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Alles Gute

Challenge 3. Platz
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Alles Gute

Ochsenschwanzsuppe von Netto. Die Beste. Deckel abgezogen, ins Wasserbad und Platte an. Drei flache Kiesel unter die Blechdose, wegen der Hitze. Und die Banderole rausfischen, damit sie nicht am Topf klebt. Benedikt gibt einen Teelöffel Salz und einen mit weißem Pfeffer dazu, rührt langsam um, damit nichts rausschwappt. Zufrieden nimmt er Platz auf dem Plastikstuhl, greift den Kugelschreiber und zieht das Rätselheft zu sich. Ehefrau von Tristan mit sechs Buchstaben. »Wer ist Tristan?«, will er von der Küche wissen. Niemand da, der das beantworten kann. Auf dem Kalender findet er das Wort nicht. Benedikt sieht auf die Jahreszahl. 1998 steht in schwarzen Lettern oben drüber. Rein geistig vorhanden, auch mit sechs Buchstaben. »Rein geistig vorhanden … was soll denn das sein?«

Er steht auf und rührt einige Male vorsichtig um, schleckt den Holzlöffel ab und ist zufrieden. Schön salzig und angenehm scharf. Aus dem Kühlschrank holt er eine Flasche Öttinger, schlägt den Kronkorken an der Tischkante ab und setzt den Flaschenhals an. Beim zweiten Schluck klingelt das Telefon. Benedikt setzt ab, schaut auf den Apparat gleich neben dem Rätselheft. Abheben oder nicht? Er greift zum Hörer.
»Ja?«
»Ich bin’s!«
»Mama … ich will gleich essen. Was ist denn?«
»Hast du schon die Nachrichten gesehen?«
»Wo?«
»Na, im Fernsehen!«
»Ich guck keine Nachrichten, weißte doch.«
»Sollteste aber. Kann man was lernen.«
»Also die Suppe …«
»Da hat sich einer den Pimmel abgefroren! Stell dir vor!«
Benedikt schweigt und weiß nicht, ob seine Mutter gerade Pimmel gesagt hat.
»Bist du noch dran?«
»Ja, die Suppe fängt an zu dampfen …«
»Vergiss die Suppe! Hast du schon mal gehört, dass sich irgendwo irgendein Kerl den Pimmel abgefroren hat?!«
Benedikt überlegt. Schaut auf die 1998. Das ist schon sehr lange her, fällt ihm auf. Außerdem dampft die Suppe immer heftiger. Er beugt sich zum Herd, streckt den freien Arm und rührt langsam um.
»Nee, hab ich noch nie gehört. Geht das?«
»Wenn es die in den Nachrichten sagen. In Schweden …« Sie schweigt für einen Moment. »Nee, in Finnland. Ein Schwede. So‘n Skiläufer. Stellt sich neben die Piste, holt ihn raus, pinkelt ganz gemütlich, fährt weiter und zack! Der Pimmel läuft blau an und tut ihm weh. Jetzt muss er ab.«
»Das ham sie gesagt? Er muss ab?«
»Nee, aber is ja klar. Was abstirbt, muss weg. Sonst fault das ja.«
Benedikt hält den Hörer ein paar Zentimeter weg. Das hat er nicht gehört. Ein blauer Pimmel, der fault. Und nun wegmuss. Mit einem Auge schielt er zur Suppe. Das Wasser beginnt zu sieden. Schnell schaltet er den Herd aus.
»Mama, was guckst du für Zeug? Du sollst nicht so viel vor der Glotze sitzen.«
Ihr Schnaufen kann er deutlich hören.
»Ach nee! Was soll ich den ganzen Tag machen? Du kommst ja nicht vorbei und besuchst deine alte Mutter.«
Benedikt dreht sich zum Küchenfenster. Regen. Er weiß gar nicht, wann der Regen begonnen hat? Vorgestern? Vor einer Woche?
»Mama?«
»Ja?«
»Wie heißt denn die Frau von einem Tristan?«
»Isolde, heißt die.«
»Danke!« Es ist still im Hörer. Benedikt traut sich nicht zu fragen, was das mit dem ‚nur geistig vorhanden‘ bedeuten soll, auch wenn er der Überzeugung ist, dass seine Mutter es weiß. »Soll ich dir Rätselhefte zu Weihnachten schenken, Mama?«
Sie lacht. »Nee, danke.«
»Du brauchst aber ein Hobby.«
»Jetzt nicht mehr. Nun weiß ich ja, dass Pimmel abfrieren können. Da hab ich genug zum Nachdenken. Ich stelle mir vor, dass meinem Alten der Pimmel abgefroren wäre …«
»Mama!«
Sie lacht wieder. »Schon gut, schon gut. Nix mehr über deinen Erzeuger.«
»Nix mehr über Papa.«
»Er möge in Unfrieden ruhen …«
»Mama!«
»Weißte was? Du isst jetzt deine Suppe. Und morgen früh nur ein Brot! Hörst du?! Nur ein Brot! Schließlich habe ich einen dicken Karpfen gekauft für morgen Abend. Da will ich nicht, dass was überbleibt.«
Benedikt zieht eine Grimasse. Karpfen! Vielleicht nimmt er sich besser eine Dose Ochsenschwanzsuppe mit. Oder Leipziger Allerlei. Zwei Dosen dann.
»Bis morgen, Mama!« Sie legt einfach auf und Benedikt den Hörer neben die Gabel. Leises Tuten ist zu hören. Ehefrau von diesem Tristan. I-S-O-L-D-E. Er schaut aufs Rätsel und findet das Kästchen nicht mehr, schiebt das Heft auf die Seite und steht auf. Im Topf sind viele Luftbläschen zu sehen. Die Banderole schwimmt umher, ein Ende haftet am Topfrand. Benedikt seufzt.

*​
In den Kleinanzeigen steht, dass bis 24 Uhr geöffnet ist. Eine Stunde vorher zieht Benedikt die Winterjacke über, verlässt das Haus und fährt mit der Tram in die Innenstadt, steigt eine Haltestelle vor dem Ziel aus und geht über Umwege dort hin. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stellt er sich in den Hauseingang und wartet. Kaum jemand unterwegs. Ein Mann mit Hund, zwei Betrunkene. Benedikt überquert die Straße, den Bürgersteig, marschiert zielsicher und direkt ins Geschäft. Es bimmelt, ein Vorhang, dunkelgrün und schwer, durch dessen Hälften er sich drückt, dann ist er in einem großen Raum mit vielen Regalen. Ihm wird warm. Mehr als warm. Hastig öffnet er den Reißverschluss der Jacke. Keiner da. Wie soll er hier etwas finden? An der linken Wand stehen aufgeblasene Puppen mit offenen Mündern und mehr als großen … Benedikt dreht sich nach rechts und entdeckt eine Frau. Nicht so alt wie seine Mutter, aber nahe dran. Auf dem Kopf eine dunkelrote Perücke.
»Na, Schätzeken, haste dich verlaufen?«
Benedikts Finger hebt sich, zeigt auf seine Brust. Ganz wie von selbst.
»Ich?«
»Ja, du. Sonst ist niemand hier.«
»Also …«
Die Alte hebt einen Unterarm, beugt den Mittelfinger mehrmals. »Komm mal her. Ich bin sicher, wir werden was finden.«
Nur vier Meter oder vielleicht fünf, denkt Benedikt und ihm ist immer noch heiß. Er fühlt sich wieder als Kind im zu heißen Badewasser.
»Wat suchste denn?«
Schritt für Schritt, mit beiden Händen Figuren formend, geht er zur Theke. »Also, so‘n Ding. Ich meine, so …« Er misst mit den Handflächen einen Abstand. »So‘n Ding, so groß etwa.«
»Aha«, sagt die Alte, ohne eine Miene zu verziehen. »Für dich?«
»Für mich?«
Ihre Augenbrauen wandern in die Stirn. »Ja, für dich. Für hier!« Mit der flachen Hand schlägt sie auf ihre rechte Pobacke. Es klatscht laut. Ein paar Mal landen alle fünf Finger auf der engen Hose. Sie grinst. »Weißte schon, du hast ja nur einen Eingang da hinten. Ich empfehle am Anfang was kleines.«
Benedikt schluckt und spürt ein Ziehen im Unterleib. Fäuste packen zu, ziehen und reißen. Nur raus!, denkt er, aber …
»Für Mutti«, sagt er dann. Die Augenbrauen der Alten bleiben oben. Mit beiden Händen stützt sie sich auf die Theke. Links steht Gleitcreme im Blister und rechts Liebeskugeln im Angebot. Drei unterschiedliche Durchmesser an langem Gummiband für SIE und IHN.

»Für Mutti, soso! Na, dann für Mutti. Mir soll’s recht sein. Und zeig mir noch mal die Größe, Schätzeken.«
Benedikt hebt die Handflächen zueinander, vergrößert die Entfernung. Mit einem Griff fördert die Alte aus einer Schublade einen Zollstock ans Tageslicht, klappt zwei Glieder aus und misst.
»Dat sind 30 Zentimeter, Junge. Biste sicher?«
»Ich denk schon.«
»Du musst dat wissen. Aus welchem Material soll der Schlong sein?«
»Wie?«
Sie seufzt. »Warte kurz!« Sie verschwindet durch einen Vorhang. Es raschelt, Kartons oder Papier, ein Fluch, dann Geräusche, die er nicht einordnen kann. Tief durchatmen, Benedikt! Niemand sonst im Laden. Dafür ist er mehr als dankbar. Sie kommt zurück, ein Holztablett voller … Dinger.
»So, Schätzeken! Dann pass mal auf.« Das Tablett landet unsanft auf der Theke. Sie beginnt links. »25 Zentimeter, Kautschuk, Vorsicht bei Kautschuk-Allergie. Sehr beweglich, aber für meinen Geschmack gibt er zu viel nach.«
»Aha«, sagt Benedikt und starrt auf das wackelnde Etwas. Die Alte schwenkt die Faust hin und her und die Spitze des Dings schlägt fast bis an ihre Handoberfläche. Sie legt ihn weg, packt den nächsten.
»Weißes Glas. Verschaffste dir ne weiße Weihnacht. Schneien tut et ja nich mehr. Auf dat Dingen stehen viele, aber für den Hintereingang zu hart.«
»Glas? Kann das nicht abbrechen?«
»Nee, dat is geprüft. Brief und Siegel, dat da nix abbricht.«
»Ich weiß nicht, ob Mama Glas gefällt …«

Sie grinst und rollt die Augen. »Dann nimmste den hier.« Glas weg und von den sieben weiteren wählt sie den größten. An seinem Ende ist er verdickt. »Mit Klöten. Ordentlich dick, so wie dat sein muss. Wenn’s für deine Mutti is, dann wird sie schon wat älter sein. Mein Niveau. Da braucht man was Handfestes, oder?« Sie hält das Ding Benedikt vor die Nase. »Fass ihn mal an. Nicht zu weich, innen verstärktes Geflecht und ne Durchleitung. Der kann was.«
»Ach so? Was denn?«
»Schätzeken, du kannst aber auch Fragen stellen. Hier …« Sie holt aus einer Schachtel einen Schlauch mitsamt Kabel und einem Behältnis. »Tuste Milch rein, dann kann er auf Knopfdruck ejakulieren.«
»Was?«
Sie rüttelt an der Perücke. Zum ersten Mal ist ihr Blick wie der von Benedikts Mutter, wenn er was in den Sand setzt. Dann legt sie das Zubehör samt Schachtel auf die Seite.
»Ohne Ejakulation nur 59 €. Weihnachtspreis für dich, Schätzeken. Schön eingepackt mit Schleife. Wär dat wat?«
»Ja, gut, kauf ich. Schön einpacken, bitte. Blaues Papier hat sie gerne.«
Die Alte starrt ihn einen langen Moment an. Benedikt schluckt. »Vielen Dank«, sagt er vorsichtshalber und versucht sich an einem freundlichen Lächeln. Aus der Hosentasche kramt er zwei Zwanziger, einen Zehner, zählt zusammen, kommt auf fünfzig und packt noch einen Zwanziger dazu. Die Alte summt ein Lied und schiebt alle anderen Dinger auf die Seite.

