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Zehn Dinge, um besser einzuschlafen
Gerade hatte er den Postkasten geöffnet, da sah er schon den hellgrünen Umschlag, der maschinell bedruckt worden war. Ohne besondere Vorsicht öffnete der Schriftsteller den Brief und entfaltete das Blatt Papier:
Sehr geehrter Herr Block,
die Qualität Ihrer Texte entspricht nicht länger unseren Vorstellungen. Nicht nur, dass diese von Rechtschreib- und Grammatikfehlern übersät sind, sondern auch die Tatsache, dass manche Sätze einfach keinen Sinn ergeben, erleichtert uns unsere Entscheidung, die Zusammenarbeit mit Ihnen zu beenden. Wie es scheint, stand diese nie unter einem guten Stern.
Hochachtungsvoll
Maria Stricker
Abteilung für Schriftsätze - Bereich Belletristik und Prosa
i.V. Behörde für Kultur in der Bundesrepublik Deutschland/Kiel
Erschrocken stand er jetzt im Hauseingang und rang um Fassung. Dann stieg er langsam die Treppe hoch, Stufe um Stufe, während er wiederholt den Brief las, als wäre dieser in einer unbekannten Sprache geschrieben. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, holte ein leeres Blatt Papier hervor, zog es in die Maschine und hackte auf die Tasten, als wäre das Tintenband in sein kochendes Blut getaucht worden:
Sehr geehrte Frau Stricker,
ich habe Ihre Nachricht erhalten und bin empört, ja geradezu erschüttert. Nicht nur, dass ich mein ganzes Leben dem Schreiben gewidmet habe und davon überzeugt war, Ihre Behörde setze sich für dessen Verwertung ein, sondern dass Sie so schicksalsschwanger von "keinem guten Stern" sprechen, trifft mich ganz persönlich.
Hochachtungsvoll
Malte Block
Angestelltennummer: 1881182
Bezirk 7
Sorgfältig steckte er das Blatt in den Umschlag, leckte den bittersüßen Klebestreifen ab und schloss den Brief. Dann nahm er eine volle Flasche Wein vom Tisch und wartete in seinem Sessel auf der Veranda, bis es dunkel wurde, bevor er zu Bett ging und berauscht einschlief.
Unterwegs mit dem Zug Richtung Nordsee fällt ihm plötzlich ein, dass er weder Geld noch einen Schlafplatz hat. Darum ruft er einen seiner verlässlichsten Freunde an. Der antwortet nicht. Der Zug fährt immer schneller. Nach mehreren Versuchen hebt plötzlich der Vater seines Freundes ab, der diesen aber leugnet und unter einem Vorwand das Gespräch beenden muss. Der Zug fährt jetzt so schnell auf den festen, harten Schienen, dass er jeden Moment im Bahnhof ankommen müsste. Was soll er bloß tun? Er gerät in Panik und springt aus dem Fenster des rasenden Zuges in einen Abgrund.
Er wachte auf. Es ist zu früh am Morgen, doch er konnte nicht wieder einschlafen, bis er es ließ. Schon beim ersten Frühstück kamen ihm der Tag schwerer und die Zeit länger vor als sonst. Er erwischte sich dabei, wie er gegen Mittag in seinem Sessel saß und grübelte, ohne eine Entscheidung zu treffen. Er vergnügte sich mit der üblichen Litanei, die er sich angewöhnt hatte, wenn er nicht schreiben konnte, las die Zeitung und schaltete den Fernseher ein und aus. Sie hatte noch nicht geantwortet. Schließlich ging er zum Arzt.
Das Wartezimmer war wie immer voll und angenehm ruhig. Der Duft des Kaffees, den die Frau des Doktors für die Patienten zubereitete, zog an ihm vorbei, durch die Eingangstür hinaus zum Innenhof. Einige der Wartenden schienen ernsthaft krank zu sein. Die Vorstellung, sich anzustecken, ekelte ihn. Er spürte, wie sich Bakterien in seinen Atemwegen orgiastisch vervielfältigten, und vernahm erste Anzeichen eines Fieberschubes, während er in einer Frauenzeitschrift blätterte. Dann bat ihn die Frau des Doktors, sich in eines der Sprechzimmer zu setzen.
