Was ist neu

Die neue Freude ist gekommen

Challenge-Text
Challenge-Text
Mitglied
Beitritt
06.01.2022
Beiträge
85
Zuletzt bearbeitet:

Die neue Freude ist gekommen

Vielleicht haben die zwölf Gänge des Heiligabends etwas damit zu tun. Es sei denn, es war die hochprozentige Horilka ihres Schwiegervaters. Anna wacht mit Schmerzen im Bauch auf. Der Schnaps half ihr, einzuschlafen, aber die Nacht war unruhig. Sie träumte von ihm. Er sagte ihr, er hält sich in Mariupol auf und bat sie, zu ihm zu kommen.

Mariupol. Das schöne Leben, ihre Villa am Meer, ihre Freunde, die Partys mit seinen Offizieren und deren Frauen, die sie dort gab. Es waren wundervolle Abende. Heitere Nächte, im Sommer nicht selten bis zum Sonnenaufgang ...
Unten, im Wohnzimmer, ertönen die ersten Worte von Nova radit' stala, dem Weihnachtslied, das eine neue Freude ankündigt. Schmerzhafte Worte. Vor nicht mal 48 Stunden war er beerdigt worden.​
„Normalität“: Schwiegermutters Wort.
Wegen der Kinder. Neffen, Nichten, alle sind sie da im Haus seiner Eltern in Kyiv und tanzen vor dem Frühstück um den Weihnachtsbaum, wie immer am 7. Januar.
Sie steht auf. Die Kälte verursacht ihr Gänsehaut. Die Heizung ist über Nacht ausgefallen. Aus dem Schrank holt sie ein schwarzes Kleid, das sie vor ihrer Abreise aus Warschau gekauft hat. Es ist mit Spitze und Rüschen verziert – ein Kleid, das ihm gefallen hätte. Sie will schön sein. Für ihn. Sie schminkt sich sorgfältig und zieht den glamourösen Fuchspelzmantel an, den er ihr zu ihrem vierzigsten Geburtstag geschenkt hat.
Nachdem sie das Modegeschäft in Mariupol verlassen hatten, machte er einen Tanzschritt und sang für sie den berühmten Refrain Voulez-vous coucher avec moi ce soir? Voulez-vous coucher avec moi ? 
Anna geht die Treppe hinunter. Als warte er auf dem Bürgersteig in Mariupol.

Der Weihnachtstag beginnt mit einer großen Messe, die Stunden dauert. Anna hat am Vorabend ihrer verdutzten Schwiegermutter gesagt, dass sie »ganz alleine« für ihn beten wird: »Schmerzen addieren sich; sie heben sich nicht auf«, hatte sie eine Erklärung versucht. Mit mürrischem Gesicht hatte die alte Dame stumm genickt.
Der gefrorene Schnee knirscht unter ihren Schritten. Auf dem Weg zur Sankt Sophia, wo sie geheiratet hatten, fällt ihr auf, dass die Lichterketten und Kerzen in diesem Jahr fehlen, die sonst zur Weihnachtszeit Balkone, Fenster und Bäume erhellen. So vieles erinnert an den Krieg: Die Blockaden vor öffentlichen Gebäuden; die Durchhalteparolen an den Wänden; die Gespräche und sorgenvollen Gesichter der Menschen. Einige Dutzend Meter von der Kathedrale entfernt, steht auf dem Sophienplatz das ausgebrannte Wrack eines russischen Panzers, das noch nicht abtransportiert wurde. Ein Fahrzeug ähnlich jenem vor dem er sich mit den Offizieren seiner Brigade am Abmarschtag nach Bachmut auf dem Video hatte filmen lassen. Den Clip hatte er ihr nach der Rückkehr aus seinem Urlaub geschickt.
Am 25. Dezember hatte er einen Tag Urlaub antreten können. Seine erste Erholung seit Kriegsbeginn. Sie war in Lwiw mit dem Nachtzug zu ihm gestoßen. Nach dem Brunch im Restaurant Garmata hatten sie gemeinsam geduscht …
Ihr wird schlecht. Sie muss sich an einen Baumstamm lehnen.

Als Anna das Kirchenschiff betritt, kann sie nur die Gläubigen – vor allem verschleierte Frauen und alte Männer – deutlich sehen, die vor den goldenen Ikonen Schlange stehen, um Kerzen anzuzünden. Die Buntglasfenster sind mit Blech und Sperrholzplatten geschützt. Der Duft von Weihrauchschwaden erfüllt die Kathedrale.
Auch im Gebet ist der Krieg nicht fern. In den Seitenkapellen, von Votivkerzen erleuchtet, fallen ihr Hunderte von Fotos gefallener Soldaten auf. Erneut kämpft sie mit den Tränen. Sie nimmt sich vor, dem Popen nach der Messe ein Bild von ihm zu übergeben.
Kalte Luft, liturgische Gesänge und die lange Predigt wiegen sie in den Schlaf, bis ein kleiner Schmerz, ein Ziehen im Unterleib, sie aus ihrer Lethargie reißt.
Als der Pope das Foto entgegennimmt, ahnt er ihre Not und sagt:
»Sie werden mit dem Helden, der Sie gerade verlassen hat, wiedervereint. Es gibt ein anderes Leben, eine andere Welt. Er wartet auf Sie an dem Ort, den Gott für Sie vorbereitet hat.«
Auf der Fahrt mit der Metro von der Sophienkathedrale zum Baikowe-Friedhof denkt sie über diesen Satz nach.

Sein Grab. Ein kleiner Haufen gefrorener Erde zwischen hunderten anderen, entlang einer Mauer, die mit gefrorenen Blumenkränzen bedeckt ist.
Sie erinnert sich an die Blumen, die zwei Tage zuvor zu Füßen der Zivilisten und Uniformträger lagen, die Spalier standen, um seinem Trauerzug den Ehrenempfang zu erweisen. Sechs Soldaten aus seiner Brigade hatten den in die blau-gelbe Flagge drapierten Sarg auf einen Katafalk vor einem Kreuz mit dem Staatswappen gestellt. Ein Trompeter und ein Trommler hatten ihm die militärischen Ehren erwiesen. Mit Unterstützung ihres Schwagers war sie nach vorne getreten, um ihre Hände auf den Sarg zu legen. Während er in die Grube abgesenkt wurde, hatte sie einen Salutschuss vernommen.
In diesem Moment brach sie in Tränen aus.
Leise. Wie heute.
Ihre Beine tragen sie nicht mehr. Sie setzt sich auf eine Bank. Wie sollte das Leben weitergehen? Ohne ihn, ohne Kinder?
Sie hatte keine Kinder haben wollen. Nicht weil sie Kinder nicht mochte. Im Gegenteil. Aber sie selbst wollte keine. So war es.
Ihr wird schwindelig. Wie am Rande des Kliffes am Kap Sarytch bei Foros, wo sie ihren letzten Urlaub auf der Krim verbracht hatten. Die Tiefe hatte sie erschreckt und zugleich angezogen.

Es ist Viertel vor eins, als sie den Friedhof verlässt. Schneeflocken fangen wieder an zu wirbeln. Gerade als sie die Kapuze ihres Mantels über den Schal zieht, erblickt sie neben einem Luftschutzbunker den Eingang eines Hotels, der von großen Leuchtkugeln erhellt wird.
Sobald sie hereinkommt, dringt ihr der Geruch von Gänsebraten und Spanferkelfett in die Nase. Ein Geruch, der ihn hungrig machte. Er liebte das Kochen.
Alle Tische im Speisesaal sind besetzt. Sie findet einen Platz in einem angrenzenden Lounge-Bereich neben einem mit glitzernden Spinnweben bedeckten Weihnachtsbaum. In ihrer Umgebung wird viel gelacht. Im Mittelpunkt der Gespräche steht der Rückzug der Russen aus Cherson. Ab und zu wird der Trinkspruch ausgebracht: »Auf unsere Soldaten, Ruhm der Ukraine!«, der im Saal mit dem militärischen »Slawa Ukraini« beantwortet wird.
Dieses Gelächter, diese patriotischen Prahlereien sind für sie unerträglich. Sie kotzt das Wort Held, das sie seit sieben Tagen hört. »Es reicht! Aufhören!«, möchte sie rufen, aber sie bleibt stumm und bei jedem Toast verschleiern sich ihre Augen.
Als sie ein Stofftaschentuch aus ihrer Handtasche zieht, fällt ein kleines Päckchen heraus, das mit einem goldfarbenen Band umwickelt ist. Sein Geschenk. Sie hat es kurz vor ihrer Abreise nach Kyiv erhalten, vor 72 Stunden. Auf einer beiliegenden Karte wünscht ihr Väterchen Frost ein frohes neues Jahr 2023 und bittet sie, mit dem Auspacken bis zum ersten Weihnachtsabend zu warten, da er es zu spät abschicken wird, als dass sie es am 1. Januar öffnen könnte.
Wenn von Bescherung die Rede ist, an diesem Sonntag erfuhr sie morgens von seinem Tod …
»Slawa Ukraini!« – »Die Sonne der Lebendigen wärmt die Verstorbene nicht mehr«, möchte sie schreien. Es ist ein Vers aus einem Gedicht, das er ihr auf der Strandpromenade von Foros vorgetragen hatte.
Ein anderer Vers aus demselben Gedicht kommt ihr in den Sinn: »Ein einziges Wesen fehlt und alles wird menschenleer«. Ohne dieses eine Wesen kann sie nicht leben.
Anna steckt das Päckchen zurück in ihre Tasche. Sie wird es öffnen, wenn sie allein in ihrem Zimmer ist. Allein mit ihm.

Wieder bei ihren Schwiegereltern angekommen, wird ihr erneut Übel. Schließlich erbricht sie die Kutja, den Grießbrei, den er so sehr mochte und zu dem sie sich im Hotel verführen ließ.
Ihre Schwiegermutter gibt ihr eine Schachtel Aspirin-Brausetabletten und sie geht damit in ihr Zimmer.
Sie steht vor dem Waschbecken und betrachtet sich im Spiegel. Sie hat keine Angst vor dem Tod. Wenn der Tod kommt, wird er seine Augen haben. Das Leben kennt sie nur zu gut. Sie denkt, dass Russland früher oder später siegen wird, dass früher oder später ihre Witwenrente nicht mehr gezahlt wird. Sie glaubt, dass sie zum Exil verurteilt ist. Ohne ihn neu anfangen? Unmöglich, er fehlt! Fehlt! Fehlt! Fehlt!
Sie füllt das Zahnputzglas mit Wasser und gibt alle Brausetabletten hinein. Während das Aspirin zerfällt, öffnet Anna ihre Handtasche und holt ihr Geschenk heraus. Das Päckchen ist leicht. Sie löst die Schleife. Ihr Hals schnürt sich zu. Ihre Finger zittern, als sie das Packpapier aufreißt.
Der kleine Karton enthält zwei Schachteln. In der ersten befindet sich ein Ring mit einem rosafarbenen Turmalin. Der Stein ist von zahlreichen Brillanten umgeben, die der Fassung Volumen verleihen. Im Zweiten verbirgt sich ein Schwangerschaftstest.
In Polen hat sie die Pille abgesetzt. Mit ihren 43 Jahren und aufgrund ihres unregelmäßigen Zyklus hatte sie eigentlich geglaubt, dass sie keine Schwangerschaft mehr zu befürchten hätte. Sie stellt sich sein verschmitztes Lächeln vor, als er das Päckchen zusammenstellte.

