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Allahs falsche Diener
Die Tigerin in Menschengestalt erschien lautlos, ein Wirbel von Körper und Geist, außen und innen. Leicht überwand sie den Widerstand des Raums und der Zeit, landete genau dort, wo sie es beabsichtigt hatte. Schweigen. Stille. Sie schliefen alle. In das Zimmer der Villa drang weder Licht noch Laut. Da war ein befehlender Gedanke, ein Augenblick der Stille vor dem Sturm, bevor die dunkle Gestalt an das Bett herantrat. Friedlich schlief das Sarazenenkind, zart, klein, sterblich. Ein Junge, fast ein Mann. Sie beugte sich zu ihm hinunter.
Schnell und zielsicher setzte sie ihm den Dolch ans Herz. Die Luft war schwer vom Atmen des Sterbens. Wie von selbst wuchs eine blinde Dunkelheit aus ihr hervor, die dürstend nach seiner Furcht, seinem Entsetzen, seinem letzten süßen Lebenshauch griff. Der uralte Hunger suchte ihre Seele heim, übermannte sie grausam brennend, ließ ihre Kräfte auflodern und ihr Opfer nur durch ihre Gedanken in den tiefen Schlaf des Todes schleudern. Die Klinge half nach.
Sein letzter Traum flog an ihr vorbei.
Seine Unschuld zwang sie auf die Knie.
Zum ersten Mal seit all den Jahrhunderten sah er Tränen über ihr mondblasses Gesicht rollen und ein silbernes Glitzern in ihren smaragdgrünen Augen, die ihn in eine schwarze Tiefe hinabzuziehen vermochten. Und zum ersten Mal wagte er eine Berührung, fuhr mit seinem kühlen Zeigefinger, die feinen Linien ihrer Trauer nach. Sie wich nicht vor ihm zurück. Javeed war kurz erstaunt, wie weich und warm ihre Haut war. Immer wieder vergaß er, dass sie nicht von der gleichen Art waren.
„Ich will zurück in meine Heimat.“
Ihre Stimme klang sehnsuchtsvoll und fest, hell und weich, als würde das Mondlicht selbst in ihr widerklingen. Ihr Haar fiel über die Schulter des weißen Beduinenkleides, wallte ihren Rücken hinunter in der Farbe dunklen Weines, während sie im Kerzenlicht am Fenster stand und einen Ort suchte, den sie nicht kannte, geboren als ein Geschöpf der Sonne und der Wüste. Sie wusste nicht, ob sie daran glauben konnte, dass es hinter dem unsichtbaren Horizont eine bessere Welt gab. Kalt wirkte sie nun und hart, wohl wissend, dass Tränen ihre Wunden nicht heilen konnten.
Den Mond hatte der Meister einst in ihr Herz gerufen, genau wie er es war, der den Hunger ihrer Seele entfesselt hatte und somit das schuf, was sie jetzt war. Seine Dienerin.
„Ich bin nicht deine Dienerin.“
Schamlos las sie in ihm. Plötzlich spürte er ihre Gedanken hinter der Stirn wühlen, forschen. Schnell verschloss er seinen Geist.
„Ich bin deine Heimat“, antwortete er kühl.
Seine Hand wich herab. Dann faltete er beide hinter seinem Rücken zusammen, wie er es immer tat. Javeed wirkte feierlich und nachdenklich, war von persischem Schwermut und hatte einen düsteren Glanz in seinem farblosen Gesicht, der den Jahren und den bösen Erinnerungen stand gehalten hatte. Er hatte nie etwas von seiner Unwiderstehlichkeit verloren, in einer makellosen Schwebe zwischen Jugend und Alter. Es war ihre Geißel, dass sie sich so oft nach diesem schönen Mann sehnte, blass, melancholisch, arrogant und schrecklich. Für diese anmaßende Forderung nach Freiheit hätte er ihr Nase und Ohren abschneiden und ihren Leib an der Mauer der Feste ausbluten lassen können, wie er es immer mit widerstrebenden Gemütern tat. Seine Wachen standen an den beiden Flügeltüren, vier Jünglinge mit Augen, die nur das Paradies sahen, das Javeed ihnen versprochen hatte für den Preis des Blutes. Er wurde verehrt wie ein Prophet und Anführer, erzählte ihnen von seinem Gott und dem ewigen Leben. Sie waren ihm bedingungslos ergeben, obwohl sie wussten, dass er kein Mensch war und unberechenbar. Er lehrte sie eine bizarre Mixtur aus Islam und der Verehrung seines eigenen dunklen Wesens, es war eine Zerrgestalt des Glaubens, die wenig mit dem Tiefsinn Mohammeds und viel mit der Herrschsucht Javeeds zu tun hatte. Ihre Augen waren moorige Höhlen, die alles, was aus dem Mund des Meisters kam, mit zähnendem Eifer verschlangen. Ihresgleichen wimmelte überall in seiner Wüstenfeste, standen bereit. Doch Azadeh, die Selbstverfluchte, war viel zu brauchbar, viel zu tödlich. Ohnehin war niemand in ganz Persien fähig, sie umzubringen. Abgesehen von ihr selbst. Die Wächter stellten keine Gefahr dar.
