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Nur fünf Stunden

Challenge 3. Platz
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11.05.2014
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Nur fünf Stunden

Erste Stunde​

Sie setzte sich auf die Rückbank und zog die Autotür zu. Im Wageninneren war es warm. Es roch nach Leder und einem Hauch von Wunderbaum, grüner Apfel. „Hallo“, sagte sie.
Der Fahrer schaute über die Schulter und lächelte. „Juten Tach. Einmal nach Prag?“
Sie erwiderte das Lächeln nicht. „So sieht’s aus. Hauptbahnhof.“
Der Fahrer sah jünger aus als auf seinem Profilbild bei blablacar. Mehr Haare, gepflegterer Bart. Er nahm sein Handy und tippte etwas ein. Grünes Menü, eine blau markierte Straße. „Guugel sacht, nur fünf Stunden. Jute Verkehrslaje.“
„Super“, sagte sie tonlos und sah dann aus dem Fenster. Regentropfen sammelten sich auf der Scheibe.
„Is selten so kurz vor Weihnachten.“
„Hm.“ Sie wollte nicht reden und hoffte, er würde einfach losfahren und schweigen und sie die fünf Stunden nicht nerven. Was machen Sie beruflich? Was wollen Sie in Prag? Haben Sie Familie da? Vielleicht könnte sie sogar schlafen. Wenn nicht fünf Stunden, dann vielleicht zwei. Im Schlaf würde sie nicht an Marisa denken. Und an die letzten WhatsApp-Nachrichten.
I’m so excited to finally see you.
Me too. Can’t wait.

Wieder dieses Ziehen in ihrem Magen. Als hätte sie was Schlechtes gegessen, das unbedingt rauswollte. Stressdurchfall, hätte ihre Mutter gesagt. Und das Gefühl würde bleiben, die ganze Fahrt über. Sie schnallte sich an und lehnte ihre Stirn an die kühle Fensterscheibe.

Der Fahrer startete den Wagen, fuhr los und die Straße zog vorbei. Laternen und Häuser und Autos, verschwommen hinter regennassem Glas. Passanten auf den Fußwegen bloß wandernde Wintermäntel, Schritte schnell, Köpfe eingezogen.
Sie schloss die Augen. Die sanfte Vibration des Wagens, die Wärme der Heizung, der weiche Sitz. Gedanken an Marisa kehrten zurück. Und dieses Ziehen. Sie wollte kotzen, bis dieses Gefühl ihren Körper verließ. Oder zumindest hier raus, aus dem fahrenden Auto springen, alles abblasen.
„Ihr erstet Mal?“
Sie öffnete die Augen und die Welt kehrte zurück. Das Innere schwarz mit einem Fremden am Steuer und draußen nur das Grau. „Was?“
„Ridesharing“, sagte er. „Machense dit zum ersten Mal?“
Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. „Nein.“
„Jute Erfahrungen jehabt bisher?“
„Ja.“
„Nach Prag ooch?“
„Nein. War da noch nie.“
„Schöne Stadt.“
„Hm.“
„Und was machense da? Urlaub?“
Sie atmete tief durch die Nase ein. „Eine Freundin besuchen.“
„Verstehe. Weihnachten unter Freunden?“
„Nur wir zwei.“
Er sah in den Seitenspiegel, setzte den Blinker und bog ab. Die Welt außerhalb des Autos dreht sich um neunzig Grad nach rechts. „Wollense Musik hörn?“
„Nein“, sagte sie. „Ich mag die Stille. Und ich würde gerne schlafen, ja?“
„Stille Nacht“, sagte er und grinste. „Is jut.“

Sie fuhren eine Weile schweigend weiter. In der Ferne ein Hupen, Motorengeräusche überall, eine Straßenbahn überholte von links, quietschte über die Schienen. Sie wurde die Übelkeit nicht los. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie geglaubt, sie wäre schwanger. Hormone am Durchdrehen. Ihr Mund war trocken. Und die Stille wirkte bedrohlich, zwang sie tief hinein in ihre Gedanken, in die Angst.
Vom Rückspiegel baumelte ein Kruzifix. Es schwang sanft hin und her mit den Unebenheiten der Straße. „Sind Sie religiös?“, fragte sie, um sich von dem Ziehen im Magen abzulenken.
Er sah zum Kruzifix. „Manchmal.“
„Manchmal?“
„Kommt drauf an, wasse mit relijös meinen.“
„Glauben Sie an Gott?“
„Sie stellen ja gleich die heftgen Frajen, wa.“
„Warum auch nicht?“
„Na ja, die Leude streiten sich ständich drübber. Muss ick nich ham.“
„Ich will nicht streiten.“
„Sicher? Klingt aber so. Und dit versaut nur die Stimmung hier.“
„Sie könnten mich rausschmeißen.“
Er zögerte einen Moment, musterte sie im Rückspiegel und sagte: „Na dann. Aber ja … schwierich … Ick seh die Tiere und die Pflanzen und dit alles, und da weijere ick mich, dit als Zufall hinzunehmen, wissense?“
„Jemand hat sich also hingesetzt und das alles geplant? Wollen Sie das damit sagen?“
„Na ja, wennse planlos ein Haus baun, klappt vielleicht per Zufall mal wat. Wenn überhaupt, ja? Aber wennse alles durchplanen, ist dit große Janze ziemlich stark, wa. Also, im besten Fall. Wie unsa Planet mit den Vöjeln und Fischen unso weiter.“
„Evolution“, sagte sie.
„Mach sein, aber so perfekt? Ick gloob, dit da ein Plan hintersteht.“
„Ausgetüftelt von einem alten Mann auf einer Wolke?“
„Das sagense immer, wenn ich über so wat spreche. Aber Jott is keene Person. Find ick. Eher wie ein … Enerjiefeld, dit allet zusammenhält.“
„Ein spirituelles?"
„Dit bedeutet oft durchjeknallt, oder? Für mich ist’s eher so dit pure Leben. Mehr als essen und schlafen und nur atmen. Dit große Janze halt.“
„Also doch spirituell.“
„Wennse meinen.“
„Na ja … Kreation nach dem Bauplan einer … was jetzt eigentlich? Kosmischen Energie? Klingt doch eher nach Fantasy.“
Er schnaubte. „Sie streiten sich ja nu doch.“
„Fällt mir nur schwer, so was einfach hinzunehmen.“
„Sind dann wohl eher unrelijös?“ Sie hielten an einer Ampel. Das rote Licht verteilte sich über die Windschutzscheibe, sammelte sich in Wassertropfen wie leuchtendes Blut.
„Ich bin Erzieherin.“
„Is keene Antwort.“ Er musterte sie erneut im Rückspiegel und wartete.
Sie sagte: „Ich habe zu viel Scheiße gesehen, um an einen Gott zu glauben. Oder ein Kraftfeld, was auch immer. Ist ein bisschen schwierig, an Gottes Willen zu glauben, wenn Kinder mit blauen Flecken ankommen, weil Papa wieder gesoffen hat. Oder eine Mutter ihr krebskrankes Kind aus der Kita nehmen muss.“
Bei diesen Worten verzog er das Gesicht. Als hätte er plötzlich Seitenstechen. „Ditwegen bin ick nur manchmal relijös.“
Sie kratzte sich am Nacken. „Religiöse Leute sind mir auch zu … arrogant.“
„Arrogant?“
„Sie glauben, sie hätten auf alles eine Antwort. Den Tod und das alles. Und fühlen sich deshalb allen anderen überlegen. Als wären Atheisten Kinder, die immer wieder heiße Herdplatten anfassen, weil sie es nicht besser wissen.“
„Also ick seh dit nich so“, sagte er. „Ick fühle mich nich besser oder schlechter als Sie. Denk ich. Am Ende is es doch ooch nur meene Sache. Steht ja jedem frei.“
„Im Grunde ist‘s mir auch egal. Sie können glauben, woran Sie wollen. Solange wir heil ankommen.“
„Dit ist der Plan“, sagte er. „Und Sie haben damit anjefangen. Brauchen dann nich sauer werden, wenn Ihnen meene Antwort nich jefällt. Is halt ooch ein schwierijes Thema, ne.“ Die Ampel sprang auf Grün und sie fuhren weiter.
Sie lehnte ihre Stirn wieder gegen die Scheibe. Insgeheim hatte sie gehofft, einen Streit anfangen zu können, herausgeschmissen zu werden. Dann wäre ihr die Entscheidung abgenommen worden, und sie hätte Marisa geschrieben, dass sie an Weihnachten doch nicht in Prag sein könne.


Zweite Stunde​

Die Autobahn. Das graue Band der Leitplanke und dahinter Wälder und Dörfer und Regenwolken. Gelegentlich ein blaues Schild mit Orten und Zahlen. Beim Überholen von Lastern spritzten dicke Tropfen gegen die Fenster und die Frau konnte kaum noch etwas erkennen und was sie sah, war farblos. Als betrachte sie die Welt durch einen Fernseher, die Sättigung gen Null gestellt.
„Warum sindse Erzieherin jeworden?“, fragte er.
„Hat sich so ergeben“, sagte sie.
„Dit is allet?“
„Soll ich Ihnen jetzt meine Lebensgeschichte erzählen, oder was?“
„Warum nich? Wir ham Zeit. Und Musik hörn, wollense ja nicht.“
Sie schwieg einen Augenblick. Das Rollen der Reifen über Asphalt und das monotone Brummen des Motors und das gelegentliche Prasseln von Wasser beim Überholen und überholt werden. Er gähnte.
„Na gut, bevor Sie mich noch weiter nerven. Oder einpennen.“ Sie sah zu den Fichten in der Ferne. Weihnachtsbäume ungeschmückt und roh und wild. So eine hatte im Wohnzimmer ihrer Eltern gestanden. Viele Jahre war es her, dass sie dasaß, ihrem Vater gegenüber, und er hustete und da war ein Rasseln in der Brust und seine Stimme war ganz rau, als er sagte, er sei stolz auf sie. Auf ihr Einser-Abi und die besondere Ehrung auf der Abschlussfeier. Ein schlaues Buch und fünfzig Euro, überreicht von einem kahlköpfigen Mann in Anzug und Krawatte.
Was willst du nun machen? Studieren?, fragte ihr Vater.
Weiß ich noch nicht.
Bist schlau. Du kannst alles lernen.
Kann sein.
Jura vielleicht. Dein Onkel ist doch Anwalt, er kann dir Tipps geben.
Jura ist langweilig.
Hm. Dann vielleicht Psychologie oder so?
Das macht doch auch jeder. Der Markt ist voll mit solchen Studenten.
Aber was willst du denn machen?
Weiß ich noch nicht, okay?
Aber wenn nicht jetzt …
Lass uns einfach den Tag genießen.
Hauptsache, du machst ordentlich Schotter.
Der Vater grinste. Kannst dann ja was rüberwachsen lassen. Meine Rente aufbessern. Dann lachte er. Bis er wieder husten musste. Sein Oberkörper krümmte sich und als der Anfall vorüber war, entdeckte sie Tränen in seinen Augenwinkeln. Er wischte sie weg und atmete tief ein. Wieder dieses Rasseln. Die Mutter kam in das Zimmer, einen Karton in den Armen. Christbaumkugeln und Plastikkerzen und eine Baumkrone in Form eines Engels.
Hilfst du mir beim Schmücken?
Klar.
Ihr Blick verweilte noch bei ihrem Vater. Soll ich dir vorher einen Tee machen?
Passt schon. Der Husten ist immer so schlimm, wenn’s kälter wird.

Ein Jahr später. Weihnachtsfeier im Speisesaal der Uni. Überall lachende Studenten und Glühwein und Weihnachtsmusik. All I want for Christmas is you. Vor ihr der große Weihnachtsbaum, der mitten in der Mensa stand, im Mittelpunk des Geschehens wie die Achse eines Rades. Auf der Spitze thronte ein goldener Engel. Als sie diesen erblickte, erinnerte sie sich an den Baum zuhause und alles verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen und die Geräusche wurden leiser. Als stünde sie allein vor diesem Baum, der einzige Mensch, der traurig sein konnte an so einem Abend. Niemand beachtete sie, wie sie dastand und geräuschlos weinte. Dann kam er. Er blieb vor ihr stehen in seinem karierten Hemd mit Rentieren darauf. In der Hand eine Tasse Glühwein, aus der Dampf aufstieg. Er legte die Stirn in Falten und fragte, ob alles in Ordnung sei. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen.
Passt schon.
Sicher?
Ja. Es ist nur … mein erstes Weihnachten ohne Papa.

„So war das damals“, sagte sie und wandte den Blick vom Fichtenwald ab und zum Kruzifix, das silbern schimmerte. „Hab erst Medizin studiert. Wegen Papa. Ich dachte, wenn ich genug über Krankheiten und Behandlungen und all das lerne, könnte ich ihn retten. Aber es hat zu lange gedauert. Oder er ist zu schnell gestorben. Wie auch immer … Ist dann nichts geworden mit dem Studium und ich habe ne Ausbildung zur Erzieherin angefangen.“
Der Fahrer schwieg einen Moment und sagte dann: „Mit Ihrem Vadder … Ick weeß, wie sich dit anfühlt. Es tut mir sehr leid.“
„Schon okay. Ist lange her.“ Schweigend fuhren sie weiter.


Dritte Stunde​

Die Tachonadel verharrte bei 130. Sein Fuß ruhte auf dem Gaspedal, hielt die Geschwindigkeit. Der Verkehr hatte zugenommen. Er hoffte, dennoch ohne Verzögerungen anzukommen. Der Himmel wurde immer dunkler, ihm war, als würde er nach und nach erblinden. Er schaltete das Abblendlicht ein. Der Regen nahm zu und er drückte den Hebel rechts vom Lenkrad ganz nach oben. Die Scheibenwischer wurden schneller, begleitet von mechanischem Surren und dem leisen Quietschen des Gummis auf der Scheibe.
Die Frau auf der Rückbank starrte aus dem Fenster, blinzelte nicht, regte sich kaum. Als wäre sie tief in Gedanken. Er lauschte den Wischern, dem Motor, dem Trommeln des Regens auf dem Dach. Er spürte, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, wie Atemluft durch seine Nase strömte. Er gähnte erneut.
„Was meinten Sie damit?“
Er erschrak und dachte, er wäre kurz eingenickt. Er hob den Blick, schaute in den Rückspiegel, und die Frau sah ihn an. So intensiv, als wollte sie ihn niederstarren. „Wegen meines Vaters. Sie sagten, Sie wissen, wie sich das anfühlt … Was meinten Sie damit?“
„Tja … also ick …“ Die Frau hörte nicht auf, ihn anzustarren. „Ick ...“
Sie sagte: „Fänd‘s jetzt nur fair. Habe Ihnen schließlich auch von Papa erzählt.“
„Nun …“ Er umklammerte das Lenkrad etwas fester. Das Kunstleder knirschte. „Okay … nun …“

Er saß auf seinem Sofa. Das Wohnzimmer verdunkelt, die Gardinen zugezogen. Nur ein schmaler Spalt Sonnenlicht fiel hinein. Staubkörner tanzten darin. Er beobachtete sie, um seine Frau nicht ansehen zu müssen, die mit verschränkten Armen in der Tür stand. Während sich die Partikel umkreisten wie Walzertanzende, sagte seine Frau: Ich gehe.
Hm.
Hm? Das ist alles?
Wat soll ick denn sajen? Hast dich doch schon entschieden.

Nun sah er sie doch an und da lag Trauer in ihrem Blick. Er wollte aufstehen, sie umarmen, ihr sagen, dass auf Regen Sonnenschein folge, doch das erschien ihm so leer und bedeutungslos und kindisch und er glaubte selbst nicht daran. Und selbst wenn er wollte, er konnte nicht aufstehen. Als wäre seine Hose an das Sofa geklebt.
Seine Frau lehnte sich gegen den Türrahmen und senkte den Blick. Sie sagte: Tut mir leid. Ick kann dit nicht mehr.
Ick ooch nich.
Diese Stille hier.
Ick weeß.
Ick habse ooch verlorn.
Ick weeß.

Sie räusperte sich, presste die Lippen zusammen, so als würden ihre nächsten Worte Überwindung kosten. Und du sitzt hier nur rum und trinkst Bier und frisst Pizza.
Vor ihm auf dem Tisch leere Pizzakartons und Bierdosen. Der Tisch voller Flecken und Staub, lange nicht geputzt. Ick weeß nich, wat sonst tun.
Keene Ahnung. Reden?
Dit bringtse nich zurück.
Aber saufen, oder wat?
Nein. Aber dann denk ick wenichstens nich dran. Kurz.
Du solltest vielleicht.
Ick … ick …
Nachts … wenn ick weene … dann ... Und du bist nich da. Sitzt hier besoffen rum oder liegst im Badezimmer auf den beschissenen Fliesen wie der letzte Alki.
Tut mir leid.
Wenn du’s nur auch so meenen würdest.

Schweigen. Vor ihm sein Spiegelbild im ausgeschalteten Fernseher. Verzerrt und fremd. Der Schädel fast kahlgeschoren, der Bart ungepflegt, der Bauch als hätte er ein Kissen unter das Hemd gestopft. Er spürte den Blick seiner Frau auf sich, doch rührte sich nicht, lauschte seinem Atem, starrte den Fremden im Fernseher nieder.
Ick jeh zu meiner Mutter. Falls wat is, die Nummer haste.
Ja.
Pass auf dich auf, ja?
Gleichfalls.
Ick … ick denke, ein bisschen Abstand tut uns jut.
Hast recht.
Auf annere Jedanken kommen. Tapetenwechsel.
Hm.

Sie zögerte noch einen Moment, drehte sich dann um. Er hörte ihren Koffer durch den Flur rollen, das Klimpern der Schlüssel, das Öffnen der Tür, wie sie ins Schloss fiel, dann Stille. Er nahm sich eine ungeöffnete Bierdose. Sie war noch kühl. Kondensierte Tropfen rannen über das Blech, über seine Finger, landeten auf seiner Jogginghose. Dunkle Kreise auf grauem Stoff.

Er öffnete die Dose, es zischte und knackte und der Geruch von Bier stieg auf. Doch er hielt inne. Er sah erneut sein Spiegelbild im Fernseher. Diesen fetten Mann, der älter wirkte als er tatsächlich war. An der Wand über dem Fernseher hingen Familienfotos. Am Strand, im Herbstwald, am Tisch bei seiner Mutter. Er und seine Frau und seine Tochter, lächelnd in der Zeit gefangen. Auf einem Bild feierten sie Weihnachten. Der Baum behangen mit weißem Lametta und pinken Kugeln und unter dem Baum Geschenke. Quadrate und Rechtecke mit rotem und grünem Papier umwickelt, darauf Schneemänner und Zuckerstangen und Rentiere. Seine Tochter saß vor den Geschenken auf dem Boden. Ihre Augen warfen das Licht der Kamera rot zurück und ihrem breiten Grinsen fehlten ein paar Zähne und ihr Kopf war kahler als seiner es war. Drei Monate später hatte die Leukämie gesiegt. Und es blieben nur die Bilder, auf denen seine Tochter auf ewig festgefroren ist in diesem Zustand, in diesem Alter, so unveränderlich wie der Lauf der Erde um die Sonne. Nur er wurde älter und fetter und blieb allein zurück mit den Spielsachen, die sie nie wieder anrühren, der Kleidung, die sie nie wieder tragen würde. Allein mit dem Echo ihres Lachens.

Er trank Bier und bestellte Pizza. Über eine App, um mit niemandem sprechen zu müssen. Und mit vollem Bauch trank er später mehr Bier, dann Wodka, immer weiter, bis er die Bilder an der Wand nicht mehr erkennen, das Spiegelbild im Fernseher nicht mehr zuordnen konnte.
„Scheiße“, sagte die Frau auf dem Rücksitz.
„War ne beschissene Zeit, ja.“
„Wie … wie haben Sie das überwunden?“
„Wat meinense?“
„Also … Sie sehen besser aus. Gesünder.“
„War nich leicht. Schritt für Schritt. Und ich hab mich jezwungen, unner Leude zu jehn.“
„Deswegen auch blablacar?“
Er nickte. „Unner andrem.“
Sie sagte: „Verdammt. Tut mir echt leid, das mit Ihrer Kleinen. Ich hätte nicht fragen sollen.“
„Schon okay. Ist lange her.“ Sie sahen sich im Rückspiegel erneut in die Augen und beide lächelten müde.