Nachdem sie die Gebrauchsanweisung durchgelesen hat, benutzt sie den Stift wie beschrieben und wartet anschließend die empfohlene Zeit ab, während sie auf die Uhr schaut. Drei Minuten vergehen, zwei blaue Striche erscheinen im Lesefeld. In ihren Augen glitzern die Funken der Verwunderung.
Sie leert das Zahnputzglas im Waschbecken aus. Ob Junge oder Mädchen, sie wird dem Kind seinen Vornamen geben: Nikita.​

 

Hallo @Eraclito

Schwieriger Text. Für einen richtig authentischen Kriegstext, denke ich, muss man selber im Krieg gewesen sein (oder extreme Recherche betreiben, sich mit Augenzeugen unterhalten etc.), alles andere verkommt schnell zu einer Art Voyeurismus. Jedenfalls habe ich schon einige Bücher, vor allem über den 2. Weltkrieg, aber auch 'modernere Kriege' gelesen und die stammten alle von AutorInnen, die den behandelten Krieg selbst erlebt haben. Klar, gibt auch sehr interessante Berichterstattungen, die wirklich unter die Haut gehen, aber wir reden hier ja von Geschichten. Ich denke, wenn man das nicht selbst erlebt hat, kann man das einfach nicht in adäquate Worte fassen. Ich kenne mich mit Krieg null aus, würde mich auch als sowas wie einen Pazifisten bezeichnen, aber sowas durchschaut man doch sofort. Mein Grossvater, der vom nationalsozialistischen Regime in den Krieg gezwungen wurde, hat mir so einiges darüber erzählt, was das (aus seiner Sicht natürlich) bedeutet hat, im Krieg zu sein. Oder die Geschichten, die mir von Leuten erzählt wurden, als ich durch ehemals von Bürgerkriegen zerrüttete Länder gereist bin. Trotzdem würde ich nicht unbedingt auf die Idee kommen, das in meinen eigenen Worten (in einer Geschichte, zum reinen Unterhaltungszweck) wiederzugeben. Ok, ich habe auch schon etwas in die Richtung probiert, über die Madgermanes, aber dort ging es nicht wirklich um Krieg und selbst dann hat es nicht unbedingt funktioniert. Das ist extrem schwierig, denke ich.

Das hier hat für mich einfach null Authentizität. Auch frage ich mich: Kann man etwas so gewaltiges wie einen Krieg oder Kriegserlebnisse überhaupt in Form einer Kurzgeschichte 'verarbeiten'? Schon dein erster Satz hat mich leider gleich bisschen abgeturnt. Für mich fehlt in deinem Text so einiges: Viel zu wenig konkrete Verortung (@Katla hat das schon angesprochen), die Geschichte könnte überall in irgendeinem x-beliebigen Krieg (wie das schon klingt ...) spielen. Die Gefühlswelt der Prota kommt mir viel zu kurz, das scheint mir alles aus weiter Ferne geschildert (passt ja, Du sitzt bestimmt in der warmen Stube und 'beobachtest' diesen Krieg in den Medien) und ich kann somit nirgends wirklich anknüpfen, kann nicht erleben, wie das wirklich ist, wenn man zur jetzigen Zeit in Kyiv ist. Das wird höchstens angedeutet, aber was dieser Krieg mit den Menschen macht, davon lese ich hier überhaupt nichts. Was ich hier lese, sind Banalitäten. Das ist als Thema viel zu hoch gegriffen, das klappt in 99,9% der Fälle einfach nicht, sowas zu schreiben, zumindest wenn der Text ernst genommen werden soll. Meine Meinung. Das liest sich einfach unglaublich trivial, beinahe empathielos (fand ich ganz krass in der ersten Version, mittlerweile hast Du ja einiges überarbeitet) und lässt mich deshalb ebenso kalt. Das besitzt keine Schwere, keine Tiefe, da sinkt nichts ein, ich les das einfach und denk mir: So what? Ist es wirklich das, was Du beim Leser erreichen willst? Ganz ehrlich: Ich klick einfach zu einer anderen Geschichte, ohne wirklich etwas hiervon mitzunehmen und das ist, gerade bei einem solchen Thema, doch verdammt schade.

Eine Bemerkung am Rande: Kann es sein, dass Du deine Geschichte mit Blocksatz formatiert hast? Das Layout des Textes wirkt so ein wenig zerfleddert ... Aber hab's ja trotzdem geschafft, die Story zu lesen :D Alles gut.

Ich gehe mal ein wenig durch den Text:

Das schlimmste aller Weihnachten.
Platter Start in den Text. Würde einen anderen Einstiegssatz nehmen, einer der nicht gleich schon klarmacht, dass es das schlimmste Weihnachten aller Zeiten ist, sondern dass der Text da drauf aufbaut, sich die tragischen Ereignisse nacheinander entfalten. Gerade auch in Kombi mit dem Titel zieht das für mich nicht. Liest sich wie ein Platzhalter. Auch habe ich mich nach dem Lesen gefragt: Theoretisch könnte es ja noch schlimmer kommen für sie, bspw. ein Luftangriff. Also das ist mir zu unkonkret, gerade für einen Einstiegssatz. Ehrlich gesagt bin ich dann auch mit einer niedrigen Erwartungshaltung in den Text eingestiegen.

Sie lebte in Warschau, wohin sie unmittelbar nach der Zerbomben ihrem Villa in Mariupol geflohen war.
nach dem Zerbomben ihrer Villa

Sie kam in der Nacht von 4. zu 5.
Sie kam in der Nacht vom 4. auf den 5. nach Kyiv

um dem Alltag seine Normalität zu bewahren
Liest sich bisschen verquer für mich. Würde ich umformulieren zu sowas wie 'um die Normalität zu wahren' o.ä. oder streichen bzw. es vorher verdeutlichen, dass sie eben genau das macht.

Als wäre ihr Verstand abgestumpft, macht sich Anna für ihn zurecht.
Das geht für mich nicht auf, passt nicht recht zusammen. Sie ist ja eben genau nicht abgestumpft, deswegen gibt sie sich doch Mühe, auch ohne ihn gut auszusehen? Wenn sie abgestumpft wäre, würde sie sich doch gehen lassen. Oder verstehe ich da was falsch?

und zieht den glamouröse Fuchspelzmantel, den er ihr zu ihrem 40. Geburtstag geschenkt hat.
Da fehlt ein Wort: Sie zieht den Mantel an.

Voulez-vous coucher avec moi ce soir ? Voulez-vous coucher avec moi ?  – Möchtest du heute Abend mit mir ins Bett gehen? Möchtest du mit mir schlafen?
Nun ja, die Übersetzung braucht es nicht. Erstens ist das Lied ja sehr bekannt und zweitens ist das jetzt nicht wirklich kompliziertes Französisch, oder? :D Kannst dem Leser ruhig bisschen vertrauen.

Herzschmerzen häufen sich, heben sich nicht gegenseitig auf.
Das verstehe ich nicht, von der Aussage her. Logisch können sich Schmerzen, weder physischer noch psychischer Art, gegenseitig aufheben, die verstärken sich. Okay, vielleicht tritt der eine Schmerz, der heftigere, mal mehr in den Vordergrund und verdrängt den anderen, aber da ist er ja immer noch. Mir fehlt hier auch ein Gegensatz zum Herzschmerz. Oder ich steh einfach komplett neben den Schuhen :D

Auf dem Weg zur Sankt Sophia, wor sie geheiratet hatten, fällt ihr auf
wo

Unzählige unscheinbare Details erinnern an den Krieg. Die Blockaden vor öffentlichen Gebäuden. Die Durchhalteparolen an den Wänden. Die Gespräche und sorgenvollen Gesichter der Menschen. Der Krieg scheint weit weg und doch allgegenwärtig.
Blockaden vor öffentlichen Gebäuden, an die Wände geschmierte Durchhalteparolen und die sorgenvollen Gesichter der Menschen (aller Menschen) sind unscheinbare Details? Das sind doch offensichtliche Dinge, zumindest so, wie es mir hier geschildert wird.

Einige Dutzend Meter von der Kathedrale entfernt[KOMMA] steht auf dem Sophienplatz das ausgebrannte Wrack eines russischen Panzers, das noch nicht abtransportiert wurde.
Ein Fahrzeug, das jenem gleicht, vor dem er sich mit den Offizieren seiner Brigade am Abmarschtag nach Bachmut auf dem Video hatte filmen lassen, das er ihr nach der Rückkehr aus seinem Urlaub schickte.
Das ist mir zu viel Information in einem Satz. Würde ich auftrennen, damit man besser folgen kann.

hatten sie gemeinsam geduscht und ihrer Leidenschaft gefrönt.
Wie ließe sich das vergessen? Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.
Sorry, aber da musste ich lachen. Da müsste irgendwie die Zärtlichkeit spürbar werden, der Gegensatz zum harten Kriegsalltag, meinetwegen die Lust aufeinander. Da könntest Du doch vertieft einsteigen, um die beiden auch greifbarer zu machen. So funktioniert das für mich überhaupt nicht.

Kalte Luft, liturgische Gesänge und lange Predigt wiegen sie in den Schlaf
und die lange Predigt

»Sie werden mit dem Helden, der Sie gerade verlassen hat, wiedervereint. Es gibt ein anderes Leben, eine andere Welt. Er wartet auf Sie an dem Ort, den Gott für Sie vorbereitet hat.«
Auf der Fahrt mit der Metro von der Sophienkathedrale zum Baikowe-Friedhof denkt sie über diesen Satz nach.
Ja, sorry, wenn das bisschen ironisch klingt jetzt, aber ich dachte auch über diesen Satz nach. Er klingt nämlich, als würde ihr der Pope nahe legen, sie solle sich suizidieren oder als würde der Pope sie gleich selbst über den Jordan schicken. Aber vielleicht bin das ja nur ich, bzw. meine Lesart.

Ein kleiner Haufen gefrorener Erde zwischen hunderten anderen, entlang einer Mauer, die mit gefrorenen Blumenkränzen bedeckt ist.
Über diesen Satz bin ich gestolpert. Also für mich stimmt da was nicht. 'zwischen hundert anderen' vielleicht oder 'zwischen hunderten anderer', bin mir aber ehrlich gesagt gerade nicht so sicher, ob das korrekt wäre. Ausserdem: Diese hundert gefrorenen Erdhügel, da könnte man das Bild intensivieren, finde ich. So liest sich das etwas lieblos, aber vielleicht passt es ja doch ganz gut, weil die Gräber ja eben auch lieblos sind bzw. die Gefallenen hastig vergraben wurden.

den in die blau-gelb Flagge drapierten Sarg auf einem Katafalk vor einem Kreuz mit dem Staatswappen
blau-gelbe Flagge / auf einen Katafalk

Ein Trompeter und ein Trommler hatten ihm die militärischen Ehren erwiesen.
Ist das nicht einfach die militärische Ehre? Also singular? Gibt es mehrere militärische Ehren? Sorry, war selbst nie in der Armee :D

Während er in die Grube abgesenkt wurde, hatte sie einen Salutschuss vernommen.
Da wollte ich erst kritisieren, dass sie den Salutschuss gar nicht richtig wahrnimmt (wegen dem Wort 'vernommen', weil ich dachte, sie würde sich vielleicht erschrecken, anstatt den einfach zu vernehmen). Aber jetzt denke ich, es passt doch ziemlich gut, wahrscheinlich hat sie sich an den Kriegslärm (Schüsse, Artillerie etc.) gewöhnt und sie erschrickt sich nicht mehr so schnell.

