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Zeitz

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10.09.2016
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Zeitz

It’s the place to be. Hier gibt es Egon, Rashid, Laura und mich. Zusammen sind wir die Künstlergruppe Zwei. Aber das nur am Rande. Wer sucht, findet hier schnell alte Autoreifen, die günstigsten Kaltmieten Deutschlands, verlassene Kirchen und Fabriken. Wir haben uns in einem Kloster eingenistet, Rashid hat drei Heizkörper aufgetrieben. Wir bauen einen Ofen, obwohl es schon Mai ist, der zwanzigste, mein Geburtstag. Da habe ich mir gedacht, ich schenke mir ein Fotoalbum, weil das mit dem Fotoalbum vor ein paar Jahren, das hat ja nicht geklappt. Die anderen arbeiten, aber das ist okay, nicht alle müssen immer arbeiten, und ich habe ja, wie gesagt, Geburtstag und auch schon einen Geburtstagskuchen bekommen.

Von einem ‚Fotoalbum‘ zu sprechen, ist natürlich so eine Art schlechter Witz. Immerhin habe ich aus dieser Zeit keine Fotos mehr und von manchen Dingen auch nie ein Foto gemacht. In diesem Fotoalbum geht es um Malte, meine Eltern und mich. Vier Personen, da kommt was zusammen. Jetzt sitze ich hier im Karzer und denke über mein Leben nach. Aber nicht zur Strafe, das ist für diesen Raum doch sonderbar. Im Tisch sind Namen eingeritzt von Leuten, die hier Strafstunden verbüßten. Ich schreibe meinen dazu. Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe. Und dann sitze ich da und will plötzlich doch ein Fotoalbum aus dieser Zeit vor Zeitz.

Ich beginne in Leipzig. Das war mein siebzehnter Geburtstag. Ich trug ein Sternenhütchen, das meine neue Mitbewohnerin mir gebastelt hatte, und im Küchenradio lief Can you feel it mit Michael Jackson. Es war einer der ersten und schlimmsten Tage meines Daseins als quasi Erwachsene. Zwei Klassen übersprungen, jetzt von zu Hause weg, eine erste WG, eine erste Mitbewohnerin, ein erster Geburtstag als quasi Erwachsene mit Michael Jackson. Wir stießen an mit Rotkäppchen-Sekt und bissen jeweils in einen Schokomuffin.

Allein in meinem Zimmer heulte ich halbwegs grundlos. Ich wollte nicht erwachsen sein, wollte keinen Schokomuffin, lieber einen der lieblosen, aber zumindest standardmäßigen Kuchen meiner Mutter oder wenigstens einen selbstfrittierten Krapfen mit einer Kerze darin. Am Morgen hatten sie und mein Vater mir je eine Nachricht zu je etwa siebenhundertfünfzig Zeichen geschrieben, mich aber nicht gemeinsam angerufen. Das war okay, fühlte sich aber nicht gerade wie eine Liebeserklärung an. Aus einer nostalgischen Anwandlung heraus begann ich Fotos an die Wände zu kleben. Von meiner Einschulung, dem ersten Erdbeereis, einem Tag mit Papa auf dem Deutsch-Amerikanischen Volksfest in Berlin und mit meiner Mutter beim Kuscheln auf unserem alten Ledersofa, das ich im Übrigen auch vermisste.

Am Nachmittag klopfte es und da stand Amanda in Siegerpose in der Tür und ich war noch verheult und sie sagte: Party!
Und ich: Was?
Und sie: In der anderen WG.
Wir schminkten uns also und ich benutzte Amandas Parfum und steckte ein Kondom ein und die Olympus XA von meinem Vater, um eventuell neue Erinnerungen für die Fotowände in meinem neuen Zimmer zu produzieren. Wir nahmen auch Konfetti mit, wofür auch immer.

Die Essenz des Abends war ein Typ namens Malte. Er trug keinen Sidecut, kein Piercing oder selbstgestochenes Tattoo, keine Plateauschuhe, nur diesen halbwegs sonderbaren Namen, von dem er selbst nicht wusste, ob es sich dabei um einen Jux seiner Eltern gehandelt hatte. Ich knipste mein erstes Foto und lud nach. Malte erklärte, er versuche Experte in etwas zu werden. Er war jetzt zwanzig und für Hebraistik und Französisch eingeschrieben, weil das von den Leistungen grundsätzlich so gepasst hatte, beziehungsweise weil dafür keine Note nötig gewesen war. Ich erzählte ihm von einer suizidalen Phase meiner späten Kindheit. Nicht aus Taktlosigkeit, sondern weil ich das Gefühl hatte, es wäre das richtige Gespräch. Es war mein zwölfter Geburtstag und ich tat, wovon ich wusste, dass man es nicht tut, sich eine Badewanne einlassen, den Fön anschalten, aber das wollte ich und ich sprang ins Wasser, aber zum Glück sprang die Sicherung raus und meine Mutter fand mich und dann musste ich fast ein Jahr lang jeden Mittwoch zur Kinderpsychologin Frau Darrendorf und durfte kaum noch was alleine machen. Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.

Wir organisierten Dosenbier und versteckten uns in einem Zimmer, in dem jemand schnarchte, obwohl die Wand vom Bass vibrierte. Wie alt bist du? Siebzehn. Und trotzdem hast du keine Zeit für Smalltalk. Ich zuckte die Achseln, doch das dürfte Malte im Dunkeln nicht gesehen haben. Anstatt uns zu befummeln, redeten wir weiter über unsere Leben. Malte meinte, mindestens zwei Jahre ginge das noch mit dem Studium. Eigentlich würde er sich gern engagieren, irgendwo, vielleicht Iran. Sein Vater starb an einer Lungenembolie als Malte sechs war. Off-topic, aber du hast damit angefangen. Und was heißt das jetzt, fragte ich. Das heißt, ich habe mir geschworen, ab fünfunddreißig keine Kinder mehr zu zeugen. Darf ich ein Foto von dir machen? Der automatische Blitz gab uns für einen Augenblick lang Orientierung.

Wir gingen dann mit Amanda nach Hause und Malte schlief bei mir im Bett, aber nicht mit mir, was sicher gut so war. Wir aßen Frühstück; Malte holte Brötchen, O-Saft und Croissants. Amanda hatte sich verkrümelt, so waren wir zu zweit und ich erzählte Malte, was ich über offene Beziehungen gelesen hatte. Ob er da generell drauf Lust hätte. Wüsste er nicht. Ja, dann überleg halt. Mache er dann.

Wir gestalteten unsere offene Beziehung so, wie ich es gelesen hatte. Nach Bauplan quasi. Ich war Maltes erste Freundin und die ersten Male war es verkrampft und Malte stotterte Entschuldigungen und hielt sich die Hände vors Gesicht und die Decke über seinen schlaffen Schwanz. Doch nach einigen Malen klappte es besser und dann richtig gut. Er mochte es, wenn wir Nachrichten dabei hörten, das lenkte ihn ab, führte aber auch zu seltsamen Konstellationen. Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.

Malte begann, dieselben Bücher zu lesen wie ich. Weil er aber ein bisschen zu beeindruckt war von meiner scheinbaren Expertise, verriet ich ihm ein schmerzliches Geheimnis, nämlich dass ich den eigentümlichen Gedanken Knausgårds, Hustvedts und Bolaños nur deshalb lauschte, weil ich hoffte, es würde mich ebenso gewitzt und klug machen, dabei fühlte sich jeder Satz zugleich auch wie der Beweis für meine eigene geistige Unzulänglichkeit an. Im Ergebnis beeindruckte das Malte noch mehr, weshalb ich es aufgab, Malte nicht beeindrucken zu wollen und es einfach zu genießen versuchte, mal nichts für die Anerkennung eines anderen Menschen tun zu müssen. Ich beschloss, diese Strategie auch anderen zu empfehlen, denn es tat wirklich gut.

Was das offene Element unserer Beziehung anbetraf, blieben wir, das glaube ich, beide recht verhalten. Es ergab sich nichts und trotzdem behielten wir das Prinzip bei. Wir gaben uns Mühe, es mit anderen zu versuchen. Malte vielleicht mehr aus Pflichtbewusstsein, weil klar war, dass mir die Sache was bedeutete. Ich brauchte ihm nicht mal dankbar sein. Die Fotos in meinem Zimmer zeigten nun immer öfter uns beide. Gerade weil es so schön kitschig war, malte ich um unsere Köpfe Herzen mit Lippenstift. Kurz dachte ich darüber nach, ob wir dann auch bald heiraten würden, wenn es so märchenhaft weiterginge mit uns, und dieser Gedanke war ein Wendepunkt.

Das Gute an Malte zu sehen war leicht, vielleicht aber reichte das nicht aus, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es nicht besser wie in der Schule handhaben sollte, wo ein ‚gut‘ einen Heulkrampf bedeutet hatte. Klar, theoretisch war das passé und theoretisch widersprach die Bewertung von Beziehungen auf einer Notenskala jedem Menschenverstand. Aber war ich zehn Jahre sehr gut gewesen, um mich nun mit Malte gegenseitig zu befriedigen? Vielleicht. Dann war das wohl auch der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit; sagen zu dürfen: Ich will das! Ich will befriedigt sein. Aber irgendwie fiel es mir schwer, daran zu glauben.

Neuerdings meinte Malte, sich von der Literatur verstanden zu fühlen und sie dadurch seinerseits besser zu verstehen. Manchmal kam er mir wie ein Erleuchteter vor, hielt mir Vorträge zur Liebe zur persischen Dichtung, die er in sich entdeckt hatte und nun kultivieren wollte. Er bezeichnete mich auch im Scherz als Plünderin der Stadtbibliothek. Das klang nach Völkerschlacht und also fragte ich nach. Nun ja, ich hätte Nietzsche nur deshalb gelesen, weil ich aus Röcken käme, wie er. Das stimmte vielleicht, aber warum sagte er mir das? Ich hätte Nietzsche nicht mit Weitblick, sondern nur aus der Perspektive eines geografischen Nesthäkchens zwischen Brocken, Vogtland und Erzgebirge gelesen. Nur weil Malte aus Berlin kam. Es war der Schlusspunkt unserer Beziehung.

Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag riefen meine Eltern mich an, um mir mitzuteilen, dass sie sich trennen wollten. Wie wohl viele Töchter vor mir versuchte ich, es ihnen auszureden. Es funktioniert doch im Wesentlichen alles ganz gut. Ja, Isabell, sagte meine Mutter, aber gut reicht manchmal eben nicht aus. Schachmatt, hätte sie noch hinzufügen können, aber ich war schneller und legte auf. Fünf Minuten später rief ich wieder an und verkündete bitterlich, dass ich den Zug um sieben nähme und Kassler mit Sauerkraut zum Abendbrot. Ich packte Nietzsche ein, doch die XA ließ ich nach einigem Hin und Her auf dem Bett liegen.

In Weißenfels holten sie mich ab und bis nach Röcken lauschten wir dem Scheibenwischer und Blinkerknacken. Statt Kassler gab es gemischtes Gemüse. Es war ein Konzert von Schneid- und Spießgeräuschen auf Porzellantellern. Ich suchte nach dem richtigen Moment, ein paar Worten vielleicht, aber fand nichts Passendes. Dafür räusperte mein Vater sich und sagte: Das Bett ist schon gemacht. Noch ein, zwei Zucchinischeiben aß ich und auch etwas von der Aubergine und dann erklärte ich, dass ich, wenn es ihnen nichts ausmache, nach dem Essen gerne wieder nach Hause wolle, und natürlich betonte ich das ‚nach Hause‘ und natürlich hatten sie nichts dagegen. Kurz nach zwölf in Leipzig setzte ich mir das Sternenhütchen auf und durchsuchte Youtube nach Michael Jackson. Eine Supernova und Hand voll Sternenstaub später war ich achtzehn.

Es stellte sich heraus, dass meine Mutter ihn verlassen hatte. Seit er nun vom Arzt zum Heilpraktiker geworden war, ernährte er sich hauptsächlich von Smoothies: Staudensellerie, Winterrettich und Rote Beete. Er glaubte an die Intelligenz würzigen Gemüses, die auf einen selbst überginge, wenn man solches verzehre. Das war ein regelrechtes Aufblühen. Nur an seinem Problem, Fehler nicht eingestehen zu können, änderte sich nichts. Meine Mutter war nach Weißenfels gezogen. Dass sie vor meiner Schwangerschaft ein Kind abgetrieben hatte, erfuhr ich in einem Nebensatz meines Vaters. Machte das mein Leben wertvoller? Wahrscheinlich. Statistisch gesehen. Neben der Rechthaberei hatte es meiner Mutter missfallen, dass ihr Mann sich zunehmend zu einer Figur aus einem Bastei Arztroman entwickelt hatte. Ein Dorf, seine Menschen und ihr Doktor. Es war besser allein, nein, es war die einzige Möglichkeit in dieser Welt, sein privates Glück zu finden.

Bis zu meinem nächsten und vorletzten Geburtstag verging eine Zeit der Inkubation. Ein erstes Symptom war der Wunsch, die Fotos von den Wänden meines Zimmers zu nehmen. Mit der Olympus zusammen verstaute ich sie in einer Schachtel aus grauem Karton. Die Bücher: alles, was ich bis dahin gelesen hatte, ob Gedichtband, Biografie oder Bastei Arztroman kam in die Verschenkekiste und auf den Bürgersteig. Manches gelangte von dort wieder nach Hause, weil Amanda es haben wollte. Ich aber hatte es von mir gewiesen und jetzt war mein Zimmer schon etwas leerer und ich legte mich zwischen die Sachen, die noch übrig waren, und atmete und spürte, wie alles wie ein Gletscher zu schmelzen begann.

Als Nächstes war Malte fällig; seine Fotos verschwanden in derselben grauen Schachtel. Die Wände waren wieder blank und das Bücherregal und die Schreibtischschubladen und der Chatverlauf und der Desktop sowieso und der Papierkorb auch. Dieses Geräusch von zusammengeknülltem Papier. Das Bettzeug weiß und das Laken mit kaffeebraunen Menstruationsflecken und die Decke über dem Kopf und die Haare, die auf dem Kissen bleiben, und der Geruch von Schlaf und Achselschweiß und Tränen und dem Essen, das man nicht mehr wegräumt, und plötzlich ist da, wo mal Wände voller Erinnerungen waren, nichts als Dreck und Gestank übrig. Mein letztes Geld floss in eine Spedition. Die Schachtel samt Fotos und XA schickte ich ohne Absender über den Ozean an eine mir unbekannte Adresse in Chile.