Das Zimmer wirkte gemütlich eingerichtet. Wie üblich waren die Wände von Bücherregalen voller Fachliteratur verdeckt und mit Postern behängt, die anatomische Strukturen darstellten oder landläufig bekannte Erkrankungen erklärten. Von draußen kam soviel Licht, wie die Wolkendecke zuließ, durch die breite Terrassentür. Es erhellte den in der Mitte thronenden Eichentisch, auf dem ein altertümlicher Computer stand. Der Eingang wurde verdeckt von zwei deckenhohen Palmen, die aus sandbraunen Tonbottichen ragten. In diesem Dschungel der medizinischen Versorgung saß er nun. Er wusste nicht, worüber er mit dem Doktor sprechen sollte, als dieser durch die Tür trat, ihm die Hand schüttelte, sich schräg gegenüber an den Computer setzte und nach dem Grund des Besuches fragte.
Etwa zehn Minuten, nachdem er das Rezept gegen die ihm verordneten Medikamente - darunter einen Beruhigungstee und Tabletten gegen die Halsschmerzen - in der Apotheke getauscht hatte, setzte er sich in das nächstgelegene Café auf einen belebten Platz des Molochs. Er hatte dem Doktor gesagt, dass er, der arbeitslose Schriftsteller, der nicht mehr schreiben durfte, nicht wusste, was er mit seiner Zeit anfangen sollte, ja geradezu daran verzweifelte, dass ihm das Schreiben verboten worden war und er somit nicht mehr die Kraft besaß, einen einzigen weiteren Tag zu überleben. Er habe Panikattacken bekommen, sei nervös in seiner Wohnung herumgelaufen, ohne zu wissen, wohin mit seiner Energie. Er fühle sich, als würde er sich jeden Tag erneut in eine Sackgasse manövrieren. Es fiele ihm nichts weiteres ein, was er statt des Schreibens hätte tun könnte, nachdem er gegessen, geduscht, den Haushalt erledigt und die Wochenzeitung gelesen habe, und er säße wohl für den Rest des Tages auf der Veranda und starre in die Luft, wenn nicht etwas geschehe. Nicht, dass er sich dort unwohl fühle, nur sei das seiner Meinung nach ein merkwürdiges Verhalten eines dreißigjährigen Mannes. Er habe das Gefühl, für alles bereit zu sein, nur leider passiere nichts, es käme kein Anruf eines Freundes oder die Bitte eines Nachbarn. Zu gerne hätte er etwas unternommen oder geholfen, nur schätze offenbar niemand seine Anwesenheit oder Hilfe. Vielleicht läge es daran, dass er in einem anderen Rhythmus als die meisten seiner Mitmenschen lebe. Schließlich habe er keinen Job, der ihn zur Anwesenheit zwinge, und auch keine Kinder oder eine Partnerin, um die er sich kümmern müsse. Seine einzige zwischenmenschliche Verpflichtung bestehe darin, ab und zu seinen Eltern Bescheid zu geben, dass es ihm gut gehe. Dann informiere er sich über die Neuigkeiten, zu denen er selten eine Meinung äußern könne, denn dazu sei die geographische und emotionale Distanz zu groß. Und jetzt, da ihm die Behörde die Schriftstellergenehmigung entzogen habe, sei seine einzige Aufgabe, die er für sein Leben als erfüllend betrachte, plötzlich verschwunden, und er empfinde Abneigung gegen die Idee, sich eine neue zu suchen, in der Form einer anderen Arbeit, der Mitgliedschaft in einem Verein oder der Anschaffung eines Hundes. Warum solle er sich nach Problemen umschauen, die ihm am Ende nur seinen Nerven kosten würden? Um Finanzielles brauche er sich aufgrund der guten Verkäufe seiner Schriften nicht zu kümmern, und mit dem, was er verdiene, wolle er sich zufriedengeben, zumindest sehe er nicht ein, sich für mehr Geld auch mehr anzustrengen, das führe doch zu nichts. Dies sei sein grundsätzliches Problem und das Symptom seien die Halsschmerzen, die ihn beim Schlucken