Vierte Stunde​

„Ach kacke“, sagte er.
Sie spähte zwischen den Sitzen auf die Straße. Ein Stauende. Bremslichter und Warnblinker brachen sich rot und gelb in den Regentropfen, die wie kleine Bäche über die Windschutzscheibe rannen. „Na toll.“
Er legte den Kopf in den Nacken und stöhnte gen Sonnenblende.
Sie rieb sich die Stirn. „Was sagt Google?“
Er nahm sein Handy. Die blaumarkierte Straße war dunkelrot geworden. „Jeht noch. Unjefähr eine Stunde extra.“

Stop and go, die Minuten vergingen in Stille. Links sammelten sich immer mehr Autos, rechts die LKW wie eine Wand. Die Mittelspur wirkte enger. Im Inneren des Wagens gab es nur das Armaturenbrett als Lichtquelle. Tacho und Tankanzeige warfen bläuliches Licht auf die Finger des Fahrers, aus denen dunkle Härchen wuchsen, die im Halbdunkel aussahen wie Bleistiftstriche. Der Fahrer fragte: „Sinse mit dem zusammenjekommen?“
„Wie bitte?“
„Mit dem Typen, derse da jetröstet hat inner Mensa. Sinse mit dem zusammen?“
„War ich. Ein paar Monate.“
„So?“
„Hat sich rausgestellt, er tröstet auch gern andere.“
„Watn Arsch.“
„Sie sagen es.“
„Is auch lange her, wa?“
„Schon, aber ich hatte daran zu knabbern.“
„Inwiefern?“
„Keine Ahnung. Da war so eine Leere danach. Ich schätze, ich war einfach sehr allein.“
„Dit gloob ick. Studieren inner annern Stadt und so.“
„Ja, und das Medizinstudium hat nicht viel Raum für Freundschaften gelassen. Also, so richtige.“
„Wat hamse dann jemacht? Neuen Freund jefunden?“
„Nicht direkt ... Ich ... na ja, das geht Sie eigentlich nichts an, oder?“
„Aber?“
„Aber was?“
„Ick hab dat Jefühl, Sie wollen trotzdem drüber reden.“
„Und wenn nicht?“
„Dann nich.“
„Mann, machen Sie das öfter? Leute so ausquetschen? Ist ja fast wie ein Beichtstuhl hier hinten.“
„Hilft manchmal, dit einfach rauszulassen, wat da so drückt.“
„Auch, wenn Sie mich gar nicht kennen?“
„Vor allem dann. Wat meenense, warum man beida Beechte den Pfarrer nich sieht.“
Sie starrte auf den Sitz vor sich und lächelte traurig. „Na ja ... wenn Sie meinen und es unbedingt wissen wollen. Also, nach der Trennung ... ich hatte danach viele Männerbekanntschaften. Nie was Festes. Reicht Ihnen das?“
Er hob beide Augenbrauen und seine Mundwinkel zuckten, als wollte er etwas sagen, doch er wartete.
Sie lauschte dem Regen und sagte nach einer Weile: „Ich habe schnell gemerkt, dass ich so nicht leben kann.“
„Wo hattense die Kerle denn her?“
„Tinder hauptsächlich.“
„Und davon taugte keener wat?“
„Ich wollte so was gar nicht. Beziehung und so.“
„Hm.“
„Und dann ein Jahr, nachdem wir uns getrennt hatten, wieder an Weihnachten, da war es am schlimmsten.“
„Wat warn los?“
„Ganz komisch. Wie so ein Jucken, das nur verschwand, wenn … Sie wissen schon …“
„Hm.“
„Aber na ja ... Wollte einfach nur für ein paar Minuten an nichts denken, wissen Sie? Da waren Männer ... na ja, es war halt einfach, von ihnen das zu bekommen, was ich wollte.“
Er räusperte sich. „Dit heeßt aber, Ihnen jeht’s jetze besser?“
„Schätze schon. Ich habe dann aber nichts mehr fürs Studium getan, bin kaum zur Uni gegangen und Kohle hatte ich auch keine mehr. Musste abbrechen.“
„Verstehe.“
„Kann man nicht mehr ändern. Ich hure jedenfalls nicht mehr rum, falls Sie das jetzt wissen wollten.“
„So war dit nich jemeint.“
„Das letzte Mal an Silvester. Vor vier Jahren, glaube ich. Ich lag danach nur da und habe an die Decke gestarrt und geweint. Tagelang. Da hab ich es dann gelassen. Seitdem hatte ich nichts mehr mit Männern.“
Er hob wieder die Augenbrauen, doch sagte nichts. Er sah sie bloß im Rückspiegel an, sein Gesicht von fahlem Blau im Licht der Armaturen. Wie ein Gespenst.

Sie wandte sich ab und musterte den LKW auf der linken Spur. Spedycja stand da, die anderen Buchstaben wie wahllos aneinandergereiht und unaussprechlich.
Er nahm sein Handy und scrollte einen Augenblick, sagte dann: „Nächste Abfahrt isn Burger King. Ick hab Kohldampf und dit dauert hier noch wat. Hamse Hunger?“
„Jetzt? Wir sind doch bald da.“
„Nur paar Minuten. Dit macht den Braten auch nich mehr fett. Ick bezahl ooch.“
„Na ja, ein paar Pommes könnte ich vertragen, denke ich.“
„Jut.“
„Okay.“


Fünfte Stunde​

Sie saßen an der Fensterfront und wenn sie rausschauen wollten, zu den geparkten Autos und der Autobahn dahinter, sahen sie nur ihre verwaschenen Spiegelbilder im Glas. Wenige Kunden waren da, unterhielten sich gedämpft, bissen zwischendurch von Burgern ab, saugten Cola und Sprite durch Strohhalme.
Sie aß eine Pommes. Ein bisschen zu weich, doch gut gesalzen.
Er kaute einen Chilli-Cheese-Burger und schluckte und fragte: „Darf ick frajen, wat mit Ihrer Mutter is?“
„Der geht’s gut. Sie verbringt Weihnachten mit meinen Tanten.“
„Und Sie ham da keen Bock druff?“
„Ach, die reden über Krankheiten und wer schon wieder alles gestorben ist. Muss ich nicht haben.“
„Aber is doch Heilichabend.“
„Die kommen ohne mich klar.“ Sie steckte sich drei Pommes gleichzeitig in den Mund, betrachtete dabei die Maserung des Fliesenbodens, sagte dann: „Und Sie reden früher oder später wieder über Papa. Die gute alte Zeit. Ich kann das nicht.“
Er nickte und tupfte sich mit der rauen Serviette über die Lippen. „Und Ihre Freundin, wer is dit?“
„Sie sind ganz schön neugierig.“
„So? Nachdem, watse mir schon allet erzählt ham, is dit doch recht harmlos.“
„Na ja, war schon peinlich, oder? So was erzähle ich nicht mal meiner Mutter. Das mit den Männern.“
„Manche Dinge sacht man lieber einem Fremden. Oder bereuense, datse mir dit erzählt ham?“
„Nicht wirklich, nein. Weiß auch nicht, das wollte halt raus. Irgendwie.“
„Tut jut, wa?“
„Schon.“
„Also? Ihre Freundin?“
„Na ja, die hab ich auch auf Tinder gefunden.“
„Seit der Sache mit den Männern stehnse also auf Frauen?“
„Weiß nicht genau, wie lange schon. Ein paar Jahre.“
„Und die wohnt in Prag?“
„Ja.“
„Wie meene Freundin.“
„Sie sind geschieden?“
„Jep, die Ehe hat die Leukämie ooch nich überstanden.“
„Das tut mir leid.“
„Is vielleicht besser so. Dat wäre nimmer wat jeworden. Zu viele Wunden. Zu tief ooch.“
„Dachte, die Scheidung ist verpönt unter Christen?“
„Mir ejal. Und ich bin noch nich lange dabei.“
„Und Ihre Freundin? Ist die auch religiös?“
„Manchmal.“
Sie schnaubte. „Und wo haben Sie die getroffen? In der Kirche?“
„Die hat mir Jott jeschickt. Im Internet.“ Beide lächelten.

Ein Paar betrat Burger King. Zwischen ihnen ein kleines Mädchen in lila Winterjacke. Auf dem Kopf eine Mütze, tief ins Gesicht gezogen, die Hände behandschuht. Sie sah dem Mädchen zu, wie es durch den Raum watschelte, sich mit großen Augen umsah, als wäre alles ganz neu. Wie ein Alien, das zum ersten Mal ein Restaurant betrat und Menschen essen sah.
Er folgte ihrem Blick. „Süß.“
„Hm?“
„Die Kleene.“
„Mag sein.“
„Sie mögen keene Kinner?“
„Sie … sie machen mir Angst.“
„Angst?“
„Man zieht sie auf und möchte ihnen alles mitgeben für’s Leben und am Ende fehlt doch immer was.“
„Na ja, man kann nich allet wissen, oder? Niemanden auf allet vorbereiten.“
„Das ist es ja. Was ist, wenn ich sterbe und mein Kind ist nicht bereit dafür? Und ich hinterlasse ein Loch, das nicht gefüllt werden kann? Ein weiteres versautes Leben. Wie bei mir.“
„Also, ick denke bestimmt nich, dass Ihr Leben versaut is.“
„Das ist lieb von Ihnen. Aber dennoch bin ich oft traurig. Auch in der Kita. Wenn ich die Kleinen sehe … so unberührt. Wie leere Gläser und unser Wissen und unsere Erfahrungen sind das Wasser, das wir da reinkippen. Und manchmal kommt da richtiger Dünnschiss zusammen.“
„Und doch jehört dit dazu.“
„Weiß nicht, ist doch recht grausam. Manchmal. Na ja, das ist ja alles auch egal. Kinder werde ich eh nie haben.“
„Weilse Fraun lieben?“
„Finden Sie das unnatürlich? Wegen der Religion und so?“
„Liebe is Liebe, vor allem an Weihnachten, wa. Und heutzutage is es nicht so einfach, wen zu finden hier draußen. Da is es doch ejal, wat zwischende Beene baumelt. Hauptsache, Sie sin glücklich.“
„Sie sind mir ein komischer Christ.“
„Ein moderner.“ Er grinste.
Das Mädchen blieb bei ihrem Tisch stehen und beäugte sie neugierig, ohne zu blinzeln. Als würde es ein Kunststück erwarten. Sie starrte zurück in diese hellblauen Augen. Dann lächelte sie und zwinkerte dem Mädchen zu und als Antwort steckte es sich einen Finger in den Mund und starrte weiter. Erst als der Vater rief, wandte sich die Kleine ab.
„Und Sie?“
„Mitte Kinners?“
„Ja.“
„Der Zuch is abjefahrn. Sin scho zu alt. Und … na ja.“
„Sie wollen Ihre Kleine nicht ersetzen?“
„Ick gloob nich, dass dit möglich is. Aber die Kraft, von vorn zu beginnen … gloob nich, dat ich die hab.“
„Hm.“
„Allet nich so einfach.“

Minuten später hatte er seine Burger aufgegessen und faltete die Hände auf dem Bauch und lehnte sich im Stuhl zurück, der dabei knarzte, und sah dann aus dem Fenster, wobei er nur sich selbst sehen konnte. Er und sie und eine dunklere, unschärfere Version des Lokals. Wie eine Schattenwelt. „Is meine letzte Tour.“
„Nach Prag?“
Er nickte langsam. „Ick werde meine Freundin fragen, obse mit mir zusammziehen möchte. Ob Prag oder Berlin oder wat ooch immer. Hauptsache zusamm. Dann muss ick an Wochenenden und Feiertagen nich mehr so ewig rumgurken. Und dit hat wat von Familie dann.“
„Und sie wird Ja sagen?“
„Ick denke. Sind nun scho drei Jahre zusamm und es läuft echt prima.“
„Wann haben Sie den Entschluss gefasst?“
„Mit ihr zusammenzuziehen?“
„Ja.“
„Vorhin.“
„Echt jetzt?“
„Jep, als ich dit Stauende sah. Da hab ick keen Bock mehr druff.“
„Das ist alles? Ich dachte, da kommt jetzt was Inspirierendes.“
„Sorry. Aber manchmal möcht man einfach ankommen, wissense? Ick find, es wird Zeit.“ Bei den Worten sah er ihr tief in die Augen und lächelte väterlich, und sie spürte Wärme in ihren Wangen aufsteigen und sah weg.
„Ja“, sagte sie. „Das … das wäre schön.“
„Nich wahr? Und Sie?“
„Ich?“
„Alswa losjefahren sind, warnse so … zornich.“
„Zornig? Na ja, nicht wirklich. Nervös eher. Tut mir leid, dass ich Sie so angemacht habe wegen der Religion und so.“
„Schon okay. Also?“
„Also was?“
„Warum warnse so nervös? Wegen Ihrer Freundin?“
„Marisa. Wir schreiben schon seit Monaten, aber heute sehen wir uns zum ersten Mal. An Weihnachten hat man halt mal frei, wissen Sie.“
„Und nun gloobense, dit wird’n Desaster?“
„Weiß nicht. Hatte noch nie was mit einer Frau. Nie was … Echtes. Mehr als Sex halt.“
„Gloob, im Kern ticken alle Menschn leich. Ejal, ob Mann oder Frau. So is dit inner Liebe. Kuscheln wollnse alle.“
„Kann sein. Trotzdem habe ich Angst. Was ist, wenn ich was Falsches sage? Oder ihr nicht gefalle? Oder stinke, oder so?“
„Stinken? Echt jetze? Sie machen sich ja Sorjen … wie ein Teenie. Ick schätzese da reifer ein. Ick gloob, der Grund is ein anderer.“
„So gut kennen Sie mich also schon? Na, da bin ich ja mal gespannt.“
„Es liegt dran, dat Weihnachten is.“
Sie sagte nichts.
Er lehnte sich vor. „Sie ham so viele schlechte Erfahrungen an Weihnachten jemacht, datse denken, an Weihnachten wird nu alles schiefjehn.“
Ihr Vater, die vielen Männer, die Tränen in der Mensa, ihre Mutter und die Tanten, die sich jedes Jahr selbst bemitleiden. Sie nickte langsam und sagte leise: „Weihnachten ist wie verflucht.“
Er lachte und sie zog die Augenbrauen zusammen. „Was ist so witzig?“
„Die Leude faszinieren mich immer widda. Reden davon, dasse an nichts mehr glooben un dann imma so wat.“
„Was hat das damit zu tun?“
„Ick gloobe an göttliche Enerjie, und Sie glooben, Weihnachten is verflucht. Wo is da der Unterschied?“
„Was? Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“
„So? Warum jehnse dann davon aus, dat jedes Weihnachten ein Reinfall wird?“
„Keine Ahnung. Trauma?“
„Und bevor ihr Vater jestorben is? Hattense da nie schöne Weihnachten?“
„Schon, aber …“
„Wie viele Jahre hattense denn beschissene Weihnachten?“
„Drei oder vier ...“ Sie senkte den Blick.
„Sehnse, dit dacht ick mir.“ Er schlug sich mit flachen Händen auf die Oberschenkel, dass es klatschte. „So, wollnwa?“
Sie dachte an Marisa. An ihr Lächeln in den Videocalls, an ihren tschechischen Akzent. You are amazing, I want you to be with me. On Christmas and beyond. Schelmisches Lachen und rote Wangen. „Ja, bringen wir’s hinter uns.“


Siebte Stunde​

Sie erreichten den Prager Hauptbahnhof und er machte den Motor aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. „Da simmer.“
„Vielen Dank für die Fahrt. Es … war mir eine Freude.“
„Gleichfalls.“
Sie griff nach dem Türöffner, doch zögerte. Sie wollte nicht gehen. Noch nicht. „Ich beneide Sie.“
„Mich? Warumn ditte?“
„Sie haben so viel verloren. Und doch sind Sie so … positiv.“
„Nich imma. Weiß Jott nich imma.“
„Was ist Ihr Geheimnis?“
„Einfach weitermachen. Und neidisch müssense nich sein. Is eine Todsünde.“
„Oh Mann, kommen Sie mir jetzt nicht mit so was.“
„Is ja nich bös jemeint. Todsünden sin überall. Jedem begenense täglich. Da brauch man keene zwei Aujen für, um die zu sehen. Und wo wären wir ohne?“
„Glücklicher?“
„Eher unmenschlicher. Wie hamse so schön jesacht? Dit mit dem Glas undem Wasser und so.“
„Hm.“
„Un wenn ich Sie so ansehe … Sie müssen keine Angst vor Ihrer Freundin haben. Ick gloob, Sie liejen noch heute Abend küssend unterm Weihnachtsbaum.“
Sie lächelte. „Den müssten wir erst noch aufstellen, aber ja, die Wahrscheinlichkeit ist nicht Null.“
„Eher verdammt hoch.“
„Sagt Ihnen das Ihr kosmisches Energiefeld?“
„Vielleicht. Aba spürnse dit nich, das Enerjiefeld?“
„Zwischen uns?“
„Zwischen uns. Woher wissen wir, wie wir zwee uns fühln?“
„Weil wir beide etwas Wichtiges verloren haben.“
„Oder jefunden. Wär dit nich passiert mit den vielen Männern da, hättense vielleicht die Marisa jetz nich.“
„Und hätten Sie Ihre Tochter nicht verloren, hätten sie jetzt keine neue Liebe?“
„Tja, auch aus Scheiße kann man wat formen. Man muss nur dran glooben jeden Tach. Und da liegt für mich dat Jöttliche.“
Sie nickte und öffnete die Tür. Kalte Luft strömte in das Wageninnere und es roch nach nassen Steinen. Sie setzte einen Fuß auf den Asphalt und Regentropfen benetzten ihre Hose, fühlten sich kalt an. Sie überlegte, ob sie nach seiner Handynummer fragen sollte, doch das erschien ihr unpassend, sie würde ihm sowieso nie wieder schreiben. Es war alles gesagt. Außer eines. Sie fasste an seine Schulter, drückte sie sacht und sagte: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Freundin fröhliche Weihnachten.“
Er tätschelte ihre Hand mit seiner, sie war ganz warm. „Dit wünsch ich Ihnen ooch. Fröhliche Weihnachten.“

Sie stieg aus und schloss die Tür. Der Fahrer winkte ein letztes Mal und sie winkte zurück. Der Motor sprang an und der Wagen setzte sich in Bewegung, rollte auf die Hauptstraße zu. Das Kennzeichen wurde kleiner und unleserlich und die Bremslichter schrumpften. Der Wagen bog rechts ab, schloss sich wieder dem Strom der anderen roten Lichter an. Auf der Straße, die durch die Stadt verlief wie ein einzelner Pinselstrich in einem Ölgemälde.

 

Moin @gibberish,

und danke für Deine Geschichte.

Puh, wo soll ich anfangen? Also erst einmal: Ich habe sie gerne gelesen.
In einem Rutsch, obwohl ich zwischendurch an einigen Stellen aufgrund der Charakterentwicklung mit der Stirn runzeln musste. Dazu später mehr.
Du hast ein paar grandiose Sätze und Bilder drin. Das kompromisslose Durchziehen des Akzents fand ich auch gut, auch wenn der „Sprech“ im letzten Drittel gefühlt vom Kölsch ins Berlinerische driftet. Das kann aber auch nur an mir liegen, ich kenn’ mich da nicht wirklich aus.
Den Anfang fand ich stark, weil ich nicht wusste, wohin die Reise geht. Und dann ist es ein Dialog zwischen zwei untereinander Unbekannten, die vom Leben in dasselbe Auto gesetzt wurden und einander ihre seelischen Narben offenbaren, immer mehr und mehr, je länger der gemeinsame Weg andauert, bis er dann endet.
Die Problematik sehe ich in der Glaubwürdigkeit und Entwicklung der Protagonistin. Anders als beim Fahrer hast Du es bei mir (noch) nicht geschafft, dass ich ihr das an den Tag gelegte Verhalten abkaufe. Ich kann es gerade nicht besser beschreiben.

Vielleicht hilft es, wenn ich mit meinen zitierten Passagen starte. Da ist auch einiges an Textarbeit dabei, denn mMn könntest Du noch gut was streichen, umformulieren.
Eine Sache ist mir besonders aufgefallen, nämlich Deine mehrfache Verwendung des „und“, innerhalb eines Satzes. Das kenne ich so nicht, daher hat mich das an vielen Stellen straucheln lassen.

Okay, los gehts:

Im Wageninneren war es warm[,]und es roch nach Leder und einem Hauch von Wunderbaum, grüner Apfel.
Wie gesagt, die unds, waren von Beginn an am Start. So sähe für mich der Satz stimmiger aus.

Der Fahrer schaute über seine Schulter und lächelte.
Wenn Du seine durch die tauschst, wird das Bild stärker, denkst Du nicht? Es ist ja klar, dass es seine Schulter ist.

Der Fahrer sah jünger aus als auf seinem Profilbild bei blablacar.
Da musste ich das erste Mal schmunzeln. Scheiß auf den Namen, einfach blablacar. Sehr gut.

Google sacht, nur fünf Stunden. Jute Verkehrslaje.
Gefühlt wollte mein Gehirn hier Guugel lesen...


Der Fahrer startete den Wagen und fuhr los und die Straße zog vorbei. Laternen und Häuser und Autos, verschwommen hinter regennassem Glas.
Da sind sie wieder, die unds. Liest sich immer noch komisch. Liegt’s an mir?

Wie Schildkröten, die Schutz suchen vor Regen und Kälte und Blicken Fremder.
Der Satz holpert. Das Bild finde ich gut, aber Blicken Fremder klingt, als würde ein den fehlen. Wie Schildkröten, die Schutz suchen vor der Kälte, dem Regen und den Blicken von Fremden. Das wäre meine gewählte Formulierung.

Die sanfte Vibration des Wagens, die Wärme der Heizung, der weiche Sitz, der Geruch nach Obstgarten.
:D Das kenne ich, dieses eingelullt werden und das Gefühl, die Fahrt könne so ewig weitergehen, denn draußen ist es nasskalt und hier könnte man schon beinahe vor Gemütlichkeit einschlafen. Den Obstgarten vielleicht streichen oder umformulieren, der kickt ein wenig in die falsche Richtung, da eher sommerlich konnotiert.

alles abblasen. „Ihr erstet Mal?“
Hier hat es mich aufgrund des fehlenden Zeilenwechsels herausgehauen. Ich dachte im ersten Moment, sie spricht.


Die Welt außerhalb des Autos dreht sich um neunzig Grad nach rechts.
Manche Sätze braucht es mMn gar nicht, dies hier ist einer dieser Streichkandidaten.

„Stille Nacht“, sagte er und grinste. „Is jut.“
Schöner erster Weihnachtsbezug. Hat mir gefallen.


Das rote Licht verteilte sich über die Windschutzscheibe, sammelte sich in Wassertropfen wie leuchtendes Blut.
Ein Satz, der mir sehr gefallen hat. Tolles Bild.