Jetzt bin ich angekommen. Bei Laura, Egon und Rashid. Zeitz, zwischen Erzgebirge, Vogtland und Brocken. Die Heizung klumpt, aber es ist ja schon Mai und nein, ein Fotoalbum ist das nicht wirklich, aber so etwas ähnliches vielleicht. Du bist jetzt zwanzig. Herzlichen Glückwunsch! Ein paar Leute, die vielleicht noch keine Freunde sind, haben dir einen Kuchen gebacken, ein Anfang. Kein Grund, wehmütig zu werden. Ich will nicht so tun, als würde ich nicht wollen, dass meine Eltern mich anrufen. Meine Mutter hat kaum noch was mit mir zu tun. Sie kann oder möchte sich nicht mehr so sehr um andere kümmern. Selten spreche ich mit meinem Vater. Es geht um Gemüse, Patientinnen und um Marie, die er vor mir schon lange nicht mehr Mama nennt. Vielleicht werden sie mir später noch je eine Nachricht schreiben. Dann flicke ich vielleicht gerade ein Loch im Boden oder einen Riss in der Wand. Jetzt gehe ich erst mal eine rauchen.

 

Lustig, @Carlo Zwei, ich dachte gerade, ich schau mal wieder vorbei, mal sehen, was es gibt ... Ja, und dann steht da: Zeitz. Vor einer Minute. Let's go.

Der erste Absatz klingt anders, anders als du sonst klingst, glaube ich. Viele Kommaeinschübe, so dieses: Da redet einer und überlegt, während er redet, und deshalb sieht das so aus. Das legt sich dann aber wieder, du variierst. Zum Glück, finde ich, wenn es so weitergegangen wäre, hätte die Form vielleicht den Inhalt untergraben, oder so.

Die Essenz des Abends war ein Typ namens Malte. Er trug keinen Sidecut, kein Piercing oder selbstgestochenes Tattoo, keine Plateauschuhe, nur diesen halbwegs sonderbaren Namen, von dem er selbst nicht wusste, ob es sich dabei um einen Jux seiner Eltern gehandelt hatte. Ich knipste mein erstes Foto und lud nach. Malte erklärte, er versuche Experte in etwas zu werden. Er war jetzt zwanzig und für Hebraistik und Französisch eingeschrieben, weil das von den Leistungen grundsätzlich so gepasst hatte beziehungsweise weil dafür keine Note nötig gewesen war. Ich erzählte ihm von einer suizidalen Phase meiner späten Kindheit. Nicht aus Taktlosigkeit, sondern weil ich das Gefühl hatte, es wäre das richtige Gespräch. Es war mein zwölfter Geburtstag und ich tat, wovon ich wusste, dass man es nicht tut, sich eine Badewanne einlassen, den Fön anschalten, aber das wollte ich und ich sprang ins Wasser, aber zum Glück sprang die Sicherung raus und meine Mutter fand mich und dann musste ich fast ein Jahr lang jeden Mittwoch zur Kinderpsychologin Frau Darrendorf und durfte kaum noch was alleine machen. Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.

Das ist ein Absatz, den ich mir gerne fein säuberlich abgeschrieben in mein Gesammelte-Zitate-Büchlein notieren möchte. Mit "- Carlo Zwei" darunter. Weil das ein Absatz ist, der ganz gut aufzeigt, was ich an deiner Schreibe so interessant finde, dieses ... Ich weiß nicht, ich seh dich ja nicht beim Schreiben, ich weiß nicht, ob du dir wochenlang Notizen machst, jeden Satz zwanzig Mal auf Herz und Nieren überprüfst, ich glaube es aber nicht, nicht hier. Hier fühlt es sich an, als hättest du Lust zu schreiben, hättest einen Kopf voller Erfahrungen, nicht alle geordnet vielleicht, wie auch, und einen ganz groben Plan. Aber der ist nicht so wichtig, wichtig sind das Schreiben und die Erfahrungen und das irgendwie zu kombinieren. Und das klappt in Absätzen wie dem hier ausgezeichnet, da bin ich ein bisschen Voyeur und meine, in deinen Kopf blicken zu können, aber nur so im Graubereich, und habe Spaß, auf deinen Gehirnbahnen ein bisschen mitfahren zu dürfen.

Er mochte es, wenn wir Nachrichten dabei hörten, das lenkte ihn ab, führte aber auch zu seltsamen Konstellationen. Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.

Wunderbar - wo ist der Autor denn da gerade ausgestiegen auf der Gehirnbahn, frage ich mich da, warum pinkelt er denn jetzt hier mitten in der Pampa an genau dieser Stelle los? Mir egal, aber ich sitze glücklich auf dem Rücksitz und applaudiere.

Weil er aber ein bisschen zu beeindruckt war von meiner scheinbaren Expertise, verriet ich ihm ein schmerzliches Geheimnis, nämlich dass ich den eigentümlichen Gedanken Knausgårds, Hustvedts und Bolaños nur deshalb lauschte, weil ich hoffte, es würde mich ebenso gewitzt und klug machen, dabei fühlte sich jeder Satz zugleich auch wie der Beweis für meine eigene geistige Unzulänglichkeit an.

Ach, super.

Im Ergebnis beeindruckte das Malte noch mehr, weshalb ich es aufgab, Malte nicht beeindrucken zu wollen und es einfach zu genießen versuchte, mal nichts für die Anerkennung eines anderen Menschen tun zu müssen. Ich beschloss, diese Strategie auch anderen zu empfehlen, denn es tat wirklich gut.

Doppelsuper.

noch übrigen waren

übrig

Ich finde, das ist ein super Text. Ich möchte ihn mehrmals lesen und werde das auch tun. Kritik ist hier schwierig, du hast hier einen eigenen Maßstab angesetzt, da hat meiner nichts zu suchen, meiner versteht die Einheiten auf deinem gar nicht.

Ich lese gerade "Apoll Besobrasow" von Boris Poplawski, was mich wiederum an Rimbaud und Lautréamont erinnert, und auch, wenn dein "Zeitz" sehr viel geerdeter daherkommt, meine ich da etwas auszumachen, was all dem gemein ist, so eine ... Rebellion, gegen das "normale Leben" zum einen und gleichzeitig und vor allem gegen die immergleiche, langweilige Buchstabensuppe, die man überall vorgesetzt bekommt. Vielleicht gerät die eigentliche Geschichte bei diesem Gehirnbahnschwimmen stellenweise in den Hintergrund und vielleicht wünscht sich der ein oder andere gewohnheitsmäßig auch mehr Handlung, mehr Action, mehr zum Dran-Festhalten. Ich bin damit sehr zufrieden, ich empfinde das als sehr bereichernd.

Die einzige Kritik, und da bin ich mir nicht mal sicher, ob Kritik da angebracht ist oder ob das an mir selbst liegt, aber: Ich sehe da keine Protagonistin. Liegt das daran, dass der Autor ein Kerl ist und ich zu viel Autor in den Text projeziere - also nicht in dem Sinne, dass das "deine Geschichte" ist, sondern im Sinne von ... Keine Ahnung. Ich greife mal Knausgård auf: Dem würde ich auch nicht glauben, wenn er plötzlich aus Sicht einer Frau erzählt, ich weiß nämlich ganz genau, dass er es ist, der da quatscht, denn wer sonst quatscht denn so? Ich lese da dich bzw. die jungen, männlichen Protagonisten, die ich mit dir, der "Person Carlo Zwei" verbinde. Vielleicht tut dir das unrecht, das klingt ja ein wenig so, als wärst du in deinem Schaffen eingeschränkt. Dem ist ganz bestimmt nicht so, aber hier empfinde ich so, wohl auch wegen der Ich-Perspektive.

Ist ein bisschen unsortiert geworden, der Kommentar, wohl auch, weil ich Zeitdruck habe. Ich hoffe jedenfalls, dass die eigentliche Message bei dir ankommt. Ich bin inspiriert.

Vielen Dank!

 

Hey @Carlo Zwei,

loslösen von Eltern, Trennung vom "alten Leben", Ankommen: das sind Motive mit einer mächtigen Fallhöhe, die man sehr leicht verhauen kann. Das hast du nicht, im Gegenteil. In deinem Text passt alles, abgesehen von ein/zwei ziemlich egalen Kommata.

Schachmatt, hätte sie noch hinzufügen können, aber ich war schneller und legte auf.
Sätze wie dieser sind toll, ich habe keine Ahnung, wie man das rhetorische Mittel nennt. Du verknüpfst hier zwischenmenschlichen Fatalismus und spontanwitzige Ironie, das machst du an einigen Stellen, und das gefällt mir. Liest sich sehr schön.
Was ich auch mag, ist das nach-und-nach-Verraten bestimmter Eigenschaften: Man erfährt erst im dritten Absatz, dass es sich um eine Protagonistin handelt, und erst kurz vor Ende, wie sie heißt. Das gibt einer Geschichte immer was, finde ich.
Ob er da generell drauf Lust hätte. Wüsste er nicht. Ja, dann überleg halt. Mache er dann.
Mega.
Wie jede Tochter versuchte ich, es ihnen auszureden.
Macht meiner Erfahrung nach nicht jede Tochter, viele sind auch heilfroh, wenn der Spuk ein Ende hat.
Vielleicht werden sie mir später noch je eine Nachricht schreiben.
Toller Bezug zum Geburtstag drei Jahre zuvor.

Danke für den Text!

Liebe Grüße
oneill

 

Hey @Bas ,

okay, du warst wirklich schnell :-) danke dir für diesen ganzen Balsam. Du warst herzlich willkommen auf Rückbank, Beifahrersitz, wie auch immer.

Der erste Absatz klingt anders, anders als du sonst klingst, glaube ich. Viele Kommaeinschübe, so dieses: Da redet einer und überlegt, während er redet, und deshalb sieht das so aus.

Finde ich spannend. Ich hatte gar nicht im Sinn, sie während des Rückblicks anders klingen zu lassen. Ich denke auch, dass man die zwei Absätze schaffen muss, bis man dann vielleicht, hoffentlich merkt, dass die Story vor allem auch diesen Ortswechsel macht (und damit wohl auch diesen sprachlichen Wechsel).

Das ist ein Absatz, den ich mir gerne fein säuberlich abgeschrieben in mein Gesammelte-Zitate-Büchlein notieren möchte.

:herz:Danke dir. Hast du wirklich so ein Buch? Als ich das gelesen habe, dachte ich mir, dass ich auch sowas will. Aber auch wenn das bei mir immer gut anfängt mit solchen Projekten, artet das dann auch ganz schnell aus und plötzlich steht da sehr viel Kram drin oder ich finde keine guten Zitate mehr.

Erfahrungen, nicht alle geordnet vielleicht,

Ja, so kann man es auch nennen. Ich hatte hier vorher alles etwas geordnet, aber auch ein paar Lücken für zwischendurch gelassen, um zwischendurch auch ein bisschen rumzuspinnen. Das kann ich empfehlen.
Mich freut richtig, dass du die Nachrichtenszene mochtest, die kurze Pinkelpause. Weil manchmal schämt man sich auch ein bisschen beim Schreiben, aber irgendwo hab ich mal aufgeschnappt, dass das gut wäre und man sich ruhig schämen sollte. Ich weiß nicht, ob mich das final überzeugt, aber hier dachte ich, warum eigentlich nicht?

noch übrigen waren
übrig

bessere ich noch nach. Aber ich warte mal einen Moment. Bei der letzten Story habe ich so gefühlt alle fünf Minuten was umgeschrieben. Da ist es dann auch mit dem Kommentieren blöd geworden.

Ich möchte ihn mehrmals lesen und werde das auch tun.

:gelb: Ja, gerne. Tu dir keinen Zwang an, hehe.

Ich lese gerade "Apoll Besobrasow" von Boris Poplawski, was mich wiederum an Rimbaud und Lautréamont

spannende Auswahl. Bei Poplawski würde ich gerne mal reinlesen. Wenn du was für Einsteiger hast, nehme ich per PN gerne Tipps entgegen :-)

Rebellion, gegen das "normale Leben" zum einen und gleichzeitig und vor allem gegen die immergleiche, langweilige Buchstabensuppe

Das klingt gut. Gelegentlich schmeckt ja auch die Buchstabensuppe gut. Aber es ist schon schön, zwischendurch auch was anderes zu haben. Freut mich, dass es das für dich war.

Ich sehe da keine Protagonistin

hehe. Also ehrlich gesagt glaube ich schon, dass das mit der Identität zu tun haben kann. Aber es ist nichts Falsches, finde ich. Ich hab vor ein paar Jahren ein paar alltägliche Texte aus weiblicher Perspektive geschrieben, weil ich das für mich gut finde, weil es mir eine gewisse Fremdheit bietet und mich zwingt ein bisschen über den Tellerrand meines lebensbiografischen Erfahrungshorizonts zu schauen. Dann immer alle so: bevor das mit dem Namen kam, dachte ich es wäre ein Typ oder alternativ: ist ein homosexueller, junger Mann, stimmts? Aber klar, es stecken sicher auch trotzdem viele männliche Eindrücke dahinter.

Ich bin inspiriert.

Das ist sehr sehr schön :-)

Danke dir, Bas!

 

Hey @Morphin und guten Abend,

danke, dass du gleich kommentiert hast. Ja, der Fi-Schalter ... hehe. Dass du auch noch bei der Post gearbeitet hast.. Je mehr ich so kleine Hints zu deine Biografie aufschnappe, desto weniger sehe ich :D

...
Und dann sitzte ich da
Ist mir da eine neue Wortschöpfung entgangen?

Weil es eine Wiederholung ist? Ich glaube, da ist nichts entgangen. Bislang wollte ich das aber nicht ändern. Ich hab diesen Text sehr konzentriert geschrieben, aber wenig verändert. Vielleicht ändere ich das noch. Mal sehen :-)

die noch übrigen waren, und atmete und spürte, wie alles wie ein Gletscher zu schmelzen begann
Das Bettzeug weiß und das Laken mit kaffeebraunen Menstruationsflecken und die Decke über dem Kopf und die Haare, die auf dem Kissen bleiben, und der Geruch von Schlaf und Achselschweiß und Tränen und dem Essen, das man nicht mehr wegräumt, und plötzlich ist da, wo mal Wände voller Erinnerungen waren, nichts als Dreck und Gestank übrig.
Eine Satzumstellung brächte den Tod des einen oder anderen "und".

Das mit den unds ist zumindest als eine Art Anschwellen gedacht. Ohne Punkt und Komma. Wie so ein Rausch. Finde eigentlich, es passt.

Die Schachtel samt Fotos und XA schickte ich ohne Absender über den Ozean an eine mir unbekannte Adresse in Chile
He! Als alter Postler hätte ich dir ein Paket ins Ausland OHNE Absender NIE durchgehen lassen - und der Zoll auch nicht. Das hätte man geöffnet. Aber ein fingierter Absender ... null Problemo.

hehe, was mache ich da jetzt. Vielleicht waren ja nicht alle so gewissenhaft wie du oder nicht jedes Postunternehmen. Im Zweifel kann ich das umschreiben, aber wenn es möglich ist, stört es mich nicht. Es ist ja auch schon fast fiktiv, könnte auch dazuerfunden sein.

Ruhige Geschichten, in die ich langsam abtauche, um zu entdecken, was wo wie stattfand

Ja, es klappt auch oft nicht gut, wenn ich das Gegenteil zu schreiben versuche. Freut mich, dass du damit was anfangen kannst.

