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Zwielicht

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12.06.2011
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Zwielicht

In der Dämmerung waren die Kornblumen am schönsten. Das Blau war kräftig und Anna erinnerte sich an eine Unterrichtsstunde in Kunst, in der erzählt wurde dass blau in der Dämmerung am besten zur Geltung kam.
Seit Wochen saß sie nun jeden Tag, wenn die Sonne unterging, am Fenster, mit ihrer Katze Schimu am Schoß, und betrachtete die Kornblumen. Es waren ganze Felder, die sich im sanften Wind wogen, während die Sonne mal orange, mal rot, mal rosa oder auch gelb hinter den Bergen in der Ferne verschwand. Und jedes Mal, wenn die Sonne verschwunden war, zündete Anna Kerzen an, setzte sich mit ihrer Feder und einem Tintenfass vor ein Blatt Papier und wartete.
Sie wartete auf die richtigen Worte, auf die perfekten Sätze einer Geschichte, die schon seit Tagen, Wochen, Monaten in ihrem Kopf spukte. Manchmal schaffte sie es einen Satz zu schreiben. Das würde ein guter Abend sein. Manchmal hatte sie auch nur eine Idee, die sie dann in einem kleinen, braunen Lederbüchlein niederschreiben würde – Ideen konnte sie immer gebrauchen, wenn sie es schaffen würde die ersten Sätze, Zeilen, Absätze ihrer Geschichte zu schreiben.
Anna wusste nicht mehr, wann sie beschlossen hatte, in das kleine Häuschen mitten in einem Kornblumenfeld zu ziehen. Sie hatte eigentlich immer in der Stadt gelebt – sie war den Lärm gewohnt, den Smog, die vielen Menschenmassen und die Autos und alles, was eine Stadt ausmachte.
Doch eines Tages war sie mit einer Freundin spazieren gewesen. Sie hatten sich am Rand der Stadt getroffen und waren einfach gegangen, soweit ihre Gesprächsthemen sie getragen hatten. Und irgendwann, als es schon dämmerte, waren sie auf dieses Haus gestoßen. Anna war verliebt stehen geblieben – sie liebte Kornblumen. Sie mochte jede Art von Blumen, ihre Wohnung und jetzt ihr Haus waren voll damit, doch Kornblumen hatten eine gewisse Magie, etwas, was ihr besonders gefiel. Sie konnte diese Blumen stundenlang betrachten und hatte sich immer noch nicht satt gesehen.
Zwei Wochen später hatte sie all ihr Hab und Gut verkauft und war in das kleine Häuschen im Kornblumenfeld gezogen. Sie brauchte nicht lang in die Stadt, um Lebensmittel zu besorgen und sich ab und zu mit ihrem Verleger zu treffen.
Anna war Schriftstellerin. Sie hatte nur ein Buch in ihrem Leben geschrieben, doch dieses hatte eingeschlagen wie eine Bombe. Von einem Schlag auf den nächsten war sie berühmt geworden. Anfangs hatte es ihr gefallen, all die Leserbriefe zu beantworten – doch als das Geschrei nach einer Fortsetzung immer lauter wurde, wurde sie immer leiser. Sie wollte keine Fortsetzung schreiben. Viel lieber würde sie ein neues Buch schreiben, ein anderes, eines das nicht so beliebt sein würde. Sie wollte all ihre Gedanken reinschreiben – über das Leben, die Liebe, über das Schöne in der Welt und über die Farben. Die Farben der Kornblumen, die Farben ihres Hauses und natürlich die Farben der Dämmerung, des Zwielichts, ihrer liebsten Tageszeit.
Schimu schnurrte. Anna hatte nicht bemerkt, dass sie laut gedacht hatte. Sie lächelte still und betrachtete den Himmel, der dieses Mal blutrot war. In der Stadt war der Himmel nie so schön gewesen, die Dämmerung nie so eine feste Tageszeit, die Tageszeit, auf die sie sich den ganzen Tag freute.
Nicht viele Leute verstanden ihre Vorliebe für das Zwielicht. Vor allem ihr Bruder hielt sie für eine Art Spinnerin, verwechselte sie mit einer Anhängerin diverser Subkulturen und riet ihr, sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Auch das war ein Grund gewesen, weshalb Anna sich entschlossen hatte, in das kleine Haus zu ziehen – hier war sie allein und ungestört, und auch wenn man sie für ungesellig hielt, so konnte sie doch immer in der Dämmerung an ihrem Fenster sitzen und den Himmel und die Kornblumenfelder betrachten und niemand machte Kommentare.
Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden, die dunkelblaue Nacht rückte nach. Anna dachte noch kurz nach.
„Es ist wieder Zeit, meine Liebe“, sagte sie dann zu Schimu. Die Katze betrachtete sie mit ihren großen, blauen Augen, stand schließlich auf, streckte sich genüsslich und sprang von Annas Schoß.
Anna holte Streichhölzer, zündete Kerzen an und setze sich an ihren Tisch. Sie tauchte ihre Feder in die Tinte, hielt die Spitze über das Blatt Papier und wartete. Auch eine Weile später hatte sie noch nichts geschrieben, die Tinte an ihrer Feder war schon wieder völlig eingetrocknet. Sie nahm ihr kleines Lederbuch, tauchte die Feder wieder in die Tinte und begann, die Idee für ein späteres Kapitel niederzuschreiben.

