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Zwanziger Schrot

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28.12.2009
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Zwanziger Schrot

In den letzten Tagen brachte ich ihm morgens eine Handvoll Munition, und jedesmal
fragte er mich nach der guten Flinte und dem 20er Schrot.
Nein, sagte ich. Das Luftgewehr reicht.
Wir haben hier keine Nachbarn, sagte er. Das hat keine Sau zu interessieren, das ist immer noch mein Grundstück!
Gegen Abend sammelte ich dann die Tauben ein.
Sie lagen auf der anderen Straßenseite, im Schatten des Dachvorsprungs. Ich hob sie auf und schmiss sie in die Mülltonne.
Wir alle warteten seit Wochen auf das Ende.
Er sagte, er will nicht alleine gehen.
Jeden Morgen, als ich in der Küche die Diabolos aus der Dose holte, saß meine Mutter am Tisch und schüttelte den Kopf.
Und was machen wir, wenn die Dose leer ist?
Ich antwortete ihr nicht. Ich griff mir ein Dutzend und brachte sie meinem Großvater in sein dunkles Zimmer im Obergeschoss.
Er lag im Bett vor dem offenen Fenster, das Gewehr schon über der Decke.
Ich legte ihm die Diabolos auf das Laken, ich reihte sie hintereinander auf wie eine Kette.
Mein Leben war beschissen, sagte er.
Draußen gurrten die Tauben. Es gab eine Menge Tauben in diesem Jahr.
Ich habe die Viecher schon immer gehasst, sagte er. Die taugen zu nichts.
Er sah mich nie an, wenn er mit mir sprach. Er starrte einfach aus dem Fenster.
Im Haus hörte man von den Schüssen nicht viel.
Als würde man mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlagen.
Mein Großvater starb; nur seine Hände schienen lebendig zu bleiben.
Jeder Schuss ein Treffer.
Nicht jede Taube war sofort tot.
Manchen musste ich erst das Genick brechen.
Mein Großvater besaß eine Menge Waffen.
Er ging früher oft zur Jagd und schoss auf seinem Grundstück auf Ratten und Mäuse.
Seinem jüngsten Sohn hat er einmal ins Auge geschossen.
Ein Versehen, wie er sagte. Außerdem sei es ja nur ein Diabolo gewesen.
Sein jüngster Sohn war mein Vater.
Das Projektil blieb in der Pupille stecken, nur deswegen verlor er das Auge nicht.
Mein Vater war nicht da, als es geschah. Er rief mittags an und sagte, er komme später, er müsse noch etwas auf der Arbeit erledigen.
Er kam erst nach Mitternacht, als habe er es geahnt.
Mein Großvater war nicht der einzige Mensch, den ich habe sterben sehen, aber er war der einzige, der sterben wollte.
Ich habe seine Atemzüge gezählt; viermal in der Minute, dann nur noch zweimal, ich blieb bei ihm bis zum letzten.
Er starb mit offenen Augen.
Ich nahm ihm das Gewehr aus den Händen, ging ans Fenster und zielte. Manchmal reicht die Bewegung eines Fingers, um sich zwischen Liebe und Hass zu entscheiden.
Mein Vater machte die nötigen Anrufe am nächsten Morgen.
Ich fragte, ob er schon Abschied genommen habe.
Er fragte, ob ich das Luftgewehr behalten wolle.
Ich habe nie verstanden, warum er meinem Großvater erlaubt hat zu tun, was er getan hat. Vielleicht weil er immer Sohn geblieben ist.
Die anderen Waffen wurden weggegeben, manche verschenkt. Am Ende blieb nur noch der Schrank aus dunkelgrauem Stahl übrig. Niemand wollte ihn haben; das Modell alt und überholt, der Widerstandsgrad zu gering.
Wenn jemand stirbt, beginnt seine Haut anders zu riechen. Streng, durchdringend. Man kriegt diesen Geruch nur schlecht wieder aus der Nase. Noch Wochen später hing er im ganzen Haus. Und als er schließlich verschwunden war, da war es so, als habe mein Großvater nie existiert. Kein Bild, kein Gegenstand, kein Kleidungsstück. Erst Jahre später fand ich heraus, dass mein Vater das Luftgewehr in einen Schirmständer in seinem Arbeitszimmer gestellt und dort vergessen hatte.
Ich behalte nur diese eine Erinnerung: Wie er das Gewehr lädt, die Hände ganz ruhig, und wie er etwas töten will, etwas mitnehmen auf die andere Seite.

 

Moin @jimmysalaryman,

ich mag Deine derzeitigen Miniaturen sehr, bin wirklich überrascht, wieviel man da heraus kitzeln kann. Ich habe versucht, mal genau zu gucken (vielleicht sogar abzugucken, also die Wirkung, die Technik), daher ist der Komm eventuell unverhältnismäßig lang.

In den letzten Tagen brachte ich ihm morgens eine Handvoll Munition, und jedesmal
fragte er mich nach der guten Flinte und dem 20er Schrot.
Nein, sagte ich. Das Luftgewehr reicht.
Drei Zeilen und es entsteht ein vollständiges Bild. Die Machtverhältnisse haben sich in irgendeiner Form gedreht, ein Konflikt liegt in der Luft.

