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Der Rote König
Die Luft roch nach Eisen und die letzten Sonnenstrahlen des Tages glühten rot wie Rubine. Asmon ließ seinen Blick durch die Straßen wandern, betrachtete die mit Schutzrunen verzierten Haustüren, die beschmierten Gefäße und aufgehängten Tierkörper. Blutgaben, Opfer, die jede Familie einmal im Jahr bringen musste – und wenn das Licht an diesem ganz besonderen Tag komplett verschwunden ist, kommt der Rote König.
Jedes Jahr wurde Asmon die Aufgabe zuteil, die Verurteilten zu bewachen. Lebende Opfergaben, die den König stärken und damit Wohlstand über die Stadt bringen sollten. Dieses Jahr waren es drei: Kalud, der Schmied, Drogan, ein Spieler und Feigling, und sie – die Hexenjägerin, die beschuldigt wurde, einen Anschlag auf den König geplant zu haben.
„Glotz mich nicht so an, du vermodernder Sack!“ ,blaffte sie ihren untoten Bewacher an.
Asmon ignorierte diese Beleidigung, sie war ihm egal. Diese gewisse Distanz zu den Dingen war unbestreitbar einer der positiven Aspekte, wenn die Seele zurückgeholt und an ein Objekt gebunden wird. Dennoch löste die junge Frau etwas bei Asmon aus. In ihren Augen brannte das Feuer derjenigen, die überzeugt sind, das Richtige zu tun, und die ihr Leben für den höheren Zweck geben würden.
„Du hättest nicht herkommen sollen.“
Die Hexenjägerin spuckte aus.
„Die Magie des Roten Königs hält Renheim zusammen, jedes Jahr opfern die Menschen einen kleinen Teil ihrer Lebenskraft, damit der Zauber, der unsere Felder fruchtbar macht, bestehen kann. Leben für Leben“, fuhr Asmon fort.
Sie antwortete nicht.
Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter dem Horizont, aber der blutrote Schimmer über Renheim blieb. Asmon verfolgte geduldig, wie sich die Quelle des düsteren Lichts langsam durch die Straßen bewegte - von Blutgabe zu Blutgabe. Je näher der Schein dem Richtplatz kam, umso unruhiger wurden die beiden verurteilten Männer.
„Macht euren Frieden“, verkündete Asmon kurz bevor das Licht den großen Platz erreichte.
Der Rote König trat aus einer Gasse. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein vom Alter gebeugter, unscheinbarer Mann, der ein schlichtes, runenverziertes Gewand trug. Doch ein Blick auf die höheren Ebenen zeigte etwas völlig anderes. Auch die Hexenjägerin sah es. Ihre Augen weiteten sich und für einen kurzen Augenblick wirkte sie sehr zerbrechlich.
Die magische Projektion des Königs war gewaltig, rote Fäden stiegen aus den Opfergaben, flossen zu dem Magier und vereinigten sich zu einem Wirbel aus gebündelter Lebenskraft und Macht. In dieser Nacht, in der seine Augen funkelten wie Rubine, war der Rote König der mächtigste Magier des gesamten Kontinents.
„Seid gegrüßt, meine Untertanen!“ ,sprach der König mit ausgebreiteten Armen.
Mit jedem Schritt, den der alte Mann näherkam, spürte Asmon dessen Präsenz deutlicher. Einen Sog, der wie ein leichter Wind über seine Haut strich. Ein Stöhnen kam von den Gefangenen und Asmon sah, wie der Schmied und der Aufschneider sich krümmten und zu Boden fielen, die Gesichter verzerrt, die Haut bleich. Feine Blutrinnsale liefen ihnen aus Nase und Ohren, wurden vom Sog erfasst und wirbelten zum Roten König, wo sie Teil der ihn umgebenden Macht wurden. Der Magier blieb stehen, machte eine kurze Handbewegung und das bizarre Bild aus der höheren Ebene verschwand.
„Es ist schon wieder so lange her.“ Der Rote König lächelte, für einen Moment wirkte er wieder jung. Dann schlenderte er zu den Käfigen mit den und betrachtete sie mit der Ruhe eines Raubtiers, dessen Beute kein Fluchtweg mehr offen stand.
Als er zu Asmon kam, blieb er stehen und kniff die Augen zusammen.