„Du bist mein Eigen, meine Sklavin, wie du dich selbst nennst. Jetzt komm her zu mir und gib mir, was ich will.“
Javeed gab seiner Jägerin mit einem Blick aus seinen dunklen Augen, die wie schwarze Brunnen im Schnee seiner Haut gierig glänzten, zu verstehen, dass sie sich ihm vollkommen unterwerfen musste. Immer wieder. Azadeh gehorchte, denn sie kannte es nicht anders. Es war ihre Welt, unter leergetrunkener Gewohnheit verschüttet. Sie folgte seinem Befehl erhobenen Hauptes, entblößte ihr Handgelenk und gab ihm, was er wollte. Dies war seine Art von Demütigung, denn ohne Notwendigkeit trank er von ihrer Unsterblichkeit, von dem Feuer, das ihm fehlte als ein Wesen der Nacht. Seine Zähne durchdrangen ihre weiche Haut. Er saugte stark, lüsternd, erregt. Verlor für einen Augenblick die Kontrolle über sich selbst. Dann gewann er die Fassung zurück, ließ von ihr ab, leckte sich über die seidigen Lippen.
Er wähnte sie geschwächt, doch war noch nicht zufrieden. Sie trat näher an ihn heran und zog den Dolch, die Klinge schimmerte blutig, der Beweis ihres Gehorsam. Er blickte sie an und lächelte fast. „Das hast du gut gemacht.“
Sie trat hastiger zurück, als sie es beabsichtigt hatte. Ihr Herz klopfte wild. Langsam grub sich ein Traum in ihrem Bewusstsein empor, eine Idee, ein Plan. Sie hatte das Sklaventum satt. „Das ist jetzt vorbei. Ich werde nie mehr für dich töten.“
Azadeh weckte das Feuer in dem Metall, die Waffe fiel zu Boden.
„Soweit ich mich erinnere“, erwiderte er gelassen, „hast du mich angefleht, deinen Schwur anzunehmen, mit dem du dich auf ewig an meinen Willen gebunden hast.“
Javeed liebte die Art, wie sie sich gegen seine Ketten wehrte. Gleichzeitig war sie williger als jedes Wesen, das er zuvor zu nutzen versucht hatte. Keines hatte ihm den Weg so einfach gemacht. Sie war so schuldig, so hungrig, dass sie seine Köder fast schon gierig erwartete. Die Jägerin wehrte sich, ja, aber es waren keine ehrlichen Versuche. Leicht war er nicht einzuschüchtern.
„Ich halte deinen Namen im Siegel der Macht,“ drohte er und hob das uralte Siegel an einer feinen Kette in Azadehs Blickfeld. Das Schmuckstück schimmerte in seiner Hand. Es war von ihr durchdrungen: ihrem Eid, ihren langen Jahren des Sklaventums, ihrem Glauben, ihrer Sehnsucht. Azadeh hatte dem Siegel Macht gegeben. Niemand, außer ihr selbst, konnte sie ihm nehmen. Und wenn das Siegel brannte, würde auch sie brennen.
Azadeh hatte auf das Siegel des heiligen Salomos geschworen, auf die Mission und auf ihren Meister Javeed Ibn Jahandar. Sie versuchte zu sehen, dass die Bande durch sie selbst entstanden waren, dass sie sie lösen konnte, wenn sie den Willen und die Kraft aufbrachte. So, wie der Traum des Jungen es gezeigt hatte.