Hab noch einen guten Abend!
Carlo

----


Hallo @oneill ,

herzlich willkommen hier. Danke für deinen Kommentar.

loslösen von Eltern, Trennung vom "alten Leben", Ankommen: das sind Motive mit einer mächtigen Fallhöhe, die man sehr leicht verhauen kann. Das hast du nicht, im Gegenteil. In deinem Text passt alles, abgesehen von ein/zwei ziemlich egalen Kommata.

Danke :) Es ist ein Thema über das ich schon oft geschrieben habe. Aber (ich glaube) Jimmy meinte mal, dass die meisten Leute eh in der Regel immer wieder über dasselbe schreiben, in Variationen. Freut mich, dass du es magst.

ich habe keine Ahnung, wie man das rhetorische Mitte

ich in dem Fall auch nicht :D Wäre bei deiner Begründung ja auch nur so halb ein rhetorisches Mittel, oder? Eher sowas wie ein Tonfall, vielleicht?

Was ich auch mag, ist das nach-und-nach-Verraten bestimmter Eigenschaften: Man erfährt erst im dritten Absatz, dass es sich um eine Protagonistin handelt, und erst kurz vor Ende, wie sie heißt. Das gibt einer Geschichte immer was, finde ich.

Ja, danke! :-) Ich finde Informationsvergabe ein sehr heikles Thema und scheue mich unter anderem deswegen vor allzu großen Geschichten (was nicht heißt, dass ich es nicht hin und wieder versuche).

Wie jede Tochter versuchte ich, es ihnen auszureden.
Macht meiner Erfahrung nach nicht jede Tochter, viele sind auch heilfroh, wenn der Spuk ein Ende hat.

Ja, das stimmt sicher. Ich hatte das sogar zwischendurch entgegen der original-Version nochmal revidiert bzw. relativiert, bin dann aber wieder hierzu zurück. Ich finde es gut, wenn so eine Figure auch mal etwas behauptet, womit man eben nicht einverstanden ist. Sonst merkt man ja überhaupt nicht, dass die anders tickt als man selbst :D

Danke für den Text!

Danke dir fürs Lesen und Kommentieren.
Viele Grüße
Carlo

 

Guten Morgen @Carlo Zwei,

Bas hat schon meine Lieblingsstellen zitiert, aber die hier

Er mochte es, wenn wir Nachrichten dabei hörten, das lenkte ihn ab, führte aber auch zu seltsamen Konstellationen. Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.
muss ich noch mal gesondert erwähnen, weil ich sie für herrvorragend halte. Die Verknüpfung ist so herrlich skurril, dass ich laut lachen musste.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, aber du machst mir den Einstieg sehr schwer. Zum einen die vielen Beteiligten, da gibt es Egon, Rashid, Laura im ersten Absatz und die finden erst am Ende wieder Einzug in die Geschichte. Dann kommen noch Malte (ihr Freund, was ich auch erst später erfahr), Fridolin (der spielt gar keine Rolle mehr), Amanda (die Mitbewohnerin, gut die hat ihren Part), Isabell (der Name der Prota wird in meinen Augen zu spät erwähnt. Erst auf S. 5.), Marie (ihre Muttter).

Zum anderen machst du es mir anfangs mit der Verortung auch nicht leicht. Ich war anfangs total lost. Befinden sie sich in einem Künstlerhaus, in einem Kloster? Ich lese den Anfang fast so als hätten sie ein leerstehendes Kloster besetzt und machen jetzt ein auf Kunst.

Zeitweise fand ich auch daran gezweifelt, dass die Prota erst 20 Jahre alt ist. Ich hab streckenweise eine ältere, erfahrenere Stimme im Kopf gehabt, aber sie hat zwei Klassen übersprugen und insofern kann es natürlich sein, dass ihr Leben und ihre Gedanken bereits auf die dargestellte Weise interpretiert. Das nur am Rande bemerkt.

Die Essenz des Abends war ein Typ namens Malte. Er trug keinen Sidecut, kein Piercing oder selbstgestochenes Tattoo, keine Plateauschuhe, nur diesen halbwegs sonderbaren Namen, von dem er selbst nicht wusste, ob es sich dabei um einen Jux seiner Eltern gehandelt hatte.

Vielleicht ist das mit dem Namen Malte ein Generationsding und ich bin zu alt bzw. zu weit entfernt, denn imO ist Malte kein ungewöhnlicher Name. Wenn man "Malte Popalte" sagt, klingt das natürlich doch etws schräg ...

Den Übergang, wo sie von ihm vom Suizidversuch berichtet und

Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.

sie nach dem Organisieren von Dosenbier weiter reden, ging doch recht schnell. Auch finde ich es ungewöhnlich, dass sie ihm nach so kurzer Zeit von ihrer suziidalen Phase erzählt. Ist mE ein immer noch tabuisiertes Thema und gerade in dem Alter schon sehr ungewöhnlich, wenn man dies jeden anvertraut, den man eben erst kennengelernt hat.

Ich finde Malte hat du als Person gut skizziert. Ich mag ihn. Seine leichte Planlosigkeit

Malte meinte, mindestens zwei Jahre ginge das noch mit dem Studium. Eigentlich würde er sich gern engagieren, irgendwo, vielleicht Iran.

und auch seine Unsicherheit ihr gegenüber hast du gut eingefangen.

Den Teil, der von den Eheproblemen der Eltern handelt, fand ich etwas unharmonisch eingebettet. Ich hatte das Gefühl, es kommt so ein wenig aus dem Off und ich fand die Trennung etc. für ihre Entwicklung nicht so relevant. Ich glaube, dass das daran liegt, dass es zu sehr um die Eltern geht und deren Probleme geht und weniger darum, was das mit ihr macht. Sie müsste da für meinen Geschmack mehr im Fokus sein, ihre Gefühle, ihre Ängste müssten mehr Thema sein.

Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag riefen meine Eltern mich an, um mir mitzuteilen, dass sie sich trennen wollten. Wie jede Tochter versuchte ich, es ihnen auszureden.

Hier folge ich dir nicht unbedingt. Ich glaube nicht, dass jede Tohter versucht, ihren Eltern eine Trennung auszureden. Das ist nicht allgemein gültig und ich denke nicht, dass man das Verallgemeinern kann.

Meine Mutter hat kaum noch was mit ihrer Tochter zu tun.

Perspektivfehler? Müsste das nicht "mit mir" heißen?

Abschließend finde ich, dass du schöne Details drin hast und auch die Prota und Malte mochte ich sehr gern und fand auch die Beziehung zwischen den beiden gut dargestellt. Allerdings würde die Geschichte imO noch durch Kürzungen gewinnen.

Liebe Grüße
Aurelia

 

Hey @Aurelia ,

Mensch, du bist ja wieder dabei :D Große Freude! Danke dir für deinen Kommentar.

Er mochte es, wenn wir Nachrichten dabei hörten, das lenkte ihn ab, führte aber auch zu seltsamen Konstellationen. Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.
muss ich noch mal gesondert erwähnen, weil ich sie für herrvorragend halte. Die Verknüpfung ist so herrlich skurril, dass ich laut lachen musste.

Jah, das freut mich sehr, dass Bas und du die Stelle mögt. Ich dachte mir kurz, wie ich ihm schon geschrieben habe, ob das irgendwie drüber ist. Aber ich mochte die Stelle auch. Ihr macht mir da ein gutes Gefühl! Danke.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, aber du machst mir den Einstieg sehr schwer.

Freut mich und ja, ich weiß, der Anfang ist etwas zäh. Das ist bei meinen Stories irgendwie sehr oft der Fall. Aber ich muss sagen, der Anfang ist wichtig. Und man wird ja auch dafür belohnt. Klar, ich könnte auch im ersten Absatz mit "Da habe ich mir gedacht, ich schenke mir ein Fotoalbum." schließen und den zweiten Absatz streichen. Dann kommt man zehntausendmal schneller in die Geschichte rein, weil es dann in Leipzig ja gleich sehr haptisch wird. Aber dieser zweite Absatz zum Beispiel ist schon wichtig. Ohne den funktioniert das knappe Ende nicht und das, finde ich, flutscht ja schon ganz gut runter. Wenn da was am Anfang fehlen würde, wäre das Ende nicht mehr richtig verortet. Aber das sind auch nur so Überlegungen.

Isabell (der Name der Prota wird in meinen Augen zu spät erwähnt. Erst auf S. 5.)

Ich habe Fridolin gestrichen. Dann hatte ich kurz den tollen Einfall, sie einfach Isabell drauf schreiben zu lassen. Das passt sogar noch besser finde ich. Jetzt schreibt sie aber nur 'ihren Namen' drauf. Vielleicht ändere ich das noch. Ich mag es aber auch, wenn sich das erst ganz zum Schluss auflöst, weil das auch infrage stellt, ob diese scheinbar essentielle Info wirklich wichtig ist. Habe ich in 'Hier beginnt es' und auch anderen Geschichten so gemacht aus dem Grund.

Befinden sie sich in einem Künstlerhaus, in einem Kloster? Ich lese den Anfang fast so als hätten sie ein leerstehendes Kloster besetzt und machen jetzt ein auf Kunst.

Ich hatte in älteren Versionen schon mal 'Künstlerhaus Gruppe Zwei' in Künstlergruppe Zwei umgeändert, das dann aber wieder aus diversen Gründen zurückgenommen. Ich finde deinen Punkt aber schon in letzter Instanz richtig. Deswegen habe ich es jetzt geändert, obwohl ich mir diesmal vorgenommen habe, nicht so rasch so viele Dinge zu ändern.

dass die Prota erst 20 Jahre alt ist

Bas wollte auch nicht glauben, dass sie weiblich ist :D ja, verstehe ich schon. Ich denke, dass wird, wie du ja auch schreibst, von diesem 'zwei Klassen übersprungen' verteidigt.

Malte kein ungewöhnlicher Name

Ja, darüber habe ich auch nachgedacht. Aber sie sagt auch nicht ungewöhnlich, sondern sonderbar. Das ist ja eher auch eine Distanzierung.

Den Teil, der von den Eheproblemen der Eltern handelt, fand ich etwas unharmonisch

Ich finde schon, dass das eine wichtige Rolle spielt. Es geht ja genau um diese Abnabelung und das Erwachsen werden. Dazu gehört das für mich auch. Sie bricht da ja auch einfach die Lager ab.

ihre Gefühle, ihre Ängste müssten mehr Thema sein.

Vielleicht (vielleicht erst in ein oder zwei Wochen :D ) würde ich da noch ein zwei Zeilen dazufügen. Ist eine gute Idee.

Ich glaube nicht, dass jede Tohter versucht, ihren Eltern eine Trennung auszureden

jajaja. Oneill hat das auch gesagt. Ja, mir ist der Behauptungscharakter dieser Stelle durchaus bewusst. Aber wenn ihr euch alle so sehr dran stoßt und es offensichtlich so sehr nach dem Autor klingt, der das behauptet, bin ich hier (es ist ja nur eine kleine Stelle) bereit, das zu ändern :D bzw. hab ich. Danke dir für deinen Leseeindruck!

Perspektivfehler? Müsste das nicht "mit mir" heißen?

Guter Punkt. Nein, eigentlich nicht. Das ist Isabell, die aus der Perspektive ihrer Mutter spricht. Für die ist Isabell jetzt ihre Tochter. Sie ist weg vom Namen, auf Distanz. Aber das ist wie bei einem Konjunktiv II, der sich wie ein Indikativ anhört und für Verwechslung sorgt. Da ist dann auch die Regel, in den Konjunktiv I zu wechseln. Habe die Stelle nach deinem Vorschlag geändert. Auch weil es etwas Kleines ist und ich finde, dass das Verständnis nicht an Kleinigkeiten leiden sollte. Bei dem etwas sperrigen Anfang ist das für mich etwas anderes, wie schon beschrieben.

Danke Aurelia. Schöner Kommentar.
LG
Carlo

 

Lieber @Carlo Zwei

ach wie schön! Da ist ja eine Geschichte von Dir. Vor kurzem hatten wir es ja bei der Challenge davon. Da hattest Du angekündigt, demnächst wieder was einzustellen, was mehr Du bist. Und hier ist sie, die Geschichte.

Ich hab sie in einem Rutsch gelesen und sie hat mir sehr gut gefallen. Der Text ist flüssig und obwohl Du die Prota kaum beschreibst, hab ich im Kopf ein Bild endwickelt. Ich kann die Gedanken und Gefühle gut nachvollziehen, bin immer voll dabei. Sprachlich wirklich topp, da hat nichts gehakt. Teilweise hatte ich das Gefühl, Deine Prota müsste viel älter sein. Sie kommt an manchen Stellen sehr weise rüber. Find ich aber nicht negativ. Den Einstieg fand ich gelungen, ich hab mich gleich gefragt, was das für ne Künstlergruppe ist und warum die so leben. Da war die Neugierde geweckt.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Ich wollte nicht erwachsen sein, wollte keinen Schokomuffin, lieber einen der lieblosen, aber zumindest standardmäßigen Kuchen meiner Mutter oder wenigstens einen selbstfrittierten Krapfen mit einer Kerze darin. Am Morgen hatten sie und mein Vater mir je eine Nachricht zu je etwa siebenhundertfünfzig Zeichen geschrieben, mich aber nicht gemeinsam angerufen.

Die Stelle fand ich herzerweichend.

Von meiner Einschulung, dem ersten Erdbeereis, einem Tag mit Papa auf dem Deutsch-Amerikanischen Volksfest in Berlin und mit meiner Mutter beim Kuscheln auf unserem alten Ledersofa, das ich im Übrigen auch vermisste.

Sehr schönes Bild, das Du da erzeugst.

Es war mein zwölfter Geburtstag und ich tat, wovon ich wusste, dass man es nicht tut, sich eine Badewanne einlassen, den Fön anschalten, aber das wollte ich und ich sprang ins Wasser, aber zum Glück sprang die Sicherung raus und meine Mutter fand mich und dann musste ich fast ein Jahr lang jeden Mittwoch zur Kinderpsychologin Frau Darrendorf und durfte kaum noch was alleine machen. Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.

Das fand ich echt krass. Mit 12 nen Suizidversuch. Heftig. Ich finde es interessant, wie Du dieses heftige Kindheitserlebnis so beiläufig in die Geschichte einstreust.

Wir gingen dann mit Amanda nach Hause und Malte schlief bei mir im Bett, aber nicht mit mir, was sicher gut so war. Wir aßen Frühstück; Malte holte Brötchen, O-Saft und Croissants. Amanda hatte sich verkrümelt, so waren wir zu zweit und ich erzählte Malte, was ich über offene Beziehungen gelesen hatte. Ob er da generell drauf Lust hätte. Wüsste er nicht. Ja, dann überleg halt. Mache er dann.

Das fand ich richtig schön, dass sie zusammen im Bett schlafen, aber nicht miteinander.
Auch interessant mit der offenen Beziehung. Hab mich da gefragt, warum die Prota sich das wünscht. Die meisten Mädels in dem Alter wollen ja was Festes.