Sie lagen auf der anderen Straßenseite, im Schatten des Dachvorsprungs.
Sorry, ich habe einfach durchzitiert, zum Sortieren hätte ich einen zweiten Durchlauf gebraucht. Dies hier ist eher ein kleiner Haker für mich.
Der Vater wird doch kaum auf ein gegenüberliegendes Haus schießen, oder? Die Aussage mit dem eigenen Grundstück und wir haben keine Nachbarn hatte bei mir ein anderes Bild ausgelöst. Eventuell das Gebäude benennen (Scheune?)

Er sagte, er will nicht alleine gehen. Also gingen die Tauben mit ihm.
Ich mag die Verknüpfung mit dem Taubenthema. Du ziehst es deutlich, aber für mich unaufdringlich durch den Text. Finde ich technisch und auch gefühlsmäßig richtig gut gemacht.

Er lag im Bett vor dem offenen Fenster, das Gewehr schon über der Decke.
Auch ein Satz, der ganz viel verrät. Der Enkel wird erwartet, ungeduldig denke ich. Auch die fehlende Kommunikation zu den anderen Familienangehörigen, sagt so viel aus.

Ich legte ihm die Diabolos auf das Laken, ich reihte sie hintereinander auf wie eine Kette.
Ich bin relativ sicher, das Du es als Stilmittel bewusst setzt, will trotzdem einmal sagen, das es für mich den Fluss der Sätze bremst - Geschmackssache sicherlich.

Mein Leben war beschissen, sagte er.
Draußen gurrten die Tauben. Es gab eine Menge Tauben in diesem Jahr.
Tolle Stelle für das Einbinden der Tauben, die ja unter anderem für Leben, Glück, Freiheit stehen.

Im Haus hörte man von den Schüssen nicht viel.
Als würde man mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlagen.
Hier bin ich unsicher, höre aber einen Friedel aufhorchen. Im ersten Satz Plural - Schüsse. Dann bezieht es sich auf einen Schuss. Ich persönlich fände es eleganter, wenn es eine Form bliebe. Ob es korrekt so ist, sorry, dafür bin ich zu doof :-)

Manchen musste ich erst das Genick brechen.
Geschmackssache definitiv. Für mich ein entbehrliches Füllwort an dieser Stelle.

Mein Vater war nicht da, als es geschah. Er rief mittags an und sagte, er komme später, er müsse noch etwas auf der Arbeit erledigen.
Er kam erst nach Mitternacht, als habe er es geahnt.
Auch das sagt soviel mehr, als hier steht. Empfinde ich als wirklich gut gemacht. Für mich könnte der letzte Halbsatz sogar weg, aber das ist ja immer so ein Balanceakt.

Kann man so jemanden lieben?
Ich habe seine Atemzüge gezählt; viermal in der Minute, dann nur noch zweimal, ich blieb bei ihm bis zum letzten.
Ich finde die Frage durchaus richtig/wichtig? Aber leiber, würde ich sie mir nur im Kopf stellen.
Die Atemzüge zählen ist ein starkes Bild, das geht nach.

Ich nahm ihm das Gewehr aus den Händen, ging ans Fenster und zielte. Manchmal reicht die Bewegung eines Fingers, um sich zwischen Liebe und Hass zu entscheiden.
Gefühlt konnte ich Deiner Geschcihte super folgen, glaube alle Bilder zu verstehen oder zumindet szu erspüren. Aber hier weiß ich einfach nicht, was der Autor mir erzählen möchte. Was geht da vor? Versucht er den Großvater zu verstehen?

Ich fragte, ob er schon Abschied genommen habe.
Er fragte, ob ich das Luftgewehr behalten wolle.
Super! Alles gesagt.

Ich habe nie verstanden, warum er meinem Großvater erlaubt hat zu tun, was er getan hat.
Vielleicht weil er immer auch Sohn geblieben ist.
braucht es das wirklich?

Noch Wochen später hing dieser Geruch im ganzen Haus.
Und danach war es so, als habe mein Großvater nie existiert.
Für mich ein kleiner Widerspruch. Ja, Du ziehst die zeitliche Grenze mit den Wochen, aber es fühlt sich seltsam an. Eventuell, weil man diesen nachlassenden Geruch ja nicht so präzisse zeitlich verorten kann?

Wir alle vergessen. Ich behalte nur eine Erinnerung an ihn: Wie er das Gewehr lädt, die Hände ruhig, den Blick gierig, und wie er etwas töten will, etwas mitnehmen auf die andere Seite, unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen.
Der kurze Satzt ist aus meiner Sicht unnötig, aber wie immer Geschmackssache. Der zusammenfassende Rückblick und das zeigen, das der Erzähler anders tickt, das Leben anders wahrnimmt finde ich toll gelöst und emotional sehr berührend.
Falls Du es noch nicht gemerkt hast - wirklich gerne gelesen und wiedermal einiges dazugelernt (na ja, eher neugierig geworden)
Viele Grüße
witch

 

Hallo @jimmysalaryman,

bei Tauben denke ich auch zuerst an Krankheiten und eher lästiges Viehzeug, da bin ich Team Großvater. Ich würd deswegen zwar nicht auf sie schießen, die haben auch bestimmt ihren Sinn und Zweck in der Natur, nur ich ganz persönlich assoziiere da nicht so viel Positives mit.