*​
»Bescherung oder Karpfen?«
»Lieber Karpfen, Mama.«
Sie nickt wohlwollend. Mit einem Auge auf dem mit hellblauem Papier umwickelten Geschenk.
»Du hast deiner Mutti wirklich ein großes Geschenk mitgebracht, was?«
»Klar, Mama. Wo du doch immer so gut kochst und mir beim Rätseln hilfst.«
»Das is mein Junge«, sagt sie und geht in die Küche.
Benedikt sieht an die Wand überm Fernseher. Das Bild von Vater ist weg. Ein helles Rechteck ist alles, was von ihm geblieben ist. Darin sind die Blumen noch gelb. Auf dem Rest der Tapete kann man sie kaum noch als Blumen erkennen.
»Wo ist denn Papa?!«
»Unter der Erde«, kommt es aus der Küche. Die Backofentür quietscht. »Weißte doch, oder etwa nicht?«
»Doch, doch! Aber ich meine doch das Foto!«
»Hab ich in den Müll geworfen!«
Benedikt wiederholt die Worte im Stillen. Hab ich in den Müll geworfen.
»Warum, Mama?!«
Sie kommt zurück, eine ovale Auflaufform in den Händen, darin etwas, das mal ein Karpfen gewesen ist. »Geht mir besser ohne das Foto«, sagt sie trocken und stellt die Form auf zwei Untersetzer.
»Aber, Mama …«
Die Topflappen lässt sie auf den Stuhl fallen, kommt um den Tisch und legt die vom Fisch warmen Hände auf Benedikts Hinterkopf. Ein Schauer rieselt seinen Rücken hinab. Die Schultern zucken, ohne dass er etwas dagegen tun kann.
»Schon gut. Ich weiß ja. Hat allen Prügel angedroht, die dir blöd kamen. Naja, ist wohl zu früh gestorben. Ich meine, wegen dir ...«
»Ja …«, sagt Benedikt und spürt seine Stimme schwinden.
»Aber für mich war es nicht wie für dich. Ich hatte den Rest von dir. Deine Hausaufgaben, deine Elternabende, dein Sitzenbleiben, meine Arbeit, unser Essen kochen. Und immer nur hinter ihm her telefonieren. Bring Geld, versauf es nicht, verzock es nicht. Weihnachten immer nur wir beide … stimmt es nicht?«
Benedikt neigt den Kopf nach vorne. Ein schwerer Stein in der Brust macht ihm zu schaffen. Wie soll er ihn rauslassen?
»Für dich war er ein Held. Aber Kinder brauchen nicht nur Helden.« Sie tritt an Benedikts Seite und dreht mit zwei Fingern seinen Kopf hoch. Sieht ihn fest an. »Sie brauchen auch Väter, die da sind, wenn es mal scheiße läuft.«
Benedikt kann nicht nicken, so fest drückt Mutter unter sein Kinn.
»Das tut weh, Mama.«
Sie lässt los und geht schweigend zu ihrem Stuhl, setzt sich, schöpft Kartoffeln auf ihren Teller, an einigen ist noch Schale dran. Dann sticht sie mit der Gabel in den Fisch, direkt in den Rücken des Karpfens, aber der gibt nach, fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Haut ist fast schwarz, das Fleisch darunter hat dunkle Flecken, ist ausgefranst, der Kopf einfach abgerissen. Aus dem Hals purzeln Zwiebelringe, ganze Petersiliestängel und große Karottenstücke. Mit zwei Fingern zieht sie Fleisch von einer Gräte. Vorsichtig beißt sie hinein, verzieht den Mund, kaut und schluckt.
»Schmeckt wie Scheiße«, sagt sie und schaut auf die Kartoffeln.
»Ich hab noch zwei Dosen Leipziger Allerlei dabei, Mama. Mit Salz und weißem Pfeffer ist das ein tolles Essen. Habe ich heute Morgen noch bei Netto gekauft.«
Ein paar Mal muss Benedikt atmen, dann sieht er sie nicken.
»Okay, mach du sie auf, kipp die Kartoffeln in die Spüle und in den Topf dein Leipziger. Ich mach mich mal frisch.«
*​
»Junge, Junge, beim weißen Pfeffer hast du dich aber vertan«, stellt Benedikts Mama fest. »Ich wette, morgen habe ich Durchfall.«
»Ach was, Mama«, sagt er stolz, denn der Topf ist leer. Zwei Teller für Mama und zwei für ihn. Mit frischer Petersilie. »Der Karpfen kann uns mal, was?«
»Ja, den kriegen die Katzen im Hof.«
»Genau, Mama. Und jetzt aber Bescherung.«
Ihre Augen werden groß.
»Ja, an mein Geschenk habe ich gar nicht mehr gedacht.«
Mit Schwung steht sie auf und stellt sich vor den Baum, der nur ein Bäumchen ist und aus Plastik. Mit einem Klick leuchten die LEDs in rot, grün, blau und gelb. Hinter ihr kratzt es aus Lautsprechern.
»Deine Lieblingsmusik«, sagt Benedikt. Heintje singt etwas über eine Mama. Vielleicht seine, denkt Benedikt und trägt das Geschenk mit beiden Händen zum Baum.
»Mama?«
Ihr Gesicht bleibt abgewendet. Sie hat es vielleicht nicht gehört, meint er, schweigt aber, steht einfach da und wartet. Dann aber dreht sie sich und hat ebenfalls ein Geschenk in der Hand. Braunes Packpapier. An den Ecken zerknittert.
»Du weißt ja, Geschenke einpacken ist nicht mein Ding. Das ist deins, Benedikt.«
Für eine Sekunde weiß er nicht, was er tun soll, legt aber Mutters Geschenk auf den Tisch und nimmt seines, schaut es an, wendet es. Kein Name. Nichts. Mit einem Ruck reißt er es auf. Das Foto! In einem neuen Rahmen! Ein blauer Rahmen. Und was für ein schönes Blau. Papa lächelt irgendwohin, nicht in die Kamera. Er steht mit Benedikt auf einem Steg und Mama sitzt im Ruderboot. Es ist nicht auf dem Müll gelandet. Mama hat extra einen neuen Rahmen gekauft! Benedikt muss sich setzen, hält das Bild vor sich und stellt sich vor, dass Papa ihn anschaut. Er grinst. Benedikt dreht das Foto um. Da steht etwas. 1998 an der Biggetalsperre. Wir rudern. An der Biggetalsperre, jeden Tag im Ruderboot, Benedikt hat die verbliebenen Bilder im Kopf. Es raschelt ordentlich, dann reißt etwas auf. Stille im Wohnzimmer und Papa schaut wieder irgendwohin.

»Was ist denn das?!«
Was ist was? Benedikt hört die Stimme weit entfernt.
»Benedikt? Hallo?«
Er nimmt die Augen von Papas Gesicht. Direkt vor der Nase wackelt das Ding. Die ganzen 30 Zentimeter.
»Das ist ein Schlong«, sagt er und schaut daran vorbei in Mutters Augen. »Alles Gute zu Weihnachten, Mama!«
»Alles Gute sagt man zum Geburtstag. Frohe Weihnachten, mein Sohn.«
»Danke. Frohe Weihnachten, Mama.«
Sie mustert den Schlong von der Spitze bis zum dicken Ende.
»Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ich habe gedacht, weil du das mit dem Pimmel gesehen hast und doch immer so alleine bist, könnte …« Er schluckt zwei Mal trocken. »Also, könnte … hab ich also gedacht …«
»Ja, schon gut. Brich dir keinen ab dabei. Du dachtest, ich hätte es mal wieder nötig, was?«
»Hast du nicht?«
Sie wartet mit der Antwort und atmet tief ein und aus.
»Doch, irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.«
»Aber?«
»Nix aber, mein Junge.« Sie wackelt mit dem Schlong hin und her. »Ganz schön groß.«
Benedikt stockt der Atem.
»Zu groß?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ach was, ich bin 65. Da verträgt man schon einiges, weißte?«
»Ähm …«
Sie lacht. Benedikt stutzt, dann muss er ebenfalls lachen. Der Schlong rutscht aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.

 

Lieber @Morphin ,

was ein seltsames Gespann von Mutter und Sohn hast du da bloß erschaffen? Teils zum Piepen komisch, teils tragisch, teils unergründlich.
Ich fand zwar, dass du beide Charaktere hochspannend dargestellt hast, aber ich fand beide einfach nur abstoßend. Da bin ich vielleicht Opfer meiner eigenen Phantasie, aber genau dafür lässt du mir ja hier in dieser Geschichte genügend Raum.

Da schwangen so viele Vokabeln in meinem Kopf herum, die allesamt von dir also deinen Figuren nicht endgültig beantwortet werden, wie z.B. dieser Mutter-Sohn-Konflikt, was genau stößt ihn ab, was zieht ihn denn wieder zu ihr hin? Ist es Bequemlichkeit, ist es das Unvermögen, sich gegen elterliche Diktate zu stemmen oder ist es eine seltsam verpackte Form von Liebe?
Dann schwingt da so mit, dass er vermutlich geistig etwas behindert ist, vielleicht aber auch einfach nur wenig gebildet, denn immerhin reicht es scheinbar, um irgendwie allein zu leben, also betreut werden muss er nicht.
Dann gibt es da diese Szene, in der sie ihn am Kopf anfasst und die schilderst du so eindringlich, dass sich in meinem Kopf die Vokabel "Missbrauch" einschleicht, also für die, die es hier auch noch lesen, gemeint der Missbrauch, den die Mutter an ihrem Sohn begeht. Aber dafür reichen dann die weiteren Geschehnisse nicht aus, um es wirklich festmachen zu können.
Dann sein ungewöhnlich, ja was eigentlich, mutiges oder verschobenes Verhältnis zur Sexualität in Bezug auf seine Mutter. Im Grunde genommen macht er ja gar nichts falsch und doch fällt er aus dem Rahmen. Da ist also ein Haufen an Dingen drin, über die man nachdenken könnte.