Er mochte es, wenn wir Nachrichten dabei hörten, das lenkte ihn ab, führte aber auch zu seltsamen Konstellationen. Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.

Da musste ich richtig lachen. Herrlich. :D

Im Ergebnis beeindruckte das Malte noch mehr, weshalb ich es aufgab, Malte nicht beeindrucken zu wollen und es einfach zu genießen versuchte, mal nichts für die Anerkennung eines anderen Menschen tun zu müssen. Ich beschloss, diese Strategie auch anderen zu empfehlen, denn es tat wirklich gut.

Das ist auch eine Stelle, an der sie sehr weise rüberkommt.

Gerade weil es so schön kitschig war, malte ich um unsere Köpfe Herzen mit Lippenstift. Kurz dachte ich darüber nach, ob wir dann auch bald heiraten würden, wenn es so märchenhaft weiterginge mit uns, und dieser Gedanke war ein Wendepunkt.

Sehr schön ausgedrückt. Hat mir gut gefallen.

Ich will nicht so tun, als würde ich nicht wollen, dass meine Eltern mich anrufen. Meine Mutter hat kaum noch was mit mir zu tun. Sie kann oder möchte sich nicht mehr so sehr um andere kümmern. Selten spreche ich mit meinem Vater. Es geht um Gemüse, Patientinnen und um Marie, die er vor mir schon lange nicht mehr Mama nennt. Vielleicht werden sie mir später noch je eine Nachricht schreiben. Dann flicke ich vielleicht gerade ein Loch im Boden oder einen Riss in der Wand. Jetzt gehe ich erstmal eine rauchen.

Auch das Ende fand ich sehr ansprechend.

Vielen Dank für die schöne Geschichte.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 

Hey @Silvita ,

immer dabei. Danke dir vielmals :)

in einem Rutsch gelesen

Das freut mich. Ist hier auch wegen des Rhythmus wichtig, denke ich.

hab ich im Kopf ein Bild endwickelt. Ich kann die Gedanken und Gefühle gut nachvollziehen, bin immer voll dabei.

sehr schön :-) erleichtert mich, dass das funktioniert.

Teilweise hatte ich das Gefühl, Deine Prota müsste viel älter sein. Sie kommt an manchen Stellen sehr weise rüber. Find ich aber nicht negativ.

Das meinte Aurelia auch. Ich habe das so mit dem Hinweis darauf ein wenig gesichert, dass sie auch zwei Klassen übersprungen hat. Sie ist dann halt etwas cleverer oder auch weiser. Sie erlebt das ja auch recht intensiv, da bleibt scheinbar was hängen :-)

en Einstieg fand ich gelungen, ich hab mich gleich gefragt, was das für ne Künstlergruppe

Cool. Da hatte ich ein paar Worte nach Aurelias Hinweis geändert.

Die meisten Mädels in dem Alter wollen ja was Festes.

ich glaube, dass sich das bei Millenials und GenZ schon ändert (schaue da gerade Videos und lese, was es dazu gibt, weil ich das irgendwie immer super spannend finde, was machen junge Leute aktuell, was sind ihre Ideen usw.). Die sind, denke ich, mehr in Berührung mit solchen Beziehungsformen oder dem gesellschaftlichen Diskurs darüber. Es ist auch nicht mehr (überall; in manchen patriarchal geprägten Regionen vielleicht schon) ein Tabu. Allerdings gibt es da auch sehr widersprüchliche Hinweise; es ist immerhin auch schwierig über eine ganze Generation zu urteilen, wenn auch zumindest nach Karl Kraus nicht unmöglich. Es wird einerseits behauptet, diese Generation arbeite lieber allein und weniger kollaborativ. Andererseits wird gesagt, sie orientierten sich stark an ihren sozialen Bezugsgruppen und dass diese für sie allgemein eine sehr große Rolle spielen, Gruppenidentität. Ich denke, es kommt darauf an, womit man aufwächst: Das können Smartphones, aber genau so gut auch ideelle Konzepte oder Beziehungsformen sein.

Vielen Dank für die schöne Geschichte.

Danke dir. Auch für das Herausschreiben einiger Stellen. Sowas tut immer gut zu lesen :-) Und es ist immer eine gute Rückmeldung. Weil das möchte man ja, dass es der, die es liest, was gibt.

Liebe Grüße
Carlo

 

Hallo @Carlo Zwei :-)

schräg, mir erging es ähnlich wie Bas und im Grunde wird mein Kommentar eine Ergänzung zu Bas Kommentar. Zeitz fördert wirklich Kunst, oder? Ich meine, ich habe mal eine Reportage darüber gelesen. Egal.

Ich mag deinen Text. Er folgt ja den Geburtstagen in einer diffusen Zeit Isabells, irgendwo zwischen "Ankommen" und "Nicht-Ankommen-Können". Das ist ein Text, der eine Entwicklung suggeriert, die von einem bestimmten Startpunkt ausgeht und zu einem bestimmten Zielpunkt hinführt. Die Ablösung vom Elternhaus (oder dann getrennten Elternhäusern), unsichere erste Schritte als Erwachsener. Andererseits sehe ich Isabells Unsicherheit mehr als Teil ihrer Persönlichkeit (oder gar Erziehung) denn den äußeren Umständen zwischen 18 und 20 Jahren geschuldet. Sie sucht eben ein bestimmtes Gefühl der Akzeptanz (oder?), das ihr Malte und die Eltern nicht geben können oder nicht wollen. Stattdessen erlebt sie, dass sie nicht akzeptiert wird, sogar gedemütigt wird. Rein spontan werte ich die elterliche Nicht-Akzeptanz viel stärker. Da fiel es mir schwer, die "Ablösung" von den Eltern mit der von Malte zu vergleichen. Oder soll es das überhaupt?

Interessant finde ich, wie wenig du das Thema Leistungsstreben anschneidest. Zwei Klassen übersprungen, eine "Gut" war eine Katastrophe - hier hat jemand sehr hart gelernt. Mich hätte interessiert, warum sie das tat. Strenge Erziehung? Bei den Eltern Akzeptanz finden? Beeindrucken zu wollen? Sich selbst besser zu fühlen?

Isabell scheint sie Dinge emotional bis zu einem spezifischen Punkt aushalten zu können, dann versucht sie zu handeln und ihre Verletzlichkeit zu offenbaren. Beim 18. Geburtstag fiel mir das auf, sie betont "nach Hause" und die Eltern akzeptieren das einfach so, hören nicht zu. Das ist ein Mensch, der sichtbar werden will. Vielleicht das ein Grund für ihr Leistungsstreben.

Du siehst, ich schwimme ein wenig, was ich nicht schlimm finde.

Ein kleines Problem hatte ich beim Text: Zeitz. Mir war nicht ganz klar, warum sie jetzt nach Zeitz geht und wie sie zu der Idee gelangt. Zum 17. Geburtstag hatte ich sie in Leipzig verortet, aber plötzlich ist sie in Zeitz. Das verstand ich nicht.

Zeitz It’s the place to be.
Das hat was von einer Imagekampagne für die ostdeutsche Provinz, gefördert aus einem EU-Strukturfond (AGEUREF oder wie die alle heißen)^^.

Wer sucht, findet hier schnell alte Autoreifen, die günstigsten Kaltmieten Deutschlands, verlassene Kirchen und Fabriken.
Eigentlich hast du mit den "alten Autoreifen" alles gesagt. Gut, ich kenne Zeitz und konnte den Ort sehr schnell einordnen. Vielleicht kannst du hier aber mehr Details einbringen, mehr das, die Erzählerin sieht. Nicht aus dem Allgemeinen beschreiben sondern sehr konkret und dann ins Kloster überleiten. Aber das nur als Vorschlag.
In diesem Fotoalbum geht es um Malte, meine Eltern und mich. Vier Personen, da kommt was zusammen. Jetzt sitze ich hier im Karzer und denke über mein Leben nach. Aber nicht zur Strafe, das ist für diesen Raum doch sonderbar. Im Tisch sind Namen eingeritzt von Leuten, die hier Strafstunden verbüßten. Ich schreibe meinen dazu. Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe. Und dann sitze ich da und will plötzlich doch ein Fotoalbum aus dieser Zeit vor Zeitz.
Ich habe mal diesen Absatz herausgepickt, da du hier eine schöne Kreativität zeigst, hier spielst du mit den Eindrücken des Lesers: Karzer, dann Strafstunden, dann schreibt er ... das ist richtig gut gemacht. So eine Art "bodenständige Akrobatik", nicht verkünstelt sondern real und passend und kreativ. Schön :-)
Ich trug ein Sternenhütchen, das meine neue Mitbewohnerin mir gebastelt hatte, und im Küchenradio lief Can you feel it mit Michael Jackson.
Das ist orthographisch korrekt, oder? Oft liest man ja Songtitel in Anführungszeichen oder kursiv.
Ich beginne in Leipzig. Das war mein siebzehnter Geburtstag. Ich trug ein Sternenhütchen, das meine neue Mitbewohnerin mir gebastelt hatte, und im Küchenradio lief Can you feel it mit Michael Jackson. Es war einer der ersten und schlimmsten Tage meines Daseins als quasi Erwachsene. Zwei Klassen übersprungen, jetzt von zu Hause weg, eine erste WG, eine erste Mitbewohnerin, ein erster Geburtstag als quasi Erwachsene mit Michael Jackson. Wir stießen an mit Rotkäppchen-Sekt und bissen jeweils in einen Schokomuffin.
Ja, hier steckt ja dieses Nicht-Kind-Nicht-Erwachsen, das schafft Unsicherheiten, das ist ja auch ein wenig dein Thema, das sich durch viele deiner Texte zieht. Erster Geburtstag und eigenes WG-Zimmer, klar gibts einen Schokomuffin (der kann eher kindisch oder eher erwachsen sein), etwas Sekt. Schön, dass du hier nicht übertreibst, das wirkt alles sehr natürlich. Orthographisches: "Quasi-Erwachsene" hätte ich geschrieben, aber "quasi Erwachsene" klingt für mich natürlicher, näher an der Erzählerin.
Kurz dachte ich darüber nach, ob wir dann auch bald heiraten würden, wenn es so märchenhaft weiterginge mit uns, und dieser Gedanke war ein Wendepunkt.
Hier hätte ich eine emotionalere Reaktion erwartet, so eine Art reflektiertes Erschrecken. Aber Ansichtssache.

Neuerdings meinte Malte, sich von der Literatur verstanden zu fühlen und sie dadurch seinerseits besser zu verstehen. Manchmal kam er mir wie ein Erleuchteter vor, hielt mir Vorträge zur Liebe zur persischen Dichtung, die er in sich entdeckt hatte und nun kultivieren wollte. Er bezeichnete mich auch im Scherz als Plünderin der Stadtbibliothek. Das klang nach Völkerschlacht und also fragte ich nach. Nun ja, ich hätte Nietzsche nur deshalb gelesen, weil ich aus Röcken käme, wie er. Das stimmte vielleicht, aber warum sagte er mir das? Ich hätte Nietzsche nicht mit Weitblick, sondern nur aus der Perspektive eines geografischen Nesthäkchens zwischen Brocken, Vogtland und Erzgebirge gelesen. Nur weil Malte aus Berlin kam. Es war der Schlusspunkt unserer Beziehung.
Finde ich einen sehr guten Absatz. Völkerschlacht, einerseits ordnest du den Text geographisch ein, andererseits drückt sie damit ihren Eindruck aus. Aber hier lese ich einen ordentlichen Konflikt, vielleicht sogar eine Spur Neid bei Malte. Natürlich sucht er sich eine exotische Ecke in der Literatur aus, die Expertise und Tiefes Denken vorspielt, gepaart mit dem Vorwurf, die Erzählerin lese Nietzsche nur wegen ihrer geographischen Herkunft. Wäre der Text länger, würde Malte die urbane Arroganz ausspielen - "du aus der tiefsten Provinz, aus einem winzigen Dorf.

Röcken am Autobahnkreuz Rippachtal! Ich nenne das gerne Friedrich-Nietzsche-Autobahnkreuz.

In Weißenfels holten sie mich ab und bis nach Röcken lauschten wir dem Scheibenwischer und Blinkerknacken. Statt Kassler gab es gemischtes Gemüse. Es war ein Konzert von Schneid- und Spießgeräuschen auf Porzellantellern. Ich suchte nach dem richtigen Moment, ein paar Worten vielleicht, aber fand nichts Passendes. Dafür räusperte mein Vater sich und sagte: Das Bett ist schon gemacht. Noch ein, zwei Zucchinischeiben aß ich und auch etwas von der Aubergine und dann erklärte ich, dass ich, wenn es ihnen nichts ausmache, nach dem Essen gerne wieder nach Hause wolle, und natürlich betonte ich das ‚nach Hause‘ und natürlich hatten sie nichts dagegen. Kurz nach zwölf in Leipzig setzte ich mir das Sternenhütchen auf und durchsuchte Youtube nach Michael Jackson. Eine Supernova und Hand voll Sternenstaub später war ich achtzehn.
Hm, die Eltern sind schon arg distanziert. Fast schon feindselig. Sie scheinen ihren Einfluss auf Isabell nicht zu merken oder merken zu wollen. Sie kümmern sich gar nicht, leben in ihrer eigenen Welt. Autoritäre Erziehung?

Blinkerknacken würde ich austauschen. Oder sagt man das so? Vielleicht kannst du ja den Regen einbauen. An der Straße zwischen Röcken und Weißenfels steht kurz vor der Autobahnbrücke eine ehemalige Verladestation für landwirtschaftliche Produkte der stillgelegten Rippachtal-Bahn. Falls du ein geographisches Element brauchst^^ (Ich kenne die Straße, an der endet die Norddeutsche Tiefebene und das Mittelgebirge beginnt. Erste Steigung hinter Röcken nach Westen zum Saaletal ab, kleiner Wirtschaftsweg, Blick auf Mittelgebirge).

Machte das mein Leben wertvoller? Wahrscheinlich. Statistisch gesehen.
Stark!

Das war's!

Lg aus Leipzig
kiroly

 

Lieber @kiroly ,

sehr schön, dass du vorbeigeschaut hast (trotz des noch anhaltenden Challenge-Wahnsinns :D).
Hab mich über deine Gedanken wie immer sehr gefreut und überhaupt, was von dir zu lesen.

Zeitz fördert wirklich Kunst, oder?

Ja. Also mindestens indirekt. Aber auch umgekehrt. Viele Künstler*innen gehen dort hin, eben weil es so schön viel Leerstand gibt und alles so günstig ist. Der perfekte Ort, um was zu starten, wenn man davon absieht, dass da sonst tote Hose ist.

Das ist ein Text, der eine Entwicklung suggeriert, die von einem bestimmten Startpunkt ausgeht und zu einem bestimmten Zielpunkt hinführt.