Manche verendeten langsam und qualvoll.
Hier dürfte es meinethalben gern konkreter werden, alles andere ist ja auch eher spezifisch als allgemein. Also zum Beispiel die Beschreibung, wie da manchmal eine Taube auf der Straße liegt, und dann zittert ein Flügel noch oder so was.

aber er war der einzige, der sterben wollte.
Er hat das Leben gehasst, alles daran.
Kann man so jemanden lieben?
Mit dem mittleren Satz habe ich ein bisschen gehadert. Ich fand ihn zumindest auf diesem engen Raum recht redundant mit
Mein Leben war beschissen, sagte er.
und wollte dafür plädieren, ihn einfach rauszunehmen. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob man jemanden lieben kann, der sterben will, was ja gedanklich in eine falsche Richtung führen könnte. Schwierig, aber bisschen doppelt gemoppelt - für FF, in längerer Kurzgeschichte oder Roman würde das sicherlich nicht auffallen - finde ich es immer noch.

Sehr gut gefallen mir die Bilder im Kopf trotz minimaler, aber dann eben richtiger Beschreibungen. Ich müsste Diabolos googeln, habe aber trotzdem ein Bild vor Augen.

Auch das verkorkste Leben, das erzählt wird, ohne großartig was darüber zu sagen - der Schuss ins Auge des eigenen Sohnes dürfte, man ahnt es, nur die Spitze des Eisbergs sein - ist großes Kino. Wer die letzten Tage damit verbringt, schwächeren Kreaturen Leid zuzufügen, und das auch noch voller Überzeugung (wobei ich mutmaße, die könnte gespielt sein; irgendwie wäre der Mann bei Verfilmung ein Fall für den späten Eastwood, so Gran-Torino-Ära), der wird wohl massive Verbitterung in sich tragen. Der Sohn ist raus, der hat zu viel direkt abgekriegt. Ich meine, das Auge. Der Enkel, mit mehr Abstand, spürt möglicherweise, dass die Welt den Großvater zu dem gemacht hat, der er ist. Da ist ein bisschen mehr Verständnis, glaube ich. Er könnte ja auch sagen, hol dir deine Flinte doch selbst. Auch im letzten Satz steckt das für mich drin: „ ….unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen.“ Mit anderen Worten: Arme Sau eigentlich.

Wir alle vergessen.
Das war mir bisschen zu „So ist das Leben“.

Sonst alles top!

Viele Grüße
JC

 

Hallo @jimmysalaryman,

mir geht es wie @greenwitch, ich lese deine Miniaturen auch sehr gerne, finde nur nicht immer etwas, was ich dazu sagen kann. Auch hier musste ich wieder bis ganz zum Ende warten:

Wir alle vergessen. Ich behalte nur eine Erinnerung an ihn: Wie er das Gewehr lädt, die Hände ruhig, den Blick gierig, und wie er etwas töten will, etwas mitnehmen auf die andere Seite, unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen.

Im Grunde mag ich das. Gefühlsmäßig hättest du schon bei den zehn Sätzen davor aussteigen können, ohne dass viel verloren geht, aber trotzdem, jeder der Sätze, der dann noch folgt, entfaltet seine Wirkung, ohne angepappt zu wirken.

Unsicher bin ich mir aber beim letzten Teilsatz: unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen. Bis dahin fährt der Erzähler eine klare Linie, beobachtend, ein Stück weit analysierend, aber nie urteilend. Trotzdem lese ich zwischen den Zeilen immer wieder eine Entfremdung raus, zum Beispiel wenn er vorsichtig fragt: kann man so jemanden lieben? Oder wenn er zwar für Munitionsnachschub sorgt und dann der ist, der den Tauben das Genick bricht, nicht aus Spaß an der Freude, sondern um sie nicht qualvoll vernenden zu lassen. Da spürt man eine große Ambivalenz, ohne dass es deutlich ausgesprochen wird. Ich weiß, dass er es nicht gutheißt, was da passiert, auch wenn es eine Information ist, die der Text mir nicht aufs Brot schmiert. Und es fühlt sich gut und belohnend an, sich diese Erkenntnis selbst erarbeiten zu können.

Am Ende wird mir die Arbeit aber abgenommen, da distanziert der Erzähler sich. Was gut ist, das ist die wünschenswerte Persönlichkeitsentwicklung, soweit ich das beurteilen kann, aber ich bräuchte es gar nicht so deutlich. Ich glaube auch so an den Erzähler und das bisschen Restzweifel wird eh immer bleiben - er ist eben auch nur der Sohn eines Sohns.

Vielen Dank fürs Teilen!

Bas

 

Ich mag Deine derzeitigen Miniaturen sehr, bin wirklich überrascht, wieviel man da heraus kitzeln kann.
Liebste witch, danke dir sehr für Zeit und Kommentar.

Hört man natürlich gerne. Ich habe so eine Phase, ich basel rum, bereite mich mental auf den nächsten Roman vor, habe aber noch Stories zu redigieren und habe auch viel gelesen, meistens kurze Prosa, und so bin ich drauf gekommen, diese "Mini-Romane" zu schreiben.