Ohne ihn, ohne Kind? Sie hatte keine Kinder haben wollen.
Sie wünscht sich jetzt, da es zu spät ist, also doch ein Kind von ihm. Das finde ich schon gut gemacht, charakterisiert sie ja auch, aber da dürfte für meinen Geschmack etwas mehr Fleisch auf die Knochen. Wäre imo eine gute Stelle, etwas mehr in die Tiefe zu gehen.

Ihr wird schwindelig. Wie am Rande eines Abgrundes, wenn die Tiefe verängstigt und zugleich lockt.
Das wiederum ist sehr platt. Am Rande des Abgrundes, liest man gefühlt in jedem zweiten Text. Würde ich unbedingt vermeiden.

Sie kotzt das Wort Held, das sie seit sieben Tagen hört.
Seltsam. Also sagt sie das Wort oder kotzt sie das wirklich auf den Boden?

Sie empfindet die Welt um sie herum als äußerst arm und absolut leer.
Ist mir zu nichtssagend, äusserst arm und absolut leer. Was ist denn eine arme Welt? All das, was zuvor beschrieben wurde? Aber leer scheint sie ja definitiv nicht zu sein, die Welt. Auch nicht, wenn ihr Kopf, ihre Gedanken damit gemeint sind, der ist voller Erinnerungen und Sehnsüchte.

Es fehlt nur ein einziges Wesen; alles ist entvölkert. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie ohne dieses eine Wesen nicht leben kann und steckt das Päckchen zurück in ihre Tasche.
Ein Wesen. Ihr Geliebter, oder? Das war doch ein Mensch und kein Wesen. Liest sich wieder sehr seltsam für mich, gestelzt auch.

Sie hat keine Angst vor dem Tod. Wenn der Tod kommt, wird er seine Augen haben.
Ich verstehe, was Du ausdrücken willst, aber es liest sich ungelenk für mich. Seine Augen werden sie in den Tod begleiten. So wie es da steht, ist mir das aber zu wenig differenziert, es ist beinahe so, als würde sie ihn mit dem Tod gleichstellen. Ich würde die Stelle ausbauen, gefühlvoller gestalten.

Sie gießt die Tube mit den Tabletten in das Zahnputzglas und füllt es mit Wasser.
Die Tabletten befinden sich in einer Tube? Und kann man etwas, egal was, aus einer Tube giessen? Das würde ich mich an der Stelle mal fragen.

Sie löst die Schleife. Ihr Hals schnürt sich zu.
Das finde ich TOP gemacht! Schöner Gegensatz, das haut rein. :thumbsup:

Ihre Finger zittern ein wenig, als sie das Packpapier aufreißt.
Redundant.

Hatte er eine der Apps zur Zyklusüberwachung auf sein Handy geladen?
Liest sich wie ein Fremdkörper. Klingt im Gegensatz zum Rest so modern :D Wenn die (magere) Verortung mit den Ortsnamen und dem Trinkspruch nicht wäre, könnte die Geschichte genauso gut in einem ganz anderen Krieg vor 80 oder 100 Jahren spielen.

Anna geht ins Badezimmer wieder.
Anna geht wieder ins Badezimmer. Wäre flüssiger. Aber eine Frage: Sie hat doch das Badezimmer gar nicht verlassen?

Nachdem sie sich die Gebrauchsanweisung gelesen hat
durchgelesen oder Nachdem sie die Gebrauchsanweisung gelesen hat [...]

Soweit mein Senf zu deiner Geschichte. Du hast viel (mMn berechtigte) Kritik erhalten und ich hoffe, Du hast Dich dadurch nicht allzu sehr entmutigen lassen. Mein Kommentar soll nur als Hilfestellung dienen und Dich nicht angreifen als Autor. Davon hätte niemand etwas. Ich hoffe, ich bin mit deiner Geschichte nicht zu hart ins Gericht gegangen.

Viele Grüsse & dennoch viel Erfolg
wünscht Dir,
d-m

 

Hey @deserted-monkey

Danke, dass Du Dir so viel Zeit für meinen Text genommen hast, obwohl Dir das Thema missfällt. Umso mehr Verdienst hast Du. Danke auch für die Korrektur meiner Rechtschreibfehler.

Du schreibst:

Für einen richtig authentischen Kriegstext, denke ich,...
Wer will daraus einen authentischen Text über den Krieg machen? Ich jedenfalls nicht!

Ich kenne mich mit Krieg null aus, würde mich auch als sowas wie einen Pazifisten bezeichnen,
In einem früheren Leben war ich Offizier und wenn ich auch nie in den Krieg gezogen bin, so habe ich mich doch darauf vorbereitet. Dennoch oder gerade deshalb bin ich ein Pazifist.

Kann man etwas so gewaltiges wie einen Krieg oder Kriegserlebnisse überhaupt in Form einer Kurzgeschichte 'verarbeiten'?
Picasso machte daraus eines der bekanntesten Gemälde der Welt: Guernica.

muss man selber im Krieg gewesen sein
Picasso lebte während des Spanischen Bürgerkriegs in Paris und hatte nur Fotos von dem Massaker gesehen.

Das ist als Thema viel zu hoch gegriffen,
Ich wiederhole: Der Krieg in der Ukraine ist nicht das Thema meiner Geschichte. Du hast es selbst bemerkt:
Wenn die (magere) Verortung mit den Ortsnamen und dem Trinkspruch nicht wäre, könnte die Geschichte genauso gut in einem ganz anderen Krieg vor 80 oder 100 Jahren spielen.

Das besitzt keine Schwere, keine Tiefe, da sinkt nichts ein,
Akzeptiert, aber ich weiß nicht, wo ich etwas entfernen soll, um Platz für neue Wörter zu schaffen, um Annas Charakter zu vertiefen.

Platter Start in den Text.
Du magst es so sehen. Die Idee ist, direkt in das Thema der Challenge einzusteigen: "Weiße Weihnachten war gestern."

Das geht für mich nicht auf, passt nicht recht zusammen.
Durch die Streichung dieser Wörter habe ich an Länge und Verständlichkeit gewonnen. Vielen Dank.

Das verstehe ich nicht, von der Aussage her.
Je mehr Menschen weinen, desto größer ist der Schmerz jedes Einzelnen. Bei den Römern war es Tradition, bezahlte "Trauernde" zu diesem Zweck vor dem Trauerzug marschieren zu lassen.

Da müsste irgendwie die Zärtlichkeit spürbar werden, der Gegensatz zum harten Kriegsalltag, meinetwegen die Lust aufeinander.
Du hast Recht, aber in diesem Text sieht der Erzähler die Dinge mit Annas Augen. Sie ist eher introvertiert, was die Sache für mich nicht einfacher macht.

Er klingt nämlich, als würde ihr der Pope nahe legen, sie solle sich suizidieren oder als würde der Pope sie gleich selbst über den Jordan schicken
So hat Anna es auch verstanden.

Ist das nicht einfach die militärische Ehre? Also singular?
Nein. Die Ehre eines Soldaten besteht darin, bereit zu sein, sein Leben zu opfern, wenn seine Mission dies erfordert. "Militärischen Ehren" ist eine Zeremonie.

Das wiederum ist sehr platt. Am Rande des Abgrundes, liest man gefühlt in jedem zweiten Text. Würde ich unbedingt vermeiden.
Danke für den Hinweis. Siehe die neue Fassung:
Ihr wird schwindelig. Wie am Rande des Kliffes am Kap Sarytch bei Foros, wo sie ihren letzten Urlaub auf dem Krim verbracht hatten. Die Tiefe hatte sie erschreckt und zugleich angezogen.

Ich muß aufhören zu schreiben. Fortsetzung bald.
Eraclito

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, soeben bin ich auch zu deiner Geschichte gekommen.

Im Gesamten hat sie mich nicht richtig ergriffen. Als Erstes wurde ich sofort vorsichtig, als ich hörte, dass es um den Krieg in der Ukraine gehen soll, und zwar explizit. Dies hier soll ja kein Forum zur Diskussion internationaler 'Politik' sein, aber bei solcher Materie muss man schon sehr genaues Wissen über die Vorgänge, Sichtweisen, Interessen, Befindlichkeiten und Zusammenhänge haben. Meist bringen erst Jahrzehnte nach dem Geschehen die Aus-Gräber der Geschichte die entsprechenden Wahrheiten jenseits von Manipulation und Verschleierung an das Licht des Tages. Und für Stimmungsmache ist grad alles viel zu schmerzlich nah.

Das heißt nicht, dass ich den Text gänzlich schlecht finde. Ich entdecke da auch einige Stellen, die ich gut finde, die mir Berührung gegeben haben. Vieles ist allerdings sehr deskriptiv old--style. Ein wenig altbacken hat das ein anderer genannt. Vielleicht würde das in Abschnitten eines Tolstois nicht auffallen; heute klingt es dann eben phrasenhaft Dennoch nehme ich dich wahr, wie du dich empathisch in das Leid deiner Protagonistin ernsthaft hinein begibst, versuchst, es zu erfassen und zu zeigen.

Ein paar Anmerkungen also auch von mir, vielleicht hast du ja Lust, jenseits des 'Challenge' dran zu arbeiten.

Es sei denn, es war die hochprozentige Horilka, die ihr der Schwiegervater statt Schlaftabletten verabreichte, damit sie von ihren Emotionen loskommt.
Hier ist es eine verunglückte Mischung aus Deskription und ungeschickter Ausdrucksweise. Da frag ich mich: Wie würdest du das einem Zuhörer eigentlich tatsächlich erzählen?
Dann schreib' es so hin, das ist wahrscheinlich besser.
Und, würde die Figur des Schwiegervaters seine Handlung so beschreiben: "Ich verabreichte ihr ... damit sie von ihren Emotionen loskommt ?


So ist anscheinend alles: Verwahrlost, zwischen Leben und Tod, und alle in der Schwiegerfamilie scheinen sich damit abzufinden.
Ähnlich hier. Anscheinend alles? Wer sagt das so? Zwischen Leben und Tod, oft gehört, was sagt das jetzt? Und dann scheinen sich (anscheinend) alle damit abzufinden.
Ich rate dir also dazu, deine eigene Stimme zu hören. Du kannst sie deinen Figuren leihen. Damit umgehst du diese stilistischen Löcher, das Nicht-Authentische.


