerade seine Schritte aus!

Deshalb besser: ... wie man es auf einem Seil gemacht hätte.

oder

... konnte sich fassen und musste seine Schritte nicht mehr ausbalancieren wie auf einem Seil.

Ich hoffe, dass Dir jetzt einleuchtet, was ich meinte.

José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi josefelipe,

Schön, dich ein zweites Mal zu begrüßen.
Und ja, das leuchtet mir jetzt ein. Ich denke aber, mir gefällt die schlankere Form trotzdem besser. Die dürfte nicht falsch sein, aber zweideutig. Ich versuche mal, die Zweideutigkeit zu veranschaulichen, ohne die Form zu verändern. Mal sehen, ob das klappt.

Interpretation 1:
"konnte sich fassen und bald schon balancierte er seine Schritte nicht mehr so aus, als ginge er auf einem Seil."

Interpretation 2:
"konnte sich fassen und bald schon balancierte er seine Schritte nicht mehr aus, [nämlich]so als ginge er auf einem Seil."

Ich freue mich über deinen Nachtrag und ich hoffe, du verzeihst es mir, dass ich den Stolperstein erst mal stehen lasse.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

------------------

Hi Bas,

Wie bereits von anderen erwähnt tu ich mich mit dem Einstieg ein bisschen schwer. Zu viele Aufzählungen.
Etwas richtig Kluges ist mir noch nicht eingefallen, aber ich habe den Satz, der mal hier und mal dort stand, jetzt ganz rausgenommen. Den braucht es eigentlich nicht.

Ist das irgendwie verständlich?
Irgendwie - schon. Aber natürlich nicht ganz glasklar, weil du ja auch selbst schreibst, ein Urteil falle dir schwer. Ich picke es mir jedenfalls frech als ein Kompliment heraus, dass du dich von der Geschichte noch abends in den Schlaf hast wiegen lassen. Jedenfalls - wenn das nicht anmaßend ist - freue ich mich heimlich über das Durcheinander, das ich bei dir angerichtet habe und wünsche mir und dir, dass es noch eine Weile anhält. :schiel:

Herzlichen Dank für's Vorbeischauen!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorch,

auch mich hat deine Geschichte begeistert. Wieder ein "Held", der es nicht leicht mit sich hat. Und eine Heldin, die ihn zunächst dazu verlockt über sich hinaus zu wachsen, dann aber den Bogen überspannt. Beim Lesen war seine Blockade für mich schon körperlich spürbar, wie ein Kloß in der Kehle, diese Mischung aus Angst, Sehnsucht und Scham, mit der er sich lahmlegt.

Stand nur da, so wie er auch vorhin nur dagestanden hatte, als sie dort oben wieder um den Fels gekommen war, sie nicht erleichtert in seine Arme genommen hatte, nicht in die Knie gegangen war, vor Freude, dass ihr nichts geschehen war, ihr nicht gesagt hatte, wie mutig sie sei, ihr nicht gesagt hatte, dass er sie liebte.

Geradezu erleichternd finde ich, dass zumindest einmal gesagt wird, wie es hätte sein können. Das ist total rührend.

Besonders gefällt mir an deiner Art zu schreiben, dass du so dicht an die Figuren herangehst, so sensibel und genau beschreibst, dass sie wirklich anfangen zu leben.

Amos hob die Arme, wie um sie zu sich herzuziehen, als sie sich über die Trittstifte mit den Füßen abwärts tastete. Mit den Augen zog er sie zu sich, ging ihre Bewegungen mit, damit wirklich nichts schiefging. „Huhu“, rief sie, noch bevor sie wieder festen Boden unter sich hatte, und Amos wünschte dringend, sie würde nicht winken.

Hier zum Beispiel, wunderbar.

Interessant finde ich auch, wie die Geschichte zum Ende hin eine Steigerung erfährt, ihre immer krasseren Versuche ihn wiederzubeleben auf eine immer weiter fortschreitende Erstarrung bei ihm treffen. Bis sie aufgibt und damit wenigstens einen kleinen Impuls bei ihm auslöst.