Sie lehnte ihre Stirn wieder gegen die Scheibe. Insgeheim hatte sie gehofft, einen Streit anfangen zu können, wollte vom Fahrer rausgeschmissen werden.
einen Streit anfangen zu können, herausgeschmissen zu werden.
Klingt für mich stärker, da es klar ist, dass er sie rausschmeißen würde

Gelegentlich ein blaues Schild mit Orten und Kilometerzahlen.
Hier ist vielleicht weniger mehr

Beim Überholen von Lastern spritzten deren Reifen dicke Tropfen gegen die Fenster
Hier auch

Der Fahrer schwieg einen Moment und sagte dann: „Mit deinem Dad … Ick weeß, wie sich dit anfühlt. Es tut mir sehr leid.“
Würde er Dad sagen? Die Stelle hat mich rausgehauen, denn ich habe darüber nachgedacht, wie alt der Fahrer ist.

Er gähnte erneut. „Was meinten Sie damit?“
Hier fehlt gefühlt wieder ein Zeilenwechsel

Das Wohnzimmer verdunkelt, die Gardienen zugezogen.
Gardinen

Vor ihm sein Spiegelbild im ausgeschalteten Fernseher. Verzerrt und fremd. Der Schädel fast kahlgeschoren, der Bart ungepflegt, der Bauch als hätte er ein Kissen unter sein Hemd gestopft. Er spürte den Blick seiner Frau auf sich, doch rührte sich nicht, lauschte seinem Atem, starrte den Fremden im Fernseher nieder.
Starke Beschreibung, das erste sein könntest Du wieder tauschen gegen das, denn es ist klar, dass es sein Hemd ist.

Sie zögerte noch einen Moment, drehte sich dann um. Er hörte ihren Koffer durch den Flur rollen, das Klimpern der Schlüssel, das Öffnen der Tür, wie sie ins Schloss fiel, dann Stille. Er nahm sich eine ungeöffnete Bierdose. Sie war noch kühl. Kondensierte Tropfen rannen über das Blech, über seine Finger, landeten auf seiner Jogginghose. Dunkle Kreise auf grauem Stoff.
Fand ich auch stark, diese Stelle

Und es bleiben nur die Bilder, auf deinen seine Tochter auf ewig festgefroren war in diesem Zustand, in diesem Alter, so unveränderlich wie der Lauf der Erde um die Sonne.
Die auch

Er trank Bier und bestellte Pizza bei Domino‘s.
Weg mit der Marke. Scheißegal, oder?

Sie spähte zwischen die Sitze auf die Straße vor ihnen.
Sie spähte zwischen den Sitzen auf die Straße. Das Bild ist klar.

Bremslichter und Warnblinker brachen sich rot und gelb in den Regentropfen, die wie kleine Bäche über die Windschutzscheibe rannen. „Na toll.“
Die Lichstimmung hast Du echt an vielen Stellen toll beschrieben. Klasse.

Die Mittelspur wirkte enger. Überall Bremslichter wie rote Blutkörperchen in einer verstopften Arterie.
Die verstopfte Arterie finde ich als Bildnis des Staus sehr gut. Die roten Blutkörperchen hauen mich dafür raus.

„Hat mich wahnsinnig gemacht. Da hab ich eine Erotik-Anzeige online gestellt und da kamen viele Antworten. Über die Weihnachstage. Manche haben mir Geld geboten. Viel sogar. Für anal oder ohne Kondom. Schätze, die Typen waren auch einsam. Aber das war mir eigentlich egal. Wollte einfach nur für ein paar Minuten an nichts denken, wissen Sie? Danach ging es mir aber immer dreckiger. Wie bei Entzugserscheinungen. Nur, dass ich nicht noch mehr Sex wollte, sondern einfach duschen und weinen und dann schlafen. Bis ich wieder leer war und gefüllt werden wollte.“
Diese ganze Passage hat mich hart aus dem Text geworfen. Dass sie dieses persönliche Thema einfach so rausballert, nachdem die Beziehung der beiden "erst" dieses Stück Entwicklung gemacht hat, das fand ich sehr unglaubwürdig. Später im Fast-Food-Laden kommts Du darauf zurück und klärst auf, doch hier wirkt es wie ein Fremdkörper auf mich.


Er hob wieder die Augenbrauen, doch sagte nichts. Er sah sie bloß im Rückspiegel an, das Gesicht von fahlem Blau im Licht der Armaturen. Wie ein Gespenst. Die Augen in den Schatten kaum auszumachen.
Hier betreibst Du innerhalb kurzer Zeit ein wenig Headhopping. Da die Wechsel zuvor klarer strukturiert waren, ließ es mich stolpern.


Sie wandte sich ab und musterte den LKW auf der linken Spur, ein polnischer.
Kann weg, da Du im nächsten Satz direkt die polnische Beschriftung reinbringst.

Sie steckte sich eine Pommes in den Mund.
Sie aß eine Pommes
Wo soll sie sich denn die Pommes sonst hinstecken...? :p

„Der geht’s gut. Sie verbringt Weihnachten mit ihren Schwestern.“
Hier habe ich mich gefragt, ob sie nicht eher sagen würde: Sie verbringt Weihnachten mit meinen Tanten.

„Die hat mir Jott jeschickt. Im Internet.“ Beide lächelten.
Tolle Stelle

Wie ein Alien, das zum ersten Mal ein Restaurant betrat und Menschen essen sah.
Das fand ich auch ein wirklich gelungenes Bild

Das Mädchen bleib bei ihrem Tisch stehen und beäugte sie neugierig, ohne zu blinzeln.
blieb

Das Mädchen bleib bei ihrem Tisch stehen und beäugte sie neugierig, ohne zu blinzeln. Als würde es ein Kunststück erwarten. Sie starrte zurück in diese hellblauen Augen. Dann lächelte sie und zwinkerte dem Mädchen zu und als Antwort steckte es sich einen Finger in den Mund und starrte weiter. Erst als der Vater rief, wandte sich das Mädchen ab.
Wiederholung. Vielleicht einmal tauschen gegen die Kleine ?

Er und sie und eine dunklere, unschärfere Version des Lokals. Wie eine Schattenwelt.
Auch stark, gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung der Story so far

Siebte Stunde
Wo ist denn die sechste Stunde geblieben...?:read:

Tja, auch aus Scheiße kann man wat formen.
Sehr gut.

Soweit erst mal zu Kleinigkeiten.
Lies Dir nochmal den Übergang zwischen der ersten und der zweiten Stunde durch, da will sie erst schlafen, sagt ihm das sogar und dann kann sie es nicht? Oder hat sie geschlafen? Irgendwie ging mir der Wechsel zwischen ablehnender Haltung und der Bereitschaft, sich doch auf ein Gespräch einzulassen zu schnell/simpel vonstatten.

Die Rückblenden fand ich kraftvoll geschrieben, sowohl bei ihr als auch bei ihm.
Insgesamt eine schwere, schwermütig-schöne Weihnachtsgeschichte mit einem tollen Ende.
Ihre Charakterzeichnung könnte mehr Authentizität vertragen. Ich weiß, ich haue das hier jetzt so raus, kann aber aufgrund der Uhrzeit gerade nicht mehr genau aufzeigen, wo und woran genau ich das festmache. Wenn ich es zeitlich schaffe, schreibe ich Dir die Tage da nochmal mehr zu.

Sehr gerne gelesen
Beste Grüße
Seth

 

Moin @Seth Gecko

tausend Dank für dein Feedback zu meiner Story, und so schnell auch und super hilfreich. War ja schon seeehr nervös, ist meine erste veröffentlichte Kurzgeschichte seit fast fünf Jahren und ich schreibe meist in meinem stillen Kämmerlein ohne viel Feedback. Da geht einem schon mal die Düse. :D Umso erleichterter bin ich, dass du Spaß beim Lesen hattest. Und gleich so hilfreiche Anmerkungen zum Text weitergibst. Danke!

Das meiste habe ich direkt umgesetzt. Bei einigen Stellen muss ich nochmal drüber schlafen, zum Beispiel mit den Blutkörperchen, weil mir nichts Passenderes gerade einfällt. Auch das mit der 90-Grad-Drehung beim Abbiegen fand ich ein schönes Bild, weil sich die Welt draußen dreht, doch beide Protas unverändert bleiben. Das hatte was Symbolisches für mich, daher hadere ich noch. Aber es heißt ja nicht umsont, cut your darlings. :D

Das kompromisslose Durchziehen des Akzents fand ich auch gut, auch wenn der „Sprech“ im letzten Drittel gefühlt vom Kölsch ins Berlinerische driftet. Das kann aber auch nur an mir liegen, ich kenn’ mich da nicht wirklich aus.

Ich wollte ihn Berlinern lassen, habe eigentlich stringent die Rechtschreibung eingehalten, um das auch durchzuziehen. Kann aber durchaus sein, dass mir im Eifer des Gefechts kleine Ausrutscher durch die Lappen gegangen sind. Ich selbst spreche als quasi Braunschweiger Hochdeutsch und da will ich nicht abstreiten, dass mal was in die Hose geht dialekttechnisch. :D Ich gehe seine Passagen nochmal durch und überprüfe, ob ich meine "Regeln" für den Dialekt auch immer eingehalten habe.

Diese ganze Passage hat mich hart aus dem Text geworfen. Dass sie dieses persönliche Thema einfach so rausballert, nachdem die Beziehung der beiden "erst" dieses Stück Entwicklung gemacht hat, das fand ich sehr unglaubwürdig. Später im Fast-Food-Laden kommts Du darauf zurück und klärst auf, doch hier wirkt es wie ein Fremdkörper auf mich.

Ich kann das erklären! :D Ursprünglich gab es die sechste Stunde noch, die war das Gespräch beim Burger King. Und die fünfte war eine weitere Rückblende, in der die Protagonistin mit dem älteren Herren an Silvester schläft und auch an die anderen Männer zurückdenkt. Das hat das Pacing aber zerschossen, weil es einfach zu lang war und ich dann bei 7000 Wörtern gelandet bin. Und vom Ton her hat das alles auch nicht gepasst. Zu dreckig. Dann habe ich das Essentielle dieser Rückblende in die beiden Absätze gehauen, die sie ihm erzählt. Aber gut, dass dir das direkt ins Auge gefallen ist. Ich habe dann nochmal mit deinem Blick quasi draufgeschaut und ja, der Ton passte hier immer noch nicht, viel zu direkt. Ich habe das Explizite jetzt deutlich entschärft, um es weniger krass zu machen. Ich denke, jetzt ist es nicht mehr ganz so in your face. Obwohl vielleicht noch nicht optimal. Ich arbeite dran, das in einem dynamischeren Dialog zu verpacken, der ja dann auch besser zur übrigen Handlung passen würde. Vielen Dank für das Aufmerksammachen.

Wo ist denn die sechste Stunde geblieben...?
Dem Rotstift zum Opfer gefallen. :D War alles eine Pacing-Frage. Und ich fand es jetzt unpassend, die beiden direkt nach dem Burger King ankommen zu lassen. Also habe ich einfach eine Stunde übersprungen. Wie ein harter Cut in einem Film. Habe erst überlegt, sie am Ende von der Burger King-Szene im Auto dann endlich doch einschlafen zu lassen, aber das wäre eigentlich unnötig. Und ich mag die Tatsache, dass Stunde fünf 90% Dialog ist, da wollte ich nicht noch beschreiben, wie sie einschläft. Hätte sich auch irgendwie mit der ersten Stunde gebissen.

Lies Dir nochmal den Übergang zwischen der ersten und der zweiten Stunde durch, da will sie erst schlafen, sagt ihm das sogar und dann kann sie es nicht? Oder hat sie geschlafen? Irgendwie ging mir der Wechsel zwischen ablehnender Haltung und der Bereitschaft, sich doch auf ein Gespräch einzulassen zu schnell/simpel vonstatten.
Ja, auch das verstehe ich. Sie kann nicht schlafen, weil sie immerzu an Marisa denken muss und viel zu nervös ist. Und dann ist da noch der Straßenlärm und so, und dann fängt sie letztlich das Gespräch an, um sich von ihren Gedanken und Ängsten abzulenken. Ich habe da jetzt noch einen Halbsatz hinzugefügt, um das etwas zu verdeutlichen.

Ich weiß, ich haue das hier jetzt so raus, kann aber aufgrund der Uhrzeit gerade nicht mehr genau aufzeigen, wo und woran genau ich das festmache. Wenn ich es zeitlich schaffe, schreibe ich Dir die Tage da nochmal mehr zu.

Wow, dein Interesse an meiner Story finde ich super schön. Danke, danke. Du hast mir auch schon super weitergeholfen und mir echt tolle Hinweise gegeben. Wie gesagt, fast alles habe ich gleich noch in der Nacht umgesetzt und ich hole nochmal das Bügeleisen raus, um den Rest glattzuziehen. :D

Ich wünsche dir eine angenehme Restwoche und weiterhin viel Spaß bei der Challenge!

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo @gibberish ,

soso, nur fünf Stunden, tatsächlich sind es aber sieben.:Pfeif:

Deine Geschichte ist ein Paradebeispiel für Entschleunigung. Du gehst tief in die Details und dadurch wirkt deine Erzählung ruhig und bedächtig, fast schon feierlich andächtig.
Gut finde ich, dass du diesen Erzählstil und das Tempo zu keinem Zeitpunkt verlässt, also nirgendwo etwas sich drängelig wird oder gar hektisch.
Insoweit wirkt deine Geschichte aus einem Guss, ein ruhiger Fluss, eine Begegnung zwischen zwei Unbekannten, die am Ende sehr sehr viel voneinander wissen.

Inhaltlich ist mir nicht ganz klar, ob du aufzeigen wolltest, dass der christliche Glaube dazu führen kann, dass man auch mit sehr schlimmen Situationen konstruktiv, am Ende positiv umgehen kann. Sollte das der Fall sein, so hat es mich leider nicht überzeugen können.
Das ist mir viel zu sehr einfach behauptet.
Aber vielleicht war das ja gar nicht dein Ansatz.
Ich habe aber keinerlei Probleme damit, deine Figuren für authentisch zu halten und kann sie so auf mich wirken lassen, ohne dass mir etwas an ihnen fehlt.

Gut beschreibst du, dass deine Protagonistin am Ende mit deutlich mehr Gelassenheit und vielleicht sogar Ruhe in die Begegnung mit Marisa geht. Da vollzieht sich in der Zeit, die die beiden während der Fahrt verbringen, eine gewisse Wandlung. Das hat mir gut gefallen und ich finde, man kann auch bestens die Anteile erkennen, die der Fahrer daran hat.

Was mich allerdings etwas irritiert hat, waren deine anfänglichen Hinweise auf die Beziehung deiner Protagonistin zu Marisa.
Ich habe mir diese spezielle Bemerkung extra noch nachträglich rauskopiert, weil sie in mir Erwartungen geweckt hatte, die ich am Ende nicht erfüllt sah.

Und an die letzten WhatsApp-Nachrichten.
I’m so excited to finally see you.
Me too. Can’t wait.
Noch alles gut. Da treffen sich gleich zwei, die sind aufgeregt. Normal.
Sie lehnte ihre Stirn wieder gegen die Scheibe. Insgeheim hatte sie gehofft, einen Streit anfangen zu können, herausgeschmissen zu werden. Dann wäre ihr die Entscheidung abgenommen worden. Marisa. Bitte nicht schon wieder.
Und hier merke ich auf, weil "Bitte nicht schon wieder", das könnte jetzt alles sein. Für mich eine Katastrophe. Marisa hat etwas getan, was sie schon mal getan hat und deine Protagonistin hat davon erfahren und fährt jetzt deswegen mit total gemischten Gefühlen hin. Sie erwartet quasi die Fortsetzung der Katastrophe.
Tut mir leid, wenn meine Phantasie in diesen Satz viel viel viel mehr reingesemmelt hat als es tatsächlich der Fall war. Denn im Grunde deiner Geschichte geht es ja darum, dass sich zwei Frauen endlich das erste Mal live begegnen und das ist halt aufregend und kann auch schon ganz schön schwummerig machen.
Nur genau daran habe ich, weil ich es zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht wusste, gar nicht gedacht, sondern gedacht, hier bahnte sich etwas Spannendes an, was ich natürlich noch im Lauf der Geschichte erfahren werde.


Sehr gut gefallen haben mir deine bildhaften Beschreibungen der Reise. Also immer, wenn du beschrieben hast, wie es ausserhalb des Wagens ist, fand ich das richtig gelungen. Du benötigst da nicht viele Worte und die wenigen sind perfekt gewählt und geben die Stimmung bestens wider. Kann sich so mancher eine dicke Scheibe von dir abschneiden.
Ähm, ich natürlich auch.


Ich habe eine Weile überlegt, ob mir das Berlinerische des Fahrers missfällt, weil es aufgesetzt wirkt, so als wolltest du dringend einen Kontrast zwischen den beiden herausarbeiten oder ob ich umgekehrt, deine Geschichte für allzu blaß in den Dialogen gehalten hätte, wenn der Fahrer nicht in diesem Dialekt sprechen würde.
Ich neige dazu, dass es eher die Geschichte würzt als dass es ihr schadet.
Wäre sicherlich mal interessant, zu erfahren, wie anderer Leser es empfinden.
Und ja, es sind ja nur Empfindungen, das gibt es ja kein richtig oder falsch insoweit.

An manchen Stellen, wenn man sich auf den Dialekt einlässt, hatte ich den Eindruck, du hattest vergessen, dass er Berliner ist. Aber da folgt dann noch in der Textarbeit, da zeige ich es auf. Ich kenne mich so rein gar nicht mit diesem Dialekt aus, von daher kann ich auch nicht sagen, ob dann da was anders hätte klingen müssen oder nicht.

An manchen Stellen stellst du dem Leser quasi die Gedankenwelt deiner Protagonistin vor die Tür wie ein Paket. Da hatte ich den Eindruck, dass es vielleicht zur Not zwei, drei Sätze mehr benötigt hätte und du hättest nicht mitteilen müssen, wie sie sich fühlt und was sie fühlt. Die Breite, in der diese Geschichte angelegt ist, hätte das durchaus vertragen.

Mir fiel noch auf, dass deine Protagonistin, dafür, dass sie das erste Mal diese sog. Mitfahrgelegenheit nutzt, sich erstaunlich entspannt verhält. Klar, sie ist wegen der Begegnung mit Marisa aufgeregt und das ohne Ende. Aber sie sitzt das erste Mal bei einem völlig Fremden und das für geplante 5 Stunden elende Fahrt und denkt dran, während der Fahrt zu schlafen? Ich schließe da von mir auf andere, das kannst du mir gerne vorhalten.
Ich könnte jedenfalls nicht schlafen, vielleicht wenn ich den Mann ein wenig besser kennengelernt hätte, später also. Aber deine Prota hat dies gleich zu Beginn vor.

Und nun zu dem, was mir innerhalb des Textes aufgefallen ist:

Schwarz in schwarz mit einem Fremden am Steuer und draußen nur das Grau. „Was?“
Wieso schwarz in schwarz? Draußen grau ist nachvollziehbar, aber drinnen? Was meinst du genau?
Die Welt außerhalb des Autos dreht sich um neunzig Grad nach rechts.
Klasse Formulierung.
„Sind Sie religiös?“, fragte sie, um ihre Gedanken an Marisa zu verdrängen, um Ablenkung zu haben vor dem, was kommen könnte.
Da würde ich mich von einer Formulierung trennen, entweder "Marisa zu verdrängen" oder "um Ablenkung zu haben", eher letzteres würde ich streichen.

„Ich bin Erzieherin.“
„Is keene Antwort.“ Er musterte sie erneut im Rückspiegel und wartete.
Coole Antwort, cooler Dialog, gefällt mir.

Sie schüttelte den Kopf. „Im Grunde ist‘s mir auch egal. Sie können glauben, woran Sie wollen.
Das Kopfschütteln passt mir nicht so recht. Ich würde den Satz streichen.
„Tja … also ick …“ Die Frau hörte nicht auf, ihn anzustarren. „Ick ..“
„Fänd‘s jetzt nur fair. Sie haben ganz schön gebohrt.“
Was findet er fair? Wieso kommt er auf so einen Gedanken. Hatte den Eindruck, dass da etwas fehlt in der Aussage, damit sie nachvollziehbar wird.
„Wie … wie haben Sie das überwunden?“
„Wat meinense?“
Hier siezt er sie wieder, davor siehe einen Kasten drunter
„Mit deinem Vadder … Ick weeß, wie sich dit anfühlt. Es tut mir sehr leid.“
hat er sie geduzt.
Sie spähte zwischen den Sitze auf die Straße.
Sitzen
, als wollte er etwas sagen doch traute sich nicht.
Ich würde hinter "sagen" ein Komma setzen.
„Und da war keener bei, der zu mehr taugte?“
Bin ja kein Berliner, aber hier dachte ich, wieso "bei"? Kann man das nicht in den Dialekt setzen?
„Dit heißt aber, Ihnen jeht’s jetze besser?“
Und hier auch das "heißt"?
„Ist fast wie ein Beichtstuhl hier hinten“, sagte sie.
Vielleicht sollte sie an dieser Stelle auch noch ein bisschen mehr dazu sagen, dass sie sich selbst über sich wundert. Denn während ich las, dass sie Dinge von sich hergab, die man normalerweise nur der besten Freundin erzählt, fand ich das schon etwas befremdlich. Ich kann mir aber sehr gut solche Situationen vorstellen, in denen man sich total öffnet und gerade die vollkommene Unvoreingenommenheit des Gegenübers zu dieser Öffnung führt. Man weiß, man sieht sich nie wieder.
„So? Nachdem, watse mir schon allet erzählt ham, is dit doch recht harmlos.“
Recht hat er. Guter Dialog.
„Jep, die Ehe hat die Leukämie ooch nich überstanden.“
Ebenfalls toller punktgelandeter Satz. Sehr gut.
„Sorry. Aber manchmal möchte man einfach ankommen, wissen Sie? Ich finde, es wird Zeit.“
Das sagt doch jetzt der Fahrer oder? Jetzt fehlt ganz das Berlinerische.
„Marisa. Wir schreiben schon seit Monaten, aber heute sehen wir uns zum ersten Mal. An Weihnachten hat man halt mal frei, wissen Sie.“
Ah, dachte ich an dieser Stelle, so ist das also. Hier lösen sich meine Fragezeichen auf.
„Sie ham so viele schlechte Erfahrungen an Weihnachten jemacht, datse denken, an Weihnachten wird nu alles schiefjehn.“
Der Fahrer hat was in Sachen Erkenntnissen. Mein Kompliment, du lässt ihn das so sagen, dass man nicht den Eindruck bekommt, hier sollen Kernpunkte der Geschichte abgearbeitet werden. Es ist bestens in den Dialog eingebunden.
„Wie viele Jahre hattense denn beschissene Weihnachten?“
Drei oder vier? Nur drei oder vier? Sie senkte den Blick.
„Dit dachte ich mir.“ Er schlug sich mit flachen H
Hier bin ich ins Schleudern gekommen. Denkt sie das bloß, das mit den drei oder vier Jahren? Und er sieht nur ihren gesenkten Blick und resümiert daraus? Oder hast du übersehen, es in die wörtliche Rede zu setzen?