Sie macht sich für ihn zurecht, schminkt sich sorgfältig, bindet ihr Haar zu einem Chignon zusammen, den sie unter einem Wollschal versteckt und zieht den glamouröse Fuchspelzmantel, den er ihr zu ihrem 40. Geburtstag geschenkt hat.
Den Satz solltest du entschlacken -- und wenn dir jede Information, die darin steckt, wichtig sein sollte -- wenigstens aufteilen. Unwichtig erscheint mir, dass sie den unter einem Wollschal versteckt, aber zumindest erahne ich nicht, was daran wichtig sein könnte. Da ist auch viel Distanz damit entstanden. Vielleicht ist das Gefühl stärker, wenn sie sich einfach nur für ihn die Lippen schminkt, sonst nichts?


Anna geht die Treppe hinunter. Als würde sie ihn auf dem Bürgersteig wiederfinden, singend und tanzend.
Hier auch, lies es laut und lass es klingen ...

Anna hat am Vorabend angekündigt, dass sie zwar für ihn beten wird, aber allein gehen möchte.
Sie hat angekündigt? Dass sie zwar .. beten wird .. aber ..?
Das ist es, was einige hier (vermutlich) als reportagenartigen, berichtsartigen Stil kritisiert haben. Solche Stellen finde und ändere.


Herzschmerzen häufen sich, heben sich nicht gegenseitig auf.
Ist das so? Meint sie das? Was sagst du?

Der Krieg scheint weit weg und doch allgegenwärtig.
Allgemein. Zudem fehlt das ist.


Nach dem Brunch im Restaurant Garmata, hatten sie gemeinsam geduscht und ihrer Leidenschaft gefrönt.
Würde sie, deine Figur, es so ihrer besten Freundin sagen? Oder sich selber? Sie hatten gemeinsam .. ihrer Leidenschaft gefrönt? Woher kommen diese Ausdrücke?


»Sie werden mit dem Helden, der Sie gerade verlassen hat, wiedervereint. Es gibt ein anderes Leben, eine andere Welt. Er wartet auf Sie an dem Ort, den Gott für Sie vorbereitet hat.«
Das gefällt mir. Das kann ich mir schon vorstellen, solchen Sermon-Quark hört man ja leider oft. Authentisch!

Als sie durch die Tür hereinkommt, dringt ihr der Geruch von Gänsebraten und Spanferkelfett in die Nase und löst bei ihr Übelkeit aus.
Auch hier könntest du das 'Übelkeit auslösen' verbildlichen. Ich übertreib's mal -- nicht böse sein -- "Sie war mit dem Übelkeit auslösenden Geruch des Spanferkelfetts konfrontiert?"


Dieses Gelächter, diese patriotischen Prahlereien sind für sie unerträglich. Sie kotzt das Wort Held, das sie seit sieben Tagen hört.
Hier lässt du sie dann endlich kotzen, das hätte sie oben schon gebraucht ;) -- Übrigens, schöne Idee, sie das Wort 'Held' kotzen zu lassen.


Ein anderer Vers aus demselben Gedicht kommt ihr in den Sinn: „Ein einziges Wesen fehlt und alles wird menschenleer“.
Ein sehr schönes Zitat.


Nur vergibst du die Chance leider schnell, denn dein Text wirkt zu sehr wie ein Aufsatz. Oder eine Reportage.
Ja, das bewirkt zu einem der Stil mit vielen sachlichen, teils nicht-authentischen Formulierungen; zum anderen ankerst du den Leser stark mit dem ersten Absatz:

Das schlimmste aller Weihnachten. Vielleicht haben Sie in den Medien die Geschichte von Anna, der Witwe von General Durakin, gelesen.
Sie lebte in Warschau, wohin sie unmittelbar nach dem Zerbomben ihrer Villa in Mariupol geflohen war. Am 1. Januar ereilte sie eine schreckliche Nachricht: ihr Mann war gestorben. Grausamer Zufall, denn an diesem Tag werden in der Ukraine die Geschenke verteilt.
Sie kam in der Nacht vom 4. auf den 5. nach Kyiv, um am Leichenbegängnis teilzunehmen.
Am 7. Januar, Weihnachtsfesttag, wacht Anna mit Bauchschmerzen auf. Vielleicht haben die zwölf Gänge des Heiligabends etwas damit zu tun, die ihre Schwiegermutter unbedingt zubereiten wollte, um zur Normalität zurück zu kehren.
Vorgeschichte in vorangestellter Einleitung, dann Datum, nähere Bezeichnung des Tags, Ereignis -- wie Bericht. Die Lösung liegt für mich auf der Hand. Du brauchst den gesamten ersten Absatz nicht. Du kannst meines Erachtens sofort in die Szene springen.
Beginne mit:

Anna wacht mit Bauchschmerzen auf. Vielleicht haben die zwölf Gänge des Heiligabends etwas damit zu tun, die ihre Schwiegermutter zubereitet hatte unbedingt zubereiten wollte, um zur Normalität zurück zu kehren.
(aber natürlich nicht: um zur Normalität zurückzukehren ;))

Danke, dass Du das Thema "Verantwortung des Schriftstellers" aufgegriffen hast. Es ist klar, dass die Zerstörung von Kyiv nicht mein Thema ist, sondern nur die Kulisse liefert, wie es ein Fischerhafen getan hätte, wenn Anna ihren Mann (Schiffskapitän) in einem Sturm verloren hätte.
Richtig. Und genau deshalb ist das mein zweiter Rat: Weg mit Kiev, weg mit Ukraine.
Dein Thema ist der Verlust des geliebten Menschen im Krieg.
Die ganze Geschichte könnte sich um eine Südstaaten-Frau drehen (oder Nordstaaten), die ihren Mann in der Schlacht bei Ghettysburg verloren hat.
Es ist schlicht völlig gleichgültig.


Das hier hat für mich einfach null Authentizität. Auch frage ich mich: Kann man etwas so gewaltiges wie einen Krieg oder Kriegserlebnisse überhaupt in Form einer Kurzgeschichte 'verarbeiten'?
Ja, ich denke, das kann man -- Borchert hat es gemacht, auch Remarque. Nur geht es im vorliegenden Text nicht um Krieg an sich, sondern nur um einen Aspekt.

--

So, ich hoffe, du fasst meine Anmerkungen als das auf, was sie sein sollen, nämlich konstruktive Hinweise, und wünsch dir gutes Schaffen!

Gruß von Flac

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey@deserted-monkey

Wieder da!

Was ist denn eine arme Welt?
Danke für die Frage. Siehe neue Fassung:
»Slawa Ukraini !« – »Die Sonne der Lebendigen wärmt die Toten nicht mehr«, möchte sie schreien. Es ist ein Vers aus einem Gedicht, das er ihr auf der Standpromenade von Foros vorgetragen hatte.
Ein anderer Vers aus demselben Gedicht kommt ihr in den Sinn: „Ein einziges Wesen fehlt und alles wird menschenleer“. Ohne dieses eine Wesen kann sie nicht leben.

Ich hoffe, ich konnte dich davon überzeugen, dass meine Geschichte mit all ihren Fehlern keinen politischen, religiösen oder militärischen Interessen dient. Höchstens klagt sie gegen Krieg verallgemeinert.
Dein Fazit: Soweit mein Senf zu deiner Geschichte. Dein Senf hat mir geschmeckt. Nochmals vielen Dank.

Liebe Grüße
Eraclito

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @Eraclito

Ein schwieriges Hintergrund-Thema hast du dir für die Erzählung über Annas persönlichen Verlust ausgesucht. Leider nahm ich dem Erzähler, also dir, den Versuch, die Geschichte mit den Kriegswirren in der Ukraine literarisch zu verarbeiten nicht ab. Die Kommentare anderer Leser bestätigen sodann mein ungutes Empfinden und spätestens hier war ich echt konsterniert:

Danke, dass Du das Thema "Verantwortung des Schriftstellers" aufgegriffen hast. Es ist klar, dass die Zerstörung von Kyiv nicht mein Thema ist, sondern nur die Kulisse liefert, wie es ein Fischerhafen getan hätte, wenn Anna ihren Mann (Schiffskapitän) in einem Sturm verloren hätte.
Ehrlich jetzt? Da frage ich mich, warum greifst du dann zu so einer politisch aufgeladenen Kulisse? Da muss ich dir leider den Vorwurf der Effekthascherei an den Kopf werfen, womit die ganze Geschichte von Anna und ihrem Verlust des Ehemanns, sowie Vater ihres ungeborenen Kindes vor dieser Ungeheuerlichkeit verblasst.

Ich versuche trotzdem noch etwas Konstruktives da zu lassen, denn noch ist nicht Challenge-Ende und die Möglichkeit besteht weiterhin, dem ernsten Hintergrund gerecht zu werden.

Du hast ja bereits das eine oder andere geändert, z.B. den zwischenzeitlich unnötigen Prolog wieder entfernt, was mir so schon mal viel besser gefällt. Und es zeigt mir, du wills noch an der Geschichte feilen

und zieht den glamouröse Fuchspelzmantel an,
glamourösen

Anna hat am Vorabend angekündigt, dass sie zwar für ihn beten wird, [dazu] aber allein [zur Kirche] gehen möchte.
Nur so als Vorschlag.

[...] hatten sie gemeinsam geduscht und ihrer Leidenschaft gefrönt.
Wie ließe sich das vergessen? Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.
Nö. Aber eben, hat ja @deserted-monkey schon angemerkt. Das funktioniert so (noch) nicht in der gewünschten Richtung.

Auf der Fahrt mit der Metro von der Sophienkathedrale zum Baikowe-Friedhof denkt sie über diesen Satz nach.
Und ich bleibe aussen vor, schade.

wo sie ihren letzten Urlaub auf dem Krim verbracht hatten.
Krim, die Halbinsel. Somit auf der Krim.

Es ist ein Vers aus einem Gedicht, das er ihr auf der Standpromenade von Foros vorgetragen hatte.
Strandpromenade

In Polen hat sie die Pille abgesetzt. Das hat sie ihm am 25. Dezember gesagt, aber ihre Überraschung ist groß: Hatte er eine der Apps zur Zyklusüberwachung auf sein Handy geladen?
Bitte was? Das kommt so aus der Hüfte geschossen, denkt sie wirklich so etwas in diesem Moment?

Sie setzt sich auf eine Bank. Was für ein Leben ist das eigentlich: Ohne ihn, ohne Kind? Sie hatte keine Kinder haben wollen. Ihr wird schwindelig.
Ohne Kind – meintest du das so, wie es hier steht?
Ihr ist schlecht, sie ist drüber, der Pinkeltest bloss Formsache. Zudem fügt sie den Keine-Kinder-Wunsch im gleichen Atemzug. Oder habe ich hier was komplett missverstanden und sie möchte jetzt das Kind austragen, quasi als Ersatz/Erinnerung für/an ihren verstorbenen Mann?