„Ich habe meine ganze Macht in deine Hände gelegt und dich Herr genannt, als dein Werkzeug für die Mission. Doch du“, fuhr sie rauh vor Verachtung fort, „bist zu sehr damit beschäftigt, das Kommen deines eigenen Reiches zu feiern. Du lässt willkürlich töten, was deinen Plänen im Wege steht und ergötzt dich an dem Leid und der Furcht anderer, nicht für das, an was wir einst glaubten, sondern nur für dich.“
Es war die Wahrheit. Seitdem er von der Bitternis des Leides und der Qual anderer gekostet hatte, war Javeed verschwenderisch geworden. Er schlachtete so viele Menschen bei seinen Gelagen, dass der Sand seiner Heimat von all dem Blut schwarz und schlammig wurde. Der Ruf seiner zügellosen Freßgier umgab ihn mit einem grausamen Glanz aus Wirren und Schrecken. List und Kraft und Kälte brannten in ihm.
„Willst du, Ifrita, die die Seelen anderer trinkt, die so zahm für mich mordet, willst du mich etwa in unserem Glauben unterrichten? Mich, der dich alles lehrte, was du weißt?“
Er würde sie niemals gehen lassen. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Ihre Augen waren zu weiß, zu blass. Azadehs Eid trug sie, gab ihr Mut, genauso wie er sie innerlich zerriss. Außer Javeed gab es niemanden. Alle Gesichter vor ihm waren unkenntliche Brandflecken in Azadehs Erinnerung. Ausgelöscht. Die Herzen, die sie gekannt hatte, waren von der Zeit verbrannt oder von der Mission verzehrt worden.
Javeed hatte Azadeh aufgenommen, sie genährt und sie alles gelehrt über die Finsternis, die Propheten und das Leben. Er hatte sie auch gelehrt, sich ihr Element zu Nutzen zu machen. Woher er dieses Wissen besaß und wer es ihm beibrachte, hatte Azadeh nie erfahren können. Vor langer Zeit fand sie heraus, dass ihr Meister nicht die Fähigkeit hatte, ein Element zu beherrschen. Sie hatte nicht lange gebraucht, um zu merken, was Javeed war. Aber seine Vergangenheit blieb vergraben, verharrte in einer unerreichbaren Gruft.
Jetzt war sie soviel älter, kannte ihn viel besser. Jetzt glaubte sie, dass nicht einmal Javeed selbst den Schlüssel zu dieser Gruft besaß, geschweige denn wusste, auf welchen verschlungenen Dunkelpfaden sie zu finden war.
„Ein gläubiger Vampir, dass ich nicht lache“, spottete sie bitter. „Er war noch ein Kind, Javeed! Er war so jung wie ich, als du mich zu dir nahmst. Sein Tod dient nicht der Mission, sondern nur der Befriedigung deiner Habsucht. So viele. So viele, Javeed!“
Für beide war es ein quälender Tanz aus Vorstoß und Rückzug, Stolz und Wille, Hass und Zuneigung, Verachtung und Bewunderung, wie ein stummes Kreischen scharfen Stahles, in einer fast bewegungslosen Harmonie aufeinander prallend. Es war ein Kampf um Macht und Freiheit, im Innern wild und glühend, äußern kühl, geführt von zwei gespaltenen Wesen, die beide nicht einsam sein wollten.
„Er wäre bald ein Mann geworden, ein Ungläubiger, ohne Zweifel, dich zu töten, wenn es denn möglich wäre. Der Tod hat keine Achtung vor dem Alter.“
Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid Sterblicher übertraf sogar den zähen Nebel seines abwegigen Hochmuts, den er leuchtend und grausam um sich selbst webte, um all die und all das fernzuhalten, was ihm nahe kommen konnte. Vielleicht waren sie verdammt dazu, rastlos und unersättlich die Welt zu erobern, Seelen zu rauben, einige zu fressen, andere für eine kurze Zeit zu behalten. Vielleicht war die Idee der Rebellion nur ein Traumgebilde. Vielleicht gab es keine Entscheidung.
Ihre Katzenaugen blickten tief in ihn. Sie sahen viel zu viel. Sie sahen, wie er den Hunger einstmals in ihr entfesselte. Es war ein Fluch, den Javeed ihr ungefragt auferlegt hatte. Ihr Herr gab Azadeh die Lust an Tod und Trümmern, ein unaufhörliches Verlangen, die Seelen kurz vor dem Verlöschen einzuatmen, mit der ganzen Fülle des Daseins prall gefüllt und chancenlos. Immer war Azadeh hungrig. Und sie teilten diesen Hunger, obwohl er ursprünglich zu seiner Art, nicht zu ihrer gehörte. Für ihn war es der warme Saft der fassbaren Sterblichkeit, der ihn am Leben hielt. Für sie, die letzte Süße des Schmerzes vor dem Tod, die sie wie Honig aus dem Geist ihrer Beute trank. Nie endete der Hunger, nie war ihre Gier befriedigt, nie half es lange gegen die Leere in ihnen.