Sie setzte einen Fuß auf den Asphalt und Regentropfen benetzten ihre Hose, fühlten sich an wie kalte Küsse.
Ich finde diese Formulierung nicht gelungen. Regentropfen, die ihre Hose benetzen fühlen sich an wie kalte Küsse? Das klingt schief.
Auf der Straße, die durch die Stadt verlief wie ein einzelner Pinselstrich in einem Ölgemälde.
Wunderbarer Schlussatz.

Liebe Grüße

lakita

 

Hallo @gibberish,

da könnte man fast ein Hörspiel draus machen, so viel Dialog, die beiden in dem Auto in der Nacht. Vor allem sind dir so schöne atmosphärische Sätze gelungen. Dass er Dialekt spricht finde ich manchmal etwas anstrengend, macht aber natürlich viel mit seinem Charakter. Ich glaube, ich hätte seine Ehefrau in der Vergangenheit auch berlinern lassen, das würde mir natürlicher vorkommen. Mich erinnert so etwas an Situationen aus dem Zug, wo man weiß, man sieht sich nie wieder. Du spielst damit, dass deine Protagonisten so verschieden sind und sich trotzdem sehr nah kommen. Ich hab das gerne gelesen, aber mir ist da auch der Übergang manchmal etwas zu abrupt.

Der Fahrer sah jünger aus als auf seinem Profilbild bei blablacar. Mehr Haare, gepflegterer Bart
Ungewöhnlich, meist ist es umgekehrt. Weil es da steht, frage ich mich gleich, ob da was Romantisches zwischen denen entsteht. Aber es wird später geklärt, warum er sich verändert hat.
Passanten auf den Fußwegen bloß wandernde Wintermäntel, Schritte schnell, Köpfe eingezogen.
Schön!
Ihr Mund wurde trocken.
Ihr Mund war trocken?
„Sind Sie religiös?“, fragte sie, um ihre Gedanken an Marisa zu verdrängen, um Ablenkung zu haben vor dem, was kommen könnte.
Ja, das erklärst du nun, aber sie ist anfangs ja total brüsk und erklärt klar, dass sie ihre Ruhe haben will. Und nun haut sie ihm so eine Frage um die Ohren.
„Mach sein, aber so perfekt? Ick gloob, dit da ein Plan hintersteht.“
„Ausgetüftelt von einem alten Mann auf einer Wolke?“
Und wird spöttisch, wenn er antwortet. Ehrlich, sie ist mir nicht sympathisch. Er ist da sehr gutmütig.
„Sind dann wohl eher unrelijös?“
Sehr hübsch.
„Dit ist der Plan“, sagte er. „Und Sie haben damit anjefangen. Brauchen dann nich sauer werden, wenn Ihnen meene Antwort nich jefällt. Is halt ooch ein schwierijes Thema, ne.“
Recht hat er. Er ist ja so ein bisschen der gute Vater, der die pubertären Pissigkeiten seiner Tochter gutmütig über sich ergehen lässt. Sie hat einen Vater verloren, er eine Tochter.
„Ah, warum gleich so aggressiv, hm? Erzählse scho, ick beeße nich.“
„Ich kenne Sie doch gar nicht.“
„Na, umso besser.“ Sie schwieg einen Augenblick. Das Rollen der Reifen über Asphalt und das monotone Brummen des Motors und das gelegentliche Prasseln von Wasser beim Überholen und überholt werden. Er gähnte.
„Na gut, bevor Sie mich noch weiter nerven. Oder einpennen.“
Ich sag doch.
Er blieb vor ihr stehen in seinem karierten Hemd mit Rentieren darauf. In der Hand eine Tasse Glühwein, aus der Dampf aufstieg. Er legte die Stirn in Falten und fragte, ob alles in Ordnung sei.
schön
Es tut mir leid. Ich kann das nicht mehr.
Ick ooch nich.
Diese Stille hier.
Ick weeß.
Ich habe sie auch verloren.
Ick weeß.
Diesen ganzen Dialog mit seiner Frau finde ich sehr gelungen. Wie gesagt, ich würde ihr auch einen Dialekt geben, wirkt sonst so, als sprechen alle Frauen Hochdeutsch und die Männer Dialekt.
Ihre Augen warfen das Licht der Kamera rot zurück und ihrem breiten Grinsen fehlten ein paar Zähne und ihr Kopf war kahler als seiner es war. Drei Monate später hatte die Leukämie gesiegt. Und es bleiben nur die Bilder, auf deinen seine Tochter auf ewig festgefroren war in diesem Zustand, in diesem Alter, so unveränderlich wie der Lauf der Erde um die Sonne. Nur er wurde älter und fetter und bliebe allein zurück mit den Spielsachen, die sie nie wieder anrühren, der Kleidung, die sie nie wieder tragen würde. Allein mit dem Echo ihres Lachens.
Sehr schön. Berührend.
„Schon okay. Ist lange her.“ Sie sahen sich im Rückspiegel erneut in die Augen und beide lächelten müde.
Schön.
Stop and go, die Minuten vergingen in Stille. Links sammelten sich immer mehr Autos, rechts die LKW wie eine Wand. Die Mittelspur wirkte enger. Überall Bremslichter wie rote Blutkörperchen in einer verstopften Arterie.
Auch sehr schön.
„Hat mich wahnsinnig gemacht. Da hab ich eine Erotik-Anzeige online gestellt und da kamen viele Antworten. Über die Weihnachstage. Manche haben mir Geld geboten. Aber ich hab's nie genommen. Manchmal hatte ich Mitleid. Schätze, die Typen waren auch einsam. Aber naja ... Wollte einfach nur für ein paar Minuten an nichts denken, wissen Sie?“
Und jetzt - bäm - nee, das geht mir immer noch zu schnell. Du hast hier schon abgespeckt, aber das finde ich so derartig distanzlos, das zu erzählen, gut, du schilderst hier schon eine Frau mit psychischen Problemen.
Er räusperte sich. „Dit heißt aber, Ihnen jeht’s jetze besser?“
Seine Reaktion wiederum, sehr natürlich, irgendwie aus dem Thema rauskommen.
„Das letzte Mal an Silvester. Vor vier Jahren, glaube ich. Da war ich auch allein und habe mich mit einem älteren Kerl getroffen. Ich lag dann nur da und habe an die Decke gestarrt und geweint. Danach hatte ich immer das Gefühl, ich stinke nach. Nach Männerschweiß. Egal, wie oft ich dusche oder wie viel Parfüm. Da hab ich es dann gelassen. Seitdem hatte ich keinen Sex mehr. Zumindest nicht mit Männern.“
E
Ich glaube das nicht wirklich, dass sie das so detailliert schildern würde. Und dann ja noch einem Mann gegenüber. Im Grunde glaube ich auch nicht, dass diese Geschichte das braucht. Wenn überhaupt, dann würden da Andeutungen für mich passen.
Er sah sie bloß im Rückspiegel an, sein Gesicht von fahlem Blau im Licht der Armaturen. Wie ein Gespenst.
„Ist fast wie ein Beichtstuhl hier hinten“, sagte sie.
Er schwieg.
Das wiederum finde ich schön.
Sie aß eine Pommes. Ein bisschen zu weich, doch gut gesalzen.
Das auch.
Er kaute einen Chilli-Cheese-Burger und schluckte und fragte: „Darf ick frajen, wat mit Ihrer Mutter is?“
Hat so etwas Altertümliches. Er ist ja deutlich vorsichtiger, respektvoller.
„Die hat mir Jott jeschickt. Im Internet.“ Beide lächelten.
Schön.
Er folgte ihrem Blick. „Süß.“
„Hm?“
„Die Kleene.“
„Mag sein.“
„Sie mögen keene Kinner?“
„Sie … sie machen mir Angst.“
„Angst?“
Da war ich erst irritiert, weil sie doch Erzieherin ist und vorher gesagt hat, dass sie Kinder mag:
„Warum sindse Erzieherin jeworden?“, fragte er.
„Hat sich so ergeben. Und Kinder mochte ich schon immer“, sagte sie ohne Zögern.

„Das ist lieb von Ihnen. Aber dennoch bin ich oft traurig. Auch in der Kita. Wenn ich die Kleinen sehe … so unberührt. Wie leere Gläser und unser Wissen und unsere Erfahrungen sind das Wasser, das wir da reinkippen. Und manchmal kommt da richtiger Dünnschiss zusammen.“
Drastisch.
„Wann haben Sie den Entschluss gefasst?“
„Mit ihr zusammenzuziehen?“
„Ja.“
„Vorhin.“
„Echt jetzt?“
„Jep, als ich dit Stauende sah. Da hab ick keen Bock mehr druff.“
Toll!
„Sorry. Aber manchmal möchte man einfach ankommen, wissen Sie? Ich finde, es wird Zeit.“ Bei den Worten sah er ihr tief in die Augen und lächelte väterlich, und sie spürte Wärme in ihren Wangen aufsteigen und sah weg.
Hier redet er hochdeutsch.
„Stinken? Echt jetz? Sie machen sich ja Sorjen … wie ein Teenie. Ick schätzese da reifer ein. Ick gloob, der Grund is ein anderer.“
„So gut kennen Sie mich also schon? Na, da bin ich ja mal gespannt.“
„Es liegt dran, dat Weihnachten is.“
Sie sagte nichts.
Er lehnte sich vor. „Sie ham so viele schlechte Erfahrungen an Weihnachten jemacht, datse denken, an Weihnachten wird nu alles schiefjehn.“
Da kommt aber jetzt bei ihm so eine psychologische Interpretation, hm.
„Ick gloobe an göttliche Enerjie, und Sie glooben, Weihnachten is verflucht. Wo is da der Unterschied?“
„Was? Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“
„So? Warum jehnse dann davon aus, dat jedes Weihnachten ein Reinfall wird?“
Das ist ja auch so etwas, was die Leser mitnehmen sollen, oder? Das ist schon so eine Entwicklungsgeschichte. Er wird zu einem "alten Weisen", der eine Botschaft vermittelt. Ich finde, das gelingt und zugleich ist das für mich hart an der Grenze.
Sie erreichten den Prager Hauptbahnhof und er machte den Moter aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. „Da simmer.“
Schön.
Sie überlegte kurz, ob sie nach seiner Handynummer fragen sollte, doch das erschein ihr unpassend und sie würde ihm nie wieder schreiben. Es war alles gesagt.
"erschien" ja, glaubhaft
Auf der Straße, die durch die Stadt verlief wie ein einzelner Pinselstrich in einem Ölgemälde.
Sehr schöner Schlusssatz.

Am Ende der Geschichte habe ich tasächlich das Gefühl, lange im Auto gesessen zu haben. Und ich gehe mit einem warmen Gefühl für die beiden da raus, auch wenn die Frau mich immer wieder irritiert hat.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @lakita

freut mich riesig, dass du meine Geschichte gelesen und gleich auch noch so detailliert kommentiert hast. Vielen vielen Dank. Und dass sie dir gefällt, freut mich noch umso mehr!

Deine Geschichte ist ein Paradebeispiel für Entschleunigung. Du gehst tief in die Details und dadurch wirkt deine Erzählung ruhig und bedächtig, fast schon feierlich andächtig.
Gut finde ich, dass du diesen Erzählstil und das Tempo zu keinem Zeitpunkt verlässt, also nirgendwo etwas sich drängelig wird oder gar hektisch.
Tatsächlich hatte ich hier einige Bedenken. Ob das Ganze nicht vielleicht zu ruhig ist, zu spannungsarm. Da fällt mir bei deinen Worten natürlich ein Riesenstein vom Herzen. Um das auszugleichen, habe ich in der ersten Stunde immer wieder diese Andeutung an Marisa und Desaster gesetzt, einfach um Spannung reinzubringen. Scheint so oder so auf jeden Fall ganz gut aufgegangen zu sein, puh. :)

Inhaltlich ist mir nicht ganz klar, ob du aufzeigen wolltest, dass der christliche Glaube dazu führen kann, dass man auch mit sehr schlimmen Situationen konstruktiv, am Ende positiv umgehen kann. Sollte das der Fall sein, so hat es mich leider nicht überzeugen können.
Das ist mir viel zu sehr einfach behauptet.
Aber vielleicht war das ja gar nicht dein Ansatz.
Meine Intention war grundsätzlich eine andere, wenngleich die Religion da natürlich reinspielt. Ich bin selbst überhaupt nicht christlich, und es ging mir hauptsächlich um das "Enerjiefeld". Dass wir alle Verluste erleiden und schlechte Zeiten durchmachen und am Ende doch wieder aufstehen können und neue Kraft schöpfen. Und wir können uns deshalb in einander einfühlen, auch in einen völlig Fremden, weil wir wissen, wie sich das anfühlt oder uns das gut vorstellen können. Eine Ode an die Kraft der Empathie sozusagen. :D Ich denke hier oft an den Buddhismus und an die Ansicht, dass alles Bewusstsein eins ist, jeder Teil des großen Ganzen. Dass du und @Chutney den letzten Satz gelobt hat, freut mich an dieser Stelle so richtig, weil er die Quintessenz meiner Intention gut wiedergibt. Wir sind alle auf dieser Straße, die sich Leben nennt, und alle Teil des großen Ölgemäldes.

Du benötigst da nicht viele Worte und die wenigen sind perfekt gewählt und geben die Stimmung bestens wider. Kann sich so mancher eine dicke Scheibe von dir abschneiden.
Ähm, ich natürlich auch.
Da freut sich meine Schriftstellerseele aber mal so richtig. Danke, danke, danke!

Gut beschreibst du, dass deine Protagonistin am Ende mit deutlich mehr Gelassenheit und vielleicht sogar Ruhe in die Begegnung mit Marisa geht.
So ist es, das ist genau die Charakterentwicklung, die ich im Verlauf der Story vollziehen wollte. Er ist sozusagen der Retter ihrer Weihnacht, ganz im Sinne der Challenge. :D

Und hier merke ich auf, weil "Bitte nicht schon wieder", das könnte jetzt alles sein. Für mich eine Katastrophe. Marisa hat etwas getan, was sie schon mal getan hat und deine Protagonistin hat davon erfahren und fährt jetzt deswegen mit total gemischten Gefühlen hin.

Auweia. Jetzt, wo du es sagst, seh ich das auch. Stimmt, da kann man Marisa viel unterstellen, und es war nicht meine Absicht, ihr was Böses in die Schuhe zu scheiben, die Ärmste kann ja nichts für die Anxiety der Protagonistin, für das weihnachtliche Trauma. Ich habe den Satz nochmal geändert, sodass Weihnachten als der Schuldige etwas deutlicher wird, ohne dass ich da jetzt zu sehr draufzeige. Da steht jetzt erstmal: Bitte lass es dieses Jahr anders sein. Ganz ohne nochmal Marisa zu erwähnen. Will da noch nicht zu deutlich werden und zu früh zu viel verraten.

Ich habe eine Weile überlegt, ob mir das Berlinerische des Fahrers missfällt, weil es aufgesetzt wirkt, so als wolltest du dringend einen Kontrast zwischen den beiden herausarbeiten oder ob ich umgekehrt, deine Geschichte für allzu blaß in den Dialogen gehalten hätte, wenn der Fahrer nicht in diesem Dialekt sprechen würde.

Die Bedenken hatte ich auch. Aber ich wollte dann doch etwas Farbe in die Wand aus Dialogen bringen und habe es durchgezogen mit dem Berlinern. Hatte auch ganz praktische Gründe dann. Ich konnte mich, vor allem in der fünften Stunde, voll zurückziehen und die Figuren einfach reden lassen und der Leser weiß immer, wer da gerade spricht. Spart mir viel er sagte/sie sagte und der Lesefluss ist viel besser und man ist mehr "drin".

An manchen Stellen stellst du dem Leser quasi die Gedankenwelt deiner Protagonistin vor die Tür wie ein Paket. Da hatte ich den Eindruck, dass es vielleicht zur Not zwei, drei Sätze mehr benötigt hätte und du hättest nicht mitteilen müssen, wie sie sich fühlt und was sie fühlt. Die Breite, in der diese Geschichte angelegt ist, hätte das durchaus vertragen.

Ich gehe den Text dahingehend nochmal aufmerksam durch, vielen Dank für den Hinweis!

Mir fiel noch auf, dass deine Protagonistin, dafür, dass sie das erste Mal diese sog. Mitfahrgelegenheit nutzt, sich erstaunlich entspannt verhält. Klar, sie ist wegen der Begegnung mit Marisa aufgeregt und das ohne Ende.

Wow, daran hatte ich so gar nicht gedacht, guter Einwand. Ich schätze, mir fehlt da dann doch die weibliche Sicht der Dinge. Wenn ich mich als Mann in den Wagen eines Fremden setzt, in ein Taxi etwa, ist das sicherlich eine deutlich entspanntere Angelegenheit, als wäre ich eine Frau. Hier hätte ich jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich stelle den Fahrer direkt als vertrauenswürdig dar, etwa durch durchweg positive Bewertungen auf blablacar, oder ich ändere das so, dass die Prota doch schon öfter mit Fremden mitgefahren ist und die Situation kennt und die Nervosität vor den Treffen mit Marisa dann deutlich die Überhand gewinnt. Habe mich jetzt für Letzteres entschieden und ein paar Dialogzeilen eingefügt, die die Protagonisten am Anfang der Reise auch nochmal etwas lakonischer zeigen.

Was findet er fair? Wieso kommt er auf so einen Gedanken. Hatte den Eindruck, dass da etwas fehlt in der Aussage, damit sie nachvollziehbar wird.
Das hat tatsächlich sie gesagt. Hab dem jetzt ein Sie sagte: vorangestellt.

hat er sie geduzt.
Ups, durchgeflutscht. :D

Vielleicht sollte sie an dieser Stelle auch noch ein bisschen mehr dazu sagen, dass sie sich selbst über sich wundert. Denn während ich las, dass sie Dinge von sich hergab, die man normalerweise nur der besten Freundin erzählt, fand ich das schon etwas befremdlich.
Das wurde in allen Kommentaren angemerkt und ich sehe das mittlerweile selbst auch als Fremdkörper. Ist Überbleibsel einer älteren Version des Textes, als es die sechste Stunde noch gab. :D Ich habe da jetzt nochmal komplett rübergebügelt und sie viel zögerlicher dargestellt und sie verrät auch keine Details mehr, nur noch so grob, dass sie Männerbekanntschaften hatte und damit unzufrieden war. Das war's. Danke, auch nochmal an @Seth Gecko und @Chutney, dass ihr drei mir da die Augen geöffnet habt. Ich hoffe, es passt jetzt deutlich besser zum Ton der restlichen Geschichte.

Das sagt doch jetzt der Fahrer oder? Jetzt fehlt ganz das Berlinerische.
War tatsächlich Absicht, um den Satz hervorzuheben und ihm eine höhere Wucht zu verleihen. Hat tatsächlich funktioniert, denn es ist euch aufgefallen. :D Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist Kongruenz mit dem Dialekt doch wichtiger. Hervorheben schön und gut, aber stolpern sollte man darüber nun auch nicht. Hab ihm da jetzt Dialekt jejeben.

Bin den Text dann nochmal mit Bügeleisen und Schere durchgegangen und habe deine tollen Anmerkungen umgesetzt und hier und da noch ein paar Sachen klarer gemacht. Tausend Dank dir. :) Und dass dir so viele Stellen so gut gefallen haben, macht mich sehr glücklich und bedeutet mir was. Du warst schließlich auch die erste Person, die meine allererste Kurzgeschichte kommentiert hat. ;)

Ich wünsche dir ein ganz tolles Wochenende.