Die schönste Tageszeit ist das Zwielicht. In vielen Farben, je nach Laune der Natur, kann man betrachten, wie die Sonne ihren täglichen Kampf mit der Nacht verliert und hinter den Bergen, Häusern, Wäldern, oder hinter dem Meer verschwindet. Nach dem Zwielicht kommt die Nacht – die Nacht ist anders als der Tag. In der Nacht traut man sich Dinge zu tun, die man tags lassen würde. Man hat andere Ideen und andere Vorstellungen, vom Leben, der Liebe, von der Schönheit der Dinge und vielem mehr.
Am Tag liebt man die Schönheit der Natur, der Berge, der Bäume, der Blumen und der Felder. Im Zwielicht kann man Farben ganz anders betrachten – so wirkt die Farbe Blau am schönsten in der Dämmerung. Ein Kornblumenfeld wirkt am Tag ein wenig blass – doch im Zwielicht wirken die Blumen kräftig und wunderschön. Und in der Nacht liebt man den Mond, der durch das Fenster scheint, der sich in einem klaren See spiegelt, und die Sterne, die still und unveränderbar am Himmel stehen.
Doch am schönsten ist der Himmel in der Dämmerung. Wenn keine Wolken ihn bedecken, kann man ihn in vielen Farben bewundern, vom blassesten Gelb bis zum kräftigsten Rot, vom zartesten Rosa bis zum schönsten Violett.

Anna legte ihre Feder wieder zur Seite und las, was sie geschrieben hatte. Ja, dachte sie, heute war ein guter Tag gewesen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lithiriel,

das ist ein sehr sympathisches Stimmungsbild. Romantik pur: Überall blaut es, Abkehr von der lauten Stadt, zurück in die Natur, das einsiedlerische Dasein, mit Katze und Tintenfass. Sehnsucht nach Stille und schnörkellosem Leben. So verstehe ich das, als Stimmungsbild, es ist so eine textgewordene Sehnsucht, ohne wirkliche Handlung, ein Idealbild. Ich wollte selbst immer Einsiedler werden und weiß manchmal gar nicht, was ich in den rauschenden Städten verloren habe.

Im Zwielicht kann man Farben ganz anders betrachten – so wirkt die Farbe Blau am schönsten in der Dämmerung.

Im Zwielicht wirken Farben anders, erscheinen anders, zeigen andere Seiten von sich. Es sind ja die äußeren Gegebenheiten, die die Farben verändern, nicht, oder nicht in erster Linie, die Befindlichkeit des Betrachtenden.

In der Dämmerung waren die Kornblumen am schönsten.

Präsens: sind die Kornblumen am schönsten. Passiert ja im Text nichts, was diese Betrachtungsweise verneinen würde.

in der erzählt wurde dass blau in der Dämmerung am besten zur Geltung kam.

Weiß nicht ob dus wusstest: Diese Phase nennt sich blaue Stunde, obwohl sie viel kürzer ist als eine Stunde.

zündete Anna Kerzen an, setzte sich mit ihrer Feder und einem Tintenfass vor ein Blatt Papier und wartete.

Romantisch, romantisch - zurück zur Einfachheit. Solche Sehnsüchte verstehe ich als innere Gegenbewegung zu den wachsenden Komplexitäten. In der Original-Romantik war es glaub ich die beginnende Industrialisierung, heute böten sich beispielsweise Globalisierung und digitale Revolution an - Entwicklungen, die sich nicht abschätzen lassen und die dem Einzelnen die Illusion von der Berechenbarkeit des Lebens rauben. Dann denkt man sich: Hach, wie schön wars früher! Erinnert mich an Schimus Augenfarbe. Cooler Name für die Katze und Anna, ja, Palindrome sind toll.

verwechselte sie mit einer Anhängerin diverser Subkulturen und riet ihr,

ohne diesen Satz hätte ich sie zeitlich nicht verorten können. Weiß nicht, ob du das hier haben willst.

Anna war Schriftstellerin.

hihi, ich will auch Schriftstellerin werden, wenn ich groß bin. Würd ich rausnehmen. Wenn sie sich mit ihrem Verleger trifft und ihr erstes Buch ... also diese Hinweise dürften reichen.

Man könnte bemängeln, dass hier jegliche Spannung fehlt, also ein Gegenpol zu der Schönheit und dem Idyll, das die Ausgestaltung eines Wunsch-Empfindens ist, das natürlich so empfunden werden kann, aber das eben nur eine Seite ist. Ich habe mich trotzdem drüber gefreut. Solche Texte schreibe ich auch, aber ich traue mich nicht, sie zu zeigen.

