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Zufallsbekanntschaft

mwd

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01.11.2002
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Zufallsbekanntschaft

Immer wenn sie nachts in die Straßenbahn steigt huschen unsere Blicke für Sekunden fast zufällig ineinander. Aus dunklen Augen lächelt sie lieb und gleichzeitig provokant. Fast ist es wie eine liebe Gewohnheit und dennoch voll soviel Resignation. Täglich wirkt ihr Blick ein wenig gehetzter ein bisschen weniger hoffnungsvoll.

Heute wirft sie ihre lange, gelockte, rostrote Mähne mit einer energischen Kopfbewegung schwungvoll über die linke Schulter und fläzt sich dann lässig in die Sitzreihe vor mir.

Wir hängen beide mehr quer als längs, mehr lustlos als wach in unseren ungemütlich harten drachengrünen Plastiksitzen. Die ganze Fahrt über schauen wir uns nicht wieder an, versuchen aber hier und da das alte Spiel Augen-die-sich-in-Glastüren- spiegeln.

Draußen rinnt ein heftiger Regenschauer gemütlich prasselnd in ellenlangen Fäden vom Himmel und kullert weiter, in dicken Tropfen die Fensterscheiben hinunter auf den nassglänzend schwimmenden Asphalt. Am Chlodwigplatz öffnen sich die Türen. ein Schwall frischer neblig kalter Novemberluft flutet mir entgegen.

Plötzlich springt mich die Lust auf einen Nachtspaziergang an. Ich steige aus. Staunend stelle ich fest, dass sie mir nachkommt. Stundenlang schlendert sie zehn oder zwölf Schritt hinter mir durch die herbstliche Kölner Regennacht. Ich werde nervös. Ich will Klarheit, warum ich verfolgt werde. Überraschend und ruckartig drehe ich mich um und frage, doch auch sie bleibt stehen, nähert sich nicht.

Ich geh nun schneller als zuvor. - Sie folgt mir schneller. - Demonstrativ verlangsame ich meinen Schritt wieder. - Sie bleibt in bedeutsam bequemer Entfernung.

Als ich an der Haustür ankomme und aufschließe kommt sie endlich näher. Ihr warmer Schatten schmiegt sich an meinen Körper. Sie lässt die glitschnassen Strähnen meines Haares zärtlich durch ihre langen schlanken Finger gleiten, streichelt mir den Nacken und bittet mehr als sie fragt: "Nimmst du mich noch mit zu Dir? Bitte!"

"Nach dir", lächle ich, erleichtert, dass es nur das ist und stoße die Haustür sperrangelweit auf. Bei einer Flasche Weißwein geraten wir ins Plaudern. Sie erzählt viel, doch nichts von sich. Ständig weicht sie aus, sagt nicht mal wie sei heißt. Sie redet über FreundInnen, Männer und Bekannte. Und obwohl ich glaube, dass sie mich nicht kennen kann, spricht sie viel von denen die mir lieb sind. Ich wage nicht zu fragen woher sie weiß...

Später setzt sie sich vielleicht ein wenig zu cool, zu lässig auf meinen Schoß. Wir küssen uns zunächst vorsichtig und zärtlich, sind aber schon betrunken genug, um schnell die nötige Nähe und Vertrautheit zu finden. Später bemerkt sie beiläufig, dass sie müde sei.

Nur Minuten aber tausend Küsse später steht sie auf und sagt energisch "Also ich geh´ jetzt ins Bett". Sie zieht sich aus, blickt mir, wie zur Bekräftigung unserer Vertrautheit nochmals tief in die Augen. Dabei steht sie in rosa getupfter weißer Spitzenwäsche mitten in der Küche, die auch das Wohnzimmer meiner Zweizimmerbude ist und wirkt ein wenig verloren, ja sogar ein bisschen hilflos.

Doch dann blitzt ein selbstsicheres, liebes Funkeln in ihren Augenwinkeln und sie entlarvt bewusst ihre Provokation. Ich mag jetzt noch nicht bei ihr, mit ihr im Bett liegen. Nicht weil ich irgendwelchen pietistischen Moralvorstellungen anhinge, nicht auf Frauen "stünde" oder mir als Mann-für-eine-Nacht zu schade sei. Doch diese Nacht verbringe ich, einem eher unbestimmten Gefühl folgend lieber zusammengekauert im Sessel.

Als ich spät am Morgen erwache, suche ich sie vergebens. Das Bett gähnt mir leer seine Kälte entgegen. Sie ist schon lange fort. Auf dem Schreibtisch mit dem Jugendstilmuster liegt ein kleiner grauer Schmierzettel, in lila mit meinem Lieblingsfüller geschrieben:

"Guten Morgen du Langweiler!" steht da und noch: "ich liebe dich.