Benedikt schweigt und weiß nicht, ob seine Mutter gerade Pimmel gesagt hat.
Ist schon verrückt, nicht wahr? Er fühlt sich vermutlich peinlich berührt, weil seine Mutter hier so unverblümt redet. Dabei ist er erzieherisch betrachtet doch Produkt seiner Eltern und also auch dieser unverblümten Redemöglichkeit und doch hat er sich ganz anders entwickelt, es hat ihn in seinem Charakter scheinbar nicht beeinflusst.
So en Skiläufer.
"en" darüber war ich gestolpert, aber später taucht das dann doch desöfteren in der wörtlichen Rede auf.
Hab doch zwei Abos. Genug Rätsel.«
Es gibt Rätselhefte-Abos? Wusst ich noch gar nicht.
Sie lacht wieder. »Schon gut, schon gut. Nix mehr über deinen Erzeuger.«
Hier bringst du, was ich ja immer bei allen Autoren bewundere, in einem Satz zum Ausdruck, dass sie sich von diesem Mann getrennt hat, aber durchaus ihn nicht so intensiv hasst, dass sie ihn auch noch vom Sohn fernhalten will. Klasse, das alles steht in dem einen Satz.
In den Kleinanzeigen steht,
Unter Kleinanzeigen denke ich immer an die ebay-Kleinanzeigen, wie wär es mit Werbung?
steigt eine Haltestelle vor dem Ziel aus und geht über Umwege dort hin.
Hui...wie verklemmt er doch ist und trotzdem springt er über seinen Schatten? Was ist er für ein Sohn und Mann? Sehr schwierig zu erfassen.
Benedikts Finger hebt sich, zeigt auf seine Brust. Ganz wie von selbst.
Hier wirkt er etwas tapsig, drollig
Ihre Augenbrauen wandern in die Stirn.
Das klingt nicht ideal, auch wenn ich natürlich verstehe, dass du ein Hochziehen der Augenbrauen nicht schreiben wolltest.
Benedikt schluckt und spürt starke Schmerzen im Unterleib. Fäuste packen zu, ziehen und reißen. Nur raus!, denkt er, aber …
Was ist hier passiert? Was triggert ihn da grad? Und um welches Erlebnis geht es dann aus der Vergangenheit.
der Schlong sein?«
Interessanter Name, kannte ich noch nicht.
. Die Alte schwenkt die Faust hin und her und die Spitze des Dings schlägt fast bis an ihre Handoberfläche. Sie legt ihn weg, packt den nächsten.
Urkomische Szene, überhaupt der gesamte Besuch im Sex-Shop ist voller Humor. Hat mir sehr gut gefallen. Die Verkäuferin ist so eine richtige Type, herrlich zu lesen.
Sie rüttelt an der Perücke. Zum ersten mal ist ihr Blick wie der von Benedikts Mutter, wenn er was in den Sand setzt.
Rütteln?
»Bescherung oder Karpfen?«
Herrlich, wieder so ein superknappes Ding und ganz viel damit gesagt. Beide sind nicht verbissen dabei, Weihnachten abzuspulen, Geschenke haben nicht DIE Bedeutung bei den beiden. Und sie sind irgendwie aufeinander eingespielt. Drei Worte und so viel Aussage da drin. Gut gemacht.
»Wo ist denn Papa?!«
»Unter der Erde«, kommt es aus der Küche. D
Zum Piepen, diese Antworten der Mutter.
Benedikt wiederholt die Worte im Stillen. Hab ich in den Müll geworfen.
Hier weiß man nicht, ob er geistig etwas langsam denkt.
Die Schultern zucken, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Langsam legt er den Kopf an Mutters Brust. Mit den Fingern streicht sie über seine Stirn. Hin und her, mit der Spitze die Falten entlang.
Was ist das für eine Szene? Was zeigst du da? Mir war hochgradig unbehaglich zumute.
Hat allen Prügel angedroht, die dir blöd kamen.
Hier scheint es mir so als würdest du andeuten, dass er doch ein bisschen zurückgeblieben ist und die Mutter es auf diese Weise erwähnt.
Ein großer Klumpen in der Brust
Kann ich mir nicht bildlich vorstellen. Klumpen ist irgendwie nicht das ideale Wort.
Die Haut ist fast schwarz, das Fleisch darunter hat dunkle Flecken, ist ausgefranst, der Kopf einfach abgerissen. Aus dem Hals purzeln Zwiebelringe, ganze Petersiliestängel und große Karottenstücke.
Boah, ist das eklig. Ich hasse eh Karpfen und das hier ist so irre abtörnend, einfach widerlich. Gut beschrieben!
»Schmeckt wie Scheiße«, sagt sie und schaut auf die Kartoffeln.
Herrlich. Nur frag ich mich, wieso sie überhaupt einen Karpfen gekauft hat. Die Dinger sind ja auch nicht grad geschenkt.
Er weiß, was Mutter tut. Sieht sie ins Bad gehen, die Tür fällt ins Schloss, der Schlüssel wird gedreht. Leise schleicht er hinterher, legt das Ohr an die Tür. Mama weint.
Wieder so eine hochgradig verwirrende Szene. Weshalb bricht sie zusammen? Weil sie so einsam ist und ihr das grad bewusst wird? Ich tappe da im Dunkeln.
Dann weint auch er, sinkt auf den abgewetzten Teppich.
Auch bei ihm bin ich unsicher. Weint er, weil seine Mutter so traurig ist und er das nicht möchte, dass es ihr schlecht geht? Weint er, weil er sich auch seiner tragischen Figur bewusst wird?
»Ja, schon gut. Brich dir keinen ab dabei. Du dachtest, ich hätte es mal wieder nötig, was?«
»Hast du nicht?«
Toll, wie sie so flapsig drauf reagiert und damit kompensiert, dass er ja eigentlich über seinen Schatten gesprungen ist. Ich vermag aber trotz allem nicht einzusortieren, was da grad in den Köpfen der beiden vor sich geht.
»Doch, irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.«
»Aber?«
»Nix aber, mein Junge.« Sie wackelt mit dem Schlong hin und her. »Ganz schön groß.«
Benedikt stockt der Atem.
»Zu groß?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ach was. Ich bin 65. Da verträgt man schon einiges, weißte?«
Das Ganze ist voller versteckter Schamhaftigkeit, aber randvoll mit Humor. Ich weiß ehrlich nicht, was da in der Tiefe der Figuren bei ihnen abgeht.
»Nee, keine Ahnung.«
Diesen Satz würde ich vom Gefühl her streichen. Er bringt nicht weiter.
Der Schlong fällt aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.
Einmal abgesehen davon, dass dies ein gelungener Schluss ist, gefällt mir das Verb "fällt" nicht. Das wirkt auf mich so als habe sie bewusst den Schlong fallen gelassen. Ich fände es passender, wenn er ihr einfach aus der Hand rutscht und sie ihn einfach da liegen lässt, wo er hingefallen ist.

Liebe Grüße

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @Morphin,

danke für diese skurrile, oft amüsante und dann wieder irgendwie traurige Weihnachtsgeschichte.

Wie schon so oft in früheren Texten schaffst Du es auch hier bei mir, mit meist minimalem Einsatz eine maximale Wirkung zu erzielen, wenige Wörter/Beschreibungen reichen aus, damit die Bilder im Kopfkino in Farbe über die innere Leinwand laufen.

Bei ganz wenigen Textstellen fragte ich mich, ob der Benedikt oder sein Gegenüber aufgrund des eigenen Wesens dieses oder jenes so benannt / so reagiert hätte (gerade bei der Szene im Sexshop):

Auf dem Kopf eine prächtige, dunkelrote Perücke.
Hier zum Beispiel. So wie ich den Charakter verstehe, würde er nur dann klar erkennen, dass es sich um eine Perücke handelt, wenn sie deutlich als diese erkennbar ist. Ist das "prächtig" so zu verstehen? Dass man es klar und deutlich als Perücke erkennen kann?

»Ohne Ejakulation nur 59 €. Weihnachtspreis für dich, Schätzeken. Schön eingepackt mit Schleife. Wär dat wat?«
Würde sie Ejakulation sagen? Oder eher etwas Derberes verwenden?

Ein helles Rechteck ist alles, was von ihm geblieben ist. Darin sind die Blumen noch gelb. Auf dem Rest der Tapete kann man sie kaum noch als Blumen erkennen.
Hier mal als Beispiel für eine grandiose Formulierung. Der einzige Fleck auf der Tapete, auf dem die Blumen noch blühen. Fantastisch.

»Nix aber, mein Junge.« Sie wackelt mit dem Schlong hin und her. »Ganz schön groß.«
Die Pimmelbilder von der Mutter kriege ich wahrscheinlich bis Weihnachten nicht mehr aus dem Kopf. Ich mag diese Art der Skurrilität (wenn man das denn so nennt) sehr, die ja auch erst durch die zuvor so gut angelegten Charaktere ihre Wirkung entfaltet.

1998 an der Biggetalsperre.
Ein toll geschriebener Callback zum Anfang der Geschichte: der Kalender, seit langem nicht ersetzt durch ein gegenwärtiges Modell. Hier erfahren wir, weshalb. Klasse.

Mama weint. Er spürt seinen Klumpen in der Brust. Wie er weich wird. Aufsteigt. Dann weint auch er, sinkt auf den abgewetzten Teppich. Gesaugt hat Mutter nicht, denkt er und schnieft.
Und dann wechselst Du – scheinbar spielerisch – von amüsant-schrägen Dialogen zu solcher real-greifbaren Traurigkeit. Der Klumpen, der weich wird, aufsteigt und zu Tränen wird. Direkt gebrochen durch die Perspektive des Protas. Ich finde das einfach gut gemacht.

Dann gibt es da diese Szene, in der sie ihn am Kopf anfasst und die schilderst du so eindringlich, dass sich in meinem Kopf die Vokabel "Missbrauch" einschleicht, also für die, die es hier auch noch lesen, gemeint der Missbrauch, den die Mutter an ihrem Sohn begeht.
Ich hab für einen kurzen Impuls exakt dasselbe gedacht, was @lakita hier kommentiert. Diese Form von Übergriffigkeit, dass sie ihn da so anfasst, er das aber selber möglicherweise gar nicht (bewusst) wahrnimmt?


Lieber morphin,
Du hast mich mit Deinem Challengebeitrag zum Schmunzeln, Lachen und Nachdenken gebracht und dafür danke ich Dir sehr.

Sehr gerne gelesen
Beste Grüße
Seth

 

Hey ho @Morphin

war denn dat? :D Na gut, zum Fest der Liebe gibt es halt Liebe ;)
Mich hat die Geschichte gut unterhalten. Vor allem die beiden großartigen bizarren Menschleins. Die sind ganz herrlich schräg im Umgang miteinander und doch spührt man die Liebe zwischen ihnen. Dass dein Prot. erst in diesem Jahr erfährt, dass Mama den Papa jetzt nicht so prima fand, halte ich für ein Gerücht, aber bestimmte Dinge, die wird man auch nicht los, wenn man sie oft genug wiederholt, und insofern werden die beiden da vielleicht nicht das erste Mal drüber gesprochen haben. Allerdings würde ich (!) das auch in den Text schreiben. Dass er in Gedanken ihre Worte schon mitsprechen kann Oder Du wolltest wirklich, dass Mama da das erste mal sich dem Sohn gegenüber öffnet, aber da hab ich dann ein Glaubwürdigkeitsproblem.