Fazit: Obwohl ich zuerst dachte, dass du dich mutig an die Erzählung des russischen Angriffsskriegs auf die Ukraine gewagt hast, entpuppte sich die Geschichte als (noch) zu distanziert zum Kriegsgräul, was deine Relativierung – der Hintergrund sei nicht das Thema – drastisch unterstreicht. Ganz klar, es bleibt ein schwieriges Unterfangen, den realen Umständen gerecht zu werden, wenn man etwas nicht selbst erlebt hat. Aber dann muss Recherche und gezieltes Draufschauen dieses Manko ausfüllen.
Trotzdem schön, dass du an der Challenge teilnimmst und bis 10.12. ist ja noch etwas Zeit, um deine Eingangs erwähnte Aussage zu überdenken.

Liebgruss, dotslash

 

Hey @FlicFlac

Im Gesamten hat sie mich nicht richtig ergriffen.
Danke, dass Du meinen Text unter diesen Umständen bis zum Ende gelesen hast.

Das heißt nicht, dass ich den Text gänzlich schlecht finde.
Von Dir nehme ich diesen Satz als Kompliment.

Vieles ist allerdings sehr deskriptiv old--style. Ein wenig altbacken hat das ein anderer genannt.
Stell Dir vor, ich habe eine ganze Bibliothek mit Büchern in Frakturschrift, die mich nichts gekostet haben, weil die Stadtbibliotheken sie verschenken. Niemand will/kann sie mehr lesen. Wenn man meinen Stil in diesem Text mit dem von Thomas Mann vergleicht, fühle ich mich geschmeichelt.

Hier ist es eine verunglückte Mischung aus Deskription und ungeschickter Ausdrucksweise
Danke. Ist weg.

Ähnlich hier. Anscheinend alles? Wer sagt das so? Zwischen Leben und Tod, oft gehört, was sagt das jetzt?
Ähnlich hier.

Den Satz solltest du entschlacken --
Danke. Getan.

Hier auch, lies es laut und lass es klingen ...
OK! Todo Liste.


Sie hat angekündigt? Das
Siehe neue Version:
Anna hat am Vorabend gesagt, dass sie für ihn beten wird, dazu aber zur Kirche allein gehen möchte. »Herzschmerzen häufen sich, heben sich nicht gegenseitig auf.« Ihre Schwiegermutter musste sich mit dieser lapidaren Erklärung begnügen.

Würde sie, deine Figur, es so ihrer besten Freundin sagen? Oder sich selber? Sie hatten gemeinsam .. ihrer Leidenschaft gefrönt? Woher kommen diese Ausdrücke?
Siehe neue Version:
Nach dem Brunch im Restaurant Garmata, hatten sie gemeinsam geduscht und sich geliebt. Und erneut. Beim zweiten Mal ließ er es langsam angehen und widmete sich über eine Stunde lang dem Vorspiel.
Wie ließe sich diesen Nachmittag vergessen? Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.
Du brauchst den gesamten ersten Absatz nicht. Du kannst meines Erachtens sofort in die Szene springen.
Getan.

Nochmals vielen Dank für Deine Anmerkungen. Wie Du siehst, sie haben mich bei der Verbesserung meines Textes sehr geholfen. Ich habe sogar den Titel geändert, in dem das Wort Ukraine provokativ wirken könnte.

Liebe Grüße
Eraclito

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @dotslash

Danke, dass Du Dich nicht von den Geräuschen hinter den Kulissen hast blenden lassen und den Inhalt meines Textes geprüft hast. Vor allem aber danke ich Dir, dass Du die Eleganz hattest, einen ausführlichen Kommentar mit konstruktiven Anmerkungen zu beginnen, auch wenn Du wahrscheinlich gedacht hast, dass diese Geschichte das nicht verdient.

Ehrlich jetzt? Da frage ich mich, warum greifst du dann zu so einer politisch aufgeladenen Kulisse?
Das Thema der Challenge lautet "Weiße Weihnacht war gestern". Ich sah einfach, dass die Ukrainische Weihnacht, die zweimal stattfand, am 25. Dezember 2022 und am 7. Januar 2023, das beste Beispiel dafür war. Außerdem waren diese beiden Weihnachten die schlimmsten seit 70 Jahren in Kyiw. Ich wähnte mich mitten im Thema für mein Bühnenbild und habe nicht eine Sekunde lang gedacht, dass das Wort Ukraine für irgendjemanden ein rotes Tuch ist. Ich hatte die symbolische Bedeutung des Wortes für Menschen unterschätzt, die befürchten, dass ihr eigenes Land von den Russen überfallen wird.

Nö. Aber eben, hat ja @deserted-monkey schon angemerkt. Das funktioniert so (noch) nicht in der gewünschten Richtung.
Siehe neue Fassung:
Nach dem Brunch im Restaurant Garmata, hatten sie gemeinsam geduscht und sich geliebt. Und erneut. Beim zweiten Mal ließ er es langsam angehen und widmete sich über eine Stunde lang dem Vorspiel.
Wie ließe sich diesen Nachmittag vergessen? Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.

Bitte was? Das kommt so aus der Hüfte geschossen, denkt sie wirklich so etwas in diesem Moment?
Danke für die Anmerkung. Neue Fassung:
Im zweiten verbirgt sich ein Schwangerschaftstest.
In Polen hat sie die Pille abgesetzt. Mit ihren 43 Jahren und aufgrund ihres unregelmäßigen Zyklus hatte sie eigentlich geglaubt, dass sie keine Schwangerschaft mehr zu befürchten hätte. Sie stellt sich sein verschmitztes Lächeln vor, als er das Päckchen zusammenstellte.

Ohne Kind – meintest du das so, wie es hier steht?
Ihr ist schlecht, sie ist drüber, der Pinkeltest bloss Formsache. Zudem fügt sie den Keine-Kinder-Wunsch im gleichen Atemzug. Oder habe ich hier was komplett missverstanden
In der Tat! Anna, die vollkommen glücklich mit ihrem Mann lebte, wollte keine Kinder haben. Das war vor dem Krieg. Jetzt ist sie Witwe und merkt, wie einsam sie ist. Sie hält ihre Bauchschmerzen für Darmprobleme. Sie glaubt, dass der isolierte Geschlechtsverkehr am 25. Dezember keine Schwangerschaft ausgelöst haben kann. Vor allem nicht in ihrem Alter, da sie davon überzeugt ist, dass sie in die Menopause gekommen ist.

Grazie mille.
Liebe Grüße
Eraclito

 

Hallo @Eraclito !

Da klingt so einiges passender als vorher. Ich geh jetzt aber noch mal auf 2 Stellen ein, wo es in meinem Ohr nicht passt, dir zur Info.

Anna hat am Vorabend gesagt, dass sie für ihn beten wird, dazu aber zur Kirche allein gehen möchte. »Herzschmerzen häufen sich, heben sich nicht gegenseitig auf.« Ihre Schwiegermutter musste sich mit dieser lapidaren Erklärung begnügen.
Inhaltlich ist der erste Satz, nach meinem Geschmack, besser. Dennoch kommt er mir sperrig vor. Möglicherweise könntest du 2 Sätze daraus machen.
Der letzte Satz klingt wieder sachlich-beschreibend (und damit) distanziert.
Da könntest du die Schwiegermutter in einem Bild zeigen, wie sie sich 'begnügt'. Auf jeden Fall mach das Adjektiv raus: lapidar.

Auf diese Weise würde ich den Text durchkämmen und solche Stellen finden und überarbeiten.

Nach dem Brunch im Restaurant Garmata, hatten sie gemeinsam geduscht und sich geliebt. Und erneut. Beim zweiten Mal ließ er es langsam angehen und widmete sich über eine Stunde lang dem Vorspiel.
Wie ließe sich diesen Nachmittag vergessen? Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.
Hier ist 'hatten sie sich .. geliebt' viel gelungener als 'hatten .. der Leidenschaft gefrönt'.
Danach aber wirds's wieder sachlich: Er widmete sich dem Vorspiel?
Würdest du das jemand so erzählen? "Gestern habe ich mich bei YX über eine Stunde lang dem Vorspiel gewidmet." Auch 'langsam angehen' entspricht kaum der Stimmung einer solchen Erinnerung.
Und weil wir schon dabei sind: Auch das Wort 'Fleisch' löst eine Assoziation aus, die nicht allzu romantisch ist. Was spricht gegen das einfache 'in ihrem Körper' oder 'in sich'?


Das heißt nicht, dass ich den Text gänzlich schlecht finde.
Von Dir nehme ich diesen Satz als Kompliment.
Ich sehe, wie du ernsthaft arbeitest und deinen Text verbesserst. Und mir gefällt die Haltung, dein Einfühlungsvermögen; daher habe ich gern mitgemacht, deinen Text zu besprechen. Dafür sind wir ja hier. Ich hab auch so manche 'Prügel eingesteckt' und tue es noch. Und ich bin dankbar dafür, das war und ist oft sehr hilfreich :)


Du brauchst den gesamten ersten Absatz nicht. Du kannst meines Erachtens sofort in die Szene springen.
Getan.
Ja, viel besser ;)

 

Hey @Eraclito

endlich finde ich die Zeit, Dir ein paar Worte zu deiner Geschichte zu hinterlassen. Ich fand den Text in erster Linie mutig. Mutig, weil Du Dich an ein Thema gewagt hast, was uns allen hier fremd ist. Und Du musstest dafür ja in den Kritiken auch ordentlich zahlen. Deshalb, meine ich mutig. Ist ja immer so, wenn Leute ein Thema/Setting wählen, wo sie selbst wenig beizugeben haben. Ich denke da an all die Krebskranken in den Geschichten hier, wo man ganz klar herausliest, die hatten noch nie mit dem Thema im echten Leben zu tun. Anders als die Geschichten, die von Leuten geschrieben worden sind, die da wirklich Erfahrungen mit gemacht haben. Sei es selbst oder nahe Angehörige. Und Krieg - nun, das ist schon auch so ein Schwergewicht, weil es eben so viel Leid mit sich bringt. Aber, ich denke gar nicht mal, dass Du dieses Setting als gewählt hast, weil Du es reißerische Schlagzeile nutzen wolltest, sondern, weil Du es irgendwie verarbeiten willst, wie wir alle und wir alle haben dafür unterschiedliche Methoden. Du setzt dem Schrecken ein versöhnliches Ende entgegen. Ein geliebtes Leben stirbt, ein neues wird kommen. Ich finde das sehr menschlich, dem Ganzen irgendetwas Hoffnungsvolles abringen zu wollen. Und ja, dieses Forum ist zum Lernen da. Ich will gar nicht sagen, dass man nicht über etwas schreiben sollte, was man selbst nie erlebt hat - da gäbe es dann auch keine Krimis aus der Sicht eines Massenmörders - aber Recherche wird dann eben so unglaublich wichtig. Sagen wir, es ist die Komfortzone, aus den eigenen Erfahrungen zu schöpfen und Du hast dich aus ihr herausgewagt. Die Glaubwürdigkeit ergibt sich dann aus der Recherche, die man aufwendet.