Der Vater wird doch kaum auf ein gegenüberliegendes Haus schießen, oder? Die Aussage mit dem eigenen Grundstück und wir haben keine Nachbarn hatte bei mir ein anderes Bild ausgelöst. Eventuell das Gebäude benennen (Scheune?)
Vollkommen korrekt. Scheune muss dahin. Wird geändert.
Ich mag die Verknüpfung mit dem Taubenthema. Du ziehst es deutlich, aber für mich unaufdringlich durch den Text. Finde ich technisch und auch gefühlsmäßig richtig gut gemacht.
Danke dir sehr. Ist diese Idee, die Tauben, die für das Unnütze stehen, er sagt das auch, die taugen zu nichts, wie eine Spiegelung des Ganzen.
Gefühlt konnte ich Deiner Geschcihte super folgen, glaube alle Bilder zu verstehen oder zumindet szu erspüren. Aber hier weiß ich einfach nicht, was der Autor mir erzählen möchte. Was geht da vor? Versucht er den Großvater zu verstehen?
Drückt er ab, ist es Hass. Ich denke, hier fokussiert der Text auf den einzigen Punkt, der dort noch zählt: entweder oder.
Für mich ein kleiner Widerspruch. Ja, Du ziehst die zeitliche Grenze mit den Wochen, aber es fühlt sich seltsam an. Eventuell, weil man diesen nachlassenden Geruch ja nicht so präzisse zeitlich verorten kann?
Ja, ist mir noch nicht aufgefallen. Überlege ich mir was.
Der kurze Satzt ist aus meiner Sicht unnötig, aber wie immer Geschmackssache. Der zusammenfassende Rückblick und das zeigen, das der Erzähler anders tickt, das Leben anders wahrnimmt finde ich toll gelöst und emotional sehr berührend.
Ich überdenke den letzten Absatz sowieso gerade. Deswegen ist das ein guter Input. Ich glab, ich haue den ganz raus! Ja, ich bin mal radikal!

Falls Du es noch nicht gemerkt hast - wirklich gerne gelesen und wiedermal einiges dazugelernt (na ja, eher neugierig geworden)
Ja, danke dir sehr. Ich probiere was Neues, und wenn dann etwas funktioniert, freut mich das sehr! Ich hoffe, du bleibst dran, ich hab noch ein paar mehr auf Lager!

Gruss, Jimmy

 

Kann man so jemanden lieben?
Servus Jimmy,

ist ein sehr starkes Teil für mich, ich mag das sehr. Kann man so jemanden lieben? Gerade der Großvater hat es mir angetan, das ist so eine mächtige Figur. Als ich den das erste Mal gelesen hab, hab ich eine Befreiung beim Lesen gespürt, es ist eine Selbstermächtigung des Großvaters, auch eine brutale Ehrlichkeit: Ich habe alles am Leben gehasst. Alles mit ins Jenseits jagen zu wollen, was er seit je gehasst hat, wiekt wie eine letzte Selbstermächtigung, ein letztes Aufbäumen - die Tauben sind nur Projektion für den Mann, sie stehen für die Dinge, die ihn im Leben malträtiert haben, so verstand ich seine Psychologie. Das hat auch fast etwas zum Neidischwerden: Endlich ohne Preis zu zahlen noch einmal dagegen austeilen, wogegen man immer austeilen wollte. Das hat etwas sehr Freies, auch wenn es jetzt objektiv betrachtet natürlich grausam ist. In mir hat das so etwas bedient: Ich will auch diese Freiheit :D Gerade deswegen empfand ich das Bild als mächtig. Ja, das hat einen guten Drive und mächtige Bilder. Es bleibt aber auch nicht zu schlagseitig, an seinem Sohn sieht man, was der Preis dieses Austeilens sein kann, die Verletzung anderer.

Schöne Grüße
zigga

 

Mit dem mittleren Satz habe ich ein bisschen gehadert. Ich fand ihn zumindest auf diesem engen Raum recht redundant mit
Mein Leben war beschissen, sagte er.
und wollte dafür plädieren, ihn einfach rauszunehmen.
Moin Proof, und danke dir sehr für deine Zeit und deinen Kommentar, hat mich gefreut.

Ich denke, du hast Recht, ich nehmen den raus bei der Überarbeitung. Manchmal schwierig, da einen Gradmesser zu finden, was rein muss und was nicht, bei Flash vielleicht sogar noch etwas schwieriger, weil der Rahmen sowieso schon reduziert ist. Da wird man auch schnell betriebsblind.

Sehr gut gefallen mir die Bilder im Kopf trotz minimaler, aber dann eben richtiger Beschreibungen. Ich müsste Diabolos googeln, habe aber trotzdem ein Bild vor Augen.
Ja, auch so eine Sache. Man muss sich dann entscheiden, was man wie zeigen will, zu viel ist nie gut, zu wenig aber auch, am Ende müssen sie eben genau zum Thema passen, freut mich, wenn es für dich hier funktioniert.
Auch das verkorkste Leben, das erzählt wird, ohne großartig was darüber zu sagen - der Schuss ins Auge des eigenen Sohnes dürfte, man ahnt es, nur die Spitze des Eisbergs sein - ist großes Kino. Wer die letzten Tage damit verbringt, schwächeren Kreaturen Leid zuzufügen, und das auch noch voller Überzeugung (wobei ich mutmaße, die könnte gespielt sein; irgendwie wäre der Mann bei Verfilmung ein Fall für den späten Eastwood, so Gran-Torino-Ära), der wird wohl massive Verbitterung in sich tragen. Der Sohn ist raus, der hat zu viel direkt abgekriegt. Ich meine, das Auge. Der Enkel, mit mehr Abstand, spürt möglicherweise, dass die Welt den Großvater zu dem gemacht hat, der er ist. Da ist ein bisschen mehr Verständnis, glaube ich. Er könnte ja auch sagen, hol dir deine Flinte doch selbst. Auch im letzten Satz steckt das für mich drin: „ ….unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen.“ Mit anderen Worten: Arme Sau eigentlich
Das ist schon echt sehr gut analysiert. Ich weiß nicht, ob es solche Menschen gibt, ich glaube schon, ich stelle mir das so vor, so ein richtiges Arschloch, ganz ohne Clint Eastwood Momente, die muss es doch geben!
Das war mir bisschen zu „So ist das Leben“.
Fliegt auch raus! Danke dir!