Am Wagnerplatz könne er sie rauslassen, sie nehme die Bahn. „Nein“, sagte er. „Doch“, sagte sie und schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihm herüber.

Auch das Ende ist absolut gelungen.

Als sie ausstieg, drehte sie sich nicht mehr zu ihm um. An der Kreuzung musste sie warten. Amos legte die Hand an den Türgriff, da sprang die Ampel auf Grün. Schnell stieß er die Tür auf und spürte hart den Ruck des Sicherheitsgurts vor seiner Brust. Er ließ sich wieder in den Sitz fallen und sah durch die offene Tür Davina nach, die auf der anderen Straßenseite die Rolltreppe betrat. Sie hatte noch immer seine Basecap auf, die sah er zuletzt.

Ist alles nochmal drin. Und sie hat seine Basecap mitgenommen, allein schon das Spiel und die Bedeutung dieser Mütze hast du wunderbar eingesetzt. Anfangs noch, als sie ihm die Mütze klaut, eine Herausforderung zu mehr Körperlichkeit, die er annimmt. Am Ende, als sein Selbstvertrauen futsch ist, nur ein weiterer Beweis seiner Hilflosigkeit. Dann nimmt sie die Mütze mit und damit ist noch was offen zwischen den Beiden. Raffiniert. Irgendwie hat sie so auch seinen Schutz, seine Tarnung geklaut.

Ein bisschen hat mich wieder die Frage der Perspektive irritiert, wie auch schon in deiner letzten Geschichte. Eigentlich ist die Geschichte ja aus seiner Sicht erzählt und ihr Verhalten wird auch aus seiner Sicht beschrieben. Und dann gibt es da diese Stellen.

Es sah so aus, als wollte sie dort nur einen Augenblick verweilen, am Beginn des Steigs nippen, dann zurück. Sie dachte es selbst. Doch dann ging sie langsam immer weiter.

Verwundbar wie ein Kind erschien er ihr, das man dafür im Arm halten und an sich drücken will.

Hier ist es ihre Innensicht. Darf man das? Im Grunde finde ich auch diese beiden Sätze tatsächlich entbehrlich.

Also wieder eine Geschichte, die ich sehr, sehr gerne gelesen habe.

Herzliche Grüße von Chutney

 

Hallo erdbeerschorsch,

eine feine Geschichte. Ein Kerl, der sich nicht traut, weder in der Liebe, noch beim Klettern. Das wird spürbar, transportiert der komplette Text allein aus der Handlung heraus. Eine Frau, die abwägt, spielt und ihn allein zurück lässt. Zwischen den beiden fließt es, aber die Richtung ist unterschiedlich. Der Text gefällt mir, zeigt diese Spannungen, zeigt die Einsamkeit und enthält durch das Bergpanorama eine weiter Ebene, die mit der Handlung korrespondiert. Sprachlich finde ich es weitgehend gelungen, einige Stellen sehr luzid und poetisch, an anderen könnte man arbeiten (siehe unten).

Ein Bach perlte weiß über große Kiesel.
bisschen schräg, aber sehr schöner Satz :Pfeif:

und sich die Mütze wieder fangen musste.
müsste es nicht eher schnappen heißen?

Er schlief schlecht, weil er lebhaft vom Glück träumte.
wunderbarer Satz :thumbsup:

Da war sie ja ganz nah, die sichere Welt, auf der man gehen konnte, wie man wollte, ohne darauf achten zu müssen, wie man die Füße setzte. Gar nicht weit war sie.
auch das ist ein schön fließendes Gefüge.

Da protestierte er
Da stieg sie die Stahltreppe hinauf,
auch in der Folge wieder und wieder Sätze, die du mit "da" beginnst, ist mir zu viel, verliert die Wirkung auf Dauer, würde ich überdenken.

