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Omas Messer
Ich bin im Haus, lege die Hand auf eine Wand wie an den Hals eines Pferdes, dem man vorsichtig in die Nüstern bläst; sehe Opa, wie er in den Kamin pustet, um die Glut zu entfachen.
Was ich geerbt habe, liegt verstreut auf dem Küchentisch, zwei Leben verblasst wie die Couch, die orientalischen Teppiche, alles wertlos. Ein Holzelefant mit echten Stoßzähnen. Das Bilderbuch von Opa: Meine Dienstzeit. Mit stolzgeschwellter Brust. Reservist. Und ein farbloses Foto von Oma in den Bergen als Backfisch. Silberlöffel in einer Schatulle. Alte Zeitungen, Bunte und die Illustrierte, vergilbt, gestapelt auf einem Haufen. Muffiger Geruch, obwohl ich durchgelüftet habe … Küchenfenster auf Kipp und Gardinen gelb vom Nikotin.
Mit Opa durch die Felder mit dem Hund, ich erinnere mich an stahlblaue Brombeeren im Sommer. An den weiten Himmel. An den störrigen Efeu vor den Fenstern, der die Hauswand bedeckte, und es war schön. Noch stehen zwei Sträucher ohne Namen. Ich erinnere mich an den Geruch von Kalk und eingemachten Bohnen, unten im Keller, der ausgeräumt ist. An Marmelade, an den glitschigen Gartenschlauch. Fanta, die wir nur hier trinken durften. Oben haben mein Bruder und ich immer ferngesehen, ein Colt für alle Fälle und MTV, während die Erwachsenen unten saßen, an diesem Eichentisch mit Wachsdecke bei einem Likörchen lachend über … über was eigentlich? Fußball, Kohl, Loriot? Wir haben mit Kieselsteinen weiße Pfeile in den Asphalt geritzt, in den Büschen nach Schätzen gesucht. Und ich hatte einen Kassettenrekorder, der mir kostbar war, mit TKKG oder den Drei Fragezeichen drin. Schrecklicher Wecker!
Diese Szene im Kinderzimmer: Mein Bruder hat meinen Rekorder in beiden Händen, wutentbrannt zwischen Weltraumlego und Castle Grayskull – wie Moses mit einer göttlichen Tafel, über den Kopf gestreckt, um ihn auf dem Straßenteppich zu zerschmettern! Wir schreien uns an, mein Bruder kickt ein Matchboxauto weg, dieser jähzornige Teufel – und Mama kommt rein, mit dem Kochlöffel aus Plastik und versohlt uns beiden den Hintern, obwohl ich unschuldig war. Seitdem ist die Welt dunkler, aber ich war ihr nie böse.
Ich packe die Sachen in einen Umzugskarton, klappe die Laschen zu. Urnen und Überreste, was halt so übrigbleibt, ordentlich vergraben und verstaut. Ich seufze. Hole mir einen Kurzen und ein Bier aus dem Kühlschrank, das ich mitgebracht habe, dazu BiFi aus Geflügel, lieber Truthahn als Schweine fressen. Ich setze mich aufs Sofa. Das Alte ist weg, das Neue rauscht wie der Frühling ins Land, heute, genau jetzt könnte ein Neuanfang sein! Aber ich glaube nicht dran. Ich trinke.
Im Flur stehen letzte Kartons. Die guten Möbel holt die Brockensammlung ab, die billigen stehen am Straßenrand bei den Schallplatten, alles Klassik: keine Beatles, kein Elvis, nichts Seltenes, Teures, obwohl meine Mutter ihn glühend verehrt hat. Sie ist in diesem Kaff aufgewachsen. Seltsam, sie im Nähzimmer zu sehen, das damals ihre kleine Welt war, vielleicht mit Postern von Ted Herold oder Audrey Hepburn, sie sah ihr ähnlich – und am Wochenende raus im Opel, ein Firmenwagen, an den algengrünen See. Opa war Konstrukteur von Turbinen. Oma war Sekretärin. Papa war Finanzbeamter, Mama war Bürofachkraft. Heirate nicht die, mit der du feierst. Heirate die, mit der du arbeitest. Und das Ergebnis sitzt jetzt auf dem Sofa mit fadenscheinigem Distelmuster und trinkt Schnaps.
Brauche Geld, es nützt nichts. Ich weiß nicht, auf wie viel ich hier sitze. Erst meine Schulden abbezahlen, dann den Rest ausgeben für … für was eigentlich? Ich starre auf das nussbraune Monstrum von Uhr, die auf der Kommode steht, sie geht noch. Tickt. Tickt. Ein Vogel zirpt draußen, ein Auto fährt vorbei. Die Zeit steht.