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

was für ein erbärmlicher Mensch, dieser Großvater. Da gibt es keine Nuancen, der ist durchgängig voller Hass und Gekränktheit. Hilflos wie ein Säugling, sterbend und immer noch Herr über Leben und Tod, indem er Tauben abknallen darf. Der liegende Mann mit dem Gewehr auf der Bettdecke, das hat etwas Groteskes.
Ich finde das total interessant, wie du dieses personifizierte Arschloch der Familie gegenüberstellst, die Eltern wirken resigniert, sie vermeiden den Kontakt, selbst den einer Auseinandersetzung, er kriegt, was er will, weil alle hoffen, dass er sowieso bald geht, die Wunden sind zu tief. Tauben, die sicherlich auch in den Augen der Eltern nicht viel taugen, sind ein Opfer, das keinem sonst weh tut.
Der Erzähler jedoch trägt einen Konflikt in sich aus. Er wird mit der Munition hochgeschickt. Und er erlöst die Tiere. Für mich stehen die Tiere für das Arglose, Schwache, Verachtete. Nur der Enkel sieht sie auch als leidende Wesen, später auch als schöne Wesen und hat Mitgefühl, genau wie er in seinem Großvater nach etwas Liebenswertem sucht, versucht, ihn zu verstehen, bis zum Schluss bei ihm bleibt.

Ich legte ihm die Diabolos auf das Laken, ich reihte sie hintereinander auf wie eine Kette.
Mein Leben war beschissen, sagte er.
Was für eine Mischung, die Kugeln, die es dem Großvater ermöglichen, seine Grausamkeit auszuleben und die Fürsorglichkeit mit der der Enkel sie dort hindekoriert. Tolles Bild. Ich sehe es so, dass diese Geste den Großvater zu dem Gefühlsausbruch verleitet. Wir erfahren nicht, was sein Leben so beschissen gemacht hat. In der Geschichte wird er versorgt mit dem, was er will, ein Machtmensch, aber er wird nicht geliebt. Aus gutem Grund.
Er hat das Leben gehasst, alles daran.
Kann man so jemanden lieben?
Ich habe seine Atemzüge gezählt; viermal in der Minute, dann nur noch zweimal, ich blieb bei ihm bis zum letzten.
Eine seltsame Frage, die sich der erwachsen gewordene Junge stellt. Du gibst nicht den kleinsten Hinweis, dass den Jungen etwas Positives mit dem Großvater verbinden könnte, der ihn nicht einmal anschaut. Dennoch fülle ich mir irgendwie die Leerstelle, etwas gab es, was den Jungen auch fasziniert hat. Den Satz davor, das denkt der Erzähler, aber da zweifle ich. Zum Beispiel denke ich, der Großvater hat es gemocht, auf die Jagd zu gehen. Auch hier wundere ich mich, dass der Erzähler das noch als Erwachsener denkt. Vielleicht so ein Familienglaubenssatz, der nicht hinterfragt wird.
Mein Vater machte die nötigen Anrufe am nächsten Morgen.
Ich fragte, ob er schon Abschied genommen habe.
Er fragte, ob ich das Luftgewehr behalten wolle.
Ich habe nie verstanden, warum er meinem Großvater erlaubt hat zu tun, was er getan hat.
Vielleicht weil er immer auch Sohn geblieben ist.
Das bezieht sich vermutlich nicht nur auf das Schießen, für mich auch eine Andeutung auf andere Dinge, die der Großvater der Familie angetan hat. Der Vater ist eben auch der Sohn geblieben, dem der eigene Vater ins Auge geschossen hat, ohne viel Reue zu zeigen, die Angst wird ein Leben lang sitzen.
Der Enkel hingegen kann ihm immerhin eine Grenze setzen:
Nein, sagte ich. Das Luftgewehr reicht.

Und danach war es so, als habe mein Großvater nie existiert.
Kein Bild, kein Gegenstand, kein Kleidungsstück. Nichts erinnerte an ihn.
Bitter. Und nach dem was ich bisher gelesen habe, folgerichtig. Aber der Enkel erinnert sich, wundert sich und bewahrt damit in gewisser Weise das Andenken. Irgendwie riecht das Ganze für mich auch nach Kriegsgeschichten. Die betroffene Generation verdrängt, die nachfolgende versucht zu verstehen.
Wie er das Gewehr lädt, die Hände ruhig, den Blick gierig, und wie er etwas töten will, etwas mitnehmen auf die andere Seite, unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen.
Ja der letzte Satz. Hat mich überrascht. Passt schon zu den Fragen, die der Erzähler vorher hatte, auch dem Sinn für Ästhetik, mit dem er die Patronen aufreiht. Ich weiß, dass es ein Streichkandidat für dich ist, vielleicht, weil es zu direkt ist. Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall eine merkwürdige Interpretation des Erzählers, dass der Großvater die Tauben erschossen hat, um nicht alleine gehen zu müssen, als Gesellschaft sozusagen, wie ein ägyptischer Pharao. Und das, wo er die Tauben so hasst. Sieht er da auch die Einsamkeit des Großvaters? Der gierige Blick weist für mich schlicht auf eine Lust am Töten, die ihm am Ende seine eigene Machtlosigkeit dem Tod gegenüber auch erträglicher macht.

