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Expeditionen in das Auge des Sturms, ein kurzer Reisebericht

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07.01.2006
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Expeditionen in das Auge des Sturms, ein kurzer Reisebericht

Das Rauschen des Verkehrs und ödes Grau.
Immer weiter, immer weiter geht’s: Der Regen lässt die Schatten zerfließen, das Dunkel wird von Straßenlaternen zerteilt und zur Farce degradiert. Keine Richtung, kein Konzept – weiter, weiter, weiter, immer weiter.
Du begehst die Ränder der Welt, die öden Gewerbegebiete, die Treppenhäuser, die Unterführungen, die Bahnhofshallen. Jeden Tag gehen, alle anderen gehen vorbei.
Kein Ziel in Sicht.

Du warst geil, wolltest ficken.
Also gingst du los: Hinein in den Bus, eine fahrt durch niesgraues Nachmittagsland, dann der Ausstieg in der Betonwüste. Es war gräulich und irgendwie öde, du gingst einen Weg entlang, einen Weg der sich parallel zu einer Art Stadtautobahn schlängelt.
Du hattest Angst: Nie war es sicher, nie wäre es richtig für jemanden wie dich geil zu sein.
Du wolltest nicht dass jemand dich sieht – aber wer sollte dich denn schon sehen, wer beachten?
Jeder Weg wie der andere, eigentlich kein Ort für Fußgänger, Autos röhrten vorbei, verschmiertes Licht aus ihren Scheinwerfern spuckend – ja das ist es, das Ende der Welt, ein Ödland aus verschmiertem Licht, bröckelndem Beton und Maschinengedröhn.
Gewundene Wege: keiner schien richtig zu sein, aber fragen kann man nicht wenn das Ziel sich für den Pilger nicht ziemt.
Ein Land wie nach der Apokalypse, sterbende Sträucher und Ölgestank und Wege ohne erkennbare Grund angelegt – ein Zweckdienlicher Zwischenraum, Nutzraum, Abraum, ein Winkel zwischen der Stadt und all dem was sie immer wieder verleugnet.
Öde Orte sind die einzigen unerforschten Flecken auf im Universum des modernen Städters:
Der Mars ist dir auch nicht fremder als ein verlassenes Gewerbegebiet, vielleicht lichtloser in der Nacht, aber verlassener kann er kaum sein. Ach vielleicht tummelt sich Leben in den sterbenden Sträuchern am Straßenrand, aber was soll dort schon leben? Mäuse? Käfer? Shoggothen? Wozu sollte ein Leben hier gut sein?
Und du denkst an die vielen Stunden, als Kind, in denen du einfach so durch die menschenleere Neubausiedlung gegangen bist, denkst an die Stunden in denen du im Bus zur Schule gefahren bist, an die langen Zeiten an Bushaltestellen, Zeiten die sich zu Monaten oder gar Jahren summieren ließen, Zeiten verbracht in Fahrstühlen, im Zug, in der Schlange, im Treppenhaus. Du denkst an weite Flughafenhallen, erfüllt mit abgestandener Luft, denkst an vergessene Spielplätze und leer stehende Läden, an die Hinterhöfe und und Vorhöfe und Bahnhöfe und verwahrloste Bauernhöfe und an leere Ferientage, in denen der Regen unaufhörlich an die Fenster des Hotelzimmers oder Bungalows klopft und an die leeren Gesichter deiner Eltern und Testbilder und das Rauschen das man manchmal aus dem Radion hören kann.
Als du noch zur Schule gingst gab´s einen einzigen Raum in der Schule, den du liebtest, aber nur wenn er leer war: die Dusche, gleich gegenüber der Turnhalle, wo man das Rauschen des Wassers immerzu hörte, vor allem wenn niemand dort war. Aus unerfindlichen Gründen wurde sie kaum genutzt, der Boden war kaum jemals nass – und manchmal wenn Pause war, oder kurz vor der langen Fahrt Heim, gingst du dorthin und standst dort, inmitten der Leere und lauschtest.
Manchmal gehst du einfach so hinunter in den Waschkeller und lauschst, aber es ist nie mehr so wie damals gewesen. Du liebst das Rauschen der Züge, die sinnlosen Landschaftsabläufe die, wie eine Verhöhnung der funktionalen Öde der Zuginnenräume an den Fenstern vorüberziehen.
Du denkst an deine Träume, erfüllt von langen Krankenhausfluren, alles glatte Fußböden und Pastellfarben, weiter, immer weiter gehst du in deinen Träumen in das Labyrinth aus verlassenen Gängen hinein, du hast nie nachgesehen was hinter dir liegt.
Du erinnerst dich an die langen Stunden deiner Kindheit, als du aus dem Haus gingst um nicht mit deinen Eltern reden zu müssen. Du hast nie mit jemandem gespielt, deine Altersgenossen verachteten dich, du bist immer nur alleine durch die stille Neubausiedlung gelaufen – jedenfalls ist das alles woran du dich aus deiner Kindheit wirklich erinnern kannst – um spät Nachmittags nach Hause zu kommen, Hausaufgaben zu machen – auch eine Art Irrgarten – und dann schlafen...
Du denkst an früher, denkst an Ämter, Imbissstuben und Wohnungen, die dir allesamt immer so leer vorkamen wie die Ruinenstädte einer fremden Zivilisation. Du denkst an die Stunden in Schwimmbädern und Naturkundemuseen die du dort zugebracht hast wegen des Lichtes und der Geräusche.
Du denkst an Arztpraxen – an Wartezimmer und Formalitäten, an ein Schiff auf dem du einmal wart und das dich eher an Fabrikruinen als an Seefahrerromantik denken ließ.
Erinnere dich: Deine Klasse hatte vor langer Zeit einen Ausflug gemacht, in ein Kohlekraftwerk.
Ringsum, vom Kohleabbau neu geschaffene Landschaft, bräunlich, gräulich, von schmutzstarrenden Stahlungeheuern durchpflügt, all der Lärm....