Ich denke an Omas Messer, rostig, nicht aus Edelstahl, sondern mit kantiger Schneide, aber so scharf wie eine Rasierklinge. Ich weiß nicht warum. Vielleicht hält die Oxidation die Klinge sauber oder so; alte Schule, wird nicht länger hergestellt. Meine Messer sind stumpf von Zwiebeln, Ingwer, Lauch, Tomaten, Salamiwurst. Von Jungesellenkost und altem Brot. Es liegt noch in dieser Schublade, in der Küche, ganz oben. Im Fach drunter sind Kochtöpfe mit Messingdeckeln gestapelt. Ich stelle mir vor, wie sie es rausgezogen hat, als Opa wieder betrunken und wütend war. Wie Mama daneben stand und alle gebrüllt haben, aufzuhören. Ist das so passiert?
Heute könnte ein Neufang sein, aber nein. Ich nehme mir ein zweites Bier aus diesem Kühlschrank von AEG mit den vielen Kratzern, den Rostflecken; aber er brummt zufrieden.
Dann, plötzlich, ein hartes Quietschen an der Terassentür: Da ist ein Kater, der rein will, beide Pfoten am Glas, scharrend und maunzend. Man sieht seine Klöten, und ich lache. Kam hergestreunt zwischen Spargelbeeten und Birnbäumen. Ich lasse ihn machen, der wird schon müde und verzieht sich, sicher vom Nachbarn, der gerade im gleichen Haus lebt wie ich – in dieser schrecklich öden Wohnsiedung, die der Energiekonzern in den 50ern hochgezogen hat für seine Ameisen. Spüre den Alkohol, ein Kribbeln in den Fingern. Nicht gut, vielleicht das Herz.
Als ich aus der Küche komme, ist der Kater noch da, sitzt auf den Marmorfliesen und schaut mich an mit Augen aus Bernstein. Kusch, sage ich; stelle das Bier auf den Fliesentisch. Mir ist schwindlig, und ich bin müde. Die Tür bleibt zu.
Das Quietschen schreckt mich hoch! Verdammt noch eins, fluche ich – gehe zur Tür und lasse den Kater rein, und er beachtet mich nicht weiter, stolziert an mir vorbei als wäre ich ein Möbelstück, springt auf die Couch, klettert auf ein Kissen, dreht sich, dreht sich erneut, um sich dann gemütlich niederzulassen.
Tout suite, Herr Baron!, rufe ich. Seine Ohren zucken. Rocher dazu? Ich proste ihm zu. Dann sehe ich mich im Wohnzimmer um: leere Eichenschränke für das gute Geschirr, eine Kommode für den Fernseher, der draußen an der Straße steht, diese fettigen Gardinen, diese ganze Tristesse aus Wirtschaftswunder und Kartoffelsalat – und ein altes Sofa, auf dem der Kater schläft. Vom Nachbarn? Ein Streuner?
Habe Hunger. Könnte eine Suppe machen, mit BiFis oder so, auch Maggie ist da, zwar abgelaufen, aber sicher ... unkaputtbar. Jaja. Ich nehme das Messer und gehe raus in den Garten, bücke mich, steche es tief in die Erde, um Spargel abzuschneiden, es knirscht.
Dann habe ich das Messer am Hals, und alles fällt in sich zusammen: Wehrmacht, Aufbau; meine Mutter in den 60ern, noch fröhlich ohne meinen Vater, ohne uns, ohne diesen Kochlöffel in der Hand; wir – als Kinder, die auf Einkaufbeuteln im Schnee einen Hügel runterrutschen. Das A-Team und K.I.T.T., verrauscht auf einem holländischen Sender, gerade so reingekriegt mit der lausigen Antenne auf dem Dach. Der C-64. Amiga. 368. Nie war der Zeitstahl ein Regenbogen, weder Abitur noch Fachhochschule; erst Mädchen, dann Frauen – und dann Heirat, Scheidung. Und. Jetzt. Hocke ich betrunken im Garten meiner Großeltern.
Miau.
Ach, gottverdammt!
Wir haben uns arrangiert: Er kriegt die rechte Seite des Sofas mit den ollen Kissen, er mag den muffigen Geruch, und ich die linke, und ich behalte das Haus mit einer Hypothek. Salami will er nicht. Das Messer liegt wieder in der Schublade, habe den Rost mit einem Putzschwamm entfernt. Manchmal träume ich davon, wie ich mit Benzin durch die Räume laufe und alles niederbrenne. Manchmal kann ich große Kartoffeln ernten.