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Expeditionen in das Auge des Sturms, ein kurzer Reisebericht
Das Rauschen des Verkehrs und ödes Grau.
Immer weiter, immer weiter geht’s: Der Regen lässt die Schatten zerfließen, das Dunkel wird von Straßenlaternen zerteilt und zur Farce degradiert. Keine Richtung, kein Konzept – weiter, weiter, weiter, immer weiter.
Du begehst die Ränder der Welt, die öden Gewerbegebiete, die Treppenhäuser, die Unterführungen, die Bahnhofshallen. Jeden Tag gehen, alle anderen gehen vorbei.
Kein Ziel in Sicht.
Du warst geil, wolltest ficken.
Also gingst du los: Hinein in den Bus, eine fahrt durch niesgraues Nachmittagsland, dann der Ausstieg in der Betonwüste. Es war gräulich und irgendwie öde, du gingst einen Weg entlang, einen Weg der sich parallel zu einer Art Stadtautobahn schlängelt.
Du hattest Angst: Nie war es sicher, nie wäre es richtig für jemanden wie dich geil zu sein.
Du wolltest nicht dass jemand dich sieht – aber wer sollte dich denn schon sehen, wer beachten?
Jeder Weg wie der andere, eigentlich kein Ort für Fußgänger, Autos röhrten vorbei, verschmiertes Licht aus ihren Scheinwerfern spuckend – ja das ist es, das Ende der Welt, ein Ödland aus verschmiertem Licht, bröckelndem Beton und Maschinengedröhn.
Gewundene Wege: keiner schien richtig zu sein, aber fragen kann man nicht wenn das Ziel sich für den Pilger nicht ziemt.
Ein Land wie nach der Apokalypse, sterbende Sträucher und Ölgestank und Wege ohne erkennbare Grund angelegt – ein Zweckdienlicher Zwischenraum, Nutzraum, Abraum, ein Winkel zwischen der Stadt und all dem was sie immer wieder verleugnet.
Öde Orte sind die einzigen unerforschten Flecken auf im Universum des modernen Städters:
Der Mars ist dir auch nicht fremder als ein verlassenes Gewerbegebiet, vielleicht lichtloser in der Nacht, aber verlassener kann er kaum sein. Ach vielleicht tummelt sich Leben in den sterbenden Sträuchern am Straßenrand, aber was soll dort schon leben? Mäuse? Käfer? Shoggothen? Wozu sollte ein Leben hier gut sein?
Und du denkst an die vielen Stunden, als Kind, in denen du einfach so durch die menschenleere Neubausiedlung gegangen bist, denkst an die Stunden in denen du im Bus zur Schule gefahren bist, an die langen Zeiten an Bushaltestellen, Zeiten die sich zu Monaten oder gar Jahren summieren ließen, Zeiten verbracht in Fahrstühlen, im Zug, in der Schlange, im Treppenhaus. Du denkst an weite Flughafenhallen, erfüllt mit abgestandener Luft, denkst an vergessene Spielplätze und leer stehende Läden, an die Hinterhöfe und und Vorhöfe und Bahnhöfe und verwahrloste Bauernhöfe und an leere Ferientage, in denen der Regen unaufhörlich an die Fenster des Hotelzimmers oder Bungalows klopft und an die leeren Gesichter deiner Eltern und Testbilder und das Rauschen das man manchmal aus dem Radion hören kann.
Als du noch zur Schule gingst gab´s einen einzigen Raum in der Schule, den du liebtest, aber nur wenn er leer war: die Dusche, gleich gegenüber der Turnhalle, wo man das Rauschen des Wassers immerzu hörte, vor allem wenn niemand dort war. Aus unerfindlichen Gründen wurde sie kaum genutzt, der Boden war kaum jemals nass – und manchmal wenn Pause war, oder kurz vor der langen Fahrt Heim, gingst du dorthin und standst dort, inmitten der Leere und lauschtest.
Manchmal gehst du einfach so hinunter in den Waschkeller und lauschst, aber es ist nie mehr so wie damals gewesen. Du liebst das Rauschen der Züge, die sinnlosen Landschaftsabläufe die, wie eine Verhöhnung der funktionalen Öde der Zuginnenräume an den Fenstern vorüberziehen.
Du denkst an deine Träume, erfüllt von langen Krankenhausfluren, alles glatte Fußböden und Pastellfarben, weiter, immer weiter gehst du in deinen Träumen in das Labyrinth aus verlassenen Gängen hinein, du hast nie nachgesehen was hinter dir liegt.
Du erinnerst dich an die langen Stunden deiner Kindheit, als du aus dem Haus gingst um nicht mit deinen Eltern reden zu müssen. Du hast nie mit jemandem gespielt, deine Altersgenossen verachteten dich, du bist immer nur alleine durch die stille Neubausiedlung gelaufen – jedenfalls ist das alles woran du dich aus deiner Kindheit wirklich erinnern kannst – um spät Nachmittags nach Hause zu kommen, Hausaufgaben zu machen – auch eine Art Irrgarten – und dann schlafen...
Du denkst an früher, denkst an Ämter, Imbissstuben und Wohnungen, die dir allesamt immer so leer vorkamen wie die Ruinenstädte einer fremden Zivilisation. Du denkst an die Stunden in Schwimmbädern und Naturkundemuseen die du dort zugebracht hast wegen des Lichtes und der Geräusche.
Du denkst an Arztpraxen – an Wartezimmer und Formalitäten, an ein Schiff auf dem du einmal wart und das dich eher an Fabrikruinen als an Seefahrerromantik denken ließ.
Erinnere dich: Deine Klasse hatte vor langer Zeit einen Ausflug gemacht, in ein Kohlekraftwerk.
Ringsum, vom Kohleabbau neu geschaffene Landschaft, bräunlich, gräulich, von schmutzstarrenden Stahlungeheuern durchpflügt, all der Lärm....
Wohin nur, denkst du dir, wohin nur. Irgendwann bist du da: Ein Haus wie eine Lagerhalle, mit rötlichen Lichtern geschmückt. Du gehst rein – Treppen, Flure – unnatürlich rot und Lila ausgeleuchtet. Kaum jemand da, die meisten Türen zu, du hörst ein Husten aus einem der Zimmer – eine Frau fragt dich ob du Spaß haben willst. Du sagst ja, meinst es aber nicht so, gehst mit ihr.
Später, im Bus und im Treppenhaus fühlst du dich wieder wie neu:
Der Weg war das eigentlich wichtige für dich. Dein Zuhause, unaufgeräumt, kaum geschmückt, gar kein richtiger Ort – eine Zwischenstation, kein Ort nur eine Appartementnummer, ein Raum hinter einer Tür, die wiederum hinter einer Tür liegt. Du setzt dich, machst die Augen zu und denkst über all das nach woran du dich erinnert hast – hast du dich nicht immer wie Zuhause gefühlt an all den leeren Unorten? War es nicht schön dem Wasser, auf seinem Weg durch die Rohre, zu lauschen als du in der leeren Schuldusche standst? War es nicht schön in den Fluren, den leeren Straßen umher zugehen?
Warum schläft du dann ungern? Warum sind all die Träume von Krankenhausfluren deine Albträume, obwohl die Gänge dich anziehen? Warum bist du manchmal so traurig wenn du vor´m Einschlafen daran denkst dass morgen wieder ein Tag ist? Warum machen dich Einkaufsexpeditionen in die gewundenen Untiefen der Supermärkte und Einkaufszentren so müde? Warum bist du nicht glücklich wenn du im Fahrstuhl stehst?
Sag nicht du wärst gern ein Bewohner der Leere.