Wohin nur, denkst du dir, wohin nur. Irgendwann bist du da: Ein Haus wie eine Lagerhalle, mit rötlichen Lichtern geschmückt. Du gehst rein – Treppen, Flure – unnatürlich rot und Lila ausgeleuchtet. Kaum jemand da, die meisten Türen zu, du hörst ein Husten aus einem der Zimmer – eine Frau fragt dich ob du Spaß haben willst. Du sagst ja, meinst es aber nicht so, gehst mit ihr.

Später, im Bus und im Treppenhaus fühlst du dich wieder wie neu:
Der Weg war das eigentlich wichtige für dich. Dein Zuhause, unaufgeräumt, kaum geschmückt, gar kein richtiger Ort – eine Zwischenstation, kein Ort nur eine Appartementnummer, ein Raum hinter einer Tür, die wiederum hinter einer Tür liegt. Du setzt dich, machst die Augen zu und denkst über all das nach woran du dich erinnert hast – hast du dich nicht immer wie Zuhause gefühlt an all den leeren Unorten? War es nicht schön dem Wasser, auf seinem Weg durch die Rohre, zu lauschen als du in der leeren Schuldusche standst? War es nicht schön in den Fluren, den leeren Straßen umher zugehen?
Warum schläft du dann ungern? Warum sind all die Träume von Krankenhausfluren deine Albträume, obwohl die Gänge dich anziehen? Warum bist du manchmal so traurig wenn du vor´m Einschlafen daran denkst dass morgen wieder ein Tag ist? Warum machen dich Einkaufsexpeditionen in die gewundenen Untiefen der Supermärkte und Einkaufszentren so müde? Warum bist du nicht glücklich wenn du im Fahrstuhl stehst?
Sag nicht du wärst gern ein Bewohner der Leere.

 

krass!!!
gefaellt mir sehr gut dein text, ich konnte die leere und depression deines protagonisten richtig fuehlen, alleine ueber diese orte zu lesen, macht mich verrueckt.
ich finde es ist dir sehr gut gelungen diese trostlose, auswegslose stimmung in deiner geschichte herueberzubringen.
gruss
fREd

 

@Frederiko
Schön daß es dir gefallen hat...

Würde mich generell über mehr Feedback freuen, hoffentlich lassen sich noch einige weitere Menschen dazu hinreißen ein wenig mehr konstruktive Kritik zu üben, denn ich bezweifle daß der Text perfekt ist...

 

Hallo Rastafahnder,

nur die Ruhe, die Kritiken werden schon kommen, sei da mal sicher.

So wie ich sehe, ist das deine erste Geschichte hier, deshalb erstmal ein herzliches Willkommen auf kg.de!

Perfekt ist deine KG sicher nicht, es gibt mE nur zwei-drei perfekte KGn in der Literatur, und die sind von Salinger und Hemingway.

Aber gut ist deine KG schon, obwohl es ja eher eine Beschreibung von Eindrücken und Emotionen ist. Du hast, aus meiner Sicht, die "Unwirtlichkeit unserer Städte" wie es A. Mitscherlichkeit genannt hat, sehr genau und sehr nah.

Aber ich würde nicht sagen, dass der Text in Experimente gehört, denn sooo experimentell ist er gar nicht, er gehört eher in Alltag, finde ich.