Das sind so meine Gedanken dazu. Ist echt ein beeindruckender Text. Mir gefallen deine Kurzen sehr gut und ich bin gespannt auf mehr.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @jimmysalaryman

Wurde schon einiges gesagt, ich halte mich deshalb kurz. Schreibe zur ein oder anderen Stelle was auf, dass mir dazu eingefallen ist.

Wir alle warteten seit Wochen auf das Ende.
Er sagte, er will nicht alleine gehen. Also gingen die Tauben mit ihm.
Jeden Morgen, als ich in der Küche die Diabolos aus der Dose holte, saß meine Mutter am Tisch und schüttelte den Kopf.
Ich denke, den Satz braucht's nicht, man versteht auch so, was gemeint ist, wenn der Grossvater des Erzählers sagt: Ich will nicht allein gehen.

Und was machen wir, wenn die Dose leer ist?
Es war die letzte Dose. Ich antwortete ihr nicht. Ich griff mir ein Dutzend und brachte sie meinem Großvater in sein dunkles Zimmer im Obergeschoss.
Ich finde, das braucht es auch nicht wirklich. In der Frage der Mutter ist bereits enthalten, dass es die letzte Dose ist. Vielleicht könnte vorher erwähnt werden, dass es mal mehrere Dosen waren, falls das wichtig ist.

Nicht jede Taube war sofort tot.
Manche verendeten langsam und qualvoll.
Manchen musste ich erst das Genick brechen.
Die Stelle würde für mich viel stärker ohne den zweiten Satz wirken.

Seinem jüngsten Sohn hat er dabei einmal ins Auge geschossen.
Sein jüngster Sohn war mein Vater.
Mein Vater war nicht da, als es geschah. Er rief mittags an und sagte, er komme später, er müsse noch etwas auf der Arbeit erledigen.
Hier hatte ich Mühe, das richtig zu verstehen, ich denke, es hat mit der Abfolge zu tun. Zuerst habe ich es so gelesen, das 'mein Vater war nicht da, als es geschah' sich darauf bezieht, dass der Grossvater dem Vater des Erzählers ins Auge geschossen hat. Aber das machte ja keinerlei Sinn. Erst nach zwei, dreimaligem Lesen habe ich kapiert, dass mit 'als es geschah' gemeint ist, dass der Grossvater starb. Aber wahrscheinlich liegt das einfach an meiner Lesart, dass ich da Mühe hatte, bzw. habe ich vielleicht zu wenig aufmerksam gelesen, weil ich das mit dem Tod des Grossvaters hier nicht mehr wirklich vorm Auge hatte (weil an der Stelle der Fokus ein anderer ist).

Er ging früher oft zur Jagd und schoss auf seinem Grundstück auf Ratten und Mäuse.
Seinem jüngsten Sohn hat er dabei einmal ins Auge geschossen.
Auch das hier könnte ein wenig entzerrt werden: Ich nehme an, er hat dem jüngsten Sohn auf der Jagd ins Auge geschossen, nicht während der Hatz auf Ratten und Mäuse, oder? Naja, bin vielleicht wieder nur ich.

Wenn jemand stirbt, beginnt seine Haut anders zu riechen. Der Geruch ist nur schwer zu beschreiben. Streng, durchdringend. Man kriegt ihn nur schlecht wieder aus der Nase.
Ich weiss nicht, braucht's das? Wenn streichen eine Option ist, beim letzten Satz vielleicht: Man kriegt den Geruch nur schlecht wieder aus der Nase. Ehrlich gesagt hätte ich mir hier aber eine etwas genauere Beschreibung des Erzählers gewünscht: Wie riecht denn ein Toter? 'Der Geruch ist nur schwer zu beschreiben' finde ich ein wenig einfach, okay, so kann ich mir als Leser selbst was vorstellen, vielleicht verstärkt das die Wirkung. Doch scheinbar hat es ja da wochenlang nach Tod gerochen, ich denke, da könnte er diesen Geruch vielleicht genauer benennen. Das mit der Haut noch, und das mag jetzt kleinlich sein: Es liest sich fast ein wenig so, als hätte der Erzähler direkt an der Haut des Toten geschnuppert, etwas salopp gesagt.

Ich finde das gekonnt, auf so kurzer Strecke so viel zu erzählen. Habe das wiederum sehr gerne gelesen.

Beste Grüsse,
d-m

 

Im Grunde mag ich das. Gefühlsmäßig hättest du schon bei den zehn Sätzen davor aussteigen können, ohne dass viel verloren geht, aber trotzdem, jeder der Sätze, der dann noch folgt, entfaltet seine Wirkung, ohne angepappt zu wirken.
Moin Bas,

danke auch dir für Zeit und Kommentar. Zehn Sätze, weiß ich nicht, aber ich verstehe den Gedanken dahinter. Ich bastel noch aktuell am Text.