»Sollteste aber. Kann man was lernen.«
»Also die Suppe …«
»Da hat sich einer den Pimmel abgefroren! Stell dir vor!«
Was man da nicht so lernen kann! Heißt ja auch Bildungsfernsehn :D
Ein Schwede. So en Skiläufer.
Absicht?
»Nee, aber is ja klar. Wenn was abstirbt, muss es weg. Sonst fault das ja.«
:lol:
»Schmeckt wie Scheiße«, sagt sie und schaut auf die Kartoffeln.
Karpfen kommen in diesem Jahr nicht gut weg in den WK-Texten. Dabei sind die so friedliche Wesen, die niemanden was tun. Arme Karpfen!

Doch, hat mir Spaß gemacht. Ich mag die beiden voll gern. Jeden für sich und in ihrer Art, miteinander umzugehen. Würde behaupten wollen, da hatte ein Autor seine Figuren lieb.
Lieber Morphin, diese Geschichte ist eine andere Gangart als die Texte, die ich bisher von Dir gelesen hab, und ja, auch die Art steht Dir gut. Wie gesagt, ich habe das gern gelesen und mich bisschen in Mutti verknallt :D.

Ich wünsche Dir was! Alles Liebe, Fliege

 

Hallo
@lakita
@Seth Gecko
@Fliege

Corona plagt mich. Unnötig wie ein Kropf. Da kannste dich kaum konzentrieren. Egal. Vielen Dank für Eure ausgiebigen und lieben Kommentare.

Ist ja Weihnachten, fast, deshalb mal der Weg dieser Geschichte. Meine Mom rief am Mittwoch an und sagte das mit dem Skilangläufer. Und das mit dem Pimmel. Ob ich das schon gesehen hätte. Weil ich ja auch den ganzen Tag in die Glotze guck ... jedenfalls ging mir das nicht mehr aus dem Kopf. Wieder am Rechner, musste ich das zu Papier bringen. Außerdem war Weihnachten. Ich erinnerte mich an meine Bundespost-Zeit als Paketzusteller. Weihnachten. Jede Menge Pakete von Beate Uhse und Orion. 2390 Flensburg. Manche ziemlich kaputt. Schlongs drinne. Aber ja, die Damen wohnten alleine, waren meist älter und vielleicht ziemlich einsam. Aber im Bezirk gab es auch einen Schlong-Laden. Der bekam jede Menge Nachschub zu Weihnachten. Die Besitzerin eine ganz abgeklärte, coole ältere Dame mit Perücke. Also die Figuren existieren - oder existierten. So wie ich das damals empfand, alles liebe Menschen mit Nöten und Sorgen und Einsamkeit. Sogar den Karpfen gab es ... leider.

Zunächst mal habe ich noch einiges geändert. Aus So en wurde So'n, dann prächtige weg, das mit dem Badezimmer. Unnötig. Das mit dem Kraulen gekürzt. Insgesamt eben gestrafft. Also nix mit Missbrauch-Verdacht. Am Ende nur ein Ähm.

Da gibt es wohl auch keinen tieferen Sinn. Menschen, die versuchen zu leben und denen allerlei durch den Kopf schießt oder auch nicht. Sie können manchmal das Beste draus machen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Auch Benedikt hat ein reales Vorbild. Einen Postkollegen. Woanders als bei der Post wäre er wohl nie untergekommen. Aber ein lieber Kerl. Nicht geschaffen für die Welt, aber mit so ner Mutter klappt das schon irgendwie.

Das kann zwar alles jeden Tag passieren, aber Weihnachten ist wie ein Brennglas, eine superstarke Lupe. Da kommt die ganze Chose unterm Teppich vor. Wer ist noch Mensch und wer hat es schon aufgegeben.

Euch eine stille Zeit. Jetzt geh ich wieder ins Bett.

Bis bald.
Morphin

PS.: Ach ja, @Seth Gecko, sie sagt Ejakulation. Denn sie achtet durchaus auf gewisse Gepflogenheiten. :D

 

Hallo Morphin,

eine flott erzählte Geschichte, mit treffenden Dialogen. Der Teil im Sexshop hat durchaus etwas Situationskomik. Die Mutter und ihr Sohn haben ein seltsames Verhältnis, einerseits Nähe („Kopf an Mutters Brust“, als körperliche Nähe, und als psychische Nähe die Gespräche über den Vater u. a. m.).

Andererseits: „Benedikt traut sich nicht zu fragen, was das mit dem ‚nur geistig vorhanden‘ bedeuten soll“, „Für eine Sekunde weiß er nicht, was er tun soll, legt aber Mutters Geschenk auf den Tisch und nimmt seines, schaut es an, wendet es. Kein Name. Nichts.“

Da schwingt eine Menge Unsicherheit und auch Fremdsein mit, das ist gut beschrieben.

Nach dem Lesen dachte ich dann aber: ‚Und jetzt?‘ Ich habe zwei Leute kennengelernt, gehört, wie sie über Pimmel und einen Vater gesprochen haben, erfahren, dass sie kein Weihnachtsessen zustande bringen. Das wirkt für mich wie so ein Bild der Genremalerei, aber ich kann die dahinter liegende Ikonographie nicht entschlüsseln.

Trotzdem habe ich es gerne gelesen, denn die beiden sind sozusagen vor meinen Leseraugen lebendig geworden.

Liebe Grüße,

Woltochinon

 

Lieber @Morphin,

eine Geschichte so deftig wie Ochsenschwanzsuppe vom Netto. :D
Ich habe mich gut unterhalten, musste viel kichern, zwischendurch wurde es mir auch mulmig, ach, und eine traurige Geschichte steckt auch darin. Ich hab sie alle ins Herz geschlossen, den Sohn, die Mutter und die Verkäuferin.

Ochsenschwanzsuppe von Netto
vielleicht "vom"? Spielt doch im Rheinland.
Rein geistig vorhanden, auch mit sechs Buchstaben. »Rein geistig vorhanden … was soll denn das sein?«
Hübsches kleines Rätsel
Abheben oder nicht?
Charakterisiert ihn gleich sehr schön.
»Sollteste aber. Kann man was lernen.«
»Also die Suppe …«
»Da hat sich einer den Pimmel abgefroren! Stell dir vor!«
Benedikt schweigt und weiß nicht, ob seine Mutter gerade Pimmel gesagt hat.
»Bist du noch dran?«
»Ja, die Suppe fängt an zu dampfen …«
»Vergiss die Suppe! Hast du schon mal gehört, dass sich irgendwo irgendein Kerl den Pimmel abgefroren hat?!«
Oh nein, wie schräg. Und seine Reaktion, so nachvollziehbar. Sehr komisch.
Benedikt überlegt. Schaut auf die 1998. Das ist schon sehr lange her, fällt ihm auf.
Das Motiv "1998", das ist dreimal erwähnt, beim dritten Mal erfährt man, was es damit auf sich hat, ich bin da ein bisschen gemischt, ob es nicht einen Ticken zu zaunpfahlmäßig ist.
»Nee, aber is ja klar. Wenn was abstirbt, muss es weg. Sonst fault das ja.«
Benedikt hält den Hörer ein paar Zentimeter weg. Das hat er nicht gehört. Ein blauer Pimmel, der fault. Und nun weg muss. Mit einem Auge schielt er zur Suppe. Das Wasser beginnt zu sieden. Schnell schaltet er den Herd aus.
»Mama, was guckst du für Zeug? Du sollst nicht so viel vor der Glotze sitzen.«
Oje, der Arme. Das Fettgedruckte finde ich in der dritten Person irgendwie seltsam. Man sagt das ja so: "Das hab ich jetzt nicht gehört!" Aber er spricht hier ja niemanden an.
»Mama?«
»Ja?«
»Wie heißt denn die Frau von einem Tristan?«
»Isolde, heißt die.«
»Danke.«
Wie er sich da rauswindet ist eigentlich schon sehr gekonnt. Und seine Mutter bekommt noch eine Facette dazu.
»Jetzt nicht mehr. Nun weiß ich ja, dass Pimmel abfrieren können. Da hab ich genug zum nachdenken. Ich stelle mir vor, dass meinem Alten der Pimmel abgefroren wäre …«
»Mama!«
Sie lacht wieder. »Schon gut, schon gut. Nix mehr über deinen Erzeuger.«
»Nix mehr über Papa.«
»Er möge in Unfrieden ruhen …«
»Mama!«
Wie bitter und komisch zugleich.
Benedikt zieht eine Grimasse. Karpfen! Vielleicht nimmt er sich besser eine Dose Ochsenschwanzsuppe mit. Oder Leipziger Allerlei. Zwei Dosen dann.
Er ist nicht so dumm. Er kann seine Mutter einschätzen und er sorgt vor.
Die Alte hebt einen Unterarm, beugt den Mittelfinger mehrmals. »Komm mal her. Ich bin sicher, wir werden was finden.«
Nur vier Meter oder vielleicht fünf, denkt Benedikt und ihm ist immer noch heiß.
Das Schräge verstehe ich nicht. Geht es um den Weg bis zu ihr?
Benedikt schluckt und spürt starke Schmerzen im Unterleib. Fäuste packen zu, ziehen und reißen. Nur raus!, denkt er, aber …
Das klingt wie ein Flashback von einer Situation, in der er misshandelt oder missbraucht worden ist. Erst dachte ich, das fällt so raus. Aber dann gibt es die Stelle, wo der Vater lt. Mutter "allen Prügel angedroht hat, die dir blöd kamen"
Benedikt hebt die Handflächen zueinander, vergrößert die Entfernung. Mit einem Griff fördert die Alte aus einer Schublade einen Zollstock ans Tageslicht, klappt zwei Glieder aus und misst.
Korrekt! :lol:
»Weißes Glas. Verschaffste dir ne weiße Weihnacht. Schneien tut et ja nich mehr. Auf dat Dingen stehen viele, aber für den Hintereingang zu hart.«
Schön, das Challengethema eingearbeitet. Das ist generell in der Challenge echt fulminant variiert worden.
Sie hält das Ding Benedikt vor die Nase. »Fass ihn mal an. Nicht zu weich, innen verstärktes Geflecht und ne Durchleitung. Der kann was.«
»Ach so? Was denn?«
Schön.
»Ja, gut, kauf ich. Schön einpacken, bitte. Blaues Papier hat sie gerne.«
Die Alte starrt ihn einen langen Moment an. Benedikt schluckt. »Vielen Dank«, sagt er vorsichtshalber und versucht sich an einem freundlichen Lächeln. Aus der Hosentasche kramt er zwei Zwanziger, einen Zehner, zählt zusammen, kommt auf fünfzig und packt noch einen Zwanziger dazu. Die Alte summt ein Lied und schiebt alle anderen Dinger auf die Seite.
Zum ersten Mal glaubt sie ihm, dass das Geschenk für seine Mutter ist. Die Verkäuferin als sozusagen gedoppelte Mutterfigur ist echt super.
Sie nickt wohlwollend. Mit einem Auge auf dem mit hellblauem Papier umwickelten Geschenk.
Oje, denkt man hier, was wird sie bloß davon halten?
»Du hast deiner Mutti wirklich ein großes Geschenk mitgebracht, wat?«
»Klar, Mama. Wo du doch immer so gut kochst und mir beim Rätseln hilfst.«
»Dat is mein Junge«, sagt sie und geht in die Küche.
:Pfeif:
Darin sind die Blumen noch gelb. Auf dem Rest der Tapete kann man sie kaum noch als Blumen erkennen.
schönes Detail
»Wo ist denn Papa?!«
»Unter der Erde«, kommt es aus der Küche. Die Backofentür quietscht. »Weißte doch, oder etwa nicht?«
»Doch, doch! Aber ich meine doch das Foto!«
»Hab ich in den Müll geworfen!«
Wieder lustig und traurig
Die Topflappen lässt sie auf den Stuhl fallen, kommt um den Tisch und legt die vom Fisch warmen Hände auf Benedikts Hinterkopf, der fast keine Haare mehr hat. Ein Schauer rieselt seinen Rücken hinab. Die Schultern zucken, ohne dass er etwas dagegen tun kann.
»Ich weiß, dass du ihn geliebt hast. Dass er der Größte für dich war. Hat allen Prügel angedroht, die dir blöd kamen. Und dass er viel zu früh gestorben ist. Naja, für dich viel zu früh.«
Du hast jetzt gerade soviel weggenommen, dass dieser Missbrauchsverdacht nicht mehr besteht, aber ich bin froh, dass du die "vom Fisch warmen Hände" dringelassen hast. Immer noch ein Schaudern über dieses Mutter-Sohn-Verhältnis.
»Aber für mich war es nicht wie für dich. Ich hatte den Rest von dir. Deine Hausaufgaben, deine Elternabende, dein Sitzenbleiben, meine Arbeit, unser Essen kochen. Und immer nur hinter ihm her telefonieren. Bring Geld, versauf es nicht, verzock es nicht. Weihnachten immer nur wir beide … stimmt es nicht?«
Das ist schon echt bitter, wie unverblümt sie ihm hier rüberreicht, was für eine Belastung er war, also Benedikt. Der Vater natürlich auch.
»Für dich war er ein Held. Aber Kinder brauchen nicht nur Helden.« Sie tritt an Benedikts Seite und dreht mit zwei Fingern seinen Kopf hoch. Sieht ihn fest an. »Sie brauchen auch Väter, die da sind, wenn es mal scheiße läuft.«
Das verstehe ich nicht so ganz, denn gerade, wenn der Vater ihn vor den anderen Kindern geschützt hat, war er doch da, wenn es besonders scheiße gelaufen ist. Ich versteh das so, dass er im Alltag alles der Mutter überlassen hat.
»Schmeckt wie Scheiße«, sagt sie und schaut auf die Kartoffeln.
»Ich hab noch zwei Dosen Leipziger Allerlei dabei, Mama. Mit Salz und weißem Pfeffer ist das ein tolles Essen. Habe ich heute Morgen noch bei Netto gekauft.«
Ein paar Mal muss Benedikt atmen, dann sieht er sie nicken.
»Okay, mach du sie auf, kipp die Kartoffeln in die Spüle und in den Topf dein Leipziger. Ich mach mich mal frisch.«
Toll gelöst.
Er weiß, was Mutter tut. Sieht sie ins Bad gehen, die Tür fällt ins Schloss, der Schlüssel wird gedreht. Leise schleicht er hinterher, legt das Ohr an die Tür. Mama weint. Er spürt seinen Klumpen in der Brust. Wie er weich wird. Aufsteigt. Dann weint auch er, sinkt auf den abgewetzten Teppich. Gesaugt hat Mutter nicht, denkt er und schnieft.
Die Szene ist jetzt weg. (Ich hatte das gestern Abend schon rauskopiert) und ich finde das gut, dass das weg ist. Das war für mich emotional zu viel hin und her, nochmal den Ausschlag in diese Richtung.
Das Foto! In einem neuen Rahmen! Ein blauer Rahmen. Papa lächelt irgendwohin, nicht in die Kamera. Er steht mit Benedikt auf einem Steg und Mama sitzt im Ruderboot. Es ist nicht auf dem Müll gelandet. Mama hat extra einen neuen Rahmen gekauft! Benedikt muss sich setzen, hält das Bild so, dass Papa nun ihn anschaut. Er grinst ihn an. Und was für ein schönes Blau. Benedikt dreht das Foto um. Da steht etwas. 1998 an der Biggetalsperre.
Ja, diese Hintergrundgeschichte, dass sie es schwer hatte, mit dem Mann, dass Benedikt sich aber auch an den guten Vater erinnert. Sie löst sich hier nochmal (schrägerweise vermutlich ausgelöst durch die "Pimmelstory") und überlässt Benedikt eine schöne Erinnerung, die ihn mit dem Vater verbindet.
»Das ist ein Schlong«, sagt er und schaut daran vorbei in Mutters Augen. »Alles Gute zu Weihnachten, Mama.«
Und das ist sehr komisch.
»Ich habe gedacht, weil du das mit dem Pimmel gesehen hast und doch immer so alleine bist, könnte …« Er schluckt zwei Mal trocken. »Also, könnte … hab ich also gedacht …«
»Ja, schon gut. Brich dir keinen ab dabei. Du dachtest, ich hätte es mal wieder nötig, was?«
»Hast du nicht?«
Sie wartet mit der Antwort und atmet tief ein und aus.
»Doch, irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.«
Das ist so drüber, das letzte, was ein Sohn mit der Mutter besprechen sollte, aber sie hat ja angefangen.
»Nee, keine Ahnung.«
Sie lacht. Benedikt stutzt, dann muss er ebenfalls lachen. Der Schlong fällt aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.
Ein bizarres Bild, mit dem du uns hier entlässt. Passt gut.