Liebe Grüße
gibberish


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Hi @Chutney

so schnell sehen wir uns innerhalb der Challenge wieder. Freut mich sehr, dass du bei mir vorbeischaust. :)

da könnte man fast ein Hörspiel draus machen, so viel Dialog, die beiden in dem Auto in der Nacht. Vor allem sind dir so schöne atmosphärische Sätze gelungen. Dass er Dialekt spricht finde ich manchmal etwas anstrengend, macht aber natürlich viel mit seinem Charakter. Ich glaube, ich hätte seine Ehefrau in der Vergangenheit auch berlinern lassen, das würde mir natürlicher vorkommen. Mich erinnert so etwas an Situationen aus dem Zug, wo man weiß, man sieht sich nie wieder. Du spielst damit, dass deine Protagonisten so verschieden sind und sich trotzdem sehr nah kommen. Ich hab das gerne gelesen, aber mir ist da auch der Übergang manchmal etwas zu abrupt.
Ja, das ist für mich jetzt auch was Besonderes, denn so einen dialoglastigen Text gab's von mir auch noch nicht, und das Berlinern ist kann anstrengend sein, ich weiß. Daher habe ich versucht, es damit nicht zu übertreiben und den Dialekt etwas verständlicher zu halten. Wäre noch viel schlimmer gegangen, aber das wollen wir beide nicht, glaube ich. :D

Genau so eine flüchtige Begegnung wie du hier mit dem Zug beschreibst, das war der Ausgangspunkt meines Textes. Es kommt heutzutage vielleicht immer seltener vor, mit Handy und Kopfhörern in den Ohren und so, aber es passiert dann doch manchmal. Als ich nach Kolumbien geflogen bin im März, zum Beispiel. Da saß ich neben einem Deutschen und wir haben uns lange unterhalten und auch über Dinge, die ich meinem besten Freund jetzt nicht unbedingt auf's Brot schmiere. Weil bei Freunden und Familie, da hat man ja immer auch Angst, die Beziehungsdynamik zu verändern, wenn man zu viel Wildes oder Intimes über sein Denken und Fühlen preisgibt. Bei Fremden scheißt man viel eher darauf und öffnet sich etwas bereitwilliger. Man hat ja keine Beziehung zu verlieren. Das Phänomen sieht man auch immer wieder im Internet, wo Leute Fremde um Rat zu den intimsten Dingen bitten, einfach weil sie auch unvoreingenommen sind. Und hier bei mir rettet so ein unvoreingenommener Fahrer halt mal Weihnachten. :D

Bezüglich der abrupten Übergänge gucke ich nochmal, aber so harte Cuts sind prinzipiell beabsichtigt. Wenn man an etwas zurückdenken muss, kommt das ja auch direkt in den Kopf geschossen, zum Beispiel. Aber ich gucke.

Und wird spöttisch, wenn er antwortet. Ehrlich, sie ist mir nicht sympathisch. Er ist da sehr gutmütig.
Ist ja ihre Absicht, so arschig zu sein und so eine Ausrede zu haben, falls der Fahrer sie rausschmeißt und der (unberechtigterweise) unangenehmen Begegnung mit Marisa aus dem Weg zu gehen. Ich ertappe mich selbst manchmal mit sowas. Kein Bock auf Party und man hofft, dass einer absagt oder ein Zug ausfällt und man der Situation entgeht, aber nicht selbst der Buhmann ist. So hier mit der Prota und ihrer Angst vor der verfluchten Weihnacht. Der gutmütige Fahrer macht ihr da aber einen Strich durch die Rechnung. :D

Und jetzt - bäm - nee, das geht mir immer noch zu schnell. Du hast hier schon abgespeckt, aber das finde ich so derartig distanzlos, das zu erzählen, gut, du schilderst hier schon eine Frau mit psychischen Problemen.
Ja, sie ist generell nicht die einfachste Person, und das kommt im Text gut durch. Sehr mit sich selbst im Konflikt auch und ein Stück traumatisiert. Aber dennoch bin ich einverstanden mit dir, und das ist viel zu direkt und passt so gar nicht mehr. Bin da nochmal drüber, sie schildert das nun viel zögerlicher und noch weniger explizit und ohne große Details, und ich hoffe, es passt jetzt etwas besser.

Da war ich erst irritiert, weil sie doch Erzieherin ist und vorher gesagt hat, dass sie Kinder mag
Stimmt, das beißt sich. Hab das mit den Kinder mögen am Anfang rausgenommen. Die Prota war in einer älteren Fassung tatsächlich Ärztin und hat das mit Studium durchgezogen, ob du's glaubst oder nicht. :D

Hier redet er hochdeutsch.

Hehe, war Absicht, um den Satz hervorzuheben und mehr Kraft zu geben. Das Hervorheben hat tatsächlich funktioniert, aber im Sinne vom Stolpern. Das muss nicht sein und der Dialekt ist jetzt da.

Das ist schon so eine Entwicklungsgeschichte. Er wird zu einem "alten Weisen", der eine Botschaft vermittelt. Ich finde, das gelingt und zugleich ist das für mich hart an der Grenze.
Oh ja, das war eine ganz ganz große Befürchtung meinerseits. Ich bin den Text drei Mal komplett durchgegangen NUR mit dem Auge auf etwaige Belehrungen. Thematisch musste ich hier höllisch aufpassen. Religion und Psychologie, das sind so Themen, da ist man ganz schnell auf dünnem Eis, und ich wollte hier das Zeigefingerheben unbedingt vermeiden. Die Grenze ist da schnell erreicht, aber ich glaube auch, ich bin noch gerade so drunter, was schon ein kleiner Sieg für mich ist. :D

Liebe Chutney, ich bin den Text nochmal durch und haben mithilfe deiner Vorschläge nochmal Änderungen durchgeführt. Ganz toll finde ich, dass dir so viele Stellen so gut gefallen haben. Danke, danke. Und das warme Gefühl am Ende einer langen Reise, physisch und psychisch, hatte ich nach der Fahrt mit den beiden auch. Obgleich die Frau keine einfache ist. Ich arbeite noch etwas an ihr. :D

Danke für deinen Kommentar und schon mal ein ganz tolles Wochenende!

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo @gibberish,

Es wurde bereits sehr viel gute Kritik geübt, ich kann mich teilweise anschließen und habe daher nichts wirklich hilfreiches mehr zu ergänzen, aber ich möchte dir mitteilen, dass dir hier eine wirklich fantastische Geschichte gelungen ist. Diese KG hat mich mehr als berührt. Wie versteinert saß ich da und habe mich völlig darin verloren. Die Charaktere sind interessant mit einer guten Portion Tiefe. Der Relijöse Bezug hat mir gut gefallen, da ich den Mann mit seine Ansichten, obwohl ich mich eher zu den Atheisten zählen würde, sehr gut verstehen konnte und schon fasst so etwas wie einen "wow" Moment hatte. Die Fahrt ist recht lange, genau wie der Text, und doch war es zu keinem Zeitpunkt langweilig. Am Anfang musste ich sehr über den Dialekt Lachen, mein Highlight ist Guugle, aber mit der Zeit kam ich immer besser rein und konnte durch den Dialekt die wörtliche Rede gut trennen, obwohl du nichts dergleichen wie "sagte er/sie" geschrieben hast.
Auch wenn es vielleicht etwas Stumpfsinnig ist den Text nur in die Höhe zu loben, musste ich das einfach loswerden und dir für die tolle Geschichte danken. Du hast meinen Geschmack voll getroffen und daher für meinen Einschätzung einen Volltreffer gelandet :D

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
AngeloS.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @AngeloS.

vielen lieben Dank für dein Feedback. Du hast mich mit deinen lieben Worten gerade sehr glücklich gemacht. :)

Diese KG hat mich mehr als berührt. Wie versteinert saß ich da und habe mich völlig darin verloren.

Oh, das freut mich riesig. Ist ja immer so eine Sache, so richtig weiß man nie, wie ein Text ankommen wird. Umso schöner, wenn man solche Rückmeldungen erhält. Danke, danke. Berühren und unterhalten ... genau deswegen schreibe ich, und das zu hören, ist dann super schön.

Der Relijöse Bezug hat mir gut gefallen, da ich den Mann mit seine Ansichten, obwohl ich mich eher zu den Atheisten zählen würde, sehr gut verstehen konnte und schon fasst so etwas wie einen "wow" Moment hatte.
Ich würde mich ebenfalls als Atheist bezeichnen. Dennoch fasziniert mich Religion im soziokulturellen Aspekt. Und wenn man vom Göttlichen mal absieht und allein das Zwischenmenschliche betrachtet, also, da ist schon viel Interessantes drin. Für mich lohnt es sich oft, das auszuloten und Charaktere damit anzureichern, und daher findet die Religion immer mal wieder ihren Weg in meine Texte. :D

Die Fahrt ist recht lange, genau wie der Text, und doch war es zu keinem Zeitpunkt langweilig. Am Anfang musste ich sehr über den Dialekt Lachen, mein Highlight ist Guugle, aber mit der Zeit kam ich immer besser rein und konnte durch den Dialekt die wörtliche Rede gut trennen, obwohl du nichts dergleichen wie "sagte er/sie" geschrieben hast.
Ja, der war anfangs noch viel länger und da bin ich dann schon runter mit der Länge, auch die Dialoge habe ich mehr und mehr in den Vordergrund gerückt, bis ich die Charaktere dann über weite Strecken "alleingelassen" habe. Der Dialekt hat viel dazu beigetragen, dass ich mich raushalten und nur die Charaktere sprechen lassen konnte. Gibt ja so Autoren, die ziehen das über Dutzende Seiten durch, ich denke hier zum Beispiel an Cormac McCarthy. Da gibt's dann keinen Erzähler mehr, nicht mal mehr Anführungszeichen. Und ich ertappe mich immer mal dabei, wie ich mental aussteige und gar nicht mehr weiß, wer genau da jetzt eigentlich spricht (McCarthy ist aber genial, uneingeschränkte Empfehlung). Da kam mir der Berliner gerade recht, um das hier zu vermeiden. :D

Und besonderer Dank für das Guugel geht hier erneut an @Seth Gecko. Als er das vorgeschlagen hat, musste ich auch lachen und hab's dann direkt übernommen. :D

Du hast meinen Geschmack voll getroffen und daher für meinen Einschätzung einen Volltreffer gelandet
Das freut mich riesig und ich danke dir sehr, dass du mir einen Kommentar dagelassen hast. Danke, danke. :bounce:

Ich wünsche dir ein erholsames Wochenende!

Liebe Grüße
gibberish

 

Hey @gibberish

jetzt habe ich es auch endlich geschafft, deine Geschichte zu lesen. Hat mir gut gefallen. Das plätscherte so gemächlich vor sich hin und ich habe mich mit den beiden durch die Nacht treiben lassen. Wie @Chutney hatte auch ich das Gefühl, mit den beiden im Auto zu sitzen. Und sie ist auch so schön ruhig, weil ja kaum Spannung aufkommt. Die einzige aktuelle Frage ist, was es mit Marisa auf sich hat, warum die ihr Bauchweh verursacht. Alles andere liegt weit zurück, als Leser weiß man, das ist irgendwie abgeschlossen. Aber man lernt die beiden durch ihre Geschichten natürlich gut kennen, hört sich zwei Schicksale an. Sehr schön finde ich übrigens, dass die zwei bis zum Ende keinen Namen haben, das Siezen sich bis zum Ende durchzieht, womit klar wird, sie bleiben einander Fremde, die man eben im Leben trifft und wieder aus den Augen verliert. Obwohl ich schon denke, dass im RL vielleicht doch irgendwann nach dem Namen fragen würde oder nach dem Du. Dadurch weiß man zwar null Komma null mehr über die Person, aber egal, man schafft dadurch etwas Vertrauteres. Aus Lesersicht finde es gut, dass dies hier eben nicht passiert. Da bleibt die Distanz im Spiel, die man sonst ab irgendeiner Stelle wahrscheinlich ausblenden würde. Schätze ich mal so. Kurz: Das hat was :)

Der Fahrer sah jünger aus als auf seinem Profilbild bei blablacar.
Schöner Name! Schon auch, weil der völlig wurscht ist.

Passanten auf den Fußwegen bloß wandernde Wintermäntel, Schritte schnell, Köpfe eingezogen. Wie Schildkröten, die Schutz suchen vor Regen und Kälte und den Blicken von Fremden.
Passanten auf den Fußwegen bloß wandernde Wintermäntel, Schritte schnell, Köpfe eingezogen - den Satz musste ich mehrmals lesen. Inhalt völlig klar, aber lesen tut sich das komisch.
Passanten auf den Fußwegen - wandernde Wintermäntel, schnelle Schritte, eingezogene Köpfe.
So wäre er greifbarer für mich. Und der Erklärbär hinten dran macht das schöne Bild der wanderenden Mäntel kaputt. Weil aus ihnen halt Schildköten werden und die sind ja nun nicht grad so fein originell wie deine Mäntel.

„Jute Erfahrungen jehabt bisher?“
„Ja.“
Hier hatteste mich dann. Ich bin Anfang der 90ziger ja viel getrampt. U.a. auch gern mal nach Prag. Und ja, ich hab ne Menge gute Erfahrungen gemacht.

„Stille Nacht“, sagte er und grinste. „Is jut.“
Dein Autofahrer ist mir ja irre sympathisch. Schon so gleich zu Beginn. Sie dagegen bekommt man gar nicht zu fassen, wegen diesem zwie. Ich will hin - aber eigentlich will ich es gar nicht. Da denkt man nur so, na wat jetzt Mädel?

Sie fuhren eine Weile schweigend weiter. In der Ferne ein Hupen, Motorengeräusche überall, eine Straßenbahn überholte von links, quietschte über die Schienen.
Ich mag die Beschreibung der Außenwelt übrigens richtig gern. Diese kurzen Schlaglichter.

„Ich will nicht streiten.“
„Sicher? Sie klingen nich danach. Und dit versaut nur die Stimmung hier. Müssen schließlich fünf Stunden fahrn zusammen.
„Sie könnten mich rausschmeißen.“
Schon klar. Auch dem Leser ;)

„Naja, wennse planlos einen Roman schreiben, habense vielleicht per Zufall eine jeile Szene. Wenn überhaupt, ja? Aber wennse alles durchplanen, ist dit große Janze ziemlich stark, wa. Also, im besten Fall. Wie unsa Planet mit den Vöjeln und Fischen unso weiter.“
Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass er der Typ ist, der Romane schreibt. Und ich werde es auch bis zu Ende nicht haben. Das holt ihn auch aus dem Bild, einfacher Mann mit ganz großem Herz raus. Hier spricht für mich eindeutig der Autor, weniger die Figur. Wenn der jetzt sagen würde, baut ja och keener nen Haus ohne Plan, - dit würd ick ihm globen.

„Im Grunde ist‘s mir auch egal. Sie können glauben, woran Sie wollen. Meinetwegen an den Weihnachtsmann. Solange wir heil ankommen.“
Dafür, dass es ihr egal ist, holt sie aber echt die Axt hintenrum raus. Passt für mich auch nicht. Ich weiß, du brauchst das, um den erwünschten Rausschmiss zu provozieren, aber auch das kauf ich der Figur nicht ab. Also, das sie es darauf anlegen würde. Begründen kann ich das aber nicht. Vielleicht wirkt sie auf mich zu erschöpft für solche Kleinkriege.

„Dit ist der Plan“, sagte er. „Und Sie haben damit anjefangen. Brauchen dann nich sauer werden, wenn Ihnen meene Antwort nich jefällt. Is halt ooch ein schwierijes Thema, ne.“
Immer dieses Nachtreten bei den beiden ... Mach was de willst. Is ja dein Text ;).

Als betrachte sie die Welt durch einen Fernseher, die Sättigung gen Null gestellt.
Hä? Verstehe ich nicht. Braucht es für mich auch nicht.

„Soll ich Ihnen jetzt meine Lebensgeschichte erzählen, oder was?“
„Warum nich? Wir ham Zeit. Und Musik hörn, wollense ja nicht.“
„Machen Sie doch einfach was an.“
„Ah, warum gleich so aggressiv, hm? Erzählse scho, ick beeße nich.“
„Ich kenne Sie doch gar nicht.“
„Na, umso besser.“
Sie schwieg einen Augenblick. Das Rollen der Reifen über Asphalt und das monotone Brummen des Motors und das gelegentliche Prasseln von Wasser beim Überholen und überholt werden. Er gähnte.
„Na gut, bevor Sie mich noch weiter nerven. Oder einpennen.“
Der Sinneswandel wirkt auf mich total unmotiviert, da geh ich nicht mit. Von voll anti und aggressiv zu - okay. Ich würde das anti-aggressive rausstreichen, seine Anwort ne Weile im Raum stehen lassen.

... und seine Stimme war ganz rau, als er sagte, er sei stolz auf sie. Auf ihr Einser-Abi und die besondere Ehrung auf der Abschlussfeier. Ein schlaues Buch und fünfzig Euro, überreicht von einem kahlköpfigen Mann in Anzug und Krawatte.
Was willst du nun machen? Studieren?, fragte ihr Vater.
Fragt man das nicht schon im Sommer? Oder überhaupt schon viel früher? Ich mein, das Studium hätte doch im Herbst begonnen? Was macht sie denn da ein halbes Jahr lang nach dem Abi und die Eltern haben die Frage vorher noch nie gestellt? Das kauf ich nicht.

Weiß ich noch nicht.
Bist schlau. Du kannst alles lernen.
Kann sein.

....
Dieser Dialog hätte ganz sicher früher stattgefunden.

Er behielt seinen Fuß sanft auf dem Gaspedal, hielt die Geschwindigkeit.
Kleinvieh :)

Tacho und Tankanzeige warfen bläuliches Licht auf die Finger des Fahrers, aus denen dunkle Härchen wuchsen, die im Halbdunkel aussahen wie Bleistiftstriche.
Schönes Bild

„Wat hamse dann jemacht? Neuet Hobby jesucht?
Wie kommt man darauf, dass man sich bei Liebeskummer ein neues Hobby sucht? Fragt man da nicht eher nach nem neuen Kerl? Dann macht ihre passiv-aggressive Antwort auch mehr Sinn. Ich mein, ja, ich habe angefangen Untersetzer zu basteln - da liegt ja nichts allzu persönliches drin. Und peinliches schon mal gar nicht. Und darum geht es hier doch, um die Peinlichkeit, die es ihr verbietet, zu antworten.

„Naja ... wenn Sie meinen und es unbedingt wissen wollen. Also, nach der Trennung ... ich hatte danach viele Männerbekanntschaften. Nie was Festes. Reicht Ihnen das?“
Und die 180 Graddrehung geht mir dann doch wieder zu fix. Enmtweder vorher abschwächen oder ihr paar Minuten geben, auf seinen Worten rumzukauen und den Faden dann anders wieder aufnehmen. Übrigens sind Na + ja zwei Worte ;) - gilt für den gesamten Text.
Naja dagegen bedeutet Giftnatter (Kobra, Königshutschlange u. a.) :teach:

„Ganz komisch. Wie so ein Jucken, das nur verschwand, wenn … Sie wissen schon …“
„Hm.“
Darüber hab ich auch mal ne Geschichte geschrieben. Sex als Flucht. Die einen ritzen, die anderen haben Sex. Lange her und die steht hier auch nicht mehr.

... zu den parkenden Autos und der Autobahn dahinter, sahen sie nur ihre verwaschenen Spiegelbilder im Glas. Nur wenige Kunden waren da,
Kleinvieh

„Naja, war schon peinlich, oder? Das hab ich nicht mal meiner Mutter gesagt. Das mit den Männern.“
Was heißt denn nicht mal? Sind das Dinge, die man normalerweise seinen Eltern erzählt? Glaub ja nicht.

„Die hat mir Jott jeschickt. Im Internet.“ Beide lächelten.
Nice!

„Halten Sie mir jetzt ne Predigt? Von wegen unnatürlich und so?“
Sorry, aber die ist doch jetzt echt langsam runter von ihrem Antitripp. Wo kommt das jetzt her?

„Mit ihr zusammenzuziehen?“
„Ja.“
„Vorhin.“
„Echt jetzt?“
„Jep, als ich dit Stauende sah. Da hab ick keen Bock mehr druff.“
Ich mag den Typen voll gern. Aber Du machst es einem auch einfach, das zu tun.

„Kann sein. Trotzdem habe ich Angst. Was ist, wenn ich was Falsches sage? Oder ihr nicht gefalle? Oder stinke, oder so?“
Also, die ist ja nun nicht mehr 14. So ne Fragen stellt man sich nicht wirklich mit ... Ende zwanzig? Eher so, wenn es eben nur auf Distanz funktioniert, wenn man sich so nah auf den Senkel geht oder nichts mehr zu sagen hat. Eher wohl so ne Fragen.

„Stinken? Echt jetze? Sie machen sich ja Sorjen … wie ein Teenie. Ick schätzese da reifer ein. Ick gloob, der Grund is ein anderer.“
Siehste! Ist albern :D

Er lehnte sich vor. „Sie ham so viele schlechte Erfahrungen an Weihnachten jemacht, datse denken, an Weihnachten wird nu alles schiefjehn.“
Zu der Erkenntnis kann er ja trotzdem kommen. Auch, wenn sie sich "erwachsene" Sorgen macht.

Sie erreichten den Prager Hauptbahnhof und er machte den Moter aus ...

„Eher unmenschlicher. Wie hamse so schön jesacht? Dit mit dem Glas undem Wasser und so.“
Von Glas und Wasser hab ich nichts gelesen. Haste dit jestrichen, vielleicht? Oder ich hab det überlesen, kann och sein.

Sie überlegte, ob sie nach seiner Handynummer fragen sollte, doch das erschien ihr unpassend und sie würde ihm nie wieder schreiben. Es war alles gesagt. Außer eines. Sie fasste an seine Schulter, drückte sie sacht und sagte: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Freundin fröhliche Weihnachten.“
Schönes Ende! Aber das Ende-Ende auch.