Grüße
Kubus

 

Moin Lithiriel,

herzlich Willkommen auf kg.de. Du schreibst angenehm flüssig und die Atmosphäre wird schnell greifbar. Insgesamt ist die Geschichte sehr zart und leise. Das passt wunderbar zu Anna.

doch als das Geschrei nach einer Fortsetzung immer lauter wurde, wurde sie immer leiser. Sie wollte keine Fortsetzung schreiben.
Nicht viele Leute verstanden ihre Vorliebe für das Zwielicht.
Die Konflikte hat Du schön eingebettet. Das gefällt mir.
weshalb Anna sich entschlossen hatte, in das kleine Haus zu ziehen
Damit sind sie aber auch schon abgeschlossen. Einerseits passt dieser Rückzug wunderbar zu Anna. Andererseits hatte ich mir als Leser hier mehr erhofft. Ich gebe zu, ich habe gerne etwas mehr Spannung in den Geschichten.

Probiere doch mal, wie sich die Geschichte verändert, wenn Anna vielleicht eine versteckte Seite hat ... einen weiteren Grund, warum sie unbedingt in dieses Haus gezogen ist ... oder, warum sie lieber keine Fortsetzung schreiben möchte. Für mich steckt da noch Potential drin.

Gern gelesen,
Peter

 

Hallo Kubus,

freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat! Dass in dem einen Satz Präsens gehört, hatte ich ganz übersehen, da hast du natürlich vollkommen recht.

Da ich selbst Andeutungen nicht so toll finde und deshalb in einer Geschichte gerne geschrieben habe, was Sache ist, fand ich die Erklärung, dass Anna Schriftstellerin ist, angebracht - aber du hast recht, im Prinzip sind genug Hinweise da.

Danke für deinen Kommentar!

Hallo Peter,

freut mich, dass dir die Geschichte auch gefallen hat! Sie ist schon etwas älter, aber ich hab selbst schonmal überlegt, ob ich dran weiterschreiben soll. Eigentlich ist es nur ein Stimmungsbild, weshalb ich Spannung ein wenig unangebracht fand, aber wenn ich weiterschreiben sollte, werde ich deine Ratschläge beherzigen! Danke auch dir für deinen Kommentar.

Liebe Grüße,
Lithiriel

 

Moin Lithiriel.
Ich mag ruhige Stimmungsbilder, und dieses hier ist in meinen Augen gut gelungen. Die altmodische Schreibfeder störte mich ein wenig, aber andererseits... warum auch nicht?
Gruß
Lord

 

Hallo Lithiriel,

zunächst zwei Kleinigkeiten:

Anna wusste nicht mehr, wann sie beschlossen hatte, in das kleine Häuschen mitten in einem Kornblumenfeld zu ziehen. ....Doch eines Tages war sie mit einer Freundin spazieren gewesen. Sie hatten sich am Rand der Stadt getroffen und waren einfach gegangen, soweit ihre Gesprächsthemen sie getragen hatten. Und irgendwann, als es schon dämmerte, waren sie auf dieses Haus gestoßen. Anna war verliebt stehen geblieben – sie liebte Kornblumen. Sie mochte jede Art von Blumen, ihre Wohnung und jetzt ihr Haus waren voll damit, doch Kornblumen hatten eine gewisse Magie, etwas, was ihr besonders gefiel. Sie konnte diese Blumen stundenlang betrachten und hatte sich immer noch nicht satt gesehen.
Zwei Wochen später hatte sie all ihr Hab und Gut verkauft und war in das kleine Häuschen im Kornblumenfeld gezogen. Sie brauchte nicht lang in die Stadt, um Lebensmittel zu besorgen und sich ab und zu mit ihrem Verleger zu treffen.

Der markierte Satz ergibt für mich keinen Sinn, weil sie sich ja in den folgenden Sätzen ganz genau erinnert, wann sie den Beschluss gefasst hat.

Anna war Schriftstellerin. Sie hatte nur ein Buch in ihrem Leben geschrieben, doch dieses hatte eingeschlagen wie eine Bombe.

Beide Sätze haben mich gestört. Der erste erscheint überflüssig (und zu häufig gelesen in Stories von Leuten, die eben genau das gerne wären - wie wahrscheinlich viele von uns hier ;)
Der zweite ist so ein Klischeesatz. Es heißt immer, Klischees gehen gut z.b. in Dialogen; oder wenn die Figur generell in Klischees denkt, etwa in einem satirischen Text.
Gestern nacht habe ich im Fernsehen eine Werbung für Telefonsex gesehen und da konnte man dann ein Video mit Riesenbrüsten herunterladen. Das Werbebanner: "LASS DIESE BOMBEN AUCH AUF DEINEM HANDY EINSCHLAGEN." Da konnte ich lachen. Hier nicht.

Was mich insgesamt nicht überzeugt hat, war der "Plot". Ich habe eigentlich keine Geschichte gefunden in dem Text.

Gut gefällt mir Deine Sprache. Du schreibst schön, etwas blumig vielleicht, aber das passt ja nun gerade zu diesem Text.
Ich wäre gespannt, wie sich eine Geschichte von Dir lesen würde, welche echten Konflikt und Zuspitzung enthalten würde...

Viele Grüße, T.

 

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