Ciao und bis bald Deine Einsamkeit".

 

...Ich hielt diesen kleinen grauen Schmierzettel minutenlang in der Hand und las ihn wieder und wieder.
Ich konnte das nicht fassen.
Dann zerknüllte ich ihn, warf ihn in den Papierkorb.
Eine Stunde später nahm ich ihn wieder heraus, las ihn nochmals, zerriß ihn in hundert kleine Stücke, die ich in die Luft warf, und war unendlich froh, daß ich die Nacht auf meinem Sessel verbracht habe.

(ein Vorschlag für den Schluß...)

Lieber mod!

Deine Geschichte hat mir bis zum Schluß hin gefallen. Nur finde ich, daß am Ende etwas fehlt, dazu mein Vorschlag, der das verdeutlichen soll. ;)

Dein Protagonist ist in meinen Augen deshalb nicht auf einen Langweiler zu reduzieren, weil er nicht gleich ins Bett hüpft. Sehr groß kann die Liebe ihrerseits ja wohl nicht sein, wenn sie dafür kein Verständnis hat.

Und ich bin mir nicht sicher, ob Du das damit aussagen wolltest oder nicht. Stellen wie

Sie erzählt viel, doch nichts von sich. Ständig weicht sie aus,
lassen mich glauben, daß Du das aussagen wolltest, was ich meine, aber ich hätte es gern von Dir bestätigt, oder eben nicht (dann wüßte ich gern, was Du sonst aussagen wolltest). ;)

Liebe Grüße,
Susi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

ich verstehe die Geschichte so, daß die Besucherin gar nicht da war, daß es nur ein Traum oder eine Phantasie war. Und daß sich der Protagonist selbst sagt, daß er ein Langweiler ist, weil er nicht den Mut hat, sie anzusprechen.

Er ist ausgestiegen und hat sich dann vorgestellt, daß das Mädchen ihm folgen würde. Daher auch die Bemerkung, daß sie ihm "stundenlang" folgt. Stundenlang ist ja ein wenig zu lang für einen echten Verfolger.

Ich denke, er meint die Verfolgung als gedankliche Verfolgung, sie fesselt ihn gedanklich und er gerät ins Träumen, malt sich aus, was so passieren würde, wenn sie bei ihm wäre. Er traut sich trotz allem aber auch nicht so ganz, sie sich so ganz richtig vorzustellen, da er vielleicht doch zu realistisch ist. Daher passiert auch weiter nichts.

Ich fand die Geschichte ausgesprochen interessant.:)

 

@Häferl

Dein Schlußvorschlag gefällt mir (obwohl mir meiner auch gefiel, aber er ist ein wenig abrupt, da hast Du wohl recht - danke dafür). Dennoch werd ich wohl noch ein bisschen daran basteln, weil:

Der Protagonist ist tatsächlich die ganze Zeit alleine mit seiner Einsamkeit. Sie steigt zu ihm in die Straßenbahn in Person einer Frau, die er sich wohl "nur" vorstellt/erträumt. Seine Vorstellung/Traumfrau verfolgt ihn während er mit seiner Einsamkeit um die Häuser schleicht. Sie holt ihn ein, als er nach Hause kommt und versucht ihn zu verführen. Er schläft lieber im Sessel und ist am anderen morgen, als er merkt, wer "sie" war, froh, nicht auch noch mit seiner Einsamkeit "ins Bett gegangen zu sein".

Er ist für sich selbst und für mich ein "Langweiler", weil er statt seinen Traum zu leben, seine Traumfrau zu suchen und zu finden sich allabendlich (das steht nur einmal ganz vorne im Text) seine Partnerin/Freundin erträumt und sogar schon soweit ist, sie (als Traum) an diesem Abend sogar mit nach Hause genommen zu haben.

Kurzaussage dieses Textes: "Träume, die DU nicht wenigstens versuchst zu leben, verkommen zu "Wichsvorlagen". Oder ums weniger heftig zu sagen versuche Deine Träume zu leben, sonst langweilen sie Dich irgendwann selbst.

@Roswitha

danke auch Dir, wie DU in obiger Selbstinterpretation liest, bist DU gar nicht so weit von dem weg, was die Geschichte (für mich) ist. Die Stalkerin ist aber für ihn den Protagonisten so real, nicht weil sie als wirkliche Frau (für ihn) existierte, die er sich nicht traut anzusprechen, sondern weil er sie sich inzwischen derart real träumt.

