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Grüße an den Herrn Baron
Wenn Johanna mir morgens einen blies, dann wollte sie etwas.
Ich zog ihren Kopf aus meinem Schoss, denn Johanna mag es nicht schlucken; sie sagt, sie hätte dann den ganzen Tag so ein schleimiges Gefühl im Mund. Sie schaute zu, wie das Sperma auf meinen Bauch pulsierte, malte ein wenig mit den Fingern darin herum, roch daran, ganz die Chemiestudentin, die ihre Probe untersuchte. Scheinbar zufrieden mit dem Ergebnis, stand sie auf, überließ mich den Kissen und dem nachhaltigen Gefühl ihrer Lippen und tapperte ins Badezimmer. Auf der Türschwelle drehte sie sich um und in einem Tonfall wie -Schatz, war schön mit dir- sagte sie: „Jürgen heiratet am Montag und wir sind eingeladen.“
Sie hatte zugebissen. Schlagartig verschwand das Spiel ihrer Zungenspitze aus meinem Kopf.
Wir hatten Jürgen vor sechs Monaten auf einer von Johannas Studentenpartys kennengelernt.
Ich fand einen freien Platz vor dem Kühlschrank und rückte alle Nase lang bei Seite um Platz zu machen oder ein Bier herrauszugeben, während die Anderen über Unikram schwatzten und sich in ihren Mundwinkeln die Mayonnaise vom Kartoffelsalat sammelte.
Ich wechselte ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster und starrte auf das Bücherregal, welches mit einer Weihnachtsbaumkette umwickelt war. Ab und an nippte ich an meinem Whiskey oder zündete mir eine Zigarette an. Irgendwann setzte sich Jürgen zu mir. Ein dürrer Typ mit blasser Haut, der in einem Pulloversack steckte.
„Und?“, fragte er, nachdem wir eine Weile auf die Buchrücken gestarrt hatten.
Ich tippte auf David Copperfield, „Cooler Typ.“
Jürgen zuckte mit den Achseln: „Wenn du meinst.“
Ich bot ihm von meinem Whiskey an, aber Jürgen lehnte ab.
„Was studierst du?“, fragte er nach einer weiteren Weile des gemeinsamen Schweigens.
„Studiere nicht. Arbeite.“
Jürgen nickte Beileid.
„Bin in der Geschäftsführung einer Schauspielagentur.“ Das zog immer. Auch bei Jürgen, dessen Mitleidsmimik in einem kleinen Pfiff ihren Untergang fand. Ich redete mich warm, erzählte von Schauspielern und ihren Macken, die ich aus Johannas Zeitschriften hatte. Als die Musik lauter wurde und die Leute anfingen zu tanzen, zappelte auch Jürgen mit. Ich ging in die Küche. Am Tisch saß eine verheulte Übriggebliebene. Ich munterte sie auf, indem ich ihr von meinem Leid berichtete. „Projektmanager. Für Hilfsprojekte in Afrika. Bis sich diese kleinen Sabanden in mir einnisteten. Sind so kleine Tiere. Die leben jetzt in mir. Noch maximal drei Jahre. Wenn ich Glück habe.“
Jetzt kam sie sich lächerlich vor mit ihrer Herzscheiße und bemutterte mich, so gut sie konnte. Eigentlich ein schöner Abend.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass Johanna in Jürgen einen wahren Freund finden würde, während ich in der Küche plauderte.
Seitdem übermittelte sie mir seine Grüße, wenn sie zusammen ausgingen: „An den Herrn Baron. Auf der Kugel.“
Am Montag quälte ich mich nach der Arbeit zur Hochzeit. Jürgen feierte in einem Restaurant, das keine Klasse hatte, aber doch zu viel Stil aufwies, als dass man es als Kneipe hätte bezeichnen können.
Johanna berichtete aufgeregt und in allen Einzelheiten von den Ereignissen des Tages. Ich trank Bier und freute mich darüber, dass sie sich freute.
Irgendwann wurde das Abendbuffet eröffnet und Jürgen bedankte sich öffentlich und herzlich bei der Besitzerin des Restaurants, die er „das Küchenwunder von Braunschweig“ nannte. Man applaudierte brav und schaufelte sich die Teller voll.
Zum Essen saß neben Johanna und mir eine Durchgeknallte, die über ihre weißen und violetten Körperenergien sprach. Ich erstellte Horoskope für ihre fünf Katzen. Johanna flüsterte mir ins Ohr, jetzt nicht auch noch die Geschichte von den Außerirdischen anzubringen. So hatte ich sie kennengelernt. Am Tresen einer Diskothek. Ich erfand Wesen, die sich in meine Träume einschlichen und sich nachts in meinem Zimmer trafen, mit Chips und Cola vollstopften und Drehbücher plotteten. Für Heimatfilme. Sie hatte gelacht und verbrachte die Nacht bei mir, um mich vor ihnen zu beschützen.
Nach dem Essen ging Johanna Sirtaki hüpfen und ich erzählte, wie ich mich ein halbes Jahr von Astronautennahrung ernährte, ein dreibeiniges Eichhörnchen pflegte, am liebsten mit meiner Großmutter kiffte und in einem indischen Kloster schwieg. Dazu trank ich alten Whiskey und kühles Bier, schaute auf ein zerknittertes Dekolleté in einem zu engen Kleid und knabberte an Johanna, wenn sie verschwitzt vom Tanzen bei mir Luft holte.