Ja, das ist so ein Prinzip, das ich in vielen Texten schon durchgespielt habe und auch weiterhin gerne durchspiele. Ich mag das Zeitvergehen, das dadurch spürbar wird.

Andererseits sehe ich Isabells Unsicherheit mehr als Teil ihrer Persönlichkeit (oder gar Erziehung) denn den äußeren Umständen zwischen 18 und 20 Jahren geschuldet. Sie sucht eben ein bestimmtes Gefühl der Akzeptanz (oder?), das ihr Malte und die Eltern nicht geben können oder nicht wollen.

Das ist auf jeden Fall auch ein Aspekt der Sache. Für mich ist es vor allem die empfundene, allgegenwärtige Unzulänglichkeit, die das gefühlsmäßig aufweist. Die ('Erwachsenen'-)Realität hat irgendwie einfach nichts damit zu tun, was man sich darunter vorgestellt hat. Alles zieht sich zu wie in einer Falle und es gibt scheinbar nur dieses eine Schlupfloch, durch das man entkommen könnte, aber während man darüber nachdenkt, es wirklich zu tun und dafür gewissermaßen alles andere stehen und liegen zu lassen, schließt es sich allmählich. Also sind es für mich gewissermaßen schon auch äußere Umstände, die aber natürlich etwas Subjektives an sich haben. Die Protagonistin nimmt diese 'Realität' eben so wahr. Jemand anderes sieht das vielleicht viel offener und optimistischer.

Da fiel es mir schwer, die "Ablösung" von den Eltern mit der von Malte zu vergleichen.

Ja, ich denke, dass dieser Vergleich nicht viel Sinn ergibt. Ich hoffe, das ist nicht so rübergekommen. Es ist eine Parallele, klar, aber es geht ja auch darum, dass alles irgendwie aufbricht, ob freiwillig oder nicht, und was das mit ihrer Entwicklung, dieser 'Inkubation' macht.

Mich hätte interessiert, warum sie das tat. Strenge Erziehung?

Ist auf jeden Fall eine berechtigte Frage. Ich denke, das löst die Story auch in gewisser Weise auf. Es ist nicht unbedingt die Strenge. Es sind Erwartungen, vor allem auch eigene. Und es ist die Eigenwilligkeit der Entwicklung der Eltern. Der Vater sieht sowieso nur sich selbst und die Mutter ist nicht mehr bereit Verantwortung zu übernehmen. Das ist ja ein Stück weit auch eine recht normale Angelegenheit, nur dass sie hier etwas extrem auftritt.

Isabell scheint sie Dinge emotional bis zu einem spezifischen Punkt aushalten zu können, dann versucht sie zu handeln und ihre Verletzlichkeit zu offenbaren.

Finde ich auch eine gute Beobachtung. Es geht auf jeden Fall auch um diese Frage, wann das Fass oder Maß oder wie auch immer endlich voll ist, um diesen genauen Punkt und was das für Veränderungen zeitigt. Und das ist im Prinzip auch der Hintergrund zu ...

warum sie jetzt nach Zeitz geht

Es ist ein Ausbruch. Warum Zeitz?, die Frage ist schon berechtigt. Es ist ein Detail. Und mir gefällt der Gedanke, das regional zu verorten bzw. dass hier innerhalb der 'ostdeutschen Provinz' so etwas wie Austeigertum möglich ist.

Das hat was von einer Imagekampagne für die ostdeutsche Provinz, gefördert aus einem EU-Strukturfond

hehe. ja, da ist durchaus was dran :D

sehr konkret und dann ins Kloster überleiten.

Finde ich eine ganz gute Idee. Weiß aber noch nicht, ob ich da wirklich was dran ändern will. ich glaube, das würde an der Stelle einfach schnell einen ganz anderen Tonfall annehmen.

Ich habe mal diesen Absatz herausgepickt

Cool, dass ausgerechnet der dir gefällt und auch weshalb. Weil ich finde den Absatz, wie ich auch schon geschrieben habe, sehr wichtig, obwohl es, wenn man nicht an das Ende denkt, fast so aussieht, als könnte man den ersatzlos streichen. Da bin ich froh, dass er dir von der Gestaltung was gibt. Für mich ist das Exposition.

Ich trug ein Sternenhütchen, das meine neue Mitbewohnerin mir gebastelt hatte, und im Küchenradio lief Can you feel it mit Michael Jackson.
Das ist orthographisch korrekt, oder?

Hmm. Eigentlich müssten wahrscheinlich alle Wörter groß geschrieben sein. Das mit dem Kursiven wäre auch eine Überlegung. Aber sie baut ja auch Dialog nahtlos in ihre Erzählung ein. Da finde ich es ohne Kursivschreibweise eigentlich sinniger. Aber mit der Großschreibung mache ich vielleicht noch was. Es ergibt ja dann auch nur begrenzt Sinn, dass 'Can' groß geschrieben ist.

Ja, hier steckt ja dieses Nicht-Kind-Nicht-Erwachsen, das schafft Unsicherheiten, das ist ja auch ein wenig dein Thema, das sich durch viele deiner Texte zieht. Erster Geburtstag und eigenes WG-Zimmer, klar gibts einen Schokomuffin (der kann eher kindisch oder eher erwachsen sein), etwas Sekt. Schön, dass du hier nicht übertreibst, das wirkt alles sehr natürlich. Orthographisches: "Quasi-Erwachsene" hätte ich geschrieben, aber "quasi Erwachsene" klingt für mich natürlicher, näher an der Erzählerin.

Cool, dass das für dich identifizierbar ist. Ja, das mit dem Schokomuffin :D Ich hab das gewählt, weil ich finde, das Schokomuffins immer ein bisschen enttäuschend sind. Die sehen zwar ganz hübsch aus, haben aber auch so etwas Angepasstes, Uninspiriertes, finde ich (Sorry an alle Muffin-LiebhaberInnen). Ich sehe sofort eine Postkarte mit einem illustrierten Muffin mit Kirsche vor mintgrünem (Rosin's Restaurant farbenen) Hintergrund und dann in weißer handschriftartiger Typo einen Mutmacherspruch dazu. Ich rümpfe manchmal die Nase vor so etwas, auch wenn es eigentlich keinen anständigen Grund dafür gibt; man kann sich natürlich über alles aufregen und in Stories mache ich das auch gerne. Deswegen gibt mir diese Stelle immer wieder Genugtuung beim Lesen :-)

Kurz dachte ich darüber nach, ob wir dann auch bald heiraten würden, wenn es so märchenhaft weiterginge mit uns, und dieser Gedanke war ein Wendepunkt.
Hier hätte ich eine emotionalere Reaktion erwartet, so eine Art reflektiertes Erschrecken. Aber Ansichtssache.

Ich finde nicht, dass es da so etwas braucht. Für mich lebt das gerade von der Tonlosigkeit. Es ist ja auch mit einer gewissen aus der zeitlichen Distanz folgenden Coolness der zurückblickenden Protagonistin erzählt.

Natürlich sucht er sich eine exotische Ecke in der Literatur aus, die Expertise und Tiefes Denken vorspielt, gepaart mit dem Vorwurf, die Erzählerin lese Nietzsche nur wegen ihrer geographischen Herkunft. Wäre der Text länger, würde Malte die urbane Arroganz ausspielen

Haha, ja, das denke ich auch. Freut mich, dass das rüberkommt.

Röcken am Autobahnkreuz Rippachtal! Ich nenne das gerne Friedrich-Nietzsche-Autobahnkreuz.

Was soll ich sagen? Typisch Kiroly :D

die Eltern sind schon arg distanziert. Fast schon feindselig. Sie scheinen ihren Einfluss auf Isabell nicht zu merken oder merken zu wollen

Das stimmt. Aber ist auch nur eine (vielleicht eine sehr plausible) Perspektive darauf, finde ich. Aus ihrer (Eltern-)Perspektive ist das auch eine Emanzipation von dieser Rolle. Das Dramatische daran ist Isabells Alter, sie ist halt für dieses Verhalten eigentlich etwas jung. Allerdings wirkt sie ja auch immer etwas älter. Alles scheint bei ihr früher abzulaufen.

Blinkerknacken

Ich finde das eigentlich einen schönen Neologismus. Gerade, weil er das Geräusch impliziert und auch das Abbiegen. Und der Regen steckt im Geräusch der Scheibenwischer.

An der Straße zwischen Röcken und Weißenfels steht kurz vor der Autobahnbrücke eine ehemalige Verladestation für landwirtschaftliche Produkte der stillgelegten Rippachtal-Bahn.

Krass, was du alles weißt. Du bist wirklich ein Regional-Experte. Ich denke, dass du deswegen auch eine andere Perspektive auf den Text hast als die meisten hier. Ich frag mich zum Beispiel, ob bei dir Zeitz sofort als solches gelesen wird. Ich denke bei Leuten, die nicht aus der Region sind oder sich damit nicht auskennen, sieht das erstmal wie ein Rechtschreibfehler aus. Außerdem hat da die Ostprovinz auch nochmal eine eigene 'Exotik' und es stellt sich deshalb wahrscheinlich gar nicht jeder die Frage, warum Zeitz. Aber ist nur eine Vermutung.

Danke dir jedenfalls für den sehr intensiven Kommentar. Du hast viel neue Aspekte herausanalysiert, wo es nochmal ergiebig war, drüber nachzudenken und sich da Wirkungsweisen bewusst zu machen. Vielen Dank dafür. Gerade auch für dein Wissen um die Region und diesen spezifischen Leseeindruck, für den ich das halte und der auch wichtig ist, wenn ich den Text hier mal lesen sollte oder dergleichen. Einfach Wissen, was da bei LeserInnen bestehen kann.

Hab einen sehr schönen Tag
mintgrüne Grüße
Carlo

 
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Salut,

Es stellte sich heraus, dass meine Mutter ihn verlassen hatte. Seit er nun vom Arzt zum Heilpraktiker geworden war, ernährte er sich hauptsächlich von Smoothies: Staudensellerie, Winterrettich und rote Beete.
Hahahaha

Ich hab das sehr, sehr gerne gelesen. Der Einstieg ist mir etwas schwerer gefallen, als es hätte sein müssen, mMn. Ich denke, kurz gesagt, dass der Text stärker und komprimierter wäre, wenn du den ersten, zweiten und letzten Absatz streichen würdest:

It’s the place to be. Hier gibt es Egon, Rashid, Laura und mich. Zusammen sind wir die Künstlergruppe Zwei. Aber das nur am Rande. Wer sucht, findet hier schnell alte Autoreifen, die günstigsten Kaltmieten Deutschlands, verlassene Kirchen und Fabriken. Wir haben uns in einem Kloster eingenistet, Rashid hat drei Heizkörper aufgetrieben. Wir bauen einen Ofen, obwohl es schon Mai ist, der zwanzigste, mein Geburtstag. Da habe ich mir gedacht, ich schenke mir ein Fotoalbum, weil das mit dem Fotoalbum vor ein paar Jahren, das hat ja nicht geklappt. Die anderen arbeiten, aber das ist okay, nicht alle müssen immer arbeiten, und ich habe ja, wie gesagt, Geburtstag und auch schon einen Geburtstagskuchen bekommen.
Von einem ‚Fotoalbum‘ zu sprechen, ist natürlich so eine Art schlechter Witz. Immerhin habe ich aus dieser Zeit keine Fotos mehr und von manchen Dingen auch nie ein Foto gemacht. In diesem Fotoalbum geht es um Malte, meine Eltern und mich. Vier Personen, da kommt was zusammen. Jetzt sitze ich hier im Karzer und denke über mein Leben nach. Aber nicht zur Strafe, das ist für diesen Raum doch sonderbar. Im Tisch sind Namen eingeritzt von Leuten, die hier Strafstunden verbüßten. Ich schreibe meinen dazu. Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe. Und dann sitze ich da und will plötzlich doch ein Fotoalbum aus dieser Zeit vor Zeitz.
Jetzt bin ich angekommen. Bei Laura, Egon und Rashid. Zeitz, zwischen Erzgebirge, Vogtland und Brocken. Die Heizung klumpt, aber es ist ja schon Mai und nein, ein Fotoalbum ist das nicht wirklich, aber so etwas ähnliches vielleicht. Du bist jetzt zwanzig. Herzlichen Glückwunsch! Ein paar Leute, die vielleicht noch keine Freunde sind, haben dir einen Kuchen gebacken, ein Anfang. Kein Grund wehmütig zu werden. Ich will nicht so tun, als würde ich nicht wollen, dass meine Eltern mich anrufen. Meine Mutter hat kaum noch was mit mir zu tun. Sie kann oder möchte sich nicht mehr so sehr um andere kümmern. Selten spreche ich mit meinem Vater. Es geht um Gemüse, Patientinnen und um Marie, die er vor mir schon lange nicht mehr Mama nennt. Vielleicht werden sie mir später noch je eine Nachricht schreiben. Dann flicke ich vielleicht gerade ein Loch im Boden oder einen Riss in der Wand. Jetzt gehe ich erstmal eine rauchen.
Das fühlt sich für mich nach Darlings an, nach drei Absätzen, die du richtig liebst, aber sie müssen weg! :D Was tun sie zur Geschichte? Du hast sicher eine gute Begründung, ich verstehe auch schon wie du das meinst, aber für mich sind sie mehr Appendix als schöner Rahmen. Es fühlt sich auch so an, als ob du diesen Einstieg mehr für dich selbst gebraucht hättest, um in die Geschichte reinzukommen, als dass er für den Text oder den Leser selbst entstand.

Ich beginne in Leipzig.
Das ist sowohl vom Satz als auch vom Absatz her der bessere Einstieg, mMn.

Einziger weiterer Kritikpunkt: Es muss früher ersichtlich werden, dass es sich hier um eine weibliche Erzählerin handelt. Als das klar wurde, war ich richtig dabei beim Text, weil die Figur plötzlich für mich noch mal richtig interessanter wurde, wieso auch immer.

Die Geschichte an sich finde ich wahnsinnig sympathisch. Zwischenzeitlich hab ich mir überlegt, ob mir das zu flapsig mit zu vielen Wortwiederholungen ist, aber ich habe während dem Lesen dann für mich entschieden, dass das genau so passt, in dem Erzählton. Das Flapsige und Labrige entfaltet irgendwann seine Sympathie und seine Magie, ich hatte dadurch im Laufe des Textes ein interessantes, kauziges und irgendwie verchecktes Mädchen vor Augen, das ich als Figur herrlich fand.

Ich finde das eine wahnsinnig schöne Geschichte, ein Leben, extrem authentisch, das beschreibt diese frühe Phase nach der Schule und zu Beginn des Studiums schön, authentisch, du spielst hier mit Stereotypen, bleibst aber dennoch bei deinen Figuren und brichst das Klischee in kleinen Teilen, sodass sich für mich ein guter Mix aus Authentizität und Eigenes ergibt. Ich fand auch die Figuren außerhalb deiner Erzählerin super, Malte und die Eltern, das wirkt sehr echt und ich war sehr interessiert beim Lesen, wie es weiter geht.