Also mir hat es sehr gut gefallen und ich wünsche dir gute Besserung, lieber Morphin, dass du schnell da durchkommst, mit Lindenblütentee und Musik.;)

Liebe Grüße von Chutney

 

Moin @Morphin

meinerseits auch gute Besserung!

Originell, wie Du die Challenge "Weiße Weihnachten war gestern" verpackt hast :thumbsup:.Es liest sich so, als hättest du jedes Wort sorgfältig ausgewählt, es seinen Beitrag zum Gesamtbild leistet und sich zwischen den Zeilen eine Hintergrundgeschichte verbirgt. Nur schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass Teile fehlen. Als würde ein großes Fragezeichen im Raum stehen. Und leider schälte sich bei mir der schon angesprochene Missbrauch hervor, obwohl ich nur die aktualisierte Version kenne. Nicht dominierend, aber unterschwellig.

Nun zu meinen subjektiven Punkten

Zufrieden nimmt er Platz auf dem Plastikstuhl, greift den Kugelschreiber und zieht das Rätselheft zu sich. Ehefrau von Tristan mit sechs Buchstaben. »Wer ist Tristan?«, will er von der Küche wissen. Niemand da, der das beantworten kann. Auf dem Kalender findet er das Wort nicht. Benedikt sieht auf die Jahreszahl. 1998 steht in schwarzen Lettern oben drüber. Rein geistig vorhanden, auch mit sechs Buchstaben. »Rein geistig vorhanden … was soll denn das sein?«

- Übertragen sich verschiedene Aspekte der Erzählung Tristan und Isolde auf Deine Geschichte?
- Im Verlauf der Geschichte nehme ich es nicht ab, dass Benedikt Rätsel löst. Wieso sollte die Lösung auf dem Kalender zu finden sein? Wirkt gezwungen, um das Jahr 1998 einzuführen. Achtung, ich dachte zuerst es spielte im Jahr 1998. Die Auflösung kam ja erst bisschen später. Hätte es gleich beim ersten Mal erwähnt, nicht nur wegen der potenziellen Verwirrung, sondern weil es vorweg ein Problem andeutet.

Benedikt setzt ab, schaut auf den Apparat gleich neben dem Rätselheft. Abheben oder nicht? Er greift zum Hörer.

Ob es heute überhaupt noch Telefonhörer gibt? Aber mir gefällt es. Lässt die Gedanken kreisen, was es zu bedeuten hat. Ist 1998 etwas vorgefallen, hat sein Leben sozusagen dort geendet? Die Geschichte verrät es uns nicht wirklich, oder vielleicht sind es meine Tomaten auf den Augen. Da fehlt etwas. Die ganze Schwanz, Pimmel, Schlong Handlungen sind Auswirkungen von 1998, nur die Ursache hält sich versteckt.

Interessant, dass Du zwischen Mama und Mutter manchmal wechselst...

Um zum Schlusssatz...

Sie lacht. Benedikt stutzt, dann muss er ebenfalls lachen. Der Schlong rutscht aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.
... ich grüble noch, wie ich diesen in den Kontext der Geschichte interpretieren soll. Du siehst, es lässt mich nicht los. Vielleicht jage ich aber auch einem Geist nach 😆. Zeit für Wochenende.

Gerne gelesen und werde ich nochmals lesen.

Beste Grüße
Kroko

 

Morgen @Woltochinon,

besten Dank fürs Lesen und Kommentieren.

aber ich kann die dahinter liegende Ikonographie nicht entschlüsseln.
Das liegt wohl daran, dass da nichts ist. Es ist nicht mehr als Kamera an - Kamera aus. Sich umgedreht, zwei oder drei Menschen angeschaut, die zufällig zusammenkamen, zugehört, zugesehen und weitergezogen. Die vielen Flüsse des Lebens mit ihren Nebenarmen. Was bleibt? Vielleicht die Einsicht: Gut, dass es sie gibt. Ansonsten wäre das Leben irgendwie öde.

Beste Grüße

Servus @Chutney,

uff, da haste aber viel zitiert. Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Ich kann nicht schlafen. Widme ich mich den Kommentaren. Der Auslöser für diese Geschichte ist ja der erfrorene Dingens. Mich wunderte, dass meine Mutter wegen so was um die Mittagszeit anruft. Dass so was in den Nachrichten kommt. Und was sind das überhaupt für Nachrichten, die so was bringen? Und wieso guckt meine Mutter so einen Dreck? Das hat mich nicht mehr losgelassen. Ich musste den Rest nur noch auffüllen mit schrägen Leuten aus schräger Bundespostzeit. Es sollte keine allzu schwere Sache werden. Im Schrägen steckt meist eine gewisse Tragik, aber wenn die Menschen es verkraften, kann sie bleiben, wo der Pfeffer wächst. Für mich sollte es einfach ne kurzweilige Geschichte werden.

Liebe Grüße

Guten Morgen @Kroko,

besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Puh, viel zu viel versucht, herauszulesen. Nicht überall, wo Geschichte draufsteht ist auch Komplexität drin. Manchmal entdecken Leser*innen komplexere Teile dahinter, aber trotz dass es sie gibt, gerade in der Tragikomik, sind sie nicht die Ursache für eine Jahreszahl oder einen Schlong.

meinerseits auch gute Besserung!
Danke. Mit Geduld wird das.

Es liest sich so, als hättest du jedes Wort sorgfältig ausgewählt
Nein, gar nicht. Das ganze Dingen hab ich in knapp zwei Stunden runtergetippt.

eine Hintergrundgeschichte verbirgt
Sobald Charaktere einen Text betreten, gibt es automatisch Hintergrund. Der ist aber nicht immer wichtig.

Übertragen sich verschiedene Aspekte der Erzählung Tristan und Isolde auf Deine Geschichte?
Nein. Ich hatte morgens mein Rätselheft durchgeackert und da begegneten mir die beiden Rätselfragen. Und als ich letztens beim Doc war, saß neben mir jemand, der im Rätselheft genau dieselben Fragen hatte und starr auf den Kalender gegenüber guckte, als würde er da die Lösung finden.