Jetzt aber zum Text selbst:

Sie zieht ein schwarzes Kleid an, das sie vor ihrer Abreise aus Warschau gekauft hat.​
Ist Warschau hier wichtig? Warum? Wo ist sie denn hingefahren, von Warschau aus? Für mich steht bisher nur da, dass sie nach der Zerstörung ihres Hauses nach Polen gegangen ist. Für mich ist sie jetzt genau da. In Polen.
Anna geht die Treppe hinunter. Als würde sie ihn auf dem Bürgersteig wiederfinden, singend und tanzend.​
Bis eben ging es ihr noch dreckig. Essen, Alkohol, emotionale Träume ... und nach dem Schminken - singt und Tanzt sie. Man sollte Kosmetik auf Rezept bekommen ;).
Der Weihnachtstag beginnt mit einer großen Messe, die Stunden dauert. .
Punkt Punkt
Der gefrorene Schnee knirscht unter ihren Schritten. Auf dem Weg zur Sankt Sophia, wo sie geheiratet hatten, fällt ihr auf, dass die Lichterketten und Kerzen in diesem Jahr fehlen, die sonst zur Weihnachtszeit Balkone, Fenster und Bäume erhellen. Unzählige Dinge erinnern an den Krieg: Die Blockaden vor öffentlichen Gebäuden; die Durchhalteparolen an den Wänden; die Gespräche und sorgenvollen Gesichter der Menschen.​
Und plötzlich ist sie in Kiew. Das ist bei den Überarbeitungen irgendwie verloren gegangen. Ich weiß, das hattest Du zuvor anders gelöst. Da muss jetzt noch irgendwie wieder der Satz hin. Zur Beerdigung in die Ukraine, Einladung der Schwiegereltern über Weihnachten zu bleiben.
Beim zweiten Mal ließ er sie Schritt für Schritt in Stimmung kommen, lange und intensiv in ihre Augen schauend bis sie ineinander verschmelzten.​
verschmolzen
Sie spürt ihn noch in ihrem Fleisch.​
Streich das! Klingt nach Billigporno :D
Erneut überkommt sie die Trauer.​
Ich denk mal, sie ist in diesem Stadium 24/7 in Trauer. Trauer dominiert ihr Leben, nach so kurzer Zeit, ist da noch nix mit Abstand - so das die Phasen der Trauer kommen und gehen. Sie steckt da voll drin im Sumpf.
Sein Grab. Ein kleiner Haufen gefrorener Erde zwischen hunderten anderen, entlang einer Mauer, die mit gefrorenen Blumenkränzen bedeckt ist.​
Bedrückendes Bild.
Sie erinnert sich an die Blumen, die zwei Tage zuvor zu Füßen der Zivilisten und Uniformträger lagen,​
Wo sind die hin? Nach zwei Tagen schon entsorgt? Weiß nicht.
In diesem Moment weinte sie die letzten Tränen, die sie hatte.​
Das klingt kitschig. Den Satz bräuchte ich jetzt nicht.
Dieses Gelächter, diese patriotischen Prahlereien sind für sie unerträglich.​
Den Satz finde ich problematisch. Echt, so ist das gerade in Kiew? Die Leute sind gut drauf? Die Lachen, wenn sie über ihre Soldaten sprechen? Sie verlieren da gerade nicht Männer, Väter, Söhne - wenn sie über die Soldaten reden? Weiß nicht. Fällt mir schwer, mir das vorzustellen.
Sein Geschenk. Sie erhielt es kurz vor ihrer Abreise. Auf einer beiliegenden Karte wünscht ihr Väterchen Frost ein frohes neues Jahr 2023 und bittet sie, mit dem Auspacken bis zum ersten Weihnachtsabend zu warten, da er es zu spät abschicken wird, als das sie es am 1. Januar öffnen könnte.​
Jetzt haben wir den 7.Januar. Er ist gestorben. Und sie hat es in all der Zeit nicht angerührt? Warum?
Anna steckt das Päckchen zurück in ihre Tasche.​
Und sie öffnet es wieder nicht. Warum? Was hält sie zurück?
Wieder bei ihren Schwiegereltern angekommen, wird ihr erneut Übel.​
übel
Sie steht vor dem Waschbecken und betrachtet sich im Spiegel. Sie hat keine Angst vor dem Tod. Wenn der Tod kommt, wird er seine Augen haben. Das Leben kennt sie nur zu gut. Sie weiß, dass sie alles verloren hat. Sie denkt, dass Russland früher oder später siegen wird, dass früher oder später ihre Witwenrente nicht mehr gezahlt wird. Sie glaubt, dass sie zum Exil verurteilt ist. Ohne ihn neu anfangen? Unmöglich!​
Und der Leser weiß das auch. Den Satz braucht es nicht. Der wirkt eh so pseudodramatisch in diesem Zusammenhang. Die letzten drei Sätze dagegen finde ich gut. Die sind echtes Drama.
Der kleine Karton enthält zwei Schachteln. In der ersten befindet sich ein Ring mit einem rosafarbenen Turmalin. Der Stein ist von zahlreichen Brillanten umgeben, die der Fassung Volumen verleihen. Im zweiten verbirgt sich ein Schwangerschaftstest.​
Wegen dem Sex am 25.12.? Oh ha. Der Mann ist wirklich ein Optimist gewesen :).
Nachdem sie die Gebrauchsanweisung durchgelesen hat, benutzt sie den Stift wie beschrieben und wartet anschließend die empfohlene Zeit ab, während sie auf die Uhr schaut.​
Ich habe wirklich keine Ahnung, aber gut - am 25.12. Sex und am 07.01. das Ergebnis. Echt? Wow, sind die fix.
Drei Minuten vergehen, zwei blaue Striche erscheinen im Lesefeld. In ihren Augen glitzern die Funken der Verwunderung.​
Meine jetzt aber auch. Mit 43 im ersten Versuch! Das ist ein Weihnachtswunder! Auf jeden Fall! Aber genau so ein Wunder soll in deinem Text ja auch geschehen und Du machst es wahr! Schließlich ist Weihnachten, da werden Wünsche erfüllt!

Ich hätte mir ein wenig mehr über ihre Trauerarbeit gewünscht. Und die ist in Kiew gar nicht mal so anders als bei den Menschen in Deutschland. Wie fühlt es sich für sie an, so kurz nach der Beerdigung. Du setzt die Symtome der Schwangerschaft sehr in den Vordergrund ihrer Empfindungen, aber ich glaub, die Übelkeit nimmt sie zwar wahr, aber die ist in diesem Augenblick gar nicht ihr größtes Problem. Er fehlt! Fehlt! Fehlt! Fehlt!

Ich wünsche Dir auch dein ganz persönliches Weihnachtswunder!
Beste Grüße, Fliege​

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hey@Fliege

Ich danke Dir für Deinen Besuch, der mich sehr freut, denn ich weiß, wie wertvoll die Zeit ist, die Du mir schenkst und danke für Deine Hilfe, die für mich sehr wertvoll war. Und wie sehr. Schau:

Ist Warschau hier wichtig? Warum? Wo ist sie denn hingefahren, von Warschau aus? Für mich steht bisher nur da, dass sie nach der Zerstörung ihres Hauses nach Polen gegangen ist. Für mich ist sie jetzt genau da. In Polen.
„Normalität“. Ein Wunsch der Schwiegermutter. Wegen der Kinder. Neffen, Nichten, alle sind sie da im Haus seiner Eltern in Kyiv und tanzen vor dem Frühstück um den Weihnachtsbaum, wie immer am 7. Januar.

Bis eben ging es ihr noch dreckig. Essen, Alkohol, emotionale Träume ... und nach dem Schminken - singt und Tanzt sie. Man sollte Kosmetik auf Rezept bekommen ;).
Nachdem sie das Modegeschäft in Mariupol verlassen hatten, machte er einen Tanzschritt und sang für sie den berühmten Refrain Voulez-vous coucher avec moi ce soir ? Voulez-vous coucher avec moi ? 
Anna geht die Treppe hinunter. Als warte er auf dem Bürgersteig in Mariupol.

Streich das! Klingt nach Billigporno
Danke. Getan!

Ich denk mal, sie ist in diesem Stadium 24/7 in Trauer. Trauer dominiert ihr Leben, nach so kurzer Zeit, ist da noch nix mit Abstand - so das die Phasen der Trauer kommen und gehen. Sie steckt da voll drin im Sumpf.
Fein gefühlt.
In den Seitenkapellen, von Votivkerzen erleuchtet, fallen ihr Hunderte von Fotos gefallener Soldaten auf. Erneut kämpft sie mit den Tränen.

Wo sind die hin? Nach zwei Tagen schon entsorgt? Weiß nicht.
"Die Glaubwürdigkeit ergibt sich dann aus der Recherche, die man aufwendet." Ich habe dutzende Youtube-Videos gesehen und noch mehr Zeitungsberichte gelesen. Die Szene ist aus einem Video. Ich weiß nicht, was die Friedhofsverwaltung mit all den Blumen macht.

Das klingt kitschig. Den Satz bräuchte ich jetzt nicht.
In diesem Moment brach sie in Tränen aus.
Leise. Wie heute.

Den Satz finde ich problematisch. Echt, so ist das gerade in Kiew? Die Leute sind gut drauf? Die Lachen, wenn sie über ihre Soldaten sprechen? Sie verlieren da gerade nicht Männer, Väter, Söhne - wenn sie über die Soldaten reden? Weiß nicht. Fällt mir schwer, mir das vorzustellen.
Gerade? Ich weiß es nicht. Vor einem Jahr war es so. Die Kneipen waren voll. Man lachte, als gäbe es keinen Krieg, oder weil man der Überzeugung war, als Sieger aus dem Konflikt hervorzugehen. Ausländische Reporter waren überrascht, wie gut die Bevölkerung standhielt.

Jetzt haben wir den 7.Januar. Er ist gestorben. Und sie hat es in all der Zeit nicht angerührt? Warum?
Sein Geschenk. Sie hat es kurz vor ihrer Abreise nach Kyiv erhalten, vor 72 Stunden. Auf einer beiliegenden Karte wünscht ihr Väterchen Frost ein frohes neues Jahr 2023 und bittet sie, mit dem Auspacken bis zum ersten Weihnachtsabend zu warten, da er es zu spät abschicken wird, als das sie es am 1. Januar öffnen könnte.
Am 1. Januar erfolgt die Bescherung dort.

Und sie öffnet es wieder nicht. Warum? Was hält sie zurück?
Anna steckt das Päckchen zurück in ihre Tasche. Sie wird es öffnen, wenn sie allein in ihrem Zimmer ist. Allein mit ihm.

Wegen dem Sex am 25.12.? Oh ha. Der Mann ist wirklich ein Optimist gewesen :).
Sie wollte keine Kinder. Er hätte gerne eins gehabt. Er wusste, dass sie in Polen die Pille abgesetzt hatte. Mit etwas Glück...

Ich habe wirklich keine Ahnung, aber gut - am 25.12. Sex und am 07.01. das Ergebnis. Echt? Wow, sind die fix.
Einmal und dann richtig: Ich bin auch so auf die Welt gekommen! Mein Vater war 3 Jahre im Krieg und kam nicht nach Hause. Er bekam Weihnachtsurlaub (3 Tage). Am zweiten Tag hat er nachmittags seine Freundin besucht. Als er sie das nächste Mal gesehen hat, war Frühlingsanfang, sie war schwanger. Am 21. September bin ich geboren.