Habe ich wirklich gern gelesen, auch wenn ich doch paar Dinge zusammengesammelt hab. Ist aber egal, weil die beiden mich am Ende tatsächlich berühren und das ist schön!

Weihnachtliche Grüße! Fliege

 

Hallo @Fliege

vielen lieben Dank für deinen Kommentar und deine tolle Textarbeit. Das meiste habe ich direkt übernommen bzw. gestrichen. Das mit dem Haus statt Roman zum Beispiel, direkt gekauft. :D Bei einigen Sachen muss ich nochmal drüber, insbesondere, was die Prota angeht. Aber es wird Tag um Tag stimmiger, insbesondere durch so hilfreiche Kommentare wie deinem. :)

Die einzige aktuelle Frage ist, was es mit Marisa auf sich hat, warum die ihr Bauchweh verursacht. Alles andere liegt weit zurück, als Leser weiß man, das ist irgendwie abgeschlossen. Aber man lernt die beiden durch ihre Geschichten natürlich gut kennen, hört sich zwei Schicksale an. Sehr schön finde ich übrigens, dass die zwei bis zum Ende keinen Namen haben, das Siezen sich bis zum Ende durchzieht, womit klar wird, sie bleiben einander Fremde, die man eben im Leben trifft und wieder aus den Augen verliert.
Ja, das ist genau das, was ich wollte. Einfach mit den beiden treiben lassen, als säße man als Unsichtbarer direkt daneben. So ein bisschen Kammerspiel, nur eben im Auto. :D Spannung gibt's nicht viel, das stimmt, das war auch meine größte Befürchtung. Bin ja bisher eher in der Spannungsliteratur unterwegs gewesen, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Horror, Sci-Fi, Fantasy. Da hatte ich bei einer solchen Story wie hier schon so meine Bedenken, aber zu sehen, dass die Geschichte trotzdem oder gerade deshalb gut ankommt, macht mich sehr glücklich. Allein deshalb hat sich die Challenge für mich schon gelohnt. :)

Anfangs haben sie sich relativ schnell geduzt, aber dann dachte ich mir, nee, ich find's stimmiger, wenn die Distanz bleibt. Und Namen brauchte es ehrlich gesagt nicht, sie reden gegen Ende ja eh nur miteinander ohne Erzähler. :D

Hier hatteste mich dann. Ich bin Anfang der 90ziger ja viel getrampt. U.a. auch gern mal nach Prag. Und ja, ich hab ne Menge gute Erfahrungen gemacht.
Das war in gewisser Weise mutig von dir. :D Aber schön, dass du tolle Erfahrungen sammeln konntest, so wie die Prota mit meinem sympathischen Fahrer hier.

Dein Autofahrer ist mir ja irre sympathisch. Schon so gleich zu Beginn. Sie dagegen bekommt man gar nicht zu fassen, wegen diesem zwie. Ich will hin - aber eigentlich will ich es gar nicht. Da denkt man nur so, na wat jetzt Mädel?
Ich mag ihn auch sehr. Das Berlinern ist da natürlich nicht unschuldig, hat viel Spaß gemacht, in diesem Akzent zu schreiben. Die Protagonistin, na ja, das ist zwar jetzt schon deutlich besser geworden, aber ich muss sie noch ein bisschen besser ausarbeiten. Problem ist, dass sie halt wirklich selbst zwiegespalten ist, sie will hin und nicht. :D Ich gucke nochmal, ob's da mehr Raum für Charakterzeichnung braucht oder ich noch anderweitig eine zündende Idee habe.

Der Sinneswandel wirkt auf mich total unmotiviert, da geh ich nicht mit. Von voll anti und aggressiv zu - okay. Ich würde das anti-aggressive rausstreichen, seine Anwort ne Weile im Raum stehen lassen.
Gekauft, vielen lieben Dank. :bounce:
So auch das hier:
Wie kommt man darauf, dass man sich bei Liebeskummer ein neues Hobby sucht? Fragt man da nicht eher nach nem neuen Kerl? Dann macht ihre passiv-aggressive Antwort auch mehr Sinn.

Und die 180 Graddrehung geht mir dann doch wieder zu fix. Enmtweder vorher abschwächen oder ihr paar Minuten geben, auf seinen Worten rumzukauen und den Faden dann anders wieder aufnehmen. Übrigens sind Na + ja zwei Worte
Auweia, du hast recht, na ja ... ich bin schockiert. Strg + F regelt zum Glück und ich konnte es überall schnell korrigieren. Ich lasse sie dann noch ein bisschen auf den Worten rumkauen und versuche, das nochmal ein bisschen realistischer zu gestalten. Diese Passage war von Anfang an schwierig und ist schon sehr weit gekommen seit dem initialen Posten der Story, Wortkriegern sei Dank. :D

Von Glas und Wasser hab ich nichts gelesen. Haste dit jestrichen, vielleicht? Oder ich hab det überlesen, kann och sein.
Das sagt sie im Burger King, ist vielleicht tatsächlich untergegangen in dem vielen Dialog:

„Na ja, man kann nich allet wissen, oder? Niemanden auf allet vorbereiten.“
„Das ist es ja. Was ist, wenn ich sterbe und mein Kind ist nicht bereit dafür? Und ich hinterlasse ein Loch, das nicht gefüllt werden kann? Ein weiteres versautes Leben. Wie bei mir.“
„Also, ick denke bestimmt nich, dass Ihr Leben versaut is.“
„Das ist lieb von Ihnen. Aber dennoch bin ich oft traurig. Auch in der Kita. Wenn ich die Kleinen sehe … so unberührt. Wie leere Gläser und unser Wissen und unsere Erfahrungen sind das Wasser, das wir da reinkippen. Und manchmal kommt da richtiger Dünnschiss zusammen.“
„Und doch jehört dit dazu.“
„Weiß nicht, scheint mir doch recht grausam. Manchmal. Na ja, das ist ja alles auch müßig. Kinder werde ich eh nie haben.“

Liebe Fliege, nochmals vielen Dank für deinen Zeit und die viele Textarbeit, die du in deinen Kommentar gesteckt hast; ich freue mich sehr darüber. Und dass du viele Passagen gut findest, vor allem auch das Ende, das macht mich sehr happy. :)

Weihnachtliche Grüße direkt zurück, und noch viel Spaß bei der Challenge. Ich bin sicher, uns erwarten noch viele gute Geschichten. :)

Liebe Grüße
gibberish

 

Nabend @gibberish,

ausgedruckt und gelesen. Berlinerisch haste ja ziemlich durchgehalten. Einen Dialekt korrekt durchhalten ist aber auch verflixt schwer. Ihn zu sprechen und ihn zu schreiben, ist schon ein ziemlicher Unterschied im Schwierigkeitslevel. Unabhängig davon habe ich deinen Text sehr gerne gelesen. Eine Art Kammerspiel. Zwei Leute, ein Fahrzeug, genug Zeit. Fertig ist der Rahmen für den Blick ins Leben der beiden. Das Wichtigste zwischen uns Menschen tritt zutage: Annäherung. Und die erfolgt über die (Lebens-)Geschichten der Menschen. Annäherung. Erkennen, dass Schicksale sich ähneln, Empfundenes sich ähnelt. Unsere Zeit hat das bitter nötig. Geschichten, Annäherung, MITempfinden, NACHvollziehen.

Sehr gerne gelesen und genau richtig in dieser Zeit.

Grüße
Morphin

 

Moin @gibberish,

ich mag wie sich das Stunde für Stunde entwickelt und sie sich annähern, sich emotional weiter öffnen und mochte dann auch das Ende, als sie sich gegenseitig frohe Weihnachten wünschen und sich gegenseitig wertschätzen. Allerdings hatte ich doch auch ein Fragezeichen bei deiner Story, gerade am Anfang finde ich die Dialoge zu nichtssagend, da hätte ich mir mehr Subtexte gewünscht und ich bin etwas auf der Stelle getreten, hätte mir da etwas mehr Tempo gewünscht.

Ich gehe im Detail auf meinen Eindruck ein:

Im Wageninneren war es warm. Es roch nach Leder und einem Hauch von Wunderbaum, grüner Apfel.
Ich mag es gerne, dass du hier die Sinne nutzt und aktivierst, das zieht mich in die Geschichte rein und gefällt mir.

„Guugel sacht, nur fünf Stunden. Jute Verkehrslaje.“
„Super“, sagte sie tonlos
Ich mag das mit dem tonlos nicht, hätte mir stattdessen einen Dialog gewünscht, aus dem ich ihre Stimmung schlussfolgern kann.

„Hm.“ Sie wollte nicht reden und hoffte, er würde einfach losfahren und schweigen und sie die fünf Stunden nicht nerven. Was machen Sie beruflich? Was wollen Sie in Prag? Haben Sie Familie da? Vielleicht könnte sie sogar schlafen. Wenn nicht fünf Stunden, dann vielleicht zwei. Im Schlaf würde sie nicht an Marisa denken. Und an die letzten WhatsApp-Nachrichten.
Das mochte ich gerne, hatte da das Gefühl deiner Prota nah zu sein und so etwas lese ich gerne.

„Ridesharing“, sagte er. „Machense dit zum ersten Mal?“
Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. „Nein.“
„Jute Erfahrungen jehabt bisher?“
„Ja.“
„Nach Prag ooch?“
„Nein. War da noch nie.“
„Schöne Stadt.“
„Hm.“
„Und was machense da? Urlaub?“
Sie atmete tief durch die Nase ein. „Eine Freundin besuchen.“
„Verstehe. Weihnachten unter Freunden?“
„Nur wir zwei.“
Er sah in den Seitenspiegel und setzte den Blinker und bog ab. Die Welt außerhalb des Autos dreht sich um neunzig Grad nach rechts. „Wollense Musik hörn?“
„Nein“, sagte sie. „Ich mag die Stille. Und ich würde gerne schlafen, ja?“
„Stille Nacht“, sagte er und grinste. „Is jut.“
Das fand ich etwas belanglos, ich erfahre auch nicht so richtig viel über ihre Persönlichkeiten, weil das so kurz und abgehackt ist, hier sehe ich noch Potential, mehr über den Subtext zu transportieren, damit ich ein noch besseres Bild von den beiden bekomme.

Sie kratzte sich am Nacken. „Religiöse Leute sind mir auch zu … arrogant.“
„Arrogant?“
„Sie glauben, sie hätten auf alles eine Antwort. Den Tod und das alles. Und fühlen sich deshalb allen anderen überlegen. Als wären Atheisten Kinder, die immer wieder heiße Herdplatten anfassen, weil sie es nicht besser wissen.“
„Also ick seh dit nich so“, sagte er. „Ick fühle mich nich besser oder schlechter als Sie. Denk ich. Am Ende is es doch ooch nur meene Sache. Steht ja jedem frei.“
„Im Grunde ist‘s mir auch egal. Sie können glauben, woran Sie wollen. Solange wir heil ankommen.“
„Dit ist der Plan“, sagte er. „Und Sie haben damit anjefangen. Brauchen dann nich sauer werden, wenn Ihnen meene Antwort nich jefällt. Is halt ooch ein schwierijes Thema, ne.“ Die Ampel sprang auf Grün und sie fuhren weiter.
Hier mochte ich es dann wieder, hier erfahre ich mehr über ihre Ansichten, ihre Werte und das bringt die Charakterentwicklung nach vorne. Das hätte ich mir weiter oben in dem Zitat auch so gewünscht.

„Warum sindse Erzieherin jeworden?“, fragte er.
„Hat sich so ergeben“, sagte sie.
„Dit is allet?“
„Soll ich Ihnen jetzt meine Lebensgeschichte erzählen, oder was?“
Ja, ich habe mich das auch gefragt, ob sie sich auf der Fahrt wirklich so nah kommen können oder ob das doch eine Konstruktion des/der Autors/in ist.

Was willst du nun machen? Studieren?, fragte ihr Vater.
Weiß ich noch nicht.
Bist schlau. Du kannst alles lernen.
Kann sein.
Jura vielleicht. Dein Onkel ist doch Anwalt, er kann dir Tipps geben.
Jura ist langweilig.
Hm. Dann vielleicht Psychologie oder so?
Das macht doch auch jeder. Der Markt ist voll mit solchen Studenten.
Aber was willst du denn machen?
Weiß ich noch nicht, okay?
Aber wenn nicht jetzt …
Lass uns einfach den Tag genießen.
Hauptsache, du machst ordentlich Schotter.
Der Vater grinste. Kannst dann ja was rüberwachsen lassen. Meine Rente aufbessern. Dann lachte er.
Rückblick fand ich richtig stark und gut geschrieben, das kaufe ich.

Er erschrak und befürchtete, er wäre kurz eingenickt. Er hob den Blick, schaute in den Rückspiegel, und die Frau sah ihn an. So intensiv, als wollte sie ihn niederstarren. „Wegen meines Vaters. Sie sagten, Sie wissen, wie sich das anfühlt … Was meinten Sie damit?“
„Tja … also ick …“ Die Frau hörte nicht auf, ihn anzustarren. „Ick ..“
Sie sagte: „Fänd‘s jetzt nur fair. Habe Ihnen schließlich auch von Papa erzählt.“
„Nun …“ Er umklammerte das Lenkrad etwas fester. Das Kunstleder knirschte. „Okay … nun …“
Hier nutzt du das Prinzip der Reziprozität, sie erzählen sich gegenseitig etwas Vertraues, ja, das hat mir gefallen und fand ich dann auch wieder glaubwürdiger.

„War nich leicht. Schritt für Schritt. Und ich hab mich jezwungen, unner Leude zu jehn.“
„Deswegen auch blablacar?“
Er nickte. „Unner andrem.“
Das hat mich nicht überzeugt, blablacar, um unter Leute zu kommen? Ich weiß ja nicht, kann ja auch sehr anstrengend sein, nach so einem Schicksalschlag wünscht man sich doch eher Geborgenheit und nahe Freunde und keine Fremden, oder?

„Mann, machen Sie das öfter? Leute so ausquetschen? Ist ja fast wie ein Beichtstuhl hier hinten.“
„Hilft manchmal, dit einfach rauszulassen. wat da so drückt.“
„Auch, wenn Sie mich gar nicht kennen?“
Das habe ich mich auch gefragt und damit begründet, dass er fährt, um Leute kennenzulernen. So richtig hat mich das aber nicht überzeugt, fand das nicht so glaubwürdig.

„Ganz komisch. Wie so ein Jucken, das nur verschwand, wenn … Sie wissen schon …“
„Hm.“
„Aber na ja ... Wollte einfach nur für ein paar Minuten an nichts denken, wissen Sie? Da waren Männer ... na ja, es war halt einfach, von ihnen das zu bekommen, was ich wollte.“
„Kann man nicht mehr ändern. Ich hure jedenfalls nicht mehr rum, falls Sie das jetzt wissen wollten.“
Das hat sich etwas wie ein Klischee gelesen, fand ich nicht so überzeugend. Da hätte ich mir etwas Originelleres gewünscht, dieses Bild bzw. Verhaltensweise ist in meinen Augen schon oft verwendet worden. Und mich hat es auch gewundert, dass sie selbst über sich sagt "ich hure jedenfalls nicht mehr rum", das wertet sie ja automatisch irgendwo ab.

„Manche Dinge sacht man lieber einem Fremden. Oder bereuense, datse mir dit erzählt ham?“
„Nicht wirklich, nein. Weiß auch nicht, das wollte halt raus. Irgendwie.“
„Tut jut, wa?“
„Schon.“
Das ist in meinen Augen der Kerngedanke der Geschichte, worum alles andere aufgebaut ist.

Sie erreichten den Prager Hauptbahnhof und er machte den Motor aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. „Da simmer.“
„Vielen Dank für die Fahrt. Es … war mir eine Freude.“
„Leichfalls.“
Sie griff nach dem Türöffner, doch zögerte. Sie wollte nicht gehen. Noch nicht. „Ich beneide Sie.“
„Mich? Warumn ditte?“
„Sie haben so viel verloren. Und doch sind Sie so … positiv.“
„Nich imma. Weiß Jott nich imma.“
„Was ist Ihr Geheimnis?“
„Einfach weitermachen. Und neidisch müssense nich sein. Is eine Todsünde.“
Das war mir zu melodramatisch: Was ist ihr Geheimnis? Einfach weitermachen. War mir irgendwie zu kitischig an der Stelle.

Es war alles gesagt. Außer eines. Sie fasste an seine Schulter, drückte sie sacht und sagte: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Freundin fröhliche Weihnachten.“
Er tätschelte ihre Hand mit seiner, sie war ganz warm. „Dit wünsch ich Ihnen ooch. Fröhliche Weihnachten.“
Sehr schön, das mochte ich, steckt so viel Wertschätzung drin und sie sind sich auf dieser Fahrt emotional näher gekommen und haben sich gegenseitig unterstützt.

So viel zu meinem Leseeindruck und schön, dass du bei der Challenge dabei bist.

Beste Grüße
MRG

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @gibberish

Eine atmosphärisch dichte Geschichte ist dir hier gelungen, ein Roadmovie erzählt aus der Innenansicht eines Fahrgemeinschaftsautos. Die Aussenwelt durch klug gesetzte Einsprengsel draussen gehalten, das Wageninnere bildet einen geschützten Raum für deine beiden Protagonisten, wovon der Fahrer total im Reinen mit sich und der Welt zu sein scheint, im Gegensatz zu ihr. Da ist Zweifel, das richtige zu tun und dadurch wirkt sie unnahbar und leicht arrogant.
Mit diesem Setting steige ich ein und fahre mit nach Prag, lerne die Personen und ihre intimen Geschichten durch die authentisch wirkenden Dialoge näher kennen. Wie Arroganz sich als Unsicherheit entpuppt, Anti- in Empathie umschlägt und während der langen Fahrt meine voreilig getroffene Meinung dahin schmilzt wie frisch gefallener Neuschnee in der Weihnachtssonne.

„Super“, sagte sie tonlos und sah dann aus dem Fenster. Regentropfen sammelten sich auf der Scheibe.
Der Fahrer startete den Wagen, fuhr los und die Straße zog vorbei. Laternen und Häuser und Autos, verschwommen hinter regennassem Glas. Passanten auf den Fußwegen bloß wandernde Wintermäntel, Schritte schnell, Köpfe eingezogen.
Das meine ich mit klug gesetzten Einsprengseln, der Fokus bleibt auf das warme Wageninnere gerichet, "wir" bleieben geschützt vor der nasskalten Welt da draussen, die schemenhaft und diffus vorbeizieht. Im Wagen spielt die Musik. Und da der Raum für Aktion begrenzt ist, müssen Dialoge und Erinnerungen die Erzählung tragen. Dies ist dir meiner Meinung nach sehr gut gelungen, so dass zu keiner Zeit Langeweile auftrat.

Sie wollte nicht reden und hoffte, er würde einfach losfahren und schweigen und sie die fünf Stunden nicht nerven.
Hier und andernorts passt für mich die aufzählende und-Verknüpfung gut. (Seth hat das auch schon thematisiert.)
An gewissen Orten lässt es mich immer noch straucheln, so wie hier:
Er sah in den Seitenspiegel und setzte den Blinker und bog ab.
Er sah in den Seitenspiegel, setzte den Blinker und bog ab.
so wie hier:
Der Fahrer startete den Wagen, fuhr los und die Straße zog vorbei.

„Ich will nicht streiten.“
„Sicher? Sie klingen nich danach. Und dit versaut nur die Stimmung hier.“
Hier stolpere ich über die doppelte Verneinung. (Sie klingen nich nach nich streiten)
Vorschlag: Sicher? Klingt aber so. Und dit versaut ...

Er zögerte einen Moment, musterte sie im Rückspiegel und sagte dann: „Na dann. Aber ja … schwierich …
erstes kann weg, oder?


„Jemand hat sich also hingesetzt und das alles geplant? Wollen Sie das damit sagen?“
„Na ja, wennse planlos ein Haus baun, klappt vielleicht per Zufall mal wat. Wenn überhaupt, ja? Aber wennse alles durchplanen, ist dit große Janze ziemlich stark, wa.
Gut geändert, Haus statt Roman. Starker Bezug jetzt – Erde vs. Haus.

Sie hielten an einer Ampel. Das rote Licht verteilte sich über die Windschutzscheibe, sammelte sich in Wassertropfen wie leuchtendes Blut.
Wieder so eine hübsche Fuge, kurz der Blick nach draussen, aber nur bis zur Wahrnehmungsgrenze, was wiederum den Blick auf das Wageninnere festigt. Sehr fein gezeichnet.
Sie kratzte sich am Nacken. „Religiöse Leute sind mir auch zu … arrogant.“
Wer im Glasaus sitzt :Pfeif:

Dann wäre ihr die Entscheidung abgenommen worden. Bitte lass es dieses Jahr anders sein.
Kommt bei mir etwas kryptisch rüber. Sie war ja noch nie in Prag, somit, was war da letztes Jahr? Hier fühlte ich mich etwas abgehängt.

Die Autobahn. Das graue Band der Leitplanke und dahinter Wälder und Dörfer und Regenwolken. Gelegentlich ein blaues Schild mit Orten und Zahlen. Beim Überholen von Lastern spritzten dicke Tropfen gegen die Fenster und die Frau konnte kaum noch etwas erkennen und was sie sah, war farblos. Als betrachte sie die Welt durch einen Fernseher, die Sättigung gen Null gestellt.
„Warum sindse Erzieherin jeworden?“, fragte er.
Das ist einfach gut gemacht, wie du den zweiten Tag mit der Aussenansicht beginnst, den Fokus wie bei einer Kamerafahrt ins innere lenkst und dann mit seiner Frage startest.

