Zibardo oder “the most charming man”
Er beugte sich über die Theke und sah ihr fest in die Augen: „Ach komm schon…“
„Nein.“
„Nur ausnahmsweise.“
„Nein.“
Er zog eine Schnute, versuchte seinen Mitleid erregendesten Blick und pienste: „Bitte…“
„Nein, sorry. Ich kann keine Ausnahme machen.“
Sie war unglaublich hart. So etwas hatte er noch nie erlebt. Also zerrte er das größte Geschoss hervor, das er hatte.
„Bitte… komm schon… ich brauch die Bücher ganz dringend. Ohne sie fall ich durch die Klausur.“
Einen Moment lang sah sieh ihn an, überlegte und wog ab. Ihre Lippen öffneten sich zögerlich, sie lächelte schüchtern und sagte eiskalt: „Nein!“
„Aber ich brauch sie wirklich.“
„Ja, das mag sein. Aber vorher zahlst du die Gebühren. Ich mach keine Ausnahme und ich stornier auch nichts. Vergiss es!“
„Aber deine Kollegin hat das auch schon gemacht.“
Ihr Blick wurde für einen Moment verschwörerisch, als wäre sie plötzlich zu einem Deal bereit. Und sie sagte: „Die ist aber jetzt nicht hier. Und ich mach’s nicht. Nicht bei dieser Summe.“
„So viel ist das doch gar nicht.“ beteuerte der Kunst-Student.
Die Bibliothekarin hob eine Augenbraue und drehte den Flachbildschirm um, so dass er sein Nutzerkonto sehen konnte.
„Ups…“ flüsterte Alexis nachdem er die Summe gesehen hatte.
„Außerdem hast du noch vier Bücher daheim, deren Leihfristen seit über zwei Monaten abgelaufen sind.“
„Echt?“ Er tat völlig unschuldig. „Wirklich? Welche denn?“
Sie prüfte in der Liste die Titel und lief rot an. Doch sie versuchte souverän zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. „Ich drucks dir aus.“ war alles was sie sagte.
Hinter Alexis bildete sich bereits eine lange Schlange. Einige Studentinnen warteten ungeduldig mit schweren Bücherstapeln. Er blieb seelenruhig, warf sich halb auf die Theke und kam der Bibliothekarin so nahe, dass sie erschrocken zurück wich. Sein Gesicht war dicht vor ihrem, sie konnte seinen Kirschkaugummiatem riechen.
„Wenn du ne Ausnahme machst, dann lad ich dich zu nem Kaffee ein.“ flüsterte er und zwinkerte.
„Anstatt dein Geld für so was auszugeben, könntest du lieber deine Schulden damit begleichen.“
„Ja aber ich hab jetzt nichts dabei.“
„Das ist mir doch egal.“
„Du sagst echt nein zu einem Kaffee mit mir?“
„Ja.“
„Aber ich gefalle dir.“
„Nein.“
„Ich merk doch wie du mir immer nach siehst.“
„Quatsch.“
„Na komm schon, ich hol dich nach Feierabend ab und dann lad ich dich ein. Außerdem kann ich dir dann zeigen wozu ich die anderen vier Bücher so lange gebraucht hab.“
„Oh Gott! Hör auf!“ Nun machte sie ein leicht verzweifeltes Gesicht und rutschte auf ihrem Bürostuhl einen halben Meter von der Theke weg.
„Komm schon, ich weiß doch dass du drauf stehst.“ flüsterte er provokant.
Es dauerte eine Sekunde bis Alexis den drei Kilo schweren Zimbardo* in sein Gesichtsfeld rücken sah und noch eine weitere bis er begriff. Doch da war es bereits zu spät.
Das schwere Buch klatschte ihm mit einer derartigen Wucht entgegen, dass er seitlich von der Theke rutschte und nur mit großer Mühe nicht runter fiel.
Die Bibliothekarin aber hatte sich in der Zwischenzeit aufgerichtet, mit einem Blick, als könnte sie eine ganze Armee Zombies zerfleischen.
Und sie sagte leise: „Nein!“
Und Alexis sagte: „Okay. Ich bezahl’s“
Und wenige Sekunden später: „Gehst du trotzdem mit mir aus?“
Als der Brockhaus Band LINL-MATG geflogen kam, konnte er gerade noch rechtzeitig in Deckung gehen.
*Philip G. Zimbardo: Psychologie.
ISBN 978-3-8273-7275-8
Verlag:Pearson Studium
Gebundene Ausgabe:
• Seiten: 864
• Gewicht: 2849 g