störten. Es käme ihm so vor, als würde sein Körper das Essen und Trinken verweigern, ja sogar das Atmen erschweren. Was solle das bedeuten, fragte er sich und ob es vielleicht daran läge, dass er seinem Körper nur selten zu einer Berührung verhelfe und ihn schinde mit sportlicher Aktivität, gesundem Essen und Wein. Dies alles liefe letztendlich auf keine wirkliche Befriedigung hinaus, und er zweifele daran, ob er überhaupt noch Mensch sei oder Maschine oder sogar schon längst tot. Ob er ohne jegliche Bedeutung sei außer der als Verbraucher, Mieter und Steuerzahler. Daher wünsche er sich einfach, zu vergessen, zu schweben und voller Euphorie auf dem höchsten Punkt zu spazieren, so leicht und locker, ohne die Qualen dieser durch zeitlichen Überfluss zustande kommenden Beschwerden, die ihm, ehrlich gesagt, etwas peinlich seien, ja, er schäme sich geradezu dafür angesichts des Terrors in dieser Welt, der auch ihm Angst mache. Aber er wolle nicht schwach werden und kämpfe mit soviel Stärke gegen das Verlangen nach Zerstreuung und Betäubung, dass er an manchen Tagen total erschöpft davon sei, sich zu wehren und nichts zu tun. Denn schließlich sei es ja als Künstler seine Aufgabe, sich den Verführungen und Manipulationen zu widersetzen, etwas Wahrhaftiges und Lebendiges zu erschaffen und somit dem Leben einen Sinn zu geben. Gerade er, und damit meinte er den Doktor, könne dies doch wohl sehr gut verstehen, schließlich müsse ihm doch in seiner Funktion als Heiler genug an der Gesundheit seiner Patienten gelegen sein, und so dürfe ein Doktor selten ausschweifend werden und müsse stets versuchen, ein gutes Vorbild zu bleiben für die Berauschten und Ohnmächtigen auf dieser Welt. Mit ein paar Pillen wäre es da ja wohl nicht getan. Hätten wir nicht alle unsere Verpflichtungen? Seine sei das Schreiben gewesen. Was solle er nun tun? Solle er nochmal von vorne anfangen, die Demütigungen auf sich nehmen, vielleicht sogar am Ende bemerken, dass er einfach nur lästig war, aber niemand sich traute, es ihm mitzuteilen, bis er schließlich - womöglich mit Demenz - in eines dieser Pflegeheime eingeliefert, an ein Bett gefesselt wurde und sich einschiss? Das erscheine ihm nicht erstrebenswert und so spiele er mit dem Gedanken, seinem Leben ein Ende zu setzen, wozu er nach seiner Überzeugung jedes Recht besitze. Nur habe er so schreckliche Angst vor dem Tod, dem Nichts oder Nirwana oder davor, etwas von dieser Welt zu verpassen, dass er sich nicht eindeutig dafür entscheiden könne, aus dem Leben zu treten. Daher sei das größte Problem des Schriftstellers, dass er morgens nie wisse, wie er sich den restlichen Tag lang am besten amüsieren könne. Das treibe ihn zur Verzweiflung! Und so sei er nur zu dem Herren Doktor gekommen, um etwas Zeit zu verschwenden und mal mit jemandem über seine Gedanken zu reden, der versuche, ihn zu verstehen. Die meisten seiner Mitmenschen hätten ihn schon längst aufgegeben und sich ihren eigenen Problemen zugewandt, die er nicht verstehe, das sei nun mal so.
Er dankte vielmals, wünschte dem Doktor noch einen guten Tag und verabschiedete sich mit einem „Auf Wiedersehen!“
Der Doktor verstand es als Bedrohung.
Der Besuch beim Doktor gab ihm das Gefühl, etwas Produktives geleistet zu haben. Doch während er so die Kellnerin betrachtete, die wie eine Biene von einem zum nächsten Tisch flog, freundlich lächelte und auf etwas Trinkgeld spekulierte, bei diesem Anblick, da fühlte er sich unwohl und rutschte mehrmals auf seinem Stuhl hin und her, bis er aufstand und ging.