Diese Eisenstäbe brechen nicht plötzlich weg, nur weil es tief nach unten geht.“ Sie lachte: „Die merken das gar nicht. Das musst du dir klarmachen. Das ist die Kunst.“
hier zeigst du die Intention (so wie ich es lese)

„Weißt du“, sagte sie, „ich bin so normalerweise nicht.“
dastimmt was nicht, hier verlierst du den Sound

„Almöhi-Jacke.“
:D

liebe Grüße und guten Start ins Wochenende
Isegrims

 

P.S. Ich mag auch den Titel sehr. Ein tolles Bild für seine Situation in dem Moment, als er auf sie wartet

 

Hi Chutney,

wie schön, dich auch hier wieder begrüßen zu dürfen. Zumal mit einer so freundlichen Beurteilung und eingehenden Charakterisierung der Geschichte. Besonders erfreulich, wenn man aus so einem Kommentar selbst etwas über die Geschichte lernen kann. Und da meine ich meine nicht Verbesserungsvorschläge, das sowieso, sondern den Blick auf den Text. Nicht etwa, weil du einen anderen Blick darauf hättest, als ich, aber so wie du durch die Geschichte durchgehst wird mir manches selbst noch einmal deutlicher.


Ein bisschen hat mich wieder die Frage der Perspektive irritiert, wie auch schon in deiner letzten Geschichte.
Bei dieser Geschichte hier war mir von vornherein klar, dass ich eine Art Perspektivwechsel nicht vermeiden kann, denn während dem Herumtappen auf dem Gebirgspfad muss man bei Amos sein, später aber mehr bei Davina, wenn sie versucht, ihm eine Reaktion zu entlocken. Ich finde es schon mal ganz gut, dass das nicht an anderen Stellen störend aufgefallen ist.

Es sah so aus, als wollte sie dort nur einen Augenblick verweilen, am Beginn des Steigs nippen, dann zurück. Sie dachte es selbst. Doch dann ging sie langsam immer weiter.
Verwundbar wie ein Kind erschien er ihr, das man dafür im Arm halten und an sich drücken will.
Im Grunde finde ich auch diese beiden Sätze tatsächlich entbehrlich.
Das ist ein guter Hinweis, muss ich überlegen. Der erste Satz könnte wahrscheinlich ganz gut weg. Ich dachte mir halt, das wäre hübsch, um zu sehen, wie die Idee erst so langsam kommt, da hochzugehen, dass sie nicht zielstrebig auf diesen Steig zu steuert.
Beim zweiten Satz bin ich mir weniger sicher, aber ich kann gerade schwer erklären, warum.

Herzlichen Dank also für's Lesen und Kommentieren!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

----------------------

Hi Isegrims,

schön, dass du vorbeischaust und schön, dass dir der Text gefallen hat! Ich freue mich über deine Detailanmerkungen. Am leichtesten über die lobenden, aber letztlich fast mehr noch über die kritischen - vor allem in diesem für mich unterm Strich sehr günstigen Verhältnis.

"fangen" - "schnappen": Ich würde sagen, ich probier's einfach mal aus.

auch in der Folge wieder und wieder Sätze, die du mit "da" beginnst, ist mir zu viel, verliert die Wirkung auf Dauer, würde ich überdenken.
Guter Tipp! Kuck ich mir an.

da stimmt was nicht, hier verlierst du den Sound
Muss ich mich noch mal reinhören, im Moment kommt es mir unproblematisch vor.

Herzlichen Dank und besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber erdbeerschorsch,

wenn ich mir deine Repliken zu den verschiedenen Kommentaren so anschaue, dann bewundere ich, wie charmant und geschmeidig du parierst. Ich habe allerdings den Eindruck, dass es dir - wie den meisten von uns - sehr schwer fällt, dich von deinen 'Darlings' zu trennen.

Zum Text:
Eine wirklich schöne Geschichte, deren Thema und seine Ausführung mir gleich beim ersten Lesen sehr gefallen haben. Du schaffst es, mich mit dieser Geschichte gefühlsmäßig zu erreichen. Ich verfolge die Bemühungen Davinas und stehe fassungslos vor diesem Amos, der es nicht schafft, über seinen Schatten zu springen. Eine gute Idee und sehr stimmungsvoll romantisch ausgeführt.

