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Zerstörung
Wir haben keinen Gott, wir glauben den Medien nicht, wir lachen über Politiker, die Literatur ist tot, aber das Geschirrspülen … das nehmen wir richtig fucking ernst in diesem Land!
- Klospruch in einer Bar in Neukölln
Vor zwei Wochen war WG-Plenum bei uns, und meine Mitbewohnerinnen wollten wissen, ob ich beim Spülmaschine-Einräumen ein System hätte.
Und ich so, nein.
Dann haben sie gefragt, ob ich vielleicht beim Spülmaschine-Ausräumen ein System hätte.
Und ich wieder, nein.
Also haben sie mir ihr System erklärt. Breite Teller hier, flache da, am besten von hinten nach vorne.
Und ich so, alles klar, kein Problem.
Aber es ist ein Problem, denn ich mach’s immer wieder falsch. Zwei Tage lang lief’s gut, dann war ich mal betrunken, dann hab ich’s wieder eilig, und schon steht alles an der falschen Stelle.
Ich hab ein richtig schlechtes Gewissen deswegen, und, wie ich finde, aus gutem Grund. Im Abspülen vereinen sich sämtliche deutsche Tugenden: Ordnung, Pflichtbewusstsein, Sauberkeit und auch ein gewisses Maß an Solidarität. Wir sind uns alle einig, dass abgespült werden muss, dass man's richtig machen muss, und dass jeder sein Teil dazu beiträgt.
Ich hab ja zwei Mitbewohnerinnen. Laura ist praktisch nie da. Katja hingegen fast immer.
Und das sieht jetzt so aus: Ich sitz da und trinke Tee. Katja kommt in die Küche, sagt Hallo, öffnet die Spülmaschine - und dann entsteht eine lange gequälte Stille.
So geht das schon seit Wochen, und ich glaube, bald wird irgendwas passieren. Man sieht richtig, wie Katja mit sich kämpft. Sie will weder rumzicken noch mütterlich auftreten, aber bestimmt ähnelt sie ihrer Mutter total, und es fällt ihr halt schwer.
Ich wiederum weiß, dass wir reden sollten, aber wir haben schon mal darüber geredet, und ich hab kein Bock zu reden.
Und so zieht sich das jetzt hin.
Katja hätte mich eigentlich schon vor Wochen mal tadeln müssen; jetzt fürchte ich, dass sie mir ohne Ankündigung einfach eine Tasse an den Kopf ballern wird.
Mir geht’s auch nicht viel anders. Sonntagmorgens, ich sitze total friedlich da, die Sonne scheint durchs Fenster, dann kommt Katja in die Küche und spontan drängen sich mir solche Gedanken auf: Du elende Zicke, kauf dir doch ein Leben und lass die Spülmaschine in Ruhe.
Und was komisch ist: Kaum denke ich so was, schaut sie mich an, als hätte sie mich gehört. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Schon senkt sie den Blick, ihr blondes Haar fällt ihr ins Gesicht, und sie tapst aus der Küche – klein, verletzt, ich-befangen und vorwurfsvoll. Als würde sie sagen wollen: Ich weiß genau, was du über mich denkst, und ich find’s scheiße, aber ich sag nichts dazu. Tust du schließlich auch nicht.
Dabei ist „elende Zicke“ bei weitem nicht das Schlimmste.
Ich kann es auch nicht erklären, aber ich glaube, ich will mit ihr schlafen.
Mir schießen immer wieder Bilder in den Kopf, wie wir wild übereinander herfallen und ins Bett springen. Und wie wir dann, nach wirklich gutem Sex, zusammen an die Decke starren und feststellen, dass unsere Spülmaschinen-Probleme herrlich weit weg sind.
Das Problem ist halt, ich hab ne Freundin, die ich liebe, und sie hat einen Freund, den sie liebt.
Wie passt das jetzt zusammen?
Gott, wenn ich das bloß wüsste.
Ich will meine Freundin nicht mit einer Mitbewohnerin betrügen, die mir total auf den Sack geht, weil ich nicht mit Geschirr umgehen kann.
Aber was ich will oder nicht will, ist nicht wirklich das Problem.
Das Problem ist die Liebe.
„Hey, Babe ...“, nuschele ich ins Handy.
„Hey, Schatz“, sagt meine Freundin.
„Wie läuft die Seminar-Arbeit?“
„So so …“
„Ich hab darüber nachgedacht, was du gestern gesagt hast, und ich finde, du hast Recht. Aufmerksamkeit ist wirklich der Schlüssel. Ich muss die Spülmaschine einfach mehr beachten. Im Augenblick gehe ich automatisch falsch mit ihr um, aber wenn ich mich anstrenge, und die Spülmaschine zwanzig Mal in Folge richtig ein- und ausräume, läuft es beim einundzwanzigsten Mal wahrscheinlich ganz von alleine.“
„Ja …“
„Ich glaube, das nehme ich mir jetzt ganz fest vor. Zwanzig Mal in Folge!“ Ich lache über mich selbst.
