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Knastbesuch für Baader.
Durch die Gitter hindurch konnte ich Sartre erkennen. Er holte sich den klapprigen Holzstuhl aus der Ecke der Zelle und setzte sich direkt neben das Kopfende des Bettes, aus dem Andreas seit dem Frühstück nicht mehr aufgestanden war. An manchen Tagen blätterte er pausenlos in Zeitschriften, dann konnte man ihn nicht mehr anreden; er war in eine andere Welt versunken; aber Andreas war kein schlechter Kerl. Er zeigte immer Verständnis, wenn mir die Rauchschwarten an der Decke anfingen, auf die Nerven zu gehen, und wenn ich die gelbe Schicht, die an den Betonwänden hing, einmal vermissen sollte, war er immer so gütig und gab mir ein bisschen was ab von seinem Tabak. Die beiden vertieften sich zunehmend in ein intensives Gespräch; ich nahm an, es würde sich dabei um politische Themen handeln, war mit den Gedanken bereits an einem weißen Sandstrand in Haiti, umgeben von braungebrannten Tänzerinnen; als Sartre jedoch plötzlich mit ernster Stimme begann, über anale Penetrationen zu sinnieren, spitzte ich die Ohren. Andreas hatte, dem Gespräch nach zu urteilen, bereits einschlägige Erfahrungen sammeln können, und auch Sartre war in diesem Gebiet kein Anfänger mehr. Ich versuchte mich möglichst lautlos anzupirschen, sodass sich niemand durch meine Anwesenheit gestört fühlte, und legte mich langsam und lautlos in die Ecke meines Zimmers; von dort konnte ich jedes einzelne Wort klar und deutlich hören. Ich steckte mir eine Zigarette an und lauschte aufmerksam. Das schweinische Gespräch stockte immer für eine kurze Zeit, wenn Sartre in seinen Hosentaschen nach ein paar Krümeln Tabak fischte, den er sich in die Pfeife steckte.
„Man muss die leere Hülle des Lebens mit einer Aussage beschriften und mit Inhalt füllen, verstehst du. Andreas, ich verfolge deine Aktivitäten seit Urbeginn, und so langsam überkommt mich der Verdacht, du wärest nur ein Vorstadtrebell, zu nichts weiter zu gebrauchen als zum Parolen schreien und Wände bekritzeln. Was erwartest du von mir, ich bin weder ein reicher noch ein herzlicher Mann, selbst für diese Sache bin ich nicht ohne weiteres gewillt, dir mein Geld anzuvertrauen.“
Das Blut stieg Andreas zu Kopf, er wurde knallrot, die Tränen standen ihm in den Augen.
„Sartre, du beschissener Idiot! Unser Kampf findet nun mal in der Realität statt und nicht auf einer Dorfbühne. Wir bedienen uns hier keinen Vorhängen und Spezialeffekten, und es ist bestimmt kein Kunstblut, was aus den Körpern unserer Widersacher spritzen soll. Versteh doch, dieser Kampf wird ein teurer sein, aber uns allen zu großem Reichtum und Anerkennung verhelfen.“
„Von welcher Anerkennung redest du? Welches Blut soll fließen? Kurzzeitigen Ruhm solltest du nicht verwechseln mit jenem Ruhm, den solche Männer erlangten, die Großes vollbracht haben, ohne ihrer Sache wegen Blut zu vergießen. Diese widerwärtige Gewalt muss noch vorm Kampf ihr Ende finden, verstehst du?“ Baader erhob sich, zog eine Knarre und ballerte Sartre den Schädel in zwei Teile. Es sah aus, als würde eine Apfelsine platzen. Die Wärter zogen ihre Pistolen aus den Holstern; ein gezielter Kopfschuss setzte Baaders Leben ein vorzeitiges Ende. Für die Medien würden sie sich etwas einfallen lassen müssen, sagte einer der Beamten. Fragt mich nicht, woher Baader die Waffe hatte. Nehmt es einfach als gottgegeben, so wie es die Medien damals getan haben.