Sie schwieg einen Augenblick. Das Rollen der Reifen über Asphalt und das monotone Brummen des Motors und das gelegentliche Prasseln von Wasser beim Überholen und überholt werden. Er gähnte.
Wieder eine von (vielen) dieser klug gesetzten Fugen. Sobald die Unterhaltung stockt, gibt es Raum für einen ruhigen Blick in die Runde. Und der Leser wird des Schauplatzes gewahr, wo sind wir, stimmt, in einem Wagen Richtung Prag.

Ja. Es ist nur … mein erstes Weihnachten ohne ihn.
Würde sie ihrem Kommilitonen nicht ohne Papa sagen? Der kennt ja den Kontext nicht und könnte sich auch einen Ex vorstellen und freu, freu und so.

Er erschrak und befürchtete, er wäre kurz eingenickt.
gefühlt 'dachte' (weniger sperrig)

„Tja … also ick …“ Die Frau hörte nicht auf, ihn anzustarren. „Ick ..“
Sie sagte: „Fänd‘s jetzt nur fair. Habe Ihnen schließlich auch von Papa erzählt.“
„Nun …“ Er umklammerte das Lenkrad etwas fester. Das Kunstleder knirschte. „Okay … nun …“

Er saß auf seinem Sofa. Das Wohnzimmer verdunkelt, die Gardinen zugezogen. Nur ein schmaler Spalt Sonnenlicht fiel hinein.

Finde das sehr elegant, wie du aus dem Wagen heraus gekonnt in die Rückblende wechselst. Dass du dann das Ehepaar (also beide) im Berliner Dialekt reden lässt, finde ich auch sehr passend.

Seine Tochter saß vor den Geschenken auf den Boden.
dem

Und es bleiben nur die Bilder, auf deinen seine Tochter auf ewig festgefroren war in diesem Zustand,
blieben ... war oder bleiben ... ist
denen

Nur er wurde älter und fetter und bliebe allein zurück mit den Spielsachen,
blieb

„Hat sich rausgestellt, er tröstet auch gern andere.“
„Watn Arsch.“
Ja, watn Arsch! :D

Sie starrte auf den Sitz vor sich und lächelte traurig. „Na ja ... wenn Sie meinen und es unbedingt wissen wollen. Also, nach der Trennung ... ich hatte danach viele Männerbekanntschaften. Nie was Festes. Reicht Ihnen das?“
„Aber na ja ... Wollte einfach nur für ein paar Minuten an nichts denken, wissen Sie? Da waren Männer ... na ja, es war halt einfach, von ihnen das zu bekommen, was ich wollte.“
War ja mal ausführlicher, oder? Aber die Reduktion aufs Wesentliche passt besser. Kann mir den Rest dann schon denken.

Ick hab Kohldampf und dit dauert hier noch wat. Haste Hunger?“
Das Du extra rausgerutscht? Ansonsten eher "Hamse Hunger" o.ä.

zu den parkenden Autos und der Autobahn dahinter,
Nicht sicher, aber da sie schon stehen besser "zu den geparkten Autos". (Wir Schweizer sagen ja parkierte Autos, hr, hr)

Wie leere Gläser und unser Wissen und unsere Erfahrungen sind das Wasser, das wir da reinkippen. Und manchmal kommt da richtiger Dünnschiss zusammen.“
Uff, heftig, aber irgendwie cooler Vergleich.

"Drei oder vier." Nur drei oder vier? Sie senkte den Blick.
„Dit dachte ich mir.“
Denkt sie das? Oder bloss Info für den Leser? Regieanweisung quasi.
Ich würde das weglassen und ihn bestätigen lassen.
"Drei oder vier." Sie senkte den Blick.
„Seh'n se, dit dachte ich mir.“
(BTW: Gänsefüsschen Style überprüfen)

Siebte Stunde
Ich weiss, du hast das mit der unterschlagenen Stunde erklärt, so richtig stimmig finde ich es allerdings nicht, eine Stunde einfach zu unterschlagen. Habe aber auch keine besseren Vorschlag, da sonst dein Konzept der Kapitelüberschriften torpediert würde.

„Tja, auch aus Scheiße kann man wat formen. Man muss nur dran glooben jeden Tach. Und da liegt für mich dat Jöttliche.“
Welch bodenständige Weisheit, so schon. :D

Sie überlegte, ob sie nach seiner Handynummer fragen sollte, doch das erschien ihr unpassend und sie würde ihm nie wieder schreiben.
doch das erschien ihr unpassend, würde ihm sowieso nie wieder schreiben.

Er tätschelte ihre Hand mit seiner, sie war ganz warm. „Dit wünsch ich Ihnen ooch. Fröhliche Weihnachten.“
Sehr wichtige Empfindung, da wirds mir auch gleich anders.

Auf der Straße, die durch die Stadt verlief wie ein einzelner Pinselstrich in einem Ölgemälde.
Zwar bereits mehrfach zitiert, aber er bleibt halt einfach ein wunderschöner Schlusssatz.

Fazit: Eine wunderbare weihnachtliche Taxifahrt mit tiefgründigen Einblicken in zwei bewegte Lebensgeschichten.
Bin da sehr, sehr gerne mitgefahren.
Liebgruss dot

 

Hallo @Morphin,

vielen Dank für deinen lieben Kommentar. :)

Berlinerisch haste ja ziemlich durchgehalten. Einen Dialekt korrekt durchhalten ist aber auch verflixt schwer.
Ja, das war nicht immer einfach, vor allem, wenn man dann im Fluss ist und einfach losschreibt, dann fliegt man ganz schnell aus dem "Dialekt-Modus" und muss nachbessern. :D Aber es hat auch sehr viel Spaß gemacht und ich bin froh, dass es gut ankommt. Auch wenn ich immer mal wieder Stellen finde, die ich dann noch ein bisschen mehr "berlinern" möchte, aber der besseren Lesbarkeit halber halte ich mich dann doch im Zaum. :D

Eine Art Kammerspiel. Zwei Leute, ein Fahrzeug, genug Zeit. Fertig ist der Rahmen für den Blick ins Leben der beiden. Das Wichtigste zwischen uns Menschen tritt zutage: Annäherung. Und die erfolgt über die (Lebens-)Geschichten der Menschen. Annäherung. Erkennen, dass Schicksale sich ähneln, Empfundenes sich ähnelt.
Genau das war meine Intention. Eine Location, zwei Leute, die sehr unterschiedlich sind, sich dann aber doch gleichen. Und das Thema Empathie und Annäherung war mir sehr wichtig. Schließlich ist es ja auch eine Weihnachtsgeschichte. :D Und ich empfinde das so wie du: Besonders heutzutage hat man oft das Gefühl, dass man diese Annährung, dieses Zwischenmenschliche vernachlässigt. Und das möchte ja langfristig niemand.

Nochmal vielen lieben Dank, dass du bei mir vorbeigeschaut hast, und deine Weihnachtsstory habe ich auch schon auf dem Schirm. :read:

Bis bald und liebe Grüße
gibberish

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Hallo @MRG,

vielen lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar; es freut mich sehr, dass du dich so ausführlich mit meinem Text auseinandergesetzt hast. :)

Allerdings hatte ich doch auch ein Fragezeichen bei deiner Story, gerade am Anfang finde ich die Dialoge zu nichtssagend, da hätte ich mir mehr Subtexte gewünscht und ich bin etwas auf der Stelle getreten, hätte mir da etwas mehr Tempo gewünscht.
Ich finde das ehrlich gesagt etwas schwierig. Es sind ja zwei völlig Fremde, da hatte ich nicht das Gefühl, gleich mit bedeutungsschwangerem Dialog einsteigen zu können. Da kommt in einem realistischen Szenario natürlich erstmal einiges an Smalltalk. Nichtssagend auch. Und man bleibt eher lakonisch, was die Prota hier ja auch erstmal ist. Es war mir wichtig, den Dialog sukzessive aufzubauen, mich und den Leser "reinzufühlen" und ich finde, ich komme schon recht fix zum Thema Religion. Noch schneller, ich weiß nicht, dann wäre es mir persönlich zu unrealistisch geworden und die Leser hätten das wohl eher abgelehnt. Man steigt ja nicht zu einem Fremden ein und erzählt, was man so für Wehwehchen hat. Das war tatsächlich auch eine große Hürde beim Schreiben der Story.

Zum Pacing: Ja, mehr Tempo wäre natürlich möglich gewesen, aber das Entschleunigende des Textes, das Verweilen im Dialog, gefällt mir soweit ganz gut. Aber ich gebe dir recht, da gibt es noch ein paar Schrauben, an denen ich drehen könnte. Ich gehe den Text nochmal durch.

Das fand ich etwas belanglos, ich erfahre auch nicht so richtig viel über ihre Persönlichkeiten, weil das so kurz und abgehackt ist, hier sehe ich noch Potential, mehr über den Subtext zu transportieren, damit ich ein noch besseres Bild von den beiden bekomme.
Ein weiterer Aspekt, an dem ich mit diesem Text arbeiten wollte, war, mich als Erzähler so weit ich es mir zutraue rauszuhalten. Also die Charaktere komplett reden zu lassen, ohne dass ich mich als Autor einmische. Sie antwortet am Anfang kurz und knapp, weil sie kein Bock zum Reden hat, er ist eher der Neugierige und stellt erstmal Fragen. Viel mehr wollte ich da eingangs nicht transportieren. Viel mehr wäre für den Einstieg in die Autofahrt wohl auch zu sperrig geworden. Wollte ja schnellstmöglich zum Kern des Ganzen kommen.

Ich weiß ja nicht, kann ja auch sehr anstrengend sein, nach so einem Schicksalschlag wünscht man sich doch eher Geborgenheit und nahe Freunde und keine Fremden, oder?
Da ist jeder ziemlich unterschiedlich, denke ich. Mein Fahrer verfällt ja in eine Art Lethargie nach dem Tod seiner Tochter und dann auch noch dem Ende seiner Ehe. In meinem Kopf hat er nicht sooooo das Sicherheitsnetz an Freunden, das ihn auffangen würde. Da hat er dann quasi zum Glauben gefunden und sich selbst gezwungen, unter Leute zu gehen, um aus dieser Lethargie auszubrechen. Ist jetzt vielleicht nicht die Norm und ich kann verstehen, wenn das für manchen unrealistisch ist, aber so habe ich es gestaltet. Natürlich könnte ich das jetzt erweitern, aber dann stellt sich wieder die Frage des Pacings und des Umfanges. Klar, eine Geschichte braucht so viel Raum wie sie eben braucht, aber das Tempo meiner Kurzgeschichte ist schon nicht das höchste und ich befürchte, der Bogen ließe sich hier leicht überspannen. Ist auf jeden Fall schwierig.

Das hat sich etwas wie ein Klischee gelesen, fand ich nicht so überzeugend. Da hätte ich mir etwas Originelleres gewünscht, dieses Bild bzw. Verhaltensweise ist in meinen Augen schon oft verwendet worden.
Die nicht zu verarztende Wunde. :D Mit dieser Passage quäle ich mich schon seit Konzeption des Textes rum und so recht will es nicht funktionieren. :bonk: Vielleicht rolle ich das nochmal etwas anders auf, auch wenn ich jetzt spontan nicht weiß, wie. Klischee und kitsch möchte ich ja natürlich vermeiden, was bei diesem Sujet nicht immer einfach ist, da musste ich öfter mal höllisch aufpassen, nicht zu übertreiben. Danke für deine Hinweise hierbei, ich nehme mir die Passagen nochmal vor und formuliere das etwas um, etwas subtiler am besten.

So viel zu meinem Leseeindruck und schön, dass du bei der Challenge dabei bist.
Freut mich auch sehr, dabei zu sein, und vielen Dank für die Zeit, die du dir für meinen Text genommen hast. :) Ich gucke mir die von dir angesprochenen Passagen schnellstmöglich nochmal an und überlege mir was. Da kann ich bestimmt noch was umformulieren. ;)

Vielen Dank nochmal! Ein schönes Wochenende und liebe grüße
gibberish

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Hallo @dotslash,

freut mich sehr, dass du bei mir vorbeischaust und einen so tollen Kommentar dalässt. :)

Mit diesem Setting steige ich ein und fahre mit nach Prag, lerne die Personen und ihre intimen Geschichten durch die authentisch wirkenden Dialoge näher kennen. Wie Arroganz sich als Unsicherheit entpuppt, Anti- in Empathie umschlägt und während der langen Fahrt meine voreilig getroffene Meinung dahin schmilzt wie frisch gefallener Neuschnee in der Weihnachtssonne.
Das hast du schön formuliert. Genau so hatte ich mir das von Anfang an auch gedacht. Die Protagonistin ist zu Beginn ein eher ... schwieriger Fall, taut dann aber immer mehr auf. Wie der Schnee. :) Und die gegenseitige Empathie wächst. Da muss man natürlich immer aufpassen, dass man innerhalb des Szenarios realistisch bleibt und keinen Kitsch oder dergleichen reinbringt. Dass es dir insgesamt so gefallen hat, freut mich da natürlich riesig. :bounce:

Hier und andernorts passt für mich die aufzählende und-Verknüpfung gut. (Seth hat das auch schon thematisiert.)
Ja, das teilweise ausufernde Und. Irgendwie hat es sich nach und nach in meinen Stil geschlichen, aber an manchen Stellen übertreibe ich es vielleicht, das will ich definitiv nicht abstreiten. Ich habe es bei den von dir angesprochenen Stellen jetzt rausgenommen.

Wer im Glasaus sitzt
Genau so ist es! Sie ist hier die Arrogante. ;)

Kommt bei mir etwas kryptisch rüber. Sie war ja noch nie in Prag, somit, was war da letztes Jahr? Hier fühlte ich mich etwas abgehängt.
Ja, das ist auch so eine Passage, die nicht so recht funktionieren will. Da stand vorher was anderes, dann wieder was anderes, jetzt dieser Satz. Ich habe da nochmal drüber nachgedacht und festgestellt, dass dieser eingeschobene Gedanke stilistisch eigentlich nicht so recht zum Rest des Textes passt. Ich hab's jetzt rausgenommen und da nochmal einen anderen Satz draus gemacht, der ein bisschen eindeutiger ist:
Insgeheim hatte sie gehofft, einen Streit anfangen zu können, herausgeschmissen zu werden. Dann wäre ihr die Entscheidung abgenommen worden, und sie hätte Marisa geschrieben, dass sie an Weihnachten doch nicht in Prag sein könne.

War ja mal ausführlicher, oder? Aber die Reduktion aufs Wesentliche passt besser. Kann mir den Rest dann schon denken.
Das zu lesen, freut mich sehr. Habe gefühlt ewig daran gebastelt nach dem so hilfreichen Feedback der Wortkrieger. Die Passage war wesentlich länger und auch expliziter, sodass es vielen ein Dorn im Auge war und dann auch mir. Sie gefällt mir jetzt auch viel besser. :)

Ich weiss, du hast das mit der unterschlagenen Stunde erklärt, so richtig stimmig finde ich es allerdings nicht, eine Stunde einfach zu unterschlagen. Habe aber auch keine besseren Vorschlag, da sonst dein Konzept der Kapitelüberschriften torpediert würde.
Ja, und dann auch für das Pacing schwierig wäre. Ein ganzes "Kapitel" extra, das wäre dann zu sperrig, fürchte ich. Ich hatte überlegt, sie am Ende der Burger King-Szene im Auto einschlafen zu lassen, aber das wollte ich dann auch irgendwie nicht, weil es so kurz vor Ende nochmal Fahrt aus dem Text nimmt. Auch wenn es schon ein guter Bogen zum Anfang der Story wäre, wo sie noch nicht einschlafen konnte vor Sorge. Ich bin hier noch im Zwiespalt. :D

Zwar bereits mehrfach zitiert, aber er bleibt halt einfach ein wunderschöner Schlusssatz.
Das von dir und den anderen zu lesen, freut mich jedes Mal wieder. Da bin ich schon ein bisschen stolz auf diesen Satz. :)

Die von dir angesprochenen Fehlerchen und Ungereimtheiten habe ich ausgebügelt. Danke, danke!

Vielen lieben Dank für deine zahlreichen und hilfreichen Anmerkungen. Ich bin super dankbar für die Zeit, die du und in den Kommentar gesteckt hast (das gilt natürlich auch für alle anderen Wortkrieger). Dieses Forum ist einfach unglaublich gut!

Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und einen besinnlichen ersten Advent. Ist ja schon soweit. :eek:

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo gibberish,

ich habe meine Lange-Kurzgeschichten-Allergie überwunden, deinen Text gelesen. Und: Es hat sich gelohnt. Das ist erstens sehr schön erzählt, mit vielen passenden Vergleichen (nur die gestauten Blutkörperchen fand ich nicht so gut, da sie nicht so geordnet und schon gar nicht leuchtend wie Bremslichter sind). Die geschilderten Personen sind eindringlich dargestellt, dieses ständige Verschieben der Grenze zwischen Fremdheit und Vertrautheit.

Und zweitens: Ein ansprechender Aufbau, z.B. hier:

„Er saß auf seinem Sofa. Das Wohnzimmer verdunkelt, die Gardinen zugezogen. Nur ein schmaler Spalt Sonnenlicht fiel hinein. Staubkörner tanzten darin.“

Gute Rückblende, anstelle einer Erzählung des Fahrers, das schafft zusätzliche Atmosphäre und Abwechslung.

Schön auch der Kreisschluss von der ersten Erwähnung der religiösen Aspekte, bis hin zum Schluss, wo sie wieder auftauchen.

Ich hab schon gedacht ‚Na, wie kommt der Prot (letzten Endes der Autor) aus dem Theodizee-Problem raus?‘, ist aber gut gemacht:

„Bei diesen Worten verzog er das Gesicht. Als hätte er plötzlich Seitenstechen. „Ditwegen bin ick nur manchmal relijös.““

(Der Berliner Dialekt gibt so einer Aussage natürlich noch eine besondere Pfiffigkeit, man kann sich das verschmitzte Gesicht vorstellen, schließlich ist die Angelegenheit nicht so einfach).

„Sie lehnte ihre Stirn wieder gegen die Scheibe. Insgeheim hatte sie gehofft, einen Streit anfangen zu können, herausgeschmissen zu werden. Dann wäre ihr die Entscheidung abgenommen worden, und sie hätte Marisa geschrieben, dass sie an Weihnachten doch nicht in Prag sein könne.“

Tja – man sollte sein Unterbewusstsein immer im Auge behalten …

Ein kleines generelles Problem habe ich mit der Einführung von so vielen Reizthemen: Sexuelle Hyperaktivität, Tod, Suff, Scheidung, Verwahrlosung, Krankheit, berufliche Probleme. Das erinnert mich an so manche Filme, bei denen fast schon zwanghaft alles vorkommen muss, was potentiell aufwühlt.

So viel von mir,

liebe Grüße,

Woltochinon

 

Hallo,

schon viel gesagt worden zu dem Text. Ich mag das Kammerspielszenario, das ist immer gut. Zwei Menschen, ein Raum, das reicht für eine Geschichte. Hier spielt sich vieles im Dialogischen ab, und da geht mir das alles etwas zu fix. Die kommen zu schnell zum Thema, da gibt es kein Drumherum etc, die sind ohne großes Vorheizen direkt bei der Religion. Und dann, würde man sofort so etwas fragen: Sind Sie religiös? Ich würde antworten: Mind your own business. Auch wirken die Dialoge oft wie Stellvertretreter für Thesen, nicht wie echte Dialoge. Beispiel:

„Sie mögen keene Kinner?“
„Sie … sie machen mir Angst.“
„Angst?“
„Man zieht sie auf und möchte ihnen alles mitgeben für’s Leben und am Ende fehlt doch immer was.“
„Na ja, man kann nich allet wissen, oder? Niemanden auf allet vorbereiten.“
„Das ist es ja. Was ist, wenn ich sterbe und mein Kind ist nicht bereit dafür? Und ich hinterlasse ein Loch, das nicht gefüllt werden kann? Ein weiteres versautes Leben. Wie bei mir.“
„Also, ick denke bestimmt nich, dass Ihr Leben versaut is.“
„Das ist lieb von Ihnen. Aber dennoch bin ich oft traurig. Auch in der Kita. Wenn ich die Kleinen sehe … so unberührt. Wie leere Gläser und unser Wissen und unsere Erfahrungen sind das Wasser, das wir da reinkippen. Und manchmal kommt da richtiger Dünnschiss zusammen.“
So redet niemand. Das ist 100% Autor, den ich da lese. Das ist kein Charakter, sondern eine Pappfigur, ein Strohmann, der vom Autor diese Gedanken in den Mund gelegt bekommt. Das ist zu schnell zu viel, und auch so exakt in diesen Worten: Ein weiteres versautes Leben. Nee. Ich denke, wenn ein Charakter nicht echt spricht, dann wirkt er auch nicht echt, dann ist es kein guter Charakter. Das ist nicht meine eigene Idee: Ring Lardner, WC Heinz, John O' Hara, Elmore Leonard, alles Autoren, die gut mit Dialogen umgehen konnten. Da wirkt selbst ein kleiner Schwank im Treppenhaus plötzlich tief und wichtig, weil die Figuren eben so echt wirken, aufgrund ihrer behaupteten Mündlichkeit; sicherlich auch nur ein Effekt, aber ja schon bedeutend. Da muss man als Autor über seine Mittel verfügen und diese auch dosieren können, nur so viel preisgeben, wieviel der Charakter weiß, wieviel er sagen würde. Man muss sein Personal gut kennen.

