Was ist neu

Zwischen den Fronten

Seniors
Beitritt
08.11.2001
Beiträge
2.833
Zuletzt bearbeitet:

Zwischen den Fronten

Ich habe eine zweite Version dieser Geschichte geschrieben. Ihr findet sie hier.

Zwischen den Fronten, Version 2

Zwischen den Fronten

Soldaten schickt man an die Front. Ich wurde dort geboren. Inmitten einer nicht enden wollenden, wabernden Front, die so sehr ein Teil meiner Jugend war, dass man sie nicht mehr im Besonderen wahrnahm.
Eine Front ist keine Linie aus Mündungsfeuer und Leichen, wie in Filmen. Eine Front ist einfach ein Landstrich, in dem man lebt, wenn man kein Glück hatte. Es gibt zwei Seiten, von denen keine sich für die interessiert, die hier leben, aber jede bereit ist, für etwas auf der anderen Seite zu sterben.
Das Meer und die Berge. In unserem Krieg ging es um das Erz und den Hafen. Also um Macht. Und über uns schwappte alles hinweg, wie die stetigen Wellen, über die Felsen in der Bucht.
Wir wussten davon. Und kümmerten uns nicht. Konnten nichts tun, denn letztendlich hatten sie die Gewehre, auf beiden Seiten, und wir hatten Schaufeln und Dreschflegel.
Wir brauchten uns nicht zu kümmern, denn immerhin hatten wir zu essen. Und wir waren nicht wichtig. Für niemanden. Stellten keine Macht dar. Und keine Gefahr. Deshalb ließ man uns in Ruhe.

Bis zu diesem Dienstag im Mai. Er musste im Schutze der Dunkelheit angekommen sein. Als wir aufstanden, war er schon da.
Namenlos und ganz in Grün thronte er auf der Ladefläche seines Jeeps, aufrecht, das Gewehr mit beiden Händen vor der Brust. So hatte er sich vor dem Brunnen auf dem Dorfplatz aufgebaut. Wir sahen ihn. Niemand sprach zu ihm und auch er schwieg. Aber wir wussten: Er war nun unser Besatzer.
Von Tag zu Tag lockerte sich seine Haltung und nicht einmal wir Kinder fürchteten uns noch davor, am Brunnen vorbeizugehen. Er war in das Haus des Lehrers gezogen. Und auch dort sprach er offenbar nur wenig. Worüber auch. Er hatte ein Funkgerät und empfing Nachrichten von der Front. Von denen wir nichts erfuhren.
Von Zeit zu Zeit ließ er den Lehrer verkünden, wie es nun weitergehen solle. "Steuern" nannte er es, und wir brachten Lebensmittel herbei. Nicht viel, denn er war ja nur ein einzelner Mann.
Manchmal verlangte er auch andere Dinge. Und er bekam sie, so hieß es. Ich war zu jung, um zu verstehen, worum es ging. Ich weiß nur, dass die Tochter unseres Nachbarn es ihm bringen sollte. Und die Nachbarin und meine Mutter die ganze Nacht in der Küche saßen und weinten, während die Männer im Schuppen blieben und tranken.
Heute weiß ich, worum es ging und habe begriffen, warum ihr Bruder tobte und schrie, er werde dieses Schwein umbringen. Sie haben ihren Bruder zurückgehalten, in jener Nacht und auch in den folgenden. Aber nachdem ich alles weiß, fällt es mir schwer, zu entscheiden, auf wessen Seite ich stehe. Ihr Bruder hatte jedes Recht der Welt dazu, aber er hat jedenfalls überlebt. Auf diese Weise.

In den folgenden Monaten änderte sich nur wenig. Der Ablauf im Dorf war durch seine Anwesenheit kaum gestört. Wir nahmen ihn in stillem, brodelnden Zorn hin. Die Jungen schmiedeten Pläne, die Alten wollten nur überleben. Auch diese Zeit, wie so viele zuvor.
Fast jeden Tag hörten wir Berichte von der Front. Dörfern, die wir kannten. Mal weit entfernt und dann wieder ganz dich bei uns. Von Hunderten Soldaten, Toten, Verletzten und Gefangenen. Ein paar mal, wenn es plötzlich ganz still war, hörten wir das Echo von Maschinengewehren.
Der Soldat war dann meist gut gelaunt. Und verlangte abends mehr Essen und Wein. Seine Truppen waren auf dem Vormarsch. Eine Rauchsäule am Horizont schien ihn in noch ausgelassenere Stimmung zu versetzen.
Am nächsten Tag hörten wir, dass seine Kameraden ein Flüchtlingslager niedergebrannt hatten. Dünne Zelte, von denen nichts geblieben war. Viele Menschen waren gestorben. Menschen wie wir. Und wieder fiel es den Alten schwer, ihre Kinder zurückzuhalten. Pläne wurden geschmiedet, Waffen gesucht. Sie waren über die Zeit näher gerückt. Es betraf Stück für Stück auch uns. Aber wir konnten nichts tun.
"Sie werden herkommen, wenn ihr das tut." Niemand wollte auf die hören. "Warum hat sonst das Lager gebrannt?" Wir erinnerten uns an die Berichte über die Truppen und an die Toten. Und ein weiteres Mal ließen wir uns besänftigen.
Währenddessen lehnte der Soldat lächelnd am Brunnenrand. Das Gewehr eine halbe Armeslänge von ihm entfernt. Er war sicher unter uns und er wusste es. Am Abend verlangte er wieder Wein. Und die Tochter unseres Nachbarn musste ihn bringen. Niemand weinte mehr, stattdessen schwiegen wir. Und an diesem Abend konnten wir einander nicht mehr in die Augen sehen.
Von nun an begann der Soldat, jeden Tag durch das Dorf zu wandern. Er führte lange Listen über das Vieh, die Vorräte und unsere Felder. Man sah ihm misstrauisch nach, wo immer er hinging, aber niemand stellte sich ihm in den Weg. Einige Tage später, noch mitten in der Erntezeit, ließ der Soldat verlesen, welche Steuern wir abzuliefern hatten. Ein Lastwagen würde kommen und unsere Tiere und unser Korn zu den Truppen zu bringen. Er verlangte zuviel. Und wir wussten es. Verlangte mehr, als wir geben konnten, vor dem Winter. Aber er hatte gefordert, und wir mussten geben.
Dann aber, noch bevor der Lastwagen unsere Lebensmittel abholen konnte, verbreitete sich die Nachricht. Seine Truppen waren auf dem Pass gescheitert. Hatten in einer blutigen Schlacht einen Großteil ihrer Männern verloren. Die restlichen waren versprengt auf dem Rückzug.
Es wurde darüber gesprochen, dass sie sich neu formieren wollten. Aber es war nur eine Handvoll von ihnen übrig und uns allen war klar, dass die anderen aus den Bergen herausbrechen würden und die übrigen Männer vertreiben. Oder töten.
Der Soldat stand wiederum an den Brunnen gelehnt. Beinahe wie immer. Nur ein wenig angespannter. Das Gewehr dichter neben sich.