„Dein Blut fließt schon lange nicht mehr, Wächter.“
In der Stimme des Königs lag eine Mischung aus ehrlicher Neugier und Argwohn.
„Nein Sire, euer Einfluss auf lebende Menschen kann überwältigend sein, deshalb hat Lord Voron mich beauftragt, die Gefangenen zu bewachen.“
Der alte Mann nickte langsam.
„Voron sagst du? Nekromantie ist gefährlich und zieht viel ungewollte Aufmerksamkeit auf unsere Stadt.“
Der König schaute kurz zu der Hexenjägerin.
„Ich werde mich wohl mal mit ihm unterhalten müssen.“
Asmon wusste, das würde nicht passieren. Er bewachte die Gefangenen schon seit vielen Jahren und jedes Jahr führten der König und er dasselbe Gespräch. Nach dem Opfer würde sich der alte Mann für ein weiteres Jahr in seinen Turm zurückziehen und wieder alles vergessen.
„Sire, ich schlage vor, dass wir mit der Zeremonie beginnen.“
Der Magier, der für einen Moment in Gedanken versunken war, hob den Kopf und schlug die Hände zusammen. Der rote Schein kehrte zurück und der Geruch nach Eisen wurde beinahe greifbar. Der Rote König schritt zum Käfig des Schmieds, der demütig in der Mitte seines Gefängnisses kniete.
„Wächter, was hat dieser Mann verbrochen, dass der Tod seine gerechte Strafe ist?“
Asmon löste das Pergament mit den Urteilen von seinem Gürtel und verkündete: „Kalud, dem Schmied, wird vorgeworfen im Rausch sowohl seine Frau als auch sein Kind erschlagen zu haben. Folglich muss nun auch er sein Leben geben.“
„Kalud!“ Der Rote König musterte den Mann eindringlich. Der Schmied hob seinen Kopf und verfilzte Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Seine Augen waren gerötet, aber er hielt dem Blick der Rubinaugen stand.
„Hast du getan, was man über dich berichtet?“
Tränen rannen über die Wangen des Schmieds und er begann zu zittern, bevor er sprach: „Ja Herr, ich bin ein Mörder und schlechter Mensch. Aber im Tod will ich gut sein!“
Mit diesen Worten stand Kalud auf und trat an die Gitterstäbe. Der Rote König näherte sich dem Gefangenen und legte seine Hand auf die Wange des Schmieds. Kalud presste Luft zwischen den Zähnen hervor, als der König ihn berührte, aber er zuckte nicht zurück. Der Alte strich ihm erst über das Gesicht und dann über die Brust. Wo die Hand den Schmied berührte, wurde die Haut grau wie Asche und faltig, fast so wie die des Königs selbst.
„Diesen letzten Wunsch gewähre ich dir.“
Eine kurze Geste genügte und der schreckliche Sog setzte wieder ein. Der Schmied wurde in die Luft gehoben, sein Körper verkrampfte. Kleine Blutstropfen liefen ihm erst aus Nase und Ohren, dann aus den Augen und schließlich aus jeder anderen Körperöffnung. Die Tropfen wurden zu Rinnsalen und schließlich zu Bächen, die durch die Luft in die Hände des Roten Königs flossen und Teil seiner erneut sichtbaren, rubinfarbenen Präsenz wurden.
Nach wenigen Sekunden war das Opfer vollbracht und der Zauber ebbte ab. Der Körper des Schmiedes fiel zu Boden mit einem Geräusch, das an einen mit Stöcken gefüllten Sack erinnerte. Asmon hörte, wie Drogan nach Luft schnappte als, er die vertrocknete Leiche sah. Der Aufschneider warf sich gegen das Gitter und begann zu flehen.
„Bitte Herr, das ist alles ein Missverständnis, ich habe nichts Unrechtes getan, im Gegenteil, ich würde behaupten, dass ich einer eurer größten Unterstützer bin.“
Der alte Mann ignorierte ihn und wandte sich zu Asmon.
„Sag mir Wächter, was hat dieser Mann verbrochen, dass der Tod seine gerechte Strafe ist?“
Asmon blickte kurz auf sein Pergament, dann verkündete er: „Drogan, dem Spieler, wird vorgeworfen, neben jahrelangen Diebstählen und Betrügereien dieses Jahr fremde Blutgaben gestohlen zu haben, als Wiedergutmachung hat er nun sein eigenes Blut zu geben.“
„Glaubt ihm kein Wort, Herr!“ ,rief Drogan dazwischen.