Die Straßenbahn klingelte eine träumende Fußgängerin von den Schienen, und nebenan pries der Gemüsehändler in gebrochenem Deutsch seine Waren an, während Autos gegen Fahrräder um Platz auf den engen Gassen kämpften. Ein Obdachloser schob seinen vollgepackten Einkaufswagen über den unebenen Bürgersteig und machte dabei soviel Lärm, dass er die Italiener am Nebentisch nicht mehr einander anschreien hören konnte. Aber alle schienen ein Ziel zu haben, als wüssten sie, woher sie kämen (das zumindest schienen die Italiener nicht vergessen zu können). Deswegen ging er jetzt schneller als sonst, um beschäftigt auszusehen und nicht aufzufallen, allerdings ohne zu wissen, wo genau er hinwollte. So bog er einfach an den Straßenecken ab, die ihm am sympathischsten erschienen. Er dachte, vielleicht würden diese ihm ja einen Weg weisen, der zu einer Lösung führte, aber stattdessen landete er vor einem beigen Reihenhaus in einer Sackgasse. Er schaute noch kurz nach einem Pfad hinter dem Haus und sah eine rostige Schaukel, die seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden war. Es war schon dunkel, als er endlich vor seiner Tür stand. Für den Rest des Tages saß er auf seiner Veranda, bis er müde wurde und berauscht einschlief.
In einer dunklen Bar begegnet er mehreren aufgrund von dumpfem Licht schimmernden menschlichen Körpern, die alten Freunden ähneln und ihn von der Seite ansprechen. Er kann sie nicht verstehen und lächelt verlegen, um nicht unhöflich zu wirken. Je weiter er in die Bar eintaucht, desto mehr Hände wollen nach ihm greifen und mehr Füße wollen ihn treten, ohne das er dies hinter sich sehen kann. Am Ende des Ganges sieht er von weitem seine ehemalige Freundin sitzen, alleine an einem Tisch im Kerzenschein mit einem Whiskyglas in der einen und einer brennenden Zigarette in der anderen Hand. Sie bemerkt ihn nicht, doch er geht geradewegs auf sie zu. Allerdings kommt er ihr keinen Schritt näher. Plötzlich steht sie auf, mit dem Rücken zu ihm, und bewegt sich in seine Richtung. Sie hat ihn noch nicht bemerkt. Die greifenden Hände und tretenden Füße nimmt er nicht mehr wahr. Er konzentriert sich voll und ganz auf die bevorstehende Begegnung. Sie trägt eine hellbraune Jacke, die ihre Taille betont, verwaschene enge Jeans und dicke Turnschuhe. Hinter ihren blonden Haaren lässt sich ihr feines Gesicht erkennen, dass erst beim zweiten Hinschauen den Schmerz offenbart, den sie versucht zu verstecken. Seine Anspannung steigt mit jedem ihrer Schritte. Er fühlt sich magnetisch von ihr angezogen. Er atmet immer schneller. Sein Puls rast. Als sie sich umdreht und ihren Blick langsam auf ihn richtet, schnürt ihm das den Atem ab: Er bekommt keine Luft mehr und erstickt.
Plötzlich schreckte er auf. Er rang nach Luft, als wäre er beinahe ertrunken. Er suchte nach Orientierung. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er erkannte, dass er geträumt hatte. Zur Beruhigung trank er etwas Wasser, aber er verschluckte sich, da er immer noch außer Atem war. Dabei stieß er die Leselampe um, die auf dem Nachttisch neben dem Bett stand und leuchtete: Ein Geschenk seiner Freundin. Er hatte sie nach ihrem Auszug behalten. Um wieder schlafen zu können, onanierte er und dachte dabei an den Morgen, als er eine Bekannte auf seiner Veranda gefickt hatte, nachdem sie zusammen Kokain geschnupft hatten. Der Gedanke reichte für den Erguss nicht aus, also rief er sich das Bild in Erinnerung, wie ihm am Swimmingpool einer geblasen wurde: Er fickt sie fies in den Mund. Sein Sperma verteilt sich fließend auf seinem Bauch und er putzt sich die Hände an ihren Boxershorts ab. Dann schafft er es gerade noch, sich wieder anzuziehen.
