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- Anmerkungen zum Text
Hallo 😊
Ich habe diesen Text für einen Schreibkurs an der Uni geschrieben bzw. schreibe ich immer noch daran. Wir sollten eine Figur beschreiben und haben eigentlich keine genauen Vorgaben. Irgendwie beiße ich mir seit einer Woche die Zähne daran aus, aus irgendwelchen Textbruchstücken einen zusammenhängenden Text zu basteln. Ich kann es mittlerweile nicht mehr sehen und wäre daher unglaublich dankbar, wenn jemand einen neutralen Blick darauf werfen und mir eine Rückmeldung geben könnte.
Herzliche Grüße
Lillimarlen
Das Aquarium
Das Aquarium steht in der Mitte der Wohnung wie ein kaltes, blaues Herz und verströmt sein eisiges Licht. Seit dem Tod ihres Mannes vor einem halben Jahr schläft sie nicht mehr im Ehebett, sondern im Gästezimmer, weil sie sich vor der leeren Hälfte des Doppelbettes gruselt und sie sich im Dunkeln fühlt, als würde sie neben einem Toten liegen. Von Anfang an war das, was sein Tod in ihr auslöste, weniger eine Traurigkeit als vielmehr ein unfassbarer Ekel, wie sie ihn seit jeher für alles Tote empfand.
Er starb im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt, als er das Aquarium geputzt hat. Damals arbeitete sie noch. Sie war Lehrerin für Griechisch und Latein an einer Hochschule in der Stadt und verbrachte jeden Tag zwei Stunden im Zug, um in die Arbeit und wieder nach Hause zu gelangen. Sie fand ihn abends am Boden liegend mit algigen Fingern und offenen Augen, die an die Decke starrten. Die Fische erinnern sie daran, durch ihre Augen sieht der Tote sie an und beobachtet sie, bei allem, was sie tut.
Sie weiß nicht, ob sie ihn geliebt hat oder ob sie ihn nur geheiratet hat, weil sie jemanden brauchte, der ihre Entscheidungen für sie traf. Als sie jung waren, war er es, der beschloss, dass sie ihn heiraten und bei ihm einziehen würde in diese alte Wohnung, die er von seinen Großeltern geerbt hatte. Er hat nichts an der Einrichtung verändert, nicht einmal diese unheimlichen Porzellanfiguren hat er aus den Glasschränken entfernt. Nur ein Aquarium hat er sich gekauft, auf dessen Sauberkeit er mehr Wert legte als auf die Sauberkeit der übrigen Wohnung. Sie konnte seine Leidenschaft für die Aquaristik nicht nachvollziehen.
Die Fische passten nicht zu ihm, weil er große, warme Hände hatte und laut lachte, die Fische hingegen sind kalt, gläsern und stumm. Ein Hund hätte besser zu ihm gepasst, weil ein Hund ihn zurückgeliebt hätte. Die Fische schauen durch die Scheibe und steigen an die Oberfläche, in der Hoffnung, gefüttert zu werden, aber sie lieben einen nicht zurück. Sie glaubt, dass er sie auf die gleiche Weise geliebt hat wie die Fische, ohne die Erwartung, zurückgeliebt zu werden.
Sie verbringt zu viel Zeit damit, vor dem Aquarium zu stehen. Seit sie in Rente ist, raucht sie wieder. Diese Angewohnheit schadet ihr weniger als das stundenlange Hineinstarren zu den Fischen. Vom Balkon aus sieht sie auf den Spielplatz hinter dem Mehrfamilienhaus. Als sie noch Lehrerin war, konnte sie das Geschrei der Kinder nicht leiden, jetzt beruhigt es sie. Sie lässt alle Fenster offen, aber es dringt nie bis ins Innere der Wohnung vor, dort plätschert weiterhin das Aquarium. Es klingt manchmal fröhlich, dann wieder unheimlich, als wären Stimmen darin, die vom Wasser durcheinandergewirbelt werden.
Kalte Wellen gleiten über ihre Haut, wenn sie durch das Glas schaut. Jeden Tag bangt sie, einen weißen Punkt auf einem der Fische zu entdecken. Der weiße Punkt markiert die Totgeweihten und sie weiß, was sie dann tun muss, um den Fisch nicht leiden zu lassen. Aber sie könnte es nicht. Es gibt ein Messer, das eigens für diesen Zweck bestimmt ist. Es liegt in der Schublade unter dem Aquarium, gemeinsam mit dem Schneidbrett. Wenn ihr Mann einen kranken Fisch herausholte mit dem Netz und ihn auf das Schneidbrett legte, sah sie weg und hielt sich die Ohren zu, um den Schnitt nicht zu hören. Sie könnte keinen Fisch töten und würde zusehen müssen, wie er am Boden vor sich hinsiecht und immer blasser wird, bis die anderen Fische ihn zerfetzen.
Sie erschrickt, wenn ihr Spiegelbild im Aquarium erscheint, mit großen, dummen Fischaugen schwimmt es ganz nah an die Scheibe und starrt sie an. Sie ist gealtert in letzter Zeit, die roten Haare sind ergraut und ihre Haut ist gläsern wie die Haut der Fische, wenn sie krank sind und zu Boden sinken. Ein Schrecken sitzt in ihrem Gesicht, der sich nicht mehr auflösen will. Sie weiß jetzt, dass es falsch war, hier her zu ziehen. Vielleicht war es auch falsch, zu heiraten. Im Nachhinein würde sie zu allem, von dem sie früher nicht wusste, ob sie es wollte oder nicht, „Eher Nein“ sagen. Dann wäre sie jetzt irgendwo anders und es wäre wahrscheinlich besser, als hier zu sein, aber vielleicht auch nicht.
Jeden Tag geht sie durch die Wohnung und wischt den Staub von den Möbeln. Manchmal nimmt sie beim Putzen auch das Porzellan aus den Glasschränken und hält es in der Hand, bis es warm ist und ihr Puls darin schlägt wie ein nervöses, kleines Herz. Aber der Staub kehrt jeden Tag wieder und das Porzellan ist schon nach wenigen Sekunden wieder kalt und das Herz erstarrt wieder in den leblosen Dingen. Nichts hier drin gehört ihr, sie verwaltet die Wohnung nur. Alles schläft unter einer dünnen Schicht Eis und wartet geduldig auf die Rückkehr seines Besitzers, während sie sich wie ein Gespenst durch die Wohnung bewegt und unfähig ist, sie mit ihrem Leben und ihrer Wärme zu füllen. Die feuchten Augen und das Zittern sind ihr Gespenstergewandt, sie kann es nicht mehr ablegen, auch wenn das Zittern mittlerweile nicht mehr sichtbar ist. Es hat sich von der Haut ins Innere zurückgezogen und sich wie ein kaltes, nasses Tuch auf ihr Herz gelegt.
Nachts, wenn sie das Aquarium durch die geschlossene Tür hindurch plätschern hört, füllt sich die Stille mit Wasser und der Geist schlägt panisch um sich, bis die Schlaftablette wirkt und ihn fesselt. Dann kann er sich nicht mehr wehren und sinkt bleischwer in den tiefen, schwarzen Schlaf.
Während sie einschläft, spürt sie, wie die Luft kälter wird. Jede Nacht wird es kälter. Einmal wird es so kalt sein, dass sich Eis auf dem Aquarium bildet und die Fische Winterstarre halten. Und auch auf ihrem Schlaf wird sich Eis bilden, unter dem sie treiben und warten wird, wie die Gegenstände in der Wohnung geduldig warten wird, bis eine warme Hand sie aus dem Eis herauszieht.