Und wenn das nicht gekauft wird vom Leser, ist es auch schwer, sich da komplett drauf einzulassen, der Leser erfährt nie die zweite Ebene, weil er nicht richtig einsteigen kann, weil dann alles nur "Thema" ist, aber nie personal wird, nie persönlich. Das ist wie ein anderes, abgekoppeltes Ding. Was da nun tatsächlich erzählt wird, spielt gar keine so große Rolle, denn ich kaufe das ganze Setting nicht, dann wirkt es alles mehr oder weniger nicht so richtig glaubwürdig. Ich denke, du solltest hier versuchen, zu verknappen, und mehr im Ungewissen lassen, mehr im Vagen, nicht direkt alles auserzählen, mehr Deutung zulassen.

Gruss, Jimmy

 

Hey@gibberish

Danke für Deine Geschichte. Wenn es nicht darum gegangen wäre, Dir einen Gegenbesuch zu machen, hätte ich sie nie gelesen. Mehr als 30.000 Zeichen! Puh! Die Hälfte des Textes im Dialekt. Eine Art Marathon-Lesung. Der pure Wahnsinn!
Ich ging an den Start.

Ich sehe, Du hast den Text in Kapitel unterteilt. Dies ermöglicht Momente zum Atmen. Zeit, um das Gehirn zu lüften und eine Überhitzung zu vermeiden. Schließlich erweist sich das Berliner Dialekt als verständlicher als der bayerische.
Zweite positive Überraschung: Nur zwei Figuren. Ich bin zuversichtlich. Ich werde die Intrige kapieren. Doch nach fünfzehn Seiten kommt die ersehnte und gelungene Pointe und von Intrige keine Spur. Wie im von Samuel Becketts Stück Warten auf Godot.

Ich spule zurück und lese den Text noch einmal von A bis Z, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht geirrt habe. Natürlich nutze ich diese zweite Lektüre, um zu verstehen, worum es in dieser Flut von Wörtern geht. Ja eine Flut: Über 5000 Wörter! Eine Geschichte über Car-Sharing. Eine Frau und ein Mann erzählen sich ihre Lebensgeschichten.

Ehrlich gesagt, fühlte ich mich, als säße ich in seinem Auto. Neben ihm, auf dem Beifahrersitz. Auf der Straße, viel Verkehr. Er schaute oft in den Rückspiegel, während er sprach. Trotz der Scheibenwischer war es schwierig, durch die Windschutzscheibe zu sehen. Ich achtete auf die Straße, während ich ihrem Gespräch lauschte. Eine kurze Zeit. Bald aber hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu, denn sie hatten eigentlich nicht viel zu erzählen. Banalitäten, intime Dinge, die mich nichts angehen. Der Motor schnurrte. Wäre ich unhöflich gewesen, hätte ich mich nach der MacDo-Pause vor dem Prager Bahnhof wecken lassen.

Du bist ein wahrer Meister der Stimmung. Ich werde mich in Deine anderen Texte vertiefen, um zu lernen.


Frohe Weihnachtszeit.
Liebe Grüße

Eraclito

 

Wie das immer so ist, wenn man sich was vornimmt, es kommt immer was dazwischen. Termine, Weihnachtsfeiern, Jobsachen. Bitte entschuldigt die Verzögerungen. Aber jetzt bin ich wieder einsatzbereit. :)

Hallo @Woltochinon,

schön, dass du bei mir vorbeischaust!

Das ist erstens sehr schön erzählt, mit vielen passenden Vergleichen (nur die gestauten Blutkörperchen fand ich nicht so gut, da sie nicht so geordnet und schon gar nicht leuchtend wie Bremslichter sind). Die geschilderten Personen sind eindringlich dargestellt, dieses ständige Verschieben der Grenze zwischen Fremdheit und Vertrautheit.
Zuerst einmal freut es mich riesig, dass du deine Scheu vor meiner langen Story überwunden hast. Und dass sie dir auch gleich so gefallen hat. Ja, die Blutkörperchen. Ich überlege noch, was ein passender Ersatz wäre. Oder ich nehme es raus. Ist womöglich besser als den Text mit Vergleichen zu überladen.

Schön auch der Kreisschluss von der ersten Erwähnung der religiösen Aspekte, bis hin zum Schluss, wo sie wieder auftauchen.
Ja, ich wollte unbedingt einen thematischen Bogen zwischen Stunde eins und sieben schlagen, damit das Ganze etwas stimmiger wird. Freut mich, dass es geklappt hat. :)

Tja – man sollte sein Unterbewusstsein immer im Auge behalten …
So ist es. Nur leider ist man sich seines Unterbewusstseins nicht immer gewahr. :D

Ein kleines generelles Problem habe ich mit der Einführung von so vielen Reizthemen: Sexuelle Hyperaktivität, Tod, Suff, Scheidung, Verwahrlosung, Krankheit, berufliche Probleme. Das erinnert mich an so manche Filme, bei denen fast schon zwanghaft alles vorkommen muss, was potentiell aufwühlt.
Ich weiß, was du meinst. Ich kenne auch Filme dieser Art und da fällt mir als Zuschauer auch oft auf, ja, der Regisseur möchte jetzt, dass ich mich so und so fühle, dass es mir auch stellvertretend dreckig geht, so voyeuristisch eben. Es bricht oft die Immersion, wenn sich die Thematik so offenbart. Und ich kann verstehen, wenn es dir so geht. Das lässt sich jetzt natürlich in dem Text so nicht ändern, ohne ihn komplett umzuschreiben, und es war auch nicht meine Absicht, mit den Finger auf die Charaktere zu zeigen, frei nach dem Motto: "Guck mal, wie scheiße es denen geht." Im Grunde ging es mir um das Gegenteil, eine positive Message, die sich im Laufe des Gespräches offenbart und schließlich auch die Protagonistin berührt und beruhigt. Weniger ist oft mehr, da gebe ich dir recht, aber mit dem Holzhammer aufwühlen wollte ich definitiv nicht und ich hoffe, die positiven Vibes der Thematik überwiegen beim Lesen. :D

Auf jeden Fall vielen Dank für deinen Kommentar und deine Gedanken zu meinem Text!

Ich wünsche dir einen tollen zweiten Advent.

Liebe Grüße
gibberish

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Hey @jimmysalaryman,

vielen lieben Dank für deinen konstruktiven Kommentar, der mir viel Stoff zum Nachdenken gibt.

Ich mag das Kammerspielszenario, das ist immer gut. Zwei Menschen, ein Raum, das reicht für eine Geschichte.
Das geht mir ganz genauso, für ein gutes Kammerspiel bin ich immer zu haben. :D

So redet niemand. Das ist 100% Autor, den ich da lese. Das ist kein Charakter, sondern eine Pappfigur, ein Strohmann, der vom Autor diese Gedanken in den Mund gelegt bekommt.
Autsch, das sind deutliche Worte, aber dafür bin ich ja bei den Wortkriegern. Und ich verstehe, was du meinst. Das ist die hohe Kunst des Dialogschreibens: Nur die Charaktere reden lassen, der Leser versinkt so im Text, dass er den Autor komplett vergisst. Und da bekommt jedes gesprochene Wort natürlich mehr Gewicht. Ich habe deinen Kommentar schon vor einigen Tagen gelesen und viel darüber nachgedacht. Und ich sehe die Passagen im Text, in denen ich den Leser ganz offensichtlich in meine Richtung lenke, und vermutlich würde man im echten Leben tatsächlich sagen "Das geht Sie gar nichts an", wenn man nach fünf Minuten über Religion ausgefragt würde. Ich sehe das Verbesserungspotenzial, weiß jetzt aber spontan nicht, wie umsetzen. Verdichten, ja, aber wie und wo. Das erfordert auch viel Übung, jahrelanges Schreiben und Feilen, und möglicherweise bin ich in dem Punkt einfach noch nicht so weit. Bzw. ich schreibe insgesamt zu wenig. Ist in gewissen Aspekten sicher auch eine Stilfrage. Aber ich werde deine Worte nicht vergessen, denn ich WILL natürlich dahin, dieses Level haben. Dafür schreibe ich.

Was da nun tatsächlich erzählt wird, spielt gar keine so große Rolle, denn ich kaufe das ganze Setting nicht, dann wirkt es alles mehr oder weniger nicht so richtig glaubwürdig.
Das ist dann natürlich die Konsequenz. Der Autor offenbart sich, der Leser denkt sich: "Der möchte jetzt über das und das philosophieren, schon klar". Ich nehme mir die Dialoge nochmal vor und versuche, zu verdichten. Das wird aber seine Zeit dauern. Und Nerven kosten. Aber ich habe Bock drauf.

Vielen Dank nochmal für deine Kritik. Sie gibt mir zu denken.

Eine erholsamen zweiten Advent dir und liebe Grüße
gibberish

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Hallo @Eraclito,

Wenn es nicht darum gegangen wäre, Dir einen Gegenbesuch zu machen, hätte ich sie nie gelesen. Mehr als 30.000 Zeichen! Puh! Die Hälfte des Textes im Dialekt. Eine Art Marathon-Lesung. Der pure Wahnsinn!
Da freut es mich umso mehr, dass du vorbeigeschaut und mir sogar einen Kommentar dagelassen hast! Ja, es kann für den ein oder anderen ziemlich anstrengend sein, so viel Berliner Dialekt zu lesen, je nach Herkunft. Das kann dann schon mal marathonhafte Züge annehmen, das stimmt. :D

Ehrlich gesagt, fühlte ich mich, als säße ich in seinem Auto. Neben ihm, auf dem Beifahrersitz. Auf der Straße, viel Verkehr. Er schaute oft in den Rückspiegel, während er sprach. Trotz der Scheibenwischer war es schwierig, durch die Windschutzscheibe zu sehen. Ich achtete auf die Straße, während ich ihrem Gespräch lauschte. Eine kurze Zeit. Bald aber hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu, denn sie hatten eigentlich nicht viel zu erzählen. Banalitäten, intime Dinge, die mich nichts angehen. Der Motor schnurrte. Wäre ich unhöflich gewesen, hätte ich mich nach der MacDo-Pause vor dem Prager Bahnhof wecken lassen.
Ja, das liegt natürlich daran, dass ich versuche, möglichst dich an den Charakteren zu bleiben und nicht auszuschweifen, was Beschreibungen und Erklärungen angeht. So war's meine Absicht: Der Leser ist wie eine Fliege an der Wand und lauscht den beiden und zieht dann daraus, was immer der Leser möchte. Insgesamt passiert natürlich nicht viel, da erzählen sich zwei Leute was und das ist schon alles. Da muss natürlich viel über Sprache und Atmosphäre kommen, damit der Leser dranbleibt. Was bei dir anscheinend gelungen ist, auch wenn die lange Fahrt und das gemächliche Erzähltempo zu Ermüdungserscheinungen führen können. :D

Du bist ein wahrer Meister der Stimmung. Ich werde mich in Deine anderen Texte vertiefen, um zu lernen.
Wow, das ist ein großes Kompliment, vielen lieben Dank! Aber ich muss dich vorwarnen, meine anderen Texte sind nicht unbedingt kürzer. 5000 Wörter sind bei mir normal. Aber ich werde dich natürlich nicht vom Stöbern abhalten. ;)

Vielen lieben Dank für deine Gedanken zu meinem Text und einen schönen zweiten Advent.

Liebe Grüße
gibberish

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Hallo @Henry K.,

vielen Dank für deine Leseeindrücke!

ich bin leider nur bis Stunde zwei gekommen. Zunächst das Positive: Ich finde deinen Schreibstil wirklich exzellent, deine Sprache ist klar, die Bilder und Vergleiche stimmig, du hättest die Tools, eine Menge zu erzählen, denke ich. Auch die Figuren und die Situation fand ich sehr bildlich gezeichnet.
Natürlich schade, dass du nicht weitergelesen hast, aber mir ist natürlich klar, dass der Text nicht jedermanns Sache ist. Umso mehr freut es mich, dass du dennoch meinen Stil lobst. Und ich hoffe, dass ich noch viel mehr erzählen kann. Seit meiner Rückkehr bei den Wortkriegern juckt es wieder kräftig in den Fingern. :D

Ich glaube, die erste Enttäuschung war, als das Gespräch über Religion eingesetzt hat. Du hast für mich die Story so aufgebaut, dass ich initial etwas anderes erwartet hätte
Der Text insgesamt ist eher nicht über Religion, sondern Zwischenmenschlichkeit, Empathie. So zumindest meine Absicht. Die Religion ist vielmehr ein Werkzeug dafür, ein Zugangspunkt, der bis zur letzten Stunde ja auch fast gar nicht mehr thematisiert wird, sondern im Hintergrund mitläuft. Der Handlungsbogen der Prota ist, wie du richtig sagst, dass sie zum ersten Mal eine Frau trifft, in die sie verliebt ist, und da hat sie Angst vor, diese Angst löst sich gegen Ende dann allmählich auf. Eine Story voller Wendungen und Liebesdramen war gar nicht meine Absicht und ja, ich verstehe, dass da eine gewisse Erwartungshaltung mitschwingt bei den Andeutungen zu Beginn.

Es mag ein mehr oder weniger realistischer Dialog sein, aber inhaltlich bildet die Passage einfach nur gängige Meinungen zu dem Thema ab, zumindest meiner Erfahrung nach.
Ich bin sicherlich kein Experte auf dem Gebiet der Religion, bin selbst auch Atheist, aber ich finde es auf zwischenmenschlicher Ebene durchaus interessant. Wie gesagt, es sollte nur ein Einstieg sein und nicht Kern des Sujets. Ich will mir auch gar nicht den Schuh anziehen, einen hoch religiösen Text zu schreiben, Gott bewahre.

Der Ton der Unterhaltung ist seltsam formell, die beiden siezen sich, sie sitzt hinten. Das war für mich unplausibel. Ich bin wie erwähnt ein Blablacar-Veteran, das habe ich nie ansatzweise so erlebt.
Ja, diese Distanz war mir wichtig. Anfangs haben sie sich geduzt, aber ich habe dann doch das Sie behalten, einfach weil ich die Distanz zwischen zwei Fremden wahren, gleichzeitig aber eine Vertrautheit schaffen wollte. Quasi als Stilmittel. Ist zu einem gewissen Grad sicherlich unrealistisch, irgendwann wäre im Real Life das Du gekommen, aber wie gesagt, als Stilmittel ist es mir wichtig.

Dann die beiden Rückblenden zu den die beiden verbindenden Todesfällen. Wieder fand ich das eigentlich sehr gut geschrieben, vor allem der Part über sie. Bei ihm, und da geht es mir leider wie einigen anderen, ist der Dialekt schon ein Abturn beim Lesen.
Auweia, die armen Berliner. :D Ja, ist anstrengend zu lesen, ich weiß. Aber ich wollte auch einfach mal was im Dialekt schreiben, mea culpa. :D Und hat ja auch seine Funktion im Dialog und als Charakterisierung. Tut mir leid, wenn dich das genervt hat, aber einen anderen Dialekt hätte ich mir auch gar nicht zugetraut, dafür bin ich dann selbst wieder zu wenig vertraut mit Kölsch, Bayrisch und Co.

Vielleicht lese ich die Story nachher noch weiter/zu Ende. Aber soweit kann ich dir schon Feedback geben. Ich freue mich jedenfalls schon auf künftige Storys von dir.
Nicht schlimm, wenn der Text nichts für dich ist; ich freue mich dennoch sehr über deine Zeit und Gedanken. Und ich hoffe, ich kann dich mit einer künftigen Story abholen. ;)

Vielen Dank nochmal und einen erholsamen zweiten Advent.

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo gibberish,

Das lässt sich jetzt natürlich in dem Text so nicht ändern, ohne ihn komplett umzuschreiben
Ich hätte auch nie gewagt, ein Umschreiben zu verlangen :D
Das war mehr so eine allgemeine Bemerkung, da ich (auch außerhalb der Wortkrieger) schon einen Trend in die genannte Richtung beobachte.

Den 'religiösen' Anteil in deiner Geschichte fand ich passend, weil er dem Inhalt Tiefe verliehen hat (schließlich geht es um grundlegende Überlegungen).

LG,

Woltochinon

 

Hallo @gibberish,
wie schon angekündigt, hohoho, komm ich bei dir vorbei. Es ist ja, wie zu den meisten Texten - echt toll, wie viele Leute in der Challenge teilnehmen und auch kommentieren -, schon eine Menge geschrieben worden. Ich schaffs nicht alles durchzusehen, hab mal hier und da kurz reingelinst und seh ich das richtig, das der Text doch überwiegend gut angekommen ist? Da reihe ich mich ein.
Was dir für meinen Lesegeschmack sehr gut gelingt, ist das Etablieren des Settings (und da sind ein paar wirklich tolle Bilder und ich mag so was einfach total gerne lesen) und damit ein grundsätzlich angenehmenes Pacing (das ist natürlich, wie der Rest in diesem Kommentar, nicht allgemein gemeint, sondern spiegelt meinen Geschmack wieder), das ist ein ganz angenehmes Rein und Raus, Hin und Her.
Vielmehr hast du ja bei diesem Setting (Kammerspiel) nicht, als das, was die Beiden reden und für ein bisschen Durchatmen dann wieder ins Setting zu gehen. Ich brauche das aber wirklich, diese kleinen Pausen zum Durchschnaufen von der Nähe und dem Gerede.
Mit der Bekanntschaft in Prag hast du auch so ein gewisses Spannungsmoment in der Geschichte, das den Leser bei der Stange hält oder halten soll. Das kann auch nach hinten losgehen, wenn man da wer weiß was für ne Kulisse aufbaut und dann ... nichts als heiße Luft. Ein klein wenig ging mir das bei dir so. Die Info vom Anfang ...

... die letzten WhatsApp-Nachrichten.
I’m so excited to finally see you.
Me too. Can’t wait.
... kann alles sein. Keine Ahnung warum, aber mein Gehirn denkt da weniger an ein Liebespaar als an eine Art Familienzusammenführung. Jedenfalls weiß ich als Leserin nicht, wer da in Prag auf sie wartet, ich weiß nur, dass ihr übel ist, sie eigentlich lieber aussteigen will, kurz: das sie wohl ganz furchtbar aufgeregt bis ängstlich ist, was sie erwartet.
Dann kommt das:
Sie atmete tief durch die Nase ein. „Eine Freundin besuchen.“
Also keine Familienzusammenführung, sondern eine Freundin besuchen ...

Sie wurde die Übelkeit nicht los. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie geglaubt, sie wäre schwanger. Hormone am Durchdrehen.
Da hab ich mich kurz gefragt, ob du ein Mann oder eine Frau bist und dazu tendiert, dass du ein Mann bist. Bist du? :schiel:

Also mir ist die Angst und ihre damit einhergehende Körperlichkeit ein bisschen zu präsent im Text, das gibt dem ganzen so einen hyperdramatischen Anstrich, der - für meinen Geschmack - eben nicht ganz eingelöst wird. Klar, mit dem andauernden Gespräch, das zunehmend persönlicher wird, versteht man am Ende besser, aber so ganz ausgewogen finde ich die Balance hier nicht.

Vom Rückspiegel baumelte ein Kruzifix. Es schwang sanft hin und her mit den Unebenheiten der Straße. „Sind Sie religiös?“, fragte sie, um sich von den Gedanken an Marisa abzulenken.
Das zb fand ich absolut glaubwürdig, aber wenn ihr wirklich übel ist, wie du sagst, also schwangerschaftsübel, dann will sie sich mehr von der Übelkeit ablenken, als von den Gedanken an Marisa. Vielleicht ist es auch das, was mich nicht so ganz überzeugt, dass sie diese starken Körpersymptome hat, aber du dann doch immer von den Gedanken an Marisa erzählst, wenn man aber so krass körperbezogene Angstsymptome hat, ist meine Erfahrung, dass vor allem diese Symptome den Menschen Angst machen, also vielleicht ist es gar nicht das Balancing insgesamt, sondern nur, dass die Körpersymptome von dir als Autor nicht so richtig ernst genommen werden ... also, meine Erfahrung ist: Menschen haben Angst sich zu übergeben oder ohnmächtig zu werden oder einen Herzinfarkt zu bekommen und statt um Marisa drehen sich die Gedanken eher um den Körper und ob der die ganze Aktion mitmacht ...

Die Dialoge finde ich gelungen, das Berlinern hat mich auch ein wenig genervt und ich habe mich gefragt, ob der Dialog auch ohne das Berlinern funktionieren würde oder du das brauchtest, um die beiden klar voneinander abzugrenzen. Du hast nur die beiden Figuren, der ganze Text wird auf sie zurückgeworfen (abgesehen von den Settingausbrüchen) und ihr Dialog allein, muss die Geschichte tragen. Ich höre jobbedingt viele, viele sehr intime Geschichten jeden Tag, vielleicht fehlt mir darum ein bisschen der Clou in deinem Text. Ja, wenn ich mir etwas wünschen würde, dann ... irgendwas ... was diese Begegnung aus dem (oder meinem) Alltäglichen hinaushebt. Klar, trifft man nicht jeden Tag eine Person, die man nicht kennt und der man sich so offenbart, also Alltag ist das ja in dem Sinne nicht, aber das Gespräch selbst, das bietet nicht so viel Neues. Und ich habe den Text darum weniger wegen des Gesprächs gerne gelesen als vielmehr wegen deiner Fähigkeit ein wirklich wunderbares Setting zu schaffen (und das war es für mich, obwohl ja Autofahren etwas wirklich ganz alltägliches ist und ich weiß nicht, ob du überhaupt verstehst was ich meine, wenn ich den Begriff Alltägliches so uneindeutig gebrauche) und mich dort dabei sein zu lassen, bei der Annäherung der beiden.

Viele Grüße
Katta

 

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