Es hat ihm nichts genützt. Sie kamen in der Nacht. Schleiften ihn aus dem Haus des Lehrers und auf den Dorfplatz hinaus. Wir alle waren dort. Versammelt im Kreis. Er war kreidebleich.
Wir standen nur schweigend um ihn, unfähig, auszudrücken, was in uns vorging. Ohne Worte für das, was in den letzten Monaten geschehen war.
Sein sonst so starker Blick wich uns aus. Er wand sich hin und her. Suchte mit gehetzten Augen nach einer Lücke in unserem Kreis. Aber wir rückten nur dichter zusammen. Näher auf ihn zu, Schritt für Schritt, bis er zusammenbrach. Auf den Knien lag er im Staub des Platzes und hob flehend die Hände. Niemand tat etwas. Wir standen nur und sahen auf ihn herunter.
Schließlich trat die Tochter unseres Nachbarn einen Schritt vor. Ruhig und gemessen, als schreite sie zum Altar. Dann trat sie ihm mit aller Kraft in den Magen. Und als er stöhnend in sich zusammensackte, trat sie in sein Gesicht. Nur einmal und ohne hinzusehen. Dann drehte sie sich um, als sei nichts geschehen, und ging davon.
Als er aufsah, war sein Gesicht blutverschmiert. Das gab den Ausschlag. Ich weiß nicht, wie lange es ging, aber wir traten und prügelten ihn mit bloßen Händen, Steinen, Knüppeln. Als sein Kopf nicht mehr zu erkennen war, keine Form mehr hatte, ließen wir von ihm ab. Seine Uniform hatte sich blutrot gefärbt.
Die Jungen warfen ihn auf seinen Jeep und brausten ohne ein weiteres Wort davon. Sie haben ihn im Wald, weit ab vom Dorf, verscharrt. Mit seinem Gewehr. Seinen Wagen haben sie verbrannt.

Am nächsten Morgen war sein Blut aus dem Staub gewaschen, als wäre er nie hier gewesen. Im Haus des Lehrers fanden sich keine Spuren mehr. Und niemand von uns hat je wieder von ihm gesprochen. Nach einer Weile kamen die Soldaten der anderen Seite. Blieben eine Weile und gingen.
Die Front wäscht über unser Dorf wie Brandung über die Felsen, unten in der Bucht. Nichts ändert sich wirklich, alles spült fort und langsam nutzen die Steine sich ab.

 
Zuletzt bearbeitet:

dies ist eine sehr interessante geschichte.
vorallem, da ich mich in letzter zeit öfter mit dem thema krieg beschäftigt habe

jedoch finde ich es etwas seltsam, dass du im ersten absatz schreibst,dass sich die bewohner des dorfes nicht darum kümmern, dass der krieg über sie hinweg schwappt.
das kann ich mir kaum vorstellen, dass es irgendeinen menschen gibt, der an der front, bzw. zwischend den fronten lebt und sich dann nicht um den krieg kümmert.
die leute dort würden doch eher fliehen als abwarten und tee trinken.
auserdem muss das dorf entweder sehr klein sein, oder verdammt weit weg vom hauptgeschehen des krieges liegen. denn ein einziger soldat wird kaum an die front geschickt um dort als ausenposten zu dienen. denn der wäre nur kanonenfutter falls die gegenseite angreifen würde.

noch etwas: ich weiß nicht ob du einen richtigen jeep meinst oder nur einen geländewagen. falls du den jeep meinst, den ich kenne ist das ok. doch wenn du irgendein geländefahrzeug meinst so solltest du wissen, dass jeep zur daimlerchrysler familie gehört und somit praktisch eine autofirma ist.

alles in allem finde ich wie schon erwähnt die geschichte sehr gut. der wiederstand der dorfbewohner ist auch sehr gut beschrieben (zuerst verdrängung, dann schweigen und zuletzt die auflehnung).
das elend das in solchen kriegsgebieten herrscht hätte irgendwie besser beschrieben werden können, durch zerstörung der häuser oder ähmlichem, was an der front keine seltenheit ist

hoffe ich hab jemanden verwirrt
grüße, paul

 

Hi arc en ciel,

dies ist die erste Geschichte, die ich von Dir lese und ich hab's nicht bereut :)

Schon die ersten sechs Sätze sind klasse und so ausdrucksstark formuliert, dass ich mich danach nicht mehr losreissen konnte und wollte.


Eine Situation, wie es sie oft zu Kriegszeiten in unterschiedlichsten Ausprägungen gegeben hat und gibt, wenn der Feind/Besatzer/Täter irgendwann keinen Rückhalt mehr hat und sich dann unvermittelt in der Opferrolle wiederfindet.

Du beschreibst sehr eindringlich, wie sich die Menschen erst mit der Situation zu arrangieren versuchen, sich dann aber Hilflosigkeit, Scham, Angst und Wut der Einwohner unkontrolliert und grausam entladen, als sie zum ersten Mal die Gelegenheit zur Rache sehen.


Als sein Kopf nicht mehr zu erkennen war, keine Form mehr hatte, ließen wir von ihm ab.

Puh, der Satz sitzt ...

Nur eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:


Ich weiß nur, dass die Tochter unseres Nachbarn es ihm bringen sollte. Und die Nachbarin und meine Mutter die ganze Nacht in der Küche saßen und weinten, während die Männer im Schuppen blieben und tranken.

Liest sich im ersten Moment etwas holprig:
Wenn Du den Satz beginnend mit "Und" beibehalten willst, würde ich noch ein "dass" dranhängen.
Oder vielleicht so:

"ich weiß nur, dass die Tochter unseres Nachbarn es ihm bringen sollte ... und die Nachbarin und meine Mutter die ganze Nacht in der Küche saßen und weinten, während die Männer im Schuppen blieben und tranken.

Liest sich in meinen Augen flüssiger und angenehmer.


Ansonsten kann ich nur sagen:
eine gute Geschichte, die mir wegen der Thematik und des guten Sprachstils im Gedächtnis bleiben wird.

Gruß
RaG

 

Hallo arc en ciel,

da hast du gestern also gleich zwei neue Geschichten veröffentlicht. Diese hätte ich doch beinahe übersehen.

Grundsätzlich hat mir diese Geschichte in ihrer Atmosphäre, in ihrer Stimmung un in der Beschreibung des Dorfes an der Front wechselnder Besatzer gut gefallen.
Passivität als Überlebenstaktik, unterdrückte, ohmächtige Wut, aber auch ein Leben, welches sich an die Normalität des Grauens gewöhnt, wie die Menschen im Nahen Osten an den Alltag des Terrors.
Insofern hast du über deine kleine Kriegsgeschichte mehr eingefangen, als die Lage eines Dorfes.

Eines fiel mir auf, auch wenn ich im Moment keine Idee habe, wie du das besser lösen könntest. Am Anfang schreibst du, die Front sei dort, später verweist du des öfteren auf die Front, als sei sie doch etwas Fernes, wenn auch mal näher mal weiter entfernt.

Eine schöne, bedrückende und doch menschliche Geschichte.

Lieben Gruß, sim

 

hallo Paulchen!

danke für Deine ausführliche Kritik!
Hier muß ich dir allerdings widersprechen:

jedoch finde ich es etwas seltsam, dass du im ersten absatz schreibst,dass sich die bewohner des dorfes nicht darum kümmern, dass der krieg über sie hinweg schwappt.
das kann ich mir kaum vorstellen, dass es irgendeinen menschen gibt, der an der front, bzw. zwischend den fronten lebt und sich dann nicht um den krieg kümmert.
erstens betrifft diese Menschen der Krieg nicht, denn eigentlich gehören sie zu keiner der beiden Seiten. Und solange der Krieg ihnen nichts antut, haben sie ja eigentlich keinen Grund, wegzuziehen.
vor allem aber steht dem eines im Wege: es sind größtenteils Bauern.
Wohin sollen sie denn gehen? Alles, was sie besitzen und alles, womit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und bestreiten können, befindet sich genau an diesem Platz.
Bevor Bauern fliehen, muß in aller Regel viel geschehen.

auserdem muss das dorf entweder sehr klein sein, oder verdammt weit weg vom hauptgeschehen des krieges liegen.
ja, genau. Die Soldaten haben von der Bevölkerung nichts zu befürchten. Eigentlich verwaltet er ja eher das Dorf, während die eigentlich Gefechte zwar zT in der Nähe stattfinden, aber im Dorf selbst keine Kämpfe stattfinden.

Was ein "Jeep" im technischen Sinne ist, weiß ich schon. Allerdings weiß ich auch, daß die meisten Menschen jede Art von Geländewagen "Jeep" nennen, ... erstrecht Armee-Fahrzeuge.

das elend das in solchen kriegsgebieten herrscht hätte irgendwie besser beschrieben werden können, durch zerstörung der häuser oder ähmlichem, was an der front keine seltenheit ist
naja, bei dem, was in der Geschichte vorgeht, wäre das ziemlich an der Szenerie vorbei. Zerstört werden nur andere Orte. Denn immerhin sind ja Menschen auf der Flucht - und das Lager wird abgefackelt. Aber all das geschieht schließlich außerhalb des Microkosmos.

@RaG:
schön, daß ich Dich begeistern konnte. Bei dem Satz mit dem Kopf habe ich lange gerätselt, wie viel "Gewalt" ich da hineinlegen soll. Letztendlich fand ich, das hier wäre ausreichend, um die Situation zu beschreiben. Aber weniger wollte ich auch nicht darstellen.

Schön, daß sich erkennen läßt, wie sich die Emotionen und Handlungen aufbauen.
Über Deine Formulierung mach ich mir Gedanken. Eigentlich sollte es genauso sein, aber ich denk nochmal intensiv ;)

@sim:
Schön, daß die KG auch Dir gefallen hat.
Genau das, was Du dazu anmerkst, hat mich dazu gebracht, diese KG zu schreiben. Ich wollte die "einfachen" Menschen darstellen, die irgendwie betroffen sind, aber natürlich - wie wir alle - versuchen, sich rauszuhalten.
Ich glaube, mehr oder weniger können sich sehr viele Menschen in diesen Charakteren wiederfinden.

Leider gewöhnt man sich wohl tatsächlich an Terror und Gewalt. Nicht einmal der Tod der Menschen im Flüchtlingslager - also Menschen, wie sie - hat die Bevölkerung im Dorf dazu gebracht, sich aufzulehnen.
Denn, mal ehrlich: was hätten sie denn tun sollen? Den Soldaten angreifen, vielleicht töten? Und dann darauf warten, daß seine Leute den nächsten Funkspruch vermissen und in das Dorf einmarschieren.

Vor allem aber ging es mir auch um die Macht-Strukturen.
Immer ist es nur der eine Soldat und ein einziges Gewehr. Aber das, was ( angeblich oder tatsächlich ) dahinter steht, verändert sich.

Am Anfang schreibst du, die Front sei dort, später verweist du des öfteren auf die Front, als sei sie doch etwas Fernes, wenn auch mal näher mal weiter entfernt.
Ich dachte, das Problem hätte ich gelöst.
Eine Front ist keine Linie aus Mündungsfeuer und Leichen, wie in Filmen. Eine Front ist einfach ein Landstrich, in dem man lebt, wenn man kein Glück hatte.
Ist es trotzdem noch ein Problem?

Lieben Dank an Euch alle! Diese Geschichte lag mir über 2 Monate schwer im Magen. Jetzt hab ich sie endlich zu Papier gebracht. Es freut mich, daß sie die Gedanken transportiert und daß sie ihre Wirkung erreicht. ;)

Frauke

 

Hi arc en ciel!
Ich würde gerne wissen wovon du dich inspirieren hast lassen. Mich hat das ganze irgendwie an den Tscheschenien- Konflikt erinnert, da ich ähnliche Dinge über die dortige Situation gehört habe.
Würde mich über eine Antwort freuen,
Gruß und Grüße
Papyrus

 

hi Papyrus!
Ich hab es im Großen und Ganzen schon oben erwähnt, aber
Zu einen haben mich all die Kriegsgeschenen in aller Welt inspiriert. Wie viele Orte im Licht der Medien stehen, oder zumindest im Halbschatten. egal, ob "offiziell erklärter" oder eher von der Welt negierter Krieg / Krise / Aufstand / Unruhen / Bürgerkrieg / Langzeitstreitigkeit ( zB in Israel und dem Westjordanland ). Letztendlich werden Menschen davon betroffen. Und ich denke, daß in vielen Fällen zumindest manche von ihnen mit der ganzen Sache weder zu tun haben wollen, noch überhaupt hinter einer der Seiten stehen.
Das eigene "kleine" Leben kann so viel wichtiger sein, als der große Krieg, den andere um Sachen führen, die mich nichts angehen... Solange sie mich in Ruhe lassen, tolleriere ich sie...

Dann auch die Vorgänge im Irak ein wenig. Als ich auch jetzt noch immer die Statue von Hussein fallen sah ( auch die Nachahmung bei den Bush-Protesten ), hat mich wieder auf die Frage gebracht, wie diese Machtstrukturen der Masse gegenüber funktionieren. Warum Menschen sich von Situationen oder Terrorherrschaft einschüchtern lassen. Warum sie ( in der Einzelsituation vielleicht unverständlich ) gewissen Personen Unantastbarkeit zubilligen, die diese mit eigener Kraft nicht rechtfertigen können.

Welche Macht es dem Einzelnen ( auch Mitläufer ) gibt, wenn Menschen hinter ihm stehen. Ganz banal schon im "normalen" Leben. Wer kennt das nicht: ein Ekel in der Schule wird von niemandem angetastet und kann sich erlauben, was er/sie will. Weil alle wissen, mit wem man sich ( körperlich oder sonstwie ) anlegt, wenn man sich dagegen auflehnt...

naja, all diese Sachen schwirrten mir so durch den Kopf. Zentral sicherlich die Frage der Machtstrukturen.
Und ich wollte diese Dinge in einer eindrucksvollen Geschichte verpacken.
Wenn ich den ganzen Irak-Krieg in eine KG packen will, scheitere ich naturgemäß und werde niemals der Situation gerecht. Ich schreibe in aller Regel Fiktion. So auch hier.
Die Beschränkung auf wenige Personen in einem umgrenzten Rahmen, auf eine einfache Macht-Struktur, die sich vollständig im Rahmen der Geschichte auf- und auch wieder abbaut, und die Anonymisierung des Geschehens ( deshalb auch nicht mal Namen irgendeiner Art.... ), sollten die Nachricht transportieren.

Ich denke - und fürchte - daß Geschichten wie diese überall geschehen können. Und an vielen Orten bereits geschehen sind. Sicherlich auch in Deutschland, oder im mittleren Osten, in Südamerika, in Staaten Afrikas oder der GUS etc....
Ich will jedem Leser überlassen, das unangenehme Schaudern überlassen, nicht zu wissen, wie nah all dies an uns tatsächlich dran ist. Oder wann genau es geschehen ist.

Über die aktuelle Lage in Tscheschenien bin ich nicht völlig auf dem Laufenden. Aber es kann genausogut dort geschehen. Und die Tatsache, daß Du mit einem realen Ort aufwarten konntest, an den es Dich erinnert, spricht dafür, daß ich meine Intention umgesetzt zu haben scheine.

Ganz lieben Dank für Deinen Beitrag und Deine Frage also. Sie hat mir wirklich weitergeholfen, meine Einschätzung der Wirkungen zu vervollständigen.

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hi Frauke,

mir hat die Geschichte richtig gut gefallen, ist für mich ohne Frage eine Deiner besseren Geschichten!

Dass ein einziger Soldat ein Dorf lähmen kann, weil er für die nie sichtbare aber im Hintergrund schwebende Gefahr des Einmarsches einer ganzen Armee steht, hast Du gut herausgestellt. Und es macht nachdenklich - wie oft zaudern Menschen und fressen Ärger in sich hinein, nur weil etwas, von dem sie nichts genaues wissen, passieren könnte!

Eine Sache ist mir aufgefallen (mir, dem König der Rechtschreibung):

Ich weiß nicht, wie lange er ging, aber wir traten und prügelten ihn mit bloßen
Meinst Du "wie lange es ging", sprich, wie lange es dauerte?

gruss,
p.

 

hi Philipp!

Das ist großes Lob! Und das auch noch von jemandem, der so viele meiner Texte kennt! Ganz ganz lieben Dank dafür.
Für den Patzer mit dem "es" entschuldige ich mich vielmals. Wird sofort ausgebessert.

Dein Verständnis des Textes gefällt mir gut. Eben um dieses allzumenschliche und die Machtstrukturen ging es mir.

Euer Lob macht mir definitiv Mut, den Text demnächst zu einem Wettbewerb einzuschicken. ich glaube, ich hatte da einen im Auge, zu dem es paßt...

Ganz lieben Gruß,

Frauke

 

Grüß dich Frauke.

Geschrieben von arc en ciel
erstens betrifft diese Menschen der Krieg nicht, denn eigentlich gehören sie zu keiner der beiden Seiten. Und solange der Krieg ihnen nichts antut, haben sie ja eigentlich keinen Grund, wegzuziehen.

da muss ich dir jetzt widersprechen:
ich versteh schon, dass die Bauern zu keiner der beiden Seiten gehören, doch musst du bedenken, dass ein Krieg über ihr Land schwappt, wie du es selbst gesagt hast.
Wenn zwei fremde Mächte in deiner Nähe glauben sich auf Kosten anderer Streiten zu müssen würdest du auch nicht einfach zuschauen und sagen, dass dich das nichts angeht.
Bedenke nur die Bombenanschläge in Istanbul. Selbst bei uns macht man sich jetzt schon Sorgen, wie lange es noch dauert bis sich so was auch hier abspielt.

Uns sollte jeder Krieg etwas angehen, egal ob er neben unserem Haus oder auf der anderen Seite der Welt stattfindet.

Geschrieben von arc en ciel
vor allem aber steht dem eines im Wege: es sind größtenteils Bauern.
Wohin sollen sie denn gehen? Alles, was sie besitzen und alles, womit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und bestreiten können, befindet sich genau an diesem Platz.
Bevor Bauern fliehen, muss in aller Regel viel geschehen.

Viel geschehen? Etwa ein Krieg ausbrechen? Was Schlimmeres kann ich mir kaum vorstellen.
Außerdem hast du geschrieben, dass sie an der Front leben. Ich weiß du hast geschrieben:

Geschrieben von arc en ciel
Eine Front ist keine Linie aus Mündungsfeuer und Leichen, wie in Filmen. Eine Front ist einfach ein Landstrich, in dem man lebt, wenn man kein Glück hatte

dies ist eine recht philosophische Aussage doch für einen Krieg ist eine Front noch immer das vorderste Kampfgebiet. Und wer dort lebt, gibt lieber Haus und Hof auf, bevor er sein Leben verliert.

Na ja, genug gerechtfertigt.
Eigentlich wollt ich nur noch sagen, dass ich sogar von der Geschichte geträumt habe.

Schöne Weihnachten
paul

 

Hallo arc en ciel,
eine Geschichte, die betroffen macht.
Über das verhalten der Bewohner kann ich nicht urteilen, denn in extremen Situationen ist alles möglich.
Was mich aber etwas gestört hat war, daß für mich der Eindruck entstand, daß der Soldat ganz alleine war und offensichtlich keinen Kontakt zu seiner Truppe hatte.
Ein einzelner Soldat ohne sichtbaren Rückhalt wird diesen Druck nicht über lange Zeit aufrechterhalten können.
Für mich wäre es leichter gewesen das Verhalten der Bevölkerung zu akzeptieren, wenn sich da etwas getan hätte.
Trotzdem. Eine starke Geschichte, stark umgesetzt.
Ich bin wirklich beeindruckt !
Gruß
Manfred

 

@Paulchen:

Ich kann mich dazu eigentlich nur wiederholen.
Für uns, die wir in einem Land leben, das schon lange friedlich ist ( so lange ja nun auch wieder nicht, wenn wir es mal recht bedenken ), ist es sicherlich schwer nachzuvollziehen.
Aber dem hier muß ich außerordentlich widersprechen:

Wenn zwei fremde Mächte in deiner Nähe glauben sich auf Kosten anderer Streiten zu müssen würdest du auch nicht einfach zuschauen und sagen, dass dich das nichts angeht.
Ich persönlich würde mich wahrscheinlich engagieren. Aber allgemein:
was glaubst Du, wie viele Menschen sich lieber raushalten! Das ist erste menschliche Prämisse: wenn einem die Kugeln um die Ohren fliegen, dann duckt man sich.

Mal im Ernst: in wie vielen Ländern herrschen Bürgerkriege, ohne, daß alle Menschen, die zwischen den Fronten leben, weglaufen?
Erinnerst Du Dich noch an die tausende jugoslavischer Bauern, die ins Ausland gegangen sind?
An die israelischen Siedler, die davon rennen, wenn ein neuer Zaun mit Waffengewalt verteidigt wird? Was ist mit den Iren, die alle ihre Häuser und Stadtviertel verlassen und in Ländern leben, die weder Katholiken, noch Protestanten in die Luft jagen.
Oder historischer? Die Farmer in den USA, als der Bürgerkrieg tobte? Zu schweigen von den Franzosen, als Hitler einmarschierte.

Glaub mir, da kann man sicherlich noch hunderte Beispiele finden.
Ich behaupte ja nicht, daß niemals jemand flieht, aber gerade Menschen, die mit ihrem Grund und Boden fest verwurzelt sind, sind sehr standhaft!

Außerdem: wo genau sollen Menschen hingehen, die nichts haben, außer ihren Tieren und ihrem Land.
Wenn ich mich frage, wovon sie leben sollen, dann rede ich nicht davon, wovon sie ein neues Hemd kaufen, die Miete oder ins Kino gehen sollen, sondern ein wenig grundlegender: was sollen sie nächste Woche essen? Wie sollen sie verhindern, zu verhungern?
Nur so als realistische Aussicht.

So, und nun zu dem, was ich geschrieben habe: Die Menschen in diesem Dorf haben offensichtlich Glück, wenn man das so nennen darf.
Sie leben in umkämpften Gebiet, aber niemand hat es auf ihren Tod abgesehen.
Man will an ihnen vorbei, weil das eigentliche Ziel auf der anderen Seite liegt.

Deshalb rollt auch kein Panzerkommando an, und wird kein Massengrab ausgehoben.
Sie werden einfach nur bewacht. Einfach um sicherzustellen, daß von dort keine Gefahr droht. Der Soldat könnte ja jederzeit Verstärkung herbeirufen, wenn er sich oder die Lage in Gefahr sieht.
Und andererseits treibt er die "Steuern" ein, denn das ist ja einer der Aspekte des Land-Besetzens. Er muß dafür sorgen, daß er und seine Truppen versorgt sind.


Bedenke nur die Bombenanschläge in Istanbul. Selbst bei uns macht man sich jetzt schon Sorgen, wie lange es noch dauert bis sich so was auch hier abspielt.
Bei uns macht man sich Sorgen. Richtig. Das tut man immer, wenn es einem gut geht, aber das Ganze noch ein Stück entfernt ist.
Stell Dir vor, das passiert bei uns.... ziehst Du dann weg aus Deiner Stadt?

Uns sollte jeder Krieg etwas angehen, egal ob er neben unserem Haus oder auf der anderen Seite der Welt stattfindet.
DAS ist doch nun überhaupt nicht die Frage meiner Geschichte. Ich schreibe hier nicht über das Idealverhalten poitisch korrekter und motivierter Menschen. Ich habe über die Realität ( in fiktivem Rahmen ) geschrieben. So einfach und so kompliziert.

Viel geschehen? Etwa ein Krieg ausbrechen? Was Schlimmeres kann ich mir kaum vorstellen.
da mag Dein Problem liegen: Du kannst Dir weder vorstellen, was es bedeutet, in einem Kriegsgebiet zu leben, noch daß es tatsächlich schlimmeres gibt.
Ich habe auch beides noch nicht selbst erlebt. Ich erinnere mich nur an eine große Zahl von Erzählungen aus dem zweiten Weltkrieg - von Menschen, die an der Front waren, solchen, die zuhause geblieben sind, und solche, die trotz Besatzung auf ihrem Hof geblieben sind. Was immer das bedeutete...
ansonsten stehen mir auch nur dieseblen Quellen zur Verfügung, wie jedem anderen auch. Bücher, Berichte, Nachrichten, etc...

doch für einen Krieg ist eine Front noch immer das vorderste Kampfgebiet.
wie man es nimmt, das ist es eben...

Und wer dort lebt, gibt lieber Haus und Hof auf, bevor er sein Leben verliert.
selbst diese These bestreite ich. Aber ist an IRGENDeiner Stelle meines Textes davon die Rede, daß einer der Dorfbewohner sein Leben verliert, oder auch nur in Gefahr sieht? Da liegt sicherlich eines Deiner Mißverständnisse.

Sehr gefreut habe ich mich allerdings darüber, daß Du sogar von diesem Text geträumt hast. Das bestätigt mir, daß er seine Wirkung nicht verfehlt.

Lieben Gruß,

Frauke

 

hallo Dreimeier!

Danke für Dein Lob. Ich wollte Aufmerksamkeit darauf lenken, daß wir eigentlich viel zu wenig darüber wissen, wie es den einzelnen Menschen in diesen "Ausnahmesituationen" ergeht.
Auch mein Text ist selbstverständlich nur Fiktion. Aber mit einer sehr allgemeinen Grundlage eben.

Was mich aber etwas gestört hat war, daß für mich der Eindruck entstand, daß der Soldat ganz alleine war und offensichtlich keinen Kontakt zu seiner Truppe hatte.

Ich hab den Kontakt doch extra dargestellt:
Er hatte ein Funkgerät und empfing Nachrichten von der Front. Von denen wir nichts erfuhren.

Er hat Kontakt. Deshalb ist er so gut gelaunt, wenn es seinen Leuten wieder gelingt, Siege zu erringen etc... ( auch noch mal bei dem Flüchtlingslager und so )
Aber selbst dieser Kontakt ist für die Dorfbewohner unsichtbar. Sie sind einzig und allein mit dem einzelnen Soldaten konfrontiert.
Das war mir vor allem deshalb wichtig, weil es 1. funktioniert und 2. die Machtstruktur verdeutlicht.
Die Funk-Verbindung hatte für mich auch den Aspekt von Ferngesteuert sein. Und da Soldaten Befehle empfangen und befolgen... hier sogar von jemandem, der niemals zu sehen ist, und er dann die Befehle ( auf dem Umweg über den Lehrer ) an die Menschen im Dorf weitergibt...
der Abriß der Verbindung - bzw. die Beseitigung der anderen Seite der Verbindung durch die Vernichtung der Truppen, schaltet die Fernsteuerung ab.

Von solchen Strukturen wollte ich was erzählen.

Ganz lieben Dank für Dein Lob, wie gesagt! Schön, daß es Dir gefallen hat!

Frauke

 

Hi Frauke,
ich wurde beim lesen mehrfach unterbrochen, da sind diese Verbindungen wohl untergegangen.
Sorry!
Ich dachte dann also an eine Machtdemonstration, die allein durch das offizielle Auftreten des Soldaten gehalten wurde. Wie weit kann so ein Mann gehen, allein durch die Angst der Bevölkerung, die Macht da vermutet, wo eigentlich keine ist.

Die Geschichte ist für meine Betrachtung sehr bemerkenswert und ich habe große Hochachtung für Dein schriftstellerisches Talent.

LG
Manfred

 

das ist zu viel des Lobes!

Aber ansonsten ist das mit der Machtdemonstration schon richtig so. Nur, daß da eben - weit entfernt - doch das entsprechende back-up zu finden ist.

Lieben Dank,

Frauke

 

Hallo, Frauke!

Eine interessante kleine Geschichte über die Macht von (versprochener) Gewalt und die (scheinbare) Ohnmacht der Friedfertigen. Sprachlich auf deinem gewohnt hohen Niveau, atmosphärisch sehr schön gezeichnet, stilistisch eher schlicht gehalten, was der Geschichte sehr zugute kommt - Metaphernfieber wäre hier sicher fehl am Platze. Insofern also schwerst keksverdächtig! :D

Was mir leider im Hinterstübchen ein leises Jucken verursacht, ist die Tatsache, dass die Geschichte auf mich im Ganzen ein wenig konstruiert wirkt. Konkreter: Du überspannst den Spannungsbogen m.E. ein wenig zu lange - der Langmut der Dörfler wirkt in dieser Form auf mich ein wenig unglaubwürdig. Bis zu dem Punkt, wo die "Tochter des Nachbarn" (gib dem armen Kind doch bitte einen Namen!) dran glauben muss, ist alles okay. Doch von hier an weigert sich etwas in mir, zu glauben, dass eine Dorfgemeinschaft inklusive wütender Väter und Brüder tatsächlich schweigend eine Wendung des Kriegsgeschickes abwartet, um dem Unbill ein Ende zu setzen. Das wirkt auf mich aus der menschlichen Perspektive nicht wirklich schlüssig.

Denn der Möglichkeiten gäbe es viele, den einzelnen Soldaten verschwinden zu lassen und den befürchteten Repressalien entsprechend mit den nötigen Lügen zu begegnen. Denn es geht hier immerhin um einen einzelnen Mann, der schlafen und kacken und vorsichtig sein muss, der sich folglich mit seinem Tun für meinen Geschmack selbst als Besatzer in einem Frontgebiet auf sehr dünnes Eis begibt. Ein ganzer Trupp von Soldaten (alles ab drei Mann) mag sich vielleicht so verhalten. Für einen Einzelnen finde ich es ebenfalls ein wenig überzogen. Zu groß wären für mich die Gefahren - Gift im erpressten Essen z.B.

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich hätte den Spannungsbogen bis zur Nachbarstochter hingezogen und dann den Zorn der Menschen ausbrechen lassen. Das Geschehen danach (war ihre Angst berechtigt oder nicht?) beschert dir dann sogleich noch einen zweiten im Nachbrenner - zwei zum Preis von einem sozusagen. ;)

Noch ein bisserl Detailnörgel:

ein Teil meiner Jugend war, dass man sie nicht mehr im Besonderen wahrnahm.
Schöner wäre m.E. "...dass ich sie nicht mehr wahrnahm."
in dem man lebt, wenn man kein Glück hatte.
"...kein Glück hat." Kein Grund, aus dem Tempus zu springen.
Es gibt zwei Seiten, von denen keine sich für die interessiert, die hier leben, aber jede bereit ist, für etwas auf der anderen Seite zu sterben.
"...zwei Seiten, von denen sich keine für jene interessiert, die hier leben..."
wie die stetigen Wellen, über die Felsen in der Bucht.
Ein Komma zuviel.
Wir wussten davon. Und kümmerten uns nicht. Konnten nichts tun, denn letztendlich hatten sie die Gewehre, auf beiden Seiten, und wir hatten Schaufeln und Dreschflegel.
Das "auf beiden Seiten" wirkt irgendwie überflüssig, finde ich, und schwächt die Aussage. Würde ich evtl. weglassen.
Und die Nachbarin und meine Mutter die ganze Nacht in der Küche saßen und weinten, während die Männer im Schuppen blieben und tranken.
Genau ab hier stört es mich: Der Mangel an Empörung. Diese Form des Tributs sollte mMn der Gipfelpunkt sein, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, nicht nur eine simple Station auf dem Weg der Demütigung. Denn von hier an ist keine Steigerung mehr möglich, finde ich. Deshalb kommt es zu früh und die Reaktionen sind für mich zu zahm.
Sie haben ihren Bruder zurückgehalten, in jener Nacht
Das können sie gerne. Aber dass sie es dabei belassen, funktioniert für mich wie gesagt nicht.
Ihr Bruder hatte jedes Recht der Welt dazu, aber er hat jedenfalls überlebt.
Und der Vater? Was glaubst du wohl, was er empfindet und wie egal ihm mögliche Konsequenzen evtl. sind? Bzw. gibt es wie gesgat die Möglichkeit, dass man es drauf ankommen lässt. Denn die direkte Bedrohung für Leib und Leben ist - jenseits eines einzelnen Gewehres - weit weg und sehr theoretischer Natur. Immerhin reden wir hier von einem einzigen Soldaten - einem von Tausenden, dessen Verschwinden mitten in einem Kriegsgebiet nicht so schwer zu erklären sein dürfte. Wie gesagt: Ich finde es etwas unglücklich und konstruiert.
wieder ganz dich bei uns.
dicht
"Sie werden herkommen, wenn ihr das tut." Niemand wollte auf die hören. "Warum hat sonst das Lager gebrannt?" Wir erinnerten uns an die Berichte über die Truppen und an die Toten. Und ein weiteres Mal ließen wir uns besänftigen.
Dieser zentrale Konflikt verschwindet leider in dieser lapidaren Form ein wenig. Er gehört in ausführlicher Form mit trinkenden Männern und tobenden Brüdern und grimmigen Frauen in die Küche jenes Mannes, dessen Tochter den Besatzer "unterhalten" darf. Das hast du leider ein wenig verschenkt, wie ich finde. Und es gehört wie gesagt m.E. an den Scheitelpunkt eines schwelenden Konfliktes.
Als sein Kopf nicht mehr zu erkennen war, keine Form mehr hatte, ließen wir von ihm ab.
Der Einschub zwischen den Kommata nimmt diesem zentralen Satz ein wenig von seiner Wucht, finde ich. Ohne stünde er stärker da. Evtl. das "keine Form mehr hatte" weglassen?

So, genug genörgelt. Denn nichtsdestotrotz: In vieler Hinsicht ein starker Text, der aber leider für meinen Geschmack an einem kleinen aber entscheidenden Mangel im Fundament leidet.

Liebe Grüße,
Markus

 

hi Markus!

Ganz lieben Dank für soviel Meckern! Ich setze mich in aller Ruhe dran und werde mir was überlegen. Allerdings wird es dabei bleiben, daß es nur ein einzelner Soldat war... ich werd vermutlich die Szene mit der Tochter einfach ein wenig nach hinten verschieben.... dann rückt sie dem Scheitelpunkt näher...

Aber das mach ich alles nicht jetzt, das wird erst in Ruhe bearbeitet. Und dann ist vermutlich eine ganz neue Version fällig.
Die Schreib- und Komma-Fehler sind mir eh peinlich :shy:

Danke jedenfalls für alle Anregungen!

Lieben Gruß,
*keksverdacht erhärte*

Frauke

 

Ganz lieben Dank für soviel Meckern!
Du weißt doch: Ich meckere, also bin ich! :D
Allerdings wird es dabei bleiben, daß es nur ein einzelner Soldat war...
Dies sei dir unbenommen! Mein Vorschlag für die Entwicklung des Konfliktes wäre: Er kommt an, ist die ersten paar Tage ein wenig vorsichtig, wird dann, als er merkt, dass die Dörfler recht langmütig sind, immer frecher, bis er mit der Nachbarstochter den Bogen überspannt. Dazu müsstest du allerdings evtl. ein wenig mehr in Szene oder Halbszene erzählen. Schau halt mal, wie sich das verträgt.
Aber das mach ich alles nicht jetzt, das wird erst in Ruhe bearbeitet.
Um Himmels Willen, ja doch! Nur keine Hektik!
Die Schreib- und Komma-Fehler sind mir eh peinlich
Hehehe, passiert den Besten von uns. Immerhin musste ich schon genau hingucken, um sie zu finden! ;)

Bin gespannt auf die Neufassung! :)

*schon mal Kekse back*

M.

 

Hi Horni!

Jetzt hab ich über 2 Wochen keine Zeit gehabt, mich mit Deiner Kritik hinzusetzen und meine KG zu überarbeiten. Jetzt aber!

Die Tochter des Nachbarn wird namenlos bleiben. Nicht weil ich ihr keinen Namen gönne, sondern, weil ich mit Absicht keinen einzigen Namen (Orte, Personen ...) genannt habe. Ich will die geographische Beliebigkeit beibehalten. Außerdem denke ich, daß in einer solchen Erzählung eines Zeitzeugen wohl meist Namen fehlen werden. Den Zuhörer interessiert meist mehr die "Funktion" oder "Beziehung" der Personen, als ihre Namen.

Doch von hier an weigert sich etwas in mir, zu glauben, dass eine Dorfgemeinschaft inklusive wütender Väter und Brüder tatsächlich schweigend eine Wendung des Kriegsgeschickes abwartet, um dem Unbill ein Ende zu setzen. Das wirkt auf mich aus der menschlichen Perspektive nicht wirklich schlüssig.
ich hätte gedacht, es funktioniere... Aber ich denke, am besten wird dieses Problem vermieden, wenn ich die Vergewaltigung nach hinten schiebe. Dann ist der Spannungsbogen anders gedehnt.

Für einen Einzelnen finde ich es ebenfalls ein wenig überzogen. Zu groß wären für mich die Gefahren - Gift im erpressten Essen z.B.
naja,--- klar können sie den Einzelnen jederzeit beseitigen. Das haben sie ja am Schluß auch bewiesen. Und es gibt hunderte von Möglichkeiten. Aber ihr Problem liegt ja vor allem darin, daß er über Funk Kontakt zu seinen Leuten hat. Einerseits kann er Verstärkung anfordern, andererseits wissen sie ja nicht, was ein ausgebliebener Funkspruch von ihm bedeutet.
Nachdem er ja schon so ein schwach besetzter Posten ist, kann ich mir eben schon vorstellen, daß sofort ein Suchtrupp oder eine stärkere Bewachertruppe auftaucht. Oder schlimmeres...

Das Geschehen danach (war ihre Angst berechtigt oder nicht?) beschert dir dann sogleich noch einen zweiten im Nachbrenner
nö, das gefällt mir nicht so gut. Denn das wäre eine ganz andere Geschichte. Ich will ja gerade von diesen Menschen schreiben, die nichts tun. Die lieber endlos leiden, dafür aber überleben.
Sie werden um nichts in der Welt dieses Risiko eingehen.
In Deiner Version wäre es ja nur die Frage nach dem Risiko.
Deshalb hab ich ja auch die Nachbarstochter schon so früh eingeführt... Ich setz mich gleich nochmal dran.

Was Dein Detail-Nörgeln angeht: Ich werd fast alles übernehmen. Allerdings kann ich es nicht über Herz bringen, "jene" zu schreiben. Tut mir leid. Damit würde ich aus dem Stil springen. ;)

So, jetzt ist die neue Version fertig. Ich poste dann mal lieber neu.
Was mich sehr interessieren würde, ist ob jemand Version 1 besser findet, als 2.
Ich selbst habe mich noch nicht entschieden ;) Aber ich tendiere vorläufig auch zu Version 2.

Lieben Dank für Deine Hilfe!

Frauke

 

Zwischen den Fronten, Version 2

Version 2

Zwischen den Fronten

Soldaten schickt man an die Front. Ich wurde dort geboren. Inmitten einer nicht enden wollenden, wabernden Front, die so sehr ein Teil meiner Jugend war, dass man sie nicht mehr als etwas Besonderes wahrnahm.
Eine Front ist keine Linie aus Mündungsfeuer und Leichen, wie in Filmen. Eine Front ist einfach ein Landstrich, in dem man lebt, wenn man kein Glück hat. Es gibt zwei Seiten, von denen keine sich für die interessiert, die hier leben, aber jede bereit ist, für etwas auf der anderen Seite zu sterben.
Das Meer und die Berge. In ihrem Krieg ging es um das Erz und den Hafen. Also um Macht. Und über uns schwappte alles hinweg, wie die stetigen Wellen über die Felsen in der Bucht.
Wir wussten davon. Und kümmerten uns nicht. Konnten nichts tun, denn letztendlich hatten beiden Seiten Gewehre. Wir hatten nichts als Schaufeln und Dreschflegel.
Wir brauchten uns nicht zu kümmern, denn immerhin hatten wir zu essen. Und wir waren nicht wichtig. Für niemanden. Stellten keine Macht dar. Und keine Gefahr. Deshalb ließ man uns in Ruhe.

Bis zu diesem Dienstag im Mai. Er musste im Schutze der Dunkelheit angekommen sein. Als wir aufstanden, war er schon da.
Namenlos und ganz in Grün thronte er auf der Ladefläche seines Jeeps, aufrecht, das Gewehr mit beiden Händen vor der Brust. So hatte er sich vor dem Brunnen auf dem Dorfplatz aufgebaut. Wir sahen ihn. Niemand sprach zu ihm und auch er schwieg. Aber wir wussten: Er war nun unser Besatzer.
Von Tag zu Tag lockerte sich seine Haltung und nicht einmal wir Kinder fürchteten uns noch davor, am Brunnen vorbeizugehen. Er war in das Haus des Lehrers gezogen. Und auch dort sprach er offenbar nur wenig. Worüber auch. Er hatte ein Funkgerät und empfing auch Nachrichten von der Front. Von denen wir nichts erfuhren.
Von Zeit zu Zeit ließ er den Lehrer verkünden, wie es nun weitergehen solle. "Steuern" nannte er es, und wir brachten Lebensmittel herbei. Nicht viel, denn er war ja nur ein einzelner Mann.