Was ich auch schön finde, ist, wie individuell dein Text sich nach vllt. der Hälfte beim Lesen anfühlt, ich hatte da das Gefühl, dass ich dir alles glaube, was du erzählst, und dass ich komplett in der Story war. Das ist verdammt viel wert.

Wie gesagt, ersten, zweiten und letzten Block würde ich kicken, das würde die Geschichte sehr aufwerten, und früher klar machen, dass es sich um eine Erzählerin handelt, dann hätte ich nichts auszusetzen.

Werde ich heute Abend noch mal lesen und vielleicht noch was an meinem Kommentar editieren.

Sehr geil!
zigga

 

Hey @AWM ,

habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut. Eigentlich wollte ich mir im Zuge deines und des Kommentars von @zigga gerne schon Gedanken um die Sache mit dem Anfang gemacht haben. Es ärgert mich, dass ich mir aktuell aus diversen Quellen die Zeit fürs Schreiben rauben lasse, obwohl ich eigentlich gerade viel Zeit haben sollte. Aber ich möchte dich/euch nicht länger warten lassen. Das heißt, ein paar Aspekte deines Kommentars habe ich noch nicht ganz reflektiert, aber dann ist das hier eben schon mal die allgemeine Rückmeldung.

Erstmal bin ich froh, dass dir das gefallen hat. Manchmal komme ich mir mit meinen Kommentaren gegen die von dir etwas unkritisch vor. Ich schreibe schnell mal, dass ich etwas sehr gerne gelesen habe etc. du bist vorsichtiger mit deinen Urteilen oder präziser, was mir immer dann auffällt, wenn ich mal eine verdiente Klatsche von dir bekomme :D (vgl. letzte Story).

Vor allem denke ich darüber nach, ob es eine Version ohne die ersten zwei Absätze und ohne den letzten geben könnte, also unter Ausklammerung des Rahmens dieser Story. Genau dafür habe ich noch nicht die Ruhe gefunden. Ich möchte diese Story nicht unnötig zerpflücken. Der Erzählrahmen ist ja etwas sehr Wesentliches hier. Da ist die Erzählposition, da ist ein Vorher und Nachher, die dem Gewicht verleiht. Ich werde die Story wahrscheinlich wirklich in der kleinen Stadt Zeitz lesen im Sommer. Da denke ich, sollte dieser Rahmen bestehen bleiben. Unabhängig von dieser Lesung braucht es ihn aber vielleicht nicht. Das nur nochmal in Kürze als Briefing darüber, wo ich mich hier gedanklich gerade befinde (während ich parallel fleißig weiterschreibe).

Da habe ich mir gedacht, ich schenke mir ein Fotoalbum, weil das mit dem Fotoalbum vor ein paar Jahren, das hat ja nicht geklappt. Die anderen arbeiten, aber das ist okay, nicht alle müssen immer arbeiten, und ich habe ja, wie gesagt, Geburtstag und auch schon einen Geburtstagskuchen bekommen.
Das ist ein Absatz, den ich nicht verstanden habe. Der Zusammenhang zwischen dem letzten und den vorherigen Sätzen. Sie hat Geburtstag und ich lese da heraus, dass sie alleine feiert, weil die anderen arbeiten. Dass nicht alle immer arbeiten müssen. hört sich wie eine Rechtfertigung an dafür, dass sie an ihrem Geburtstag nicht arbeitet. Man könnte es aber auch als leichten Vorwurf lesen. Nicht alle müssen immer arbeiten: Warum tun die anderen das dann an ihrem Geburtstag und lassen sie alleine? Diesen leichten Vorwurf schwächt sie dann wieder dadurch ab, dass sie ja schon einen Kuchen bekommen hat.
Ich verstehe auch nach mehrmaligem Lesen nicht, wie das gemeint ist und was das für eine Funktion hat.

Finde toll, wie präzise du das aufschlüsselst. Ich weiß, was du meinst. Vielleicht ist es wirklich so und es braucht diese ersten zwei Absätze überhaupt nicht. Es ist vielleicht wie @zigga das geschrieben hat und ich habe diese Absätze eher für mich genutzt, um mich da einzugrooven, bevor es wirklich losgeht mit der Story.

Immerhin habe ich aus dieser Zeit keine Fotos mehr und von manchen Dingen auch nie ein Foto gemacht. In diesem Fotoalbum geht es um Malte, meine Eltern und mich. Vier Personen, da kommt was zusammen.
Mich hat das verwirrt mit den Fotoalben. Sie hat keine Fotos mehr und will sich ein Fotoalbum schenken. Andererseits kommt bei vier Personen was zusammen (viele Fotos). Das Fotoalbum ist also rein als Metapher für das Schwelgen in den Erinnerungen zu verstehen?

Ja, das ist schon etwas um zwei Ecken gedacht. Das macht diesen Einstieg so schwer, denke ich. Im Grunde ist es so, wie du schreibst. Das ist eine Metapher. Wird ja am Ende auch nochmal gebrochen, wo sie dann sagt, dass das nur so etwas Ähnliches ist wie ein Fotoalbum. Aber ich gebe zu, es ist etwas kompliziert.

Und ich: Was?
Und sie: In der anderen WG.
klein nach dem Doppelpunkt, weil keine ganzen Sätze.

Würde ich erstmal nicht mitgehen. Es ist Dialog ohne Anführungszeichen.

Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.
Hier dachte ich das war´s. Malte ist "oberflächlich", das ist ein zu schweres Thema für ihn bei so einer Party.
Wir organisierten Dosenbier und versteckten uns in einem Zimmer, in dem jemand schnarchte, obwohl die Wand vom Bass vibrierte.
Deshalb dachte ich hier, dass Malte passe ist und sie sich mit ihrer Freundin Dosenbier organisiert.
Aber Malte hat das ja anscheinend gut gefallen, dass sie ihm so viel Persönliches erzählt hat gleich. Deshalb würde ich das "Gespräch war ziemlich tot" ein bisschen abschwächen.

Richtig, richtig gut, wie du das aufgedröselt hast. Vielen Dank! Ja, an der Stelle ist dieser Stolperer drin. Das leuchtet sehr ein. Auch so eine Sache, die ich noch nicht durchreflektiert habe. Aber ich denk, wahrscheinlich reicht hier ein kleines 'Trotzdem' im Folgesatz (Trotzdem Dosenbier). Damit klar ist, es geht dennoch weiter mit den beiden.

Hier sind mir zu viele Wertungen drin. Wir haben "märchenhaft". Dann ist die Beziehung aber nur "gut" in diesem Schulnotenbild, was früher Heulkrämpfe ausgelöst hätte. Dieses Schulnotenbild mit "gut" passt aber für mich nicht zu "Das Gute an Malte". Das Gute an jemandem ist für mich etwas anderes als eine rein qualitative Bewertung in gut, befriedigend etc. Dann spielst du mit dem befriedigen noch mal auf das Schulnotenbild an, was in dem Kontext auch nicht passt, weil es ja sexuell ist. Beim Sexuellen ist befriedigt sein wohl ein "sehr gut".

kann deine Gedanken sehr nachvollziehen. Läuft irgendwie auch analog zum zweiten Absatz. So ein bisschen wirr. Wo die Erzählerin es sich für einen Moment zu leicht macht und so Wortbrocken kotzt in der Erwartung die Rezipierenden müssten das schon zusammensetzen können. Ich finde, es ist schwer, so etwas im Nachhinein zu 'bereiningen'. Es zeigt vielmehr auf, wo man beim Schreiben auf Grenzen gestoßen ist, wo man vielleicht einen Moment hätte innehalten sollen, einen Kaffeetrinken, sich besinnen.

lauschten wir dem Scheibenwischer und Blinkerknacken
den Scheibenwischern

Das verursacht Probleme im Satz :D noch nicht gelöst.

Das klang nach Völkerschlacht und also fragte ich nach
und" streichen

lasse ich erstmal drin. Ist einfach Figurenrede.

und rote Beete
Rote Bete

Danke dir.

Ein Punkt, der die Geschichte für mich noch runder machen würde, wäre allerdings, wenn du dieses Künstlerdasein in Zeitz irgendwie vorbeiten würdest. Das kommt so aus dem Nichts, ich lese nirgends, dass deine Prota von so einem Leben träumt oder sich künstlerisch betätigt.
Ich fände es z.B. gut, wenn wir erfahren, dass so ein Leben ihr Ziel ist und sie merkt, dass sie auf Grund ihrer Verpflichtungen davon abgehalten wird. Verpflichtungen in der Beziehung mit Malte und die Verpflichtungen immer gute Noten zu haben etc. Wenn sie sich von diesen Sachen emanzipiert, um ihren Traum zu leben, dann würde sie sich auch irgendwie in der Figur ihrer Mutter spiegeln, was ich interessant fände.

Das sind gute Anregungen für eine mögliche Erweiterung. In einer Version ohne diesen Zeitzer Erzählrahmen würde das natürlich wegfallen und es könnten, wie hier auch bereits vorgeschlagen wurde, noch ein, zwei Details zum Verhältnis der Protagonistin zu ihren Eltern Einzug finden.

Danke dir, AWM. Wie immer eine große Bereicherung und etwas erfreuliches, wenn ich sehe, du hast kommentiert. Freut mich, dass dir das gefallen hat. Du gehörst definitiv zu den Lesern bei denen mir das viel bedeutet.

Beste Grüße
Carlo

 

Hey @zigga ,

danke dir für deinen Kommentar. hat mich sehr gefreut und das Krasseste war, dass AWM und du im selben Moment kommentiert habt. Herzklopfen hehe. Freut mich jedenfalls, dass dir das so gut gefällt. Zu dem Einstieg habe ich AWM schon etwas geschrieben. Ich finde diesen Hinweis mit den drei Absätzen (den beiden ersten und dem letzten) sehr gut. Es sind nicht wirklich 'Darlings', ich hatte eher das Gefühl, sie gehören mehr oder weniger notwendig dazu. Aber es stimmt. Liest man ab dem dritten Absatz und lässt den letzten Weg funktioniert es schon und man ist sofort drin und muss sich nicht erst durch zwei etwas komplizierte erste Absätze wurschteln (es ging ja hier fast allen so). Also ich bin dran, versuche so eine Version ohne diese Absätze zu schreiben.

aber für mich sind sie mehr Appendix als schöner Rahmen.

danke für die Einschätzung. Erwischt mich, weil Rahmen sollte es sein und Appendix eigentlich nicht. Ich meine beides ist ja schon auch verwandt. Aber es muss schon kohärent sein. Ich glaube, man kann das mit einem etwas sperrigen Pro- und Epilog vergleichen.

Es fühlt sich auch so an, als ob du diesen Einstieg mehr für dich selbst gebraucht hättest

Darüber habe ich nachgedacht, bin aber noch nicht zu einem Schluss gekommen. Da ist auf jeden Fall was dran, weswegen ich den Einwand so gut finde. Habe dasselbe nämlich dann auch in einem anderen aktuellen Text bemerkt..

Es muss früher ersichtlich werden, dass es sich hier um eine weibliche Erzählerin handelt. Als das klar wurde, war ich richtig dabei beim Text, weil die Figur plötzlich für mich noch mal richtig interessanter wurde

Das ist natürlich die Frage. Klarheit oder konzeptuelle Offenheit. Hier ist mir zweiteres fast wichtiger. Andererseits warum Potential verschenken? Muss ich nochmal schauen, wie das in einer um die benannten Absätze gekürzten Version umzusetzen wäre. Wenn es mir nicht gelingt, dass von Anfang an ohne Infodump einzubauen, finde ich es manchmal ganz spannend, wie dadurch ein Spiel mit den Erwartungen der Lesenden entsteht, die bei einem männlichen Autor schnell einen männlichen Ich-Erzähler voraussetzen. Aber in erster Linie ist es dann das Ergebnis eines frühen Versäumnisses. Bei einer Kürzung ergibt sich da vielleicht ja nochmal eine Gelegenheit.

Das Flapsige und Labrige entfaltet irgendwann seine Sympathie und seine Magie, ich hatte dadurch im Laufe des Textes ein interessantes, kauziges und irgendwie verchecktes Mädchen vor Augen, das ich als Figur herrlich fand.

heheh. 'Flapsige und Labrige' freut mich sehr, dass du die Figur mochtest. Fand es schon cool, dass du auch Twiggy mochtest. Ist jetzt irgendwie schon eine sehr andere Figur. Aber freue mich, wenn 'ihr' euch versteht :D

Ich finde das eine wahnsinnig schöne Geschichte, ein Leben, extrem authentisch, das beschreibt diese frühe Phase nach der Schule und zu Beginn des Studiums schön, authentisch, du spielst hier mit Stereotypen, bleibst aber dennoch bei deinen Figuren und brichst das Klischee in kleinen Teilen, sodass sich für mich ein guter Mix aus Authentizität und Eigenes ergibt. Ich fand auch die Figuren außerhalb deiner Erzählerin super, Malte und die Eltern, das wirkt sehr echt und ich war sehr interessiert beim Lesen, wie es weiter geht.
Was ich auch schön finde, ist, wie individuell dein Text sich nach vllt. der Hälfte beim Lesen anfühlt, ich hatte da das Gefühl, dass ich dir alles glaube, was du erzählst, und dass ich komplett in der Story war.

Danke dir, Zigga. Das bedeutet mir was. Scheint die richtige Wellenlänge gewesen zu sein.
Das motiviert! Ich bleibe dran und versuche, da weiterzumachen.

Viele Grüße
Carlo

 

Da habe ich mir gedacht, ich schenke mir ein Fotoalbum, …

Aus einer nostalgischen Anwandlung heraus begann ich Fotos an die Wände zu kleben
...
und plötzlich ist da, wo mal Wände voller Erinnerungen waren, nichts als Dreck und Gestank übrig.​

Jungvolk, dass schon in Erinnerungen schwelgt, zudem geronnen wie der der Fotografie, eine Maschine mit der Hand bedient, die auch selber zeichnen könnte ...

lieber Carlo,

erst mal nur ganz kurz -
dass kann nicht der junge Rimbaud sein, wie @Bas vermutet, ein Junge, der mit 17 die frz. Literaturwelt gleich einem Kometen heimsucht und teilhat an der Pariser Kommune, um kurz darauf die Brocken hinzuwerfen und Waffenhändler wird. Die Erinnerung – ob als Foto geronnen oder als Name ins Holz des Tisches im Karzer geritzt – Spuren hinterlassen, als alterte man vorzeitig. Dafür spricht m. E. auch der Satz zur Gebrauchanleitung

Wir gestalteten unsere offene Beziehung so, wie ich es gelesen hatte. Nach Bauplan quasi. I
Rimbaud brauchte keine Gebrauchsanweisung und da könnte man genauso gut oder schlecht Kant anführen
Dann war das wohl auch der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit; ….
von jedem incl. Nietzsche ein bissken, was man halt so braucht.

