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Der verschollene Freund
Er bewegt sich langsam. Man merkt, dass er nervös ist. Immer wieder schaut er sich um. Ich muss vorsichtig sein, sodass er mich nicht sieht. Jetzt bleibt er stehen und... oh nein, er dreht sich zu mir um. Hinter diesen Baum, schnell! Ich glaube er hat mich nicht gesehen. Zum Glück. Das hätte sonst vielleicht mein Ende bedeutet. Kann ich es wagen, hinter dem Baum hervorzuschauen? Ich muss es versuchen. Selbst wenn er auf mich zielen würde, wäre ich bestimmt schneller und würde ihn als erstes erschießen. Aber was, wenn ich nicht schnell genug wäre? Ich würde sterben. Ich würde die Welt verlassen. Ach die seltsame Welt. Sie tobt im Krieg und ich stehe hier alleine im Wald und verfolge einen vermeintlichen Spion der anderen Seite. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er einer ist. Vielleicht ist es auch nur ein verschollener Soldat. Genau wie mein bester Freund der vor 3 Tagen im Kampf verschwand. Ach wärst du nur bei mir. Alle sind gestorben außer mir. Wo bist du mein Freund, wo bist du? Ich fühle mich so allein, vom Leben betrogen. Ich kam auf die Welt und alles war wunderbar bis man plötzlich beschloss, Krieg zu führen. Und nun steh ich hier, alleine im Wald mit einem vermeintlichen Spion. Woran er wohl gerade denkt? Er sieht traurig und hilflos aus. Vielleicht sollte ich zu ihm gehen und mit ihm Frieden schließen. Aber denkt er auch so wie ich, dass ein Krieg nur Leid bringt? Was wenn er Spaß am Krieg hat, am töten eines Menschen? Nein das kann nicht sein. Wer würde so denken? Aber was wenn doch? Vielleicht sollte ich ihn einfach erschießen, so wie man es mir befohlen hat:" Schießen sie auf jeden Feind ohne Ausnahme!" Ja, das sagte man uns aber meinte man das auch? War es nicht vielleicht irgendein verzweifelter Befehl? Ich sollte auf mein Herz hören und dieses sagt mir:" Tu es nicht! Hör auf dein Gewissen! " Andererseits ist es ein Befehl und Befehl ist Befehl. Es würde nur 2 Sekunden dauern. Nur lausige 2 Sekunden. So schnell kann man ein Menschenleben beenden. In 2 Sekunden. Doch dieses Trauma, die Verzweiflung, der Anblick, sie bleiben ein ganzes Leben lang. Ich möchte das nicht mehr. Ich will nach Hause zu meiner Familie, zu Freunden, weg vom Krieg. Ich wünsche mir Frieden. Oh lieber Gott! Was soll ich tun, damit der Krieg aufhört? Bitte, lass es vorbei sein. Beende den Krieg. Beende das Leiden und die Schmerzen. Oh lieber Gott ich...Moment mal! Wo ist der Soldat hin? Habe ich ihn etwa aus den Augen verloren? Was ist das? Eine Stimme in meinem Kopf. Sie ruft:" Friedjof, Friedjof! Ich bin hier!" Fange ich etwa schon an zu halluzinieren? Die Stimme, sie wird lauter, kommt näher. Er läuft auf mich zu! Der, den ich verfolgt habe. Will er mich angreifen? Ruhig bleiben und Zielen, wir haben es gelernt. Soll ich wirklich schießen? Ich habe Angst! Ich...ich habe abgedrückt. Da liegt er. Blutend zwischen Ästen und Blättern. Er ist tot. Oder nicht? Ich sollte mich ihm langsam und vorsichtig nähern falls... aber nein er ist tot. Soll ich seine Atemschutzmaske abnehmen? Werde ich dies verkraften, denn schließlich bin ich sein Mörder. Ja, ich muss wissen ob er noch lebt. Ganz vorsichtig und... ein qualvoller Schmerz. Mein Freund - er ist tot.