Einige Einzelheiten:

Überschrift: Der "Nachklapp" "ein kurzer Reisebericht" gefällt mir nicht, er stört den tollen Eindruck des Bildes vom Auge des Sturms. Titel kannst du nicht selbst ändern, aber die Moderatoren, soweit ich weiß.


und zur Farce degradiert.

Das ist für mich kein schlüssiges Bild. Wie kann das Dunkel eine Farce sein?

Jeden Tag gehen, alle anderen gehen vorbei.

Hier ist mir der Bezug nicht klar: Wer geht?


eine fahrt durch niesgraues Nachmittagsland

Fahrt

du gingst einen Weg entlang, einen Weg der sich parallel zu einer Art Stadtautobahn schlängelt.

Eigentlich können sich Parallelen nicht schlängeln, oder?

Du wolltest nicht dass jemand dich sieht

Du wolltest nicht, dass jemand dich sieht

Gewundene Wege: keiner schien richtig zu sein, aber fragen kann man nicht wenn das Ziel sich für den Pilger nicht ziemt.

Gewundene Wege: Keiner schien richtig zu sein, aber fragen kann man nicht wenn das Ziel sich für den Pilger nicht ziemt.

Neuer vollständiger Satz nach Doppelpunkt beginnt mit Großbuchstaben.

ohne erkennbare Grund angelegt – ein Zweckdienlicher Zwischenraum, Nutzraum, Abraum, ein Winkel zwischen der Stadt und all dem was sie immer wieder verleugnet.

ohne erkennbaren Grund angelegt – ein zweckdienlicher Zwischenraum, Nutzraum, Abraum, ein Winkel zwischen der Stadt und all dem was sie immer wieder verleugnet.

Öde Orte sind die einzigen unerforschten Flecken auf im Universum des modernen Städters:

Öde Orte sind die einzigen unerforschten Flecken auf im Universum des modernen Städters:

Das auf muss raus.


Ach vielleicht tummelt sich Leben in den sterbenden Sträuchern am Straßenrand, aber was soll dort schon leben? Mäuse? Käfer? Shoggothen?

Ach, vielleicht ...
Und was, bitte, sind Shogotten? :confused:

Zeiten die sich zu Monaten oder gar Jahren summieren ließen, Zeiten verbracht in Fahrstühlen, im Zug, in der Schlange, im Treppenhaus.

Zeiten, die sich zu Monaten oder gar Jahren summieren ließen, Zeiten, verbracht in Fahrstühlen, im Zug, in der Schlange, im Treppenhaus.

leere Ferientage, in denen der Regen unaufhörlich an die Fenster des Hotelzimmers oder Bungalows klopft, und an die leeren Gesichter deiner Eltern und Testbilder und das Rauschen, das man manchmal aus dem Radion hören kann.

kurz vor der langen Fahrt Heim, gingst du dorthin und standst dort, inmitten der Leere und lauschtest.

entweder:

Fahrt heim oder Heimfahrt

Manchmal gehst du einfach so hinunter in den Waschkeller und lauschst, aber es ist nie mehr so wie damals gewesen. Du liebst das Rauschen der Züge, die sinnlosen Landschaftsabläufe die, wie eine Verhöhnung der funktionalen Öde der Zuginnenräume an den Fenstern vorüberziehen.

Manchmal gehst du einfach so hinunter in den Waschkeller und lauschst, aber es ist nie mehr so wie damals gewesen. Du liebst das Rauschen der Züge, die sinnlosen Landschaftsabläufe, die, wie eine Verhöhnung der funktionalen Öde der Zuginnenräume, an den Fenstern vorüberziehen.

Du denkst an deine Träume, erfüllt von langen Krankenhausfluren, alles glatte Fußböden und Pastellfarben, weiter, immer weiter gehst du in deinen Träumen in das Labyrinth aus verlassenen Gängen hinein, du hast nie nachgesehen was hinter dir liegt.

Du denkst an deine Träume, erfüllt von langen Krankenhausfluren, alles glatte Fußböden und Pastellfarben, weiter, immer weiter gehst du in deinen Träumen in das Labyrinth aus verlassenen Gängen hinein, du hast nie nachgesehen, was hinter dir liegt.

jedenfalls ist das alles woran du dich aus deiner Kindheit wirklich erinnern kannst

jedenfalls ist das alles, woran du dich aus deiner Kindheit wirklich erinnern kannst

Du denkst an die Stunden in Schwimmbädern und Naturkundemuseen die du dort zugebracht hast wegen des Lichtes und der Geräusche.