„Gute Idee.“
„Ich komm mir schon blöd dabei vor, aber irgendwas muss ich ja machen, ich will echt keinen Stress mit meinen Mitbewohnerinnen.“
„Klar …“
„Es gibt echt nichts Schlimmeres, als wenn man sich daheim permanent unwohl fühlen muss.“
„Das stimmt wohl …“
„Ist alles okay bei dir? Du klingst so müde.“
„Naja, es ist nur …“ Sie seufzt. „Viel zu tun.“
„Soll ich nachher vorbei kommen?“
„Heute ist nicht so gut, Schatz, muss wirklich noch viel machen …“
„Okay.“
„Aber wir können uns bestimmt morgen sehen.“
„Ich vermisse dich.“
„Ich dich auch.“
„Hast du eigentlichen einen Lieblings-Disney-Film?“
„Einen Lieblings-Disneyfilm?“ Sie macht ein irritiert-lustiges Geräusch. Irgendwas zwischen einem Lachen und einem Schnauben. „Warum fragst du das?“
„Interessiert mich bloß …“
„Ich mag doch keine Disney-Filme.“
„Warum nicht?“
„Na … weil sie kitschig und plakativ und amerikanisch und schwarz-weiß sind.“
„Schwarz-weiß?“
„Ihnen liegt ein richtig dummes Weltbild zugrunde.“
„Es gibt gar keine Disney-Fllme, die dir gefallen?“
„Ich hab auch nicht jeden gesehen … gefallen dir welche?“
„Ich mag Die kleine Meerjungfrau.“
„Wirklich? Warum der?“
„Weiß auch nicht … ist halt so. Ich mag Arielle.“
Sie lacht. „Na dann sollte ich mir den vielleicht mal anschauen. Hör mal, Schatz, ich muss wirklich wieder an die Hausarbeit ran … ich vermiss dich auch voll. Wir sehen uns morgen, okay?“
„Okay.“
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie sehr liebst du mich? Die Frage brennt mir auf der Zunge, aber ich hab Angst, sie zu stellen.
Weil sie kindisch und bedürftig klingt.
Weil ich nicht weiß, was ich auf die Gegenfrage antworte.
Und weil mich die Frage im Kern stört.
Bei aller Drolligkeit, lässt sich die Liebe wirklich derart quantifizieren? Müsste sie nicht was Absolutes sein? Etwas Unzerstückelbares? So wie Gott vielleicht. Oder ... naja. Keine Ahnung. Die Demokratie?
Die Treue? Das Abspülen?
Gestern hat mich Katjas Freund im Flur angesprochen. So ein großer, blonder Typ. Er trägt ne Brille und studiert irgendwas.
Er kam auf mich zu, zog mich richtig zur Seite und sagte: „Ey, können wir reden.“
Und ich so, okay.
„Hör mal“, sagte er, „von Mann zu Mann. Ich will echt kein Stress, aber komm schon: die Spülmaschine. Was n' da los? Breite Teller hier, flache Teller da, am besten von hinten nach vorne.“
Ich sah ihm in die Augen und sagte: „Liebst du sie?“
„Was?“
„Ob du Katja liebst?“
Er verzog das Gesicht, druckste ein bisschen herum und sagte schließlich, mit leiser Stimme. „Ich glaube schon …“
„Und woran glaubst du sonst so?“, fragte ich.
Das schien ihn jetzt zu irritieren.
„Glaubst du an das Böse?“, fragte ich. „Glaubst du an Google? Glaubst du an Europa? Glaubst du an die Kunst? Glaubst du an die Elite? Glaubst an den Frieden? Glaubst du an Deutschland? Glaubst du an Engel? Glaubst du an den Kategorischen Imperativ? Glaubst du an den historischen Fortschritt? Gibt es überhaupt irgendetwas, woran du glaubst, vom Abspülen mal abgesehen?“
Er sah mich einfach an. Mit offenem Mund.
„Glaubst du an die Liebe?“, fragte ich schließlich.
„Ja“, sagte er.
Mir geht’s glaub nicht so gut.
Ich verbringe zu viel Zeit im Bett. Ich liege neben meinem Laptop und denke nach.
Meine Freundin habe ich länger nicht gesehen.
Heute Morgen stand ich eine viertel Stunde lang alleine vor der offenen Spülmaschine mit einem Teller in der Hand. Es war, wie ich fand, weder ein breiter noch ein flacher Teller, sondern ein Zwischenteller, und ich wusste nicht, wo er hingehört. Also stellte ich ihn einfach oben auf die Spüle drauf. Ich ließ ihn liegen, ging davon und traf im Flur auf Katja, die mir mit dem Wäschekorb entgegenkam. Sie trug eine Jogginghose, und ihr blondes Haar war offen. Ich senkte den Blick, stahl mich in mein Zimmer und warf mich aufs Bett.
Der Gedanke keimt in mir, dass ich ein furchtbarer Mensch bin.