Eine Fluse, auf die Schnelle
Der Satz

Dass sie vor meiner Schwangerschaft ein Kind abgetrieben hatte, erfuhr ich in einem Nebensatz meines Vaters.
erzählt von zwo Schwangerschaften der Mutter, nicht von einer - "meiner" der Erzählenden. Da reicht eigentlich ein "dass sie vor meiner Geburt ein Kind abgetrieben hatte" (was ja eine Schwangerschaft impliziert.

So, der erste Eindruck - nachher mehr. Essen ruft, und was ist, wenn alle Essener ihre Fahrräder rausholen? Essen auf Rädern ...

Bis bald

Friedel

 

:) Essen ruft. Vielleicht ist Essen the place to be.

@Friedrichard

Danke fürs Vorbeischauen und Kommentieren :-)
Finde es spannend, wie du das gegen (diese Version von) 'Rimbaud' abgrenzt, er ist ja selbst schon fast so etwas wie ein literaturgeschichtlicher Topos. Deine Analyse finde ich das 'Spannende'. Die Fotos als geronnene Erinnerungen. Jugendliche, die in Erinnerungen schwelgen und sich in diese Erinnerungen aktiv einschreiben, 'als alterten sie vorzeitig'. Ich würde sagen: weil sie beobachten, dass und wie sie altern.

Danke für die aufgelesene Fluse. Überzeugt mich und wird dann wohl auch geändert.

Und noch ein Danke für deine Gedanken. :gelb:

Adieu!

 

Lieber @Carlo Zwei

der Text ist irgendwie an mir vorbeigerauscht. Gut, dass ich heute in Stöberlaune war.
Ich mag den sehr, sehr gern. Der fängt so viel von dieser Phase ein, wo man aus dem Nest fliegt, wo das Erwachsensein beginnt - ich zumindest habe mich an ganz vielen Stellen wiedergefunden. Und ich schätze, das trifft nicht nur auf mich zu. Du fängst da schon gut was von diesem Lebensgefühl in dieser Phase ein. Doch, für mich funktioniert das alles sehr, sehr gut.
Bisschen überrascht war ich, als ich vom »der Prot.« auf »die Prot.« umschwenken musste, ich hatte bis dato keinen weiblichen Erzähler im Ohr, und auch im Folgenden habe ich es mehr als gegeben empfunden, als gespürt. Kann Dir aber leider gar nicht sagen, warum das auf mich so wirkt, woran das liegt. Schätze, der Text würde für mich mit einem männlichen Erzähler noch besser funktionieren.

Von einem ‚Fotoalbum‘ zu sprechen, ist natürlich so eine Art schlechter Witz. Immerhin habe ich aus dieser Zeit keine Fotos mehr und von manchen Dingen auch nie ein Foto gemacht.
aus welcher?

Im Tisch sind Namen eingeritzt von Leuten, die hier Strafstunden verbüßten. Ich schreibe meinen dazu. Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe.
Glaube ich ihr nicht. Warum auch? Sie ist da ja nicht traumatisiert worden oder so.

Allein in meinem Zimmer heulte ich halbwegs grundlos. Ich wollte nicht erwachsen sein, wollte keinen Schokomuffin, lieber einen der lieblosen, aber zumindest standardmäßigen Kuchen meiner Mutter oder wenigstens einen selbstfrittierten Krapfen mit einer Kerze darin.
Das ist so eine Stelle - die für mich so für diesen Text sprechen. Man will ja raus, man will es anders als die Eltern machen, man ist endlich erwachsen und keiner sagt mehr: Räum dein Zimmer auf. Aber dann kommen so Tage, wo man eben die Rituale, die das Leben bis dahin begleitet haben, schrecklich vermisst. Und sei es der lieblose, aber selbstgebackene Mama-Kuchen. Und wenn die Muffins vielleicht auch besser schmecken, sie haben eben viel weniger Wert.

Am Morgen hatten sie und mein Vater mir je eine Nachricht zu je etwa siebenhundertfünfzig Zeichen geschrieben
Und obwohl wir hier schon eine Vorstellung von Zeichenmenge haben, stellt sich bei mir nix ein. Ist das jetzt viel für einen Glückwunsch oder wenig? Zeilen auf dem Handydisplay dagegen ergäbe für mich ein genaueres Bild und für Leser außerhalb des WK-Gefüges mit Sicherheit noch mehr.

... und mit meiner Mutter beim Kuscheln auf unserem alten Ledersofa, das ich im Übrigen auch vermisste.
:)

Wir nahmen auch Konfetti mit, wofür auch immer.
Auch süß. Ja, sie wirkt unglaublich reflektiert schon. Sie wirkt sehr erwachsen. Vielleicht einen Ticken zu viel dafür, was sie da beschreibt. Sie schreibt wie eine Erwachsene über das Erwachsen werden. Schräge Sache. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich sie Dir nicht zu 100% abkaufe. Vielleicht hat das gar nichts mit männlich/weiblich zu tun. Obwohl, sie ist zu diesem Zeitpunkt ja auch schon drei Jahre älter, ... Ich weiß es nicht.

Ich erzählte ihm von einer suizidalen Phase meiner späten Kindheit. Nicht aus Taktlosigkeit, sondern weil ich das Gefühl hatte, es wäre das richtige Gespräch.
Hehe. Aber das kaufe ich. Zum einen, weil es sich mit Fremden immer besser reden lässt, zum anderen ist das so schräg, und das Malte nicht wegläuft, sondern weiter zuhört, sie nicht befummelt, das also gar nicht seine Motivation ist, macht ihn so glaubwürdig in Bezug darauf, dass die beiden ein Paar werden, dass es ihm ernst ist mit ihr.

Malte nickte und das Gespräch war so ziemlich tot.
Nice!

Das heißt, ich habe mir geschworen, ab fünfunddreißig keine Kinder mehr zu zeugen.
Ich hatte auch mal einen Freund, der ganz früh Vater werden wollte, weil sein Vater schon was älter war und er deshalb den Vater mit 18 Jahren verlor. Er wurde mit 20 Vater und starb mit 38. Scheiß Ironie des Schicksals.

... so waren wir zu zweit und ich erzählte Malte, was ich über offene Beziehungen gelesen hatte. Ob er da generell drauf Lust hätte. Wüsste er nicht. Ja, dann überleg halt. Mache er dann.
Ja, nicht festlegen. Nicht mit der Berufswahl, nicht in der Beziehung, alles steht einem offen und diese Offenheit will man ja nutzen. Aber dann kommt man eben auch nirgendwo an, hängt da in der Luft, in der Schwebe, irrt ziellos durch ein paar Jahre Leben um mit Mitte zwanzig dann zu sagen, ich muss mal in die Puschen kommen. Klingt jetzt wertender als es gemeint ist, aber die Ambivalenz, die da drin steckt, die finde ich so symtomatisch für die Jugend.
Und ja, offene Beziehung muss man wohl mal gemacht haben, als stünde wenigstens das fest auf dem Plan.

Wir gestalteten unsere offene Beziehung so, wie ich es gelesen hatte. Nach Bauplan quasi.
Jaaaaa :) Woher will man auch wissen, das haben die Eltern ihr ja nicht vorgelebt.

Fürstengrab in Dieskau entdeckt. Fick mich! Stau auf der A9. Härter, bitte. Ich komme. Ich auch. Bundesdatenschutzgesetz tritt in Kraft.
Hehe

Was das offene Element unserer Beziehung anbetraf, blieben wir, das glaube ich, beide recht verhalten. Es ergab sich nichts und trotzdem behielten wir das Prinzip bei.
Na ja, wenn man das auch nicht macht, weil man so drauf ist, sondern nur, weil man das eben so macht, dann macht man das halt auch weniger.

Die Fotos in meinem Zimmer zeigten nun immer öfter uns beide. Gerade weil es so schön kitschig war, malte ich um unsere Köpfe Herzen mit Lippenstift.
Passt für mich nicht wirklich zur Figur.

Das Gute an Malte zu sehen, war leicht, vielleicht aber reichte das nicht aus, und ich konnte mich nicht entscheiden, ...
Ja, da hab ich mich auch erinnert. Ich hatte mal so eine Phase, wo ich irgendwie so drauf war, dass nach drei Monaten immer Schluss war, egal wie gut oder scheiße der Typ war. Drei Monate. Maximum. Bis ich mich das erste Mal so richtig verknallte und dann kam der mir mit offener Beziehung :D. Ich war da wie Malte, wenn das der Preis ist, dann zahl ich den. Will mal sagen, wir haben das nicht so harmonisch durchgestanden wie die beiden. Sehr speziell. Fünf Jahre Achterbahn waren das.

Es funktioniert doch im Wesentlichen alles ganz gut. Ja, Isabell, sagte meine Mutter, aber gut reicht manchmal eben nicht aus. Schachmatt, hätte sie noch hinzufügen können, aber ich war schneller und legte auf.
Wenn die Kinder aus dem Haus sind, krachen ja einige Ehen. Die Mütter wollen ihre Rolle verlassen, ihr Leben jetzt beginnen. Oder sie leiden an der entstandenen Leere, die sie nicht zu füllen wissen. dann sind die ja auch im Middelage. Wenn noch mal was anderes, dann jetzt.
Ist auch so ein Wiederspruch. Was man für sich selbst in Anspruch nimmt, gesteht man den Eltern nicht zu. Da soll bitte alles wie immer. Das ist der anker, der Fixpunkt, und wenn der auch noch flöten geht, ist halt schwer, schwebt man noch mehr ziellos durch die Zeit.

... und dann erklärte ich, dass ich, wenn es ihnen nichts ausmache, nach dem Essen gerne wieder nach Hause wolle, und natürlich betonte ich das ‚nach Hause‘ und natürlich hatten sie nichts dagegen.
Schön!

Er glaubte an die Intelligenz würzigen Gemüses, die auf einen selbst überginge, wenn man solches verzehre. Das war ein regelrechtes Aufblühen. Nur an seinem Problem, Fehler nicht eingestehen zu können, änderte sich nichts.
Ich verstehe die Mutter. Ja, gut gemacht.

Ich aber hatte es von mir gewiesen und jetzt war mein Zimmer schon etwas leerer und ich legte mich zwischen die Sachen, die noch übrig waren, und atmete und spürte, wie alles wie ein Gletscher zu schmelzen begann.
Ja, da wirft man den Ballast über Bord, aber die Leere wird nur größer. Die erhoffte Befreiung bleibt aus. Sicher nicht bei allen, aber viele kennen das bestimmt.

Jetzt bin ich angekommen. Bei Laura, Egon und Rashid. Zeitz, zwischen Erzgebirge, Vogtland und Brocken.
Ach ja, ich wünsche es ihr. Wirklich.
Vielleicht findet sie eine Aufgabe da. Renovierung. Etwas mit den Händen tun und sehen, was man geschafft hat. Etwas aufbauen, erschaffen und wie nebenbei wächst man selbst mit. Im optimalen Sinn. Meist scheitern solche Projekte ja, weil diese zwischenmenschlichen Dinge da auch schnell aufploppen. Aber manchmal funktioniert es auch. Ich wünsche ihr, dass es funktioniert.

Sehr gern gelesen!
Beste Grüße, fliege

 
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Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe.

“It is the evening of the day
I sit and watch the children play
Doing things I used to do
They think are new
I sit and watch
As tears go by“​

Jagger/Richards “As Tears go by“ (1964!) fällt mir beim versprochenen „Wiederlesen“ ein,

lieber @Carlo Zwei,

ein Titel der sanften Stones (Antwort aufs „Yesterday“ der, kein Scherz, befreundeten Konkurrenz) dessen Anfang ich boshafterweise vor Ewigkeiten umdichtete (eigentlich nur „umschrieb“, denn umgelautet ist ja kaum ein Unterschied zu „hören“) “Eye sit and watch …“ und zugleich kam die Frage auf oder hab ich mich verlesen – es gibt ein „Zeitz-online“?, geschickte Genitivbildung für einen Leser der Zeit.

Zeit, nochmals vorbeizuschauen und den Familien- nebst Ortsnamen im Titel aufgrund seiner Ähnlichkeit mit „der“ [ʦaɪ̯ts] als Genitivbildung der „Zeit“ und das jugendliche Quartett als

Künstlergruppe Zwei
hat sich also immer noch
in einem Kloster eingenistet

Da wird Morderne (Autoreifen [HA Schult *1939!]) als Symbol der bildenden Kunst?) mit dem Alten (Kloster, vordem der Ort der „schriftlichen“ Überlieferung [um bei meinem copy Werkchen zu bleiben als Beleg das „Hildebrandslied“ in Althochdeutsch, das den Generationenkonflikt auf drastische Weise darstellt – eine durchaus gewagte Interpretation durch mich, der es ja eigentlich besser weiß] mit dem (schulischen) Karzer als Einzelzelle – quasi die Verwirklichung des „Individuums“ in der Isolation (obwohl die Einzelzelle im Gefängnis sicherlich historisch gesehen für „Monaden“ konsequenter ist: Das Guckloch lässt den vor der Tür Stehenden auf den schauen, der da einsitzt, lässt aber dem Einsitzenden nicht die Möglichkeit, „hinaus“zuschauen auf das, was da vor seiner Tür vor sich geht.
Geschweige, den Blick zu erwidern :-)

Aber sind wir nicht alle in irgend einer Weise blind?

Da sind wir weiter als das finstere Mittelalter. Niemand muss „geblendet“ werden. Wir lassen uns von Äußerlichkeiten blenden, das selbst eine Zahncreme uns mit dem faulen Versprechen blendend weißer Zähne blendet.

Aber seit dem ersten Besuch ist ja schon einiges an Zeit vorüber, dass ich erst hier merke – Rimbaud war nie … oder?

Es war einer der ersten und schlimmsten Tage meines Daseins als quasi Erwachsene
aber ein Spiel mit den Rollen – und ja, wir alle tragen Masken auf „den Brettern“ (selbst bei mir mehrmals ganz, ganz früher und zuletzt für einen Frühling lang vor Corona wieder realgeworden, selbst wenn wir das Straßenpflaster nutzten), die „die Welt“ bedeuten

(damit beginnt Ralf Dahrendorf

[Darrendorf?]
seine Rollentheorie), womit mir der arme Michael Jackson, Schokomuffin und Rotkäppchensekt erträglich erscheinen.

Rimbaud als Symbolfigur abhanden gekommen?
Das schwierigste am Rollentausch bleibt die der Geschlechterrolle, weil da automatisch im Spiel die eigene Vorstellung vom anderen Geschlecht oberhand gewinnt und leicht zum Willi-Millowitschtheater geraten kann (was hier nicht der Fall ist).