Im Verlauf der Geschichte nehme ich es nicht ab, dass Benedikt Rätsel löst. Wieso sollte die Lösung auf dem Kalender zu finden sein?
Mein inzwischen toter Nachbar kaufte sich Rätselhefte und schaffte nicht mal 10% davon zu lösen. Aber es machte ihm Spaß. Wie oft sitzen wir vor etwas, heben den Blick, der bleibt an etwas haften und wir denken über eine Lösung nach. Klar steht die Lösung nicht auf dem Kalender. Das ist ein Stilmittel, eine Überleitung zu einer Ablenkung, wie der Jahreszahl.

Ob es heute überhaupt noch Telefonhörer gibt?
Gibt es. Du hast jetzt grad an Wählscheibentelefon gedacht? Nee, aber meiner Mom habe ich auch eins mit Hörer gekauft, großen Ziffern. Hat sie gerne.

Die ganze Schwanz, Pimmel, Schlong Handlungen sind Auswirkungen von 1998, nur die Ursache hält sich versteckt.
Nee, der Pimmel ist nur ne Meldung in den Nachrichten. Und Mutter ist einsam. Und manchmal kommt man auf schräge Ideen. Mehr ist es nicht.

wie ich diesen in den Kontext der Geschichte interpretieren soll.
Viel zu viel Interpretation. Drei Charaktere erleben etwas, das aus einer Nachrichtenmeldung geboren wird. Zwei Tage später wird es schon wieder vergessen sein. Eine tragikomische Momentaufnahme ohne viel Anspruch. In gewisser Weise banal. Banales Leben. Warum die Menschen in diesen Momenten so sind wie sie sind, ist nebensächlich.

Samstägliche Grüße an alle
Morphin

 

Moin @Morphin,

danke für Deine Erläuterungen und wie die Geschichte entstand, immer wieder spannend :)! Ja, da suchte ich komplett am falschen Ende einen Geist. Den lasse ich nun ruhen und genieße deine Geschichte :).

wünsche einen schönen Samstag, beste Grüße
Kroko

 

Hey @Morphin,

Das war ja mal eine interessante Geschichte. Irgendwie war es mir fast schon unangenehm, diese KG zu lesen, nicht weil sie schlecht geschrieben wurde, oder nicht spannend war, sondern des Inhaltes wegen. Du schreibst hier über Tabu-Themen, wie z.B. Sexspielzeuge, worüber die meisten Menschen eher schweigen würden; du gehst aber mutig voran und nimmst dabei kein Blatt vor den Mund. Gegen Ende habe ich mich an die KG gewöhnt und konnte mich damit anfreunden.
Die Mutter-Sohn Beziehung bleibt mir jedoch weiterhin suspekt und ich hoffe ehrlich, dass niemand auf die Idee kommt seiner Mutter ein solches Weihnachtsgeschenk zu machen :lol:
Ich musste an einigen Stellen schmunzeln, was das Leseerlebnis verbessert hat.
Wenn ich so darüber nachdenke, hast du eine sehr intelligente Methode gefunden den Leser am Lesen zu halten; das doch an einigen Stellen unangenehme Thema gemischt mit der Komik hat mich in den Bann gezogen.

Ochsenschwanzsuppe von Netto. Die Beste. Deckel abgezogen, ins Wasserbad und Platte an. Aber immer drei flache Kiesel unter die Blechdose, von wegen der Hitze. Und die Banderole rausfischen, damit sie nicht am Topf klebt. Benedikt gibt einen Teelöffel Salz und einen mit weißem Pfeffer dazu, rührt langsam um, damit nichts rausschwappt.
Der Anfang war detailliert, was den "Kochprozess" der Suppe angeht, was einem durchaus die Situation vor Augen führt und einen Eindruck über die Lebensumstände des Protagonisten verschafft. Gestolpert bin ich allerdings über die markierte Satzstelle. Das wirkt auf mich sehr Umgangssprachlich, was, wenn es über die gesamte KG durchgezogen wird, ein eigener Stil ist, jedoch etwas schief wirkt.
Er steht auf und rührt einige Male vorsichtig um, schleckt den Holzlöffel ab und ist zufrieden. Schön salzig und angenehm scharf. Aus dem Kühlschrank holt er eine Flasche Öttinger, schlägt den Kronkorken an der Tischkante ab und setzt den Flaschenhals an.
Das ist ja wirklich ein Festessen:lol:
ES entsteht aber eine ganz gute eigene Stimmung, die ich nicht ganz zuordnen kann.
»Ja?«
»Ich bin’s!«
»Mama … ich will gleich essen. Was ist denn?«
»Hast du schon die Nachrichten gesehen?«
»Wo?«
»Na, im Fernsehen!«
»Ich guck keine Nachrichten, weißte doch.«
»Sollteste aber. Kann man was lernen.«
»Also die Suppe …«
»Da hat sich einer den Pimmel abgefroren! Stell dir vor!«
Benedikt schweigt und weiß nicht, ob seine Mutter gerade Pimmel gesagt hat.
»Bist du noch dran?«
»Ja, die Suppe fängt an zu dampfen …«
»Vergiss die Suppe! Hast du schon mal gehört, dass sich irgendwo irgendein Kerl den Pimmel abgefroren hat?!«
Der Dialog ist gut gelungen; vielleicht hier und da etwas zu kurz, also abgehackt.
Die Stelle mit dem "Pimmel" hat mich beim ersten mal Lesen sehr überrascht und ich hatte erstmal das Gefühl, dass es hier nicht hingehört, irgendwie fehl am Platz war. Ein sehr eigenartiges Thema, das die Mutter hier anspricht; redet man wirklich mit seinem Sohn über solche Dinge. Im Hinblick auf die weitere Geschichte jedoch eine sehr direkte Einleitung in die Beziehung der beiden.
»Nee, in Finnland. Ein Schwede. So‘n Skiläufer. Stellt sich neben die Piste, holt ihn raus, pinkelt ganz gemütlich, fährt weiter und zack! Der Pimmel läuft blau an und tut ihm weh. Jetzt muss er ab.«
Kauf ich ihr irgendwie nicht ab, klingt als würde sie sich etwas einfallen lassen, um ein Gesprächsthema zu haben.
»Mama, was guckst du für Zeug? Du sollst nicht so viel vor der Glotze sitzen.«
Ein realistischer Umgang mit dem gesagten. Macht die Situation wieder glaubwürdiger.
»Jetzt nicht mehr. Nun weiß ich ja, dass Pimmel abfrieren können. Da hab ich genug zum nachdenken. Ich stelle mir vor, dass meinem Alten der Pimmel abgefroren wäre …«
Spätestens hier merkt man, dass die Mutter einen sehr eigenen Charakter hat. Sie wirkt etwas "speziell".
Bis 24 Uhr geöffnet, denkt er. Aber warum nicht bis 0 Uhr? Weil 24 Uhr früher ist? Aber wenn ich um 24 Uhr schließe, dann schließe ich auch um 0 Uhr zu.
Interessanter Gedankengang hat er da. Ich denke jedoch, dass man diese Stelle hätte streichen können.
Hastig öffnet er den Reißverschluss. Keiner da.
Was für einen Reißverschluss? Ich dachte erst, er öffnet seine Hose. Der nächste Satz verstärkte meinen Gedanken noch.
Die Alte hebt einen Unterarm, beugt den Mittelfinger mehrmals.
Macht man diese Geste nicht mit dem Zeigefinger?
Nur vier Meter oder vielleicht fünf, denkt Benedikt und ihm ist immer noch heiß.
Ich habe nicht so ganz verstanden, woran er dachte; die Entfernung zur Frau?
Schritt für Schritt, mit beiden Händen Figuren formend, geht er zur Theke. »Also, so‘n Ding. Ich meine, so …« Er misst mit den Handflächen einen Abstand. »So‘n Ding, so groß etwa.«
»Aha«, sagt die Alte ohne eine Miene zu verziehen. »Für dich?«
»Für mich?«
Ihre Augenbrauen wandern in die Stirn. Mit der flachen Hand schlägt sie auf ihre rechte Pobacke. »Ja, für dich. Für hier!« Es klatscht laut. Ein paar Mal landen alle fünf Finger auf der engen Hose. Sie grinst. »Weißte schon, du hast ja nur einen Eingang da hinten. Ich empfehle am Anfang was kleines.«
Benedikt schluckt und spürt starke Schmerzen im Unterleib. Fäuste packen zu, ziehen und reißen. Nur raus!, denkt er, aber …
»Für Mutti«, sagt er dann. Die Augenbrauen der Alten bleiben oben. Mit beiden Händen stützt sie sich auf die Theke. Links steht Gleitcreme im Blister und rechts Liebeskugeln im Angebot. Drei unterschiedliche Durchmesser an langem Gummiband für SIE und IHN.
Diese Stelle ist dir sehr gut gelungen. Ich kaufe dir hier jeden Satz ab und musste die komplette Szene schmunzeln. War jedoch schockiert, dass er es für seine Mutter kaufen will.
Mit einem Griff fördert die Alte aus einer Schublade einen Zollstock ans Tageslicht, klappt zwei Glieder aus und misst.
Ist vielleicht etwas drüber, zu genau. Ich denke eine grobe Größen Einordnung hätte es auch getan, da muss man nicht unbedingt nachmessen, gerade wenn er die Größe nach Augenmaß vorgibt.
»Dat sind 30 Zentimeter, Junge. Biste sicher?«
»Ich denk schon.«
»Du musst dat wissen. Aus welchem Material soll der Schlong sein?«
»Wie?«
Sie seufzt. »Warte kurz.« Sie verschwindet durch einen Vorhang. Es raschelt, Kartons oder Papier, ein Fluch, dann Geräusche, die er nicht einordnen kann. Tief durchatmen, Benedikt! Niemand sonst im Laden. Dafür ist er mehr als dankbar. Sie kommt zurück, ein Holztablett voller … Dinger.
»So, Schätzeken! Dann pass mal auf.« Das Tablett landet unsanft auf der Theke. Sie beginnt links. »25 Zentimeter, Kautschuk, Vorsicht bei Kautschuk-Allergie. Sehr beweglich, aber nach meinem Geschmack gibt er zu viel nach.«
»Aha«, sagt Benedikt und starrt auf das wackelnde Etwas. Die Alte schwenkt die Faust hin und her und die Spitze des Dings schlägt fast bis an ihre Handoberfläche. Sie legt ihn weg, packt den nächsten.
»Weißes Glas. Verschaffste dir ne weiße Weihnacht. Schneien tut et ja nich mehr. Auf dat Dingen stehen viele, aber für den Hintereingang zu hart.«
»Glas? Kann das nicht abbrechen?«
»Nee, dat is geprüft. Brief und Siegel, dat da nix abbricht.«
»Ich weiß nicht, ob Mama Glas gefällt …«
Auch sehr gut. Ich finde auch, dass du die Frau im Dialog gut dargestellt hast. Sie wirkt echt und auf eine spezielle Weise sogar sympathisch.
Die Alte summt ein Lied und schiebt alle anderen Dinger auf die Seite.
Ein anderer Satz würde diese Szene besser abschließen. Vielleicht so etwas wie: Die alte nahm das Geld und zwinkerte ihm zu. Natürlich in deiner eigenen Art, aber ich denke du kannst erahnen, worauf ich hinaus will; da fehlt der Abschluss, um die Szene abzurunden.
Sie nickt wohlwollend. Mit einem Auge auf dem mit hellblauem Papier umwickelten Geschenk.
»Du hast deiner Mutti wirklich ein großes Geschenk mitgebracht, wat?«
Das war im Hinblick auf die vorherige Szene echt witzig.
»Unter der Erde«, kommt es aus der Küche. Die Backofentür quietscht. »Weißte doch, oder etwa nicht?«
»Doch, doch! Aber ich meine doch das Foto!«
»Hab ich in den Müll geworfen!«
Wieder wird die spezielle Art der Mutter hervorgehoben, was sie als eigenen Charakter gut zeichnet. Finde es auch gut, dass du das typische "Mutter-Klischee" nicht erfüllst.
Sie kommt zurück, eine ovale Auflaufform in den Händen, darin etwas, das mal ein Karpfen gewesen ist.
Jetzt weiß ich auch, warum er zwei Dosensuppen mitgenommen hat. Dachte erst, er mag einfach keinen Karpfen.
Dann aber dreht sie sich und hat ebenfalls ein Geschenk in der Hand. Braunes Packpapier. An den Ecken zerknittert.
Ist auch sehr gegensätzlich zu dem, was man bei einem Geschenk der eigenen Mutter erwarten würde. Finde ich gut, ist mal was anderes.
Mit einem Ruck reißt er es auf. Das Foto! In einem neuen Rahmen! Ein blauer Rahmen. Papa lächelt irgendwohin, nicht in die Kamera. Er steht mit Benedikt auf einem Steg und Mama sitzt im Ruderboot. Es ist nicht auf dem Müll gelandet.
Das hat mich beruhigt. Im Hinblick auf das Geschenk des Sohnes, dachte ich schon, da befindet sich sonst was unter dem braunen Geschenkpapier. Gut gelöst. Erst die Mutter als "Anti-Mutter" darzustellen, bis man merkt , dass sie es doch gut mit ihrem Sohn meint.
»Was ist denn das?!«
Was ist was? Benedikt hört die Stimme weit entfernt.
»Benedikt? Hallo?«
Er nimmt die Augen von Papas Gesicht. Direkt vor der Nase wackelt das Ding. Die ganzen 30 Zentimeter.
»Das ist ein Schlong«, sagt er und schaut daran vorbei in Mutters Augen. »Alles Gute zu Weihnachten, Mama.«
»Alles Gute sagt man zum Geburtstag. Frohe Weihnachten, mein Sohn.«
»Danke. Frohe Weihnachten, Mama.«
Sie mustert den Schlong von der Spitze bis zum dicken Ende.
»Was hast du dir dabei gedacht?«
Sehr skurril und gleichzeitig sehr witzig. :lol:
»Ja, schon gut. Brich dir keinen ab dabei. Du dachtest, ich hätte es mal wieder nötig, was?«
»Hast du nicht?«
Sie wartet mit der Antwort und atmet tief ein und aus.
»Doch, irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.«
»Aber?«
»Nix aber, mein Junge.« Sie wackelt mit dem Schlong hin und her. »Ganz schön groß.«
Benedikt stockt der Atem.
»Zu groß?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ach was, ich bin 65. Da verträgt man schon einiges, weißte?«
»Ähm …«
Sie lacht. Benedikt stutzt, dann muss er ebenfalls lachen. Der Schlong rutscht aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.
Am Ende musste ich das gelesene erst einmal verarbeiten. Ich kann mir irgendwie eine solche Mutter-Sohn Dynamik nicht vorstellen, aber schlecht war die KG deswegen nicht.