Am nächsten Tag schlief er bis mittags, schaute verkatert in seine Post und fand den Brief der Behörde:
Sehr geehrter Herr Block,
ich habe wirklich keine Zeit, in allen Einzelheiten meine Entscheidung zu begründen, daher nur eine kurze Erklärung, die Sie zufriedenstellen sollte:
Zur Zeit ist die Nachfrage nach Ihren Büchern nicht besonders hoch. Deswegen müssen wir notwendigerweise rationalisieren. Das hat nichts mit der Qualität Ihrer Texte zu tun. Wir müssen nunmal darauf achten, dass unser Kanon den Ansprüchen des deutschen Volkes gerecht wird, und thematisch verfehlen Sie dieses Ziel. Bitte sehen Sie davon ab, uns mit ihren Nachfragen zu belästigen, da wir nicht die Kapazitäten haben, individuell auf Sie einzugehen. Falls Sie das trösten sollte: Einige Kollegen schätzen Ihre Arbeit.
Hochachtungsvoll
Maria Stricker
Abteilung für Schriftsätze - Bereich Belletristik und Prosa
i.V. Behörde für Kultur in der Bundesrepublik Deutschland/Kiel
Er warf den Brief in den Müll und frühstückte. Dabei sah durch das Küchenfenster nach draußen in die Ferne. Niemand war dort zu sehen. Der stürmische Regen hatte eine nasse Langeweile hinterlassen. Als er sein gekochtes Ei salzte, überkam ihn eine Laune. Dann stieg die Temperatur über den Siedepunkt, und er verbrachte viele Stunden damit, auf der Veranda zu liegen, seinen Bauchnabel mit Schweiß volllaufen zu lassen, eisgekühlten Orangensaft mit Wodka zu trinken und elektronische Musik zu hören. Langsam steigerte sich die Intensität des Liedes, das von einem erregenden Herzschlagrhythmus getrieben wurde, bis ein Fass voll mit Glück überquoll und alle schönen Farben versprühte. BamBamdada BamBamdada. Aus der Mitte des Stückes entsprang ein reißender Fluss, der wie ein Adler über das Tal zu schweben schien und einen Schweif aus glitzernden Sternen hinterließ. Er wurde von einer bombastischen Schallwelle mitgerissen und versuchte, im Rausch nicht zu ertrinken. Er verlor die Orientierung, vergaß Raum und Zeit. Er war ganz oben. Er hatte den vollen Überblick und hätte mit Gott telefonieren können, doch ihm fiel kein Grund dafür ein. Es war perfekt. Es kam ihm so vor, als wäre die Geschichte schon längst da, als schwebe sie irgendwo im Raum und er müsse sie nur noch einfangen, kanalisieren und auf Papier bringen. Der Fluss der Wörter, der Sätze, ja ganzer Seiten erfreute ihn: Schon lange hatte er keine so starke Eingebung gehabt. Während er schrieb, sah er ihn direkt vor sich im Rollstuhl sitzen, ihn, die allmächtige Vortrefflichkeit, ein weißes Kaninchen streichelnd und die Zeichen der Zeit und des Alters nicht verstecken könnend, so menschlich in seinem Wesen, so erhaben war seine Ausstrahlung. Da klingelte es an der Tür. Er erschrak, das Klingeln wurde immer lauter und eindringlicher, als wollte es ihn vom Schreiben abhalten. Schließlich musste er aufgeben und schlich leise zur Tür. Durch den Spion sah er nur die dunkelgrüne Farbe des gewachsten Anoraks und darunter ein hellblau und weiß kariertes Hemd. Er drückte die Klinke runter und zog die Tür auf. Vor ihm stand ein um einen Kopf größerer Mann in dunklen Lederschuhen, eine schwarze Mappe unter dem Arm, und starrte ihn über seine tiefsitzende randlose Brille eindringlich an.
„Ja?“, fragte der Schriftsteller, wobei er genau wusste, dass es die Behörde war, die ihm die Finger brechen wollte.
Was immer es auch war, es war ihm egal. Er setzte sich in die S-Bahn, die
in einem Ring um den Moloch fuhr. Nach drei Stationen zeigte das LSD die erste Wirkung.
Umhüllt von feinstem Sternenstaub reitet er auf einem strahlend weißen Einhorn von Wolke zu Wolke.