Deshalb gefällt mir auch der Schluß vom Haferl, der Protagonist wacht da noch ein wenig intensiver aus seinem Traum auf, ist wütend auf sich selbst und ggf. bereit, was zu ändern. Den Traum zu leben.

cu
mod

 

Hallo,
ich hatte eine etwas andere Interpretation des Tenors. Für mich war es eine Wiederholung einer Kennenlern-Szene. Die beiden Protagonisten sind in mein Augen schon lange ein Paar und zelebrieren so den Kennenlern-Tag.
Gerade der Zettel mit den Worten "ich liebe dich" brachte mcih darauf. So etwas sagt man nicht nach einer so kurzen Begegnung.

Grüße

ga

 

@gunter

ja, ja, was sagt "man" schon alles... (never knew there where two million ways to love somebody) Mir gefällt Deine Interpretation trotzdem, wenn sie auch nie (s.o.) so gemeint war. Nein die Vertrautheit des Langweilers mit seiner Einsamkeit geht ja schon soweit, dass sie mit ihm ins Bett gehen will, warum soll sie ihn da nicht lieben (sorry, mir wird selber langsam erst der ganze Zynismus dieser Story bewußt). Sie hat übrigens durchaus autobiografische Züge, wenn auch aus einer ziemlich weit vergangenen Zeit.

 

Hallo Mod,
ich gestehe - ich ging von mir aus. Hatte einige flüchtige Abenteuer, welche nur eine Nacht hielten, oder auch ein Weekend. Doch das "Ich liebe dich" war stets den echten Beziehungen vorbehalten. Aber wer weiß...

Grüße

ga

 

Hi Gunther nochmal,

das ist ja eben die Pest mit diesen Drei-Wort-Sätzen wie "Ich liebe Dich". Der/die eine sagt das schon bei ner 0190er Stöhnnummer und der andere hebt sich das für das "ganz große Gefühl" auf. Es gibt grad n aktuelles Lied von Shakira, das ich oben schon mal zitiert habe "mehr als 2 Millionen Arten jemanden zu lieben" schreibt der Texter da auf englisch.

Ich war mal mit einer Frau zusammen. Nach ein paar Wochen (und wir waren schon ziemlich weit gegangen) meinte sie nur "ich weiß jetzt, dass ich nicht in Dich verliebt bin". Ich fragte nur "heist das, dass wir irgend etwas ändern sollten an unseren Gefühlen, Zärtlichkeiten oder an unserer Nähe".

Als sie verneinte und meinte, sie wolle das "nur mal so gesagt" haben, bedeutete ich ihr, dass es mir "scheißegal" sei, wie sie ihre Gefühle für mich nenne und ob sie nach ihrer Definition "in mich verliebt" sei, so lange unsere Gefühle die selben blieben und unsere Nähe auch.

Wir leben inzwischen 18 Jahre zusammen sind davon 16 Jahre verheiratet und haben drei Kinder von denen das älteste 9 und das jüngste 4 Jahre alt ist.

Glaub mir, für mich sind jegliche Dreiwortsätze schon lange auf Phrasenbedeutung geschrumpft.

lieben Gruß
mod

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo mod,
ich mag das ende deiner geschichte. es kommt mir nicht abrupt oder absurd vor. es ist fast ein wenig romatisch - verliebt in romantisches.

aber es gibt deiner geschichte auch eine punktierung. das ende ist gut, sehr gut. so wie es ist.

aber deine geschichte davor, der fehlt noch ein wenig, denke ich...

mir stoßen wörter auf wie "mähne", "ellenlang", "glitschnass", "cool" - da ließen sich noch andere wörter finden...

obwohl ein reiz in dem einfachen liegt, sicher, findet die geschichte für mich nur ihren reiz in der "abschieds-notiz"...

gruß,
nikto

ps: übrigens ist deine letzte antwort schon eine geschichte - schreib das mal auf. das hört sich sehr interessant an.

 

@nikto

Tja, das Ende dieser Geschichte. Ein wenig mag ich es eben auch, sonst wäre es nicht, wie es ist. Ich kann aber auch die Kritik der anderen nachvollziehen. Vielleicht sollte einfach das Ende der Geschichte im vorhergehenden Text besser vorbereitet werden (das heißt nicht dass ich die Spannung nehmen will, aber vielleicht die Ambivalenz der Gefühle besser herausarbeiten sollte) vielleicht wird dann das Ende noch überraschender.

yep, da sind wir uns einig, an den Bildern in dieser Geschichte könnte ich noch ein wenig feilen, vielleicht wäre es genau das: plastischere Bilder zu Malen um das Ende besser vorzubereiten - mal sehen. Ich sag Bescheid, wenn's was Neues gibt.

Auch dazu ja, die letze Antwort beihaltet eine Geschichte für sich. Die ist ziemlich lang und mal sehen, vielleicht findet sich ein Anlass/Rahmen, sie aufzuschreiben.


Danke für Deine Gedanken
einen schönen Tag wünsch ich Dir
mod

 

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