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Melodie
Die Melodie. Nur darum ging es, geht es und wird es immer gehen. Außenstehende, die das Lied nicht gehört haben, nicht selbst hören konnten, beurteilen es nach seinen Rohdaten. Die Künstler sind bekannt, die genaue Sekundenangabe und natürlich das Genre. Sie werden aber nie die beruhigende Melodie hören, spüren oder sehen können, die atemberaubende Anreihung disharmonischer Töne, falsch gegriffener Akkorde und einem letzten Ton, der dich in der Luft hängen lässt. Die Perfektion der Imperfektion wird zu einem verführerischen Gefühl der Vollkommenheit, welches die Melodie so unglaublich besonders macht.
Als der liebliche Klang seines Weckers ihn aus dem Schlaf riss, lag er auf dem eiskalten Fließenboden seines neuen Zimmers und umklammerte mit all seiner Kraft das Bein des massiven Holzschreibtisches. Der Schweiß perlte von seinem Gesicht, aus dem jegliche Farbe entwichen war. Die unerträgliche Hitze in seinem Inneren ließ ihn von Kopf bis Fuß erzittern, er bebte.
Obwohl er genau wusste, dass dieser Traum fest zu seinem Leben gehörte, überraschte es ihn dennoch jeden Tag aufs Neue, wie sehr er jedes Mal erschüttert wurde. Was bei genauerem Betrachten allerdings als vollkommen logisch erschien. Ein Mann, der jede Nacht nur genau zwei Stunden Schlaf finden konnte und ihm in dieser kurzen Zeit nichts anderes als ein Traum gegönnt wurde, welcher seine schlimmste Angst aufzeigte und ihn spüren ließ. Wundervoll.
Er stand auf, lief in sein eigenes Bad und wurde schon von den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Dachfenster fielen, erwartet. In diesem Licht fühlte er sich wohl. Man konnte förmlich die Wärme spüren, die das angeleuchtete Grün der Badezimmerwände von sich gab. Mit seinem auf das Fenster gerichteten Blick verharrte er eine Weile, bis ihn das Summen seines Handys der Starre entzog. Erneut ertönte der liebliche Klang seines Weckers. Er löste seinen Blick, entblößte sich und stieg unter die Dusche. Er hasste das leise ruhige Plätschern der aufkommenden Wassertropfen, es erschien ihm surreal und gefährlich entspannend. Trotzdem fiel es ihm schwer, nicht mit seinen Gedanken abzuschweifen. Die durchsichtige Tür der Dusche wurde zur Kinoleinwand und die einfallenden Sonnenstrahlen, welche anfingen auf der Scheibe zu tanzen, zum Projektor. Und wieder wurde ihm sein Traum vor Augen geführt.
Allein in der allumfassenden Dunkelheit, kein Laut außer einem leisen Summen war zu hören. Er liebte diese Melodie und wollte dazu singen, doch blieb ihm seine Stimme verwehrt. Die Schatten um ihn herum umschlungen seine Beine und wollten ihn weiter in die Dunkelheit ziehen, das einzige was sie daran hinderte, war der massive Holztisch, an welchem er sich wie zwanghaft festhielt. Das Summen wurde immer und immer lauter. Es wurde zu einem tosenden Gewitter, zu einem Sturm der alles in die Luft wirbelte, zu einem schrillen lauten Kopfschmerzen bereitenden Tinnitus. Nur der Tisch blieb wie unberührt stehen, er wusste, dass solange er ihn festhielt, nichts passieren konnte. Mit einem Schlag verschwamm diese Welt und alles wurde ruhig, zu hören war nur noch das leise Summen seines Handys, das vor der Dusche lag. Er fand sich auf dem Boden der Dusche liegend wieder. Er stand auf, drehte das Wasser ab und band sich ein Handtuch um die Taille. Ein kurzer Blick zum Dachfenster, wodurch mittlerweile der Mond zusehen war, welcher sein falsches Licht in das Bad warf und überall Schatten tanzen lies, ließ ihn frösteln. Die Dunkelheit färbte die grünen Wände schwarz und breitete sich im ganzen Zimmer aus. Den Vorhang zwischen Traum und Realität gab es nicht, das wusste er mittlerweile. Einmal einschlafen ohne Angst, einmal aufwachen ohne Angst, eine Utopie.
Er ging in sein Zimmer, legte sich auf sein Bett und starrte seinen Tisch an, während er darauf wartete, dass sein Verstand ihn aufs Neue in seine düstere Welt vertrieb. Allein in der allumfassenden Dunkelheit, kein Laut außer einem leisen Summen war zu hören. Er liebte diese Melodie und wollte dazu singen, doch blieb ihm seine Stimme verwehrt. Die Schatten um ihn herum umschlungen seine Beine und wollten ihn weiter in die Dunkelheit ziehen, das einzige was sie daran hinderte, war eine schemenhafte Gestalt, welche regungslos das Geschehen beobachtete. Er starrte sie an, blinzelte einige Male um sich klarere Sicht zu verschaffen, vergeblich. Sie ging langsam auf ihn zu, je näher sie kam, desto weiter entwich die Dunkelheit um ihn herum. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, doch konnte er sie nicht greifen. Das Summen wurde nicht lauter, nicht intensiver, es verschwand. Das einzige Geräusch was er noch vernahm, war das leise Knistern des in Flammen stehenden Tisches. Er konnte seine Augen nicht abwenden, bis auch das letzte Stück Holz zu Asche geworden war. Erst dann hörte er wieder seine geliebte Melodie. Das letzte was er sah, war das liebliche Lächeln der geisterhaften Gestalt.
Er lag kauernd am Boden, ungefähr zwei Meter vor ihm sein massiver Holztisch. Er stand auf, ging in sein schwarzes Badezimmer und stagnierte mit gesenktem Blick auf seinen Wecker. Er schaltete ihn aus, legte sich auf den kalten Boden, schloss seine Augen und verschmolz mit der Dunkelheit. Hinter ihm die schemenhafte Gestalt. In Flammen stehend.