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- 30.05.2002
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Wut
Er hatte eine unbändige Wut. Jahrelang war diese Frau ihm auf der Nase herumgetanzt, und - was noch schlimmer war - er hatte es sich jahrelang gefallen lassen!
Er hatte sich selber ohrfeigen können - wie dumm war er doch gewesen! War er denn blind, taub und stumm gewesen, wie Tommy in der gleichnamigen Rockoper von "The Who"?!?
Sie war eine sehr aufbrausende Frau, war das von Anfang an gewesen, eine massige Frau, die gewalttätig wirkte, in anderen Zusammenhängen vielleicht auch war, vielleicht schon gewesen war, in der kleinen Münchner Geschenke-Boutique war sie so aber noch nicht in Erscheinung getreten.
Sie konnte auch nur sehr schwer Kritik vertragen. Einmal war dieses Paket für eine Kundin zu ihnen zurückgekommen; auf dem Aufkleber stand "Nicht zustellbar, da Anschrift nicht lesbar", und der musste dem Zusteller unbedingt Recht geben: diese große, überschwängliche, übertriebene, maßlose Handschrift, keine Druckbuchstaben, wie er es angewiesen hatte, wie er es von seinen Mitarbeiterinnen erwartete - da konnte man wirklich nicht erkennen, an wenn das Paket gehen sollte.
Er hatte sie unverzüglich, spontan und stehenden Fußes zur Rede gestellt, vor den anderen Kolleginnen, die in der Nähe standen und Ware auspackten, es waren wohl auch einige Kunden im Laden, und sie hatte aufbrausend geschimpft, was ihm denn wohl einfiele, sie vor aller Augen und vor aller Ohren dermaßen bloßzustellen.
Und er - er hatte sich das gefallen lassen, hatte es sich gefallen lassen, anstatt sie gehörig zurechtzuweisen, in einem Zweiergespräch außerhalb der Geschäftsräume, das wäre damals möglich gewesen, wäre sofort möglich gewesen, unmittelbar im Anschluss an diesen Vorfall, aber er war so erschrocken gewesen, hatte sich diesen Schuh angezogen, den diese Frau ihm raffiniert und berechnend geschustert hatte, dumm und gutmütig, wie er damals noch war, hatte sich eine derartige Unverschämtheit tatsächlich bieten lassen!
Heute, nach Jahren, packte ihn die Wut darüber, er war fast noch wütender auf sich selber als auf diese ungehörige, ja ungezogene Mitarbeiterin, die nicht anderes konnte, als sich unentwegt aufzuspielen, als immer wieder dreist aufzutrumpfen, immer wieder versuchte sie, ihm die Zügel in seinem Laden aus der Hand zu nehmen und sich als "heimliche Chefin" aufzuspielen.
Jahrelang wusste er sich nicht zu wehren, sie war ja so geschickt, so raffiniert, so durchtrieben, so hinterhältig, so grenzenlos egozentrisch und wohl auch hemmungslos egoistisch.
Sie schob immer wieder den Schwarzen Peter von sich fort, schob die Schuld an den Geschehnissen um sie herum immerzu anderen Menschen in die Schuhe, drehte ihm selbst und auch anderen das Wort im Munde herum, schüchterte schwächere Kolleginnen gnadenlos und rücksichtslos ein, bis diese krank wurden, seelisch krank zunächst und schließlich auch körperlich krank - und er, er hatte sie jahrelang gewähren lassen, er hatte fast tatenlos zugesehen, hatte nur hin und wieder mal ein wenig dagegen gesagt, aber eher zaghaft und viel zu höflich und übervorsichtig.
Und diese Frau, sie verhielt sich so respektlos, so unehrerbietig gegenüber ihren Chefs, ihren Vorgesetzten, ihren Arbeitgebern, gegenüber den Menschen also, die ihr Arbeit gaben, gute Arbeit in einem guten Umfeld, mit guten Rahmenbedingungen - und sie, sie strafte sie alle mit Undankbarkeit und Auflehnung gegen die Vorgaben, gegen die Anweisungen. Diese Chuzpe, mit der sie sich über die selbstverständlichsten Dinge hinwegsetzte. Unerträglich!
Solche Menschen wussten ja gar nicht, was sie an ihrer Arbeitsstelle hatten, angesichts von Millionen von Arbeitslosen!
Wenn es ihr nicht passte, dann konnte sie ja gehen!! Sollte sie doch, keiner hielt sie mehr, die letzten Spuren von "Verständnis" waren ausgelöscht, bei seinem eigenen Chef schon seit längerem, nun aber auch bei ihm, mit aller Entschiedenheit. Finito. Aus und vorbei. Ende, aus.
Es wird über gewisse Dinge nicht mehr diskutiert. Wir sind hier schließlich kein Kindergarten. Er war nicht länger der "Verständnisvolle", der Seelsorger, der gute Mensch von Bogenhausen, der für alle und jeden und für alle Macken und Absonderlichkeiten im Vehalten grenzenloses Verständnis hatte. Es wollte es nicht mehr. Die alten Zeiten waren vorbei, unwiderruflich vorbei. Punkt. Ihm war endgültig und endlich, endlich, endlich (bravo, bravissimo!!) der Kragen geplatzt!
Diese Frau: unerträglich!