Sie war auch jetzt da. In diesem Moment.
„Gib mich frei.“
Es waren drei einfache Worte, doch das Gewicht der Vergangenheit ließ sie schwer zwischen die Unsterblichen fallen. Sicher gab es einen Grund dafür, dass sie sich begegnet waren und nun miteinander verbunden. Eine fast unmögliche Ähnlichkeit irrlichterte unter ihnen. Eine gegensätzliche Bedingtheit. Er hatte ihren Sinn geformt und dafür einen Teil seiner Seele bei ihr zurück gelassen. Jetzt wendete seine Schöpfung sich gegen ihn. Er blickte sie lange an. Sie stand stumm, ließ es über sich ergehen. „Die Welt ist ein Grab, Kind. Deine Freiheit würde das letzte Licht, das letzte Leben in dieser gemütlichen Gruft erwürgen. Egal, wohin du gingest. Du bist, was du bist. Was hast du denn noch, ohne mich? Kannst du alles vergessen, was du bist und was du getan hast? Den Hunger? Die Gier? Die“, er stockte, „Liebe? Willst du dich gegen den auflehnen, der für dich gesorgt hat? War denn je jemand anderes für dich da, als ich?“
Beide kannten die Antworten. Er war ihr Gebieter. Seine Worte schlangen sich um sie, lähmten ihren Verstand, raubten ihre Kräfte. So glücklos. Noch konnte sie umkehren.
Doch ihre Stimme war fest und weder sie noch ihre Augen verrieten Schwäche. Azadeh durchschritt den Zweifel.
„Mit Worten und Waffen? Deine Fürsorge war nie mehr als Trug und Mittel zum Zweck, Javeed.“
So viel Furchtlosigkeit, eine so unerschütterliche Gegnerin hatte er nicht erwartet.
„Du gehörst mir. Dein Wille ist mein Wille, dein Leben ist mein Leben. Widersetzt du dich, binde ich dich für alle Ewigkeit.“
Sie keuchte auf, angesichts dieser Dreistigkeit, dieser Unnachgiebigkeit. „Hältst du dich für Allah, Vampir, dass du über Leben und Tod, Schicksal und Freiheit entscheiden kannst, wie es dir beliebt?“
„Ich bin Allahs Diener und nur durch mich hast du die Wahrheit seiner Worte erkennen können.“
Sie wusste nicht, ob er sich selbst glaubte. Er hatte seinen Geist verschlossen und sie gewährte es ihm. Es fehlte nicht an Übung darin, die Seelen anderer aus dem Dasein herauszulösen, ob es nur ein kleiner Happen oder ein köstliches Ganzes war. Sie hätte mit Leichtigkeit plündernd durch sein Bewusstsein ziehen, es mit ihren Gedanken schänden können, aber sie wartete ab, wollte aus seinem Mund hören, dass es leere Lügen waren, dass er sie gehen lassen würde. Azadeh spürte wachsende Klarheit, je länger sie in seine Augen sah.
Nein. Damit war Schluss. Sie brauchte Javeed nicht, um eine Entscheidung zu fällen, nicht mehr.
„Nein.“ Ihre Stimme war tödlich sanft. „Ich habe Allah gesehen in den Augen des Kindes, das mir seinen letzten Traum schickte, bevor es starb und in diesem Traum war Leben und Freude, nicht Tod und Qual.“
„Du musst dich damit abfinden, dass selbst eine Unsterbliche wie du die Wege Allahs nicht vollkommen durchschaut. Erinnere dich, wo dein Platz ist in der Welt. Du wirst mir dienen. Du hast keine andere Wahl.“
Er schlug sie mit Überheblichkeit. Das war ihre Rettung, deswegen konnte sie ihn hassen. Es war sein Weg die Trostlosigkeit zu verbergen, die trotz seiner Herrschaft, trotz der Blutgelage, trotz dieser anziehenden Augen - greifbar vor ihm -, seine Seele heimsuchte.
Azadeh blieb ruhig. „Du bist machtlos. Du kannst nur drohen. Vielleicht hat Allah mir ein Feuer gegeben, von dem du nicht ahnst, wie stark es ist.“
Von Anfang an war sie ein Feuergeist gewesen, eine Ifrita, eine Dschinn. Heimgesucht und gesegnet mit einem verzehrenden Feuer. Er wusste es, hatte den Samen der Leere in der Dunkelheit ihrer Kindheit gesäht und gehofft, sie möge die Wurzeln niemals finden. Es war eine jahrelange stille Vergewaltigung ihres Wesens gewesen, das mit einem Gewissen beschenkt worden war. Anders als seines. Jetzt war es zu spät. Javeed wusste, dass er sie nicht halten konnte. Sein Blick schweifte in die endlose Nacht, die er so liebte.