Unsicher bin ich mir aber beim letzten Teilsatz: unfähig, der Schönheit einer auffliegenden Taube etwas abzugewinnen. Bis dahin fährt der Erzähler eine klare Linie, beobachtend, ein Stück weit analysierend, aber nie urteilend.
Das ist sicher richtig. Ich denke, ich habe hier dem Text vielleicht nicht ganz vertraut, man ist sich ja nie so ganz sicher, wie weit geht der Leser mit? Vielleicht auch ein wenig die erzwungene Poesie am Ende, ganz kann ich mich ja auch nicht davon verschließen, mein Herz ist nur scheinbar aus Stein!

Ich glaube auch so an den Erzähler und das bisschen Restzweifel wird eh immer bleiben - er ist eben auch nur der Sohn eines Sohns.
Das hier ist wohl sehr wahr, man bleibt immer auch Sohn. Was ich bei diesen Stories so mag, ist eben genau diese Vagheit, das Offensichtliche oder Tatsächliche bleibt unter der Oberfläche, nur erahnbar.

Hab mal überarbeitet, den letzten Satz raus, ich denke, es liest sich so runder.

Gruss, Jimmy

 

Ist ein sehr starkes Teil für mich, ich mag das sehr. Kann man so jemanden lieben? Gerade der Großvater hat es mir angetan, das ist so eine mächtige Figur.
Moin zigga, ich weiss nicht, mir hat der Großvater auch gefallen beim Erfinden, weil das auch so eine aus der Zeit gefallene Figur ist, ein richtiges Arschloch. Das Schöne ist ja, man weiß nie so genau, was ihn hat so werden lassen, Krankheit etc, aber so ist es eben nun, ich finde ja, man muss nicht immer alles ganz genau erfahren,
Alles mit ins Jenseits jagen zu wollen, was er seit je gehasst hat, wiekt wie eine letzte Selbstermächtigung, ein letztes Aufbäumen - die Tauben sind nur Projektion für den Mann, sie stehen für die Dinge, die ihn im Leben malträtiert haben, so verstand ich seine Psychologie. Das hat auch fast etwas zum Neidischwerden: Endlich ohne Preis zu zahlen noch einmal dagegen austeilen, wogegen man immer austeilen wollte.
Ich glaube, das ist so der Punkt, wo man am besten ankoppelt. Ist auch ein entweder/oder Punkt, weil entweder versteht man einen solchen Charakter, oder eben nicht, das liegt auch an einem selbst, an seiner eigenen emotionalen Vita. Das ist eine Gratwanderung, finde ich, auch insofern, dass es natürlich nicht geht, dass der Tauben erschießt, nur weil er Bock drauf hat, aber es hat eben auch etwas Finales, etwas wie eine Abrechnung. Das ist auch unterdrückte Wut, Hass vielleicht sogar, und man weiß auch nicht, wie damit umgehen?, der eine geht da offensiv mit um, der andere frißt es in sich rein und agiert dann so, agiert sich an Schwächeren, an unbeteiligten Wesen ab. Schwierig. Ist sicher auch ein Typus, den es in der modernen Literatur eher weniger gibt, also das ernst gemeinte Arschloch, was nicht ironisch gebrochen oder vorgeführt wird. Ich denke, hier rettet es die Perspektive, dass der Enkel erzählt und es quasi filtert, das ist eh so eine Sache, wie entsteht Nähe und Distanz in einem Text, das kann man sich sehr gut zu Nutze machen gerade bei so kurzen Texten.

Danke dir für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut!

Gruss, Jimmy

 

was für ein erbärmlicher Mensch, dieser Großvater. Da gibt es keine Nuancen, der ist durchgängig voller Hass und Gekränktheit. Hilflos wie ein Säugling, sterbend und immer noch Herr über Leben und Tod, indem er Tauben abknallen darf. Der liegende Mann mit dem Gewehr auf der Bettdecke, das hat etwas Groteskes.
Hallo Chutney und danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar! Hat mich sehr gefreut.

Grotesk ist gut, ein guter Begriff. Ich glaube, dieser letzte Wille zur Macht und die gleichzeitige Hilflosigkeit, auch das Gewährenlassen, das Angewiesen-sein, das spielt alles in dieses Bild mit rein. Ich habe den Text nochmals gekürzt, ich finde ihn so griffiger, er wirkt kompakter, aber ohne etwas zu verlieren.