Am Morgen hatten sie und mein Vater mir je eine Nachricht zu je etwa siebenhundertfünfzig Zeichen geschrieben, mich aber nicht gemeinsam angerufen. Das war okay, fühlte sich aber nicht gerade wie eine Liebeserklärung an.
Ja, die Liebe im elektrifizierten und digitalisierten Zeitalter bemisst sich in der Zahl der Zeichen. Konsequenz: In Zeiten des Stromaus- oder des erfolgreichen Virenbefalls „fällt“ die ferne Liebesbezeugung aus … Und ich find mich wieder im Alterungsschema

Aus einer nostalgischen Anwandlung heraus begann ich Fotos an die Wände zu kleben …

Wie kam ich überhaupt auf Rebellion und dem „ich ist ein anderer“ in der Hölle des Rimbaud (kurz zusammengedampft:
Ich als Kunst in der Hölle – und wenns nicht klappt, Handelsvertreter/-reisender, muss ja nicht gleich im Waffenhandel sein)

Und mit dem eben gelaufenen copywrite muss der Name Malte auffallen! Uralt und schon zu Zeiten des Hildebrandtliedes entstanden und zusammengedampft aus „helm + waltan (genau das, was man heute noch heraushört: „walten“ [herrschen], wobei heute alles verwaltet wird, wobei es eigentlich in der alten Schreibweise noch gar kein w gab, dass aus dem klassischen dabbelju verschriftlicht wurde zum „uualtan“). Selbst die modernste Welt wird nix ohne ihre Vorläufer …

Er war jetzt zwanzig und für Hebraistik und Französisch eingeschrieben, weil das von den Leistungen grundsätzlich so gepasst hatteKOMMA beziehungsweise weil dafür keine Note nötig gewesen war.
Hebraistik - da hat einer sofort ein'Stein im Brett vor meinem Kopf!

Und auch das unbestimmte Engagement

..., irgendwo, vielleicht Iran.

Man braucht einen Plan
Wir gestalteten unsere offene Beziehung so, wie ich es gelesen hatte. Nach Bauplan quasi.
aber hier weiß ich nicht so recht, ob's nicht doch anders gemeint ist
Malte begann, dieselben Bücher zu lesen wie ich.
Denn: Das kann dem Buchhandel nicht gefallen … Er nutzt also das Buch unserer Heldin? Oder sollte er die „gleichen“ Titel lesen?

Das Gute an Malte zu sehen, war leicht, vielleicht aber reichte das nicht aus, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es nicht besser wie in der Schule handhaben sollte, wo ein ‚gut‘ einen Heulkrampf bedeutet hatte.
Weg mit dem ersten Komma!

Warum das zwote? An sich entbehrlich durchs „und“ in einer schlichten Aufzählung gleichrangiger Sätze

Manchmal kam er mir wie ein Erleuchteter vor, hielt mir Vorträge zur Liebe zur persischen Dichtung, die er in sich entdeckt hatte und nun kultivieren wollte.
Hat Malte den west-östlichen Divan vom ollen jöte gelesen? (Unbedingtes Muss! Zusammengedampft dann zB
Hafis und Suleika wider Herrn & Frau Sarazen

Er bezeichnete mich auch im Scherz als Plünderin der Stadtbibliothek.
Ha, im Ikarus hab ich Bibliotheken entjungfert ...

Fünf Minuten später rief ich wieder an und verkündete bitterlich, dass ich den Zug um sieben nähme und Kassler mit Sauerkraut zum Abendbrot.
Hat da der Autor oder die Erzählerin Zweifel an der Verkündigung?
Warum Konj. Irrealis, wo indirekte Rede oder wenn-und-aber Zweifel angesagt ist und wir zwei Zeilen später in Weißenfels sie abgeholt wird?

Kein Grund wehmütig zu werden.
Hier empfehl ich ein Komma , weil der Hauptsatz (kein Grund) elliptisch daherkommt als Konsequenz des vorhergehenden Satzes und wenn nicht, der Infinitiv immer noch von einem Hauptwort abhängig ist - dem Grund!

Jetzt gehe ich erst[...]mal eine rauchen.

However, immer noch gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Carlo Zwei,

das Schwierige bei Geschichten, die ich insgesamt sehr stimmig finde, ist für mich, überhaupt etwas dazu zu sagen, weil ich im Beifall aussprechen unglücklicherweise nicht ganz so gut bin und eher das aufgreife, woran ich Zweifel habe. Und was ist dann, wenn man nichts findet?
Man zieht sich das raus, wo man zumindest so tun kann, als würde man es nicht stimmig finden.

Tatsächlich gibt es da was gleich am Anfang, nämlich den Satz:

Aber das nur am Rande.
Finde ich erst mal kritisch, weil es nicht so richtig Sinn macht: Am Rande von was? Es gibt doch noch gar keine Erzählung. Gleich schon ablenken, bevor man angefangen hat - hm, das ist doch nicht gut. Aber schade, es passt ja irgendwie zur Protagonistin, so dass ich den Satz jetzt nur als Beleg dafür nehmen kann, dass ich eigentlich keine Stellen finde, die mir nicht gefallen.

Gut, vielleicht doch noch was: Dieses geistreiche Selbstgespräch ist ja wirklich sehr hübsch, aber stellenweise kommt es mir etwas lang, etwas überladen vor. Ob es da nicht Vorteile hätte, sich von ein paar Stellen zu trennen? Ich könnte es mir tatsächlich vorstellen, mache aber keinen Vorschlag, weil ich nicht wüsste, von welchen.

Ach ja, und das noch:

Fick mich!
Härter, bitte.
find ich jetzt sogar weniger für die Protagonistin nicht passend (obwohl überraschend), aber der arme Malte: Verschreckt den das nicht?

Und schließlich: Zwei Klassen überspringen hat für mich immer was von Klischee-Alarm. Gibt's natürlich oft und warum sollte man das nicht verarbeiten? Ja, schon. Aber, aber: Zu dem Mädchen würde mir wirklich (?) besser gefallen, wenn sie zwar die Möglichkeit gehabt hätte, dann aber ausgeschlagen, und im Nachhinein nicht davon loskommt, dass sie es vielleicht doch hätte machen sollen. Jetzt sagst du, gute Noten haben wollen spricht dagegen, dass sie eine Möglichkeit, zu glänzen auslässt? Dann sage ich: Nein, es spricht allenfalls dagegen, dass sie das nicht bedauert. Und wiederum: Gerade weil sie sich für den gewöhnlichen Weg entschieden hat, kann sie es nicht aushalten, wenn sie da dann im Ansatz gewöhnlich ist.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Liebe @Fliege ,

tausend Dank auch für diesen Kommentar. Und natürlich auch hier ein großes Entschuldigung. So eine späte Antwort. Ein starker Kommentar. Der hat eine Gravität, wie der unter der Hafen-Geschichte. Gar nicht leicht, da adäquat zu antworten, kann dir nicht mal sagen, wieso :) nur, dass ich es gut finde.

Bisschen überrascht war ich, als ich vom »der Prot.« auf »die Prot.« umschwenken musste, ich hatte bis dato keinen weiblichen Erzähler im Ohr

das bekomme ich gelegentlich mal zu hören. Vielleicht hast du da ein Gespür für und dieser Erzähler hat eben einfach eine Stimme, die nur einem Typen gehören kann oder so. Das klingt für mich plausibler als: das denkst du doch jetzt nur, weil du weißt, dass ich ein Typ bin.

Von einem ‚Fotoalbum‘ zu sprechen, ist natürlich so eine Art schlechter Witz. Immerhin habe ich aus dieser Zeit keine Fotos mehr und von manchen Dingen auch nie ein Foto gemacht.
aus welcher?

am Ende des Absatzes heißt es dann: aus dieser Zeit vor Zeitz. Aber ist schon klar, worauf deine Frage zielt. Es ist ein sehr bedeutungsoffener Satz. Ich mache so was öfter mal. Manchmal glaube ich, dass sind die Stellen, wo ich zu langsam denke oder nicht fokussiert bin oder so. Aber die gehören dann einfach dazu.

Im Tisch sind Namen eingeritzt von Leuten, die hier Strafstunden verbüßten. Ich schreibe meinen dazu. Vielleicht werde ich diesen Tisch noch abschleifen, so wie ich die Zeit vor vielleicht drei Jahren abgeschliffen habe.
Glaube ich ihr nicht. Warum auch? Sie ist da ja nicht traumatisiert worden oder so.

das klingt vielleicht drastischer als es gemeint ist. Es ist eher eine Selbstkritik. Sich eingestehen, dass man die eigene Biografie interpoliert oder einfach mal was wegradiert; es bewusst tut. Weil man es kann. Es ist schon ein etwas bösartiger Akt: Einem Gegenstand, und wenn es das eigene Leben ist, seine Geschichte nehmen. Also so deep ist jetzt dieser Absatz nicht, aber der Grundgedanken davon, steckt dahinter.

Das ist so eine Stelle - die für mich so für diesen Text sprechen. Man will ja raus, man will es anders als die Eltern machen, man ist endlich erwachsen und keiner sagt mehr: Räum dein Zimmer auf. Aber dann kommen so Tage, wo man eben die Rituale, die das Leben bis dahin begleitet haben, schrecklich vermisst. Und sei es der lieblose, aber selbstgebackene Mama-Kuchen. Und wenn die Muffins vielleicht auch besser schmecken, sie haben eben viel weniger Wert

Ja, das ist es. Es fühlt sich einfach alles fake an gegen das Original, was es ja einfach auch nur für einen selbst ist. Eben weil man es so und nicht anders erlebt hat. So wie mit einer ersten großen Liebe. Alles danach orientiert sich daran, wird daran gemessen. Und dann schmeckt das andere halt nicht wirklich mehr.

Am Morgen hatten sie und mein Vater mir je eine Nachricht zu je etwa siebenhundertfünfzig Zeichen geschrieben
Und obwohl wir hier schon eine Vorstellung von Zeichenmenge haben, stellt sich bei mir nix ein. Ist das jetzt viel für einen Glückwunsch oder wenig?

das ist für mich ein Hinweis, der sie als literate Person markiert. Sie verfügt über dieses Wissen und sie verknüpft damit etwas (dass sich das "nicht gerade wie eine Liebeserklärung" anfühlt). Aber ich checke schon, dass da auch eine Distanz zum Leser aufgebaut wird und wenn ich das richtig deute, kommt deine Reaktion daher. Da muss ich mir also nochmal Gedanken machen. Es ist natürlich das Ziel, dass da bei dir ein Bild entsteht :D

:)
Wir nahmen auch Konfetti mit, wofür auch immer.
Auch süß. Ja, sie wirkt unglaublich reflektiert schon. Sie wirkt sehr erwachsen. Vielleicht einen Ticken zu viel dafür, was sie da beschreibt.

verstehe ich auch gut, den Einwand. Aber ein bisschen ist das ja auch das Besondere dieser Erzählerin, finde ich. Ich denke, das könnte auch das sein, was dir dann in der Szene aufgefallen ist, wo sie mit Lippenstift Herzchen auf die Bilder malt und du meinst: das passt nicht zur Figur. Schön wäre es, wenn das rüberkommt, dass sie gute Miene zum bösen Spiel macht, um es mal so zu sagen. Es wird ja nacherzählt. Dennoch legt die Erzählerin ja nahe, dass sie auch damals nicht unreflektiert war, wenn auch etwas naiver (ein bisschen macht sie sich ja auch über ihr altes Ich lustig, wenngleich da auch diese Nostalgie ist). Dass also rüberkommt, dass die Melancholie im Gefühl der Abgeschlossenheit des gegenwärtigen Erlebens liegt. Alles ist wie niedergeschrieben.

Ich erzählte ihm von einer suizidalen Phase meiner späten Kindheit. Nicht aus Taktlosigkeit, sondern weil ich das Gefühl hatte, es wäre das richtige Gespräch.
Hehe. Aber das kaufe ich. Zum einen, weil es sich mit Fremden immer besser reden lässt, zum anderen ist das so schräg, und das Malte nicht wegläuft, sondern weiter zuhört, sie nicht befummelt, das also gar nicht seine Motivation ist, macht ihn so glaubwürdig in Bezug darauf, dass die beiden ein Paar werden, dass es ihm ernst ist mit ihr.

freut mich, wie du das beschreibst. Da bekomme ich, klingt doof, irgendwie nochmal ein besseres Bild von Malte :D

Ich hatte auch mal einen Freund, der ganz früh Vater werden wollte, weil sein Vater schon was älter war und er deshalb den Vater mit 18 Jahren verlor. Er wurde mit 20 Vater und starb mit 38. Scheiß Ironie des Schicksals.

was für eine tragische Geschichte. Das tut mir leid. Das ist wirklich, so komisch das als Bewertung für ein Leben klingt, ironisch.

Ja, nicht festlegen. Nicht mit der Berufswahl, nicht in der Beziehung, alles steht einem offen und diese Offenheit will man ja nutzen. Aber dann kommt man eben auch nirgendwo an, hängt da in der Luft, in der Schwebe, irrt ziellos durch ein paar Jahre Leben um mit Mitte zwanzig dann zu sagen, ich muss mal in die Puschen kommen. Klingt jetzt wertender als es gemeint ist, aber die Ambivalenz, die da drin steckt, die finde ich so symtomatisch für die Jugend.

Da gebe ich dir recht. Es ist halt nur ein Teil der Leute, die so ticken. Aber es entlarvt sich so schön selbst. Und zugleich hat es auch seine Berechtigung und straft die zynischen Beobachter, die sich von außen drüber lustig machen, als Langweiler. Das gehört zu den Sachen, die ich nicht wirklich bewerten kann, deswegen schreibe ich da dann vielleicht auch eben ab und an genau so eine Passage zu. Das ist nicht leicht einzuordnen.

Ja, da hab ich mich auch erinnert. Ich hatte mal so eine Phase, wo ich irgendwie so drauf war, dass nach drei Monaten immer Schluss war, egal wie gut oder scheiße der Typ war. Drei Monate. Maximum. Bis ich mich das erste Mal so richtig verknallte und dann kam der mir mit offener Beziehung :D. Ich war da wie Malte, wenn das der Preis ist, dann zahl ich den. Will mal sagen, wir haben das nicht so harmonisch durchgestanden wie die beiden. Sehr speziell. Fünf Jahre Achterbahn waren das.

heheh. Ja, klingt intensiv. Da wirds auf jeden Fall auch interessant. Genau so schwer einzuordnen, finde ich.

Ach ja, ich wünsche es ihr. Wirklich.
Vielleicht findet sie eine Aufgabe da. Renovierung. Etwas mit den Händen tun und sehen, was man geschafft hat. Etwas aufbauen, erschaffen und wie nebenbei wächst man selbst mit. Im optimalen Sinn.

danke, dass du ihr so empathisch gegenüberstehst. Kurz habe ich das Gefühl, weil ich es ja geschrieben habe, ich könnte mich davon angesprochen fühlen. Strange irgendwie (zumal ich so ein Leben nicht führe :D), aber alles, was man schreibt, muss ja auch aus persönlichen Bewusstseinsebenen generiert werden. Also steckt da ja von mir viel drin und also ergibt ja diese Identifikation von dir als Leserin und von mir als Autor ihren Sinn.

Sehr gern gelesen!

Danke dir Fliege, darüber freue ich mich wirklich.
Lieben Gruß
Carlo

 

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