Er fehlt! Fehlt! Fehlt! Fehlt!
Siehe mal.
Ohne ihn neu anfangen? Unmöglich, er fehlt! Fehlt! Fehlt! Fehlt!
Das ist kein Plagiat, sondern eine Hommage.

Ich bin überwältigt von der Hilfe, die mir zuteil wurde, so dass ich meinen Text als ein Gemeinschaftswerk betrachte. Es ist eine großartige Erfahrung.
Vielen Dank für die Organisation der Challenge und für Deine guten Wünsche.
Auch Dir ein frohes und friedvolles Weihnachtsfest.

Liebe Grüße
Eraclito


Hey @FlicFlac

Ein zweiter Besuch ist großartig. Mein Text verdankt Dir viel und ich möchte Dir nochmals danken.
Es ist erstaunlich, wie die Kommentare die Persönlichkeiten offenbaren. So habe ich super nette Leute wie Dich entdeckt. Ich werde mich als Follower eintragen.
Natürlich habe ich alle Deine Bemerkungen übernommen.

Inhaltlich ist der erste Satz, nach meinem Geschmack, besser. Dennoch kommt er mir sperrig vor. Möglicherweise könntest du 2 Sätze daraus machen.
Der letzte Satz klingt wieder sachlich-beschreibend (und damit) distanziert.
Da könntest du die Schwiegermutter in einem Bild zeigen, wie sie sich 'begnügt'.

Anna hat am Vorabend gesagt, dass sie für ihn beten wird. Solo. »Herzschmerzen häufen sich, heben sich nicht auf«, erklärte sie ihrer Schwiegermutter. Voilà. Mit mürrischem Gesicht hat die alte Dame stumm genickt.

Danach aber wirds's wieder sachlich: Er widmete sich dem Vorspiel?
Würdest du das jemand so erzählen? "Gestern habe ich mich bei YX über eine Stunde lang dem Vorspiel gewidmet." Auch 'langsam angehen' entspricht kaum der Stimmung einer solchen Erinnerung.
Nach dem Brunch im Restaurant Garmata, hatten sie gemeinsam geduscht und sich geliebt. Und erneut. Beim zweiten Mal ließ er sie Schritt für Schritt in Stimmung kommen, lange und intensiv in ihre Augen schauend bis sie ineinander verschmolzen.
Ihr wird schlecht. Sie muss sich an einen Baumstamm lehnen.

Ein frohes und friedvolles Weihnachtsfest wünscht Dir
Eraclito

 

Hello @Eraclito--

manchmal komm’ ich auch ein drittes Mal ;)


Mein Text verdankt Dir viel und ich möchte Dir nochmals danken.
Gern

Anna hat am Vorabend gesagt, dass sie für ihn beten wird. Solo
Hier ist das Wort 'solo' problematisch. Es klingt leger-umgangssprachlich. Dann doch eher das profane 'allein'.


Beim zweiten Mal ließ er sie Schritt für Schritt in Stimmung kommen, lange und intensiv in ihre Augen schauend bis sie ineinander verschmolzen.
Ihr wird schlecht. Sie muss sich an einen Baumstamm lehnen.
Tja, tut mir leid, aber sie 'Schritt für Schritt in Stimmung kommen lassen' ist erneut so sachlich technisch. Zudem ist der Satz darauf möglicherweise ungünstig, weil da muss was dazwischen, sonst denkt man, ihr wird schlecht, weil der Sex so übel war.
Wieder rate ich dir, deine Stimme zu nutzen.
Ein guter Tipp ist es, sich den eigenen Text selbst vorzulesen -- laut.
Und zu schauen, wie es sich anfühlt.
Manchmal ist es dann das Einfache, das gut klingt.
'Beim zweiten Mal ließ er sich viel Zeit'?
Und schau dann auch noch den Satz mit dem 'ineinander verschmelzen' an -- würdest du es so erzählen? Einem Freund? 'Gestern sind meine Freundin und ich ineinander verschmolzen'?

Alles Gute!

Flac

 

Hallo @Eraclito

Als ich den Text vor einiger Zeit gelesen habe, war meiner Erinnerung nach, noch nicht berücksichtigt, dass das orthodoxe Weihnachtsfest etwas zeitversetzt stattfindet. Das Setting ansonsten scheint mir gut recherchiert. Ich schreibe deshalb recherchiert, weil ich davon ausgehe, dass du in letzter Zeit nicht in der Ukraine oder gar im Kriegsgebiet warst.
Grundsätzlich finde ich es gut und richtig, über das Leid, die Traumata, übrigens auf beiden Seiten, zu schreiben. Aber ich suche in dem Text vergeblich etwas, über das ich nicht Bescheid weiß, mir als Leser eine neue, frische Perspektive eröffnet.

Sprachlich passt das auch.
Statt Tell-Passagen wäre es mMn besser nahe bei den Figuren zu bleiben.
Das Setting ist für meinen Geschmack zu sehr auf Rührseligkeit ausgerichtet. Dass Nikita gefallen ist, hätte es nicht unbedingt gebraucht. Spannend hätte ich auch gefunden, wenn er sich aus finanziellen Gründen an die Front gemeldet hätte. Wer an die Front geht, wird ziemlich gut bezahlt. (Ist aber nur ein Beispiel, um zu verdeutlichen, was ich mit einer ungewöhnlicheren Perspektive meine.)

Der Schluss hat mir übrigens sehr gefallen und da bist du ganz nahe dran.

Viele Grüße
Isegrims

 

Hallo @Eraclito,

und vielen Dank auch an dich für deinen Challenge-Beitrag.

Nun hast du ja schon einige Prügel einstecken müssen – zu Recht, wie ich finde. Eine erneute Diskussion darüber, ob man als Außenstehender aus der Ferne über einen Krieg und die damit verbundenen Ereignisse und Schicksale schreiben darf oder soll, will ich jedoch nicht anzetteln. Ich weiß auch nicht, wie nah du dem Ganzen stehst, was dich zum Schreiben genau dieser Geschichte gebracht hat etc. Ich kann dazu nur eines sagen: In meinen Augen hast du es nicht geschafft, der Thematik gerecht zu werden. So gar nicht. Manche Stellen empfinde ich sogar als ziemlich geschmacklos. Nach dem ersten Abschnitt war ich erst einmal raus. Die Witwe, die sich ein schwarzes Kleid anzieht, das ihm gefallen hätte, die Witwe, die sich für ihn schminkt und sich für ihn schön macht … Und dabei weiß ich als Leser zu diesem Zeitpunkt so gut wie gar nichts über ihn oder die Beziehung der beiden, ich weiß eigentlich nur, dass es mal ein besseres Leben gegeben hat und dass er damals beim Kauf des Mantels Voulez-vous coucher avec moi ce soir? gesungen hat. Das hat aber alles keinen Tiefgang, das Leben davor wirkt ziemlich klischeebeladen und oberflächlich mit den Villen, den Parties, dem Pelzmantel. Das ist keine echte Trauer und da trieft schon einiges an Pathos aus diesen Zeilen, wie ich finde.

Und so zieht sich das eigentlich durch den gesamten Text. Hier und da flechtest du lokale Begriffe ein, aber die wirken sehr unorganisch platziert und der Erklär-Bär steht auch jeweils bereit. Dann das Ende mit dem Schwangerschaftstest … Tut mir leid, @Eraclito, aber ich kann echt nichts damit anfangen. Als wäre ein Kind, das dann ohne Vater in einer ungewissen Zukunft aufwachsen darf, irgendwie etwas Hoffnungsvolles (zumal die Frau ohnehin nie Kinder haben wollte).

Das alles stellt selbstverständlich nur meine eigene Meinung dar und es ist ja auch nicht alles schlecht an dem Text, versteh mich also bitte nicht falsch. Ich hatte mal einen Text gepostet, in dem ich sehr salopp eine Vergewaltigung beschrieben habe, und auch da gab's damals – zu Recht – Prügel. Ich denke da geht jeder einmal durch. Ich habe aber einiges daraus gelernt und ich bin sicher, dass du gestärkt aus dem Ganzen gehen wirst. Nimm dir meine Worte deshalb nicht zu sehr zu Herzen und bleib unbedingt dran.

Hier noch ein wenig Textkram:

Sie träumte von ihm.
Fetter Text … Ich weiß nicht. Wenn, dann vielleicht kursiv? Aber auch das wäre nicht zwingend nötig.

Vor nicht mal 48 Stunden Tagen war er beerdigt worden.
Zahlen ausschreiben?

Aus dem Schrank holt sie ein schwarzes Kleid, das sie vor ihrer Abreise aus Warschau gekauft hat.
Inwiefern spielt Warschau hier eine Rolle? Das hat mich eher verwirrt …

Sie war in Lwiw mit dem Nachtzug zu ihm gestoßen. Nach dem Brunch im Restaurant Garmata hatten sie gemeinsam geduscht …
Ist der Name des Restaurants wichtig? Auf mich wirkte das so, als wolltest du damit mit dem Brecheisen etwas Lokalkolorit in die Geschichte bringen.

Auf der Fahrt mit der Metro von der Sophienkathedrale zum Baikowe-Friedhof denkt sie über diesen Satz nach.
Hier wäre es spannend gewesen, ihren Gedanken beizuwohnen.

Ihre Beine tragen sie nicht mehr. Sie setzt sich auf eine Bank. Wie sollte das Leben weitergehen? Ohne ihn, ohne Kinder?
Sie hatte keine Kinder haben wollen. Nicht weil sie Kinder nicht mochte. Im Gegenteil. Aber sie selbst wollte keine. So war es.
Ist das nicht ein Widerspruch? Wie soll es weitergehen, ohne Kinder, obwohl sie solche doch gar nie haben wollte?

Wieder bei ihren Schwiegereltern angekommen, wird ihr erneut Übel. Schließlich erbricht sie die Kutja, den Grießbrei, den er so sehr mochte und für den sie sich im Hotel verführen ließ.
Auch hier wirkt das Einflechten des Fremdworts ziemlich unorganisch, gerade zusammen mit dem Erklär-Bär. Warum nicht einfach Grießbrei?

Drei Minuten vergehen, zwei blaue Striche erscheinen im Lesefeld. In ihren Augen glitzern die Funken der Verwunderung.
Die glitzernden Funken in den Augen … Das ist eher von außen betrachtet, oder? Wenn ja, wäre das wohl ein Fehler in der Perspektive.