Ich finde das total interessant, wie du dieses personifizierte Arschloch der Familie gegenüberstellst, die Eltern wirken resigniert, sie vermeiden den Kontakt, selbst den einer Auseinandersetzung, er kriegt, was er will, weil alle hoffen, dass er sowieso bald geht, die Wunden sind zu tief. Tauben, die sicherlich auch in den Augen der Eltern nicht viel taugen, sind ein Opfer, das keinem sonst weh tut.
Ja, das ist ein Symbol, denke ich. In vielen Familien wird das so gehandhabt, nehme ich an, ich kenne es jedenfalls so, das große Schweigen, das Gewährenlassen, das nicht Hinterfragen, unter den Teppich kehren. Hier gibt es ja nun wenigstens einen Ausweg, der alte Kotzbrocken verreckt demnächst, danach sieht es dann besser, anders aus.
Was für eine Mischung, die Kugeln, die es dem Großvater ermöglichen, seine Grausamkeit auszuleben und die Fürsorglichkeit mit der der Enkel sie dort hindekoriert. Tolles Bild. Ich sehe es so, dass diese Geste den Großvater zu dem Gefühlsausbruch verleitet. Wir erfahren nicht, was sein Leben so beschissen gemacht hat. In der Geschichte wird er versorgt mit dem, was er will, ein Machtmensch, aber er wird nicht geliebt. Aus gutem Grund.
Genau, das ist fein beobachtet. Ich finde, bei solchen kurzen Texten muss alles angedeutet sein, der Text muss aus sich selbst heraus auf etwas Größeres verweisen, ohne das aber auszuerzählen, ohne das Gange sagen zu wollen, dadurch entsteht so ein Gewohnheitsbrecher beim Lesen, so nenne ich das, weil viele Texte einem alles auch wirklich dreimal !!! erklären, damit man es versteht. Ich bin der Meinung, Texte sollten nicht erklären, und auch wenn sie kryptisch oder unfertig oder unlogisch wirken, oft sind sie auf eine Art und Weise in sich doch stimmig, sie erfüllen nur nicht die so oft gepredigten Glaubenssätze, wie eine Narrative auszusehen hat. Bei diesem Format, Flash Fiction, da finde ich kann man auch gerne mal an die Grenzen gehen.
ch weiß, dass es ein Streichkandidat für dich ist, vielleicht, weil es zu direkt ist. Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall eine merkwürdige Interpretation des Erzählers, dass der Großvater die Tauben erschossen hat, um nicht alleine gehen zu müssen, als Gesellschaft sozusagen, wie ein ägyptischer Pharao. Und das, wo er die Tauben so hasst. Sieht er da auch die Einsamkeit des Großvaters?
Ich habe den Satz gelöscht, ich finde, das braucht es nicht, es ist da implizit mit drin, und es ist auch wenig eine Zumutung, weil der Leser dann doch überfrachtet wird, aber alles, was diesen Mann ausmacht, macht der Text doch schon deutlich, in dieser Stringenz und Überdeutlichkeit muss es dann nicht auch noch ausbuchstabiert werden.
Der gierige Blick weist für mich schlicht auf eine Lust am Töten, die ihm am Ende seine eigene Machtlosigkeit dem Tod gegenüber auch erträglicher macht.
Ja, so war es gedacht, er macht weiter, vielleicht hat er sogar eine innere Strichliste, er will soviele Tauben wie möglich mitnehmen, wie so eine Art Blutrausch, das war so der Gedanke, blind dem Prozess des Sterbens und damit auch das Abschiednehmens gegenüber.
Das sind so meine Gedanken dazu. Ist echt ein beeindruckender Text. Mir gefallen deine Kurzen sehr gut und ich bin gespannt auf mehr.
Sehr gute Gedanken, die mich weitergebracht haben. Vielen Dank für dein Lob, ich arbeite an weiteren Texten, erstmal jetzt für die Challenge, dauert aber noch was, bin zur Zeit etwas eingespannt, real life chores.

Gruss, Jimmy

 

Hier hatte ich Mühe, das richtig zu verstehen, ich denke, es hat mit der Abfolge zu tun. Zuerst habe ich es so gelesen, das 'mein Vater war nicht da, als es geschah' sich darauf bezieht, dass der Grossvater dem Vater des Erzählers ins Auge geschossen hat.
Danke auch dir für deinen Kommentar, @deserted-monkey

Wieder viel Gutes dabei. Ich habe den Text mal überarbeitet, ist einiges rausgeflogen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr man da noch wegschneiden kann, und trotzdem der Kern offensichtlich bleibt. Also, die meisten deiner Vorschläge habe ich übernommen, einiges mal geändert, vielleicht wird dadurch der Rest auch deutlich, kontrastreicher, schärfer.

Wie riecht denn ein Toter? 'Der Geruch ist nur schwer zu beschreiben' finde ich ein wenig einfach, okay, so kann ich mir als Leser selbst was vorstellen, vielleicht verstärkt das die Wirkung. Doch scheinbar hat es ja da wochenlang nach Tod gerochen, ich denke, da könnte er diesen Geruch vielleicht genauer benennen. Das mit der Haut noch, und das mag jetzt kleinlich sein: Es liest sich fast ein wenig so, als hätte der Erzähler direkt an der Haut des Toten geschnuppert, etwas salopp gesagt.
Habe ich auch geändert. In der Tat, also so empfinde ich das, riecht die Haut bei einem sterbenden Menschen anders, das kann sich auch Monate vorher ankündigen, es ist eine Erfahrung, die ich im Beruf mache oder gemacht habe; die Haut riecht dann seifiger, penetranter, wirklich schwer zu beschreiben, aber es kündigt den baldigen Tod an, so meine eigene Empirie. Das wollte ich hier unterbringen. Ich habe das mal geändert, weil du natürlich Recht hast, es ist etwas beliebig und unbestimmt, einfach zu sagen: das ist schwer zu beschreiben.
Ich finde das gekonnt, auf so kurzer Strecke so viel zu erzählen. Habe das wiederum sehr gerne gelesen.
Ja, danke dir. Ich versuche das gerade, so ganz knapp, es ist auch seltsam, weil man sich nach bestimmten Themen umsieht, die man innerhalb dieser Kürze gut erzählen kann, da bieten sich nicht so viele wirklich an, ich befinde mich gerade in einer seltsamen coming of age Ära, vor meinem inneren Auge laufen diese Texte ab wie Jugendfilme aus den 80ern, die sehr, sehr schlecht gealtert sind, hahaha.

Danke dir für Zeit und Kommentar und sorry, dass ich länger gebraucht habe, ich bin zur Zeit sehr eingebunden auf der Lohnarbeit.

Gruß, Jimmy

 

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