Mein Fazit: Ein wirkliches Abenteuer hast du dem Leser da verschafft, nicht weil es eine schlechte KG war, sondern weil der Inhalt gewöhnungsbedürftig ist. Sie war an einigen Stellen witzig. Mutter-Sohn Dynamik ist speziell, aber mal was anderes. Du nimmst kein Blatt vor den Mund, was man können muss. Es war flüssig geschrieben, sodass man bis auf wenige Stellen ein gutes Leseerlebnis hatte. Die Stellen in denen er nachdenkt sind noch ausbaufähig. Die Dialoge sind dir gut gelungen.

Gerne gelesen

Liebe Grüße
AngeloS.

 

Nabend @AngeloS.,

besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Zuallererst kann ich dich beruhigen. Das sind zwar über die Jahre gesammelte Erfahrungen mit Menschen, aber sie stammen aus dem echten Leben. Das mit dem Pimmel war übrigens vor paar Tagen in den Nachrichten. Ein Biathlet. Und der Anruf einer Mutter mit genau diesem Thema ist auch verbrieft. Also alles hart an der Realität. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Drei flache Kiesel unter die Blechdose, wegen der Hitze.
So heißt es jetzt.

Ein sehr eigenartiges Thema, das die Mutter hier anspricht; redet man wirklich mit seinem Sohn über solche Dinge.
Tut man.

Kauf ich ihr irgendwie nicht ab, klingt als würde sie sich etwas einfallen lassen, um ein Gesprächsthema zu haben.
Ist verifiziert. :D

Was für einen Reißverschluss?
Der Jacke. Ihm ist ja heiß. Draußen Weihnachten. Aber jetzt steht da Jacke.

Macht man diese Geste nicht mit dem Zeigefinger?
Die Geste mit dem Mittelfinger kenne ich schon Jahrzehnte.

Ich habe nicht so ganz verstanden, woran er dachte; die Entfernung zur Frau?
Die Angstentfernung. So viele Meter Angst und Hemmung gilt es zu überwinden.

Ist vielleicht etwas drüber, zu genau.
Man muss sich vom Leben überraschen lassen. Da gibt es weitaus Skurrileres.

Zum Nachdenken von Benedikt ... er denkt gar nicht so viel nach. Er hat Impulse. Kleine Wetterleuchten am geistigen Horizont. Wenn man wenig bis keine Erfahrung mit dem Denken hat, kombinieren sich diese Wetterleuchten zu - in den Augen anderer - skurrilen Ergebnissen. Man vermutet einen Spinner. Dabei ist es nur das Ergebnis von wenig Erfahrung im Denkprozess, in der Kombination, im Kontext. Das Denken bleibt immer unvollständig mit temporärer Logik.

Aber so tief muss das gar nicht sein. Wichtig ist: es gibt diese Menschen und sie müssen mit ihrem Leben zurechtkommen.

Beste Grüße
Morphin

 

Hallo Morphin,

danke für die Erklärung, dann muss ich wenigstens nicht an meinen Interpretationsversuchen verzweifeln. Kroko hatte wohl auch einen Interpretationswunsch verspürt.

Ich lese andere Kommentare erst nachdem ich kommentiert habe. Deshalb wusste ich nicht, dass du krank bist.

Wünsche dir natürlich schnelle Gesundheit, einen guten Schlaf, damit du dich regenerierst und bald wieder so fit bist: :bounce:

Liebe Grüße,

Woltochinon

 

@Woltochinon @AngeloS. @Kroko @Chutney @lakita @Fliege @Seth Gecko

Moin und danke für Genesungswünsche. Da meine Frau vorhin in die Küche kam, die ausgedruckte KG auf den Tisch legte und Witzig! sagte, dachte ich, mit dem Wort ist es für mich auf den Punkt gebracht. Ein skurriler Anruf meiner Mom (Pimmel), paar Zutaten aus meiner Postlerzeit, und fertig ist der Text. Wobei mir egal ist, ob ich 2 Stunden dran schreibe oder 2 Tage. Ich hatte einfach Spaß daran. Mal an was ganz anderes denken. Und wenn sich Leser*innen gut unterhalten fühlen, nen Kaffee dabei trinken, dann ist das ja auch schon ein bisschen wie Weihnachten aus meiner Sicht sein könnte/sollte: Stress weglegen, was lesen, im besten Falle amüsiert sein. Oder denken: Na so was ... gibt's doch gar nicht, komische Geschichte ...

Jedenfalls wünsche ich allen genau das: Ruhige Stunden ohne den momentan sehr hohen Stresslevel der Welt.

🖖
Morphin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo .. nun kam ich auch noch dazu, deinen Beitrag zu lesen.
Vorab: Solch Texte wie du sie schreibst -- gehören nicht zu dem was ich normalerweise lese.
Der hier ist allerdings schon an den Rand gerutscht.
Glücklicherweise kenne ich schon dein Statement zur Interpretation (damit sind wir mit dem Missbrauch-Thema durch); da hätt nämlich einiges nicht gepasst (ich hab jahrelang beruflich mit dem Thema zu tun gehabt).

Also, was kann ich jetzt beitragen? Dein Stil .. gefällt mir. Das ist sehr gekonnt. Bilder, Dialoge, Handlung wie ausgestanzt und nahezu balastfrei. Wie sagt man beim Bildhauern? Alles wegmeißeln, was nicht dazu gehört und was übrig bleibt ist die Gestalt.

Inhaltlich frag ich mich stets, warum jemand etwas Bestimmtes schreibt. Nun, du hast es offenbart, es war ein reales Ereignis. Greif ich noch später auf.

»Da hat sich einer den Pimmel abgefroren! Stell dir vor!«
Benedikt schweigt und weiß nicht, ob seine Mutter gerade Pimmel gesagt hat.
Denn hier hätt ich gesagt: Boah, wie unwahrscheinlich ist das denn! Warum sollte sie damit das Gespräch beginnen, gibt es da nichts anderes? Und: Warum tut sie es? Denn: Für ihn scheint das ja gleichermaßen überraschend zu kommen, sondern würde er ja nicht dran zweifeln, es gehört zu haben.

»Nee, aber is ja klar. Wenn was abstirbt, muss es weg. Sonst fault das ja.«
Natürlich, jetzt sucht man spätestens nach Begriffen aus der Tiefenpsychologie. Schließlich passiert nix zufällig.

»Ach nee! Was soll ich den ganzen Tag machen? Du kommst ja nicht vorbei und besuchst deine alte Mutter.«
Das mit 'die alte Mama besuchen' ist natürlich ein Klischee. Und sonderbar ist ja, dass der Besuch für den nächsten Tag schon feststeht. Worum könnt es also gehen?


»Jetzt nicht mehr. Nun weiß ich ja, dass Pimmel abfrieren können. Da hab ich genug zum nachdenken. Ich stelle mir vor, dass meinem Alten der Pimmel abgefroren wäre …«
»Mama!«
Wie sagt Buddha: "Nichts ist und hat keinen Grund"?


Bis 24 Uhr geöffnet, denkt er. Aber warum nicht bis 0 Uhr? Weil 24 Uhr früher ist? Aber wenn ich um 24 Uhr schließe, dann schließe ich auch um 0 Uhr zu. Natürlich.
Ja genau. Das erinnert mich an eine Sequenz, die ich bei P.K. Dick las; da waren die Protagonisten allerdings auf Droge, als sie ihre 'Überlegungen' austauschten.
Warum steht das ergo da?