„Es hat eine Verschwörung gegeben und ich habe sie aufgedeckt, jawoll! Jetzt wollen sie mich loswerden, bitte Herr, glaubt mir doch!“
Der Rote König trat an den Käfig heran.
Asmon spürte ein weiteres Mal das Prickeln von Magie auf seiner Haut als, der alte Mann sprach. „Nicht mal deine letzten Momente wolltest du als ehrlicher Mann verbringen.“
Drogan wollte etwas erwidern, brachte aber nur noch ein trockenes Krächzen hervor. Dann erfasste ihn der Zauber. Für einen Moment stand er da mit verkrampftem Gesichtszügen da.
Dann färbte sich Drogans Gesicht erst rot, dann lila, bis der Körper des Aufschneiders aufplatzte und ein gewaltiger Schwall aus Blut aus ihm hervorbrach. Einen kleinen Augenblick lang war der gesamte Käfig in Rot gehüllt und Asmon meinte, das Blut schmecken zu können, dann war es vorbei. Im Käfig des Spielers befanden sich nur noch einige verstreute Knochen.
Der Rote König betrachtet die Überreste für einen Moment mit gerümpfter Nase, dann glätteten sich seine Züge wieder und er lächelte Asmon an.
„So Wächter, und wen haben wir hier?“
Die junge Frau hatte die Gitterstäbe gepackt und blickte abwechselnd den König und Asmon böse an. Wen würde sie wohl zuerst umbringen, wenn jemand sie aus dem Käfig ließe, fragte sich der Wächter.
„Sie ist ein Mitglied der Weißen Sonne, Herr. Eine Hexenjägerin, mit Auftrag euch zu töten.“
Der Rote König zog die Augenbrauen hoch und betrachtete die junge Frau interessiert, die seinem Blick unverwandt begegnete. Asmon hatte nun keinen Zweifel mehr daran, was sie tun würde, wenn der Käfig nicht wäre.
„Ist das wahr?“
Die Hexenjägerin schnaubte nur verächtlich.
„Zu schade, ich habe schon lange nicht mehr mit einem Mitglied der Weißen Sonne gesprochen.“
Bei diesen Worten flammte die Magie um die Hände des Roten Königs auf und Asmon vermeinte, eine kurze Regung im Gesicht der Frau zu erkennen.
Als sie der Zauber traf, ging ein Ruck durch ihren Körper, doch sie blieb stehen und starrte den König weiterhin an.
Dieser ballte die Finger langsam zu einer Faust und der düstere rote Schein wurde zu einem blendendem Licht.
Asmon sah auf den höheren Ebenen, wie der Zauber anschwoll, um die Hexenjägerin wirbelte und an ihrer Lebenskraft zerrte – so, wie ein Orkan an den Blättern im Herbst.
Einige Sekunden vergingen, dann entspannte der König seine Hand. Asmom hatte erwartet, dass von der Hexenjägerin genauso wenig übrig wäre, wie von dem Spieler. Doch die junge Frau saß in der Mitte des Käfigs, mit leichtem Nasenbluten und einem herausfordernden Grinsen.
„Beeindruckend.“ Der Rote König drehte sich zu Asmon. „Die Anhänger der Weißen Sonne sind erstaunlich resistent gegen Magie, ich habe mich immer gefragt, wie sie das machen.“
Der untote Wächter verspürte ein diffuses, unangenehmes Gefühl, es wurde Zeit seine Befehle zu erfüllen. Mit einem schabenden Geräusch zog Asmon sein Schwert.
„Wenn ihr gestattet, Herr, dann kann ich ein wenig nachhelfen.“
Der Rote König ignorierte ihn und sprach zu der Hexenjägerin.
„Was würdest du tun, wenn ich dich frei ließe?“
Die Frau merkte auf und blickte den Alten direkt an.
„Dann würde ich Euch töten.“
„Hm.“ Der König strich sich mit der Hand über das Gesicht: „Aber warum möchte die Weiße Sonne meinen Tod? Wir haben doch ein Abkommen.“
Die Jägerin lachte einmal auf.
„Dieses Abkommen wurde in dem Moment hinfällig, in dem sich Euer Schüler und Stellvertreter den dunklen Künsten verschrieben hat.“
Bei den letzten Worten funkelte sie Asmon böse an.