„Außer mir ist von deinem Leben nur Asche geblieben. Sonst nichts.“
Azadeh begriff. Es hätte ihr längst bewusst werden müssen. Die Wahrheit, kristallklar, das Licht in ihr. Sie griff danach. Da lag etwas in seiner Betonung, eine Art Endgültigkeit, eine Art Geständnis.
„Du warst es“, murmelte sie. Dann lauter und sehr bedächtig: „Du hast es getan.“
Sie konnte ihn töten, auch wenn sie dafür etwas anderes aufgab. Das, was die Welt erhielt, war so viel größer als das, was Azadeh opferte. Es musste ein Ende haben. Alles.
Sie blickte prüfend auf sein makelloses Gesicht, sah Macht und Terror.
Unsterblichen Schmerz.
Arroganz.
Angst.
Angst?
Sie war weißer, als er sie je gesehen hatte, weiß wie der Tod.
Jetzt löste sich etwas in Azadeh. Sie wollte es sehen und sich doch an das klammern, was sie kannte, so schmerzhaft es auch für sie war.
„Du hast alle verbrennen lassen. Meine Eltern. Meine Brüder und Schwestern. Das Haus. Alles. Nur um mich zu rauben? Mich zu besitzen?“
Er sah ihr nicht mehr in die Augen.
„Es war dein eigenes Feuer, das sie verbrannte. Ich gab ihm nur eine Richtung“, antwortete er. „Lügner“, brach es aus ihr heraus. Die Schärfe ihrer Besessenheit nahm zu. Der Hunger regte sich stärker. „Du wolltest mich formen und besitzen wie einen Falken oder einen Jagdhund. Mich als Meuchler und Blutspender benutzen. Ich muss sehr nützlich gewesen sein. Sehr leichtgläubig.“
Wille und Körper krümmten sich gleichsam. Mit einem Wort der Macht ließ sie seine Wächter verschwinden. Javeed sah fassungslos zu. Azadeh lächelte wild, die Augen von Rachlust getigert. Sie war berauscht von der Freiheit, von dem ersten süßen Hauch des Sieges.
Er fletschte die Zähne. „Wage es nicht, Azadeh!“
„Dir ist nichts geblieben, außer Drohungen, Javeed. Ich löse mich aus deinem Bann. Niemand darf eine Ifrita als Sklavin halten. Niemand darf den Glauben der ältesten Zeit missbrauchen.“
Um es zu glauben, musste sie alles abstreifen, was sie getan und geschworen und wonach sie gelebt hatte. Sie musste sich von sich selbst befreien. Sie musste eine andere sein als Azadeh.
Nein. Nein, es musste anders sein. Jetzt, zum ersten Mal seit ihrer wahren Geburt, konnte sie wirklich Azadeh sein, frei und stark und ... selbstbestimmt. Sie hatte die Ketten um sich gesehen und erkannt, dass sie aus Luft waren. Jetzt tastete sie nach seinem Geist. Er spürte es, ein hungriges Zerren hinter seinen Augen.
„Dann töte mich. Du bist die Einzige, die es könnte. Befreie dich und die Welt von mir, dem ewig Toten. Aber du wirst brennen, wenn dein Schwur brennt.“
Es war Spott und doch nicht. Eine tiefe Sehnsucht nach dem Ende vibrierte in seinem Geist. Er sehnte sich danach, von dem Tod erlöst zu werden, nach dem Augenblick des Friedens, dem endgültigem Ende. Azadeh wollte seinen Wunsch erfüllen. Sie trat nah heran und ließ ihren dunklen Schleier über ihn fallen. Der Schatten ihrer Gedanken brach seinen Geist mühelos.
„Allah“, sagte sie sehr sanft, „Ist nicht Javeed Ibn Jahandar.“
Als sein unbewohnter Körper schlaff herunter fiel, fing sie ihn behutsam auf. Sie dachte an ihre nebelumwobene Heimat, Javeeds letztes Aufbegehren und den fernen Traum des Kindes. Azadeh bereute nichts, als sie im schlimmsten Hunger sich selbst verschlang. Die Flammen
Man gab ihr weder Grab noch Stein, denn so heiß brannte ihr Geist, der aus ihr wich, dass ihr Leib zu Asche zerfiel und wie Rauch davon geweht wurde.