Grüße
sevas

 

Hi @Eraclito ,

auch deinen Text wollte ich längst kommentiert haben, und jedes Mal, wenn ich ihn lese, ist er wieder anders. Also erst einmal zwei hauptsächliche Dinge: Ich mag deinen Mut, dich hier in ein Thema zu werfen, dass dir der Kritik gegenüber so eine Breitseite gibt, und zweitens die Hartnäckigkeit, mit der du an deinem Text feilst. Vieles finde ich tatsächlich viel besser als in der ca. ersten Version, die ich gelesen habe, einige Fragen bleiben allerdings offen.
Dass du als Handlungsort Kiew (warum Kiyv?) im Krieg wählst und als Protagonist eine Frau (ich habe nach dem Lesen des Textes, verzeih, den starken Eindruck, dass du keine bist?), dass sind schöne und mutige Entscheidungen, die uns, die wir Fiktion schreiben und unserer Phantasie vertrauen, von z.B. Reportern unterscheiden. Auch Empathie erfordert Phantasie. Leider teilt mir dein Text aber nicht mit, was genau du mitteilen willst. Am m.E. interessantesten Punkt (sie entdeckt, dass sie schwanger ist), hört er sogar auf, so dass der Leser den Eindruck bekommen mag, die Schwangerschaft sei als eine Art versöhnliches Ende gedacht.
Und dabei hast du da so eine große Gelegenheit für einen Sturm gemischter Gefühle! Vielleicht würden wir am Ende gar verstehen, warum sie keine Kinder wollte...
Persönlich hätte mich auch interessiert, wie ihr Mann zu Tode gekommen ist, als höherer Militär (war er nicht auch in einer Version General?) wird er ja nicht an vorderster Front gekämpft haben. Aber gut, das ist eher ein mein Interesse, ich würde diesen Krieg gern besser verstehen, bis hinein in organisatorische Details.
Letztlich sehe ich vor allem Kiew-im-Krieg-Atmo, und beobachte eine Protagonistin, der ich nicht nahe komme. In dem Punkt gehe ich wohl mit einigen anderen Kommentaren hier d'accord: Da geht mehr!
Auf jeden Fall hast du mit deiner Geschichte eine faustdicke Challenge angenommen bzw. dir selbst gestellt! Ich hoffe, du wirst dich wieder trauen, aus der Sicht einer Frau zu schreiben!
Ganz wenig Krimskrams:

Vor nicht mal 48 Stunden Tag
Da ist dir wohl bei einer Überarbeitung was stehen geblieben.
So vieles erinnere an den Krieg:
Indirekte Rede? oder erinnert
Ein Fahrzeug, das jenem gleicht, vor dem er sich mit den Offizieren seiner Brigade am Abmarschtag nach Bachmut auf dem Video hatte filmen lassen.
Ist ein bisschen Geschmackssache, aber auch als dezidierte Verfechterin von Schachtelsätzen vermeide den doppelten Relativsatz. Ein Fahrzeug, ähnlich jenem, ...
für den sie sich im Hotel verführen ließ.
sich zu etwas verführen lassen

Dir einen guten Rutsch, viele Grüße!
Placidus

 

Hey @Placidus

Vielen Dank für Deine Zeit. Ich habe lange gebraucht, um auf Deinen Kommentar zu antworten und möchte mich dafür entschuldigen. Danke auch für den "Krimskrams". Ist korrigiert.

Gerne beantworte ich Deine Fragen.

Vieles finde ich tatsächlich viel besser als in der ca. ersten Version, die ich gelesen habe
Ich danke allen Kommentatoren, die sich mit meinem Text auseinandergesetzt haben.

warum Kiyv?
In der ersten Fassung hatte ich Kiew geschrieben. Der Shitstorm hat mir gezeigt, dass das Thema sensibler ist, als ich dachte. Die Schreibweise der Stadt Kiew im kyrillischen Alphabet lautet im Ukrainischen „Київ“ (Kiyv), im Russischen „Киев“ (Kiev). Die im Deutschen etablierte Schreibweise „Kiew“ könnte auf eine Zugehörigkeit zu Russland schließen lassen.

Am m.E. interessantesten Punkt (sie entdeckt, dass sie schwanger ist), hört er sogar auf, so dass der Leser den Eindruck bekommen mag, die Schwangerschaft sei als eine Art versöhnliches Ende gedacht.
Mein Thema ist "Weihnachtswunder". Eine Frau, die kurz vor den Wechseljahren steht, sieht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben zerstört. Die Aussicht auf eine Schwangerschaft gibt ihr neuen Lebensmut, obgleich sie sich nie ein Kind gewünscht hatte. Eine Interpretation von Weiße Weihnacht war gestern.

Persönlich hätte mich auch interessiert, wie ihr Mann zu Tode gekommen ist, [...] Aber gut, das ist eher ein mein Interesse, ich würde diesen Krieg gern besser verstehen, bis hinein in organisatorische Details.
Das wäre eine andere Geschichte gewesen, die meiner Meinung nach viel länger gewesen wäre (ich hatte das Format 1500 Wörter gewählt) und nicht zum Thema der Challenge gepasst hätte.

als höherer Militär (war er nicht auch in einer Version General?) wird er ja nicht an vorderster Front gekämpft haben.
Generäle und ihre Stäbe sind Angriffsziele. Auf mil.gov.ua ist die Rede von Selenskyy vom 28.02.2022 zu lesen, in der er 12 "Helden der Ukraine" auszeichnet, darunter Brigadegeneral Dmitry Sergueievytch Krassilnikov und Generalleutnant Yuri Ivanovych Sodol.

Letztlich sehe ich vor allem Kiew-im-Krieg-Atmo
Ich habe Kiew als Schauplatz gewählt, weil gerade dort Weihnachten 2022 nichts mehr mit Weihnachten der vergangenen Jahre zu tun hat (Weiße Weihnacht war gestern). Offensichtlich konnte ich das nicht vermitteln. Ich habe eben nicht Deine Talente.

Ich hoffe, du wirst dich wieder trauen, aus der Sicht einer Frau zu schreiben!
Das ist bereits geschehen. In Also bin ich (850 Wörter, 5 Minuten Lesezeit) bin ich in den Kopf einer alten Frau geschlüpft, die ihren Verstand verliert, es weiß, aber nicht wahrhaben will.

Nochmals vielen Dank für Deinen Besuch. Deine Kommentare sind sehr wertvoll für mich, da ich dich für eine der besten Autorinnen unter den WKs halte. Du bist im Moment die einzige, deren Beiträge ich verfolge.

Für 2024 alles Gute
Liebe Grüße
Eraclito

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Isegrims, Hey @sevas

Bei meiner Antwort an Placidus ist mir aufgefallen, dass ich mich nicht für die Zeit bedankt habe, die Ihr Euch für meinen Text genommen habt. Dafür möchte ich mich entschuldigen.
Nun zu Euren Kommentaren:

Als ich den Text vor einiger Zeit gelesen habe, war meiner Erinnerung nach, noch nicht berücksichtigt, dass das orthodoxe Weihnachtsfest etwas zeitversetzt stattfindet.

Ich weiß auch nicht, wie nah du dem Ganzen stehst, was dich zum Schreiben genau dieser Geschichte gebracht hat etc.
Das Thema der Challenge lautet "Weiße Weihnachten waren gestern". Ich habe einfach geglaubt, dass die ukrainische Weihnacht, die zweimal stattgefunden hat, am 25. Dezember 2022 und am 7. Januar 2023, das beste Beispiel dafür ist. Und diese beiden Weihnachten waren die schlimmsten seit 78 Jahren in Kiew. Ich dachte nicht, dass das Wort Ukraine für irgendjemanden ein rotes Tuch sein könnte. In einem klassischen Rahmen (Einheit von Zeit, Ort und Handlung) und in maximal 1500 Wörtern wollte ich ein Drama inszenieren (eine Frau, die nach und nach den Entschluss fasst, sich umzubringen), aber ein Drama mit einem guten Ende (das Thema Weihnachten und die gefundene Pointe verlangten es).

Statt Tell-Passagen wäre es mMn besser nahe bei den Figuren zu bleiben.
Diese Kurzgeschichte sollte ohne Dialoge und ohne lange Selbstreflexionen der Prota auskommen. Hat anscheinend nicht für Euch funktionniert.


Grundsätzlich finde ich es gut und richtig, über das Leid, die Traumata, übrigens auf beiden Seiten, zu schreiben. Aber ich suche in dem Text vergeblich
Ich kann dazu nur eines sagen: In meinen Augen hast du es nicht geschafft, der Thematik gerecht zu werden. So gar nicht.
Als wäre ein Kind, das dann ohne Vater in einer ungewissen Zukunft aufwachsen darf, irgendwie etwas Hoffnungsvolles (zumal die Frau ohnehin nie Kinder haben wollte).
Mir scheint, dass ihr auf der Suche nach einem Text seid, der sich mit dem Krieg und seinen Folgen befasst. Das war gar nicht meine Absicht. Kriege hat es immer gegeben. Wir in Deutschland haben das Glück, seit 78 Jahren keinen mehr erlebt zu haben. Sie aus Texten verbannen zu wollen, erscheint mir genauso lächerlich wie der Versuch, die Geschichte zu verändern, indem man die Denkmäler der Vergangenheit abreißt.
Übrigens wollte ich eine Weihnachtsgeschichte schreiben und keine Studie über die Erfolgschancen eines Waisenkindes...

Fetter Text … Ich weiß nicht. Wenn, dann vielleicht kursiv? Aber auch das wäre nicht zwingend nötig.
Zahlen ausschreiben?
Danke. Ist korrigiert.

Inwiefern spielt Warschau hier eine Rolle?
Wenn Anna in Kiew leben würde, wäre sie nicht überrascht über die Veränderungen in der Stadt.

Ist der Name des Restaurants wichtig? Auf mich wirkte das so, als wolltest du damit mit dem Brecheisen etwas Lokalkolorit in die Geschichte bringen.
Ich sehe, du bist kein Feinschmecker! Restaurant ist nicht gleich Restaurant. Das Garmata ist eines der besten Restaurants in Lemberg. Es gehört zum besseren Leben, das es mal gegeben hat.

Hier wäre es spannend gewesen, ihren Gedanken beizuwohnen.
Nein. Die Leser:innen sollten immer als Co-Autor:innen betrachtet werden.

Ist das nicht ein Widerspruch? Wie soll es weitergehen, ohne Kinder, obwohl sie solche doch gar nie haben wollte?
Anna erkennt, dass ihre Schwiegerfamilie nach Nikitas Tod die Kraft zum Überleben in den Kindern findet. Sie bereut ihr früheres Verhalten. Kinderlose Paare leben glücklicher als andere, hatte sie gedacht. (Laut einer aktuellen Studie, die in mehr als 30 Ländern durchgeführt wurde, sind Menschen mit Kindern in ihrer Partnerschaft weniger zufrieden als andere. Dies gilt insbesondere für Frauen).

Auch hier wirkt das Einflechten des Fremdworts ziemlich unorganisch, gerade zusammen mit dem Erklär-Bär. Warum nicht einfach Grießbrei?
Der Erklär-Bär hat nicht alles erklärt: Kutja ist nicht einfach ein Grießbrei, sondern das Weihnachtsessen schlechthin.

Die glitzernden Funken in den Augen … Das ist eher von außen betrachtet, oder? Wenn ja, wäre das wohl ein Fehler in der Perspektive.
Warum?
Der ganze Text ist aus der Erzählperspektive geschrieben.

ich bin sicher, dass du gestärkt aus dem Ganzen gehen wirst. Nimm dir meine Worte deshalb nicht zu sehr zu Herzen und bleib unbedingt dran.
Der Schluss hat mir übrigens sehr gefallen und da bist du ganz nahe dran.
Danke Euch beiden für Eure Ermutigungen.

Für 2024 alles Gute
Liebe Grüße
Eraclito

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom