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Zwischen Bergen und Meer

Pit

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18.02.2009
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Zwischen Bergen und Meer

Dieser Ort dient der Rast; mir scheint, ehe man zur Ruhe kommt, wird man von Langeweile erschlagen.
Die Frage, wie lange ich bleiben würde, beantworte ich mit einem knappen „bin auf der Durchreise“. Sie sind keine andere Antwort gewohnt, die Einrichtung der Zimmer zeugt davon. Es findet sich alles, was man braucht, aber nichts, was man nutzen wollte, selbst die Bettdecke ist zum Zudecken geschaffen, nicht zum Einzukuscheln. So ist dann auch der Schlaf, ohne Träume; früh am Morgen stehe ich auf und denke beim Packen über den Fortgang meiner Reise nach. Noch unschlüssig trete ich auf den Balkon und atme durch.

Die Luft! Ein leichter Geschmack von Salz, und dann doch das Gefühl von Schnee – warum Gefühl, wenn man auch hier von einem Geschmack sprechen kann. Beides kristallisiert sich auf den Lippen, wenn man lang genug den Kopf in den Wind hebt, wie eine Statue, tagelang, so leicht, so fragil, dass es sich verflüchtigt, noch ehe die Zunge den Geschmack definieren kann.
Ich bleibe noch einen Tag, sage ich an der Rezeption. Man zeigt keine Überraschung.

Ich spaziere durch den Ort. Man hat nicht den Eindruck, er sei bewohnt, trotz der Häuser mit den gepflegten Vorgärten, trotz der Wäsche, die aus den niederen Fenstern hängt, trotz der Menschen, die die Straße fegen, auf Bänken sitzen, schwatzen. Es gibt hier nichts zu sehen, was es anderenorts nicht größer, schöner, besser gäbe. Den Felszug, der sich über den Ort hebt, kann man markant nennen, aber auch nur, weil es das Einzige ist, das sich aus dem Unscheinbaren hebt.
Es führt ein Weg hinauf, nach einem kurzen, steilen Anstieg spaziert man wie an einer Promenade über den Felsrücken, bis hin zur Nase, die schroff, aber wenig spektakulär abfällt. Ein Geländer sichert den Rand, zwei Bänke stehen da, Rücken an Rücken, mit der Aussicht auf … was?
Dort, im Dunst, muss das Meer liegen, man sieht es in der Art, wie die Sonne darüber steht. Über dem Meer sieht die Sonne immer nachdenklicher, stiller aus.
Und dort, zur anderen Seite, sieht man die Berge, vielmehr die Schatten, die sie auf den Horizont werfen, die unverkennbare Art, das Licht in den Tälern zu schlucken, um es wieder von den Gipfeln zu werfen.
Und hier treffen sich ihre Boten, Salz und Schnee, in einer kulinarischen Mitte. Ich lächle. Wohin soll es also morgen gehen?
Als ich Stunden später wieder langsamen Schrittes zurückgehe, weiß ich es noch immer nicht.

Die Berge, denke ich einen Tag später. Ich habe immer eher die Berge gemocht. Mit ihnen kann man wachsen, je höher man wandert, je größer man wird, umso bedeutungsloser erscheint das, was unter einem liegt. Man steht über den Dingen, nicht weil man sich erhöht, sondern weil man sie als klein erkennen kann.
Und ich liebe es zu wandern, den Körper zu spüren, das Gewicht auf den Beinen, wenn diesen die Last langsam schwer wird, das Klopfen des Herzens, das die dünner werdende Luft zu kompensieren versucht. Man hat immer das eine Ziel vor Augen, den Gipfel, und wenn man ihn erreicht, heben sich andere Ziele, andere Gipfel um einen herum, nie hört man auf, etwas erreichen zu wollen.

Das Meer, denke ich dann. Es wird mir Ruhe bringen. Stundenlang kann ich über das Wasser schauen, ohne dass da anderes als Schauen ist. Das reinigende Element, mindestens ebenso grenzenlos wie der Verstand, der sich darin verlieren kann, um getauft, reingewaschen, wiederaufzuerstehen.
Das endlose Schwimmen, diese vollkommene Mischung aus dem Kampf gegen die Wellen und dem Sich-treiben-Lassen, sich dem Element zu ergeben, um dann, wenn das Wasser es will, wieder an den Strand gespült zu werden.

Ich schrieb meinen Freunden, ich würde eine Zeitlang meine Reise unterbrechen. Ich schrieb viel, dieser Tage. Vieles, was ich immer aufgeschoben hatte, weil es mir nicht wichtig war. Ich schrieb Menschen, von denen ich nicht mal mehr wusste, ob sie noch lebten oder ob sie sich an mich erinnern würden. Und ich schrieb mir selbst, einem Ich in der Vergangenheit. Gedankenfetzen, Reflexionen, eine rückwärts gerichtete Schnitzeljagd durch alte Erinnerungen, Erfahrungen, Sehnsüchte, Träume. Jeden Tag spazierte ich auf den Felszug, setzte mich auf eine der Bänke und ließ die Ruhe in mir wirken, während sich mein Blick in der Weite verlor.

Ich erhielt überraschend Besuch. Er saß im Zimmer, als ich Abends zurückkehrte. Erfreut umarmten wir uns.
Die Nacht verharrten wir in der Umarmung, erst der Schlaf trennte uns.
„Dass dir nicht langweilig ist, hier“, sagte er am Morgen. Ich lachte und wies auf meine Notizen: „Es gibt so viel zu tun.“
Gleich nachdem wir uns verabschiedet hatten, setzte ich mich an den Tisch und schrieb ihm, was wir zu reden versäumt hatten.

Ich lernte die Bewohner kennen. Und kaum kannte ich die Namen, kannte ich ihre Geschichten. Ich schrieb sie auf, die kleinen und großen, und als ich sie ihnen wieder erzählte, nickten sie und sagten: „Jaja, so war das!“
Man erzählte mir von anderen Orten, die ich unbedingt besuchen müsste. Also ließ ich mir eines Morgens ein Taxi kommen.
„Wohin soll es denn gehen?“ fragte der Fahrer.
„Fahren Sie einfach mal los“, antwortete ich.
Der Geruch im Taxi erinnerte mich an etwas, dann das Surren des Motors, dann das Gefühl von Schlaglöchern und Kurven. Ich nahm mein Notizbuch und schrieb. Als wir Abends zurückkehrten, war es fast voll.

Einmal hatte ich Fieber und Kopfschmerzen. Bis in den Mittag hinein blieb ich im Bett und sehnte mich nach draußen. Vermisste den Gang auf den Felszug, das Sitzen dort, dann die Arbeit an meinen Notizen, vermisste die tägliche Routine. Am späten Nachmittag hielt ich es nicht mehr aus und ging los. Es dämmerte bereits. Mein Blick verlor sich nicht in der Ferne, sondern in der Dunkelheit. Eine neue Erfahrung, die ich unbedingt notieren wollte, aber das Licht war zu schwach.

 
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Hallo Pit,
eigentlich war es so, dass ich dachte: Hey, das ist gemein, da ist eine Geschichte - und keiner kommentiert sie. Also fing ich an zu lesen, erwartete fast, mich beim Lesen ein wenig quälen zu müssen.
Fand auch den Anfang vielleicht ein bisschen zum Stutzen, aber darüber will ich jetzt einfach mal nicht meckern, denn: Plötzlich stieß ich auf wunderschön beschriebene Landschaften, auf Bilder, die mich in ihrer Zurückhaltung und Einfachheit sehr beeindruckten.
Ich habe keine Ahnung, warum die Frau/der Mann nicht weiterfährt oder woher sie kommt, aber das ist mir, ehrlich gesagt, völlig egal. Ich weiß ja noch nicht mal, welches Geschlecht die Person hat.
Was mich so sehr beeindruckt hat, das ist die Melancholie, die mit deiner Geschichte eingefangen ist - die wehmütige, vage Zwischenwelt, in der die Person lebt, die bei aller Traurigkeit etwas Hoffnungsvolles hat.
Eigentlich passiert gar nichts - und trotzdem hast du mich sehr berührt.
Novak

 

Hallo!

Viel passiert nicht in deiner Geschichte. Jemand weiß nicht, wo er hin will und bleibt dann da, wo er ist. Vielleicht ein Schriftsteller.

Aber die Formulierungen haben mir teilweise gut gefallen. Vor allem, dass du nicht versuchst, mit Farbenpracht und großen Worten zu überzeugen. Ich erkenne da schon eine feine Beobachtungsgabe. Wenn das Niveau jetzt in einer längeren Geschichte aufrecht erhalten wüde und dann auch etwas mehr passierte, könnte man wirklich Spaß an deinem Stil haben. Aber so ist es mir zu verschlüsselt und wenn ich es dreimal lesen muss und das Gefühl habe, es steckt nicht wirklich etwas dahinter, ist es mir persönlich nicht genug. Das ist nicht mutig genug, finde ich.


Lollek

 

Hallo!

Novak!

Freut mich, wenn ich etwas berühren konnte. Auch wenn der Protagonist gesichts- und geschlechtlos bleibt und in der Tat nichts passiert.

...die bei aller Traurigkeit etwas Hoffnungsvolles hat.
Gerade das fand ich sehr interessant. Ich hatte mich bemüht, das Sich-nicht-Entscheiden nur zu beschreiben, nicht aber zu werten, jedenfalls nicht bewusst.

das ist die Melancholie, die mit deiner Geschichte eingefangen ist
Auch das, samt des Todes-Motivs am Schluss, hat sich eher unbeabsichtigt so entwickelt, durch meine Begegnung mit einer Person, die gerade mit ihrem Leben abschließt. Eigentlich sollte ich mal deren Geschichte erzählen. Wenn jemand sagt, dass es ihm mittlerweile egal ist, ob er am Krebs stirbt oder am Alter, dann ist das in bestimmten Zusammenhängen wahrlich große Poesie. Hat mit der Geschichte nichts zu tun, aber mit der Stimmung, in der ich beim Schreiben war.
Aber ich schweife ab!:Pfeif:


herrlollek!

Freut mich, wenn ich zumindest mit Formulierung punkten konnte. Der Kritik, dass es keine Erzählung ist (keine Handlung, kein wirklicher Protagonist), sondern vielmehr eine Betrachtung, kann ich mich natürlich nicht entziehen. Es soll eine Betrachtung sein, und das Thema soll keinesfalls verschlüsselt sein. Da fällt es jemandem schwer, sich für eine Richtung zu entscheiden, und richtet sich damit ein. Der Blick geht nunmehr zurück, nicht mehr nach vorne, aber auch damit hat er wohl genug zu tun. Mehr will die Geschichte nicht als eben diese Beobachtung. Ja, das ist nicht viel. Dafür kurz! ;)

Aber ich teile mit dir ganz sicher die Meinung, dass eine solche Betrachtung in eine Erzählung integriert deutlich mutiger, ich sage mal herausfordernder, "künstlerischer" wäre. Ein andermal, hoffentlich!


Danke euch für eure Meinungen!

Pit

 

Hey Pit,

wunderschöner Text. Ich mag ja so melancholische Texte, die auf einem Meer aus Schwermut drohen, hinuntergesogen zu werden.

Der kann sich nicht entscheiden, dieser Mensch, und darum zögert er und schwebt in einer Art Zwischenwelt, weder auf dem Meer, noch in den Bergen, er träumt ja nur davon, er ist nicht dort. Stattdessen redet er mit den Menschen, die er dort findet, dort am Scheideweg, und schreibt ihre Geschichten auf.

Ich hab mal gelesen: Auch die Entscheidung, sich nicht zu entscheiden, ist eine Entscheidung. So ist es in der Geschichte. Es gibt auch keinen Druck, das finde ich schön, nichts presst ihn in eine Richtung, kein Sog, aber trotzdem hab ich nicht das Gefühl, dass er vor sich hin dümpelt, sondern er macht das Beste daraus, was er kann. Er studiert den Moment.

Mein Blick verlor sich nicht in der Ferne, sondern in der Dunkelheit. Eine neue Erfahrung, die ich unbedingt notieren wollte, aber das Licht war zu schwach.

Damit hätte die Geschichte meiner Meinung nach aufhören können, und sie wäre schön rund gewesen. Zu der Stimmung, in der ich am Ende war, hat das Präsens vom letzten Absatz nicht gepasst. Drangepappt.

Am Ende richtet sich der Blick aufs Ende. Was für ein schöner Schluss. Auch wenn wir nicht mitbekommen, worin die Erfahrung bestand - weil das Licht leider schon zu schwach war.

yours

 

Hallo Pit

Dieser Ort dient der Rast; mir scheint, ehe man zur Ruhe kommt, wird man von Langeweile erschlagen.

Einladend wirkte mir dieser Einstieg nicht, eine Mahnung wie, wenn ich weiter lese, werde ich vor Langeweile erschlagen.

Man hat nicht den Eindruck, er sei bewohnt, trotz der Häuser mit den gepflegten Vorgärten, trotz der Wäsche, die aus den niederen Fenstern hängt, trotz der Menschen, die die Straße fegen, auf Bänken sitzen, schwatzen.

Wäsche vor den Fenstern, Menschen, die auf Bänken sitzen, dies trotz des Luftzugs der Schnee ankündigt? Mir eine doch unwahrscheinliche Vorstellung. Oder war es ein Gleichnis, Salz und Schnee, die sich auf den Lippen kristallisieren? Aber später ist noch einmal Salz und Schnee erwähnt.

Ich lernte die Bewohner kennen. Und kaum kannte ich die Namen, kannte ich ihre Geschichten. Ich schrieb sie auf, die kleinen und großen, und als ich sie ihnen wieder erzählte, nickten sie und sagten: „Jaja, so war das!“

Und der Leser bleibt dabei ausgespart.

Gedankenfetzen, Reflexionen, … Sehnsüchte, Träume.

Dieser Textteil bringt es auf den Punkt. Es wirkt mir wie der Versuch, einen mit minimalster Anforderung an den Leser aufgesetzten Text als Geschichte aufscheinen zu lassen, doch fehlen zum Protagonisten die Antagonisten. Die Stimmungsbilder von Protagonist, Ort und Natur lassen es vielleicht als lyrischen Text gelten, die Innensicht eines vage gezeichneten ruhelosen Menschen, der sich im Nirgendwo verliert. Mehr nicht. Doch am Anfang war ja die Mahnung.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Und wieder hallo!

yours truly:

Schön, wenn es gefallen konnte!

Auch die Entscheidung, sich nicht zu entscheiden, ist eine Entscheidung.
Definitionssache. Er entscheidet sich ja nicht, weder für das eine, noch für das andere, noch für das Bleiben. Es passiert enfach. Bleibt die Frage, ob man dies werten will oder nicht.

Damit hätte die Geschichte meiner Meinung nach aufhören können,
Die Geschichte begann mit der Idee, dass einer, der sich nicht entscheiden kann, von einem anderen gefragt wird, was er den ganzen Tag so macht, und im Liegestuhl liegend sagt "es gibt so viel zu tun". Und irgendwie wollte ich das wieder aufgreifen, zusammen mit der Rückführung in den Präsens. Da die Geschichte sich sowieso anders entwickelt hat, ist das hinfällig, und ja, ich gebe dir hundert Prozent recht. Wird sofort gestrichen. Danke!

Anakreon!

Schade, dass der erste Satz für dich prophetische Wirkung hatte! Aber du sagst es selbst: wenn jemand warnt "Achtung, jetzt kommt ein Karton", darf man nicht enttäuscht sein, wenn genau das kommt.

Wäsche vor den Fenstern, Menschen, die auf Bänken sitzen, dies trotz des Luftzugs der Schnee ankündigt?
In skandinavischen Ländern z.B. gang und gäbe. Kein Rausreden, wirklich!

Wenn du mit "minimalste Anforderung" die Kürze bzw. Reduktion meinst, gebe ich diesem Vorwurf recht. In Bezug auf Intention und Handwerk darf ich zumindest behaupten, dass ich mir im Rahmen meiner Möglichkeiten durchaus selbst gewisse Anforderungen auferlege. Aber ein Karton bleibt ein Karton. :)


Danke euch beiden!

Pit

 

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