Wie ist es sonst zu erklären, dass ausgerechnet das Abspülen, die letzte Bastion deutscher Solidarität, mich jetzt zugrunde richtet?
Meiner Freundin habe ich folgende Nachricht geschickt: Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, und ich werde mich fragen, wofür?
Als Antwort bekam ich zwei Stunden später einen „Daumen Hoch“ und sonst nichts.
schwarzes loch der decke
du schweigst, denn es gibt
keinen halt und inhalt
und keine unter-
titel für stille
nur atome
bleiben
von allen
dingen, nächten,
omnipotenten maschinen
- schwindel am rande
des untergangs
Mitten in der Nacht kommt Katja nach Hause. Sie macht eine Flasche Rotwein auf, setzt sich in die Küche, zieht die Heels aus und lehnt sich zurück. Sie trägt ein kurzes Glitzerkleid und hat die Haare schön.
Ich weiß nicht, was sie immer wieder wie ein hungriges, aufgekratztes Nagetier in die Nacht treibt, aber ich sehe, dass sie nicht gefunden hat, wonach sie sucht.
Ich nehme ein Glas und setzte mich ihr gegenüber.
Und wir schweigen uns an.
„Katja“, sage ich nach einer Weile. „Mal abgesehen von der Wichtigkeit des Abspülens, woran glaubst du?“
Sie überlegt einen Moment. Dann lacht sie und sagt „Yolo.“ Es klingt, finde ich, ein bisschen bitter.
Ich sage nichts dazu.
Und sie auch nicht.
Dann sieht sie mich an, mit einem nachdenklichen Ausdruck.
Erneut stelle ich fest, dass ich mit ihr schlafen will.
Mir ist, als müsse die Welt enden, wenn wir es jetzt tun. Denn wenn die Liebe fällt, fällt bestimmt auch das Abspülen - und was bliebe dann noch übrig?
Ob Katja auch solche Gedanken hat?
In der Ecke brennt eine kleine Leselampe; sonst ist es dunkel. Vor dem Fenster lachen Leute, der Kühlschrank summt.
Eigentlich müsste sie jetzt gehen.
Aber sie bleibt, und das macht sie fast sympathisch. Zum In-den-Arm-nehmen. Zum Küssen.
Ich muss zugeben: die Vorstellung, die ganze Welt mit einem Fick zu zerstören, macht mich irgendwie an.
Wobei ich nicht wirklich gut in so was bin. Also darin, Frauen aufzureißen. Der erste Schritt fällt mir immer so schwer, das Timing, der richtige Moment.
Ich trinke in Ruhe den Wein aus und warte, bis die Spannung zwischen uns unerträglich wird. Dann fasse ich nach Katjas Hand und ziehe sie hoch.
Sie schaut mich überrascht an, so von unten, und ich küsse sie. Vorsichtig zu Beginn, dann richtig. Es fühlt sich gut an. Überhaupt nicht falsch. Ich lege die Arme um ihren kleinen Körper und drücke ihn.
Sie seufzt sinnlich, und dann geht es ganz schnell, wir gehen in ihr Zimmer, Katja zieht mich aufs Bett, und ich schiebe das Glitzerkleid hoch.
Ich habe keine Gedanken mehr, und das ist schön. Katja ist unendlich feucht und warm und lebendig. Ich spüre sie, und sie mich. Sie ist laut, und ich auch. Was wir hier machen, ist intensiv, gefährlich, destruktiv, irrational. Aber nicht falsch. Etwa eine Minute lang macht alles vollkommen Sinn.
Dann fällt mir ein, dass wir kein Kondom benutzen.
Das hält mich nicht davon ab, weiterzumachen, aber die Gedanken kommen wieder.
Die Perversion liegt vielleicht gar nicht darin, dass ich mit Katja schlafe, weil ich die Welt zerstören will, sondern darin, dass aus diesem Akt der totalen Zerstörung Leben entstehen könnte.
Mal angenommen sie nimmt die Pille nicht. Und ihr Ei springt und sie lässt die Frucht drin – sie geht also nicht zum Arzt und lässt sich leer saugen - und das Embryo wächst und gedeiht und neun Monate später kommt ein Kind zur Welt.
Wäre ich dann Vater, oder wie? Was würde ich einem Kind über die Welt erzählen?
Katja schlägt die Nägel in meinen Rücken und stöhnt so laut, dass ich vor Schreck zusammenfahre.
Ich glaube, bald ist alles vorbei.
Falls es diesen Moment gab, wo wir beide an die Decke starren und unsere Spülmaschinen-Probleme herrlich weit weg sind, ist er mir entgangen. Katja liegt neben mir und tut so, als würde sie schlafen. Die Sonne scheint durchs Fenster auf die zerwühlten Laken. Es riecht nach Wein und Sex. Ich stehe auf, gehe ins Bad und stelle mich unter die Dusche. Das Wasser auf der Haut fühlt sich gut an.