Du denkst an die Stunden in Schwimmbädern und Naturkundemuseen, die du dort zugebracht hast wegen des Lichtes und der Geräusche.


Du denkst an Arztpraxen – an Wartezimmer und Formalitäten, an ein Schiff auf dem du einmal wart und das dich eher an Fabrikruinen als an Seefahrerromantik denken ließ.

Du denkst an Arztpraxen – an Wartezimmer und Formalitäten, an ein Schiff, auf dem du einmal wart und das dich eher an Fabrikruinen als an Seefahrerromantik denken ließ.

War es nicht schön dem Wasser, auf seinem Weg durch die Rohre, zu lauschen als du in der leeren Schuldusche standst?

War es nicht schön dem Wasser, auf seinem Weg durch die Rohre, zu lauschen, als du in der leeren Schuldusche standst?

Warum bist du manchmal so traurig wenn du vor´m Einschlafen daran denkst dass morgen wieder ein Tag ist? Warum machen dich Einkaufsexpeditionen in die gewundenen Untiefen der Supermärkte und Einkaufszentren so müde? Warum bist du nicht glücklich wenn du im Fahrstuhl stehst?
Sag nicht du wärst gern ein Bewohner der Leere.

Warum bist du manchmal so traurig wenn du vorm Einschlafen daran denkst, dass morgen wieder ein Tag ist? Warum machen dich Einkaufsexpeditionen in die gewundenen Untiefen der Supermärkte und Einkaufszentren so müde? Warum bist du nicht glücklich, wenn du im Fahrstuhl stehst?
Sag nicht, du wärst gern ein Bewohner der Leere.

Mit den Kommas hast, wie ich jetzt beim genauen Durchgehen gemerkt habe, gewisse Schwierigkeiten, du solltest vielleicht vor dem Posten ganz genau durchgehen, ob auch alle drin sind. Ich weiß, für viele ist das Korinthenkackerei, aber ein fehlendes Komma kann den Sinn eines ganzen Satzes verändern und außerdem helfen Kommas, einen Text zu strukturieren, beim Schreiben und beim Lesen.

Beste Grüße vom Platoniker

 
Zuletzt bearbeitet:

@Platoniker
Aha, die erste kritische Betrachtung - danke trotzdem...*gg
Also auf alles kann ich jetzt erstmal nicht eingehen, weil ich grad schon beim ditten Bier bin, aber meine große Schwäche - die Zeichensetzung, hast du schon mal erkannt. Das auf in dem Satz mit dem "Universum" muß echt weg, da geb ich dir schon mal recht - ist mir auch eher schleierhaft wie das dahingekommen ist, wird wohl der Restposten eines vorher gelöschten mißlungeneren Satzes sein.
Shogotten sind Monstrositäen aus den Geschichten von H.P. Lovecraft (z.B. aus Berge des Wahnsinns), es sind dies Wesen die man vor allem in besonders unwirtlichen & abgelegenen Regionen antreffen kann & ich dachte mri so eine kleine "intertextuelle" Anspielung am Rande könnte nicht unbedingt schaden.
Hmmm... Ob die Geschichte in die Rubrik "Alltag" gehört? Naja ich weiß daß es nicht der Experimentellste Text der Literaturgeschichte ist, aber mir ging es vor allem auch darum die "Leerstellen" unseres Lebensraums zu erforschen - du wirst vielleicht bemerkt haben daß mein Protagonist diese Orte auch nicht unbedingt nur als unwirtlich ermpfindet, sondern ja geradezu von ihnen angezogen ist. Es geht mir gewissermaßen schon um eine "Reise ins Nichts", daher auch das mit dem "Reisebericht", denn auch mir ist klar daß es keine klassische KG ist, sondern mehr so eine Art, tja vielleicht könnte man es als "Prosagedicht" bezeichnen - jaja, ich weiß, ganz schön anspruchsvoll für´n Typen der noch nicht mal in der Lage ist´n Komma richtig zu setzen, aber so ist das halt mit mir...
Ach ja, würde mich aber schon intressieren ob´s stilistisch mehr oder weniger stimmig ist, d.h. ob der Text in der lage ist eine Stimmung zu erzeugen - also die Frage ist: Kann man aus diesem kleinen Text was machen, indem man z.B. die diversen Kommafehler wegmacht, oder ist liegt der Wert eines solchen Textes grundsäztlich irgendwo zwischen einem Beipackzettel & einem kräftigen Schuluck Wasser? Es ist dies nämlich, mal abgesehen von all seinen Fehlern, schon der Versuch ein, für mich wichtiges, Thema zu behandeln...
Gruß
Rastafahnder

 

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