Beim zweiten Lesen habe ich mehr auf die Feinheiten des Textes geachtet und da sind mir natürlich auch einige Sachen aufgefallen, die von anderen hier schon angemerkt worden sind: die recht einheitliche Syntax am Anfang, die hin und wieder befremdliche Wortwahl, der kreative Umgang mit der Perspektive, die Bilder, die manchmal nicht so recht funktionieren. Aber es ist dein Text und wenn du das Wörtchen ‚nippen’ als Ersatz für ‚wippen’ wählst und beibehältst, dann muss ich als Leser das so schlucken, auch wenn ich jedes Mal wieder darüber stolpere.

Wie gesagt, die meisten Steinchen, die auch mir beim Lesen im Weg lagen, sind schon benannt worden.

Deshalb nur noch zwei Sachen, die mir zu denken gaben:

Er schlief schlecht, weil er lebhaft vom Glück träumte.

Hier, so finde ich, hat der Autor es sich ein wenig leicht gemacht, indem er diese lange Nacht mit ihrem Schweben zwischen Fantasie und Realität so einfach und fast lapidar mit ‚lebhaft vom Glück träumen’ abhandelt. Du gibst damit das, was wirklich in Amos vor sich geht, in die Hand des Lesers und überlässt es seiner Vorstellung und Fantasie. Dieses ‚lebhaft vom Glück träumen’ hört sich glatt und angenehm an, doch ich überlege, welches Bild mir hier eigentlich vermittelt werden soll. Du hättest auch schreiben können, ‚Amos träumt lebhaft von der Liebe’, es wäre inhaltlich genauso weit gefasst gewesen.

Und noch etwas zum Anfang deiner Geschichte:

Diese ersten drei Absätze sind ja schon mehrfach angesprochen worden. Auch ich hatte mit ihnen meine Probleme. Zuerst stolperte ich natürlich über die Syntax der ersten Sätze, dann aber auch über ein inhaltliches Problem:

Du beginnst deine Geschichte mit der romantischen Beschreibung des morgendlichen Sonnenaufgangs:

Die morgendliche Luft stand kühl im Tal. Der moosige Boden duftete noch feucht. Ein Bach perlte weiß über große Kiesel. Die Sonne war noch kaum über die Hänge gestiegen, warf hier aber einen hellen Fleck auf den Uferstreifen und Davina spürte die erste Wärme auf der Haut. Sie kniete auf den runden Steinen und legte die Handflächen aufs Wasser. Ihre Haare leuchteten wie eine Krone im Gegenlicht.
Ganz in Ruhe kniet Davina hier am Bach, lässt sich fotografieren und springt dann die Böschung hinauf.

Sie tat, als wollte sie sich nicht fotografieren lassen, ließ sich bitten, bevor sie es zuließ. Drei, vier, fünf mal [Drei-, vier-, fünfmal] drückte Amos auf den Auslöser. Dann rannte Davina auf ihn zu, legte ihm die nasse Hand an den Nacken und schob sie lachend tief zwischen die Schulterblätter, direkt auf der Haut [wieso hier Dativ nach 'legen auf' bzw. ‚schieben auf’?], dass er zusammenzuckte, und sprang an ihm vorbei die Böschung hinauf.

Nach dieser Szene folgt der Rückblick auf den vorhergehenden Abend und die Nacht.

Und dann lese ich, dass die beiden vor Sonnenaufgang frühstücken und gleich danach zügig aufbrechen.

Sie frühstückten vor Sonnenaufgang, setzten sich in ihren Jacken auf den Balkon, damit sie die anderen nicht störten, und brachen zügig auf. Vom Parkplatz liefen sie geradewegs los.

Wann und wo spielt diese Szene am dahinperlenden Bach? Nach dem gemeinsamen Frühstück? Dann müsstest du sie vielleicht ein bisschen klarer einordnen. Und für mich passt dann auch das ‚zügig’ und das 'geradewegs' nicht so recht. Du wirst es mir sicher erklären können.

Doch das sind, wie viele andere unserer Anmerkungen, nur Kleinigkeiten und Korinthen einer ansonsten zu Herzen gehenden Geschichte.

Liebe Grüße
barnhelm

 

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