Sie seufzt. »Warte kurz.« Sie verschwindet durch einen Vorhang. Es raschelt, Kartons oder Papier, ein Fluch, dann Geräusche, die er nicht einordnen kann. Tief durchatmen, Benedikt! Niemand sonst im Laden. Dafür ist er mehr als dankbar. Sie kommt zurück, ein Holztablett voller … Dinger.
»So, Schätzeken! Dann pass mal auf.« Das Tablett landet unsanft auf der Theke. Sie beginnt links. »25 Zentimeter, Kautschuk, Vorsicht bei Kautschuk-Allergie. Sehr beweglich, aber nach meinem Geschmack gibt er zu viel nach.«
»Aha«, sagt Benedikt und starrt auf das wackelnde Etwas. Die Alte schwenkt die Faust hin und her und die Spitze des Dings schlägt fast bis an ihre Handoberfläche. Sie legt ihn weg, packt den nächsten.
Ein Tante Emma-Laden für Sexspielzeug mit Beratung durch eine Frau? die Dildos vorführt. Ich hab mich natürlich gefragt, ob ich das für möglich halten sollte, du sagst ja aber, dass es eben nichts gibt, was es nicht geben kann (den Satz hab ich auch in einer Story verwendet).
Immerhin: kein Elefant, der in der Ecke leise Trompete spielt.
Das ist unbedingt was für eine Verfilmung -- so ne Art Bunuel schwebt mir vor ;)
Die Szene im Sexshop ist sehr geeignet, aber auch das Weitere.

Benedikt neigt den Kopf nach vorne. Ein schwerer Stein in der Brust macht ihm zu schaffen. Wie soll er ihn rauslassen?
Da merk ich mal was sprachlich an: 'Rauslassen' kommt mir seltsam vor als Lösungsgedanke. Ich mach auf und sag: "Jetzt komm raus!"
Da wär naheliegender: loswerden oder so was. oder rauskriegen. oder auflösen.
?
Was passiert, wenn man einen Stein rauslässt?


Sie lacht. Benedikt stutzt, dann muss er ebenfalls lachen. Der Schlong rutscht aus Mutters Hand auf den Teppich, wackelt einige Sekunden und bleibt dann wie tot liegen.
Jo, ein stimmiges Ende. Schön hingeworfen -- wie den Dildo. Fast wär ich geneigt, dir zu empfehlen, das 'wie' zu streichen. ... und bleibt dann tot liegen. Aber das weiß man ja.

Dass dein Prot. erst in diesem Jahr erfährt, dass Mama den Papa jetzt nicht so prima fand, halte ich für ein Gerücht, aber bestimmte Dinge, die wird man auch nicht los, wenn man sie oft genug wiederholt, und insofern werden die beiden da vielleicht nicht das erste Mal drüber gesprochen haben. Allerdings würde ich (!) das auch in den Text schreiben.
Ja, den Gedanken hatte ich allerdings auch. So frei raus wie die Mutter alles rausposaunt (der Elefant mit der Trompete) was sich grad in ihr materialisiert, ist es kaum vorstellbar, sie könne vorher zurückhaltender gewesen sein. Es ist absolut abstrus, dass der Sohn davon überrascht wird und dennoch in stundenschnelle zum Entschluss kommt, in den Sexshop zu fahren, um 'seiner Alten Mami' etwas zu besorgen, womit sie sich's mal wieder besorgen kann.
Das ist nun seine Interpretation?


Der Auslöser für diese Geschichte ist ja der erfrorene Dingens. Mich wunderte, dass meine Mutter wegen so was um die Mittagszeit anruft. Dass so was in den Nachrichten kommt. Und was sind das überhaupt für Nachrichten, die so was bringen? Und wieso guckt meine Mutter so einen Dreck? Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Naja, wenn man Dreck im Fernsehen sucht, das ist jetzt nicht die schwierigste Aufgabenstellung von allen. Psychologen unterscheiden natürlich Grund und Anlass.
Aber Fernsehen hilft so wohl auf zweierlei Weise gegen das Gefühl von Einsamkeit; erstens quatscht einer und zweitens kann man die sinnlosesten Sachen weitererzählen.
Das hätt' man vielleicht noch ausbauen können. Sind die Rätselfragen nicht durch Fernsehkenntnisse zu lösen? Wie viele Brustvergrößerungsoperationen hatte Prinz Edward zwischen 2008 und 2012?


Das ist alles in allem die verdammt skurrilste Weihnachtsgeschichte, die ich je gehört habe; da kommt nichts hin sonst, was ich kenne. Jetzt verstehe ich auch, warum du deinen Kamin zugemauert hast :) Die Figuren sind gleichfalls wie aus einer absurden Kömödie. Unter dem Ganzen (psychologisch!- weil nach Motiven forschend) liegt da jede Menge Stoff. Allein ihre steten kleinen Gewalttätigkeiten sind beachtlich. Ich bin gespannt, was da noch an Feedback kommen wird :)

Gruß von Flac + Gute Besserung auch von mir gewünscht!

 

Nabend @FlicFlac,

besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Hier mal die Nachricht. Ich war selbst überrascht über Anruf und direkten Einstieg ins Abgefroren-Thema. Aber ich habe festgestellt, dass sich meine Mutter mit dem Älterwerden verändert (mal sehen, ob mir das auch passiert).

Das war ja kein Tante-Emma-Laden, es war eine der vielen Orion- bzw. Beate-Uhse-Filialen die es früher zuhauf gab. Einen davon hatte ich in meinem Zustellbezirk. Den Rest musste ich ja nur noch zusammenkratzen aus der Zustellerzeit. Aber, wie gesagt, keine tieferen Gedanken leiteten mich, einfach der Spaß am Schreiben mit dem Aufhänger der Nachricht. Rauslassen kann ich noch ändern. Wirkliches Sprachgenie ist Benedikt ja nicht.

Das ist nun seine Interpretation?
Er interpretiert nicht. Interpretieren bedeutet auch abwägen, Für und Wider, abarbeiten an Erfahrungen, Analogien ziehen. Alles viel zu hoch. Er ist Impuls. Erster Gedanke ist der Treffer. Kombiniert mit Scham. Ein einfaches Kerlchen. Aber lieb. Mutters forsche Art ist schlicht das Antrainieren von zynischen Verhaltensmustern aufgrund nicht ganz geradlinig verlaufender Lebensbahnen. Die einen trinken, die anderen stumpfen ab, die nächsten werden zynisch oder ziehen alles ins Lächerliche. Die nehme ich so, wie sie sind. Menschen halt. Wenn sie wollen, können sie es mir erzählen. Wenn nicht, auch okay. Davon hatte ich ne Menge als Zusteller. Natürlich haben sie ihre Geschichte(n) und die treffen auf die Persönlichkeitsmuster. Umwelt trifft Anlage, aber mit dem Ergebnis muss man leben - sofern es sich in den üblichen, geduldeten und gesetzlichen Rahmen bewegt.

Ich sehe, der Text verlockt irgendwie zu graben. Ich meinerseits kann da nicht liefern wo ich nix eingebaut habe oder einbauen wollte.

Coronastrich ist noch da, aber schon schwächer. Noch bisschen Schnupfen. Fühl mich aber wieder ganz okay. Viel Birnen essen und Lindenblütentee trinken. Sehr lecker.

Griasle
Morphin

 

Lieber @Morphin,
wenn Isolde Tristans Ehefrau ist, sind wir schon in einem parallelen Universum.
Hat mir sehr viel Spaß gemacht, deine kleine, böse,witzige, liebevolle, gemeine Weihnachtsgeschichte.
Ich habe da auch gar nix weiter an Senf abzugeben als die Mikrofrage, ob es

aber nach meinem Geschmack gibt er zu viel nach
, genau, nach meinem Geschmack heißt oder FÜR meinen Geschmack, also nach meinem Geschmack müsste es für meinen Geschmack heißen, oder so.
Dir gute Besserung und eine mordsfeierliche Adventszeit weiterhin
Placidus

 

Hallo @Placidus,

da haste natürlich recht. Geändert. Ich meine mich erinnern zu können, dass ich erst 'nach meinem Gusto' schreiben wollte ... egal, wie der Wendler sagt. Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Corona hat sich schon wieder verzogen. Ging erstaunlich schnell. Und die Adventszeit werde ich irgendwie hinter mich bringen. Schreiben. Das beste, was man tun kann.

Grüße und ordentlich Kerzen auf der Tanne wünscht
Morphin

 

Du sollst nicht so viel vor der Glotze sitzen.
12. Gebot, tipp ich mal – aber wat denn sons’?

Lesen, zB, das ja in seiner ursprünglichsten Form des „Auflesens“ die ganze Menschheitsgeschichte bestimmt – ob die Fluse oder das Obst, eine Spur oder eine mehr oder weniger arme Seele, lieber „Benedikt“ – und Dein Name bedeutet – denn wer will schon dumm sterben, ohne zu wissen, wie er lebenslänglich geheißen hat – „der, von dem gut gesprochen wird“. Aber jetzt muss ich Deinem Schöpfer noch’n paar Flusen zeigen, is’ nich’ viel und gibt schlimmeres ...

Ein blauer Pimmel, der fault. Und nun weg muss.
Zusammen!, siehe „wegmüssen“

Woche?
»Mama?«
»Ja?«
»Wie heißt denn die Frau von einem Tristan?«
»Isolde, heißt die.«
»Danke.«
Ich weiß, das Ausrufezeichen zählt zumindest hier vor Ort zu den bedrohten Arten, -
nicht aber bei Deinem Schöpfer – und doch fehlt es mir beim Dank! Hier vllt. nochens zB
»Bis morgen, Mama.«
hier ähnlich
Sie seufzt. »Warte kurz.« Sie verschwindet durch einen Vorhang. Es raschelt, Kartons oder Papier, ein Fluch, dann Geräusche, die er nicht einordnen kann. Tief durchatmen, Benedikt!

Da will ich nicht, dass was über bleibt.«
überbleiben, idR zusammen, ein "übrig" bleiben wäre die Alternatiefe

Er fühlt sich wie als Kind im zu heißen Badewasser.

(schöne Kombinaton und vllt. gelungene Parodie auf die verbreitete Seuche, wenn einer aus Unsicherheit „als“ und „wie“ zugleich formuliert, da ist dann einer größer „als wie“ der andere ... nicht mehr fern

»Aha«, sagt die AlteKOMMA ohne eine Miene zu verziehen.

»Ja …«, sagt Benedikt und spürt seine Stimme verschwinden.

Dann sticht sie mit der Gabel in den Fisch, direkt in den Rücken des Karpfen, …
der Karpfen, des Karpfens, dem/den Karpfen

»Alles Gute zu Weihnachten, Mama.«
"!"?

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallöchen @Friedrichard,

und zack, alles ausgebessert. Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Bei den Geboten kenne ich mich nicht so aus. Wir schreiten unaufhaltsam auf den 24.12. zu. Irgendwie werde ich ihn unverletzt hinter mich bringen. Meine Mom kommt zum Essen und ich werde ihr sagen, dass aus ihrem Telefonanruf eine kleine Geschichte wurde. Hehe, gestern fiel im 'Großraum Maikammer' das Vodafone-Netz aus. Mom konnte nicht mehr telefonieren. Also hat sie mal die Schuhe angezogen, Jacke übergeworfen und ist die 80 Meter zum Rathaus, hat gesagt: Sie, mein Telefon geht nicht mehr. Saftladen! Die Dame dort hätte gesagt, sie solle doch den Hausmeister anrufen, was Mom mit einem mitleidigen Blick bedachte.

Ja, also so entstehen Geschichten ... verrückte Welt.

Ruhe und Stille wünsche ich dir.
Grüße
Morphin

 

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