„Und wieso, jagst du dann nicht meinen Schüler?“, fragte der Rote König.
„Ihr wärt nicht der erste Meister, der sich hinter seinem Schüler versteckt. Keinem Lebensmagier ist mehr zu trauen.“
Asmon sah, wie ihre Augen vor Zorn brannten.
Der König erwiderte nichts. Er drehte sich von den beiden weg und blickte zum Horizont. Eine ganze Weile starrte er in den blutroten Nachthimmel, dem Manifest seiner eigenen Macht.
„Wie es scheint, ist mir in den letzten Jahren vieles entgangen.“
Der Magier wandte sich wieder Asmon und der Hexenjägerin zu.
„Die meiste Zeit meines Daseins, verbringe ich als sehr alter Mann. Ich sitze in meinem Turm und gebe mein Leben für diese Stadt, so lange, bis es fast verbraucht ist. Und dann, einmal im Jahr, komme ich herunter und die Menschen schenken mir ein neues Leben. In diesem einen Moment bin ich wieder ich, der König von Renheim.“
Der König glühte förmlich, während er sprach und nicht nur auf der höheren Ebene. Asmon fiel auf, dass der alte Mann gar kein alter Mann mehr war. Er war zwar auch nicht jung, aber seine Züge hatten sich geglättet,. Seine Haltung war jetzt aufrecht und in den Augen lag ein wissendes Funkeln.
„Asmon, mein Lieber, es tut mir leid, wenn ich dich nicht immer gleich erkenne. Bedenke, es liegt für mich doch immer ein ganzes Leben zwischen unseren Begegnungen.“
Der König wandte sich der Hexenjägerin zu.
„Was dich angeht, ich betrachte mich nach wie vor als Verbündeten der Weißen Sonne. Vor vielen Jahren habe ich geschworen, meine Macht zum Wohl der Menschen zu nutzen und mich von der Nekromantie und anderen schädlichen Richtungen der Lebensmagie abzuwenden. Trotzdem hat sich mein eigener Schüler entschieden, meinen Zustand auszunutzen und meine Befehle zu missachten. Mir bleibt nicht genügend Zeit, um mich gebührend um ihn zu kümmern. Daher bitte ich dich, das zu tun. Wächter, lass die Hexenjägerin frei!“
Asmon zögerte. Einerseits sollte er dem König gehorchen, doch sein Meister hatte eine klare Vorstellung von dem, was mit der Hexenjägerin passieren sollte. Zögerlich öffnete er das Tor und ließ die Frau aus dem Käfig. Sie war angespannt wie eine Katze auf der Jagd und der untote Wächter hoffte, dass sie den König angreifen würde. Dann könnte er sie töten, ohne seine Befehle zu missachten.
„Jetzt lass sie gehen!“ ,befahl der König.
Asmon senkte langsam sein Schwert und gab der Hexenjägerin den Weg frei.
Diese fixierte den König, überdachte kurz die Situation und entfernte sich schließlich langsam.
Der Zwiespalt, der Asmon beherrschte, wurde unerträglich. Doch dann spürte er, wie sich alles änderte. Er war nicht mehr an die Befehle des Roten König gebunden, es gab einen Ausweg. In einer flüssigen Bewegung hob er das Schwert und stach zu. Die Hexenjägerin schrie nicht, sie sackte in sich zusammen, atmete noch ein paar Mal röchelnd, dann war es vorbei.
Der König schaute fassungslos zu Asmon.
„Wie kannst du es wagen!“
Doch dann knisterte Magie und eine Gestalt in schwarzer Robe erschien auf dem Platz: Lord Voron!
Der Meisterschüler lächelte und seine Finger zeichneten ein komplexes Muster in die Luft. Asmon spürte, wie der Schleier zwischen dieser Welt und dem Jenseits schwächer wurde.
„Mein König, ich glaube es wird Zeit, dass ihr in euren Turm zurückkehrt, die Leute von Renheim verlassen sich auf euch, ich kümmere mich so lange um den Rest.“
Voron vollführte eine letzte Geste und das rote Glühen in den Augen des Königs erlosch.
„Asmon! Bring den König zurück!“
Der Untote nahm eine Hand des Roten Königs und führte diesen wie ein müdes Kind vom Platz.