Die Hochzeitstorte wurde reingetragen, der Raum abgedunkelt und die Wunderkerzen angezündet. Jürgen und seine Frau Fiona ergriffen das Messer und bevor sie die Torte anschnitten, das Messer schon gefährlich nah über den Marzipanrosen schwebte, sprach Jürgen: „Was wir euch nicht länger vorenthalten wollen“, er machte eine Pause, alles lauschte, mir wurde übel, ob vom Whiskey oder der Dramatik in der Luft vermochte ich nicht einzuschätzen, „... wir sind schwanger.“ Lärm wie nach einem ordentlichen Konzert. Das Messer glitt durch die Schichten von Buttercreme und Biskuitteig und jeder stellte sich brav mit seinem Tellerchen an, um Kuchen abzuholen und Glückwünsche abzuladen.
Ich kämpfte mit dem Inhalt meines Magens, als sich das Küchenwunder von Braunschweig zu mir setzte und unter Tränen verkündete: „Erst die Hochzeit und nun auch noch ein Baby.“ Sie tupfte mit einer Serviette abwechselnd an Augen und Mund. „Haben Sie auch Kinder?“
„Nein.“
„Schade. Das kommt sicher noch.“
„Nein“, wiederholte ich und bereute es im selben Augenblick. Sie verstand mich falsch. Ich wollte, dass sie sich jemanden anderen suchte und mich in Ruhe ließ. Tat sie aber nicht.
„Ja mögen Sie denn keine Kinder?“
„Doch. Doch ich mag Kinder.“ Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: „Meine Freundin war schwanger. Zwillinge. Wir hatten schon damit begonnen, das Kinderzimmer einzurichten. Ich hatte die ganze Disneyparade an die Wand gemalt. Und sie hatte zwei Bettchen besorgt.
„Und dann?“
„Fehlgeburt.“
„Oh wie schrecklich.“ Sie nahm ihr Gesicht in beide Hände und wirkte ehrlich betroffen.
„Ja. Nun kann sie keine Kinder mehr bekommen. Vorbei.“
„Das tut mir leid. Wie geht es Ihnen damit?“ Sie täschelte meine Hand, die das Glas umklammerte.
„Schwere Zeit. Sie leidet immer noch an Depressionen.“
Gerade wollte sie mich mit all ihrer Herzensgüte überschütten, als Jürgen zwischen uns trat und sie mir wegnahm: „Tante Hedwig, ich möchte dir eine sehr gute Freundin von mir vorstellen. Die Frau des Herrn Barons.“ Dazu zeigte er mit dem Finger auf mich. Er nahm sie bei der Hand und drückte sie sanft fort. Fort von mir, hin zu Johanna. Mein Magen gewann, ich hastete zur Toilette und kotzte alles aus. Jemand klopfte gegen die Tür und fragte, ob er was für mich tun könnte.
Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, suchte ich Johanna, sie stand noch immer mit Hedwig und Jürgen am Fenster.
Ich zog sie von den beiden fort und flehte sie an, mit mir zu kommen. Jetzt. Nach Hause. Aber sie wollte nicht. Stattdessen steckte sie mich gegen all meinen Protest, den ich noch aufzubringen im Stande war, in ein Taxi. Leergekotzt und aus dem Mund stinkend, gehörte ich in ein Bett.
Ich schlief als sie kam und schlief, als sie am Vormittag das Haus verließ.
Als ich, durchnässt vom Regen, abends, beladen mit Einkaufstüten eintraf, war es ungewohnt still in der Wohnung. In der Küche setzte ich Wasser für die Spaghetti Carbonara auf, die Johanna so liebt und ich kochen konnte.
Im Wohnzimmer stellte ich das Radio an und registrierte den Umschlag auf unserem Esstisch. Mein Name stand darauf.
Das Telefon klingelte und Benny aus der Firma lud uns zu seiner Geburtstagsparty am Wochenende ein.
„Wir kommen“, versprach ich und hielt ihn an der Strippe, schwatzte über meine Kopfschmerzen und er erzählte Witze. Irgendwann legte er auf. Ich brachte das Telefon zur Ladestation.
Da lag er. Auf dem leeren Tisch, inmitten unserer Gebrauchsspuren. Weiße Ränder und Kratzer. Ich überlegte, ob Johanna mir eine Nachricht hinterlassen hatte, warum sie heute später kommt, entschied mich aber dafür, mich um das Essen zu kümmern und einfach auf sie zu warten. Die Nudeln waren inzwischen durchgekocht. Ich kippte das milchig, dicke Wasser in den Ausguss und gab den Nudeln Ei, Schinken und Sahne bei. Verteilte alles auf zwei Teller und stellte sie auf dem Couchtisch ab. Ich rauchte, verharrte auf dem Sofa, lauschte auf die Geräusche im Treppenhaus. Irgendwann gönnte ich mir einen Whiskey und wurde müde. Das Licht im Flur ließ ich für Johanna brennen, rollte mich in eine Decke und schlief ein.
Am nächsten Morgen entsorgte ich zwei Teller Pasta, eine herausgerissene Seite aus dem Branchenbuch für Frisöre, Johannas Schlüssel und löschte das Licht im Flur.