In den folgenden Monaten änderte sich nur wenig. Der Ablauf im Dorf war durch seine Anwesenheit kaum gestört. Wir nahmen ihn in stillem, brodelnden Zorn hin. Die Jungen schmiedeten Pläne, die Alten wollten nur überleben. Auch diese Zeit, wie so viele zuvor.
Fast jeden Tag hörten wir Berichte von der Front. Dörfern, die wir kannten. Mal weit entfernt und dann wieder ganz dicht bei uns. Von Hunderten Soldaten, Toten, Verletzten und Gefangenen. Ein paar mal, wenn es plötzlich ganz still war, hörten wir das Echo von Maschinengewehren.
Der Soldat war dann meist gut gelaunt. Und verlangte abends mehr Essen und Wein. Seine Truppen waren auf dem Vormarsch. Eine Rauchsäule am Horizont schien ihn in noch ausgelassenere Stimmung zu versetzen.
Am nächsten Tag hörten wir, dass seine Kameraden ein Flüchtlingslager niedergebrannt hatten. Dünne Zelte, von denen nichts geblieben war. Viele Menschen waren gestorben. Menschen wie wir. Und den Alten fiel es schwer, ihre Kinder zurückzuhalten. Pläne wurden geschmiedet, Waffen gesucht. Sie waren über die Zeit näher gerückt. Es betraf Stück für Stück auch uns. Aber wir konnten nichts tun.

Manchmal verlangte der Soldat auch andere Dinge. Und er bekam sie, so hieß es. Ich war zu jung, um zu verstehen, worum es ging. Ich weiß nur, dass die Tochter unseres Nachbarn sie ihm bringen sollte. Und die Nachbarin und meine Mutter die ganze Nacht in der Küche saßen und weinten, während die Männer im Schuppen blieben und tranken.
Heute weiß ich, worum es ging und habe begriffen, warum ihr Bruder tobte und schrie, er werde dieses Schwein umbringen. Sie haben ihren Bruder zurückgehalten, in jener Nacht und auch in den folgenden. Aber nachdem ich alles weiß, fällt es mir schwer, zu entscheiden, auf wessen Seite ich stehe. Ihr Bruder hatte jedes Recht der Welt dazu, aber er hat jedenfalls überlebt. Auf diese Weise.

"Sie werden herkommen, wenn du das tust." Niemand wollte auf die hören. "Warum hat sonst das Lager gebrannt?" Wir erinnerten uns an die Berichte über die Truppen und an die Toten. Und ein weiteres Mal ließen wir uns besänftigen. "Man wird uns töten, wenn wir ihm etwas antun."
Währenddessen lehnte der Soldat lächelnd am Brunnenrand. Das Gewehr eine halbe Armeslänge von ihm entfernt. Er war sicher unter uns und er wusste es. Am Abend verlangte er wieder Wein. Und die Tochter unseres Nachbarn musste ihn bringen. Niemand weinte mehr, stattdessen schwiegen wir. Und an diesem Abend konnten wir einander nicht mehr in die Augen sehen.
Von nun an begann der Soldat, jeden Tag durch das Dorf zu wandern. Er führte lange Listen über das Vieh, die Vorräte und unsere Felder. Man sah ihm misstrauisch nach, wo immer er hinging, aber niemand stellte sich ihm in den Weg. Einige Tage später, noch mitten in der Erntezeit, ließ der Soldat verlesen, welche Steuern wir abzuliefern hatten. Ein Lastwagen würde kommen und unsere Tiere und unser Korn zu den Truppen zu bringen. Er verlangte zuviel. Und wir wussten es. Verlangte mehr, als wir entbehren konnten, vor dem Winter. Aber er hatte gefordert, und wir mussten geben.
Dann aber, noch bevor der Lastwagen unsere Lebensmittel abholen konnte, verbreitete sich die Nachricht. Seine Truppen waren auf dem Pass gescheitert. Hatten in einer blutigen Schlacht einen Großteil ihrer Männern verloren. Die restlichen waren versprengt auf dem Rückzug.
Es wurde darüber gesprochen, dass sie sich neu formieren wollten. Aber es war nur eine Handvoll von ihnen übrig und uns allen war klar, dass die anderen aus den Bergen herausbrechen würden und die übrigen Männer vertreiben. Oder töten.
Der Soldat stand wiederum an den Brunnen gelehnt. Beinahe wie immer. Nur ein wenig angespannter. Das Gewehr dichter neben sich, als zuvor.

Es hat ihm nichts genützt. Sie kamen in der Nacht. Schleiften ihn aus dem Haus des Lehrers und auf den Dorfplatz hinaus. Wir alle waren dort. Versammelt im Kreis. Sein Gesicht war kreidebleich.
Wir standen nur schweigend um ihn, unfähig, auszudrücken, was in uns vorging. Ohne Worte für das, was in den letzten Monaten geschehen war.
Sein sonst so starker Blick wich uns aus. Er wand sich hin und her. Suchte mit gehetzten Augen nach einer Lücke in unserem Kreis. Aber wir rückten nur dichter zusammen. Näher auf ihn zu, Schritt für Schritt, bis er zusammenbrach. Auf den Knien lag er im Staub des Platzes und hob flehend die Hände. Niemand tat etwas. Wir standen nur und sahen auf ihn herunter.
Schließlich trat die Tochter unseres Nachbarn ein paar Schritte vor. Ruhig und gemessen, als schreite sie zum Altar. Dann trat sie ihm mit aller Kraft in den Magen. Und als er stöhnend in sich zusammensackte, trat sie in sein Gesicht. Nur einmal und ohne hinzusehen. Dann drehte sie sich um, als sei nichts geschehen, und ging davon.
Als er aufsah, war seine Nase blutverschmiert. Das gab den Ausschlag. Ich weiß nicht, wie lange es ging, aber wir traten und prügelten ihn mit bloßen Händen, Steinen, Knüppeln. Als sein Kopf nicht mehr zu erkennen war, ließen wir von ihm ab. Seine Uniform hatte sich blutrot gefärbt. Sein Körper jede Form verloren.
Die Jungen warfen ihn auf seinen Jeep und brausten ohne ein weiteres Wort davon. Sie haben ihn im Wald, weit ab vom Dorf, verscharrt. Mit seinem Gewehr. Seinen Wagen haben sie verbrannt.

Am nächsten Morgen war sein Blut aus dem Staub gewaschen, als wäre er nie hier gewesen. Im Haus des Lehrers fanden sich keine Spuren mehr. Und niemand von uns hat je wieder von ihm gesprochen. Nach einer Weile kamen die Soldaten der anderen Seite. Blieben eine Weile und gingen.

Die Front wäscht über unser Dorf wie Brandung über die Felsen, unten in der Bucht. Nichts ändert sich wirklich, alles spült fort und langsam nutzen die Steine sich ab.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom